Bd. 8: Die Organisationen der Kriegführung,
Dritter Teil:
Die Organisationen für das geistige Leben im
Heere
Kapitel 7: Fürsorge
für das geistige Leben im Heere,
Wohlfahrtseinrichtungen usw.
(Forts.)
Professor Melchior v. Hugo, Hauptmann a.
D.
2. Die
Wohlfahrtseinrichtungen.
Was man im einzelnen als Wohlfahrtseinrichtungen im Felde bezeichnen kann,
war auf die mannigfaltigsten Gebiete verteilt. Als Träger des geistigen
Lebens sind in erster Linie anzusehen: die Soldatenheime, die Büchereien
und Lesezimmer, sodann die Feldbuchhandlungen und die Kinos.
Es äußerte sich dann vornehmlich in den Feldzeitungen, in Musik
und Theater, in Sport und Spiel, in der bildenden Kunst und gewissermaßen
auch in der Friedhofspflege.
Der Fortbildung des geistigen Lebens dienten dagegen das
Vortrags- und Auskunftswesen, die Hochschulkurse und der Vaterländische
Unterricht.
Alle diese verschiedenen Zweige können gesondert behandelt werden,
obwohl sie oft eng verbunden waren.
Soldatenheime.
Marketender, die in früheren Kriegen eine große Rolle spielten und
die von einer romantischen Glorie
umkleidet - besonders in weiblicher
Aufmachung - in vielen Köpfen spukten, gab es im Großen
Kriege nicht. Was unter dem Namen jetzt verstanden wurde, waren militärisch geleitete Verkaufsstellen der Intendantur, poesielos und
praktisch. Sie waren meist in Verbindung mit den Kantinen, die fast von jedem
Truppenteil eingerichtet wurden, nüchternen Räumen, in denen die
notwendigsten Genußmittel und kleine Bedarfsgegenstände
feilgehalten wurden und in denen Bier und andere Spirituosen zu haben waren.
Sie waren von Anfang an bis zum Kriegsende überall zu finden und boten
einen Ersatz für die Wirtschaften, deren Besuch in feindlichen
Ländern unerwünscht war, die später auch überhaupt
nicht mehr vorhanden waren.
Die Soldatenheime dagegen, wenn sie diesen Namen mit Recht führten,
waren anderen Geistes. Hier wurde das Hauptgewicht darauf gelegt, eine
Stätte körperlicher Gemütlichkeit und geistiger Erholung zu
bieten.
Schon im Frieden waren von christlichen Vereinigungen solche Heime
geschaffen, vor allem in den Seestädten. Als Muster hatte man sich die
Ein- [361] richtungen genommen,
die von den Engländern in ihrer Heimat und in ihren häufigen
Kolonialkriegen erprobt waren.
Gleich nach Kriegsbeginn hatte die Nationalvereinigung Evangelischer
Jünglingsbündnisse Deutschlands als erste längs der
Eisenbahnlinien Eisenbahner- und Marineheime eingerichtet, sowie in den
größeren Etappenhauptorten Soldatenheime. Auch die katholischen
und die anderen zu Zwecken der Kriegsfürsorge gegründeten Vereine
blieben nicht zurück. So entstanden im Etappengebiet der Westfront eine
stattliche Anzahl von solchen Heimen, die von Nichtsoldaten im Auftrag der
Vereine geleitet wurden und auch aus der Heimat mit Geld und Nahrungsmitteln
ausgestattet wurden.
Ebenfalls richteten viele Etappenkommandanten Heime ein, und manche
Truppenteile gestalteten ihre Kantinen nach dem mit Freuden
begrüßten Muster aus.
[360a]
Ostende: Glasveranda des Kursaales als
Soldatenheim.
|
So waren im besetzten Gebiet des Westens bis zum Sommer 1915 schon mehr als
40 Soldatenheime entstanden; da erhielt auch die Ostfront ein ansehnliches
Etappengebiet. Deutsche Jugend, die Christliche Studentenvereinigung, war es,
die nun eine große Organisation schuf und in Verbindung mit den
Provinzialausschüssen, Frauenvereinen, dem Roten Kreuz und anderen
unter bedeutend schwierigeren Verhältnissen eine besondere Art von
Soldatenheimen in den unwirtlichen Gebieten Rußlands entstehen
ließ.
Bald folgten andere, und bis weit hinab, bis nach Palästina hinein, wo nur
deutsche Truppen kämpften, erstreckten sich auch die Stätten
deutscher christlicher Liebestätigkeit.
Gut und verständig eingerichtete Soldatenheime waren das Rückgrat
aller Wohlfahrtseinrichtungen für die Truppe. Je ungünstiger die
Unterbringungsverhältnisse an einem Orte waren, um so notwendiger
wurde es, daß Räume geschaffen wurden, in denen der Soldat sich
aufhalten, in Ruhe lesen, Briefe schreiben und sich auf sich selbst besinnen
konnte. Je dunkler, enger, ungenügender die Quartiere waren, um so mehr
mußte das Soldatenheim ein Stück Häuslichkeit bieten. Das
wurde denn auch allmählich immer mehr eingesehen. Und so unternahm
man das Wagnis, auch Frauen mit der Fürsorge zu betrauen.
Leiteten Männer die Organisation, so waren es immer mehr die
Heimschwestern, die dem Soldaten das wahre Behagen gaben. Sie fügten
zum Ganzen den Glanz und den Schimmer und ruhten nimmer, wenn es galt, dem
jungen Kriegsfreiwilligen die Trennung von Hause zu erleichtern, mit den
älteren über ihre häuslichen Sorgen zu plaudern, die
Niedergedrückten aufzuheitern und allen schmackhafte Speisen und einen
sauber gedeckten Tisch zu bieten. Sie bewährten sich so ausgezeichnet,
daß immer mehr hinausgesandt werden konnten. Gegen Kriegsende waren
an den Fronten weit über 1000 deutsche Frauen und Mädchen in den
Soldatenheimen ehrenamtlich tätig, zumeist aus den höheren
Ständen.
[362] Die
größeren Soldatenheime enthielten meist außer den
Wirtschaftsräumen einen Versammlungsraum mit Klavier und
Musikinstrumenten, sowie Schreib-, Lese- und Spielzimmer mit einer
Leihbücherei, Tageszeitungen und Wochenschriften, sowie verschiedenen
Spielen. Oft waren auch Übernachtungsräume, Buchhandlungen
sowie Rasier- und Badestuben angegliedert. Gerade wenn man "aus der
Schweinerei" kam und an die Grenzen der Bezirke, wo eine gewisse
Behaglichkeit der Lebensführung möglich war, gelangte, empfand
man eine derartige Fürsorge am dankbarsten.
In den kleineren Ortschaften und in Lagern wurde das Soldatenheim, so
bescheiden es oft auch war, die einzige Stätte des kameradschaftlichen
Verkehrs; und die verhältnismäßig geringe Mühe, die
darauf verwendet werden konnte, machte sich hundertmal bezahlt. Besonderer
Wert wurde auf Sauberkeit und hübsche Ausstattung gelegt. Dem Auge
wurde Erholung geboten durch geschmackvolle Bilder an den Wänden oder
auch durch Ausmalung von Künstlerhand. Die oft von den Truppen
selbstgefertigten Möbel waren geziert durch Gebrauchsgegenstände,
die eine fleißige Erfindungsgabe aus alten Geschoßteilen usw.
schuf. Vorhänge an den Fenstern und Blumen durften nicht fehlen.
So sahen die Soldatenheime aus, wo die günstigen Bedingungen
vorhandener Kultur in erreichbarer Nähe waren; und auch in die
Blockhäuser russischer Waldgebiete, die Baracken und Zeltlager des
Orients war nach Möglichkeit Behagen gebracht, wenn auch manchmal der
gute Wille die Erfüllung überwog. Eine Besonderheit waren hier die
transportablen Barackenheime, die nach abgelegenen Waldlagern und
unwirtlichen Gegenden geschafft wurden. Sie waren ähnlich den mittleren
Soldatenheimen eingerichtet, trotz der großen Schwierigkeiten, betrieben
aber auch, da die Notwendigkeit sich ergab, einen kleinen Warenhandel, aus
dessen Gewinn ein Teil der hohen Unkosten gedeckt werden konnte.
Der Zahl nach standen naturgemäß die Heime der anderen Fronten
hinter jenen der Westfront zurück, aber wahrlich nicht an Wichtigkeit. In
Oberost und Generalgouvernement Warschau, bei der Bugarmee, in Galizien,
Mazedonien und Rumänien, in der Türkei und Palästina,
überall waren Soldatenheime in Stadthäusern, Blockhäusern,
Baracken und Zelten zu finden. Hunderte von opferwilligen deutschen Frauen und
Männern leisteten dort selbstlose Liebesarbeit und besiegelten ihren
Opfermut auch mehrfach mit dem Tode; denn die Anforderungen waren in jenen
fernen Ländern für den einzelnen ganz besonders groß.
Seit Herbst 1917 wurden alle im Osten frei werdenden Soldatenheime alsbald im
Westen eingesetzt, dort, wo das Bedürfnis am größten war.
Die wichtigsten Heimatorganisationen waren:
Ausschuß für Soldaten- und Eisenbahnerheime an der
Ost- und Südfront; Nationalvereinigung der Evangelischen
Jünglingsbündnisse; Sächsischer [363] Ausschuß zur
Errichtung von Soldatenheimen; Verein Kameradschaftliche Soldatenheime
Allenstein; Generalsekretariat der Katholischen Jünglingsbündnisse;
Deutscher Verein vom Heiligen Lande; Marienhilfe des Norddeutschen
Männer- und Jünglingsbundes; Hauptvorstand des
Vaterländischen Frauenvereins; Zentralkomitee des Preußischen
Landesvereins vom Roten Kreuz; Württembergischer Landesverein vom
Roten Kreuz; Bayrischer Ausschuß für Soldatenheime.
Die Heimatvereine, die bald die militärische Leitung als große
Erleichterung empfanden, arbeiteten mit erneutem Eifer. Es wurde möglich,
die Heime rasch jeder Truppenbewegung elastisch folgen zu lassen, so daß
bereits zwei Tage nach einem siegreichen Vordringen Soldatenheime hart hinter
der neuen Front entstanden. Bei einem Zurückweichen konnte meist
rechtzeitig Vorsorge getroffen werden, sie in gesicherteren Gegenden wieder
aufzubauen. Und die Heimleiter, vor allem die über 1000 Heimschwestern
haben mit solcher Pflichttreue in Gefahr ausgehalten, daß auch einige
Fälle zu verzeichnen sind, wo sie ihren Opfermut mit dem Tode besiegelt
haben.
Bei dem Gedenken an die edlen Frauen, die jahrelang mit der größten
Hingabe unter Gefahren und Mühseligkeiten ausgehalten haben, sei auch in
Dankbarkeit der verewigten Gattin des Feldmarschalls
von Hindenburg
gedacht, die all ihren Einfluß und ihre Herzenswärme der
Soldatenfürsorge widmete. Sie glättete die manchmal auftretenden
Reibungen, und ihr ist es im Verein mit I. M. der Kaiserin gelungen, das
Interesse der Heimat für die Soldatenheime immer wieder
wachzuhalten.
Rein wirtschaftlich waren die Heime so aufgebaut, daß die
Einrichtungskosten nicht wieder herausgewirtschaftet werden durften, daß
auf alle Speisen und Getränke nur ein so geringer Aufschlag zu nehmen
war, daß die Betriebsunkosten gedeckt wurden. Etwaige doch entstehende
Überschüsse wurden zur Neueinrichtung anderer Heime verwendet.
Bei dem oft gewaltigen und im ganzen nach vielen Millionen gehenden Umsatz
waren für solche Zwecke doch ganz namhafte Summen vorhanden,
besonders da die Überschüsse der Feldbuchhandlungen und Kinos
größtenteils auch hinzukamen.
Für das geistige Leben in den Heimen sorgten außer den Schwestern
(die späterhin auch Tracht trugen) in erster Linie die Angestellten der
Vereine, aber auch in weitgehendem Maße die Geistlichkeit. Bibelstunden
und auch Gottesdienste fanden drin statt. Doch wurde ein Überwiegen des
geistlichen Zuspruchs verhindert. Gute Büchereien waren überall
vorhanden, teils von der Heimat geschenkt, teils von den Ortskommandanten, die
die militärische Oberaufsicht hatten, besorgt.
Ganz zuletzt erhielten auch die Leiter des Vaterländischen Unterrichts
meist einen maßgebenden Einfluß darauf. Die Schreibstuben waren
stets besetzt. Dort hatten die Soldaten oft die einzige Möglichkeit, ihren
Lieben zu schreiben; [364] und da wurde das
Behagen, das eine gemütliche Umgebung dem Schreiber bot, mit dem Brief
auch auf die Heimat übertragen. Und unzählige Soldaten werden
rückschauend sagen können: war das große Erleben an der
Front - gemütliche und frohe Stimmungen haben uns die
Soldatenheime geboten; sie waren ein Stück heimischen Behagens in der
Fremde.
Wohl hatten die oberen Militärbehörden die Schaffung der
Soldatenheime angeregt, wohl hatten sie die Vereinstätigkeit zugelassen
und auch unterstützt, und überwachten sie im allgemeinen. Die
Initiative aber blieb den örtlichen Kommandostellen überlassen, und
die Vereine hatten vielerorts mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen,
weil die Ansichten der bürgerlichen Leiter oft schwierig mit den
militärischen Wünschen und Notwendigkeiten in
Übereinstimmung zu bringen waren. Manchmal legten Vereinsheime zu
großes Gewicht auf ihre Tätigkeit der inneren Mission oder waren
unduldsam gegen Andersdenkende So kamen sie wohl in Konflikt mit den
Militärpfarrern. Auch wurden die Vereinsheime, sobald sie ohne
militärische Überwachung waren, oft ausgenutzt durch die vielen, die
sich nicht rasch genug wieder zur Front zurückfinden wollten. Der Einkauf
der notwendigen Genußmittel machte Schwierigkeiten, da er von den
Einzelheimen überall in den rückwärtigen Gebieten
bewerkstelligt wurde, was eine ungesunde Preistreiberei zur Folge hatte. Dazu
wuchs die Gefahr, daß von den vielen Einkäufern, beispielsweise in
Belgien, der Erkundung militärischer Einzelheiten durch die Einheimischen
Tür und Tor geöffnet war, ganz abgesehen von den Schwierigkeiten,
die das Überfluten Belgiens mit französischem Stadtgeld der
deutschen Bankverwaltung machte. Deshalb entschloß sich der
Generalquartiermeister, für das Soldatenheimwesen bestimmte Richtlinien
zu geben.
Ein Plan, die Vereinstätigkeit unter einer halbmilitärischen Spitze zu
zentralisieren, kam glücklicherweise nicht zur Ausführung; das
hätte den militärischen Heimen die Mitwirkung der Vereine entzogen
und diesen Vereinsheimen zu sehr die militärische Oberaufsicht
genommen. Man entschloß sich, dem ganzen Heimwesen eine geistige
Spitze zu geben, die in freier Aussprache die Vertreter der höchsten
militärischen Behörden und der Vereine allmonatlich
zusammenbrachte, den einzelnen Fronten aber eine einheitliche militärische
Führung gestattete. Den Vereinen wurden bestimmte, abgegrenzte
Wirkungsgebiete zugewiesen, die oberen Kommandostellen veranlaßt, sich
der Vereine nach Möglichkeit zu bedienen (nachdem diese bestimmte
Leitsätze empfangen hatten), daneben aber auch andere Heime nach derem
Muster einzurichten. Hierdurch wurde eine einheitlichere Regelung erzielt, ohne
die eigene Tatkraft und Anschauung irgendwie zu bevormunden; der Erfolg war,
daß z. B. an der Westfront die Zahl der Soldatenheime in ganz kurzer
Zeit von 320 auf nahezu 2000 stieg und kaum ein Unterkunftsort bis nahe an die
Front ohne ein solches Heim anzutreffen war.
[365] Da auch die Frage der
Abrechnung von Überschüssen einheitlich innerhalb jeder Armee
geregelt war, indem die Überschüsse großer Heime zur
Stützung und Neugründung kleiner Frontheime verwendet wurden,
so war die Möglichkeit gegeben, daß bei den starken
Frontverschiebungen im Frühjahr 1918 die Heime rasch den Truppen
elastisch folgen konnten, ohne Angst vor der Gefahr, alles zu verlieren.
Auch der Wareneinkauf wurde vereinheitlicht. Für die
Ost- und Südfront waren von den Vereinen schon längst
Wareneinkaufszentralen in der Heimat angelegt. An der Westfront wurde der
wilde Wareneinkauf in Belgien unterbunden, in Brüssel ein Warenlager
errichtet, von wo die Heime alles Notwendige beziehen konnten, und auch die
Valutafrage wurde geregelt.
Die ersten militärischen Soldatenheime bauten sich auf
Kantinenüberschüssen auf, die Vereine hatten große Summen
dafür zusammengebracht; später jedoch erhielten sie sich fast
ausschließlich durch ihre eigene Wirtschaftsführung, das Reich ist
somit kaum dadurch belastet worden.
Als im letzten Kriegsjahre die Organisation des Vaterländischen
Unterrichts durchgeführt war, bedienten sich die Leiter des
Vaterländischen Unterrichts nicht nur der Soldatenheime für die
geistige Anregung, sondern erlangten auch meist einen ideellen Einfluß
darauf.
Was die Soldatenheime den deutschen Soldaten gewesen sind, läßt
sich gar nicht hoch genug einschätzen. Sie gaben ihnen einen Ort der
Kameradschaft und des Frohsinns, einen Ruhepunkt und häusliche
Gemütlichkeit nach der Zigeunerhaftigkeit des
Graben- und Quartierlebens - sie ersetzten einen Teil der fernen Heimat
und des Umgangs mit edlen Frauen. Wie viele, unzählig viele sind auch
moralisch gestützt worden in wilder Zeit, dank der Opferwilligkeit und
Aufopferung großdenkender Männer und Frauen. Ihnen sei der Dank
der Soldaten und auch der Familien in der Heimat unvergessen.
Feldbuchhandlungen.
Kein Volk liest so gern und viel wie die Deutschen, kein Volk hat auch einen so
ausgedehnten Buchhandel. Da ist's kein Wunder, daß auch in diesem Kriege
die Bücherbeschaffung eine so große und immer steigende Rolle
spielte. Kaum war der Vormarsch zum Stehen gekommen, so schoben sich, meist
von vorsorglichen Kommandeuren gerufen, schon betriebsame
Bahnhofsbuchhandlungen bis weit in das Etappengebiet vor, und in den
größeren Städten der besetzten Gebiete
vervollständigten die vorhandenen Buchhandlungen nach
Möglichkeit ihre Lager an deutschen Büchern. Aber erst im Sommer
1915 wurden auch an der Front die ersten Feldbuchhandlungen von der Truppe
selbst aufgemacht, oft zuerst kleine unscheinbare Lädchen, in denen in der
Hauptsache Schreibmaterial und Ansichtspostkarten feilgehalten wurden.
[366] Der starke Umsatz
dieser Lädchen brachte die größeren Truppenverbände
auf die Idee, daß solche Buchhandlungen eine gute Erwerbsquelle für
die Truppen sein würden neben den idealen Vorteilen, die sie boten. Anstatt
der kleinen wagemutigen Unternehmer traten große Buchhandlungsfirmen
auf den Plan, mit denen Kontrakte abgeschlossen wurden. Sie erhielten jede
Förderung, Hilfskräfte, gute Verkaufsräume und
Transportmöglichkeiten, mußten aber einen guten Teil ihres Gewinns
an die Truppen abführen; sie hatten sich nach den unter dem 3. Januar 1916
vom Generalquartiermeister herausgegebenen Grundsätzen zu richten und
mußten sich eine ständige Überwachung seitens der
Militärbehörden gefallen lassen.
Die Überwachung beschränkte sich darauf, daß der in
Deutschland übliche Ladenpreis innegehalten wurde und daß stets
eine genügende Anzahl guter und billiger Bücherreihen für die
Mannschaften vorhanden sei, sowie auf die Ausmerzung obszöner oder
hetzerischer Schriften. Von solchen Schriften brauchten aber im ganzen nur knapp
ein Dutzend verboten und nur hier und da dem Bestreben entgegengetreten zu
werden, in der Heimat unverkäufliche Bestände den unerfahrenen
Mannschaften aufzuhängen.
Als besonders wichtig wurde die rasche und genügende Zustellung von
Zeitungen an die Front betrachtet, zuerst mittels Autos und Radfahrer, zuletzt
sogar durch Flieger.
Im letzten Jahre wurden die Zeitungen während der Großkampftage
in Hunderttausenden von Exemplaren gratis an die Truppen verteilt. Gerade in
solchen Zeiten ist der Hunger nach Neuigkeiten aus der Heimat und von anderen
Fronten am größten.
Als im Herbst 1917 auch die gesamten Feldbuchhandlungen der Zentralstelle
beim Generalquartiermeister unterstellt wurden, zeigte es sich, daß manche
Mißbräuche eingerissen waren und daß einzelne
Buchhändler doch wieder mehr auf ihren Vorteil sahen, als auf das Wohl
der zu beliefernden Truppe. Verbesserungen der Organisation und neue
Richtlinien haben diese Mißstände, wo sie vorhanden waren,
beseitigt; und zu Ende des Krieges bestand ein enges Netz von
Feldbuchhandlungen, das bis dicht hinter die vordersten Gräben reichte,
und das in seiner sachgemäßen Ausgestaltung dem deutschen
Buchhandel zur größten Ehre gereichte. Man durfte dabei nicht
verkennen, welche Schwierigkeiten zu überwinden waren, vor allem was
die Zufuhr neuer Sendungen anbelangte, da alle Bahnen überlastet und oft
wochenlang gesperrt waren, und da in der Heimat Papiermangel und damit auch
eine fühlbare Bücherknappheit eingetreten war.
Es mußte ein großer Unterschied gemacht werden zwischen den
rückwärts gelegenen großen Buchhandlungen, die keiner
Buchhandlung einer mittleren deutschen Stadt nachstanden, in denen jedes
wichtigere Werk, jede Neuerscheinung zu haben war; zwischen kleineren,
dazwischen gelegenen Läden, wo
Ruhe- [367] und Etappentruppen
viel mehr Fachliteratur verlangten, und endlich den vielen Frontbuchhandlungen,
wo das Bedürfnis nach leichter Unterhaltungslektüre am
stärksten war.
[368a]
Feldbuchhandlung und Lesehalle in
Wolhynien.
|
Überhaupt war die wichtigste Frage: "Was lesen die Truppen?", und die
Beantwortung dieser Frage wirft ein helles Licht auf das geistige Leben der
Truppe und seine Wandlungen im Laufe der Jahre.
In der ersten Zeit wurden hauptsächlich gekauft: Ullstein und
Kürschners Bücherschatz, die den ganzen Markt
überschwemmten. Dazu kamen noch minderwertige Verlage, sog.
Eisenbahnlektüre, Kinobüchereien und ähnliches. Man kaufte
eben alles, was gedruckt war. Allmählich machte sich der Hunger nach
gediegenerer geistiger Kost bemerkbar; naturwissenschaftliche und technische
Werke, Reclam, Wiesbadener Volksbücher,
Insel-Verlag, Raabe,
Löns, Gorch Fock; aber auch philosophische Werke
wurden steigend begehrt. Für religiöse Schriften sorgten meist die
christlichen Vereine und die Seelsorger.
Daneben aber besonders illustrierte Zeitschriften, deren Bilder, vor allem wenn sie
bunt waren, die Unterkünfte schmückten, und Werke über
Kunst. Die Feldbuchhandlungen konnten der Nachfrage kaum genügen.
Das Lese- und Bildungsbedürfnis, das sich dauernd hob und sich weiterhin
den gehaltvollsten Werken der deutschen Literatur zuwendete, versumpfte
schließlich bei der geistigen Ermattung des letzten Kriegsjahres im sog.
Klapproman und in Büchern ausgesprochen erotischen Inhalts, die aber
mehr auf Umwegen in die Hand der Truppen kamen. Die Verkäufer
erlangten, besonders als man immer mehr gelernte Buchhändler
hierfür aus der Truppe zog, einen nicht zu unterschätzenden
Einfluß. Sobald sie nicht nur ihre Ware verkauften, so wie sie verlangt
wurde, sondern in verständnisvoller Weise die Kaufenden berieten, waren
sie schnell Vertrauensleute in literarischen Dingen, und geistig rege Zirkel
schlossen sich oft um sie. Sie lenkten die Aufmerksamkeit auf gute Bücher,
schoben minderwertigere in den Hintergrund, empfahlen ihre
Lieblingsbücher und konnten Schund, wenn er geradezu verlangt wurde,
mit so unnachahmlicher Geringschätzung überreichen, daß den
Käufer ein Gefühl der Scham überlief.
Freilich waren nicht alle Verkäufer so, und der Versuch, den man mit
weiblichen Angestellten hier und da machte, war nicht sehr ermutigend. Darum
ergeben Statistiken, die von einzelnen Verkaufstellen oder Armeezentralen
aufgestellt wurden, nur ein ungenaues Bild der Art des Lesebedürfnisses
des deutschen Heeres, zumal bei der plötzlichen Auflösung im
Herbst 1918 nirgends mehr ein Inventurabschluß möglich war.
Und doch sei eine kurze Aufstellung versucht, da es ein Licht wirft auf den
Geschmack der Soldaten.
Auffallend ist es, daß die herbere, mehr auf Naturbeobachtung gerichtete
Art der norddeutschen Dichter am meisten Anklang fand. Löns, Raabe,
Gorch Fock, Börries von Münchhausen standen obenan, daneben Gustav Freytag [368] - freilich aber auch in
letzter Zeit die Marlitt. Dann aber die spannenden Bücher von Meyrink und
die Sherlok-Holmes-Bände und schließlich solche Bücher,
deren buntfarbige Umschlagszeichnungen die Kauflust literarisch harmloser
Gemüter anzogen. Da waren die stark begehrten Romane der
Reihenbücher bekannter Verlage doch noch vorzuziehen. Sehr viel wurden
auch Werke ausländischer Autoren gelesen, desgleichen solche
humoristischen Inhalts, besonders wenn sie in Anthologien zusammengestellt
waren. Man trug daraus auch gerne vor, da man am liebsten in Gesellschaft
lacht.
Für Bücher politischen und geschichtlichen Inhalts interessierten sich
wohl nur Offiziere, besonders da sie auch meist sehr teuer und umfangreich
waren.
Dagegen fanden naturwissenschaftliche, technische und kaufmännische
Schriften in allen Kreisen viele Käufer, ebenso solche, die sexuelle Fragen
behandelten.
Während von der Kriegsliteratur die Einzeldarstellungen der
Lieblingshelden, besonders der Marine und der Flieger, in aller Händen
waren, liebte man Schriften, die mehr allgemeinen Inhalts die Stimmung der
Truppen vom Standpunkte des Vaterländischen Unterrichts hochhalten
sollten, wenig, wie auch der Einfluß der Leiter dieses Unterrichts auf die
Gestaltung des Feldbuchhandels und seiner Kundschaft völlig negativ
war.
Dichterworte, die einmal ins Herz gedrungen sind, leben drin fort und klingen auf,
wenn auch manchmal nach langer, langer Zeit. Viele, denen in abgelegenen Orten
der Heimat kaum ein Buch in die Hand gekommen ist, haben im Felde deutsche
Dichter kennengelernt. Ist auch gar manches verschüttet, in stillen Stunden
wird der Same keimen, der in die Herzen geflogen ist, und dazu beitragen, dem
Volke den Idealismus wiederzugeben, der nur zu sehr verdorrt zu sein scheint.
Die Tageszeitungen waren ein Hauptverkaufsgegenstand der
Feldbuchhandlungen. Man muß sich aber hüten, die politische
Richtung des Heeres aus der Verbreitungsziffer der Parteizeitungen herauslesen
zu wollen. Während sie im Osten viel gelesen wurden, kamen die Berliner
Blatter für den Westen weniger in Frage. Hier konnten die Kölner
und Frankfurter Tageszeitungen einen halben Tag Vorsprung vor den Berlinern
gewinnen, deshalb kaufte man sie. So konnten sie zeitweise einen großen
Einfluß auf den Gedankenkreis der Truppen gewinnen. Einige sogar einen
geradezu zermürbenden. Denn es gab eine nahezu unbeschrankte Zulassung
der Zeitungen ohne Rücksicht auf die Parteirichtung bis an die Grenzen
unzulässiger Verhetzung. Und was ausnahmsweise nicht bei den
Feldbuchhandlungen geduldet werden durfte, brachte die Post treulich bis in die
Schützengräben. Die deutschen Zeitungen übten ja
leider - im Gegensatz zur Zeitungspresse der
Feinde - vielfach nicht das Maß von Selbstzucht in der
Äußerung ihrer Meinungen, das nach der Lage und nach dem
schweren Stande des deutschen Volkes notwendig gewesen wäre. Im
allgemeinen kümmerte man sich draußen wenig um die Politik; der
Kampf [369] um das
preußische Wahlrecht, der in der Heimat mit glühendem Eifer
ausgefochten wurde, fand bei den meisten Soldaten kein Verständnis: Man
hatte Wichtigeres zu tun und dachte, kommen wir erst als Sieger heim, so ist's
noch früh genug, uns in der Heimat nach Recht und Gerechtigkeit besser
einzurichten. Vorerst sollen sie uns Munition und Lebensmittel beschaffen, damit
wir draußen bestehen können; haben wir unsere Arbeit getan, so wird
uns der Lohn in der Heimat von selbst zufallen.
Leider waren die konservativer gerichteten Zeitungen auch in der Versendung zu
konservativ; sie kamen zu spät an die Front, während die
linksorientierten Blätter sich viel rascher auf die Bedürfnisse des
Heeres einzustellen wußten - ein Fehler, der sich schwer
gerächt hat.
Die in den besetzten Gebieten selbst gegründeten Tageszeitungen blieben in
der Beliebtheit trotz größter Anstrengungen hinter denen aus der
Heimat zurück.
Von den Feldzeitungen wird an anderer Stelle die Rede sein.
Außerordentlich groß war in den Feldbuchhandlungen auch der
Umsatz von Landkarten. Man wollte nicht in den Tag hinein leben, sondern auf
den Kriegskarten an der Hand der Tagesberichte die Stellungen und Fortschritte
der anderen Frontabschnitte verfolgen können, und über die
allgemeine Lage waren wohl fast alle viel besser unterrichtet, als man es
beispielsweise im Kriege 1870/71 war, obwohl doch die Verhältnisse
unendlich viel verwickelter lagen als damals.
Die Ansichtskarten seien noch erwähnt, die in unzählbaren Massen
gekauft wurden. Obwohl die übelsten
Jux- und Kitschkarten, die sich in der Heimat breitmachten, fehlten, so zeigte sich
doch ein betrübender Mangel an guten volkstümlichen Karten, was
bei der großen Verbreitung dieses auch als Sammelgegenstand viel
begehrten Kleinkunstwerks vom Stande der Kultur nur zu bedauern ist.
Der Jahresumsatz der Feldbuchhandlungen, deren Zahl gegen Ende des Krieges
auf 900 an der Westfront gestiegen war - von der Ostfront fehlen alle
zuverlässigen Unterlagen - war auf eine ganz stattliche Zahl von
Millionen gestiegen. Da durchschnittlich 20% davon an die Truppenkassen
abgeführt werden mußten, waren diese in der Lage, ohne
Zuschuß von staatlicher Seite die anderen Wohlfahrtseinrichtungen
auszubauen und die später häufiger eintretenden Verluste von
Buchhandlungen durch Fliegerbombenzerstörungen leicht zu verschmerzen
und somit Buchläden auch bis in stark gefährdete Abschnitte
vorzuschieben.
Leihbüchereien.
Das Lesebedürfnis war (wie schon gesagt) sehr groß; einfache
Lesewut und Bildungsdrang gingen nebeneinander her. Irgendein Buch trug wohl
jeder stets mit sich herum, war es nun das Neue Testament oder ein Gedichtbuch
oder eine philosophische Schrift. Zuerst wurden neben Zeitungen auch viele
Traktätchen ins Feld geschickt; die Truppen wurden zeitweilig geradezu
damit [370] überschwemmt,
aber sie fanden wenig Gegenliebe. Dagegen wurden die altvertrauten
Sonntagsblätter der Kirchengemeinden, besonders wenn sie Lokalkolorit
trugen, sehr eifrig gelesen.
Besonders frühzeitig hatten die katholischen Vereine begonnen, an die
Truppenteile Unterhaltungskistchen zu senden, die außer Briefpapier und
Spielen auch eine meist gut zusammengestellte Auswahl von Büchern
enthielten.
Um solche Bücherkisten sammelten sich bald andere, die aus der Heimat
oder von Offizieren geschenkt waren, oder die rührige Ortskommandanten
bei Quartierwechsel, wo viel liegenblieb, aufsammeln ließen. So entstanden
die ersten Leihbüchereien; sie waren naturgemäß wahllos
zusammengestellt und wurden erst mit der Zeit besser, besonders als sie mit Hilfe
der Feldbuchhandlungen und aus den dort erzielten Überschüssen
ergänzt werden konnten.
Mustergültig waren die Leihbüchereien, die von den Vereinen in den
großen Soldatenheimen eingerichtet und zusammengestellt wurden, ebenso
in einzelnen Lazaretten.
Mit der Zeit hatte fast jeder größere Unterkunftsort, jedes
Soldatenheim seinen Leseraum mit reichhaltiger Bücherei, deren
Buchbestand zwischen 200 und 5000 und mehr schwankte. Um das Stiften
passender Bücher zu erleichtern, wurden mit Hilfe des preußischen
Kultusministeriums verschiedene Listen aufgestellt, wie sich solche
Büchereien für Fronttruppen, Etappentruppen, technische
Formationen usw. am besten zusammenstellen
ließen - das Beste aus schöner gehaltvoller Literatur und die
wichtigsten zusammenfassenden Werke aller wissenschaftlichen und technischen
Disziplinen.
Die katholische Geistlichkeit sorgte dafür, daß
Unterhaltungsbücher katholischer Tendenz vorhanden waren und verbreitet
wurden. Sie war im allgemeinen rühriger und für solche Zwecke
besser geschult als die evangelische Geistlichkeit, obwohl es natürlich unter
diesen auch viel rühmliche Ausnahmen gab.
Besonderen Segen brachten die durch den evangelischen Divisionspfarrer Hoppe
organisierten fahrbaren Büchereien, von denen schließlich fast jede
Division eine besaß. Sie waren gut und praktisch eingerichtet und mit
großer Liebe und Verständnis zusammengestellt, konnten auch geteilt
werden, so daß die Kompagnien ihre Bücherkisten bis in die
Stellungen mit sich nach vorn nehmen konnten. Leider war es in der letzten Zeit
nicht mehr möglich, bei den raschen und häufigen
Truppenverschiebungen diese Wagen überall mitzunehmen. Sie bildeten
dann meist den Grundstock zu den bodenständigen Büchereien und
haben auch dort Segen gestiftet.
Kinos.
Für einen hohen Prozentsatz der Bevölkerung Deutschlands
gehört der Kinobesuch zu den höchsten Genüssen des
städtischen Lebens. Da ist es kein Wunder, daß auch im Kriege das
Kino Eingang fand und bei Soldatenunterhaltungen mit der Zeit eine Hauptrolle
spielte.
[371] In den eroberten
Städten ging man zuerst in die vorhandenen Kinotheater, sobald sie wieder
in Betrieb gesetzt waren; man übernahm auch solche in eigene Verwaltung
zum ausschließlichen Gebrauch der Soldaten. Aber bald fanden sich bei den
Truppenteilen, vor allem in ruhigeren Unterkunftsorten, betriebsame
Sachverständige, die Apparate aus der Heimat kommen ließen und
die den Truppenkassen eine gute Einnahme verschafften. Denn die Scheunen und
Säle, in denen die Apparate aufgeschlagen wurden, faßten kaum die
Fülle der Besucher, die diese leichte und bequeme Unterhaltung
genießen wollten. Und viele Leute waren ständig unterwegs, die neue
Bildstreifen aus der Heimat holen mußten. Das führte natürlich
zu großer Belastung der Bahn und zu anderen Unzuträglichkeiten.
Auch waren die Bildstreifen, die so wahllos von den Filmverleihgeschäften
entliehen wurden, nicht immer einwandfrei. Es mußte ein anderer Weg
gefunden werden. Im allgemeinen war man nicht so sehr dafür, dem Kino
einen allzu großen Raum in der Auffrischung der Truppen zuzubilligen.
Viel anregender, vertiefender und die Kameradschaft fördernder waren
doch Musik und Vortrag, belehrende Lichtbilder und gesellige Unterhaltungen,
während das Kinobild ein stumpfes Alleingenießen ist, das Auge
beschäftigt, aber Herz und Gemüt meistens unbeteiligt
läßt.
Aber als die Anstrengungen der Truppen immer ungeheurer wurden, schwand
immer mehr die Schwungkraft, aus eigenem Antrieb sich zu unterhalten oder
ernsthaften Vorträgen zu folgen; da wurde das Kino geradezu
notwendig.
In Berlin entstand eine große militärisch geleitete Organisation, das
Bild- und Filmamt, aus dem Apparate jeder Art bezogen werden konnten, die
mustergültige Filmstreifen erwarben und vermittelten und Filmtrupps
ausrüsteten, die überall hingeschickt wurden, wichtige Aufnahmen
zu machen. Solche Filmaufnahmen wurden in der Heimat und an der Front, ja
sogar im neutralen Ausland verbreitet und fanden wegen ihrer Vortrefflichkeit
großen Anklang.
Wer erinnert sich nicht der ersten Gasangriffaufnahmen, des Möwefilms
und der Bildstreifen aus allen Teilen der weitausgedehnten Front? Da freuten sich
die Soldaten, altbekannte Gegenden und Handlungen wiederzusehen und auch im
Bilde zu erfahren, wie es den Brüdern erging dort, wohin man leider nicht
selbst gekommen war. Freilich nur wahrheitsgetreue Aufnahmen fanden Gnade
vor den Augen der Feldgrauen. Alle von Schauspielern gemimten, auf dem
Tempelhofer Felde oder sonstwo gestellten noch so wirkungsvollen
Schlachtenbilder erregten nur hohnvolles Gelächter und verächtliche
Ablehnung. Belehrende Films und bessere Aufnahmen sah man gern an; von den
üblichen sentimentalen Dramen wollte man weniger wissen, aber jeder
humoristische Film wurde stürmisch begrüßt. Denn man wollte
lachen draußen zwischen dem grausen Kriegsdasein und lachend sich
einmal ganz vergessen.
Die Organisation des Bild- und Filmamtes war im Innern wie jedes große
Geschäftsunternehmen, nur daß alle Angestellten Militärs
waren. Nach [372] außen hin, in
ihrem Verkehr mit den Fronten, war es eine einfache Gliederung, indem bei jeder
Armee ein Mittelpunkt geschaffen wurde für einen Ring von Kinos, in dem
die Leihfilms kreisförmig umliefen, bis sie von der Zentrale aus neu
beliefert wurden. Die Leihgebühr deckte kaum die Selbstkosten und war so
angesetzt, daß die schwächeren Frontkinos von den stärker
besuchten Etappenkinos in den größeren Hauptorten gestützt
werden konnten. Freilich waren solche Orte, die bis dahin eine erhebliche
Einnahme aus ihrem Kinobetrieb erzielt hatten, mit dieser Regelung wenig
zufrieden; aber es ward hierdurch ermöglicht, daß man diese
Unterhaltungsmöglichkeit auch den abgelegeneren Orten zugute kommen
lassen konnte.
Im Jahre 1918 waren an der Westfront allein rund 420 Kinos im Betrieb. An den
anderen Fronten war diese Organisation naturgemäß nicht so
durchgebildet, dort konnten sie nur in den größeren Städten
Fuß fassen. Dafür hatte man mit Glück Versuche mit fahrbaren
Kinos gemacht, die rasch in Waldlager usw. geschafft werden konnten. Es
waren einfache Wagengestelle, auf die der Kinoapparat montiert wurde; auf einen
Anhängewagen kamen die weiteren Hilfsmittel, die den Anschluß an
jede elektrische Leitung ermöglichten; in einer alten Scheune, einer
geschützten Waldecke wurde die Leinwand aufgespannt. Das
Abendvergnügen für die Truppe war bereit, und am anderen Morgen
rollte der moderne Thespiskarren weiter.
Wo es irgend ging, hielt man an einem Eintrittspreis von 10 Pfennig fest;
für manche Truppenteile nach anstrengenden Tagen wurde auch einmal
eine Gratisvorstellung gegeben. Aber man durfte den Staatssäckel nicht
unnötig belasten.
Einfachere Lichtbildapparate gab es zu Tausenden an der Front; Gelegenheit zum
Leihen von Glasbildern gab es z. B. bei der "Bildungszentrale" in
Brüssel, die überhaupt in Belgien segensreich wirkte.
So hatten redegewandte Herren die Möglichkeit, Lichtbildervorträge
zu halten über alle denkbaren Stoffe. Und da waren es denn meist die
Bilder aus fremden Ländern oder auch aus der schönen Heimat, die
am meisten gefielen, wenn ein launiger Vortrag die Vorführung
begleitete.
Daneben wurden graphische Darstellungen der Ernährungsfragen und
sonstiger statistischer Themata mit Spannung betrachtet. Auch Kriegskarten,
wenn darauf die Veränderungen an der Front zu sehen waren und die
nötigen Erklärungen dazu gegeben wurden. Dann aber machte ein
lustiger Film den Schluß, daß die Zuschauer lachend in ihre Quartiere
zurückkehren konnten.
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