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Brünn
Bericht Nr. 9
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Todesmarsch und Lager; Bericht einer Greisin
Berichterin: M. K. Bericht vom 4. 7. 1950

Lage von BrünnAm 30. Mai 1945 bekamen wir abends um ½9 Uhr von tschechischen Organen die Verständigung, daß wir innerhalb einer halben Stunde das Haus verlassen müssen und nur das mitnehmen dürfen, was wir in der Hand tragen können. Ich hatte zwei alte Frauen, 70 und 75 Jahre alt bei mir im Hause wohnen, die schon zu Bett gegangen waren. Ich bat die tschechischen Männer, die alten Frauen doch im Bett zu lassen. Dafür wollte man mich verprügeln. Fünf Minuten vor 9 Uhr wurden wir schon mit Knütteln auf die Straße getrieben und mußten zuerst 25 Kilometer zu Fuß wandern. Sämtliche Leute aus den Altersheimen, Krankenhäusern, Kinderkliniken - alle mußten hinaus und mitwandern. Unterwegs sind viele Leute zusammengebrochen. Wir durften den Leuten nicht helfen aufzustehen, sonst wurden wir geprügelt. Die alten Frauen, die zusammengebrochen sind, wurden sofort von den tschechischen Organen erschossen und wenn ein alter Mann zusammenbrach, so wurden 14-jährige tschechische Buben gerufen, die mit ihren Schuhen auf die Köpfe der Männer solange treten mußten, bis sie tot waren. Die Leichen wurden dann sofort ausgezogen und die Kleider auf mitfahrende tschechische Wagen gelegt, die Kleider wurden unter die tschechischen Banden verteilt.

Anm. d. Scriptorium vom April 2003:
Es ist interessant, daß viele Menschen, die wirklich die Hölle erlebt haben, das einfach verdrängen. Lesen Sie hier einen Augenzeugenbericht dieses "Zeichens der Zeit"!
In der Nacht setzte strömender Regen ein und wir mußten trotzdem weiterwandern. Das hielten viele Leute nicht aus. Die Strecke von ungefähr 45 km, die wir laufen mußten, ist förmlich mit Toten gepflastert. Nach Beendigung des Marsches wurden wir in Barackenlager eingesperrt. Als Lagerleiterin wählten die Tschechen eine Frau, die ehemals mit einem Juden verheiratet war. Ein tschechischer Arzt besuchte mit dieser Lagerleiterin täglich die Baracken und die beiden gaben den Kranken und alten Leuten Pillen. In diesen Baracken starben die Leute täglich wie die Fliegen. Zwei Männer mußten von 7 Uhr früh bis abends 6 Uhr ununterbrochen auf der Tragbahre Leichen tragen bis zu einer Entfernung von ungefähr 30 Metern, wo die Leichen in eine Grube geworfen wurden. Die Leichen wurden sofort entkleidet und die Kleider unter die tschechischen Organe verteilt. Zu essen bekamen wir alle 5 Tage ein vierpfündiges Brot für 25 Personen aufgeteilt. Das war 3 Wochen lang unsere Nahrung, solange wir in diesem Lager waren. Die jungen Leute wurden alle Tage frühmorgens von der Gendarmerie in die Arbeit zu den Bauern geholt und konnten sich dort teilweise verpflegen. Die alten Leute aber starben an Hunger. Innerhalb von drei Wochen sind eintausendsiebenhundert Tote amtlich nachgewiesen. Außerhalb der Baracken war eine Grube ausgeschaufelt und darüber eine Stange befestigt, auf der wir unsere Notdurft verrichten mußten. In der einen Baracke waren kranke Leute untergebracht, ca. 450 Personen. In dieser Baracke war in der Mitte eine Badewanne aufgestellt, worin die Kranken ihre Notdurft verrichten konnten. Diese Badewanne wurde erst dann ausgeleert, wenn sie zum Überfließen voll war. Gereinigt wurde die Wanne niemals, sodaß es in der Baracke vor Gestank nicht auszuhalten war. In einer Baracke starb plötzlich eine Mutter von vier Kindern, das Jüngste war 3 Jahre alt. Der tschechische Arzt, der zur Leichenbeschau kam, rief ihrer weinenden Mutter zu: "Was heulst Du, deutsche Bestie, wenigstens ist wieder ein deutsches Schwein krepiert!" Einmal kam eine tschechische Kommission von fünf Herren, um festzustellen, wie unsere Verpflegung sei. Nur der Arzt und die Lagerleiterin wurden befragt und diese zwei Menschen bestätigten der Kommission, daß alle Lagerinsassen Milch und Butter in Mengen bekämen! Trotzdem wir alle einheitlich diese Lüge ans Licht brachten, glaubte die Kommission dem Arzt und der Lagerleiterin und erst später erfuhren wir, daß in einer tschechischen Zeitung verlautbart wurde, wie ausgezeichnet wir verpflegt worden wären.

Dann wurden wir weitere 45 km in ein anderes Lager fortgebracht, wo wir Pferdefleisch von krepierten Pferden zu essen bekamen. Das Fleisch wimmelte nur so von Würmern. Ich selbst habe das Fleisch auswaschen müssen. In 4 Eimern Wasser habe ich das Fleisch gewaschen und war nicht imstande, die Würmer herauszubringen. Trotzdem haben das die Leute aus Hunger gegessen. So fristeten wir unser Leben durch volle 8 Wochen hindurch. Erst jetzt war es möglich, daß sich einige Leute aus dem Lager fortstehlen konnten und über die Grenze nach Österreich flüchteten.

In den niederösterreichischen Bauernhöfen sind wir rührend verpflegt worden, bis wir wieder soweit zu Kräften kamen, um nach Wien weiterwandern zu können.

Täglich kamen in die Frauenlager Russen, um die Frauen und Mädchen zu vergewaltigen. Sogar eine alte, 80-jährige Frau wurde in unserem Lager vergewaltigt, ebenso ein siebenjähriges Mädchen. Auf einem 15jährigen Mädchen habe ich selbst drei Nächte lang gelegen, weil mich seine Mutter bat, das Mädchen zu beschützen. Täglich um ½8 Uhr waren die Russen da und blieben bis 2 Uhr nachts.

Die Tschechen haben jeden Tag bei den Lagerinsassen Geld gesammelt, mit dem Versprechen, uns am Abend vor den Russen zu schützen, sowie das Lager abzusperren, damit keine Russen hineinkommen könnten. Punkt ½8 Uhr abends führten dieselben Tschechen die Russen in das Lager und zeigten ihnen, wen sie vergewaltigen sollten. Und so ging das täglich. Immer wieder sammelten andere Tschechen, weil man den ersten nicht mehr glaubte.

Eines Tages wurde verlautbart, daß diejenigen Leute, die Verwandte in Österreich haben, ohne weiteres über die Grenze gehen könnten. Es wurde ihnen ein Dokument ausgehändigt für den Grenzübertritt. Jeder mußte dafür eine gewisse Gebühr bezahlen. Scharenweise stellten sich die Leute in Reihen an, um den Grenzübertrittschein zu erhalten und entlassen zu werden. Am Abend kehrten diese Leute in das Lager zurück und erzählten, daß die Tschechen ihnen an der Grenze ihre noch verbliebene Habe weggenommen hätten und daß sie unterschreiben mußten, daß sie freiwillig die Tschechoslowakei verließen, daß sie mit rührender Sorgfalt betreut worden wären und daß sie von den Tschechen an die Grenze gebracht worden wären. Wenn die Leute all das unterschrieben hatten, wurden sie zurückgepeitscht und wieder ins Lager zurückgebracht.



 

Bericht Nr. 10

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Todesmarsch von Brünn nach Pohrlitz
Berichter: Ed. Kroboth Bericht vom 31. 8. 1946 (Brünn)

Lage von Brünn und PohrlitzIch bin 72 Jahre alt. Im Februar 1945 hatte ich mich einer Prostataoperation unterziehen müssen. Meine Frau ist 68 Jahre alt, zuckerkrank und hat seit Jahren offene Füße. In diesem Zustand mußten wir am 31. 5. 45 in 2 Stunden unsere Wohnung verlassen. Dabei wurden wir mißhandelt. Nach einer Nacht im Freien wurden wir mit Tausenden nach Pohrlitz bei Brünn getrieben. Das war ein Todesweg. Rechts und links der Straße lagen die Toten, die an Erschöpfung gestorben waren. Nach einer Nacht in Pohrlitz, die wir auf nassem Beton zubrachten, wurden wir weiter über die Grenze nach Österreich getrieben. Dort kampierten wir in vom Regen aufgeweichten Feldern. Verpflegung wurde überhaupt nicht verabreicht. Als meine Frau unterwegs ein Stückchen Brot aus der Tasche zog, wurde es ihr von einem Posten mit dem Gummiknüppel unter groben Beschimpfungen aus der Hand geschlagen. Sie konnte schließlich nicht mehr weiter und ich durfte nicht bei ihr bleiben. Durch Vermittlung eines tschechischen Pfarrers erhielt ich dann die Erlaubnis, nach Brünn zurückzukehren. Bei Anwesenheit des Präsidenten Benes in Brünn im Juli 45 wurden alle Deutschen in Brünn in die Sandgruben gejagt und dort 5 Tage ohne Verpflegung und fast ohne Wasser in den Stollen der Sandgruben gehalten. Dort starben täglich ungefähr 30 Leute. Viele wurden wahnsinnig.



 

Bericht Nr. 11

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Kaunitzkolleg
Berichterin: Katharina Ochs Bericht vom 31. 8. 1946 (Brünn)

Lage von BrünnIch war 2 Monate (vom 2. 5. - 30. 6. 45) im berüchtigten Kaunitzkolleg in Brünn und war dort Zeuge der grausamsten Mißhandlungen. Es waren dort mehrere tausend Deutsche gefangen. Es konnte kaum ein Deutscher über die Treppe heruntergehen, auf jedem Absatz standen Tschechen, die die Deutschen mit Fußtritten die Treppe hinunterstießen. Es wurden auch Leute erschlagen. Ich selbst wurde einmal so geschlagen, daß ich mich tagelang nicht rühren konnte. Ich habe jetzt noch Schmerzen davon im Rücken. Als ehem. Rot-Kreuz-Schwester wurde ich von dort auf 3 Monate in das Anna-Krankenhaus, deutsche Abteilung, kommandiert. Dort herrschten die furchtbarsten Zustände. Für die Durchfallkranken war keine besondere Diät vorhanden. Die Wäsche bestand nur aus Fetzen, die nur einmal im Monat gewechselt wurden. Es war keine Kochgelegenheit vorhanden, das Wasser war ungenießbar. Abkochgelegenheit für das Wasser war auch nicht vorhanden. Die Möglichkeit, aus einer russischen Küche Tee für die Kranken zu beschaffen, wurde nicht gegeben. Die meisten Kranken wurden verspätet aus den Lagern eingeliefert, sodaß die meisten starben. Die Verpflegung war völlig unzureichend, sodaß sich die Kranken Abfälle aus den Mülleimern heraussuchten. Ein großer Teil der Kranken litt an Unterernährung oder an den Folgen von Mißhandlungen, z. B. Kieferbrüche, eiternde Wunden usw.



 

Bericht Nr. 12

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Kaunitzkolleg
Berichter: Josef Brandejsky Bericht vom 31. 8. 1946 (Brünn)

Lage von BrünnIch war 5 Monate im Kaunitzkolleg in Brünn (vom 5. 5.-5. 10. 45) und wurde dort täglich mehrmals verprügelt. Dabei verlor ich meine Zähne. Die Verpflegung bestand nur aus leeren Suppen und rohen Kartoffeln. 17 Tage hatten wir überhaupt kein Brot. Bei der Einlieferung wurde mein Kamerad, der eine Fußverletzung hatte und wie ich 24 Stunden an der Mauer stehen mußte, mit einem Fußtritt in den Bauch und in den Hals umgebracht, als er sich an mir festhielt, da er sonst umgesunken wäre. In der Stube waren Wände, Decke, Fußboden und Matratzen mit Blut besudelt, denn jede Nacht wurden die Häftlinge blutig geschlagen. Dabei wurden in meiner Stube in einer Nacht fünf erschlagen. Oft wurden wir in der Nacht aus den Stuben gejagt, wir mußten auf allen Vieren gehen und bellen wie die Hunde. Dabei wurden wir von tschechischen Soldaten verprügelt. Ein großer Teil der Häftlinge hatte Ruhr. Die Klosettanlagen waren völlig unzureichend. Die Stuben waren immer versperrt und wir mußten Kübel benutzen.



 

Bericht Nr. 13

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Internierungslager Klaidovka
Berichterin: Martha Wölfel Bericht vom 31. 8. 1946 (Brünn)

Lage von BrünnIch war 15 Monate in dem Internierungslager Klaidovka, wo viele Hunderte untergebracht waren. Das Lager war verlaust und verwanzt. Die Verpflegung bestand nur aus Wasser und Brot. Auch viele Mütter mit Kleinkindern waren dort interniert. Sämtliche Kleinkinder bis zu 4 Jahren starben an Unterernährung. Das waren sicher über 100 Kinder. Auch mein Kind starb dort am 12. 4. 1946 mit 15 Monaten. 3-4 Tage vorher war das Kind in das Kinderspital geschafft worden, wo selbst die Tschechen über den Zustand dieses Kindes entsetzt waren. Ich wurde im Lager verständigt, als das Kind starb. Doch als ich fragte, wo es begraben werde, erhielt ich von einem Posten einen Schlag auf den Kopf, daß ich bewußtlos zusammenbrach. Ich weiß bis heute nicht, wo mein Kind begraben liegt. Den anderen Frauen ging es ebenso.

Ich kann diese Aussage beeiden.



 

Bericht Nr. 14

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Schwere Mißhandlung deutscher,
aus russischer Gefangenschaft zurückkehrender Soldaten

Berichter: Emil Hulla Bericht vom 21. 8. 1946 (Brünn)

Lage von BrünnAm 23. 6. 1946 kam ich mit einem Transport von 88 Kriegsgefangenen, die aus russischer Gefangenschaft zurückkehrten, nach Brünn. Dort wurden wir alle von 3 tschechischen Soldaten und 2 Eisenbahnern auf das furchtbarste verprügelt. Die schlugen einen jeden mit Knüppeln. Dann mußten wir uns auf den Boden legen und sie trampelten mit Füßen auf uns herum. Ein Mann wurde so geschlagen, daß er Kot von sich gab. Zwei andere mußten ihn ablecken. Wir mußten uns gegenseitig ohrfeigen und wurden dabei von den Tschechen geschlagen. Wir waren alle in sehr schlechter körperlicher Verfassung, meist Strophiker, die krankheitshalber aus der russischen Kriegsgefangenschaft entlassen worden waren. Von Brünn wurden wir in das Lager Kurim gebracht.



 

Bericht Nr. 15

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Gepäckausstattung des Brünner Transportes
Berichter: Franz Exler Bericht vom 31. 8. 1946 (Brünn)

Lage von BrünnAls Transportführer bin ich über die Gepäckausstattung der Transportteilnehmer im allgemeinen informiert. Die meisten Leute kamen aus Lagern oder vom Arbeitseinsatz ins Aussiedlungslager ohne jedes Gepäck. Im Aussiedlungslager wurden sie mit Gepäck ausgestattet, sodaß im allgemeinen jeder 70 kg erreichte. Aber die Sachen, die ausgegeben wurden, waren durchaus unbrauchbar. Es wurde als Bekleidung ausrangierte, zerrissene Militärkleidung ausgegeben. Einer bekam als Kopfbedeckung einen Zylinderhut. Die Schuhe sind durchwegs zerrissen. Viele erhielten 2 rechte oder 2 linke Schuhe oder Schuhe ungleicher Größen. Als Geschirr wurden durchlöcherte Töpfe ausgegeben. Ein Anprobieren der Kleidungsstücke oder Schuhe war unmöglich. Wer die Sachen als unbrauchbar zurückwies, wurde mit Zurückbehaltung bedroht. Der Bekleidungszustand ist durchwegs schlecht, die meisten Kleidungsstücke können auch nicht gerichtet werden, da sie so zerrissen und morsch sind, daß auch ein Umnähen unmöglich ist. Die Wäsche ist im selben Zustand.



 

Bericht Nr. 16

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Lager Klaidovka: Bericht über den Prozeß gegen Jan Kouril
vor dem Schwurgericht in Karlsruhe

Aus "Die Brücke", Ausgabe vom 10. Juni 1951 (Brünn)

Lage von BrünnDas Karlsruher Schwurgericht verurteilte in der vorigen Woche den tschechischen Staatsangehörigen Johann Kouril wegen seiner in den Jahren 1945 und 1946 an deutschen Staatsangehörigen und Sudetendeutschen begangenen Verbrechen zu 15 Jahren Zuchthaus. Der 39-jährige Angeklagte wurde für schuldig erklärt, den Sudetendeutschen Kaleus durch einen Spatenhieb totgeschlagen zu haben, an dem gemeinschaftlichen Angriff mit tödlichen Verletzungen auf den Buchhalter Beinhauer beteiligt gewesen zu sein und in weiteren 28 Fällen den Internierten der Brünner Lager Kleidovka, Kaunitz-Kolleg und Juliefeld einfache oder gefährliche Körperverletzungen zugefügt zu haben. Der Vorsitzende des Schwurgerichts betonte in der Urteilsbegründung, daß das Gericht den Angeklagten in allen jenen Fällen freigesprochen habe, für die keine Augenzeugen vorhanden waren. Milderungsgründe wären jedoch für seine Verbrechen nicht zu finden gewesen, selbst wenn berücksichtigt würde, daß er sie in einer Zeit des Umsturzes verübt habe.

Dieser Karlsruher Prozeß, der im In- und Ausland mit großem Interesse verfolgt wurde, rollte das erstemal die grauenvollen Vorgänge auf, die sich in der Tschechoslowakei und einigen anderen Ländern nach der deutschen Kapitulation abspielten. Unbemerkt von der Weltöffentlichkeit - die damals durch das Bekanntwerden der in den deutschen KZ begangenen Massenmorde erschreckt und empört war - vollzog sich ein neues Drama, das dem anderen an Bestialität kaum nachstand. Als die ersten Nachrichten und Augenzeugenberichte über die Grenzen kamen, schienen sie ebenso unglaubhaft und übertrieben wie einst die Berichte aus den deutschen KZ. Und wie sich heute noch ein Teil der deutschen Bevölkerung weigert, den Umfang der im "Dritten Reich" begangenen Quälereien und Massenmorde zu glauben, weigert sich auch ein großer Teil der Weltöffentlichkeit, den vollen Umfang der Katastrophe im Jahre 1945 als eine Tatsache zur Kenntnis zu nehmen.

So liegt denn auch die Bedeutung dieses Prozesses nicht so sehr darin, daß einer der Schuldigen zur Rechenschaft gezogen wurde, sondern daß diese Vorgänge - wenn es sich auch nur um einen kleinen Ausschnitt handelte - das erstemal von einem Gericht untersucht und bestätigt wurden.

Der Prozeß war wahrscheinlich nur deshalb möglich, weil der Angeklagte nicht aus politischen Gründen, sondern aus persönlichen Motiven nach Westdeutschland kam. Während seiner "Tätigkeit" in den Lagern verliebte er sich in ein gefangenes deutsches Mädchen, das er später heiraten wollte. Da er für sie jedoch den Aufenthalt in der Tschechoslowakei nicht erreichen konnte, reiste er ihr nach Westdeutschland nach.

Im Jahre 1949 wurde einem in München tätigen Dentisten von einem Insassen eines IRO-Lagers Bruchgold zum Verkauf angeboten. Als der Dentist später mit dem Verkäufer zusammentraf, erkannte er in diesem den früheren stellvertretenden Kommananten des Lagers Kleidovka, Johann Kouril, wieder, der einen Beutel ausgebrochener Goldzähne und Brücken an den Mann bringen wollte. Später wurde Kouril, der sich unangemeldet in dem badischen Dorf Spöck aufhielt, von Heimatvertriebenen gesehen und bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Im Verlaufe der Ermittlungen meldeten sich über 200 Menschen, die damals in den angegebenen Lagern gefangengehalten wurden. Kouril konnte aus der ihm vorgelegten Namensliste nicht einen einzigen Entlastungszeugen benennen. Die Vernehmung der Zeugen war ein Aufzählen von Quälereien, wie sie zu allen Zeiten begangen worden sind, wenn Sadismus und Menschenjagd zur patriotischen und religiösen Pflicht gemacht wurden.

Kouril war der Schrecken des Lagers. Auf seinen Befehl wurde geschlagen, getreten und gefoltert. Durch Prügel wurden die Gefangenen gezwungen, mit Urin und Blut gefüllte Eimer auszutrinken. Zur Belustigung der Wachmannschaften mußten Nackttänze aufgeführt werden. An einem tschechischen Nationalfeiertag wurden Gefangene zur allgemeinen Belustigung an einem Galgen auf- und niedergezogen. Andere wurden mit einem glühenden Eisen gebrandmarkt. Ein Zeuge wurde im Vernehmungslokal mit dem Gesicht in eine Abortschüssel gedrückt, wobei er das Deutschlandlied singen mußte. Der einstige Totengräber des Lagers Kaunitz-Kolleg gab an, während seiner Tätigkeit die Leichen von etwa 1800 aufgehängten und erschlagenen Deutschen, darunter 250 den Tschechen übergebenen Soldaten, abtransportiert zu haben.

Der Angeklagte leugnete alle ihm zur Last gelegten Verbrechen und gab lediglich eine, dann drei und schließlich hundert Ohrfeigen zu. Seine stereotype Antwort war: "Der Zeuge berichtet Märchen. Er wird schwachsinnig sein, ich kenne ihn gar nicht." "Der Zeuge gräbt sich selbst eine Grube mit seinen Lügen." "Die Aussagen der Zeugen sind eine große Schande", usw.

Es ist interessant, aber nicht überraschend, daß der Verteidiger Kourils zur Entschuldigung dieselben Argumente vorgebracht hat, der sich auch die wegen Verbrechen angeklagten Gestapoleute usw. bedienen. Danach sei Kouril als ein Opfer zu betrachten, der dem Befehl seiner Regierung spontan Folge geleistet habe. Der Staatsanwalt hielt zwar auch die Haltung der damaligen tschechischen Regierung für die Ursache der deutschen Passion, bei dem Angeklagten seien jedoch, so führte er weiter aus, keine politischen Taten, sondern Verbrechen abzuurteilen, für die in den Gesetzbüchern aller Staaten harte Strafen vorgesehen sind.

Das Gericht schloß sich im wesentlichen der Auffassung des Staatsanwaltes an. Der Prozeß, so sagte der Vorsitzende, Dr. Ernst, habe die Leidenszeit eines Volksstammes enthüllt, der über Nacht ausgerottet werden sollte. Die Schuld dürfe jedoch nicht dem gesamten tschechischen Volke zugeschoben werden, denn es sei der Mob und der Pöbel gewesen, der sich auf die Deutschen stürzte. Man müsse jedoch auch, so sagte er weiter, daran denken, daß einzelne Deutsche durch das, was sie einst den Tschechen antaten, schuldig seien an den Vorgängen in der Tschechoslowakei nach der Kapitulation.

Der Angeklagte, dem unter der deutschen Herrschaft kein Haar gekrümmt worden sei, wie er selbst zugab, sei kein tschechischer Patriot gewesen, sondern er habe sich als Sklavenhalter angeboten, um nachträglich seine nationale Gesinnung nachzuweisen. Als sadistisch und grausam veranlagter Mensch hat er an dem blutigen Handwerk, das in den tschechischen Internierungslagern ausgeübt wurde, seine Freude gehabt. Konzentrationslager sind schon an sich zu verabscheuen, wenn sie aber zu einer Stätte gemacht werden, in der sich die Grausamkeit austoben darf, dann kann man sie nur als eine Schande der Menschheit bezeichnen.


Die Menschheit muß sich schützen

Die Menschheit befindet sich nach wie vor am Rande der Barbarei, das haben die Vorgänge der letzten Jahre in Europa bewiesen. Auch das "Abendland" ist sehr oft nichts als Tünche, die rasch abblättern kann; dann tritt ein Gesicht zutage, das tödliches Grauen verbreitet, so wie wir es jüngst erlebt haben. Es handelt sich um eine Psychose, die nicht nur den Mob und Pöbel ergreift; hier irrte das Gericht.

Grausamkeit und Unmenschlichkeit können nur aus der Welt geschafft werden, wenn sie grundsätzlich und überall bekämpft werden. Man kann nicht gegen die von den Tschechen begangenen Grausamkeiten auftreten, aber die Unmenschlichkeiten der Nazi verniedlichen; man kann auch nicht die der Nazi verdammen und die an Deutschen begangenen nicht sehen wollen. Beides ist leider der Fall.

Durch das Urteil des Karlsruher Schwurgerichts wurde ein Schuldiger bestraft, zahlreiche der Urheber, wie Herr Ripka und seine Freunde, gelten jedoch zur gleichen Zeit als Verbündete im "Kampf gegen die Unmenschlichkeit", genau so wie in Deutschland Leute, die maßgebliche Schuld am Verbrechen des "Dritten Reiches" haben, eifrig an der Vorbereitung eines neuen tätig sein können.


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Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen
Überlebende kommen zu Wort