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[Bd. 4 S. 315]
Robert Koch, 1843-1910, von Hellmuth Unger

Robert Koch.
Robert Koch.
Frontispiz: Robert Koch, "Gesammelte Werke", Georg Thieme, Leipzig: 1912.
[Nach wellcomeimages.org.]
In einer Weltgeschichte, die neu aus der geistigen Haltung des Dritten Reiches und in neuer Wertung aller nationalen Großtaten geschrieben wird, einer Geschichte, die nicht nur Kriege, Niederlagen und Siege unseres Volkes, wie sie zum Schicksalskampf jeder Nation gehören, sondern auch kulturelle Heldentaten in den Vordergrund rückt, wird einmal der 24. März 1882 besonders hervorgehoben sein. Es ist nicht der Siegestag einer Schlacht, die einen Krieg zwischen Nachbarvölkern entschied, nicht der Tag eines wichtigen Friedensschlusses, aber ein Tag gewaltigen Umbruchs für alle Völker der Welt. Ein Tag, an dem ein herrliches Friedenswerk reif wurde, von einem genialen, wahrhaft schöpferischen Menschen der Mitwelt geschenkt. Doppelt wundervoll dabei, daß der Gebende sich des großen Augenblicks durchaus nicht bewußt ist oder nicht bewußt sein mochte, daß er einzig darüber glücklich ist, daß ein mächtiges Werk sich endlich zielstrebig vollendete. Wie alle großen Werke ist es gedanklich einfach und für jeden begreifbar, in seiner Lösung überzeugend, in seiner Gewähr unantastbar.

Am 24. März 1882 hat Professor du Bois-Reymond die Mitglieder der Berliner Physiologischen Gesellschaft zu einem der üblichen Vortragsabende geladen. Ein Mitglied des Kaiserlichen Gesundheits-Amtes, ein Regierungsrat, in der Reichshauptstadt noch so gut wie unbekannt, wird dabei "Über Tuberkulose" sprechen.

Unter den Seuchen, die auf unserem Erdball seit Jahrtausenden verheerend wirken, unter den Menschheitsgeißeln: der Pest, der Cholera, den Schwarzen Blattern und wie sie sonst heißen mögen, ist die Tuberkulose eine der grausigsten. Die Völker haben sie ertragen gelernt wie ein Schicksal. Ihre Rutenschläge und ihre Vernichtungsstärke kennt man, aber nicht kennt man ihren Ursprung und Ausgang. Ergeben nimmt man sie hin wie ein Strafgericht Gottes, das Unschuldige nicht von Schuldigen unterscheidet.

Ein kleiner Kreisarzt aus Wollstein, der eine erstaunlich schnelle Laufbahn hinter hat und wohl über Gebühr frühzeitig auf einen so herausgehobenen Posten nach Berlin berufen wurde, will vor einem kleineren Kreis von Fachleuten darüber reden. Es ist ein heißer Boden, auf den er sich begibt. Man weiß zudem, daß ihm Virchow nicht gewogen ist. Wenn das, was dieser neue Regierungsrat vorzubringen hat, stichhaltig genug wäre, hätte er seinen Vortrag doch vor dem größeren Forum der Medizinischen Gesellschaft halten können! Der Bibliotheksraum im Physiologischen Institut faßt kaum, wenn man jede Möglichkeit ausnutzt, sechzig Personen.

[316] Virchow selbst ist nicht erschienen, er hat sich mit einer Erkältung entschuldigt. Fast möchte man daraus schließen, daß er damit über den Redner des Abends das Urteil gesprochen hat. Der kaum vierzigjährige Gelehrte, der sich an diesem Abend in den Brennpunkt einer kleinen, aber auserlesenen Gesellschaft stellt, vor deren Kritik er zu bestehen wünscht, nimmt die eigentlichen Vorbereitungen für den Abend, den Aufbau beweiskräftiger Präparate, das Einstellen gefärbter Schnitte aus menschlichen und tierischen Organen unter der Vielfalt mühsam herbeigeschleppter Mikroskope nicht weniger gewissenhaft, ja fast pedantisch peinlich wie die Festlegung des auch noch in der Reinschrift gewissenhaft verbesserten Textes, den er langsam und gewichtig, wie es seine Art ist, vorzulesen gedenkt. Der Richtigkeit seiner Darlegungen bewußt, möchte er von vornherein jede Angriffsmöglichkeit von anderer, vielleicht feindseliger Seite ausgeschaltet wissen. Die Anwesenheit und kollegiale Unterstützung seines Mitarbeiters Löffler tut ein übriges, eine vorübergehende Beklommenheit rasch zu beheben.

Wer die beiden Männer während der noch ohne Augenzeugen durchgeführten Vorarbeiten nebeneinander beobachtet, wie sie in schweigendem Einverständnis die Präparate ordnen, der Untergebene als beglückter Mitwisser der kommenden Offenbarung und als Mithelfer am Werk, möchte sie leicht für Brüder halten: beide mit freimütigen Stirnen, beide mit schmalen, ovalen Brillengestellen vor den etwas kurzsichtigen Augen, beide mit kräftigen Backenbärten, der des Regierungsrates weniger zugeschnitten. Beide Männer mit dunklen, hoch zugeknöpften Röcken. Lediglich die Haltung des älteren, der seine rechte Hand mit fast napoleonischer Geste zwischen die beiden obersten Knöpfe über der Brustwölbung geschoben hat, verrät das starke Selbstvertrauen, das ihn vor dem anderen auszeichnet, Selbstvertrauen, wie es einem Meister seiner noch unnachgeahmten Kunst eignet. Reagenzgläser, Erlenmeyer-Kölbchen, flache Schalen mit Obduktionsmaterial werden nochmals überblickt und nebeneinander aufgestellt, wie es die Reihenfolge bedingt. Die Schnittpräparate unter dem Mikroskop befinden sich in schärfster Einstellung.

Inzwischen hat sich der Raum immer mehr gefüllt. Die Unterhaltung zwischen den Erschienenen bleibt aber gedämpft. Jeder Anwesende hat das gleiche Gefühl, als stände ihm an diesem Abend ein Ereignis bevor, das sich aus der gewohnten Vielfältigkeit ähnlicher Veranstaltungen weit heraushebt. Zudem erwartet wohl jeder der Erschienenen von dieser inzwischen autoritär gewordenen Persönlichkeit aus dem Kaiserlichen Gesundheits-Amt etwas Grundlegendes über eine Frage, die nicht nur dem Wissenschaftler, sondern auch dem einfachen Arzt in seiner Praxis und im steten Kampf gegen die furchtbare Seuche neue Waffen in die Hände gibt.

Erst viele Jahre später hat dieser klassische Abend des 24. März 1882 in der Berliner Physiologischen Gesellschaft in den festgelegten Erinnerungen später gleichfalls berühmt gewordener Teilnehmer seine endgültige Würdigung gefunden.

[317] Nach einer kurzen historischen Einleitung über den Stand der Tuberkulosefrage ging der Redner des Abends in klarer Zielstrebigkeit sofort auf den großen Plan ein, der ihm bei seinen Forschungen vorschwebte. In seiner nächsten Nähe sitzt neben Löffler sein zweiter getreuer Mitarbeiter Dr. Gaffky, und in Augenblicken des Verzögerns während der Rede oder des Atemschöpfens gleiten die Augen des Vortragenden zu diesen beiden Männern, in deren Blick er den Blitzstrahl bedingungsloser Gemeinschaft erkennt.

Als der Redner nach einer kurzen Begrüßung durch Professor du Bois-Reymond mit seinem Vortrag beginnt, ist nur sein Name der Mehrzahl der Erschienenen bekannt, noch hat er vor diesen Gelehrten mit keiner besonderen Leistung Eindruck gemacht. Als Kreisarzt in Wollstein – wer weiß überhaupt, wo auf der Landkarte sich dieser Ort befindet! – soll er den Erreger des Milzbrandes entdeckt haben. Milzbrand ist eine Krankheit, die im besondern Tiere befällt, keine Seuche, die die Menschheit bedroht. Das Problem der Tuberkulose ist von anderer Wichtigkeit.

Als er jetzt auf seine eigenen Forschungen zu sprechen kommt, Ursprung und Wesen dieser Seuche darzustellen versucht, hat er im Augenblick eine andächtige Gemeinde, Männer, die nicht nur Ärzte in der Fron des Alltags sind, sondern wie er um neue Erkenntnis und helfen zu wollen Bemühte, hat er auf einmal wie ein Meister unerreichbarer Art Schüler um sich geschart, die nicht nur von den mitgeteilten Tatsachen beeindruckt sind, sondern die auch geistig die geniale Art genießen, wie sich ein wahrhaft Berufener um Probleme bemüht, die jedem andern, auch jedem in diesem Kreise bisher mit dichtesten Schleiern verhängt waren.

Seht doch und hört nicht nur! Hier vor euch steht in lückenloser Reihe und unwiderlegbar in der Beweisführung Präparat an Präparat gereiht. Um die Tuberkulose gibt es fortan kein Geheimnis mehr, und sie, der Jahr für Jahr jeder siebente auf Erden zum Opfer fällt, wird bekämpfbar, ja vielleicht ausrottbar sein, jetzt, da man ihren Erreger kennt.

Ein Mann von unbestechlicher Selbstkritik, sich freiwillig vor höchste Aufgaben stellend, hat sich ein Ziel gesetzt, das wert des Schweißes der Edelsten ist und an das sich nur wenige heranwagten. Dem Genie hat sich das Rätsel entschleiert, weil ihm ein gütiger Gott Weisheit und Erkenntnis schenkte, einzudringen in für andere Unverständliches. Dieser Forscher suchte nicht, was sein könnte. Er ahnte voraus, was war. Und so fand er die Verbindung zwischen Anfang und Ende dieser Krankheit. Indem er ihre Ursache zeigte, nahm er dieser Seuche ihr schreckliches Mysterium und den Kranken jeden Schauer hilfloser Furcht. Was von ihm bis zu dieser Stunde geleistet wurde, in Auswertung seiner Intuition und an Beweisen der Wahrheit, ist so groß und umfassend, daß es allein genügte, den Namen eines Menschen unvergeßlich zu machen. Aber der neue Beamte aus dem Kaiserlichen Gesundheits-Amt ist viel zu bescheiden, er ist erst am Anfang seines Weges als Forscher, und er würde jeden [318] übertriebenen Lobspruch lächelnd von sich weisen. Er möchte es nicht einmal wahrhaben, Wegbahner eines neuen Zeitalters zu sein, sofern man Zeitläufte des Fortschrittes nach Kulturtaten der Menschheit berechnet.

"Es ist mir gelungen, den Erreger der Schwindsucht, der Tuberkulose, zu entdecken", sagte der Redner am Schluß seines Vortrages, "den Tuberkelbazillus". Niemals ist eine weltbewegende Entdeckung bescheidener angekündigt worden als diese. Und kaum eine hat sich für die Nachwelt so segensreich ausgewirkt. Kaum einen Menschen überkam Ruhm so unerwartet und groß. Er machte sich wenig daraus. Er schaffte weiter. Er diente nur sich und seinem Werk. Er wollte damit seinem Vaterlande dienen und der ganzen Menschheit. Er war ein Deutscher. Sein Name ist Robert Koch.


[320a-d]
Die Entdeckung des Tuberkel-Bazillus
Zwei Seiten aus Robert Kochs handschriftlichem Entwurf zu seinem Vortrag vom 24. März 1882, gehalten in der Berliner Physiologischen Gesellschaft

(Berlin, Robert-Koch-Institut)

  [Abschrift folgt dem Faksimile.]

Vortrag, Faksimile S. 1
Vortrag, Faksimile S. 2
[320d]      Die Entdeckung des Tuberkel-Bazillus
Zwei Seiten aus Robert Kochs handschriftlichem Entwurf zu seinem Vortrag vom 24. März 1882, gehalten in der Berliner Physiologischen Gesellschaft.      [Vergrößern]

Das Faksimile gibt die Stichwortnotizen Kochs vom Anfang seines Vortrages und die bedeutungsvolle fünfte Seite des Manuskriptes wieder, auf der zum erstenmal der wahre Erreger der Tuberkulose genannt wird: "Daraufhin kann behauptet werden, daß die Bazillen die Ursache der Tuberkulose sind." Die Veröffentlichung des Vortrages erfolgte in der Berliner Klinischen Wochenschrift vom 10. April 1882 unter dem Titel "Die Ätiologie der Tuberkulose".

[320a] Abschrift:

Villemin. Impfung in d.[ie] vordere Augenk.[ammer] von Cohnh.[eim]. Salomons. Baumgarten. Inhalat.[ions]verf.[ahren] v.[on] Tappeiner etc.
T.[uberkulose] wichtigste Inf.[ektions]k.[rankheit], gefährlicher als Pest etc. Statistik: 1/7 aller Menschen sterben an Tub.[erkulose], von Erwachsenen 1/8.
      T.[uberkulose] für Gesundheitspfl.[ege] noch wegen der Beziehungen zur Perls.[ucht] wichtig. Aufgaben des G.[esundheits-]A.[mtes]. Deswegen Unters.[uchung] nothwendig. Von verschiedenen Seiten versucht, das Wesen der Tuberkulose zu ergründen, ohne Erfolg. Färbung und Kulturmethoden nichts genützt. Cohnheim: der direkte Nachweis des tuberkulösen Virus ist bis heute ein ungelöstes Problem.
      Gleichfalls zuerst die bekannten Methoden versucht. Durch gelegentl.[iche] Beobacht.[ungen] auf andere Verfahren geführt. Beschreibung des Verfahrens. Trocknen am Deckglas, Härten in Alkohol. Methylenblau-Lösung: 200 cc W.[asser], 1 cc alk.[oholisches] Methylenbl.[au], 0,2 cc 10% Kali. Darf keinen Bodensatz geben. 20–24 Stunden lang färben, in d.[er]Wärme ½–1 St[unde] Nachbehandlung mit wäßriger Vesuvinlösung. Schicht wird braun. Unter d.[em] Mikroskop alle Gewebstheile u. anderen Bakt.[erien] braun, Tub.[erkel]bakt.[erien] blau. Starker Farbencontrast, sichere Reaktion u. Diagnose. In Schnitten ebenfalls Gewebe, Kern braun, Tub.[erkel]bac.[illen] blau.
      Auch mit anderen Farben, außer Braun, gelingt die Färbung, alkalische Reaktion der Lösung, andere Alkalien. Starke kalihaltige Lösung färbt mehr, beschädigt die Schnitte.
      T.[uberkel]bakterien sind Stäbchen, Bacillen, dünn, halbes Blutk.[örperchen] lang. Große Ähnlichkeit mit Leprab.[azillen], Unterschied. Wo der Proceß frisch ist oder fortschreitet viele B.[azillen], oft in Zellen, lepraähnlich. Freie B.[azillen] in Schwärmen am Rande von größeren Käseherden. B.[azillen] seltener, wenn Höhepunkt überschritten, kleine Gruppen oder vereinzelt am Rande des Tuberkels, schwach gefärbt, absterbend. Fehlen ganz, wo Proceß still steht. Kürzere in Riesenzellen, oft nur in diesen, auch vereinzelt. Beziehungen der B.[azillen] zu den Riesenzellen, R.[iesenzellen] ohne B.[azillen] Theorie. Auch ungefärbt sichtbar. Mit dest.[illiertem] W.[asser] verdünnte Substanz im hohlen Objektträger. B.[azillen] sind dünne unbewegliche Stäbchen. Sporenbildung bisweilen im thierischen Körper. 2–4 Sporen, buchten die Wand des Bacillus vor.
      Vorkommen der B.[azillen] bis jetzt an folgendem Material untersucht.
      I Vom Menschen (Material von Dr. Friedlaender u. Direktor Dr. Guttmann)
[320b] II Miliartub.[erkulose]. B.[azillen] in der Lunge (nicht im verkästen Centr.[um] der Knötchen) Milz, Leber, Niere. Sehr viele in Pia mater, in Bronchialdrüsen, sporenhaltig in Schwärmen, oder in Riesenzellen.
      12 käsige Bronchitis u. Pneumonie. B.[azillen] am Rande von käsigen Herden, in Nestern. In Cavernen, sporenhaltig, käsige Bröckchen im Caverneninhalt. Mit anderen Bakterien vermischt. Färbungsunterschied.

[Seite 5 der Handschrift]
      Die Spritzen immer sorgfältig desinficiert.
      Untersuchung der Tub.[erkeln] bei den mit Kulturen inficierten Thieren. Identisch mit anderer Tub.[erkulose], B.[azillen] in Riesenzellen, verkästes Centrum, epithelioide Zellen.
      Weiterimpfung der Tuberkeln solcher Thiere, Züchtung der B.[azillen] aus denselben.
      Beim Rückblick auf diese Versuche ergiebt sich, daß verschiedene Infectionsweisen ausnahmslos Tuberkulose erzeugten. Iristuberkulose. Ausschluß der spontanen Tub.[erkulose] oder zufälliger experimenteller Fehler. Controllthiere sämtlich gesund, schnelle Entwicklung der Miliartub.[erkulose]. Vergleich mit Milzbrand.
      Daraufhin kann behauptet werden, daß die Bacillen die Ursache der Tuberkulose sind.
      Demnächst interessiert zur Vervollständigung der Ätiologie die Frage, woher die Bacillen stammen und wie sie in den Körper gelangen. Können nur im thierischen Körper sich weiter entwickeln und event. Sporen bilden, weil sie nur bei Temperatur zwischen 30 u. 41°C wachsen. Bedeutung dieser Thatsache. Vergleich mit Milzbrandbacill.[en]. Sind keine gelegentl.[ichen], sondern ächte Parasiten.
      Gelangen in der Mehrzahl mit der Luft in die Respirationswege und nisten sich in Lunge oder Bronchialdrüsen. Weil die überwiegend meisten Fälle von Tub.[erkulose] Inhalationstub.[erkulose] sind. Kommen in die Luft durch die verstäubten Sputa der Phthisiker. Untersuchung von Sputum, Befund. Impfung mit frischem, 2 Wochen, 4 und 8 Wochen getr.[ocknetem] Sputum. Bedeutung der Sporenbildung im Sputum. Nicht sporenhaltige Lunge vom Affen nach 6. Wochen unwirksam. Weitere Versuche in Aussicht gest.[ellt].
      In der Ätiologie der Tub.[erkulose] spielen prädisponierende Momente unzweifelhaft eine große Rolle. Die Verhältnisse der erworbenen oder ererbten Disposition noch hypothetisch. Das langsame Wachsthum der B.[azillen] erklärt manche Erscheinungen. Impfung nur dann wirksam, wenn die B.[azillen] in taschenf.[örmige] Wunden, Höhlen gebracht werden; aus flachen, kleinen Wunden werden sie zu schnell eliminiert, deswegen keine Leicheninfection. Ähnliches gilt gewiß für die Infection von der Lunge aus, Hülfsursachen...
      Wie weit reicht das Gebiet dieser Parasiten, d. h. mit anderen Worten, wie ist das, was wir Tub.[erkulose] nennen, abzugrenzen? Bisher kein sicheres Kriterium, jetzt ein solches an den Bacillen. Danach gehören Miliartub.[erkulose], käsige Pneumonie u. Bronchitis, Darm- u. Drüsentub.[erkulose], Perlsucht, spontane u. Impftub.[erkulose] der Thiere zusammen. Scrophul.[öse] und fungöse Gelenkaffect.[ionen] zum Theil, vielleicht ganz; ob Lupus, ist zweifelhaft. Tub.[erkulose] unter Hausthieren: Schwein, Huhn.
 


Jeder von uns ist nichts als nur ein winziges Glied in einer unübersehbaren Kette, die aus weiter Vergangenheit her und in weite Zukunft hinaus von Generation zu Generation führt, körperliche und geistige Anlagen von den Altvordern empfängt und an Kinder und Kindeskinder weitergibt. Pläne und Gedanken, die in bereits Verstorbenen nicht zur Reife gelangten, blühen oft in Nachkommen wieder auf und tragen so erst zu späterer Zeit ihre Frucht.

Wertvolles Gut ist das, was dem kleinen Robert Koch, Mitglied einer vielköpfigen Bergmannsfamilie, im Harz als Erbe überkommt. Dreizehn Kinder sind sie daheim, elf Brüder und zwei Schwestern. Das schmale Gehalt des Vaters, der Einfahrer im Clausthaler Silberbergwerk ist, soll für alle reichen. Nur eiserne Sparsamkeit und eigener Verzicht auf die kleinsten Freuden des Lebens ermöglichen es den Eltern, den besonders begabten Sohn sogar studieren zu lassen.

Wenn Liebe zur Heimat, Beharrlichkeit und Fleiß, Lebenstüchtigkeit, Frohsinn und Lebensfreude auch in bescheidensten Verhältnissen in dem Harzer Waldbauern besonders lebendig ist, wenn in ihm der Sinn für Gemeinschaft frühzeitig geweckt wird, da in Berggegenden besonders im Winter einer auf die Hilfe des andern angewiesen ist, wenn er Hilfe als selbstverständliche Leistung annimmt, um seinerseits bei erster Gelegenheit wieder zu helfen, so ist der im Jahre 1843 in Clausthal geborene Robert Koch ein echtes Harzer Kind, das glückhaft eine ungebundene Jugend genießt. Wer wie er ein zwar eng umfriedetes, aber glückliches Leben kennenlernte, in dem jeder tüchtige Mensch sich selbst genügt, der sehnt sich kaum danach, seine Zukunft mit anderen ungewohnten Maßstäben zu messen, der bleibt am liebsten innerhalb seiner bekannten und vertrauten Gemeinschaft.

Um jedoch aus angeborenen Anlagen über sich selbst hinauswachsend Neues zu gestalten, dazu bedarf es über die Friedsamkeit des Herzens hinaus einer unstillbaren Unrast nach dem Neuen, nach dem Unbekannten, nach dem Ziel, das man noch nicht sieht, das man aber in frühen Träumen bereits ahnt. Diese [319] Unrast des schöpferischen Menschen, der sich selbst niemals genügt, ist eine besondere Eigentümlichkeit der Kochschen Familie. Auch den Vater Roberts hat es, bevor er in Clausthal Heim und Familie gründete, weit hinausgetrieben in die Welt. Er hat Frankreich, England, Norwegen und Italien bereist, stets mit wachen Augen und niemals ohne Gewinn. Nachdem er in einem Harzer Bergort seßhaft wurde, vermag er seinen Kindern sein Wissen nur noch in Geschichten mitzuteilen, in jeder Feierstunde am Kamin Vorbild und Beispiel.

Das Harzer Bergland mit all seiner Schönheit sommers und winters, mit seiner Unerschöpflichkeit an Wundern der Fauna und Flora öffnet dem jungen Robert Koch die Augen für das große Gotteswerk, das wir Erde nennen. Im Größten wie im Kleinsten spiegelt sich Gottes Wunderwelt. Dem einen mag es genügen, die Schönheit der Jahreszeiten, das Farbenspiel eines Teiches oder Baches, das Dahinziehen der Wolken, den schwirrenden Flug einer Libelle, das Dahintaumeln eines sonnetrunkenen Schmetterlings in sich aufzunehmen und sich darüber zu freuen, den andern treibt es, zu forschen, warum etwas so und nicht anders ist, warum sich im Herbst die Blätter der Buchenwälder rotbraun verfärben, warum sich im Gestein eines Bergwerks silberne Adern durchkreuzen, warum der Flügel eines Insekts gläsern und von unerschöpfbarer Schwungkraft ist. Im Tischkasten des Vaters findet der Junge eine zerschrammte Lupe. Sie wird sein erstes Forschungsinstrument und bleibt bis ans Lebensende wie ein Heiligtum aufbewahrt, als längst vortreffliche Mikroskope dem Gelehrten die Geheimnisse des Mikrokosmus tausendfältig erschließen.

Noch als Gymnasialabiturient hatte Robert Koch erklärt, Philologie studieren zu wollen, obwohl es so schien, als wollte er sich dem Studium der Medizin, der Mathematik oder der Naturwissenschaften widmen, wie sein Direktor ihm 1862 ins Abgangszeugnis schreibt. Viel lieber wäre er ja Kaufmann geworden, um die weite Welt und fremde Länder kennenzulernen. Sein Onkel Biewend in Hamburg überzeugt ihn jedoch von der Hoffnungslosigkeit seiner Idee. So wird dieser Plan, der nicht einmal dem Vater unterbreitet wird, rasch wieder aufgegeben. Die ersten Göttinger Semester schaffen dann Klarheit über die Zukunft. Von der Mathematik hat Robert Koch bald übergenug. Kurz entschlossen sattelt er um und belegt medizinische Kollegs. Nicht ohne Einfluß auf diesen Entschluß mag die Möglichkeit gewesen sein, eins der Institutsmikroskope zu eigenem Studium regelmäßig benutzen zu können. Nicht ohne Bedeutung auch die Ehrfurcht und die Verehrung, die er einem der größten Lehrer der Medizinischen Fakultät, Professor Henle, entgegenbringt, der in seinen Vorlesungen den Keim zu Kochs künftigen Forschungen legt. Eine These Henles, mit der er noch allein dasteht, ist von besonderer Kühnheit, und deshalb gerade fesselt sie den jungen Studenten der Medizin. Henle möchte einen Zusammenhang zwischen gewissen Mikroorganismen und bestimmten akuten Krankheiten erkannt wissen. Den Beweis dafür jedoch muß er schuldig bleiben. Hunderte von Studenten [320] sitzen zu Füßen des berühmten Gelehrten und schreiben emsig mit. Einer unter ihnen begreift hellsichtig das Neuartige und die unerwarteten Möglichkeiten erfolgversprechender Pionierarbeit am Studiertisch.

Nach dem ersten Erwachen des Kindes in der ihn umgebenden Natur überkommt den Jüngling jetzt ein zweites, das ihm beim Studium, in den Präpariersälen, in den Instituten und Kliniken neue und andere Wunder erschließt. Der vollendete Mechanismus der Herzmaschine, die Leitungsbahn der Nerven, die unerhörte Zweckmäßigkeit des menschlichen Augapfels von der durchsichtigen Wölbung der Hornhaut bis zur Lichtempfindlichkeit der Netzhaut, der unbegreifbar künstliche Mechanismus des Gehirns, was sind das alles für Erlebnisse! Doch sie werden Gemeingut jedes Beflissenen und Lernenden. Neu hingegen ist Henles Annahme des "contagium animatum". Hier erschließen sich Wege in noch unerforschte Gebiete der Wissenschaft. Hier ist durch Forschung und Fleiß Neuland zu entdecken. Mit selbstverständlicher Pünktlichkeit erledigt Robert Koch sein Studium und seine Examina, promoviert und übersiedelt nach Berlin, wo er während seines einen Semesters Schüler von Virchow wird, der ihm später während der Zeit seiner großen Entdeckung so wenig Verständnis entgegenbringt.


"Leben eines deutschen Landarztes" ließen sich am besten die dem Staatsexamen folgenden Jahre Robert Kochs überschreiben. Am Anfang dieser Laufbahn steht eine kurze Assistentenzeit in Hamburg, in die 1866 eine Cholera-Epidemie fällt, nachdem die vorhergegangene kaum erst sieben Jahre überstanden war. Die Cholera kommt vom Orient her nach Mitteleuropa und dringt infolge des Kriegszustandes zwischen Preußen und Österreich, dem sich der blinde König Hannovers angeschlossen hat, über Erwarten rasch auch nach Hamburg vor. Schicksalszeit für eine reiche, aber immer wieder schwergeprüfte Stadt, Schicksalszeit auch für den jungen Gelehrten, dem sich nun endlich und unerwartet die Gelegenheit bietet, Henles These aus der Göttinger Zeit durch Beweis von Tatsachen zu erhärten. Wenn es ein "contagium animatum" gab, dann mußte man der Choleraursache mit Hilfe des Mikroskopes auf den Grund kommen.

Wie nahe Robert Koch schon damals einer ersten bahnbrechenden Entdeckung gekommen ist, ahnt er selbst nicht. Nur an eins glaubt er fest, daß er sich auf richtigem Wege befindet. Die Ergebnisse seiner Hamburger Forschungen, noch heute nachprüfbar, weiß er noch nicht auszudeuten, sonst wäre schon damals das Vorhandensein des Choleraerregers erwiesen gewesen, jedoch noch nicht durch so lückenlose Beweisketten, wie sie der Meister später in strengster Selbstkritik beim Tuberkulosebazillus aufstellt.

Von Hamburg kommt Koch an die Idiotenanstalt nach Langenhagen im Hannoverschen, wo ihm im Nebenberuf Praxis gestattet wird. Das letztere ist für ihn wichtig, da er endlich ein junges Mädchen aus seiner Vaterstadt, das er [321] bereits seit seiner Schülerzeit liebt, heiraten will. Auf längere Dauer behagt ihm die abstumpfende Tätigkeit eines Anstaltsarztes jedoch nicht, auch macht ihm sein Direktor, der ihm nicht besonders wohlwill, häufig Schwierigkeiten. So führt der Weg des Landarztes weiter nach Niemegk im Kreise Zauch-Belzig und nach Rackwitz in Posen. Die Zeit hier wird idyllischer, als er vorher annahm. Doch wird sie durch den inzwischen ausgebrochenen Krieg Deutschlands mit Frankreich unterbrochen. Robert Koch meldet sich freiwillig als Arzt ins Feld. Nach Monaten wieder heimgekehrt, findet er sich nicht mehr in dem alten Kreis der Freunde und Patientenschaft zurecht. Auch treibt der Ehrgeiz, für die Zukunft seiner Familie zu sorgen, zu neuen Plänen. Wenigstens irgendwo Physikus werden! Das erfordert allerdings ein weiteres Examen. Aber davor fürchtet er sich nicht.

Mit achtundzwanzig Jahren kommt Robert Koch als Kreisarzt nach Wollstein, mit der Sicherheit eines wenn auch bescheidenen festen Gehaltes. Wichtiger als diese Sicherheit für Frau und Kind ist für ihn die Möglichkeit, neben der ärztlichen Praxis, die allerdings bei Tag und Nacht seine besten Kräfte in Anspruch nimmt, wieder die alten Forschungen aufzunehmen. In Wollstein beginnt Robert Kochs Genieperiode.


Robert Koch steht vor der Möglichkeit, neben der gewiß aufreibenden Landarztpraxis ein beschauliches und einträgliches Dasein zu führen. Früher bediente man sich, um von Dorf zu Dorf zu gelangen, eines Reitpferdes, jetzt in Wollstein kann man sich sogar Pferd und Wagen halten. Man kann auch Ersparnisse machen, die einmal der heranwachsenden Tochter zugute kommen und ihre Zukunft sichern werden. Ein Forscher, der über die Grenzen allgemeinen Wissens vorstößt, schafft nicht mehr für sich selbst. Er will der Gesamtheit dienen.

Wieder, wie schon als Assistent in Hamburg zur Cholerazeit, kommt Robert Koch jetzt in Wollstein als Amtsarzt mit einer Seuche in Berührung, die unter den reichen Viehbeständen im Kreise Bomst seit undenklichen Zeiten heimtückisch wütet. Seine Tätigkeit im Kriege, in den Lazaretten, dem möglicherweise vorhandenen Erreger des Typhus nachzuspüren, war zu kurz und auch zu unsicher, um zu eindeutigen Ergebnissen zu gelangen. Aber gleich, welchen Erreger irgendeiner Seuche man zuerst entdeckt, die Methodik wissenschaftlicher Ergründung wird für alle diese heimtückischen Lebewesen, die noch kein Forscherauge erblickt hat, die gleiche sein. Weshalb soll man sich da nicht über den Milzbrand Klarheit schaffen, zumal Tiermaterial in Fülle zur Verfügung steht?

Von einem Parasiten, wie Robert Koch einen sucht, verlangt er dreierlei: Er muß in jedem Falle der Erkrankung anzutreffen sein. Er darf bei keiner anderen Krankheit als zufälliger und nicht pathogener Schmarotzer vorkommen, und er muß endlich, vom Körper vollkommen isoliert und in Reinkultur gezüchtet, imstande sein, von neuem die Krankheit bei Versuchstieren zu erzeugen. Es hieße [322] eine höchst romantische Geschichte erzählen, wenn man von allen Schwierigkeiten und ihrer Überwindung berichten wollte, die Robert Koch in Wollstein durchzumachen hatte, ehe er das erste große Ziel seiner Forschungen erreichte. Zwischen Landbesuchen und der aufreibenden Arzttätigkeit im Hause müssen die Stunden der Forschung ebenso mühselig abgespart werden wie der sich erst langsam rundende Betrag, den der Physikus für ein Mikroskop ausgibt, das er notwendig braucht. Tierversuche, Organschnitte, Untersuchungen mit Überraschungen und Enttäuschungen und Rückschlägen, nichts kann ihn hindern, seiner Berufung treu zu bleiben. Das Ergebnis seiner Forschungen ist die Entdeckung des Milzbranderregers in lückenloser Beweisführung. Das Werk ist meisterhaft.

Breslau, wieder Wollstein und Berlin heißen die nächsten Stationen seiner Laufbahn. In Berlin endlich findet er die Schaffensmöglichkeiten, wie er sie sich längst gewünscht hat. Bei der Erforschung der Milzbrandbazillen hatte Koch zum ersten Male seine Kräfte erprobt, sich auf eine bestimmte Methodik eingespielt und den Ablauf jedes seiner Experimente in allen Einzelheiten zur Unterweisung für andere aufgeschrieben. Nicht in jedem weiteren Falle aber konnte die Lösung gleich einfach sein, sonst wären gewiß in den Monaten, die der Veröffentlichung seiner grundlegenden Arbeit über die Entstehung des Milzbrandes folgten, in den Laboratorien der Welt alle Krankheitserreger entdeckt worden, die bisher unbekannt geblieben waren. Die Bakteriologie war auf einmal das Lieblingskind der Medizin geworden und zugleich große Mode. Jeder Anfänger glaubte, es sei nichts leichter, als nach Kochscher Art berühmt zu werden, indem man sich vor das Mikroskop setzte, darauflos forschte und täglich nur notierte, was man Neues gefunden hatte. Von diesem unerquicklichen Treiben blieb Koch unberührt. Er wußte, daß sich die vermuteten Erreger des Typhus, der Cholera und der Tuberkulose, die ihn besonders interessierten, nicht ganz leicht finden ließen und daß es wohl neuer und kühnerer Methoden bedurfte, sie den Augen überhaupt sichtbar zu machen. Zugute kam ihm selbst, daß er eine alte Liebhaberei: zu fotografieren, wieder aufnahm. Er versuchte ein Verfahren zu entdecken, durch Mikrofotografie bakterienhaltige Flüssigkeiten bildlich naturgetreu darzustellen, um alle Irrtümer und falschen Vorstellungen bei unrichtigen Abbildungen auszuschließen. Wieder einmal mußte er von Grund auf neu beginnen und erhebliche Teile seines Einkommens opfern, um solche Pläne durchzuführen. Da er in immer tieferem Einarbeiten erkennt, daß er farbige Fotografien nicht wird herstellen können und daß diese deshalb unübersichtlich und in den Unterschieden nicht bezeichnend genug sind, kommt er auf einen anderen, nicht weniger glücklichen Einfall, Bakterien zu färben, ehe man sie fotografiert. Wieder erschließt sich ihm eine neue Welt des Geheimnisvollen. Sein Drang, zu entdecken und zu erkennen, macht bei keinem Ergebnis halt, [323] niemals ist er mit einer Leistung zufrieden, wenn er vermutet, daß sie noch besser ausfallen könnte.

Ist er schließlich mit den Färbemethoden zufrieden, so genügt nunmehr das bescheidene Mikroskop nicht mehr, und man muß darüber nachdenken, wie man es im Dienst der Forschung weiter verbessern könnte. Abbe in Jena konstruiert ihm auf seine Anregung einen hochmodernen, klug ersonnenen neuen Beleuchtungsapparat unter dem Mikroskop, den er zusammen mit einem gleichfalls neuen Ölimmersions-System verwendet. Wiederum schließt sich die Kette unerhört gescheiter Versuche zu einem Ganzen, und etwas Großes vollendet sich. Die Differenzierung der Bakterien ist endlich möglich geworden.

Hundertfältige Erfahrungen jeder Art kommen dem nach Berlin Berufenen bei seiner neuen Tätigkeit zugute. Während er Löffler und Gaffky, die ihm besonders nahestehenden Mitarbeiter, in seine Methodik einführt und ihnen jede Anregung gibt, sich in seinem Sinne zu betätigen, richtet Robert Koch selbst sein Hauptaugenmerk auf den schon so lange gesuchten Tuberkuloseerreger. Zu den Hauptaufgaben des Gesundheitsamtes gehört es ja, die Infektionskrankheiten vom Standpunkt der Gesundheitspflege aus, also in erster Linie in bezug auf ihre Entstehung, zum Gegenstand ihrer Ermittlungsarbeiten zu machen. Die zweifellos geniale Entdeckung des Milzbranderregers in Wollstein wird weit übertroffen von der Arbeit, die jetzt an den Erreger der heimtückischsten Menschenseuche gewendet wird.

Herrlichste Schöpferstunde in später Nacht, als er nach monatelangen, immer wieder unterbrochenen und neu begonnenen Versuchen und Untersuchungen, nach Erprobung ungezählter Färbemethoden, nach unabsehbarer Vielfältigkeit von Tierversuchen den nächsten Vertrauten, Dr. Gaffky, zu sich ruft und ihn ein Präparat unter dem Mikroskop betrachten läßt. Für Augenblicke fürchtet dieser, daß ihm sein Meister bei der Entdeckung des Typhuserregers, mit dem er sich selbst befaßt, zuvorgekommen sei, aber was er unter dem Okular erblickt, ist Lungengewebe. Welchem neuen Geheimnis ist der Meister da schon wieder auf die Spur gekommen, der immer schweigsam ist, solange er forscht?

Gaffky blickt auf zu Robert Koch und sieht ihn lächeln.

Ein Bazillus? – Ja.

Der Erreger der Tuberkulose?

Ja, Gaffky, der Tuberkelbazillus. Er muß es sein.


Die Entdeckung des Tuberkelbazillus sollte nicht die einzige wissenschaftliche Großtat Robert Kochs bleiben. Mit seiner Hilfe findet noch im gleichen Jahr Löffler den Diphtherie-Bazillus, und er wird damit zu einem gleichfalls Unvergessenen in der Schar der großen Helfer der Menschheit, und wenige Monate später beschreibt Gaffky als erster den Erreger des Unterleibstyphus.

[324] Koch, der immer bescheidene und stete Berater am weitgreifenden Werk seines Amtes, gönnt seinen beiden besten Schülern den verdienten Lohn. Ihm selbst bleibt die Entdeckung des Cholerabazillus vorbehalten, den er eigentlich, ohne es zu wissen, schon während der Hamburger Assistentenzeit gefunden hatte.

Wir Menschen eines neuen Jahrhunderts, das durch die Fortschritte der medizinischen Wissenschaft von fast allen einst so gefürchteten Seuchen längst umfriedet ist, vermögen uns wohl kaum eine Vorstellung zu machen, was früher die Hiobsbotschaft bedeutete: die asiatische Cholera sei wieder auf dem Vormarsch nach Europa. Eine solche Kunde bedeutete Tod und Vernichtung von Zehntausenden in den Ursprungsgebieten der Seuche, vielleicht von Millionen.

Robert Koch auf der deutschen Cholera-Expedition in Ägypten 1884.
Robert Koch (dritter von rechts)
auf der deutschen Cholera-Expedition in Ägypten 1884.

[Nach amuseum.de.]
Die ägyptische Regierung, im Jahre 1883 von einem neuen Vernichtungsfeldzug der Cholera bedroht, wendet sich gleichzeitig an Frankreich und Deutschland um Hilfe, und beide Länder rüsten sofort wissenschaftliche Expeditionen aus. Nur zwei Männer kommen in Frage, der Seuche durch Bekämpfung Einhalt gebieten zu können, beide weltberühmt und beide Träger allgemeinen Vertrauens, ja allgemeiner Gläubigkeit: Koch und Pasteur. Möglich, daß der große Pasteur seinem gefürchteten Konkurrenten auf dem Gebiet der Bazillenforschung in einem Wettstreit auszuweichen wünscht, möglich aber auch, daß er glaubt, die Tatkraft einiger seiner Schüler reiche aus, das wichtige Problem zu lösen. Es kommt zu einem Wettstreit zwischen Koch und seinen Helfern auf der einen Seite und den beiden jungen Franzosen Thuiller und Roux auf der anderen. Der wackere Thuiller muß die Expedition nach Alexandria, ohne den heißgesuchten Cholera-Bazillus gefunden zu haben, mit dem Tode bezahlen, ein Opfer der Seuche, die ihn dort als einen der letzten befällt. In gleichem Zeitraum bis zum bitteren Ende des Franzosen und dem Erlöschen der Seuche auf ägyptischem Hoheitsgebiet sind die Arbeiten Kochs bereits weit vorgedrungen, aber noch nicht abgeschlossen. Koch ist deshalb auf eine Lösung des Problems derart versessen, daß er dem Minister von Boetticher vorschlägt, ihn in Indien, einem der großen Ursprungsgebiete der Cholera, weiterarbeiten zu lassen. Sofort erhält

Notizzettel Robert Kochs mit einer der ersten Beschreibungen des Cholera-Bazillus, 1883.
[325]      Notizzettel Robert Kochs
mit einer der ersten Beschreibungen
des Cholera-Bazillus, 1883.

Berlin, Institut Robert Koch.     [Vergrößern]

[Bildquelle: Institut Robert Koch, Berlin.]
er die Genehmigung. Über Kairo, Damiette und El Tor reist er nach Ceylon und weiter nach Kalkutta, wo er die ganze Unterstützung des Leiters des Medical College Hospital findet. Von geradezu fanatischem Arbeitswillen beseelt schafft er weiter und kann wenige Wochen später nach Berlin berichten: "Die noch unentschieden gelassene Frage, ob die im Choleradarm gefundenen Bazillen ausschließlich der Cholera angehörige Parasiten sind, kann nunmehr als gelöst angesehen werden."

Ein Bericht, der an Wucht hinter irgendeiner Siegesmeldung nach gewonnener Schlacht nicht zurücksteht. Mit der Größe eines Sieges scheint auch beim Menschen das Empfinden zu wachsen, im Berichten darüber etwas von der erhabenen Größe zu erreichen, die das Ergebnis selbst bedeutet.

Neun Monate nach Beginn seiner phantastischen Forschungsfahrt hat Robert Koch von Bombay aus die Heimreise angetreten. Monatelang war er in den [325] schmutzigen Verstecken abscheulicher Menschenbehausungen herumgekrochen, in den Choleraspitälern und in seinem Laboratorium stündlich in höchster Lebensgefahr, doch unbekümmert. Hunderte von Leichen hatte er obduzieren helfen, Tausende von Präparaten angefertigt, gefärbt und untersucht, Generationen des Kommabazillus gezüchtet, Wunderdinge hatte er unter der Linse des Mikroskops erschaut wie noch kein Forscher zuvor. Nur eins hatte er nicht gesehen: Indien selbst. Das große geheimnisvolle Land und das große Erlebnis der Dschungeln, alles war wegen eines kleinen Bazillus vergessen. Wie von einem großen Feldzug kehrt er in die Heimat zurück, und der alte Kaiser verleiht ihm den Kronenorden am schwarzweißen Bande, die einzige Auszeichnung, die Koch zeit seines Lebens wahrhaft erfreute. Auf der Verleihungsurkunde von der Hand des Kaisers hatte Bismarck mit seiner markigen Schrift hinzugefügt: "mit dem Stern", und der Kaiser war einverstanden.

Welcher Segen aus Kochs neuer wissenschaftlicher Großtat erwachsen sollte, das wurde nicht nur anderen Völkern Europas, sondern auch seinem eigenen Vaterlande bald offenbar, als im Anfang der neunziger Jahre ganz unerwartet wiederum die Cholera Hamburg überfiel. Es war der letzte Vernichtungsfeldzug der Seuche in Deutschland. Seitdem hat sie ihren Schrecken verloren.

Eine weitere, ja vielleicht die höchste Stufe des Ruhmes erreicht Robert Koch am 4. August 1890 vor den Mitgliedern des X. Internationalen Kongresses in [326] Berlin. Entgegen seiner Einstellung, nur mit einem vollendeten Werk vor die Öffentlichkeit hinzutreten, hat er sich diesmal auf Wunsch der Regierung bestimmen lassen, über seine neuesten Forschungen auf dem Gebiet der Tuberkulosebekämpfung zu sprechen, die seiner eigenen letzten Kritik noch nicht standhielten. Immerhin, das wußte er, würde er mit seinen Darlegungen vor diesem Kreise berühmter Männer der Wissenschaft in Ehren bestehen.

Das große Werk der Tuberkuloseforschung, mit dem ein neuer Ausgangspunkt medizinischer Forschung beginnt, würde nicht abgeschlossen sein, wenn der Meister nach der Ursache der Seuche nicht auch das Heilmittel entdeckte, mit dem er sie zu bekämpfen vermag. Tatsächlich ist es ihm gelungen, die Giftkeime des Tuberkelbazillus im Tierkörper unschädlich zu machen. Damit ist der Nachweis erbracht, daß bei Tieren der Tuberkulosekrankheitsprozeß völlig zum Stillstand gebracht werden kann. Mit fast prophetischer Stimme führt Robert Koch in seinem Vortrage aus: "Sollten aber die im weiteren an diese Versuche sich knüpfenden Hoffnungen in Erfüllung gehen und sollte es gelingen, zunächst bei einer bakteriellen Infektionskrankheit des mikroskopischen, aber bis dahin übermächtigen Feindes im menschlichen Körper selbst Herr zu werden, dann wird man auch, wie ich nicht zweifle, sehr bald bei anderen Krankheiten das gleiche erreichen. Es eröffnet sich damit ein vielverheißendes Arbeitsfeld mit Aufgaben, welche wert sind, den Gegenstand eines internationalen Wettstreites der edelsten Art zu bilden. Schon jetzt die Anregung zu weiteren Versuchen nach dieser Richtung zu geben, war einzig und allein der Grund, daß ich, von meiner sonstigen Gewohnheit abweichend, über noch nicht abgeschlossene Versuche eine Mitteilung gemacht habe. Und so lassen Sie mich denn diesen Vortrag schließen mit dem Wunsche, daß sich die Kräfte der Nationen auf diesem Arbeitsfelde und im Kriege gegen die kleinsten, aber gefährlichsten Feinde des Menschengeschlechts messen mögen, und daß in diesem Kampfe zum Wohle der gesamten Menschheit eine Nation die andere in ihren Erfolgen immer wieder überflügeln möge."

Welch ein Erlebnis! Etwas für unmöglich Gehaltenes scheint diesem großen Zauberer nun gleichfalls gelungen zu sein. Er hat auch das Heilmittel gegen die Tuberkulose gefunden. Einen Teilerfolg nimmt man gern und übergläubig bereits für das Ganze. Die furchtbarste Seuche der Menschheit ist heilbar, muß heilbar sein, wenn dieser Meister es sagt. Sein Wunder- und Zaubermittel nennt er Tuberkulin.


Robert Koch.
[328a]      Robert Koch.
Fotografie von Wilhelm Fechner, um 1900.

Robert Koch.
Robert Koch.
Gipsbüste von Johannes Pfuhl, 1904.
[Die Großen Deutschen im Bild, S. 412.]
Die späteren hartnäckigen, teilweise gehässigen Kämpfe für und gegen das neue Tuberkulosemittel Robert Kochs sind nicht nur den Ärzten, sondern auch in Laienkreisen bekannt. An Koch hat es gewiß nicht gelegen, wenn sein Heilmittel von Anfang an überschätzt wurde, als habe mit seiner Entdeckung der Tod auf Erden verspielt. Abstand der Zeit hat die Menschen besonnener und ruhiger darüber [327] denken gelehrt. Entscheidend bleibt auch heute, daß mit dem Tuberkulin ein neuer Weg der Seuchenbekämpfung beschritten wurde, der unabschätzbaren Segen in sich barg. Nach Kochs Auffassung sollte es nicht das Allheilmittel, sondern eine der vielen Abwehrmöglichkeiten gegen die Seuchen werden.

Für den angefeindeten Forscher folgen nach Jahren aufsteigenden Ruhmes belastende Jahre der Krise, auch in seinem privaten Leben. An der Seite seiner zweiten jungen Frau wird dem einsam gewordenen Mann ein zweites Dasein inneren Friedens, neuer Schaffenskraft und neuer, weit ausgreifender Pläne geschenkt, ein Menschenglück, dem er sich in den früheren Jahrzehnten wissenschaftlicher Arbeit nur zu gern und bereitwillig entzogen hatte. 1905 wird ihm der Nobelpreis verliehen. Es gab keinen Würdigeren. Bei der Überreichung spricht er in Stockholm gleichsam vor dem Forum der Welt nochmals über sein gewaltiges Werk. Er betont, daß der Kampf gegen die Tuberkulose vor allem ein Kampf gegen ihre Infektionsquelle sein müsse. Das hatten inzwischen die Regierungen aller Kulturvölker begriffen und im Dienste der Gemeinschaft bewundernswerte Arbeit geleistet. Überall sei nach Möglichkeit dafür gesorgt, günstigere Wohnungsverhältnisse zu schaffen, das Sonnenlicht sei als nächster Hilfsfaktor der Volksseuche erkannt, Lungenheilstätten und Hospize seien erbaut worden. Mit diesen zweckvollen Bestrebungen gehe die Tuberkulosebekämpfung durch Aufklärung und Belehrung Hand in Hand.

Mit Freuden darf es später Robert Koch noch erleben, daß der wissenschaftliche Streit um sein Tuberkulin nach langen Jahren der Krise zu seinen Gunsten sich entschied, je umsichtiger das Mittel selbst vervollkommnet und je mehr es von nachteiligen Nebenprodukten befreit wurde. Der fünfundzwanzigjährige Gedenktag der Entdeckung des Tuberkulosebazillus bringt ihm einen tiefen, nachhallenden und endgültigen Triumph. Ihm zu Ehren gründen seine Anhänger die "Robert-Koch-Stiftung" zur Bekämpfung der Tuberkulose, die mit einem Millionen-Vermögen ins Leben gerufen wurde. Robert Koch vermag die Stiftung persönlich nicht entgegenzunehmen, er befindet sich bereits einem neuen Gegner in Afrika gegenüber, dem Erreger der Schlafkrankheit. Unvergleichliches leistet er noch bei der Bekämpfung der Malaria und spürt endlich auch beim Schwarzwasserfieber den ursächlichen Zusammenhang auf.

Robert Koch im Tropenzelt.
[312b]      Robert Koch im Tropenzelt auf einer Insel im Victoria-See
während seiner Expedition zur Bekämpfung der Schlafkrankheit im Jahre 1906.

[Bildquelle: Institut Robert Koch, Berlin.]

Robert Koch bei Daressalam in Deutsch-Ostafrika, 1906.
[312b]      Robert Koch bei Daressalam in Deutsch-Ostafrika, 1906.
[Bildquelle: Institut Robert Koch, Berlin.]

Ein Menschenleben, überreich an Begnadung, überreich an Arbeit und auch überreich an Lohn und Erfolg, war noch längst nicht zu Ende gelebt, als ein schweres Herzleiden den Gelehrten befiel und im Ablauf weniger Jahre seinem Leben ein Ziel setzte. Am 27. Mai 1910 schließt er in Baden-Baden, wo er noch einmal Besserung seines Zustandes zu finden hoffte, für immer die Augen. Keine Worte könnten trefflicher sein Lebenswerk kennzeichnen als die auf einer von der Berliner Ärzteschaft für ihn gestifteten Medaille:

"Aus der Welt im kleinen schufest Du Deine Größe und erobertest den Erdkreis, der dankerfüllt Dir den Kranz der Unsterblichkeit reicht."




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