SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor

[Bd. 2 S. 49]
Prinz Eugen von Savoyen, 1663-1736, von Reinhold Lorenz

Prinz Eugen von Savoyen.
Prinz Eugen von Savoyen.
[Nach kaar.at.]
Nur ein halbes Jahrhundert liegt zwischen dem Erlöschen Wallensteins im Nachtdunkel eines politischen und persönlichen Zusammenbruchs und dem Eintritt Eugens in die kaiserliche Armee, welcher mit ihm eine neue Führergestalt von weltgeschichtlichem Ausmaß gegeben wurde – nur wohl noch größer als ihr Vorgänger in ihren Fähigkeiten, einfacher und überzeugender in ihrem Charakter, unbestrittener in ihrem Ruhm und ihrer Leistung. Der Friedländer war nach seiner Herkunft als Sohn böhmischer Landedelleute, nach der slawischen Wurzel und der deutschen Entfaltung seiner Bildung und selbst in der Abwendung vom ererbten Protestantismus zugunsten eines politisch gefärbten Katholizismus durchaus österreichisch im Sinne der werdenden dynastischen Großmacht. Der Savoyer dagegen ist eigentlich ein in Paris geborener Italiener gewesen, gehörte im Vaterstamme als Sohn des Grafen Moritz von Savoyen-Carignan dem Hause von Piemont an und war durch seine Mutter Olympia Mancini ein Großneffe des Kardinals Mazarin, der seine römische Verwandtschaft aus der Enge ihrer kleinadeligen Verhältnisse in die blendende Nähe des Bourbonenhofes gerückt hatte. Aber wie Wallenstein in seinen Aufgaben und Zielsetzungen durch das Eingreifen der germanischen Völker des Nordens und die Verlegung der Kriegsschauplätze nach Nord- und Ostdeutschland ganz aus der österreichischen Überlieferung heraustreten mußte, so wurde es auch sein Schicksal, aus keineswegs vom Herkömmlichen seines Standes sehr abweichenden Anfängen heraus zu einer nur mehr mit Hilfe des Gestirneglaubens erträglichen Einsamkeit zu reifen. Eugen dagegen nahm, losgerissen von allen Überlieferungen und Bindungen an Familie und Geburtsland, als Einsamer seinen Weg nach Österreich, um sich dann in den mehrhundertjährigen Spuren österreichischer Sendung und Großmachtbildung auf einer unerhörten Siegesbahn immer höher tragen zu lassen. Trotzdem war die geschichtliche Stellung beider Männer nicht allein von der Leidenschaft des geborenen und berufenen Soldaten, sondern von der Inanspruchnahme eines förmlichen Kronfeldherrntums bestimmt, um durch die Übereinstimmung von Heerführung und Staatskunst die Einheit von Macht und Frieden zu erreichen. Und so wesentlich verschieden ihre menschliche Eigenart geprägt sein mochte, sie beide, der geborne Slawe und der Romane, haben mit wachem Bewußtsein ihr ganzes persönliches Dasein in die Spannung zwischen dem Hause Österreich und dem Reiche der Deutschen hineingestellt, um diese zu [50] überwinden. Beide gehören deshalb, wie es schon ihre Zeitgenossen empfanden, der deutschen Geschichte in einem ganz großartigen Sinne an.

Mit zwanzig Jahren zog Eugen zum erstenmal die Summe seines bisherigen Lebens. Er wandte sich in feindseligem Entschlusse von der seine Jugend überschattenden Majestät des Bourbonen ab, er ließ Stadt und Land seiner Knabenjahre, seine Angehörigen, Freunde und Verbindungen hinter sich, um einer völlig ungewissen Zukunft willen. Niemand, der Eugens unglückliche Jugend kennt, wird seine Entscheidung als Ausfluß unreifer Abenteuersucht verkleinern dürfen. War nicht alles Glänzende seiner Geburt und seiner Begabung nur dazu da, um in tückischer Weise zum Hintergrund eines verwünscht unfruchtbaren Daseins zu dienen? Der Renaissance-Palast Carignan, in dem er aufgewachsen war und wo er selbst den Allerchristlichsten König als Gast wie einen Abgott hatte bestaunen können, entbehrte des frühverstorbenen Vaters. Er wurde der Schauplatz unerquicklicher Fehden zwischen seiner Mutter, der allmählich vernachlässigten Jugendfreundin Ludwigs XIV., und der ahnenstolzen Großmutter Bourbon, die in einem besonderen Flügel des Hauses mit ihrer an den badischen Hof verheirateten, aber in Paris verbliebenen Tochter wohnte. Olympias Versuche jedoch, das schwindende Glück bei Hofe neuerlich an sich und die Ihren zu fesseln, führten dank ihrer unüberlegten Verbindung mit der Voisin, der verrufenen "Zauberin" der Hauptstadt, und dem unauslöschlichen Hasse, den der mächtige Louvois gegen sie gefaßt hatte, erst recht zum vollen Zusammenbruch ihrer gesellschaftlichen Stellung und nötigten sie zur Flucht ins Ausland. Eugen als jüngster von Olympias fünf Söhnen, noch dazu schwächlich und unschön, wurde mit zunehmendem Alter nur immer mehr und mehr seiner Benachteiligung gewahr. Man ließ ihn, wie es bei spätgeborenen Adelssöhnen vorkam, Kleider wie ein Kleriker tragen. Man bemühte sich, ihn für die Zukunft mit ein paar standesgemäßen, geistlichen Pfründen zu versorgen, und kümmerte sich nicht im geringsten um seinen immer leidenschaftlicheren Wunsch nach militärischer Ausbildung. Nur durch die List und Beharrlichkeit des Zurückgesetzten errang er sich eine seinen ältern Brüdern einigermaßen ebenbürtige, körperliche Gewandtheit und verschaffte sich etwa auf dem Umwege über den Mathematikunterricht die Grundlagen der Festungsbaukunst.

Die Berufung zum Dienste in diesem königlichen Frankreich und in seiner Armee, die damals unbestritten den Rang der spanischen und schwedischen überholt hatte und zum Vorbild der großen Mächte Europas wurde, galt dem werdenden Manne als Verheißung und Ziel. Doch endlich brachte seine beharrliche Weigerung, von den Absichten auf die militärische Laufbahn abzulassen, seine Großmutter Bourbon derart auf, daß sie ihn aus dem Hause des Vaters wies und die Sperre aller Geldmittel für ihn veranlaßte. Eugen zog nun seine Soutane endgültig aus, und da er auch von seiner savoyschen Verwandtschaft, die sich älterer Brüder von ihm angenommen hatte, nichts erhoffte, schlug er sich noch eine Zeitlang in den kümmerlichsten Verhältnissen, auf das Schuldenmachen und die Unterstützung gleich- [51] altriger Freunde angewiesen, durch. Unter diesen bot ihm der Prinz Conti seine Hilfe zu der dann unvergeßlich gewordenen Vorsprache um die Verleihung eines Oberstenpatentes bei Ludwig XIV. an. Ihr Verlauf kann angesichts der allgemeinen Geringschätzung des eigensinnigen, häßlichen Burschen und der besonderen Abneigung gegen seine landflüchtige Mutter nicht wundernehmen. Da riß der Klang der Kriegsfanfare den von seiner Wahlheimat zurückgestoßenen Savoyarden aus der Verstrickung in die Versuchungen des Elends und einer aussichtslos gewordenen Jugend. Sein ältester Bruder Ludwig, der von Turin aus in kaiserliche Dienste wider die Österreich abermals heimsuchenden Türken geeilt war, hatte beim Rückzug des Lothringers auf der östlichen Straße nach Wien einen frühen Tod gefunden. Sein Regiment war ledig, und der Heilige Krieg bot jedem Mutigen die Gelegenheit zur Erprobung.

Eugens Entschluß war augenblicklich gefaßt und sein Freund Conti ebenso für die Reise an den Kaiserhof gewonnen. Ihre überstürzte Abreise aber erbitterte König Ludwig, der auch jetzt die Sache des Kaisers keineswegs als die seine anzusehen gesonnen war und ein solch selbständiges Vorgehen junger Edelleute als Geringschätzung seiner Würde betrachtete. Er verhängte sofort ihretwegen über die französische Rheingrenze ein Ausreiseverbot. Aber der Weg der Flüchtlinge ging über Brüssel, wo Eugen seine nach Rache an Ludwig ausspähende Mutter wieder begrüßte, zunächst nach Frankfurt. Dort erreichte Eugen und Conti ein Bote des Bourbonen, der aber nur den Prinzen aus königlichem Geblüt unter Drohungen und Verheißungen zur Rückkehr nach Frankreich bewegte. Eugen jedoch, nunmehr nur sich allein verantwortlich, ritt über Regensburg ans kaiserliche Hoflager nach Passau weiter, wo er auf die Fürsprache des ihm verwandten Markgrafen Hermann von Baden bei Leopold hoffen durfte. Hier wurde der Prinz, der nur mehr mit Erbitterung von dem König Ludwig sprechen konnte, der das Ideal seiner Kindheit gewesen war und der ihn dann höhnisch von sich gestoßen hatte, durch Kaiser Leopold, der selbst so schwer unter dem französischen Druck litt, freundlich empfangen. War auch über das Regiment seines Bruders schon anderweitig verfügt und vermochte er sich infolge seiner Mittellosigkeit nicht den glänzenden, ausländischen Kavalieren im Gefolge des bayrischen Kurfürsten anzuschließen, so durfte er den Krieg doch in der Umgebung seines süddeutschen Vetters, des badischen Ludwig, kennenlernen, der sein letzter und bedeutendster Lehrer werden sollte. Wenn dieser als Sohn einer Bourbonin und Patenkind des Roi soleil doch ganz von deutschem und reichsfürstlichem Bewußtsein erfüllt war, konnte dies auf den Jungen nicht ohne Eindruck bleiben.

Schon nach wenigen Wochen wurde Eugen an der Schwelle seines neuen Lebens eine Begnadung, ein einzigartiges Erlebnis zuteil. Wie wenige weltgeschichtliche Ereignisse können sich an Entscheidungsschwere mit der Kahlenbergschlacht und der Befreiung Wiens am 12. September 1683 messen, und wo hätten sich so wie hier die weltgeschichtlichen Kräfte und Gegenkräfte, Angriffshandlungen und Widerstände so sinnfällig dargestellt und schließlich an einem alles entscheidenden einzigen [52] Tage zusammengeballt! Aber während schon die Zersplitterung der Verantwortung zwischen dem abwesenden Kaiser, dem namentlichen Oberbefehlshaber Johann Sobieski und dem eigentlichen Feldherrn Karl von Lothringen die Verkörperung dieses Geschehnisses in einer einzigen Persönlichkeit für immer verhindert hat, wurde es für den genialsten Kopf, der fast unbeachtet unter all den kämpfenden Zehntausenden weilte, zur Wende seines Lebens, zum Fingerzeig künftigen, größten Ruhmes. Eugen hat als heranwachsender Junge in Paris die Feldzüge der Siebzigerjahre, die Ludwig XIV. noch mehr zum Teilhaber der deutschen Geschicke machten, sicher mit gieriger Anteilnahme verfolgt. Aber wie fern war er doch körperlich und geistig noch diesen Dingen, und was bedeuteten sie gegen das, was sich jetzt vor seinen staunenden Augen vollzog! Welcher Meister der Kriegskunst war dieser Lothringer, der sich über seine eigene Schule bei Montecuccoli und das Jugenderlebnis seiner Feuertaufe von Sankt Gotthard weit erhob, als er nach wohlüberlegtem Manövrieren angesichts eines zehnmal stärkern, fanatischen Gegners die so verschiedenartigen Heervölker von Rhein, Elbe und Weichsel an der einzig richtigen Stelle, dem Tullnerfelde, zusammengefaßt hatte und sie allen Bedenken zum Trotz mit gesammelter Kraft im richtigen Zeitpunkt über das Kahlengebirge zum Vernichtungsstoß gegen den Türken ansetzte. So wenig sich der junge Savoyarde dem Hochgefühle eines berauschenden Sieges entzogen haben mag, zumal er selbst am Abend dieses blutigen Sonntags an der Seite Ludwigs von Baden ins befreite Wien einziehen durfte, so hat er wohl durch seine dem Lothringer nicht geneigte badische Verwandtschaft immer wieder auch kritische Stimmen zur Führung des Feldzuges vernommen. Neben solche militärische Eindrücke – zu denen doch auch der erstmalige Anblick östlichen Steppenkriegertums in den Polen Sobieskis gehörte – traten für Eugen ebenso gebieterisch die politischen. Als eine mannigfaltige und uneinheitliche geschichtliche Welt, die so ganz anders war als die geschlossene und zielgestraffte Einheit der ihm bisher allein bekannten bourbonischen Monarchie, lernte er in diesen Tagen wie im verschönernden Spiegelbilde auch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation des alternden 17. Jahrhunderts kennen. Die kaiserliche Armee aber unter ihrem Generalleutnant, dem Herzog Karl von Lothringen (auch dieser aus einem romanischen Außengebiete des Reiches wie Savoyen und seit seiner Jugend Flüchtling vor Frankreich wie Eugen selbst) und dem Hofkriegsrat (an dessen Spitze damals Markgraf Hermann von Baden) stellte schon ihrer Zahl nach zugleich die Kerntruppe des Reiches und des Hauses Österreich dar. Kaiser Leopold selbst blieb, um allzu große Spannungen in diesem schwierigen Gefüge zu vermeiden, still und ernst im Hintergrunde, bewußt seiner unersetzlichen Würde, ohne welche keine deutsche und abendländische Ordnung möglich war, und gewillt, ihr mit allen Mitteln des Zeremoniells Nachdruck zu verleihen.

So lernte Eugen den Krieg, nach dem sich sein junges, feuriges Blut in Paris so oft vergeblich gesehnt, unmittelbar nach seinem Eintritt in Österreich in der [53] großartigsten Gestalt als Auseinandersetzung zweier Kulturen kennen. Er sah vom Kahlenberge aus den Kern des Osmanischen Reiches in seiner militärischen Form als Kriegslager im feindlichen Lande unter dem Großwesir-Seraskier und der Grünen Fahne des Propheten. Er beobachtete kämpfend die Kriegsweise der Türken und ihrer hier endlich vereinigten Gegner, der Deutschen und der Polen. Doch auch die Seele der Landschaft, die ihm zur zweiten Heimat werden sollte, offenbarte sich dem fremden Jüngling inmitten eines ungeheuren äußern Geschehens wie vielleicht noch keinem vorher. Der ihm von Ludwigs Rache aufgezwungene Reiseweg über das spanische Brüssel und die Reichsstädte Frankfurt und Regensburg (den beiden wichtigsten des damaligen Deutschland!) nach Passau mochte ihm für die Zukunft eine lebendige Vorstellung von der politisch-militärischen Achsenlagerung Niederlande-Rhein-Donau in ihrer Bedeutung für das Reich der Deutschen und das Haus Österreich gegenüber Frankreich vermittelt haben. Jetzt durfte er nach dem Ritte längs der österreichischen Donau Wien, des Reiches erste Residenz und Festung, mit ihrem himmelragenden Wahrzeichen erblicken, und sein Auge schweifte, wenn es die Ausläufer der Alpen hinter sich ließ, frei über die Ebene beiderseits des ostwärts drängenden Stromes bis zu den Kleinen Karpathen und die Gegend der Porta Hungarica. In den diesem Kahlenbergsieg folgenden Herbstwochen aber ging es donauabwärts über die Grenze des Heiligen Reiches vor Preßburg mit den Kaiserlichen, Bayern und Polen bis ins Türkische Ungarn hinein, das damals noch zwischen Komorn und Gran begann. Dem Savoyarden war also drei, vier Monate nach seiner Flucht aus Paris außer Deutschland auch der abendländische Ostraum in seiner grenzenlosen Weite, mit seinen slawischen und madjarischen Menschen und seinen, für eine neue Lösung aufgeschlossenen, besondren Fragen im Umriß bekannt, wobei sich Eugen seines Vetters Ludwig von Baden als eines ebenso erfahrenen wie einer großen Zukunft gewärtigen Mentors erfreute. Der abenteuerliche Zug seines Lebens, zu dem er durch das Unverständnis aller für sein Los in Frankreich Maßgebenden gedrängt war, schwand wieder in der Bewährung unter völlig neuen Verhältnissen, und die verwegene Tapferkeit, mit der er in entscheidenden Augenblicken immer wieder an der Spitze der Mannschaft sein Leben aufs Spiel setzte, war doch echt soldatisch höhern Zwecken der Führung eingeordnet.

Noch vor Jahresende erhielt er, schon auf Grund eigener Bewährung, das Oberstenpatent der Kufstein-Dragoner. Die Muße der winterlichen Waffenruhe aber nutzte er von nun an, um sich als Kavalier in der großen Welt umzusehen, ohne doch am damals recht ausgelassenen Münchener Hofhalt oder beim europäischen Karneval in Venedig seinen so schwer errungenen gesellschaftlichen und moralischen Rang in Österreich jemals in Frage zu stellen. Als er im Herbst 1685 die Stufe eines Generalfeldwachtmeisters erreichte, war er so jung schon einer der vornehmsten und tapfersten jener vielen Italiener, die neben Wallonen und Lothringern ihr Glück als kaiserliche Offiziere machten, während Franzosen (sofern es sich nicht um Ingenieure handelte) Volontiers blieben, wie z. B. jener [54] Villars, den Eugen damals kennenlernte. Olympia Mancini freilich suchte damals noch in Spanien für sich einen höfischen Rang, wie sie ihn einst in Paris besaß, und für ihren Sohn einen glänzenden Posten und eine entsprechende Heirat. Aber mit einem Besuche in Madrid, wo Eugen seine Mutter zum letztenmal sah, war für ihn selbst diese Versuchung fort von Österreich abgeschlossen.

Nur gemessen an dem Einmaligen, das an persönlicher und geschichtlicher Wende, an Erlebnisfülle und Entscheidungen Deutschlands letztes Türkenjahr für Eugen gebracht hatte, bedeuteten die nächsten Jahre Entspannung und vielleicht auch eine gewisse Enttäuschung für das reifende Genie, das sich nun des richtigen Weges bewußt geworden. Im August 1686 erlitt Eugen bei der siegreichen Belagerung von Ofen, wo er zum erstenmal Brandenburger im Kampfe sah, eine Verwundung durch einen türkischen Pfeil. Und als der jugendlich draufgängerische Kurfürst Max Emanuel, der den großen Lothringer im Oberbefehl ablöste, Belgrad den Osmanen entriß (1688), wurde Eugen durch eine Musketenkugel empfindlich am Knie verletzt und mußte vom Kriegsschauplatz nach Wien gebracht werden. Doch diese Siege der deutschen Waffen, welche noch zu Beginn des Jahrzehnts völlig außer der Berechnung der europäischen Kabinette waren, führten zu einem neuen Eingreifen König Ludwigs in Deutschland, welches für immer durch die Ruinen der Rheinpfalz bezeichnet werden sollte. So kreuzte Eugen, nun schon General und ganz seinem neuen Vaterlande zugehörig, vor Mainz zum erstenmal die Klinge mit den Franzosen. Wurde er dabei auch abermals verwundet, so hat dies wie alle folgenden Kriegsgefährdungen ihn doch nie dauernd seinem Soldatenberuf entziehen können.

Gleich bei Beginn des neuen Französischen Krieges, der alle Gegner der bourbonischen Weltherrschaftsansprüche – voran das England Wilhelms von Oranien und der Glorreichen Revolution – auf die Kampfbahn rief, hatte der Kaiser mit der beabsichtigten Gewinnung des Herzogs Viktor Amadeus von Savoyen für diese Koalition dem Prinzen die erste, ganz selbständige Aufgabe zugedacht. Sie erforderte vor allem diplomatische Begabung und war angesichts der Unentschlossenheit und Doppelzüngigkeit des Hauptes des Hauses Savoyen auch unter Einsatz des jetzt schon alle seine nähern Verwandten an Ansehen überragenden Prinzen wohl verfrüht. Nach dem Mainzer Zwischenspiel aber war die europäische Lage so weit gereift, daß Leopold Eugen 1690 abermals nach Piemont sandte, wo er von da an sechs Jahre lang eine wenig beneidenswerte militärisch-diplomatische Doppelrolle zu spielen gezwungen war. Doch erhielt er gleich anfangs die Genugtuung, daß er so, wie er sich's wohl beim Verlassen französischen Bodens zugeschworen, ihn nun mit den Waffen in der Hand wieder betrat. Und wenn mit den vorhandenen Mitteln und bei den schwankenden Befehlsverhältnissen, die Eugen lange nicht einmal die klare Verfügung über die kaiserlichen Regimenter ließen, keine großen Erfolge zu erzielen waren, so lernte er immerhin nach den ungarischen nun auch die ganz andersartigen italienischen Gefechtsfelder kennen. Als 1696 aber Viktor Amadeus wieder zu Frankreich neigte [55] und sein Land durch einen Neutralitätsvertrag für Italien sicherte, da schwankte Eugen keinen Augenblick lang in seiner Treue für Österreich. Er war ein vierunddreißigjähriger Mann, noch voll überströmendem, jugendlichem Tatendrang, als eine glückliche Fügung mit einemmal all seine Fähigkeiten entfesselte und ihm den ersehnten Lorbeer in den Schoß warf.

Nach Eugens Meinung hätte der Kaiser die schwere Demütigung und Friedensberereitschaft der Türken um 1690 zur Erzielung eines vorteilhaften Friedensschlusses im Osten benutzen sollen. Aber Wien führte den Heiligen Krieg um die Wiedergewinnung Ungarns fort und nahm gleichzeitig die schwere Belastung an der Westflanke des Reiches auf sich. Diese Doppelaufgabe ging jedoch nach den jahrelangen sieg- und verlustreichen Kämpfen über die Kräfte der kaiserlichen Armee und des Reiches. Markgraf Ludwig von Baden, der jetzt als die bedeutendste militärische Führergestalt hervortrat, schlug zwar die Türken bei Slankamen an der Theiß, wohin sie nach der Rückeroberung Belgrads gedrungen waren, siegreich aufs Haupt, dann mußte aber der "Türkenlouis" in aufreibenden, entscheidungslosen Kämpfen der französischen Übermacht am Rhein standhalten. Unterdessen suchte zwar Kurfürst August von Sachsen, der Sohn des Mitstreiters vom Kahlenberge – nach dem Lothringer, Bayern und Badener der vierte Reichsfürst als Oberbefehlshaber in Ungarn –, vergeblich den Ruhm eines neuen Türkensiegers. Die Zustände erheischten vielmehr eine gründliche Wandlung durch die Hand einer hochbefähigten und unverbrauchten Persönlichkeit. Wenn dafür auf Empfehlung des Hofkriegsratspräsidenten Starhemberg, des einstigen Verteidigers von Wien, Leopolds Wahl auf den eben in Italien freigewordenen Eugen fiel, so gehörte dies wieder zu der oft merkwürdig glücklichen Besetzung führender Posten unter seiner Regierung, welche die Mißgriffe im Ergebnis weit überwogen und ihn für seine Zeitgenossen zum "Großen" erhoben.

Eugen sollte ursprünglich als Untergeneral die bedenkliche Lage in Ungarn bessern. Als aber dem starken August die Wahlkrone von Polen winkte, überließ er gern den Befehlsstab in dem noch halbbarbarischen Lande dem Prinzen von Savoyen. Die Soldaten, die freilich eines glänzenderen Eindruckes von dem neuen Feldherrn gewärtig sein mochten, begrüßten den unscheinbar gekleideten und körperlich häßlichen Ankömmling als den "kleinen Kapuziner", was bald zu einem Ehrentitel werden sollte. Wie unbestechlich durchschaute er sofort die durch die Verelendung und Entmutigung der Kriegsvölker gekennzeichnete Lage; wie fieberhaft arbeitete er von der Stunde seiner Ankunft an, um die Schlagkraft und das Vertrauen der Soldaten gleichzeitig zu heben. Für planmäßige Erneuerungsarbeit, zu deren Unterstützung er die Wiener Zentralstellen von da an immer wieder anrief, war jetzt freilich nur eine ganz geringe Spanne Zeit gegeben. Denn schon erfuhr man die Annäherung eines vom Sultan persönlich geführten Heeres von Belgrad her. Die jetzt sofort einsetzenden Maßnahmen Eugens erinnern gewiß an seinen ersten, deutschen Lehrer in der Kriegskunst, den Herzog von Lothringen; so die ebenso überlegte wie willensstarke [56] Heranziehung aller überhaupt verfügbaren Truppenkörper auf einen wohlausgesuchten Punkt, welcher den eigenen Entwürfen entspricht und sie doch nicht verrät; so die Hinundhermärsche angesichts des überlegenen Feindes, die zwar das Letzte aus der Mannschaft herausholen, aber sie mit der Gefahr vertraut und den Gegner unsicher machen; so endlich das überraschende, rücksichtslose Zugreifen in der entscheidenden Stunde und auf dem einzig richtigen Orte, wobei Eugen gegenüber seinem Vorbilde die unbedingte Verfügungsgewalt über alle Gliederungen seiner Armada zugute kam. Nachdem also der neue Befehlshaber den Türken von Peterwardein an die Theiß abgedrängt hatte und beide Gegner längs des Flusses Szegedin zu aufwärts gezogen waren, gelang es Eugen, in verwegenem Angriffsspiel das feindliche Heer bei Zenta in dem Augenblicke zu stellen, als es gerade gegen Siebenbürgen ausweichen wollte, und es dann unter ausgezeichneter Benutzung des Geländes bis nahe an die Vernichtung zu schlagen. Dem Sultan selbst blieb nur der schleunige Rückzug ins Innere seines Reiches übrig.

Nun konnte die Ernte langer, blutiger Kriegsjahre in die Scheuer gebracht werden. Im Westen erkannte König Ludwig durch den im Jahre von Zenta abgeschlossenen Frieden von Rijswijk die Grenzen seiner Machtausdehnung am Rhein und in Italien endlich an. Die vereinigte Kraft des Hauses Österreich und des Reiches hatte in der neuartigen Verbindung mit den Bourbon feindlichen Seemächten den Zauber der Unbesiegbarkeit Frankreichs zerstört, wenn auch bei einer neuen Wendung, die durch die eigentümliche Lage Spaniens wahrscheinlich war, sich die europäische Lage wieder gefahrdrohend gestalten konnte. Der Sieger im Osten aber wußte selbst am besten, daß sein Heer erst nach völliger Erneuerung fähig war, zum Angriff auf das Osmanische Reich überzugehen. Im Frieden von Karlowitz brachte der Sultan sehr ernste Opfer. Sie erfüllten zwar nicht die Hoffnungen, welche vor dem französischen Rückenangriff berechtigt waren, als kaiserliche Reiter durch Serbien und Bosnien streiften, schlossen aber noch immer die Abtretung ganz Ungarns mit dem Fürstentum Siebenbürgen und nur mit Ausnahme des Temeser Banates ein. Österreichs Heer aber besaß nun für die ungewissen Wechselfälle der Zukunft einen Führer, der, mit ihm auf Gedeih und Verderb verbunden, schon durch seinen Namen einen Zauber ausübte wie keiner seit Wallenstein, der jedoch als ein in dieser Armee heimisch gewordener Fremdling zugleich das Vorbild vollendeter Treue und Einordnung im Staate bot. Wohl hatte er damals die Zeit eigener Dürftigkeit durch die Gunstbezeigungen seines kaiserlichen Herrn längst hinter sich. Seine einstige Schuldenlast war bis auf den letzten Pfennig abgetragen, und schrittweise entstand der Bau seines Winterpalastes in der Wiener Himmelpfortgasse. Doch um so wirksamer vermochte er seine Grundsätze von Offiziersehre, welche z. B. den Kauf von Offiziersstellen verpönten, zur Geltung zu bringen. Allerdings blieb die Heeresverwaltung in einer Weise auf die monopolartige Belieferung durch die meist aus westdeutschen Gettos kommenden Großhändler und Staatsbankiers angewiesen, daß selbst ein Eugen dagegen wenig [57] Rat wußte. Wohl verlangte er etwa vor Zenta, gegen die Oppenheimers selbst mit Gewalt vorzugehen, damit ihre Lieferungen pünktlich eingehalten würden, und als sein badischer Vetter ihm die Dienste Em. Oppenheimers empfahl, wollte er sich die Untersuchung ihrer Zweckmäßigkeit für den Kaiser vorbehalten. Aber mit der Gelegenheit der langen Kriege stiegen trotz der wenig geschickten Gegenmaßnahmen der Hofkammer die geschäftliche Waghalsigkeit und die gesellschaftlichen Ansprüche dieser Leute. War Sam. Oppenheimer, wohl der bedeutendste ihrer Art, noch glücklich, wenn ihm Eugen aus der Türkenbeute hebräische Bücher für seine Bibliothek anwies, so wußte ein Wolf Wertheimer bereits sich Zutritt zu Jagden zu verschaffen, an denen auch der Prinz teilnahm. Als aber Simon Wertheimer von ihm die Rückziehung eines Befehls über die Ausweisung der Juden aus Temesvar erbat, schlug Eugen dies mit der Begründung ab, der Handel dort sei von Christen leicht zu versehen und daher ihnen zu vergönnen.

Prinz Eugen von Savoyen.
[64a]      Prinz Eugen von Savoyen.
Gemälde von Johann Kupetzky.
Wien, Robert Haardt.
Jetzt, wo die überragenden Eigenschaften des Prinzen aller Welt offenbar geworden, gab ihm ein großes Schicksal immer neue Gelegenheit, sie im Dienste weltgeschichtlicher Mächte zum Einsatz zu bringen. Um die Jahrhundertwende begann jene als Spanischer Erbfolgekrieg bezeichnete, nicht einmal auf Europa beschränkte politisch-militärische Auseinandersetzung, in welcher sich große nationale Entwicklungsströme mit den idealen und den rechtlich oft unklar verbrieften Ansprüchen der wichtigsten Herrscherhäuser aufs merkwürdigste verquickten und überschnitten. Ehe aber noch die neue kontinentale Frontenbildung Bourbon-Habsburg das abermalige und kräftigere Einschreiten der Seemächte gegen die Gewinnung der großen spanischen Monarchie durch Ludwig XIV. für seinen Enkel zu Folge hatte, ging Eugen wieder nach Oberitalien, um die drohende Vereinigung feindlicher Kräfte über Südtirol hintanzuhalten. Sobald er nun erfuhr, daß sein Gegner Catinat bei Chiusa bereits den Ausgang in die Po-Ebene sperrte, erhob er sich zu einem Entschlusse, der seit Hannibals Alpenübergang nicht seinesgleichen hatte. Er führte, unterstützt vom Tiroler Volke, unter dem kein einziger zum Verräter wurde, binnen drei Tagen einen Übergang über die Hochpässe der Dolomiten durch, für den die Kriegskunst der Zeit kein Vorbild und keine Schulung kannte und noch dazu in Hinblick auf die furchtbaren Mängel seiner Leute in Ausrüstung und Verpflegung geradezu unfaßbar scheint. Trotz der dadurch gelungenen Umgehung der französischen Stellung übertraf der moralische Eindruck der Tat bedeutend ihre unmittelbaren, militärischen Folgewirkungen. Denn die örtlichen Erfolge gegen Catinat und Villeroi reichten nicht zu einer Entscheidung aus, und ein am 2. Februar 1702 von Eugen angeordneter verwegener Handstreich auf Cremona, bei dem Villeroi als Gefangener in die Hände der Österreicher fiel, brachte nur die Ersetzung dieses mehr in höfischen Umtrieben an deutschen Fürstenhöfen als auf dem Schlachtfelde erprobten Generals durch Vendôme. Ludwigs XIV. und Leopolds I. bedeutendste Feldherren traten damals ohne großes Ergebnis einander gegenüber. Da bewegen endlich Eugens dringliche Vorstellungen – sie [58] zielten auf eine Erneuerung der kaiserlichen Wehrmacht von der Spitze her, um die Voraussetzungen für dauernde Erfolge der kaiserlichen Waffen sicherzustellen – den Kaiser zu seiner Berufung als Präsidenten des Hofkriegsrates und eröffneten damit auch seiner staatsmännischen Befähigung ein dankbareres Feld, als es die Sendungen nach Savoyen waren.

Schon stand die Sache des Kaisers derart, daß er, der um sein Recht an der spanischen Monarchie die Waffen ergriffen hatte, sich mit der Sicherung seiner Stammländer und seiner Hauptstadt beschäftigen mußte. Sie selbst waren vom Westen her durch die eifrige Betätigung Max Emanuels als Verbündeten der Franzosen und im Osten durch den neuen Aufstand der Kuruzzen unter dem jüngern Franz Rakoczy gefährdet. Eugen traf zur Meisterung dieser Verhältnisse persönlich in Preßburg die wichtigsten Vorkehrungen, um eine brauchbare Rückendeckung für Österreich zu schaffen und die Rakoczyaner durch Verhandlungen hinhalten zu können. Für den kommenden Sommer 1704 sollte vielmehr alle verfügbare Kraft zu einem entscheidenden Schlag in Deutschland zusammengeballt und der englische Bundesgenosse für die Absendung seiner in den Niederlanden stehenden Hauptstreitmacht auf denselben Kriegsschauplatz gewonnen werden.

Welche Wende von den hinreißenden Jugendeindrücken Eugens in Österreich zu seinen Aufgaben im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts! Dort noch einmal die gemeinchristliche Losung der Befreiung des bisher islamisch beherrschten Ostens, wobei die Abwesenheit des Allerchristlichsten Königs den geschichtlichen Beruf des Kaisers der Deutschen um so mehr in den Vordergrund rückte. Hier stand Eugen mitten im verheerenden Wettstreit der europäischen Staaten untereinander, als ob dieser nur auf die Erledigung des großen Feindes in Osten gewartet hätte, um mit verdoppelter Wucht wieder hervorzubrechen. Wenn dort unter der rotweißen Fahne des Reiches mit den katholischen auch evangelische Fürsten im Zeichen des beiden Bekenntnissen gemeinsamen Kreuzes fochten, wenn dann der Westkampf der neunziger Jahre nur eindeutige Abwehr französischer Überfälle auf Deutschland war, der dem Kaiser sogar den Beistand des Oraniers brachte, so führten jetzt gewaltige Pläne zur Umgestaltung der politischen Karte Europas die Staaten zu- und gegeneinander. So erreichte auch der Gegensatz der beiden katholischen Großmächte gerade im Streite um die Beerbung der einst bedeutendsten und noch immer weltumspannenden dritten seine Höhe. Eugen aber, dessen Aufstieg im kaiserlichen Dienste einst in Paris und Versailles höchstens Spott und Ärger erregt, der dann durch Zenta das Erstaunen aller Welt an seine Fahnen gefesselt hatte, ward nun berufen, an der Spitze einer großen Armee sich mit den Marschällen seines einstigen Monarchen zu messen. Nicht allein trat der Feldherr des Kaisers diesmal zur Entscheidung an, sondern mit dem Herzog von Marlborough als oberstem englischem Heerführer und Parteihaupt der eigentlich das kontinentale Bündnis tragenden Whigs. Im Juni 1704 trafen sich bei Mundelsheim die beiden, schon körperlich so verschiedenen Männer zum erstenmal, und ihr gegenseitiges [59] Verhältnis bestimmte von da an fast ein Jahrzehnt lang die europäische Kriegführung und Politik wesentlich mit. Sogleich entwickelte sich zwischen ihnen ein persönliches Vertrauensverhältnis, das zum Erstaunen schon der Zeitgenossen in der Folge alle Schwierigkeiten einer solchen Doppelstellung überwand und die große Befähigung beider aufs glücklichste zur Geltung brachte. Eugen, der Jüngere, trug zu dieser ins Persönliche aufragenden politischen Freundschaft das seine auch durch einen eigentümlichen Entschluß bei, in dem die menschlich und sachlich begründete Seite nicht mehr genau unterschieden werden können. Noch stand als der rangälteste General der Markgraf Ludwig in Süddeutschland, er, der Eugens erster Freund in der Fremde, sein Führer und Vorbild in den Ebenen Ungarns gewesen. Seine spröde und heftige Natur konnte wohl einem so außerordentlichen Menschen wie dem reifenden Savoyer, in ihrem wertvollen Kern anziehend und förderlich sein. Aber Eugen fühlte sich jetzt zur Übernahme der vollen Verantwortung berufen und lenkte Louis von der Teilnahme am geplanten Hauptschlag wider die vereinigten Franzosen und Bayern durch eine ihm nahegelegte Unternehmung gegen Ingolstadt ab. Mochte sich dieser dann auch, sobald der Überblick über die Ereignisse möglich war, getroffen fühlen und gegen Eugen für immer verhärten, so war wohl nur solcherart das reibungslose Verhältnis mit dem volle Gleichberechtigung beanspruchenden Engländer gewährleistet. So errangen sie denn am 13. August gegenüber der wenig aufeinander abgestimmten Führung der Gegner bei Hochstädt den ersten entscheidenden Sieg im bisherigen Verlauf dieses dynastischen Weltkrieges, der die Franzosen aus Süddeutschland hinaustrieb, Kurbayern den Kaiserlichen überantwortete und Max Emanuel für Jahre zum landlosen Flüchtling machte. Von dieser gewonnenen Grundlage aus waren erst die kommenden Feldzüge für die Engländer in den Niederlanden und den Kolonien und für die Österreicher in Italien und in Spanien mit Aussicht auf Erfolg zu führen.

Da starb aber, ehe eine neue Entscheidung gegen den französischen Weltherrschaftsanspruch hätte fallen können, Kaiser Leopold, der Eugens Aufstieg vom mittellosen Freiwilligen zum berühmtesten General seiner Armee binnen zweiundzwanzig Jahren, manchmal seiner Art nach zaudernd, in wichtigsten Wendungen aber mit entscheidender Förderung begleitet hatte. Als Eugen die winterliche Ruhe nach dem italienischen Feldzug von 1705, der Savoyen wieder an der deutschen Seite gesehen, zur Reise nach Wien benutzte, konnte er die Gewißheit mitnehmen, in dem jungen Kaiser Joseph einen ihm in Alter und Wesensart noch weit näher stehenden Monarchen zu besitzen. Und wirklich schien des Prinzen Geist wie von neuen Schwingen getragen, sobald er, wieder nach dem südlichen Kriegsschauplatz zurückgekehrt, die Kaiserlichen bis an die tirolische Grenze zurückgedrängt fand. Im Juli begann er den neuen Vormarsch nach Italien, und schon am 7. September entsetzte er, trefflich von den Preußen unter dem nachmaligen "Alten Dessauer" unterstützt, in einer Folge der verwegensten Angriffshandlungen [60] die schwer bedrängte Residenz des Herzogs von Savoyen. Turin, die Heimat seines Hauses, wurde von ihm, dem einst verspotteten "kleinen Abbé" der Franzosen, siegreich genommen, und wie vor zwei Jahren Deutschland, so ging jetzt auch Italien für Ludwig XIV. verloren! Eugen selbst wurde General-Gouverneur von Stadt und Festung Mailand, das damit endgültig aus dem spanischen Bereich gelöst war, und bald vereinigte er die höchsten überhaupt einem deutschen Soldaten zugänglichen Würden, die des kaiserlichen Generalleutnants und des erwählten Reichsgeneralfeldmarschalls in seiner Person.

Es kam die Zeit, da die Überfülle des Kraftgefühls in Wien und London, das zum guten Teil im grenzenlosen Vertrauen auf Eugen beruhte, von ihm als Gefahrenquelle für die Zukunft des anti-bourbonischen Europa erkannt wurde. Die Seemächte zwangen ihn geradezu, einen von ihm von vornherein als aussichtslos bezeichneten Zug nach Toulon zu unternehmen. Der Kaiser-Bruder Karl verlangte seine Anwesenheit in Katalonien, mußte sich aber mit Guido Starhembergs Hilfe begnügen, während der Kaiser in Italien sogar gegenüber dem Papste alte Reichsrechte geltend machte und durch Daun das Königreich Neapel erobern ließ. – Eugen drängte vielmehr darauf, nun die letzte und schwierigste Entscheidung, die Eroberung des französischen Kernlandes selbst, gemeinsam mit den Seemächten in Angriff zu nehmen. Von 1708 an hat er wieder im Verein mit Marlborough und im ständigen Einvernehmen mit dem holländischen Großpensionär Heinsius auf dem durch Vaubansche Festungsanlagen gesicherten niederländisch-französischen Grenzgebiet eine Reihe hervorragender Erfolge erzielt, welche die Zermürbung der bourbonischen Widerstandskraft beschleunigten. Der drohende Zusammenbruch des nordwestlichen Verteidigungswalles brach endlich den Stolz des "Sonnenkönigs", und nur gegen Eugens Vorschlag mißachtete man seine Verhandlungsbereitschaft auf Seite der Verbündeten durch die Aufstellung von Bedingungen, welche unmäßig hart das Ehrgefühl der Franzosen herausforderten und ein neues Aufflammen ihrer Widerstandskraft zur Folge hatten.

Da veränderte mit einem Male der parlamentarische Sturz der whigistischen Geldaristokratie durch die der Kriegslasten überdrüssige Gentry sowie der unerwartete Tod Kaiser Josephs und die damit im Reiche notwendig gewordene Nachfolge seines zum spanischen König ausgerufenen Bruders Karl die Weltlage unerwartet zu Ludwigs Vorteil. Denn eben jene Gleichgewichtsidee, derentwegen England auf die Seite Habsburgs getreten war, kehrte ihre Spitze nun gegen das Haus Österreich, dem jetzt das Erbe Karls V. nur mehr in einer Person offenstand. Obwohl Eugen die Notwendigkeit einer neuen Einstellung der Wiener Politik zu den europäischen Fragen anregte, hatte er noch schwer mit dem Eigenwillen des neuen Kaisers zu ringen, der ganz in dem Gedanken versponnen war, ähnlich seinem gleichnamigen Ahnherrn die Grundlagen seiner Monarchie in Spanien zu suchen. Da aber auch ein Staatsbesuch Eugens in London, wo er zwar vom Volke gefeiert und sein ritterliches Verhalten gegenüber dem gestürzten Marlborough anerkannt wurde, den Rücktritt Britanniens aus dem kontinentalen Bündnis nicht mehr [61] aufhalten konnte und diesem noch der von Holland folgte, so geriet Eugen nach so großartigen Siegen in eine recht schwierige Lage. Merkwürdig genug ist es dann Villars, seine zweifelhafte alte militärische Bekanntschaft, gewesen, mit dem er als gegnerischem Feldherrn und Unterhändler den Rastätter Frieden abschloß. Die spanische Monarchie wurde derart geteilt, daß Ludwigs Enkel als Herr über das spanische Mutterland mit seinen Kolonien einen neubourbonischen Zweig begründete, während der Kaiser seine Hausmacht über Nord- und Süditalien ausdehnte und aus dem alten burgundischen Erbe die bisher spanischen Niederlande zugewiesen bekam. War Eugen schon daran mitbeteiligt, daß sich der deutsche Habsburger als mächtigster Fürst im Nahen Osten ansehen durfte, so war dieser entscheidend durch Eugens Taten neben Frankreich und Spanien zum Beherrscher der romanischen Welt geworden – Besitzungen, teils auf Familienrechten, teils auf Ideen des alten Reiches begründet, von einer ungeheuren Ausdehnung und voll naturgegebener Spannungen, welche auf die Dauer nicht einmal das Genie des Feldherrn-Ministers, als welcher Eugen nun immer deutlicher hervortrat, gänzlich meistern konnte.

Als beim Tode Ludwigs XIV., der sich eigentlich selbst überleben mußte, diese Neuordnung Europas für Generationen festgelegt war, hatte Prinz Eugen sein dreiundfünfzigstes Lebensjahr erreicht. Ungewöhnlicher Geistesgaben, unerhörter Erlebnisfülle und eines Schicksals, das immer neue Möglichkeiten zur Entfaltung des so vorgebildeten Genies bot, all dessen durfte er sich bewußt sein. Und noch lagen zwei stillere Jahrzehnte vor ihm, in denen auf dem glücklich gelegten Grunde neue geschichtliche Bildungen heranreiften. Jetzt erst konnte Wien, das nun aller Türken- und Kuruzzengefahr ledig war, zu seinem dauernden Fürstensitze werden, und sein Mäzenatentum ermöglichte zum guten Teile der Kaiserstadt den Wettbewerb mit Paris auch in dieser Hinsicht. Seine Arbeit im Kabinette und in der Bibliothek und seine gesellschaftlichen Verpflichtungen traten nun in den Vordergrund. Das Hofleben verlangte von dem größten Diener des Hauses Österreich seine Rechte. Nur eine kriegerische Entscheidung fiel noch im alten, blitzenden Stil des fleischgewordenen Mars, als der Eugen den Zeitgenossen erschien, und legte die Richtung seiner Volkstümlichkeit ein für allemal fest: seine Führung im kurzen Türkenkrieg 1716–1718, der, vom Kaiser als Hilfe für die Venezianer unternommen, das Friedenswerk von Karlowitz mit der Erwerbung des Banates, Nordserbiens und der Walachei großartig abrundete.

Eroberung der Festung Belgrad durch Prinz Eugen, 1717.
[64b]      Eroberung der Festung Belgrad durch Prinz Eugen, 1717.
Zeitgenössischer Kupferstich.

Aber weit beharrlicher als diese politischen Ergebnisse blieb der Eindruck des an den jungen Feldherrn von Zenta erinnernden Sieges von Peterwardein. Und gar die Wiedereroberung Belgrads lebt in dem von einem Soldaten bayrischer Herkunft zuerst gesungenen schlichten Heldenlied vom "edlen Ritter" fort, solange es Deutsche gibt, die gegen Osten blicken. Bemerken wir aber, daß dieser Feldzug der einzige war, zu dem Eugen den Feind herausgefordert wissen wollte und wo ein ausgesprochener Erobererwille in ihm durchbrach, so erscheint er wie ein bewußter Rückschlag auf die [62] anderthalb Jahrzehnte, in denen alles Schwergewicht auf den West-Entscheidungen lag und selbst die Lösung der ungarischen Frage im Vertrag von Szathmar mittelbar durch sie erreicht wurde. Dies führt zur Betrachtung der Elemente von Eugens geschichtlichem Dasein überhaupt, das erst mit jenem merkwürdigen Polnischen Thronfolgekrieg von 1733 bis 1735 erlosch, wo Grundfragen des Ostraumes am Rheine entschieden wurden, russische Kriegsvölker das erstemal im Innern Europas auftraten und Eugen noch zum Lehrmeister des jungen Fridericus aus Preußen wurde.

Die ältere Schicht von Eugens Persönlichkeit war nach Abstammung, Erziehung und Jugendidealen zweifellos im romanischen Westen und besonders im klassischen Zeitalter Frankreichs verhaftet. Auf der Höhe seines Lebens war er mitentscheidend an der Neugestaltung des europäischen Westens und Südens beteiligt. Er kämpfte an der Seite Marlboroughs, in dessen Persönlichkeit England zum erstenmal unmittelbar in die festländischen Gegensätze eingriff, gegen den bourbonischen Vorherrschaftsanspruch für das "Gleichgewicht der Mächte". Diese Idee kehrte sich aber im Ergebnis auch gegen den volklich getragenen Universalismus der altdeutschen Reichsidee und den katholisch-dynastischen des Hauses Österreich. Daher im ersten Friedensjahrzehnt die Entfremdung Eugens von Karl VI. und die bittern Fehden mit der "Spanischen Partei" am Hofe, bis er dann mit List und Gewalt den jungen Kaiser zu einer für ihn günstigen Entscheidung nötigte. Freilich erfuhr er als Gouverneur des neugewonnenen Belgien (welche Würde er durch einen Stellvertreter ausübte), das als Unterpfand der österreichisch-englischen Freundschaft gelten konnte, wiederum die Schattenseite jenes Bündnisses, die Selbstsucht der protestantischen See- und Geldmächte in den Fragen des Barrieretraktates, der Ostindischen Handelskompanie. Dies führte sogar zum Rücktritt von jenem Posten; aber auch der Gedanke einer Verbindung der katholischen Monarchien des Westens, den die Zurückhaltung der Pariser Politik damals nahelegte, gedieh nicht weit. Denn wie im Persönlichen seit 1683 der Osten Eugens Schicksal bildete, so gewahrte er, daß er mit all seinen Taten im westlichen Bereiche nur immer abwehrend und regelnd eingreifen konnte. Auch sein Plan, mit Hilfe einer bayrischen Heirat der Habsburgischen Erbtochter Maria Theresia die Wittelsbacher näher an Wien heranzuziehen, wurde durch ihre Vermählung mit dem Lothringer durchkreuzt, die den gänzlichen Verlust dieses Reichslandes an Frankreich zur Folge hatte.

Im Osten dagegen nahm Eugen einen großartigen Gewinn für das Abendland und die Formung einer neuen Staatenwelt wahr. Nach Böhmen war nun auch das reichsfremde Ungarn fest der kaiserlichen Herrschaft eingeordnet und damit eine wirkliche Donaugroßmacht, Österreich als Staat der Pragmatischen Sanktion, geschaffen. Aber auch Brandenburg errang im Bündnis mit dem Kaiser gegen Eugens Rat die Königswürde in Preußen. Aus dem Moskowiterreich aber war in dem großen, dem Spanischen Kriege gleichlaufenden Nordischen Krieg das petrinische Rußland geworden, das gleichzeitig gegen [63] die Türkei byzantinische Erbansprüche erhob und Schweden aus dem abendländischen Ostraum verdrängte. So zog Eugen nur den folgerichtigen Entschluß aus dieser Entwicklung, wenn sein staatsmännisches Werk durch eine Verbindung der beiden deutschen Ostmächte untereinander (wozu der Prinz den König und den Thronfolger in Berlin gleichmäßig persönlich verpflichten wollte) und mit Rußland gekrönt wurde. Ihr Gegenstand war die endgültige Ausscheidung des französischen Einflusses in Polen zugunsten des eigenen, was schließlich die Teilung der Republik durch ihre Nachbarmächte vorbereitete.

Aber besiegelte Eugen mit diesem Erliegen des Ostraumes nicht auch das Schicksal des deutschen Reiches, dessen Soldat er genannt worden ist? Das österreichische Heldenzeitalter im Osten, das er wie kein anderer miterlebt und mitgeschaffen hat, es bedeutete zunächst doch eine unerwartete Wiedergeburt der Reichsidee, die hier noch einmal Deutsche fast aller Stämme unter dem Kaiser zusammenführte und sogar Polen zum Verbündeten gewann. Auch der dazwischen immer wieder hemmend hineinspielende Kampf im Westen war vom Kaiser gewonnen, aber dieser fortwährende Druck vereitelte in seinen militärischen Rückwirkungen die von Wien gelenkte, vollkommene Überwindung des Osmanentums in Europa. Er äußerte politisch sich gerade im Niedergange Frankreichs durch den Sieg der mit gleichgeordneten Staaten rechnenden und einer reichischen Rangordnung letztlich widerstrebenden Gleichgewichtsidee. In diesem Sinne darf man wohl behaupten, der Freund Marlboroughs und der Türkensieger Eugen gehorchten verschiedenen weltpolitischen Gesetzen. Erst vom Hintergrunde dieser Spannung aus aber erschließt sich uns etwas vom Geheimnis dieser Persönlichkeit, die sich fast nur im Handeln offenbarte, und von ihrer Wirkung als Deutscher, an welcher ein neuerdings auch von Italien genährter Wettstreit nichts ändern wird.

Gerade das nie zu vollendende und doch so schöpferische Zusammenfügen des Westens und des Ostens, das das Ewige Deutschland ausmacht, es findet sich in der Menschlichkeit des "Eugenio von Savoy" (so schrieb er selbst seinen Namen) wie in einem Mikrokosmos für seine Zeit. Wohl entbehrte sein Wirken als Staatsmann des unmittelbar Genialen, das uns allein am Feldherrn entgegentritt und ihn gleichsam aus Zeit und Volk ins allgemein Gültige und daher persönlich Unsterbliche hinaushebt. Aber seine politischen Grundansichten und sein darauf beruhender weiser Rat zu den Fragen der Zeit vermochten in großartiger Weise den Gegebenheiten des mitteleuropäischen Raumes und des Nahen Ostens und der in diese Doppellage hineingestellten Bildungen des Kaisertums des Deutschen Reiches und der österreichischen Monarchie gerecht zu werden. All diese Mächte, die dem Sohne des savoyschen Hauses und eines hohen Dieners der französischen Krone höchstens als Gegenstände feindseligen Angriffes bekanntgeworden waren, wurden nicht weniger in ihren so unübersichtlichen Beziehungen zueinander wie in ihrem inneren ständischen Aufbau erfaßt und geachtet. Eugens politisches Denken ist gerade in seiner Anerkennung einer Staatsidee, welche gleich abseits [64] von bourbonischem Anspruch auf staatliche Allgewalt und von der feudalständischen Anarchie des Ostens die Mitte suchte, in seinem Eintreten für einheimische Berechtigungen in kritischen Stunden ungarischer und belgischer Geschichte, sobald nur die Autorität der Wiener Hofburg hergestellt war, als ganz "deutsch" im Sinne seiner Zeit empfunden worden.

Italienisch und französisch war das Fertige seiner geistigen Bildung, aber seine großen Bauwerke schufen die Fischer und Hildebrand, der erste unter seinen gelehrten Freunden hieß Leibniz. An Venedig und Mailand, Rom und Paris knüpfte seine großartige Sammlertätigkeit an, wobei der Verkehr mit schaffenden Künstlern und gleichgesinnten Kunstfreunden und mit beauftragten Agenten Hand in Hand ging, um mit den reichen, aber begrenzten Mitteln kaiserlicher Gnade ganz Großes und persönlich Erlesenes zu schaffen. Gewiß war der Umkreis dieses europäischen Mäzenatentums durch die Auffassung von der Alleingültigkeit des nachmittelalterlichen Kunstideals gegeben. Eugens Galerie umfaßte aber neben den Raffael und Tizian, Correggio und Caracci auch die Holbein und Lucas van Leyden, Rembrandt und Rubens, ja sogar Breughel und Teniers. Merkwürdig genug wurde sein innigster Freund in Apoll, der Nunzius und Kardinal Albani, nachmals vornehmster Förderer des Sachsen Winckelmann. Der bedeutendste künstlerische Schilderer seiner Schlachten unter den Zeitgenossen ist unbestritten ein germanischer Künstler, Jan van Hughtenberg aus Haarlem, gewesen. Das Fesselndste an Eugens Erscheinung in der Kunstgeschichte ist aber das "österreichische" seiner Wirksamkeit, die bewußt gepflegte Umsetzung wertvollen fremden Kulturgutes in den deutschen Bereich. Wichtiger als die vielen welschen Künstler, die in seinem Auftrag Arbeit fanden, wurden für die Zukunft ihre ihm ebenfalls dienenden deutsch-barocken Überwinder, die Altomonte (Hohenberg), Daniel Gran und Peter Strudel.

Schloß Belvedere in Wien
[65]      Schloß Belvedere in Wien,
für den Prinzen Eugen 1693–1724
von Johann Lukas von Hildebrandt erbaut.

[Bildquelle: Gerda Becker, Berlin.]
Für die Gartenbaukunst zog der Prinz als Erben Le Nôtres Anton Zimmer heran, der den Park des Belvedere schuf, wo die Kunstwerke, die allein unter Hunderten persönliche Anspielungen auf den Schloßherrn bringen durften, von Süddeutschen herrührten – Eugen als Bezwinger des Neides von dem Bayern Permoser und Herkules mit der Omphale vom Tiroler Lechleitner. Während noch das Stadtpalais vom älteren Fischer von Erlach herrührt, ist dann Lukas von Hildebrandt, den er 1702 aus Italien holte und recht als seinen Lieblingsarchitekten förderte, Meister des Belvedere und schließlich Erbauer seines Leichengerüstes bei St. Stephan geworden. Das vor allem durch Mariettes Bemühungen zusammengestellte bewunderungswürdige Kupferstichkabinett enthielt auch eine reiche Sammlung deutscher Bildnisse. Das krause deutsche Schrifttum der Zeit, das schon einer etwas späteren Generation entfremdet war, vermochte ihn freilich nicht zu fesseln, und sein deutscher Stil kann nicht mehr gerühmt werden als der seiner deutsch geborenen gebildeten Zeitgenossen. Unter seinen dichtenden Bewunderern befand sich allerdings auch schon ein Johann Christian Günther, und die Leichenrede des Pater Peickhardt stellt ein Denkmal barocker Religiosität und Sprachform [65] dar. Eugen selbst scheint doch weit bedeutender als die Förderung seines undankbaren Hausdichters Rousseau die Annahme der Widmungen und die Unterstützung der Pläne des Leibniz empfunden zu haben, der Wien durch eine gelehrte und literarische Sozietät auch zur geistigen Hauptstadt Deutschlands erheben wollte. Und sein aus Preußen stammender Generaladjutant Georg Wilhelm von Hohendorf hat als Bibliophile wohl selbst das meiste zu dieser Richtung von Eugens Bildung beigetragen. Sein fürstliches Privatleben ging außer in Wien selbst auf seinen ostwärts gelegenen Schlössern vor sich, von denen als Lustort besonders Schloßhof in der Marchebene gerühmt wird. Der Rennweg aber, an dem sich sein herrliches Belvedere auf dem Boden 1683 zerstörter Weinberge erhob, mochte sich für ihn wohl viel hundert Meilen bis zu seinen ungarischen Herrschaften dehnen, wo er westdeutsche Bauern als Kolonisten siedelte und selbst die Staatsdomänen des Banates in diesem Sinne seinem tüchtigen General Mercy zu Temesvar anvertraute.

Vorsaal zur Haupttreppe des Schlosses Belvedere in Wien.
[64b]      Vorsaal zur Haupttreppe des Schlosses Belvedere in Wien.
Stich nach einer Zeichnung von Salomon Kleiner, 1734.

Statue Prinz Eugens vor dem Budapester Königspalast.
Statue Prinz Eugens
vor dem Budapester Königspalast.
[Nach wikipedia.org.]
Merkwürdiger als viele andere Denkmäler seines Ruhmes, vom zeitgenössischen der Superga bei Turin angefangen, dünkt uns sein Reiterbildnis auf dem 150 Jahre vom Ofner Großpascha bewohnten Burghügel von Ofen und die Namengebung des Schwabendorfes Eugenfalva bei Essegg. Sogar die einzige Frau, die Eugen Unersetzliches bedeutete, die Gräfin Lori Batthyany (in deren Salon er noch den letzten Abend seines Lebens beim Spielchen verbrachte), war als Tochter des vom Niederrhein kommenden Ministers Strattmann und als Ungarin durch ihren Gatten und ihre Söhne ein gewisses Widerspiel seiner selbst. Sein Katholizismus, der den Priester in der Politik nicht schätzte, war alles andere als selbstsüchtiger Gallikanismus. Er hielt sich streng an die Satzungen der Kirche, aber er begegnete sich mit Leibniz in der Sehnsucht [66] nach Überwindung der Glaubensspaltung. Er liebte die "Nachfolge Christi" des Deutschen Thomas a Kempis. Er erkannte als miles christianus Gott in der blutigen Entscheidung und verlangte von sich und seinem Kriegsvolke Achtung des Gesetzes und der Treue, der friedlichen Arbeit und der Frauenehre.

Unleugbar liegt auch über dem Lebenslauf dieses Großen unserer Geschichte ein tragischer Zug. Als sein Tag sich zu Ende neigte, da wußte er, daß der männliche Stamm der deutschen Habsburger, dem er unter drei Kaisern gedient, am Erlöschen war, daß trotz der Pragmatischen Sanktion die Zukunft ihrer Monarchie fragwürdig schien und die Hoffnungen auf eine Erneuerung des Reiches der Deutschen von Wien her eitel wurden. Persönlich verzichtete Eugen nicht allein auf Ehe und Nachkommenschaft, sondern sogar auf die Abfassung eines Testamentes, was die Verschleuderung eines erheblichen Teiles seines Erbes durch die "schreckliche Nichte" Viktoria von Savoyen zur Folge hatte, als sie Kaiser Karl VI. in übergroßer Pietät für Eugens Familie zu seiner Universalerbin bestimmte. Aber wenn Österreich am Ausgang der wohl größten Zeit seines noch immer nicht vollendeten Gestaltwandels sich Eugens als seines Helden rühmen durfte, dann war es ein Österreich, das der Krone Deutschlands wert gewesen ist.




Alphabetische Inhaltsübersicht
Wolfram von Eschenbach Wolfram von Eschenbach Wolfram von Eschenbach alphabetische Inhaltsübersicht der Biographien Max Eyth Max Eyth Max Eyth


Chronologische Inhaltsübersicht
Jakob Prandtauer Jakob Prandtauer Jakob Prandtauer chronologische Inhaltsübersicht der Biographien Georg Friedrich Händel Georg Friedrich Händel Georg Friedrich Händel


Originalgetreue Inhaltsübersicht
Gottfried Wilhelm Leibniz Gottfried Wilhelm Leibniz Gottfried Wilhelm Leibniz Inhaltsübersicht der Biographien in Reihenfolge des Originals Johann Balthasar Neumann Johann Balthasar Neumann Johann Balthasar Neumann





Die großen Deutschen: Neue Deutsche Biographie.
Hg. von Willy Andreas & Wilhelm von Scholz