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Volkstum und völkische Leistung
im Weichselland (Teil 2)
Erich Keyser
Nördlich der Warthe und Netze und östlich der Oder bis zur
Weichsel breiteten sich die Pomoranen aus. Die Wasserscheide zwischen den
Nebenflüssen der Weichsel und der Leba gliederte sie in die
Westpomoranen und die Ostpomoranen. Beide Gruppen waren
stammesmäßig und staatlich von den Polen geschieden, die mehrfach
vergeblich ihre Unterwerfung erstrebten. An den Mündungen der Oder und
Weichsel entstanden frühzeitig unabhängige politische Gewalten.
Das Fürstentum Danzig wird bereits für 997 bezeugt.
Ebensowenig wie in dieser Zeit eine politische Verbindung zwischen den Polen
und den Pomoranen bestanden hat, ist ihre Sprache anfangs die gleiche gewesen.
Es ist zwar schwer, das ursprüngliche Verhältnis der pomoranischen
zur polnischen Sprache heute noch einwandfrei festzustellen, da pomoranische
Sprachdenkmäler außer einigen urkundlich erwähnten
Orts- und Personennamen erst seit dem sechzehnten Jahrhundert erhalten sind.
Trotzdem ist sich die moderne Sprachwissenschaft darin einig, daß in
frühester Zeit das Polnische, das Pomoranische und das Podlabische als
selbständige Sprachgruppen innerhalb der westslawischen Sprachen zu
betrachten sind. Einige lautliche Erscheinungen erweisen dabei, daß das
Pomoranische mit dem Podlabischen enger verwandt gewesen ist als mit dem
Polnischen. Zu Beginn des zwölften Jahrhunderts wiesen die polnische und
die pomoranische Sprache noch starke Unterschiede auf. Denn Bischof Otto von
Bamberg, der polnisch sprach, konnte sich mit den Pomoranen nur durch einen
Dolmetscher verständigen. Später hat die polnische Sprache die
pomoranischen Mundarten sehr stark beeinflußt, da sie seit dm
zwölften Jahrhundert als Kirchensprache und seit dem fünfzehnten
Jahrhundert auch als Amtssprache in Pommerellen große Verbreitung
gefunden hat. Trotzdem haben bis in die neueste Zeit gerade die nördlichen
Mundarten - und das ist für die anfängliche Scheidung der beiden
Sprachen
bezeichnend - solche Eigentümlichkeiten sich erhalten, die das
Pomoranische von dem Polnischen absondern. Die Reste der Pomoranen, die
heute zu mehr als 100.000 Personen im nördlichen Teil von Pommerellen
ansässig sind, werden, besonders seitdem die Mehrzahl der Pomoranen
ausgestorben oder durch Eindeutschung zu Pommern geworden ist, seit einigen
Jahrhunderten als Kaschuben bezeichnet. Die völkische Sonderstellung der
ursprünglich dem wendischen Volke angehörenden Kaschuben
gegenüber den Polen wird dadurch mit Recht verdeutlicht.
Während die Prußen östlich und die Pomoranen westlich der
Weichsel sich niederließen und damit den Strom zur Völkerscheide
machten, wurde die Einheit des Raumes durch die Wikinger gewahrt. Sie haben
um die Wende des Jahrtausends von Norden her über See das
Weichselland mit den germanischen Volksgebieten in Verbindung gehalten. Zwar
haben sie sich nur als eine dünne Schicht über der fremden
Bevölkerung ausgebreitet; aber sie dürften an der Weichsel wie an
der Oder und in dem nach ihnen benannten Land der Russen die wirtschaftliche
und kulturelle Führung und die politische Herrschaft ausgeübt
haben. In Elbing unterhielten sie einen weit bekannten Markt; in Ohra bei Danzig
hatten sie einen Anlegeplatz für ihre schnellen Boote, mit denen sie vom
Rande der Danziger Höhe über das damals bis dahin reichende
Frische Haff nach der Pregelmündung und dem Samland fuhren, aber auch
die Weichsel aufwärts das Innere des Landes bereisten. Sie vermittelten die
Waren und Münzen des Orientes gegen die Schätze des Nordens;
ihre Verbindungen reichten, wie einst die der Goten, von der Ostsee bis zum
Schwarzen Meer und zum Mittelmeer. An der Küste der Danziger Bucht,
zu [30] beiden Seiten der Weichsel
und mehrfach in Pommerellen ist ihre
frühere Anwesenheit durch Bodenfunde bezeugt.
Die Wikinger waren die Wegbereiter der Deutschen. Schon im zehnten
Jahrhundert dehnten die deutschen Kaufleute ihre Handelsbeziehungen von der
unteren Elbe bis zur Weichsel aus. Den gleichen Weg beschritten deutsche
Missionare. Der Bischof Adalbert von Prag, der im Jahre 997 als erster das
Christentum im Danziger Lande verkündete und bald darauf bei seiner
Predigt im Samland von den Prußen erschlagen worden ist, war in der
Domschule zu Magdeburg erzogen und ein Vertrauter des deutschen Kaisers Otto
III. Seinen Spuren folgte der Graf Bruno von Querfurt, der anscheinend im
südlichen Masuren seinen Opfertod fand. Der Waffenstreit zwischen dem
Deutschen Reich und dem damals erst neu erstehenden polnischen Staate um die
Herrschaft an der Warthe, Oder und Havel hemmte zwar zunächst die
Auswanderung der Deutschen nach dem Osten. Die Herzöge von Polen
suchten, die Odermündung gewaltsam in ihre Hand zu bringen; sie hatten
aber nur vorübergehenden Erfolg. Denn ihre Angriffe wurden von den
Pomoranen an der unteren Warthe und an der Netze abgewehrt. Auch
gegenüber den Pomoranen an der Weichsel und den Prußen konnten
sie nichts ausrichten. Erst als die römische Kurie die christlich gewordenen
Gebiete von Pommerellen mit dem Bistum Wloclawek und dem Erzbistum
Gnesen verbunden hatte, gelang es der polnischen Geistlichkeit, die
pomoranische Bevölkerung zeitweise zu beeinflussen. Staat und Kirche
suchten somit, dem Polentum den Zugang zur Ostsee zu erzwingen; er wurde
nicht durch die friedliche, aufbauende [31] Arbeit bäuerlicher Siedler
gewonnen. Diese im zwölften und dreizehnten Jahrhundert fortgesetzten
Bemühungen scheiterten jedoch völlig, als die deutsche
Auswanderung nach dem Nordosten in größerer Zahl einsetzte. Es
geschah seit dem Ende des zwölften Jahrhunderts.
Die Wiederbesiedlung
des deutschen Ostens im Mittelalter
[Vergrößern]
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Der deutsche Bauer, dem das Mutterland zu eng geworden war, erstrebte neuen
Acker, der deutsche Bürger Gelegenheit zu gewerblicher oder
kaufmännischer Tätigkeit. Das Weichselland wurde von zwei Seiten
aus der deutschen Besiedlung erschlossen. Über See und an der
Küste von Pommern entlang kamen die Niederdeutschen, von der mittleren
Oder und Warthe die Mitteldeutschen. Beide Gruppen von Einwanderern
entstammten zum größten Teil den benachbarten, bereits von
Deutschen besiedelten Ländern; doch wurden sie auch durch unmittelbaren
Zuzug aus Altdeutschland westlich der Elbe verstärkt. So trat das
Weichselland in enge, blutsmäßige Verbindung mit den
niederdeutschen Gebieten von Pommern, Mecklenburg, Brandenburg, Holstein,
Marktplatz mit Rathaus in Kulm.
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Hannover, Westfalen und dem Rheinland und mit den mitteldeutschen Bezirken
von Schlesien, der Mark Meißen und Thüringen. Während in
den Seestädten und an der Küste des Frischen Haffs der Anteil der
Niederdeutschen überwog, erhielten das Kulmerland und das Ermland
vorwiegend mitteldeutsches Gepräge. Diese Unterschiede haben sich im
Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr ausgeglichen, so daß schon im
vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert eine gemeindeutsche Mundart
sich entwickelte, die als Schriftsprache von der Kanzlei des Deutschen Ordens
übernommen wurde. Diese verschiedene stammesmäßige
Herkunft hat der deutschen Bevölkerung des Weichselraumes seit jeher
eine ungewöhnliche Aufgeschlossenheit verliehen, die noch heute den
Westpreußen an der Weichsel von dem Ostpreußen am Pregel und
von dem Pommern an der Oder deutlich unterscheidet.
Die Landesherren haben die Einwanderung der Deutschen tatkräftig
unterstützt, nicht nur der Deutsche Orden, der seit 1226 um die Errichtung
eines machtvollen Staatswesens auf dem östlichen Ufer der Weichsel
bemüht war, sondern auch die Fürsten von Danzig und
Herzöge von Pommerellen, die im zwölften und dreizehnten
Ruine der Ordensburg Schwetz,
die 1338 bis 1348 vom Deutschen Ritterorden errichtet wurde.
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Jahrhundert das Land westlich der unteren Weichsel beherrschten. Trotzdem
haben sie auf die Zusammensetzung der Bevölkerung im einzelnen keinen
Einfluß ausgeübt sondern diese den örtlichen Lokatoren oder
den Beziehungen überlassen, die zwischen den neuen Ansiedlern und ihren
Sippengenossen und Stammesverwandten in der Heimat ohnehin bestanden. Die
ritterlichen Kreuzfahrer, die dem Orden in seinen Kämpfen gegen die
Prußen zu Hilfe zogen, brachten auf den ausgedehnten Grundherrschaften,
die ihnen der Orden als Dank übergab, Angehörige ihrer
väterlichen Besitzungen unter. So dürften gleich den ersten Rittern,
die dem Orden sich anschlossen, auch die von ihnen angesetzten Bauern im
Kulmerlande und in den Gegenden um Marienwerder und Elbing den Gebieten an
der Elbe um Magdeburg, an der Saale um Halle, um Hannover und Lübeck
Stadt und Burg Mewe an
der Weichsel, seit 1282 beim Deutschen Ritterorden, 1297 mit
Kulmischem Stadtrecht begabt.
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sowie aus Obersachsen und Schlesien entstammt sein. Als nach der
endgültigen Niederwerfung der prußischen Aufstände am
Ende des dreizehnten Jahrhunderts die deutsche Bauernansiedlung
planmäßig durchgeführt wurde, nahm die Zahl der Deutschen
in Kürze erheblich zu. Doch hat der Deutsche Orden auch prußische
Bauern und Grundherren vielfach angesetzt. In der Erkenntnis, daß der
deutschen Kultur die Zukunft gehörte, haben diese nicht nur das deutsche
Recht und deutsche Wirtschaftsweise bald übernommen sondern auch der
deutschen Sprache sich angeglichen und blutmäßige Verbindungen
mit den deutschen Einwanderern erstrebt. Diese wurden ihnen jedoch durch das
völkische Bewußtsein der Deutschen jener Zeit erschwert, so
daß erst viel später im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert die
Reste der prußischen Bevölkerung entweder ausgestorben oder in der
deutschen Volksgruppe aufgegangen sind. Der Orden hat auch [32] den polnischen
Ordensburg von Thorn.
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Besitz im Kulmerland anerkannt; doch hatte dort die deutsche Siedlung bereits
nach einem Jahrhundert eine so starke Ausdehnung erfahren, daß, wie die
Polen im Jahre 1332 selbst zugeben mußten, im Kulmerlande zum
größten Teil deutsch gesprochen wurde.
Dieses rasche Anwachsen der deutschen Bevölkerung, die sich bis zur
Mitte des vierzehnten Jahrhunderts auch in Pommerellen durchgesetzt hatte, ist
nicht, wie gelegentlich von deutsch- [33] feindlicher Seite behauptet wurde, auf die
Ausrottung der einheimischen Bevölkerung durch die Ordensritter
zurückzuführen, sondern dadurch zu erklären, daß
einmal die Prußen und Pomoranen selbst kulturell und sprachlich zu
Deutschen wurden, dann aber auch die deutschen Einwanderer durch die Rodung
der Waldungen und die Trockenlegung der Sümpfe einen gewaltigen
Siedlungsraum sich neu erschlossen und dicht bevölkerten. Es
überstieg daher nicht nur ihre Zahl bald die Anzahl der Fremden, sondern
auch ihre kulturelle Leistung wog so beträchtlich vor, daß die
"Undeutschen" nach kurzer Frist aus dem Erscheinungsbild des Landes
verschwanden. Denn die deutsche Siedlung setzte nicht plötzlich ein und
hörte ruckartig wieder auf, sondern sie dauerte ununterbrochen durch die
Jahrhunderte fort; nur wurde sie je länger je mehr durch Binnenwanderung
im Weichsellande selbst vorwärts getrieben. Von der Weichsel breiteten
sich die deutschen Siedlungszellen und Volksräume in gleicher Weise nach
dem Westen wie nach dem Osten aus, bis dort der Anschluß an den
deutschen Volksboden in Pommern und in der Neumarkt und hier die große
Wildnis an der Grenze von Litauen erreicht wurde, die schließlich seit dem
Ende des fünfzehnten Jahrhunderts aus Mangel an Siedlern nicht mehr
bezwungen werden konnte.
Die Verbreitung des
deutschen Stadtrechts im Osten
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Recht gut ist die Herkunft der deutschen Einwanderung in die Städte des
Weichsellandes zu übersehen. Denn da die Städte Namen, Beruf und
Herkunft ihrer neuen Bürger fortlaufend zu verzeichnen pflegten und diese
Bürgerbücher noch mehrfach erhalten sind, kann der Anteil der
einzelnen deutschen Landschaften an der Zusammensetzung der
städtischen Bevölkerungsgruppen genau errechnet werden. In
Elbing, das über die ältesten bevölkerungsgeschichtlichen
Quellen verfügt, stammten von den Bürgern, die bis 1353
nachweisbar sind, 29 v.H. aus dem Ordenslande, 21 v.H. aus den Gebieten
zwischen der Oder und der Elbe, wobei Pommern, Mecklenburg und Holstein
mehr Einwanderer stellten als Schlesien, Obersachsen und Brandenburg, und 36
v.H. aus dem Mutterlande zwischen Elbe und Rhein, wobei die Westfalen den
Vorrang hatten; die Herkunft der übrigen Bürger ist unbestimmbar.
Da in Elbing wie in allen anderen Städten des Weichsellandes nur
Deutsche das Bürgerrecht erhielten, erweist die Herkunft von Elbinger
Thorn war im Mittelalter
durch Mauern und Türme stark befestigt.
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Bürgern aus Dörfern und Flecken im Ordensstaate, daß auch
diese bereits eine starke, wenn nicht ausschließlich deutsche
Bevölkerung hatten.
Auch in Thorn stammte am Ende des vierzehnten Jahrhunderts die Mehrzahl der
Neubürger mit 43 v.H. aus dem Ordenslande; die übrigen waren
vorwiegend in Schlesien und Obersachsen beheimatet, also mitteldeutscher
Herkunft; Angehörige des polnischen Volkstums waren trotz der nahen
Grenze ohne Bedeutung. Noch weniger war dies in der größten Stadt
des Weichsellandes der Fall, in Danzig. Die Rechtstadt Danzig, der Hauptsitz des
Thorn: Reste der
Verteidigungsanlagen.
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Handels und Gewerbes, hatte um 1380 10.000 und zusammen mit der Altstadt
und der Jungstadt um 1420 etwa 20.000 Einwohner; von ihnen kann
höchstens 1 v.H. einem nichtdeutschen Volkstum zugeschrieben werden.
Es entsprach der Bedeutung Danzigs als Fernhandelsplatz, daß dort die
Einwanderung aus dem Mutterlande verhältnismäßig stark
war; sie machte wie die Einwanderung aus dem Ordenslande und aus dem Gebiet
zwischen Oder und Elbe ein Drittel der gesamten Einwanderung aus. In den
Jahren 1364 bis 1399 kamen aus Westfalen 12 v.H., aus Hannover 8 v.H., vom
Niederrhein und aus den Niederlanden 6 v.H. der Neubürger, weitere 12
v.H. aus Holstein, Mecklenburg und Pommern, so daß allein 38 v.H. der
Bürger, die außerhalb des Weichsellandes gebürtig waren,
niederdeutscher Art gewesen sind. Ihr Einfluß wurde verstärkt durch
die ansässige Danziger Bürgerschaft, die gleichfalls
überwiegend niederdeutsch war und durch die Zuzöglinge aus dem
Ordensstaate, der, wie gesagt, in seinen [34] nördlichen Gebieten von
Niederdeutschen besiedelt war. Der schlesische Einschlag machte in Danzig nur 4
v.H. aus. Von den Einwanderern aus dem Ordensstaate stammte je ein Drittel aus
der Weichselniederung, aus Pommerellen und aus den Ländern
östlich der Weichsel. Der Zuzug aus dem Werder erfolgte aus 51, aus
Pommerellen aus 74 und aus den übrigen Gebieten aus 77 Ortschaften. Die
große Zahl der pommerellischen Dörfer, aus denen Neubürger
in Danzig aufgenommen wurden, bezeugt nicht nur für die nähere
Umgebung der Stadt sondern auch für die südlichen Gebiete der
Tucheler Heide zwischen Schwetz, Tuchel und Schlochau die weitgehende
Eindeutschung des Landes.
Straße in Kulm. Kulm wurde 1233 vom
Deutschen Orden zur Stadt erhoben und war längere Zeit Landeshauptstadt des
Ordenslandes. Die Kulmische Handfeste ist als deutsches Stadtrecht im Osten weit
verbreitet.
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Diese gewaltige Kulturarbeit wurde in ihren Grundfesten erschüttert durch
die Kriege, die der Deutsche Orden nach 1409 viele Jahrzehnte hindurch gegen
Polen führen mußte. Der polnische Staat, der seit 1386 mit dem
litauischen Staate unter der gleichen Herrschaft vereinigt war, erstrebte die
Unterwerfung des Weichsellandes und die Vertreibung des Deutschen Ordens
und der deutschen Bevölkerung. Die Folgen der Kriege waren verheerend.
Zahlreiche Dörfer und Güter, auch manche Städte wurden
eingeäschert, die Äcker lagen wüst, Häuser und
Höfe standen leer. Gerade die deutschen Siedlungen waren von diesen
Zerstörungen am härtesten betroffen worden; denn in ihnen hatten
die feindlichen Horden am meisten rauben, sengen und morden können.
Zwar bemühte sich der Orden sogleich noch am Ende seiner Herrschaft,
die eingerissenen Lücken wieder auszufüllen; aber es fehlten damals
Siedler. Der Zuzug aus Altdeutschland hatte sich gemindert, und die
Binnenwanderung wandte sich vorwiegend den Städten zu, die, wie die
Kriegserfahrungen gelehrt hatten, noch am ehesten Schutz und Arbeitsgelegenheit
boten. Die Folge war, daß die Verluste der deutschen
Bevölkerungsgruppen nicht völlig ergänzt werden konnten
und somit die restliche pomoranische Bevölkerung wieder stärker
hervortrat. Dazu hat die polnische Regierung, nachdem es ihr gelungen war, das
Weichselland und Polen seit 1454 durch Personalunion der Krone zu verbinden
und seit 1569 den größten Teil des Landes dem polnischen Reiche
gewaltsam anzugliedern, auf den umfangreichen Besitzungen, die einst der Orden
erworben und besiedelt hatte und die nun königliches Eigentum geworden
waren, zahlreiche Polen ansässig gemacht. Auch der Landadel, der zum
Teil sogar selbst verpolte, und nach der Reformation die katholische Kirche sind
in gleicher Richtung vorgegangen. Jetzt entstanden zum ersten Mal polnische
Siedlungen im Gebiet von Stuhm und im südlichen Pommerellen. Auch
wurde die polnische Bevölkerung im Kulmerland verstärkt. Der bald
darauf einsetzende Streit zwischen Luthertum und Gegenreformation verband
sich mit den völkischen Gegensätzen. Der Volkstumskampf
entflammte auf breiter Front und mit heftiger Leidenschaft.
Städte im deutschen
Osten um 1600 und ihre
Verkehrsverbindung
mit Binnendeutschland
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Trotz der Unduldsamkeit der polnischen Regierung, der Bischöfe und des
Adels fand jedoch das Deutschtum nicht seinen Untergang. Es erlitt zwar
Einbußen; es behauptete aber seine Geltung in den Städten und in
weiten Bezirken des Landes. Die Städte haben mit geringen Ausnahmen
während der drei Jahrhunderte der polnischen Herrschaft ihr Deutschtum
bewahrt. Die deutsche Gerichtssprache hielt sich in einigen kleinen Städten
des Kulmerlandes bis zur zweiten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts, in
Kulm bis zum Jahre 1600, in Strasburg blieben die Innungen rein deutsch, in
Neidenburg,
Graudenz an der Weichsel.
Graudenz bestand schon zu Beginn des 13. Jahrhunderts als deutsche
Siedlung und erhielt 1291 Stadtrecht.
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Preußisch-Stargard, Dirschau, Graudenz, Konitz, Schöneck, Putzig
und in anderen Orten bestand, wie die Sprache der
Rats- und Gerichtsbücher und die von diesen Städten ausgegangenen
Schreiben bezeugen, die deutsche Verwaltung bis zum Ende der polnischen Zeit.
In der Stadt Konitz waren von 1550 bis 1772 von 2.000 Bürgern
höchstens 25 polnischer Abstammung. Auch die Bürgerschaft von
Dirschau gehörte [35] ausschließlich dem deutschen Volkstum an. So war
es auch in vielen anderen kleinen und mittleren Städten. Die
Großstädte Danzig, Elbing und Thorn gaben erst recht nicht den
hergebrachten Grundsatz auf, daß nur Männer "deutscher Art und
Zunge" das Bürgerrecht und damit die Fähigkeit zum Erwerb von
Grundbesitz und zur unbeschränkten wirtschaftlichen und politischen
Tätigkeit erwerben durften. Von den Neubürgern der Stadt Danzig
stammten in den Jahren 1710 bis 1793 nur 3 v.H. aus nichtdeutschem
Fischereihafen in Hela.
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Volksboden; aber auch diese waren, wie gerade die Einwanderer aus Polen und
Litauen, vorwiegend deutscher Herkunft. Der Anteil slawischen Volkstums an der
Zusammensetzung der Danziger Bevölkerung kann somit auch im
achtzehnten Jahrhundert nur auf 1 v.H. berechnet werden. Aus Altdeutschland
kamen 10 v.H. der Einwanderer, aus dem neuen Siedelland östlich der Elbe
84 v.H. und davon allein aus dem Preußenland 53 v.H. Die reich
besiedelten Dörfer der Weichselniederung gaben die meisten [36] Einwanderer
ab; auch das Kulmerland, Pommerellen und die westlichen Teile von
Ostpreußen waren an dem Zuzug nach Danzig stark beteiligt und erwiesen
Im Fischerdorf Hela.
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damit wiederum die große Bedeutung, die das Deutschtum auch in der
Bevölkerung der dort gelegenen ländlichen Ortschaften gehabt hat.
Die ausgedehnten Besitzungen der großen Klöster Oliva, Pelplin,
Karthaus, die Umgebung der Städte Hela, Putzig, Neustadt, das erst 1643
gegründet wurde, Schöneck und Konitz, die gesamte Niederung der
Weichsel zwischen Danzig und Elbing und von Dirschau über Kulm nach
Thorn behielten bis zum Beginn der preußischen Herrschaft ihre deutsche
Bauernbevölkerung. Diese war sogar im sechzehnten, siebzehnten und
achtzehnten Jahrhundert durch Zuwanderung aus den Niederlanden, aus
Schlesien und aus dem Schwabenlande nicht unwesentlich vermehrt worden.
Die deutsche Siedlungsbewegung
in Posen und Westpreußen
vom 16. bis 18. Jahrhundert
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Aus den Niederlanden, aus Friesland, Holland und Flandern wanderten seit der
Reformation zahlreiche Bauern und Handwerker in die Weichselniederung ein.
Als "Täufer" oder, wie sie bald nach ihrem Führer genannt wurden,
als Mennoniten wurden sie von der spanischen Gegenreformation aus Haus und
Hof vertrieben und fanden, da sie wegen ihrer Tüchtigkeit von
Stadt- und Grundherren geschätzt wurden, zunächst bei Danzig und
Elbing, später auch am oberen Weichsellauf eine neue Heimat. Sie
behielten zwar noch lange ihre holländische und flämische Mundart
und ihr Brauchtum bei, galten jedoch unter der Bevölkerung des
Weichsellandes nur in religiöser, nicht in völkischer Hinsicht als
Fremde. Denn niemals war das Bewußtsein erloschen, daß auch die
Bewohner der Rheinmündungen dem deutschen Volkstum
zugehörten und sich von den übrigen Angehörigen des
deutschen Volkskörpers nur stammesmäßig unterschieden.
Auch bildeten die Niederlande zu jener Zeit noch einen Teil des Deutschen
Im Danziger Werder.
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Reiches. Solche Mennoniten wurden durch den Rat der Stadt Danzig auf den
bisher sumpfigen Flächen des Danziger Werders seit 1547 angesiedelt und
breiteten sich um 1600 auch an der Elbinger Weichsel in der Scharpau aus. Auch
die Stadt Elbing setzte sie seit 1556 im Ellerwald an; dagegen war ihr Aufenthalt
und ihre Betätigung in den Städten selbst mancherlei
Beschränkungen unterworfen. Zahlreiche Streusiedlungen der Mennoniten
entstanden ferner schon in der zweiten Hälfte des sechzehnten
Jahrhunderts im Großen Werder um Tiegenhof, im Kleinen Marienburger
Im Netzebruch.
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Werder und am Drausensee und zogen sich im Laufe des siebzehnten und
achtzehnten Jahrhunderts die Niederungen von Mewe, Marienwerder, Schwetz,
Graudenz, Kulm und Thorn stromaufwärts. Im Jahre 1780 wurden im
preußischen Weichselland 12.603 Mennoniten gezählt. Obwohl sie
durch Abwanderung nach Südrußland eine empfindliche
Einbuße erlitten, dehnten sie ihre Besitzungen von Ort zu Ort weiter aus
und haben damit die ländliche Kultur der Weichseldörfer bis zur
Gegenwart weithin bestimmt. In den letzten 100 Jahren sind sie mit der
übrigen deutschen Bevölkerung vielfach blutsmäßig
verschmolzen und würden es heute entrüstet ablehnen, wenn sie, wie
es von polnischer Seite zur Irreführung des Auslandes geschieht, als
Nichtdeutsche betrachtet würden. Sie sind ein eigenartiger, wertvoller
Bestandteil der deutschen Bevölkerung immer gewesen und stets
geblieben.
Deutschland und der Korridor
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