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Die Frieden von Nimwegen und Rijswijk
[Scriptorium merkt an: 1678 bzw. 1697]

Wenn schon im Innern die Deutschen den mühsam errungenen Westfälischen Frieden trotz aller schmerzlichen Kriegserfahrungen und Einbußen nicht um jeden Preis retten wollten, fehlten erst recht die internationalen Voraussetzungen zu seiner Sicherung. Zwar Mazarin suchte noch Frankreichs Vorteile [15] nur friedlich auszubauen, nicht kriegerisch zu nützen. Nach dem Tode Kaiser Ferdinands III. arbeitete er ohne eigene französische Ansprüche bloß der Neuwahl eines Habsburgers entgegen. Auch trat Frankreich dem rheinischen Landfriedensbunde bei, ohne einen Vorzug in Geld- und Truppenleistungen zu beanspruchen; freilich hätten im Ernstfall kaum diese Vereinbarungen, sondern die Gesamtmacht der einzelnen Bundesgenossen den Ausschlag gegeben und Mazarin hatte die Liga zum Werkzeuge seiner deutschen Politik gemacht.

Indes hatte der Westfälische Friede nicht gleichzeitig die französisch-spanischen Gegensätze geschlichtet. Die Kämpfe dauerten an der Reichsgrenze fort und die Deutschen konnten leicht wieder hineingezogen werden. Der Pyrenäische Friede (1660), welcher endlich auch diesen Krieg abschloß, dauerte nur 8 Jahre. Erbansprüche seiner Gemahlin, einer spanischen Prinzessin, lieferten Ludwig XIV. den Vorwand zum Einbruch in die belgischen Niederlande. Noch einmal verzog sich für Deutschland die Gefahr. Durch England, Holland und Schweden gezwungen, entsagte Ludwig XIV. dem größten Teile seiner belgischen Hoffnungen und behielt nur einige flandrische Grenzplätze, von denen sich künftig der Krieg leichter in das feindliche Gebiet tragen ließ. Der König sah jedoch diesen ganzen Frieden (1669) als erzwungen an und wünschte sich an seinen Haupturhebern, den holländischen Ratsherren, zu rächen. Um letztere zu treffen, mußte er durch Reichsgebiet, nämlich das Bistum Lüttich und verschiedene Staaten am Mittel- und Niederrhein. Nach damaliger Gewohnheit begnügten sich seine Truppen nicht mit Durchzügen, sondern verwüsteten das Land, besonders den Kurstaat Trier.

In Deutschland erwachte ein Entrüstungssturm und äußerte sich in Flugschriften. Leopold I. hätte sein Ansehen als Reichsoberhaupt eingebüßt, wenn er dem französischen Treiben teilnahmlos zugeschaut hätte. So begann wieder der Krieg in den rheinischen Ländern.

Schon vorher hatten die Franzosen die Unklarheiten des Westfälischen Friedens zu neuen Ansprüchen benutzt, welche ihnen niemand ernstlich hatte streitig machen können. Nachdem durch die Wahl des jungen Leopold alle Hoffnungen, [16] auf gesetzlichem Wege den Habsburgern die Kaiserkrone zu entreißen, auf Jahrzehnte hinaus vereitelt worden waren, schien es nötig, das Gegengewicht gegen Österreich am Oberrhein noch zu verstärken. Hierzu diente eine bessere Verbindung zwischen den beiden großen Gewinnen der letzten hundert Jahre, den lothringischen Bistümern und den elsässischen Besitztiteln. Dabei halfen teils unvermeidliche Zugeständnisse des von Spanien preisgegebenen Herzog von Lothringen, teils der Westfälische Friede, welcher der französischen Krone die Vasallen der Stifter Metz, Toul und Verdun geopfert hatte und bei der Unbestimmtheit dieses Rechtsverhältnisses sich dehnen ließ.

Die französischen Erweiterungspläne gewannen durch das Übergreifen des Krieges auf das Reich (1674) sofort aktuelle Tragweite. Während Frankreichs Gegner bloß den alten Zustand verteidigten, strebte der König nach neuem Machterwerb. Südwestlich grenzte an den Elsaß die mit Spanien nur noch lose zusammenhängende Freigrafschaft. Das rechtsrheinische Ausfallstor Breisach wurde durch Freiburg in Schach gehalten. In Belgien hatten die Franzosen letztes Mal ihre Absichten bei weitem nicht verwirklicht. Erst wenn sie in allen diesen Gebieten durchschlagende Erfolge erzielten, schlugen sie endgültig die habsburgischen Nebenbuhler nieder. Sogar die deutsche Kaiserkrone winkte Ludwig XIV.

So hochfliegende Pläne ließen sich höchstens schrittweise ausführen. Immerhin schnitt der König beim Nimwegener Frieden (1678) besser ab, wie die drohende feindliche Koalition längere Zeit hatte erwarten lassen. Seine Gegner besaßen abweichende Interessen, waren teilweise von vornherein kriegsunlustig gewesen und es erst recht im Laufe der Kämpfe geworden. Auch hatte Ludwig XIV. die Holländer aus Rachegefühl bekriegt, brauchte von ihnen jedoch unmittelbar nichts. Daher kostete ein französisch-holländischer Sonderfriede geringe Mühe. Nachdem die Holländer ausgeschaltet, wurde der Friede für Spanien schon etwas teurer; sie mußten die Freigrafschaft und eine wesentliche Verbesserung der belgisch-französischen Grenze bewilligen. Nunmehr waren die Deutschen zu härteren Bedingungen gezwungen. Mit Freiburg und Kehl gewann Frankreich den Zugang zu den beiden wichtigsten [17] Tälern des südlichen Schwarzwaldes und war auch auf dem rechten Rheinufer nur noch schwer zu erschüttern. Denn am geschleiften Brückenkopf Philippsburg, welcher während des Krieges in badische Hände gefallen war und jetzt an Speier kam, verloren die Franzosen nicht viel; sie hatten Hoffnung, ihn im nächsten Kriege leicht wieder zu nehmen. Dem Herzog von Lothringen verlangten sie Nancy, Longwy und eine breite Heerstraße für künftige Truppendurchzüge ab. Darauf verzichtete er lieber vorläufig überhaupt auf das ganze Land. Zuletzt fesselte der König den Kurfürsten von Brandenburg noch durch einen Bündnis- und Subsidienvertrag und hinderte ihn so, abermals die kaiserliche Sache im Westen zu verteidigen.

Die meisten dieser Friedensschlüsse zeigten nicht nur die französische Überlegenheit, sondern lieferten auch Stützpunkte weiteren ehrgeizigen Vorwärtsstrebens. Ludwig XIV. brauchte den nächsten Krieg nicht abzuwarten. Bereits während der letzten Kämpfe hatte er erfolgreich seine elsässischen Landvogteirechte benutzt und die zehn zur Landvogtei gehörigen Städte unterworfen. Jetzt schenkte ihm der Nimwegener Friede zwar keine neuen Rechtsvorteile im Elsaß; aber Ludwig gewann durch die ganze politische und militärische Lage Kraft genug, um nicht mehr durch die Fußangeln verworrener Rechtsverhältnisse zu straucheln. Statt sich einem unparteiischen Gerichtsverfahren von unabhängigen Staaten oder Behörden mit zweifelhaftem Ausgange zu unterwerfen, ließ er eigene Tribunale nach persönlicher Willkür entscheiden und die Urteile durch seine Leute vollstrecken. So brachte er die für den nächsten Krieg so wichtigen Vogesenpässe und den Elsaß ganz in seine Gewalt. Zuletzt nahm er mitten im Frieden noch Straßburg.

Diese "Reunionen" und Straßburg betrachtete der König als Ergänzungen des Nimwegener Friedens. Aber er wollte sich doch nicht bloß auf die bedenklichen Rechtstitel stützen, zumal sich das deutsche Nationalgefühl aufbäumte. Er bot dem Wiener Hofe gegen die reichsrechtliche Bestätigung seiner friedlich gewonnenen Beute die Rückgabe Freiburgs an. Obgleich Leopold I. damit gegen Hingabe fremden Gutes österreichische Privatvorteile erreicht hätte, ging er darauf nicht ein. Zwar waren ihm augenblicklich durch den Türkenkrieg [18] die Hände gebunden; indes bewog ihn diese Zwangslage nur zur befristeten zwanzigjährigen Anerkennung der französischen Errungenschaften.

Bei diesem Handel hatte sich offenbart, daß im Grunde weder Deutschland noch Frankreich aufs neue kämpfen wollte. Jenes war zu gespalten und zu wenig national gesinnt, letzteres zu erschöpft. Doch, wie häufig in der Geschichte, erzwang die Unfertigkeit und Halbheit der politischen Verhältnisse den Wiederausbruch der Feindseligkeiten. Alles, was die Franzosen in und seit dem Westfälischen Frieden errungen, blieb hinter dem östlichen Gebietszuwachs der Habsburgischen Erbstaaten weit zurück. Anfangs suchte Ludwig XIV. noch auf friedlichem Wege einen Ausgleich. Als das pfälzische Kurhaus ausstarb, verlangte er eine günstigere nordelsässische Grenze, vor allem den pfälzischen Anteil an der Grafschaft Sponheim, das Amt Germersheim, die Fürstentümer Lautern und Simmern. Doch die großen österreichischen Erfolge gegen die Türken drängten alle französischen Kriegsbedenken zurück. Wie leicht konnte der siegreiche Kaiser, aller orientalischen Sorgen ledig, mit seiner gesamten Macht sich gegen den Westen wenden, die Reunionen und Straßburg verlangen und Frankreichs ganze Vormachtsstellung im Abendlande untergraben! Wenn die Franzosen jetzt ins Reich einfielen und die Deutschen ihre Kräfte zersplittern mußten, erholten die Osmanen sich vielleicht wieder und beschäftigten dauernd einen Teil des österreichischen und deutschen Heeres. Außerdem gewann Ludwig XIV. durch einen glücklichen Anschlag vielleicht einige deutsche Bundesgenossen zurück.

1688 rechnete er mit keinem langen Kriege, sondern glaubte, nachdem er selbst in den letzten Jahren unaufhörlich gerüstet hatte, mit den unvorbereiteten, auch im Osten noch stark gefesselten Deutschen rasch fertig zu werden. Aber der Krieg dauerte gegen Ludwigs Wunsch und Erwartung 9 Jahre und bildete den Wendepunkt seines Glücks. In England wurden die franzosenfreundlichen Stuarts durch Ludwigs zähesten diplomatischen Gegner, den holländischen Generalstatthalter Wilhelm von Oranien, vertrieben. Dieser verfolgte als Erster das britische Ziel, die jeweils mächtigste europäische Festlandsmacht zu bekämpfen und das Gleichgewicht zwischen [19] den verschiedenen europäischen Nationen zu erhalten. Holland riß er auf die gleiche Bahn. Auch in Deutschland war das Gemeingefühl, der Widerstandsgeist und das Vertrauen auf das eigene militärische Können gewachsen.

Da sich Ludwig für einen raschen Überfall, aber nicht für ein jahrelanges Ringen vorgesehen hatte, erkannte er bald trotz wertvoller Waffenerfolge die Unmöglichkeit, seine zahlreichen Gegner niederzuwerfen. Bereits 1693 ließ er in Stockholm wissen, es käme ihm mehr auf einen gerechten und billigen Frieden als auf Eroberungen an. Er wollte Philippsburg, welches seine Truppen wieder eingenommen hatten, und Freiburg herausgeben, die rechtsrheinischen Befestigungen von Fortlouis schleifen, wenn ihm nur Straßburg und die Reunionen blieben. Der König wurde freilich ganz offen verdächtigt, ähnlich wie vor 14 Jahren durch solche Anerbieten den feindlichen Ring sprengen und nach geschickten Sonderfriedensverhandlungen zum Herrscher Europas aufsteigen zu wollen. Indes wie sehr er wirklich den Frieden ersehnte, bewies das krampfhafte Bemühen der französischen Agenten und die Bereitwilligkeit zu großen Opfern. Um Straßburg und das im Kriege eroberte Luxemburg zu behaupten, bot Ludwig XIV. die Rückgabe von Ypern, Dinant, ja sogar des im Westfälischen Frieden so hartnäckig festgehaltenen Breisach an. Zunächst alles umsonst! Die Feinde wollten nicht einmal verhandeln, wenn nicht vorher die gesamten Rechts- und Besitzverhältnisse des Westfälischen und Nimwegener Friedens wiederhergestellt, also Lothringen seinem angestammten Fürstenhause zurückgegeben, Straßburg, Luxemburg, alle Reunionen in den Niederlanden, im Elsaß und den angrenzenden Gegenden wieder ausgeliefert worden wären.

Die französischen Mittel waren erschöpft, das Land mit Steuern überlastet. Karl II. von Spanien, den Ludwig XIV. zu beerben wünschte, war krank. Starb er während des Krieges, so hätten die Feinde, welche den Franzosen nicht einmal die Errungenschaften der letzten anderthalb Jahrzehnte gönnten, ihre spanischen Ansprüche gewiß nicht erfüllt. Dem Versailler Hof eilte es demnach mit dem Frieden. Zum Glück fand er auch diesmal die Gegner uneinig. Wilhelm von Oranien und Holland hatten an Lothringen und am Elsaß [20] geringeres Interesse wie an den Niederlanden, und vor allem daran, daß Wilhelm endlich als englischer König von Frankreich anerkannt und dadurch gegen die Umtriebe der Stuarts besser geschützt wurde. Beim Kaiser Leopold brachen schließlich Familienrücksichten und, genährt von den Wiener Jesuiten, religiöse Beweggründe durch. Straßburg und die reunierten Bezirke wären ans Reich zurückgefallen, nicht wie Breisach und Freiburg an ihn unmittelbar. Außerdem wäre in Straßburg mit den alten Freiheiten der Protestantismus wieder aufgelebt. Vergeblich mahnte eine kurbrandenburgische Denkschrift, daß Vorderösterreich besser durch Straßburg als durch Freiburg und Breisach geschützt werde. Umsonst nannte der Markgraf von Baden Straßburg "die Zitadelle von ganz Deutschland". Wohl hätten zeitweilig die Deutschen Straßburg und noch mehr bekommen können. Indes, nachdem sie sich die Aussichten durch überspannte Forderungen verscherzt hatten, sahen sie sich im entscheidenden Augenblicke durch die habsburgische Interessenpolitik verraten.

Man hat wegen dieser überraschenden Vorteile Ludwigs XIV. den Frieden von Rijswijk (1697) "Reiß weg" getauft, wie vorher den von 1678 "Nimm weg". Aber die Enttäuschungen der Deutschen dürfen nicht vergessen lassen, daß der König die 1678–88 eingestrichenen Gewinne nur unter schweren, früher für unannehmbar gehaltenen Zugeständnissen und auch das nicht vollständig aufrechterhalten hatte. So wichtig Straßburg als Festung, so schmerzlich der nationale Verlust war, Frankreich hatte das rechte Rheinufer fast aufgegeben. Von den pfälzischen Plänen, welche die äußerliche Kriegsursache gebildet, hatte es nichts erreicht, weder Philippsburg noch Landau behauptet. Die elsässischen Reunionen waren anerkannt worden, indes nicht die belgischen und auch nicht einige andere deutsche, z. B. Nassau-Saarbrücken. Mit Recht hat deshalb Erdmannsdörffer gesagt: "Die Heere des Königs kehrten zum ersten Male aus einem Kriege heim, ohne die Schlüssel eroberter Festungen mitzubringen." Im ganzen hatte weder die französische noch die feindliche Seite entscheidend gesiegt.

Vor allem aber barg der Rijswijker Friede ganz gegen Ludwigs Wunsch einen neuen Krieg im Schoße. Die mit- [21] wirkenden Diplomaten hatten nichts über die spanische Erbschaft ausgemacht, welche bald zu erwarten war. Das Schweigen besagte, daß sich die Beteiligten nach dem Tode König Karls II. von Spanien alle Ansprüche wahrten und nötigenfalls abermals die Waffen ergreifen würden. So folgte auf ein neunjähriges blutiges Ringen eine kaum halb so lange Ruhepause, welche zudem für Deutschland noch durch heftige Türkenkämpfe unterbrochen wurde.






Deutschlands Friedensschlüsse seit 1555:
Ihre Beweggründe und ihre geschichtliche Bedeutung

Professor Dr. Gustav Wolf