SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor

[174]
Befreiung! (11. bis 15. März 1938)

Der verblendete Widerstand des Repräsentanten eines untergehenden Systems wurde, wie wir jetzt wissen, erst gebrochen, als Dr. Seyß-Inquart ihm entgegenhielt, er würde im Beharrungsfalle als der Mann in die Geschichte eingehen, der einen zweiten Weltkrieg und den österreichischen Bürgerkrieg entfacht habe.

Das also war die äußerste Folgerung aus dem auf Kosten der deutschen Einheit unterhaltenen, die Natur eines echt politischen Gemeinwesens verleugnenden Staates wider Willen! Zwanzig Jahre, nachdem das Weltkriegsende der Habsburgischen Vielvölkermonarchie ein Ziel gesetzt, ein erschöpftes und irregeführtes Volk gleichzeitig das "deutsche Kriegsreich" preisgegeben hatte, schloß sich der Ring der Ereignisse zur Erfüllung. Die in Versailles und St. Germain erzwungene, europäische Neuordnung hat nicht allein Millionen Deutscher des geschlossenen Volksgebietes durch Überantwortung unter eine fremde Herrschaft um ihr Selbstbestimmungsrecht gebracht und das Deutsche Reich selbst aufs schwerste mit lebensbedrohenden Verpflichtungen belastet. Darüber hinaus wurde die Fesselung Deutschlands an zwei Stellen, im nordwestlichen und im südöstlichen Mitteleuropa, durch völkerrechtliche Abnormitäten, wie sie die Geschichte bis dahin nicht kannte, verankert: Durch die dem Rheinlande einseitig aufgenötigte Trennung der politischen und der Wehrgrenze blieben dauernd 14 bis 15 Millionen Deutscher minderen Schutzes und daher minderen Rechtes im eigenen deutschen Vaterland! Jeder Versuch einer Änderung dieses Zustandes von seiten Deutschlands sollte als Angriff auf den "Weltfrieden" (Artikel 44) gelten, indessen der aus der Unnatur dieser Verhältnisse entspringende Separatismus nur an seiner eigenen Verwerflichkeit zugrunde ging. Die andere Verfügung betraf die 6 bis 7 Millionen Deutschösterreicher, die getrennt von ihren der Fremdherrschaft ausgelieferten, sudetendeutschen Brüdern vor den Toren des Reiches wider ihren feierlich erklärten Willen ein Staatsvolk bilden mußten - hier [175] wurde alle zukünftige Entwicklung in einem Paragraphen vorweggenommen, der, scheinbar revisionistisch, in Wirklichkeit nicht weniger als jener über das Rheinland den Weltfrieden belastete. Die daraus hervorgehende Unnatur geißelte das gelegentlich gefallene Wort eines deutschösterreichischen Politikers der älteren Generation treffend: "Unser kleiner Staat, den man das eine Mal als das 'Herz', dann wieder als die 'Drehscheibe' von Europa, manchmal auch weniger freundlich bezeichnet hat, wurde wieder einmal mit einem neuen Epitheton als das 'Nervenzentrum' von Europa bezeichnet... Wir sind offenkundig das Zentrum der Nerven anderer!" (Ernst Streeruwitz, Die Friedenssicherung, Wien 1935.) Was galt den Erfindern solcher zweifelhafter Sendungsschlagworte das um den Sinn seiner Gegenwart betrogene deutschösterreichische Land und Volk selbst? Wenn es in der Zeit nach dem Julivertrag vorgekommen sein soll, daß bei sportlichen Veranstaltungen mit reichsdeutschen Gästen die eigene Mannschaft im Beifall der Zuschauer demonstrativ hinantgesetzt wurde, so hatten die damaligen Machthaber oder die gewissen ausländischen Freunde Österreichs sicher am wenigsten das Recht, über die Unnatur solcher Vorkommnisse auf dem Kampffeld der Jugend zu klagen, weil dies nur ein bezeichnender Ausdruck mehr des Widersinns aller öffentlichen Verhältnisse war! Oder wie kläglich die immer wieder mißbrauchte Versicherung, der Reichsdeutsche selbst bewundere den Genius der Ostmark von Walter von der Vogelweide bis zu Grillparzer und Raimund, Schubert und Strauß, während der Österreicher gar nicht wisse, daß er Grund und Ursach' habe, sein Vaterland zu lieben! - eine gleisnerische Gleichsetzung der gottbegnadeten, ewig deutschen Heimat Österreich, mit dem Staat wider Willen. Trotz Wien fehlte ihm das politische Schwergewicht, das sich gerade für die echten Volksbewegungen immer wieder in die "Länder" verlagert hat.

Die Seipel-Schober-Formel vom "deutschen Volke in zwei Staaten", die der allgemein europäischen und der innerdeutschen Lage seit 1922/23 entsprach, hatte zunächst die vollkommene kulturelle und ideelle Freizügigkeit im ganzen 75-Millionon-Raum zur Voraussetzung ihrer Dauer, aber auch eine politische Haltung der österreichischen Regierung, die ungeachtet ihrer [176] Neutralität zwischen den rivalisierenden außerdeutschen Mächtegruppen Europas den Interessen des Reiches gleichlief, ihre Erfolgsaussichten verstärkte und die letzten Entscheidungen offenhielt. Erst unter diesen beiden Bedingungen war die "Unabhängigkeit" der Republik Österreich ein erträgliches Provisorium. So hat gleich nach Überwindung der Kronen-Inflation eine vom hohen Beamten bis zur Volksschulklasse alle Berufsschichten umfassende Hilfsaktion für das von Ruhrkrieg und Markzerrüttung gequälte Reichsvolk unter den Augen des Generalkommissars der Genfer Protokollmächte ein ergreifendes Zeugnis deutscher Notgemeinschaft abgegeben! Mit dem Durchbruch des Nationalsozialismus in die unmittelbare, geschichtliche Verantwortung mußte sich jedoch alsbald das Antlitz Europas verändern und mußte der Freiheitskampf Deutschlands auch die beiden machtlosen Vorfelder im Nordwesten und Südosten des Reiches erfassen. Inzwischen hatte der gescheiterte Versuch der Regierungen Ender-Schober und Brüning-Curtius, noch unter Respektierung von Versailles - St. Germain bzw. Locarno - Genf die deutsch-österreichische Zollunion zu errichten seine unerwarteten Fernwirkungen gezeigt. Denn gerade sein Mißlingen führte, unterstützt durch die sozialen Erschütterungen der Weltwirtschaftskrise, binnen zweier kurzer Jahre das Ende der Briand-Periode für Westeuropa, des Weimarer Zwischenreiches für Deutschland und der Seipel-Schober-Periode für Österreich - in Summe also den Ausgang eines ganzen Zeitalters vermittelnder Nachkriegslösungen - herauf. Nach 1933 aber folgte der Wiederherstellung deutscher Wehrhaftigkeit und Bündnisfähigkeit durch den Führer mit blitzartigem Zugreifen im gegebenen Augenblick die volle Befreiung und Sicherung der Rheinlande und sie wieder ermöglichte zwei Versuche, unter Wahrung der außenpolitischen Erfordernisse die Lösung der zweiten, innerdeutschen Grundfrage, der deutschösterreichischen, in Angriff zu nehmen. Die wider besseres Wissen von den Parteigängern der österreichischen "Unabhängigkeit" noch bis heute ausgestreute Behauptung, als ob in den Juli- und dann in den Februar-Abmachungen bloß außenpolitische Verträge vorgelegen seien, verleugnet nicht allein deren Wortlaut, sondern wird auch durch die in ganz Europa hinlänglich be- [177] kannte Eigenart des in St. Germain künstlich geschaffenen Gemeinwesens Lügen gestraft, ja endlich widerlegt durch die Politik dieser Zionswächter selbst, die buchstäblich bis zur letzten Stunde mit der inneren auch die äußere deutsche Verpflichtung Österreichs übergingen und sowohl den Interessen des Reiches als Staat wie dem politischen Bekenntnis aller deutschbewußten Österreicher widerstrebten.

Noch 1932 konnte der Kampf gegen das entartete System, gegen Dollfuß-Starhemberg und auch gegen die Politik von Lausanne unter der Anwendung derselben "legalen" Methoden wie im Reiche vor sich gehen. Mit der durch die Machtergreifung im Reiche als Reaktion ausgelösten Diktatur aber veränderte sich mit einem Male die ganze politische Aufgabe der Bewegung in Deutschösterreich, für deren neue Lösungen nun in einem überaus schmerzlichen, opferreichen und nervenanspannenden Vorgang erst allmählich neue Männer und neue Methoden gefunden wurden. Wenn das System ganz offen bekundete, daß es seine internationale und innenpolitische Stellung dem Gegensatz zum Reich verdanke, so schöpfte der Nationalsozialismus hingegen immer neue Siegeszuversicht aus dem stolzen Aufstieg des Dritten Reiches, der immer wieder die Berechnungen seiner Unterdrücker verwirrte. Doch wenn der Führer zweimal vor Europa feierlich versichern konnte, daß dies politische und weltanschauliche Bekenntnis nur der deutschen Natur Österreichs folge und nicht einer auswärtigen Propaganda bedürfe, so erkennen wir rückschauend sogar die der österreichischen "Illegale" durch die übergeordnete Rücksicht auf das Reich auferlegten Hemmungen. Als die Erhebung des Juli 1934 im Zentrum gescheitert war, mußte sie auch dort abgeblasen werden, wo sie erfolgreich blieb, da ein Eingreifen des Reiches vor der Rückgliederung der Saar und der offenen Aufrüstung ausgeschlossen werden mußte. Aber auch die ganze Nach-Juli-Politik des österreichischen Nationalsozialismus ist schwere dreieinhalb Jahre lang bis genau 24 Stunden vor dem Endsieg durch die Sorge um möglichste Distanzierung von der Reichspolitik mitbestimmt worden. Es gehörte zu denselben Nervenproben (die doch von den allermeisten durchgestanden wurden), wenn die "Illegalen" sich einmal als "Verräter" an [178] der Heimat, die weiß Gott ihnen wie irgendeinem teuer blieb, vor der Welt beschimpfen lassen mußten, und das andere Mal zu hören bekamen, die Reichspolitik wolle gar nichts von den "Unentwegten" wissen und setze die "Unabhängigkeit" Österreich als feste Größe ein, ohne daß in beiden Fällen eine gebührende Gegenerklärung möglich gewesen wäre. In Wahrheit wurden Reich und Führer im Vertrauen auf das entschlossene Durchhalten der Deutschösterreicher nie enttäuscht, bis sie die Hände zur Lösung des ganzen Problems endlich frei bekamen. An die geschichtliche Leistung sowohl der im Rampenlicht der europäischen Öffentlichkeit stehenden Männer, der Glaise-Horstenau und Seyß-Inquart, und der volkspolitischen Referenten sowie der "illegalen" Führer, der Leopold und Reinthaller, der Klausner und Jury, der Kaltenbrunner, Lukesch und Rainer in der zentralen Leitung, der Gauleiter und der SA.-Führer in den Ländern ist daher ein Maßstab ganz eigenartiger Größe in einem einmalige Kampfe anzulegen.

Wie nach dem 11. Juli die Sorge von Glaise-Horstenau, so ist es nach dem 12. Februar die von Seyß-Inquart gewesen, auf einer sofort unternommenen Berliner Reise die inneren und äußeren Bedingungen des Kampfes in Österreich aufeinander abzustimmen, wobei stets die Österreicher der treibende, die Männer im Reiche der regulierende Faktor waren. Durch die geplante Überrumpelung mit der "Volksbefragung" in demselben Augenblick, da das System in den meisten Bundesländern schon sturmreif wurde, erreichte diese in Not und Verantwortungsbewußtsein erlernte Kunst der gelenkten Volksbewegung ihre dramatischen Höhepunkte. Minister Seyß mußte von dem Abend des 8. März angefangen, wo er zuerst durch den Kanzler selbst unvollständig und dann durch eine aus dem V. F.-Haus herausgeschmuggelte Information Dr. Jurys ganz über den bevorstehenden Betrug ins Bild gesetzt wurde, alles an Zeitgewinn setzen, um dem Führer eine Stellungnahme zu der neuen Lage zu ermöglichen. In nächtlichen Gesprächen, in denen beide Gegner ihr Letztes herausholten, drängte der Minister den Bundeskanzler nach seiner Rückkehr aus Innsbruck zu Zugeständnis um Zugeständnis, die auf jeden Fall die Rolle des Nationalsozialismus in dem anhebenden Spiel auf Leben und [179] Tod sichergestellt hätten. Erst in der Mitternacht zum 11. März kam der nach Berlin entsandte Bote (Odilo Globotschnigg vom Stabe des neuen Landesleiters Major Klausner) mit der Meldung zurück, daß die so heiß ersehnte Stunde des freien Handelns gekommen sei! Das Eis, das fünf Jahre lang die volle Entfaltung der Bewegung in Österreich überkrustete, schmolz und stürmisch brandete die Flut an die letzten Hindernisse zur Freiheit empor! Ehe der Freitagmorgen graute, konnte Seyß der im Hotel Regina versammelten nationalsozialistischen Führerschaft Deutschösterreichs Weisung zur Marschbereitschaft noch für den kommenden Nachmittag geben. Um 10 Uhr vormittags sagten er und der aus dem Reiche im Flugzeug zurückgekehrte Glaise dem Bundeskanzler den Bruch des Berchtesgadener Abkommens auf den Kopf zu und erweiterten ihre Forderungen auf Verschiebung der Wahl um vier Wochen mit voller Propagandafreiheit. Schuschniggs neues, stundenlanges Zögern und die darauf mit Miklas unmittelbar eintretenden Schwierigkeiten haben dann den Absturz der Lawine und den Durchbruch der Flutwelle herbeigeführt. In allen Gauen der Ostmark zogen zu vielen Zehntausenden die eigentlich noch immer "illegalen" Kolonnen der SA. und der HJ. in die Zentren der politischen Macht des Landes - fast alles noch im Weißhemd, in den kurzen Lederhosen und weißen Stutzen, der "Nazikluft" einer langen Verbotszeit, nur jetzt schon mit Hakenkreuzbinden am Arm und mit der endlich entrollten Fahne der Freiheit an der Spitze! Wie viele tausend Jahre Kerker hatten die papierenen Urteile des Systems über diese deutschen Männer und Jünglinge verhängt, wie viel Leid und Haß war in dieses Land gesät worden, wie um des so oft angerufenen Namens Christi zu spotten, und nun an der Schwelle der Macht kannten und wollten sie nur Eines: vollgültig in einer Reihe zu stehen mit denen, die bisher das Dritte Reich aufgebaut hatten und so der übel belehrten Welt die Beschaffenheit des deutschen Stammes zu zeigen, aus dem einst der Führer selbst hervorgegangen!

Das ganze, nationalsozialistische Wien strömte auf die Straßen, um, soweit es nicht unmittelbar an der Machtergreifung beteiligt war, Zeuge der Zeitenwende zu sein. In [180] ganz Österreich zerfiel das Truggebilde der millionenstarken V. F. wie schillernder Seifenschaum. Während ihr Generalsekretär und Minister Zernatto über die Grenze bei Preßburg das Weite suchte, besetzten die Braunen, deren Unterwerfung oder Vernichtung letzten Endes dieses hohle Mammutgebilde gegolten hatte, widerstandslos alle Gebäude, angefangen von der Zentrale am Hof und dem Rohbau des geplanten Fronthauses am Ballhausplatz. Aber auch die bewaffnete und beamtete Vollzugsgewalt fand sich, wie man es ihr angewöhnt hatte, mit den vollzogenen Tatsachen ab und in allen Ländern und Gemeinden ging mit einer fast unbegreiflichen Disziplin der Übergang zum neuen Staat vor sich. Um Mitternacht hatte auch der Bundespräsident, der noch immer nach längst überholten Zwischenlösungen suchte, nachgegeben, und Seyß zum Bundeskanzler ernannt. Da dieser damit zugleich Frontführer der V. F. geworden wäre, hatte er es in der Hand, mit einem einzigen Federstrich der V. F. auch formal einwandfrei ein Ende zu bereiten und ihr Eigentum der nun offen anerkannten NSDAP. zu überantworten. Unter namenlosem Jubel stieg die erste Hakenkreuzfahne auf dem Balkon des Ballhauspalastes im nächtlichen Lichterschein in die Höhe und die neugebildete nationalsozialistische Regierung zeigte sich den auf dem weiten Rund des Heldenplatzes versammelten unübersehbaren Massen, die im Ablauf von 48 Stunden eine Wendung von der Vernichtungsdrohung bis zum vollständigsten Siege durchlebten.

Das Tor zum Dritten Reiche öffnete sich. Hatte selbst Schuschnigg noch in letzter Stunde an das Bundesheer die Weisung ausgegeben, den allenfalls einrückenden deutschen Truppen keinen Widerstand zu leisten, so richtete der neue Bundeskanzler einen Appell an die Reichsregierung, die durch eigene Kraft errungene neue Ordnung Österreichs in den starken Schutz des Reiches zu nehmen. In den ersten Vormittagsstunden des 12. März brausten die gewaltigen Geschwader der neugeschaffenen Luftwaffe Hermann Görings schon über Wien, breiteten ihren metallenen Flügel über befreites deutsches Land und warfen auf die grüßende Menge ihre Flugzettel mit dem Gruß des Reiches an die erste nationalsozialistische Regierung [181] Österreichs! Wo waren zu dieser Stunde die von einer verblendeten Regierung in den Grenzgebieten da und dort aufgerichteten "Hindernisse" für einen deutschen Vormarsch im Sinne des berüchtigten Mobilmachungsplanes D hingekommen? Sein einziges Hindernis wurde die begeisterte Begrüßung des Volkes! Wer gedachte in dieser großen Stunde aber auch des Rufes, den noch vor dem Anschlußgesetz einst die deutschösterreichische Nationalversammlung um Waffenhilfe an das Reich gerichtet hatte und die mit dem Alpenkorps nur eintraf, um ein paar Tage später dem feindlichen Waffenstillstandsgebot wieder zu weichen. Durch fast zwei Jahrzehnte hieß es dann immer wieder nach einem Schritt vor zwei zurück tun; das war so bei der Berufung auf das nationale Selbstbestimmungsrecht und das war bei dem Versuch wirtschaftlicher Selbsthilfe und das wiederholte sich ärger denn je noch 1933 und 1934. Erst jetzt war wieder dem Siegfried das zerbrochene Schwert neu geschmiedet, mit dem er sich wie dort am Rhein nun auch hier an der Donau - niemandem zu Leide - sein Recht von den Sternen holte!

So verlas denn mittags Goebbels im Auftrage des Führers die Proklamation, daß deutsche Wehrmachtsverbände allenthalben die Grenze überschritten hätten. Ein paar Stunden darauf verbreitete sich die elektrisierende Meldung, der Führer habe bei seiner Geburtsstadt Braunau österreichischen Boden betreten und befinde sich, von unbeschreiblichen Kundgebungen seiner erlösten Landsleute begleitet, auf der Fahrt in seine Jugendstadt Linz. Dort verkündete dann vom Rathaus aus der Bundeskanzler Seyß-Inquart in Anwesenheit des Führers das Erlöschen des schmählichen Anschlußverbotes von St. Germain kraft des nunmehr für immer gesicherten Selbstbestimmungsrechtes der Österreicher. Am gleichen Abend aber sammelten sich hunderttausende Wiener abermals auf der Wiener via triumphalis, der Ringstraße, zu einem beispiellosen Fackelzug der aus fünfjähriger Not in einer Nacht zum Endsieg emporgestiegenen bisherigen "Illegale". Alles schien einem rauschartigen Freudentaumel hingegeben, wenn auch der Fahnenschmuck der Straßen noch sehr unvollkommen war, da gab es oft nur rot-weiß-rote Fahnen des Systems, auf die mit ungelenker Hand ein Hakenkreuz gemalt war; und wieviel [182] jüdischer Besitz, an dem Wien Überfluß hatte, blieb jedem Ausdruck der Freude verschlossen. Doch selbst vor den Ringstraßenhotels, wo die sensationslüsternen Publizisten des Auslands ihr lange mißbrauchtes Quartier hatten, staute sich unübersehbar, bis auf die mit Jugend besetzten Wipfel der Bäume hinauf die Menge. Jeder Mann der deutschen Luftwaffe, der sichtbar wurde, fand sich mit seinen ostmärkischen Kameraden in ein scheinbar lebensgefährliches Gedränge verwickelt, das sich wie alles an diesem 12. März, doch wieder in Harmonie auflöste. Es war doch ein Rhythmus, der diese Hunderttausende bewegte und immer mächtiger in den unaufhörlich emporbrandenden Sprechchören durchschlug; es war der elementare Aufschrei des Jubels und des Sieges, der Wiens wahre Seele mit dem letzten Alpendorf vereinigte: Ein Volk - Ein Reich - Ein Führer!

Der Führer, seine Mitarbeiter, Bundeskanzler Dr. Seyß-
Inquart (Mitte) und Vizekanzler Dr. Glaise-Horstenau (ganz rechts) in Linz.
13. 3. 1938.
[Frontispiz]      Der Führer, seine Mitarbeiter, Bundeskanzler Dr. Seyß-Inquart (Mitte)
und Vizekanzler Dr. Glaise-Horstenau (ganz rechts) in Linz. 13. 3. 1938.

Der 13. März 1933 hätte in ruhigeren Zeiten zum Gedächtnis der Volkserhebung gegen die Metternichsche Reaktion und für ein erneutes Deutschland-Österreich aufgerufen. Nun verkündeten selbst Inschriften der V. F. auf dem Asphalt der Straßen, die in den letzten 24 Stunden noch nicht beseitigt werden konnten, daß am 13. März für Österreich die Entscheidung fallen müsse. Wirklich setzte dieser Tag den Schlußstrich unter die großdeutschen Hoffnungen und Enttäuschungen von Generationen, löschte den Verrat der letzten fünf Jahre aus und zog die stolze Summe des völkischen Kampfes der Ostmarkdeutschen mit ihrer Heimholung ins Dritte Reich durch den aus ihrer Mitte einst hervorgegangenen Führer. Über das schon in der Nacht vom 11. zum 12. März und noch vor dem Einmarsch der Wehrmacht des Reiches erreichte Zwischenziel der "Gleichschaltung" Österreichs, einer Art Danzigisierung ohne Veränderung des internationalen Status, drängte die so lange widernatürlich zurückgestaute Entwicklung mit elementarer und doch gelenkter Wucht zur letzten Entscheidung. Sobald der Nationalsozialismus nicht völlig rechtswidrig überhaupt von der politischen Willensbildung ausgeschlossen blieb, konnte er wie früher im Rahmen des Weimarer Zwischenreiches und, von anderen Beispielen abgesehen, kurz darauf in der Tschecho-Slowakei, so auch jetzt hier innerhalb der als Kampfinstrument [183] wider ihn ersonnenen Dollfußschen Mai-Verfassung sein Ziel "legal" erreichen. Das Gesetz des Staates wider Willen erfüllt sich durch seine Selbstaufhebung. Das Zeitalter der österreichischen Widersprüche endet damit, daß die durch Verfassungsbruch einst "illegal" Gewordenen, nun doch nach dem Buchstaben dieser neuen Legalität zur Macht gelangen, juristisch aus ihr nur die äußerste Folgerung ziehen und so durch die Formenstrenge ihrer revolutionären Machtergreifung auch die Gegnerschaft des Auslandes mattsetzen.

Auch darin kann sich geschichtliche Größe bewähren. In diesem Sinne begann die Revolution mit der rechtlich unanfechtbaren Begründung der Stimmenthaltung bei der Schuschniggschen "Volksbefragung", setzte sich in der Auswechslung des totalitären Anspruches der V. F. durch den der NSDAP. mit einem Willensakt des neuen Bundeskanzlers fort und erreichte ihren Höhepunkt in der mit dem Rücktritt des Bundespräsidenten Miklas am Nachmittag des 13. März gesetzmäßig erfolgten Vereinigung der gesamten Staatsgewalt in der Person dieses nationalsozialistischen Bundeskanzlers, der nun im Verein mit seinem Kabinett das letzte Bundesgesetz zeichnete. Es stimmte genau mit einem gleichzeitig aus Linz erlassenen Reichsgesetz überein und verkündete die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich - der durch die Nationalversammlung vom 12. November 1918 einseitig gesetzte und von der Geschichte übergangene Rechtsanspruch auf Selbstbestimmung des deutschösterreichischen Volkes ist nun unmittelbar auch Reichsrecht geworden, und sein politischer Vollzug ließ keine Stunde warten. Schlagartig ging die Übernahme der Bundesbehörden durch die entsprechenden Reichsämter vor sich, angefangen von der Polizei, wo sofort die ostmärkische zum Aufbau eingesetzt werden konnte, bis zur Unterstellung des österreichischen diplomatischen Apparates an das Deutsche Auswärtige Amt durch den letzten Außenminister Dr. Wilhelm Wolf und die Umgestaltung des Bundeskanzleramtes zur Reichsstatthalterei. Als Adolf Hitler nach einer unbeschreiblichen Fahrt auf den Straßen des vom jäh erwachten Frühling übersonnten Donaulandes am Montag, dem 14. März, in Wien zum erstenmal als Führer und Reichskanzler zur größten Vollzugsmeldung [184] seines Lebens eintraf, da war mit dem Bundesstaat Österreich die letzte Phase reichsfremder Staatlichkeit des Ostmarkdeutschtums schon versunken und das Land Österreich im Dritten Reiche geschaffen. In weniger als einem Monat sollte dieser ins wunderbare reichenden Tat mit dem Volksentscheid vom 10. April das Siegel einer Legalität aufgedrückt werden, wie es allen vorausgegangenen Wirren und Irrungen zum Trotz schöner und fester kein Volk der Welt besitzt, zumal in ihm auch das Herzblut seiner besten Söhne enthalten ist.

Überwältigt von der Größe des geschichtlichen Moments hat der erste Reichsstatthalter von Österreich am 15. März die Geister aller dahingeschiedenen deutschen Generationen zum Zeugen dieses Werkes für alle kommenden Deutschen aufgerufen, als er den Führer auf dem wie im hohen Sommer strahlenden Heldenplatz ganz nahe dem Zufluchtsort der alten Reichskleinodien begrüßte. Es war ein makelloser Sieg ohne Rechtsbruch, ohne blutige Gewalt oder Vergeltung nach soviel Opfern der Vergewaltigung. Es war ein elementarer Sieg des Blutes über lebensfremde Doktrinen, über veraltete Lebensordnungen, ja sogar über die schleichende Gefahr der Volksüberfremdung und des langsamen Absterbens eines wertvollen Volksstammes. Es war ein überlegener Sieg des Geistes über die Verfälschung einer großen Geschichte und über die Verengerung des politischen und wirtschaftlichen Horizonts, Sieg des ursprünglichen Erbes über abgeleitete Forderungen und fremdartige Winkelzüge! Von hier und heute begann eine neue Epoche schöpferischer, rassen- und volksbestimmter Weltgeschichte aus dem Scherbenhaufen von Versailles und St. Germain, endlich sichtbar aller Welt, emporzusteigen. Sofort meldete sich die zwanzig Jahre lang in Terror erstickte, aber auch früher ungelöste sudetendeutsche Frage zu Wort; hatten ja an jenem 12. November auch die sudetendeutschen Abgeordneten ihr Votum für den Anschluß mitgegeben. Durch die Tatsache der neuen deutsch-ungarischen, deutsch-jugoslawischen und deutsch-italienischen Grenze gewann das Reich mit einem Male gewichtigsten Anteil an all den "österreichischen" Fragen, an deren zahllosen Reibungsflächen sich neuestens sogar wieder das Flämmchen Hoffnung der habsburgischen Restauration ent- [185] zündet hatte. Doch damit eben ist die dynastische Vergangenheit des einst von Habsburg beherrschten Raumes erst endgültig abgeschlossen. Aber auch die Brüchigkeit der mit den raumfremden Namen Wilson und Clemenceau verbundenen Nachkriegslösungen, ja weit darüber hinaus der ganzen reichsfremden Ostraumpolitik des "ewigen Frankreich" ist nun bloßgelegt. Selbst in weltanschauliche Tiefen hinabreichende Lebensformen sind in diesem letzten Kampf um Österreich einer Feuerprobe unterlegen, die das Edle des Metalls unerbittlich von den Schlacken schied, bis dem von der Vorsehung berufenen genialen Meister der Guß gelang. Das Dritte Reich wurde schon sieben Monate nach der Wiedervereinigung Österreichs mit der Heimholung des Sudetengaus volklich fast vollendet; der Anerkennung des ewigen Volksrechtes war noch über den geschlossenen deutschen Raum hinaus Bahn gebrochen.

Die erstmalig von den Gästen aus Österreich am Breslauer Sängerfest 1937 ausgegebene, siegverkündende Losung: Ein Volk - ein Reich kennt nicht mehr den Gegensatz der alten groß- und kleindeutschen Forderung. Die Neuordnung des Nahen Ostens ist, seit der "Österreicher" selbst zum "Reichsdeutschen" wurde, der geeinten Nation anheimgegeben.


Seite zurückInhaltsübersichtnächste Seite

Der Staat wider Willen
Österreich 1918-1938
Dr. Reinhold Lorenz