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Aussig
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Bericht Nr. 7
KZ Lerchenfeld und Schöbritz
Berichter: Heinrich Michel
Es war am 16. Mai 1945 um 17
Uhr, als ich im Auftrage des Polizeipräfekten von Aussig,
Douda, noch in Arbeitskleidern aus meinem Hause (ich war selbständiger Tischlermeister
in Aussig-Prödlitz) abgeführt wurde. Meine Frau konnte mir noch rasch trockenes
Brot zustecken. Von meinen Bewachern kannte ich den Partisan Walter Swoboda
aus Aussig-Prödlitz, Lange Gasse 116. In Aussig, im Kohlensyndikat, wo Douda
residierte,
angekommen, schrie mir jener, von Russen umgeben, entgegen: "Du Bandit, Du Gauner, Du
Schuft, Du Gestapohengst!" Mich nach Waffen durchsuchend, riß er das Brot aus der
Tasche und warf es mir ins Gesicht mit den Worten: "Ich lasse Dich erschießen!" Douda
war früher Oberkellner in der Turnhalle. 1938 wanderte er nach Rußland aus.
Nachdem mir sämtliche Wertsachen abgenommen worden waren, ging es ins
Gerichtsgefängnis in Zelle 8. In Vorahnung des kommenden Tschechenterrors hatte ich
den
Gedanken gefaßt, mir das Leben zu nehmen. Doch von dem anderen Zellengenossen, dem
Elbtalmaler
Podlebnik, Aussig-Salesel, wurde ich eines Besseren belehrt. Podlebnik hatte man eingesperrt,
weil er
angeblich Waffen-SS-Leute bewirtet hätte. Podlebnik hielt es für den
Gehässigkeitsakt eines ansässigen Tschechen, da er die ganzen 14 Tage vor seiner
Verhaftung
keinen Waffen-SS-Mann mehr zu Gesicht bekommen habe.
Stündlich kamen neue
Leidensgenossen an, sodaß wir bald neun Personen in unserer Zelle waren.
Waffenhändler Strowik, Rechtsanwalt Knöspel, Heller und andere.
Es war am
zweiten Tag nach meiner Einlieferung, neuer Zuwachs kam oder stolperte vielmehr herein und
brach zusammen. Ein bestialischer Gestank breitete sich bald aus. Dem Manne, der vor uns lag,
drang der Kot zum Kragen und den Hosenbeinen heraus. Was war hier vor sich gegangen? Auf
meine Vorsprache beim Beschließer, einem Kroaten, konnten wir den
Unglücklichen
ausziehen und im Luftschutzwasser, das zwar schon wochenlang nicht gewechselt war,
wenigstens reinigen. Zu unserem Entsetzen fanden wir vom Nacken bis zu den
Füßen
keine handtellergroße Stelle, die nicht blutunterlaufen war. Wir glaubten nicht, daß
der vor uns Liegende mit dem Leben davonkomme. Doch er erholte sich wieder. Der
Mißhandelte hieß Heller, stammte aus Staditz bei Tschochau und war Vorarbeiter in
den Staditzer Kabelwerken. Wie Heller später erzählte, war der Grund für
seine Verhaftung, daß er in seiner Stellung als Vorarbeiter
den Sabotage-Akt eines Tschechen dem Besitzer des Werkes, Herrn Wild, gemeldet hatte. Ihm
war es gelungen, zu entfliehen. Zweimal durchwatete er die Biela. Nach einer regelrechten, von
den Partisanen veranstalteten Treibjagd wurde er eingekreist, nach Staditz zurückgebracht
und hier in einem Keller schwer mißhandelt.
Als Pfingsten herankam, waren wir insgesamt
ungefähr 180 Inhaftierte. Pfingstsamstag abends, alle Zellentüren waren gerade
geöffnet, erschien ein Partisan (sein rein tschechischer Name ist mir entfallen) und schrie:
"Ich bin Leutnant der Partisanen. Jetzt werde ich Euch zeigen, wie man
einen SS-Hund erledigt!" Dabei leerte
er eine ¾-Liter-Flasche mit Schnaps. Aus Zelle 15, in der
alle Waffen-SS und SS-Angehörigen untergebracht waren, wurde Willi Künstner,
der Personalchef der Firma Schicht und Ehrenmitglied der Allgemeinen SS war, herausgeholt
und
geschlagen, gestoßen, niedergeschlagen, hochgezerrt und wieder von neuem
niedergeschlagen und so in einem fort. Wir schlossen unsere Türen und hielten uns die
Ohren zu. Als wir wieder zu öffnen wagten, sahen wir gerade, wie der
Zusammengestürzte
von zwei SS-Männern in die Zelle gezogen wurde. Diese war sowieso schon so
überfüllt, daß für einen Liegenden kein Raum war. Auf vieles
Vorsprechen wurde Künstner mit einem Stoßwagen ins Krankenhaus gebracht. Auf
Umwegen erfuhren wir am nächsten Tag, daß Künstner im Krankenhaus
nicht
mehr zum Bewußtsein erwacht und gestorben
ist. Ein 18-jähriger Waffen-SS-Angehöriger in meiner Zelle, der erst später
in
Zelle 15 kam, einziges Kind einer Witwe in Türmitz, erst im März 1945
zur Waffen-SS eingezogen, war so mißhandelt worden, daß er jedesmal einen
Nervenschock bekam, wenn nur die Tür geöffnet wurde. Wohin er aus Zelle 15
kam,
weiß ich nicht.
Die Lebensverhältnisse im Gerichtsgefängnis waren denkbar schlecht. Als
Verpflegung gab es täglich morgens etwas schwarzen
Kaffee, mittags 2-3 Kartoffeln mit Würfelsoße und für den ganzen Tag
100 g Brot. 8-9 Personen hausten ständig in jeder Zelle von 9 m². Ein unbedeckter
Eimer
mußte für jede Notdurft benutzt werden. So war es für uns eine
Erleichterung,
als Arbeitskommandos zusammengestellt wurden. Allerdings war dadurch wieder mehr
Gelegenheit zu Mißhandlungen gegeben, besonders bei den schwere Arbeit ungewohnten
Intelligenzlern. Es mußte Verpflegsgut der Deutschen Wehrmacht, Fässer mit
Butter,
mit Ölsardinen usw. am Bahnhof entladen und in dem ehemaligen Kaufhaus Jepa
eingekellert werden. Die Begründung für unsere Hungerrationen, daß
nämlich unsere deutschen Bruderschweine alles mitgenommen hätten, war also
nicht
stichhaltig.
Besonders von
halbwüchsigen 16-18jährigen Partisanen wurde ich damals oft geschlagen.
Zur Entlastung des Gerichtsgefängnisses wurden wir 50 Mann am 29. 5. 1945 in das
ehemalige Luftwaffenlager nach Lerchenfeld gebracht. Zuerst mußten wir die
Zustände, die Ungarn und durchziehende russische Soldaten hinterlassen hatten,
beseitigen.
Es war befohlen, jeden Weg im Lager im Laufschritt zurückzulegen, was für die
Älteren unter uns, z. B.
den ungefähr 74-jährigen Regierungsbeamten Galle, Bürgermeister Nittner u.
a. eine unmenschliche Qual bedeutete. So mußten von früh bis abends die
Wehrmachtsspinde aus dem Lager im Laufschritt in die Magazine, die oben am Berg lagen,
hinaufgeschleppt werden. Ich persönlich hatte das Glück, durch einen mir
bekannten
tschechischen Schlosser, der bei Schlossermeister Schiller in Prödlitz gelernt hatte, als.
Kapo herausgezogen und damit von der schwersten Arbeit verschont zu werden. Ich organisierte
im Lager einen Stoßwagen, sodaß vier von den Älteren fahren und gehen
konnten. Die bewachenden Partisanen verboten diese Beförderung, doch konnte ich beim
Lagerkommandanten Vrsa vorsprechen und ihn überreden, daß auf diese Weise
sogar
vier Spinde befördert werden könnten. Aus dem Gerichtsgefängnis kamen
nun
ständig neue Gruppen an, sodaß wir bis Ende Juni auf 1000 Gefangene
angewachsen
waren, die in 13 Blocks untergebracht wurden. Davon wurden vier mit Frauen belegt.
Später wurden alle Festgenommen, es handelte sich zumeist um willkürlich
zusammengeschleppte Menschen, nicht mehr über das Gerichtsgefängnis, sondern
direkt nach Lerchenfeld eingeliefert. Von Beginn der Lagerzeit an war ein
einarmiger, ungefähr 20-jähriger Mensch als Läufer verwendet worden. Er
hatte alle Befehle der Lagerleitung weiterzugeben und genoß dadurch eine gewisse
Freiheit.
Eines Abends kehrte er nicht zurück. Sofort wurden die umliegenden Dörfer, in
denen die im Lager bediensteten Partisanen untergebracht waren, von der Lagerleitung
verständigt. An dieser Treibjagd beteiligten sich fast alle Partisanen des Lagers, die
Lagerbewachung
zwischen 80-120 Mann. Noch spät in der Nacht erfuhren wir, daß der Entflohene in
der Nähe in einem Wald angeschossen worden war. Am nächsten Vormittag
mußten wir einzeln an der Bahre des Erschossenen vorüberziehen. Im
vorangegangenen Appell hatte Lagerkommandant Vrsa geschrien: "So ergeht es jedem, der zu
entfliehen versucht".
Für alle Vorkommnisse, die ich von der Lagerzeit Lerchenfeld und auch Schöbritz
anführe, nenne ich als Zeugen
Waffenhändler Strowik-Aussig, Hoffmann-Nestomitz, Holina, Chefingenieur
der Solvay-Werke, den Prokuristen der Solvay-Werke, den Vorstand der Innungskrankenkasse
(ich möchte den Namen nicht nennen, da er jetzt noch verschollen ist), Hübsch von
der Angestelltenkrankenkasse, Schuhmachermeister Heller, Wenzel Behr, Angestellter der DAF,
beide Brüder Mieke-Türmitz, von denen der eine Prokurist
bei Tuch-Hübel war, und alle Insassen von Block 1, dem ich angehörte und der
sämtliche Handwerker und Schreiber, die für das Lager gebraucht wurden,
umfaßte.
Gewöhnlich wurde es eingerichtet, daß die neuankommenden Trupps
Eingefangener,
dies konnten 30-50, aber auch 100 Mann sein, abends eintrafen, wenn alle Lagerinsassen auf
ihren Blocks sein mußten. Vom Fenster unseres Blockes 1 aus konnten wir aber gut
beobachten, wie die Ankunft vonstatten ging. Deutschlandlied, SA-Lieder mußten
gesungen
und
ein Hitler-Bild vorangetragen werden. Vom Schlagbaum bis zur Verwaltungsbaracke hieß
es Spießruten laufen, das bedeutete, daß ungefähr eine Strecke von 40 bis 50
m
beiderseits von Partisanen gesäumt war, die unbarmherzig mit Ochsenziemern
zuschlugen.
Am schlimmsten gebärdeten sich dabei die weiblichen Partisanen, darunter besonders
eine
Karbitzerin, deren Name meinem Mitgefangenen Kohberger aus Karbitz bekannt sein
dürfte. SA-Angehörige wurden gesondert vorgenommen. Sie bekamen 25
Schläge mit Ochsenziemer oder Gummiknüppel auf das bloße Hinterteil.
Im
Oktober waren wir auf ungefähr 3,5 Tausend angewachsen. Jeden
Tag gingen 2,5 Tausend zur Arbeit. Am 31. Juli 1945, dem Bluttag von Aussig, war ein
Kommando nicht von der Arbeit zurückgekehrt. Wie schon erwähnt, war ich
Zimmerältester von Block 1, dem Block der Handwerker und Schreiber für das
Lager. So erfuhr ich manches, was die meisten nicht wußten, durch den Steuerberater
Hahnel, Aussig, Hauptmann, Aussig, Stephan, hoher Beamter an der Aussiger Hauptpost, akad.
Maler Ungermann, Bürgermeister von Reichenberg (dieser wurde später nach
Reichenberg gebracht). Besonders Fritz Wolfrum, Likörfabrik Schönpriesen,
muß viel wissen, da er Schreiber des politischen Leiters war und später auch die
Vorarbeiten für die Volksgerichtshofprozesse mit über hatte. Durch diese Schreiber
erfuhren wir auf Block 1 also, daß als Bericht über das nicht zurückgekehrte
Arbeitskommando ausgegeben wurde: "Bei der Explosionskatastrophe ums Leben gekommen."
Nach den Berichten der Augenzeugen vom Blutmassaker in Aussig waren diese Männer
aller Wahrscheinlichkeit nach dem Pöbel in die Hände gefallen.
Die vorhingenannten
Schreiber sind auch Zeugen für die Erschießung des Nollendorfer Emil Luprich.
Unauslöschlich in meiner Erinnerung wird mir ein Samstag im August sein, ich glaube, es
war der 10., als der 22jährige Nollendorfer Emil Luprich, der im Frühjahr 1945 erst
zur Waffen-SS eingezogen worden war, vor allen 3000 Lagerinsassen standrechtlich erschossen
wurde. Am Vortage waren zwei Männer von einem Arbeitskommando ausgerissen. Am
Samstag Abend gegen 17 Uhr 30, einer uns ungewohnten Zeit, ertönte die Lagerglocke.
"Alles ohne Ausnahme antreten", hieß es. Lagerkommandant Vrsa erschien, total
betrunken,
auf seiner üblichen Rednertribüne. Sein Reden war ein einziges Schimpfen. Zum
Schluß schrie er, daß als Strafe für die beiden Haftentflohenen jeder Zehnte
erschossen werde. Die umliegenden Barackendächer waren von Partisanen mit MGs
besetzt. Die Partisanen repetierten und machten fertig. Wir waren auf alles gefaßt. Leid
taten uns nur die ungefähr 1300 Frauen, die zwar ruhig, aber leichenblaß uns gerade
gegenüber standen. Da begann Vrsa von Neuem zu schimpfen. Schuld seien eigentlich die
Kapos, alle Kapos müßten erschossen werden. Sämtliche Kapos
mußten
nun in Fünferreihen nebeneinander antreten. Nachdem dies geschehen, widerrief sich
Vrsa,
jeder 10. Kapo werde erschossen. Ich glaubte mit unter den Genannten gewesen zu sein, denn
ein
Partisan trat auf mich zu und wechselte meinen Platz. Meine Tischlerarbeiten kamen eben den
Herrn Partisanen auch viel persönlich zu Gute. Aber auch dieser Befehl kam nicht zur
Ausführung. Wir ahnten hinterher, daß durch dieses ganze Manöver eine
Panikstimmung erzeugt werden sollte, die dann bei einem noch zu erwartenden
Höhepunkt
zum Ausbruch kommen und Anlaß für ein Blutbad bilden sollte.
Ungefähr
eine Stunde standen wir schon auf dem Appellplatz. Vrsa schimpfte nochmals los, diesmal auf
die
Frauen.
Deutsche Huren, SS-Huren wären sie alle. Ein neuer Befehl
erging, "alle SS- und Waffen-SS-Angehörigen vortreten!" Die SS-Leute waren laufend in
besondere Lager abtransportiert worden. Leider hatten wir unter uns
noch 5 Waffen-SS-Leute, die aus dem Karbitzer Lager zu uns gekommen waren. Die Fünf
wurden nun in den ehemaligen Wehrmachtsbunker abgeführt. Wie wir später
erfuhren, mußte unter ihnen gelost werden. Das Los fiel auf den jungen Nollendorfer. Vrsa
hatte uns inzwischen erklärt, er wolle nicht so sein wie wir, er wolle Gnade vor Recht
ergehen lassen, aber eine Strafe müsse sein. Als
die SS-Männer wieder antraten, rief er: "Es wird hier im Namen der Republik einer
erschossen! Das Urteil wird sofort vollzogen!" In 10 m Entfernung nahm das Kommando vor
dem
"Verurteilten" Aufstellung. Mit erhobenen Händen flehte der junge Nollendorfer um
Gnade.
Da riß Vrsa einer Frau das Tuch vom Kopfe. Damit wurden dem Todeskandidaten die
Augen verbunden. Vrsa wiederholte das Urteil in tschechischer Sprache. Das Urteil wurde
vollstreckt. Der lange tschechische Partisan, dessen Kugel die tödliche war, wurde danach
nie mehr im Lager gesehen. Wir sahen Emil Luprich in seiner Blutlache liegen. "Dr. Tauber!"
schrie Vrsa. Dr. Tauber, der Lagerarzt, stellte durch seine Untersuchung fest, daß noch
Leben in dem Niedergeschossenen war. Luprich bekam nun noch einen Kopfschuß. Es war
einige Minuten vor 20 Uhr. Ein kurzer Befehl ordnete an, der Platz müsse bis 20 Uhr
geräumt sein. Nur der Besonnenheit unseres Lagerältesten, der sofort die
nötigen Befehle zur Räumung gab, nicht zuletzt aber der Haltung unserer Frauen
war
es zu verdanken daß es nicht doch noch zu der wohl noch immer von den Tschechen so
sehr
herbeigewünschten Panik kam. Auch für mich kam eine qualvolle Zeit, als
nämlich der Prödlitzer Skala, ein Eisenbahnersohn und Huttig, der im
Prödlitzer Schloß wohnte, als Partisanen nach Lerchenfeld kamen. Huttig schlug
mich mit dem Ochsenziemer, den jeder Partisane im Stiefelschaft trug, bis ich bewußtlos
zusammenbrach. Wenn ich wieder zu mir kam, gingen die Schläge von neuem los. Als ich
Huttig später einmal im Beisein eines anderen Tschechen namens Vacek frug, warum er
mich schlug, erklärte er mir, ich hätte ihn als 12jährigen Jungen vom
Schützenfest gewiesen, als er Kuchen gestohlen hatte. Ich frug ihn noch, ob ich ihn
damals
auch geschlagen hätte. "Nein", mußte er zugeben. In Prödlitz rühmte
sich
Skala dann jedesmal, den Tischlermeister Michel geschlagen zu haben. In dieser Zeit
mußten mich meine Lagerkameraden überwachen, daß ich mir nicht das
Leben
nahm.
Eines Tages, das Datum ist mir entfallen, wurde ein Vater mit seinem Sohn, der erst nachts
zuvor von der Wehrmacht ins Elternhaus zurückgekehrt war, eingeliefert. Vor dem Tore
des
KZ versuchte der Sohn zu fliehen. Dabei wurde er mit einer Maschinenpistole niedergeschossen.
Der Vater mußte nun den Erschossenen auf einem Schubkarren ins Lager fahren, wobei er
dauernd schwer geschlagen wurde.
Schlagen gehörte zur Tagesordnung. Geringste Vergehen gegen die Lagerordnung wurden
mit 25-50 Schlägen bestraft. Ein Vergehen war es, wenn ein Häftling mit einer Frau
sprach, auch wenn es die eigene Frau war. Beide bekamen dann je 25 Hiebe. Oder wer beim
Briefschmuggeln erwischt wurde. Wie schon erwähnt, wurde die erste Zeit jeder bestraft,
der nicht im Laufschritt das Lager durchlief, sondern einmal ruhig stehen geblieben war. Es
genügte für die Bestrafung die Angabe der Partisanen. Um deren Wahrheit
bekümmerte sich niemand, Verteidigung gab es nicht. Die Strafen wurden jeden Abend
beim Appell vollzogen. Der zu Bestrafende mußte ein Bierfaß herbeiholen und sich
darüber legen. Dann schlugen zwei Partisanen mit dem Ochsenziemer auf ihn ein. Sollte
eine Frau bestraft werden, wurde ihr Kopf zwischen die Beine eines Partisanen genommen, ihr
Mund zugehalten und dann hauptsächlich die Nierengegend bearbeitet. Danach
mußten sich die Gefangenen
bedanken. Der 70-jährige Oberlehrer Meiyner aus Prödlitz wurde einmal mit 50
Hieben bestraft, weil er angeblich ein Brot gestohlen hatte. Meiyner aber hatte das Brot vom
Bäcker, der das Lager belieferte, bekommen, konnte dies aber nicht sagen, da sonst der
Bäcker auch in das Lager gekommen wäre. Meiyner sah fürchterlich aus.
Sein
Rücken und Hinterteil waren blutunterlaufen, die Geschlechtsteile riesenhaft
angeschwollen. Wir glaubten, daß Meiyner daran zu Grunde gehen würde. Er
überstand es. Heute lebt er in der amerikanischen Zone.
Anfang Oktober wurde das Lerchenfelder Lager, das von Russen belegt wurde, nach
Schöbritz verlegt. Dieses Lager mußten wir uns erst herrichten. Die erste Zeit, die
kalten Nächte begannen schon, hausten wir im Freien. Für alle, außer Block
1,
begann dann eine schwere Leidenszeit. An
zerlegbaren RAD-Baracken mußten die Zwischenwände entfernt, in 1 Meter
Höhe Baumstämme und darauf die Zwischenwand gelegt werden, und so bis unter
die Decke, sodaß jede
Baracke 3-4-stöckig wurde. Jede dieser Baracken wurde mit zwei Blocks, das sind 500
Mann, belegt. 13 Blocks waren wir insgesamt. Stroh gab es nicht, auf dem bloßen Boden
mußte geschlafen werden, eingeschachtet wie die Heringe. An Säuberung war nicht
zu denken, die Luft zum Schneiden und ein einziger Gestank. Drehte sich einer im Schlafe oder
wollte er auf den Eimer gehen, dann weckte er gleichzeitig seine nächste Umgebung.
Daß diese Menschen dabei untereinander friedlich blieben, war zum Verwundern. Unter
dem Vorwand irgendwelcher Reparaturen kam ich öfters in die anderen Baracken, wenn
ich illegale Pakete in meinem Werkzeugkasten weiterschmuggelte. Wir in Block 1 hatten jeder
unser Bett, wenn
auch zwei- und dreistöckig übereinander. Nicht aus Liebe zu uns genossen wir
diese
Bevorzugung von Seiten der Tschechen, sondern wie schon gesagt, weil sie unsere Arbeit
für ihre eigensten persönlichen Zwecke oft und oft ausnutzten.
Dann kam der 13.
November 1945, ein grauenhafter Tag, grauenhaft für die Beteiligten und für die,
die
tatenlos zuschauen mußten, wie deutsche Menschen, deren ganzes Verbrechen nur darin
bestand, daß sie Deutsche waren, zu Tode gequält wurden. Am Vortage waren zwei
Kameraden von einem Kommando entwichen. Am 13. durfte nun Block 8, dem die beiden
angehört hatten, nicht zur Arbeit gehen. Um ½8 Uhr hieß es: "Block 8 zum
Frühsport antreten". Block 8 versammelte sich. Ich hörte durch das Fenster, wie
Vrsa
ironisch zu ihnen sagte, das deutsche Volk turne ja so gerne, also sei dies ja eigentlich keine
Strafe für sie. Daraufhin wurde zum Appellplatz marschiert, von dem erst vor einigen
Tagen der Rasen entfernt worden war; der Lehmboden war also noch glitschig. Das "Turnen"
begann: Auf, nieder, Kniebeuge, Liegestütz, so ununterbrochen bis 11 Uhr.
Unterernährte und zum Teil schon ältere, gebrechliche Menschen waren es, die hier
turnen mußten. Wer nicht mehr konnte, bekam Schläge. Von einem alten Zaun
wurden Latten losgerissen und damit unbarmherzig auf die Menschen losgeschlagen. Neben mir
standen noch Hoffmann von Nestomitz und Kreisamtsleiter der NSV Stroppe am Fenster. Wir
mußten uns abwenden und gingen in unsere Werkstatt. Turnprofessor Langhammer von
Prödlitz hat diese Traktierung mitgemacht. Nach diesen qualvollen Stunden hieß es,
daß Block 8 nachmittags, völlig gereinigt, wieder anzutreten habe. Dies bedeutete,
daß das Drillichzeug ausgewaschen und da es bis zum Nachmittag unmöglich
trocken sein konnte, naß wieder angezogen werden mußte. Durch den Lagerarzt Dr.
Tauber erfuhr ich, daß dieser Tag 9 Todesopfer und gegen 20 Verletzte, die ins Revier
gebracht worden waren, gekostet hatte.
Die Verpflegung hatte mengenmäßig
zugenommen. Sie bestand hauptsächlich aus Kartoffelwalzmehl, wovon die ehemaligen
Wehrmachtsmagazine voll waren. Hungern mußten wir weiter. Den Kameraden, die viel
für die Tschechen persönlich arbeiteten oder die bei Schicht oder in der
Glashütte verpflegt wurden, erging es besser. Die Wasserversorgung des Lagers war
katastrophal. Aus alten Brunnen der Umgebung wurde es mit Wasserfässern
herbeigeschafft. Von Ende Oktober bis Dezember wütete im Lager Hungertyphus. Eines
Tages sah ich eine Autokolonne des Roten Kreuzes mit ausländischen Wagenzeichen
vorfahren. Dr. Tauber, der gerade den Lagerplatz überquerte, wurde angesprochen. Die
Unterhaltung hatte ungefähr 15 Minuten gedauert, als Vrsa hinzukam. Nachdem die
Kommission eine Baracke besichtigt hatte, verließ sie das Lager wieder.
Am Heiligen Abend gab es einen großen Appell, das ganze Lager mußte vor einem
mit elektrischen Lichtern geschmückten Weihnachtsbaum antreten und auf Befehl "Stille
Nacht, heilige Nacht" singen. Als sich plötzlich die Verpflegung besserte, wußten
wir, daß ein anderer Wind wehte. Die Kranken bekamen Haferschleim mit Zucker, Vrsa
erklärte in der Küche, diese Anordnungen seien streng einzuhalten, damit wir nicht
wieder Grund zur Beschwerde hätten.
Am 13. Januar 1946 wiederholte sich der 13. November. Die Zahl der Todesopfer sind mir nicht
bekannt. Ich sah nur, wie Tote auf Bahren gleich ins Leichenhaus gebracht wurden und viele
Verletzte ins Revier kamen. Eines Tages sah ich von der Küche aus mit Heilpraktiker
Riedel, Konditor Wenndt-Aussig,
Polizist Hacker-Türmitz, Schlattner-Königswald zu, wie ein
ungefähr 18-jähriges Mädchen von der Brust bis zu den Knien herunter an
einen Birnbaum festgebunden und dann von vorbeigehenden Partisanen ins Gesicht geschlagen
wurde. Da kam ein Auto gefahren, dem ein mir unbekannter Herr entstieg. Wohl auf seinen
Einspruch hin wurde das Mädchen kurze Zeit darauf losgebunden. Es mußte mit
einer Tragbahre ins Revier gebracht werden.
Wir erfuhren später, daß Schlagen und Mißhandeln im Lager verboten sei.
Offiziell hatte dies auch den Anschein, aber inoffiziell ging es weiter, nur wurden jetzt alle
einzeln
in Kellern von Häusern gebracht, sodaß man nichts mehr vom Mißhandeln
sehen und hören konnte. Nun möchte ich noch vom Ende Dr. Taubers berichten.
Meines Erachtens war seine Unterhaltung mit der ausländischen Kommission die Ursache
für seinen Tod. Wenn auch Dr. Tauber nach außen hin gegen manchen
Lagerkameraden streng sein mußte, so wagte er doch viel und versuchte, das allgemeine
Los zu verbessern. Ich persönlich war öfters anwesend, wenn er sich mit Vrsa
auseinandersetzte. Eines Abends erscholl von Block 13 her der Ruf: "Dr. Tauber!" Block 13
stand
nicht weit vom Stacheldrahtzaun. Dr. Tauber hatte das Recht, nachts mit der Laterne in der Hand
die Blocks, von denen er gerufen wurde, aufzusuchen. Am nächsten Morgen war Dr.
Tauber tot, niemand bekam ihn zu sehen. In der Nacht waren 2 Häftlinge entflohen. Es
hieß nun, Dr. Tauber wollte in der Nacht türmen und dabei sei er von den
wachhabenden Partisanen niedergeschlagen worden. "So ergeht es jedem, der über den
Stacheldraht heim ins Reich will!" verkündete Vrsa. Unter uns hieß es, Dr. Tauber
mußte sterben, weil er sämtliche Totenscheine auf Herzschwäche,
Altersschwäche, Entkräftung ausstellen mußte. Als ich einmal einige Tage
krank lag, hatte Dr. Tauber mir gegenüber geäußert: "Wenn das gut ausgeht
und ich hier lebendig herauskomme, dann habe ich Glück gehabt. Aber das glaube ich
nicht, ich weiß zuviel."
Ende Jänner kamen wir dann wieder nach Lerchenfeld. Die Volksgerichtshofprozesse
begannen. Wegen Kleinigkeiten, die oft ganz privater Natur waren und die jetzt hervorgezerrt
wurden, z. B. wenn ein Tscheche mit einem Deutschen eine Auseinandersetzung hatte und sie
sich gegenseitig beleidigten,
wurden 2-3 Jahre Haft verhängt. Wegen einer angeblichen Ohrfeige wurde Hergesell Josef
von Prödlitz zu zwei Jahren verurteilt. Dieser hält sich jetzt in Deutschland auf.
Wo,
ist mir unbekannt. Schubert, der in den Kupferwerken in Pömmerle arbeitete, wurde zu 10
Jahren verurteilt, weil er Sabotage eines Tschechen verhindert hatte. Ich selbst blieb vom
Volksgerichtshof verschont, mein persönlicher Gegner Douda war inzwischen gestorben,
nachdem man ihn sämtlicher Ämter enthoben und selbst 8 Tage eingesperrt hatte
und weil der tschechische Polizeiinspektor Klimesch von Prödlitz seine Anzeige, ich
hätte ihm 1938 sein Speisezimmer, 50 kg Schrauben und 20 m Holz gestohlen, nicht
aufrecht erhalten konnte. Am 16. September 1946 wurde ich mit dem Vermerk, daß ich
meinen Heimatort nicht mehr betreten dürfe, nach Thüringen abgeschoben.
Ich habe in diesem Bericht nach bestem Wissen und Gewissen die Wahrheit gesagt.
Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen
Überlebende kommen zu Wort
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