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Karthaus

Bericht Nr. 219
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Bericht über das Straflager
Berichter: Franz Lehmann Bericht vom 11. 8. 1950

Lage von KarthausAm 25. Mai 1945 gegen 13 Uhr 30 fuhr vor unserem Hause Oberhennersdorferstraße Nr. 15 in Warnsdorf ein Personenwagen vor, zwei Insassen, Partisanen, stiegen aus, die schußbereiten Maschinenpistolen in der Hand und erklärten mich als verhaftet. Ich war nur notdürftig angezogen, sofort mußte ich in den Wagen steigen und ab ging es nach Rumburg, wo ich dem vom Revolutionskommitee eingesetzten Vernehmungskommissar vorgeführt wurde. In der früheren Dienstwohnung des Landratsamtes fand die Vernehmung statt. Es waren auch schon andere verhaftete Personen anwesend. Mit dem Gesicht mußte ich mich gegen die Mauer stellen. Vor mir wurde der Bürgermeister von Oberhennersdorf, Rudolf Keil, vernommen. Eine ganze Anzahl Gendarmen standen schlagbereit im Vernehmungsraume. Nun begann mit meiner Person die Vernehmung. Die ganze Prozedur stand unter der Leitung des älteren Wagner Sohnes aus Oberhennersdorf, welcher haßerfüllt mir verschiedene Missetaten vorhielt. Meine Hauptanschuldigung bestand aus folgendem: Sie sind Parteimitglied, Sie sind ein Feind der Tschechoslowakei und der Juden, Sie haben 1938 verschiedene Kommunisten zur Anzeige gebracht, sodaß diese in Konzentrationslager gekommen sind. Sie waren auch Mitglied der SA. Als ich diese Beschuldigung zurückwies, fand ich damit kein Gehör und mußte zwangsweise das Vernehmungsprotokoll unterfertigen, ansonsten es mit Prügelstrafe erzwungen worden wäre.

Nach der Vernehmung kam ich in das Rumburger Polizeigefängnis in Zelle Nr. 1. In dem Raume befanden sich bereits fünf Männer. Ich war durch die Vernehmung ganz benommen und setzte mich teilnahmslos auf eine Pritsche. Nun sagte einer zu mir: "Franz, kennst du uns denn nicht?" Jetzt erst gingen mir die Augen auf und ich erkannt folgende Anwesende: Eduard Grohmann, Rumburg; Mehnert, Eisenbahner; Ritt, Rincomotorenwerke; Ing. Hesse, Töpfergasse-Schlosserei (Rumburg); Schubert, Zittauergasse, Rumburg. Furchtbar sahen die Männer aus. Gesichter und Hände blau und grün. Ritt Richard wand sich vor Schmerzen, denn kurz vor meinem Betreten der Zelle hatten ihm die Tschechen die Füße durch eine Stuhllehne gezogen und mit Rohrstöcken fünfundzwanzig Schläge auf die Fußsohlen verabreicht.

Der 25. Mai war ein Freitag. Am selben Tage abends mußten sämtliche im Polizeigefängnis befindliche Häftlinge sich in der Rudolfsstraße aufstellen und unter schwerster Bewachung wurden wir in das hintere Gefängnisgebäude des Bezirksgerichtes in Rumburg eingesperrt. In unserer Zelle waren wir ca. 20 Personen, Rumburger, Oberhennersdorfer und Niederehrenberger. Aus den Nebenzellen hörten wir das Schreien unserer Mithäftlinge. Wir haben uns über die Nacht so gut es ging auf den blanken Fußboden gelegt. Die ganze Nacht hindurch schossen die Wächter immer wieder im Gefängnishof ihre Pistolen ab. Der Samstag Vormittag brachte allerhand neue Martern. Häftlinge, welche der SS angehört hatten, mußten sich auf Anordnung eines Partisanen gegenseitig ohrfeigen, anspeien, bei den Haaren ziehen, mit den Füßen treten. Die Männer unserer Zelle mußten 100mal die tiefe Kniebeuge machen, dann alle gegen die Wand Aufstellung nehmen, mit dem Gesicht 10 cm von der Mauer entfernt und nun kam so ein Unhold und schlug uns einen nach dem anderen ohne Ausnahme mit Kopf und Gesicht durch einen kräftigen Schlag auf den Hinterkopf an die Mauer. Das Blut lief an den Wänden herab, Nasenbeine waren gebrochen, Augen und Stirn verquollen. Sonntag vormittag wurde uns mitgeteilt, daß wir zu Mittag nach Kosmanos abtransportiert werden. In einem großen Wasserbottich mußten wir unser Gesicht von Schmutz und Blut reinigen, so gut es ging, und kurz nach 12 Uhr begann die Einladung in einen auf der Georgswalder Straße stehenden Autobus. Vorher mußten wir uns noch der Kleidung entledigen, alles wurde durchsucht und nach dieser Visite mußte einer nach dem andern zwischen beiderseits auf dem Gange aufgestellten Partisanen, Gendarmen und uniformierten tschechischen Zivilpersonen bis in die Georgswalderstraße zum bereitstehenden Autobus Spießruten laufen. Da gab es Schläge mit Gummiknütteln, Peitschen und anderen Prügelwerkzeugen und beim Autobus wurden wir von einer gröhlenden, tschechischen Volksmenge empfangen. Gar mancher von uns bekam auch noch von dieser Horde einen entsprechenden Denkzettel, ja sogar in dem vollkommen verhängten Autobus wurde noch hereingestoßen. Einen ganz besonderen Empfangsakt in der uns erwartenden Strafanstalt hatte sich der Untersuchungskommissar Wagner ausgedacht. Zu den Überstellungsakten packte er zwei Gummiknüttel mit dem Vermerk, daß diejenigen deutschen Schweine, welche in dem angelegten Personenverzeichnis rot angehakt sind, mit den Gummiknütteln besonders zu empfangen sind. Nun, nach Beendigung dieses Martyriums in Rumburg, ging die Fahrt unter starker Gendarmeriedeckung los ins Innere der Tschechei. Ausblick aus dem Wagen hatten wir keinen, da alles mit Zeltstoff verhangen war. In Kosmanos wurde gehalten. Jedoch die dortige Anstalt nahm uns nicht auf. Weiter ging die Fahrt nach Jungbunzlau. Auch hier war für uns kein Platz. Endlich landeten wir bei der Strafanstalt Karthaus in Waldice bei Jitschin. In dieses berüchtigte Zuchthaus wurden wir eingeliefert. Der Empfang war streng und korrekt. Ein mitfahrender Gendarm aus Rumburg konnte es nicht unterlassen, uns noch folgendes zuzurufen: "Nun, von hier kommt ihr lebendig nicht einer heraus!" Von den Aufsehern der Strafanstalt wurden wir neuerdings untersucht und dann kamen wir 26 Mann in eine Zelle. Der ganze Transport aus Rumburg bestand aus ca. vierzig Mann. Zu essen bekamen wir nichts. Die Verrichtung der Notdurft ging in der Zelle vor sich und morgens mußten die Gefäße mit dem Inhalt in die Senkgrube befördert werden.

Am ersten Tag unseres Dortseins erfolgte die offizielle Aufnahme in der Aufnahmekanzlei, in welcher der Direktor der Strafanstalt und zwei Gefangenenaufseher amtierten. Wir hatten entlang der Wand vor der Kanzlei Aufstellung genommen und je näher wir zur Kanzlei kamen, umso eindringlicher hören wir das Schreien von gequälten Menschen. Es waren lauter Leute unseres Transportes. Tränenden Auges mit schmerzhaft verzogenem Gesicht kam immer wieder einer aus der Kanzlei. Ich stand neben dem Bürgermeister Rudolf Keil aus Oberhennersdorf. Rühren durften wir uns nicht, ein Kamerad aus Oberhennersdorf wurde derartig geschlagen, daß ihm der Kot zu den Hosenbeinen herauslief. Er mußte mit einem Hader nochmals zurück und die Verunreinigung in der Kanzlei aufputzen. Hierbei wurde er nochmals jämmerlich geschlagen. Rudolf Keil kam an die Reihe, er kam ungeschoren heraus und ich mußte den Marterraum betreten. Die Aufnahme führte der Anstaltsdirektor durch. Ihm gegenüber saß ein robuster Gefangenenaufseher, den Rumburger Gummiknüttel in der Hand. Meine Antworten auf die gestellten Fragen waren korrekt. Auf seine Frage, warum ich mich nicht zu dem von mir in Rumburg unterschriebenen Vernehmungsprotokoll bekenne, lautete, daß ich das Protokoll zwangsweise unterfertigen mußte. Ein Vorteil für mich war, daß ich die tschechische Sprache beherrschte. Bei dieser Gelegenheit konnte ich Einblick nehmen in das Personenverzeichnis über unseren Transport und sah, daß verschiedene Namen mit einem auffallend roten Haken bezeichnet waren. Das waren diejenigen, welche Wagner aus Rumburg für die mitgesandten Gummiknüttel ausersehen hatte.

Meine Aufnahme war erledigt und [nun] wurde ich in eine Zelle, wo sich bereits vier Männer befanden, eingesperrt. In der Zelle waren zwei tschechische Kollaboranten und zwei Deutsche aus dem Riesengebirge. Vorläufig war ich von den Rumburger Leidensgenossen getrennt. Es begann das regelrechte Sträflingsleben. In einem zerbrochenen Topfe bekam ich um 11 Uhr das erste Essen. Kein Löffel, nur mit den Fingern konnte ich mir die größeren Krautbrocken herausfischen, aber Hunger tut weh und mit Todesverachtung wurde der Topf geleert. Nachmittags bekamen wir ca. ¼ Liter schwarzen Kaffee. Das regelmäßige Essen bestand täglich aus 100 Gramm Brot, um 7 Uhr Kaffee, um 10 Uhr 30 einen halben Liter Kraut- oder Kartoffelsuppe und um 4 Uhr wieder ¼ Liter Kaffee. Das war die ganze Magenfüllung auf einen Tag. Suppe ohne jede Einbrenn und Fett. Dagegen lebten die Sträflinge im Karthauser Zuchthaus beinahe herrschaftlich. Einige Male in der Woche Knödel, Bratkartoffeln, weißen Kaffee, genügend Brot, Marmelade, kurzum diese wurden von der Sträflingskost vollkommen satt. Dabei war das Verhältnis zu den Aufsehern ein beinahe kameradschaftliches. Die Sträflinge rekrutierten sich durchgehend nur aus Schwerverbrechern, Raubmördern, Lustmördern, Meuchelmördern etc. mit lebenslänglichen Strafen, 25 Jahre, 20 Jahre, 15-5 Jahre. Sträflinge, welche uns allwöchentlich rasieren mußten, waren ein Totschläger und ein Raubmörder. Entschieden waren wir Inhaftierten in den Augen der Strafanstalt schwerere Verbrecher als die ständigen Insassen. Beim Betreten der Zelle durch einen Aufseher mußte der Zellenälteste in tschechischer Sprache "Habt Acht" rufen und melden: "Herr Kommandant, die Zelle ist besetzt mit so und soviel Mann. Alle sind anwesend. Sonst nichts Neues". Stand einmal einer nicht in der gewünschten Haltung, so gab es prompt eine Ohrfeige.

Nach einigen Tagen unserer Inhaftierung in Karthaus wurden wir umgruppiert und ich kam mit Männern aus Rumburg zusammen in eine Zelle. 25 Mann wurden wir zusammengepfercht, zum Schlafen sechs Strohsäcke und keine Decken. Der Hunger machte sich immer mehr und mehr bemerkbar. Es begann die Zusammenstellung von Arbeitskolonnen. Mit Autos und Zugmaschinen wurden wir auf die Gutsfelder gebracht. Den Magen leer, in der sengenden Sonne den ganzen Tag auf den Knieen liegend, wurde in den unermeßlichen Zuckerrübenfeldern gearbeitet. Die Aufseher als Antreiber, die Schaffer auf den Höfen besonders brutal und gar mancher von uns, welcher beim Arbeiten nicht so richtig vorwärts kam, erhielt vom Schaffer mit dem Stiel der Hacke Schläge auf den Rücken. Das Essen bestand gewöhnlich aus gekochten Kartoffeln oder Kartoffeln und Gemüsesuppe. Es war eine Sklavenarbeit. Besonders gefürchtete Arbeitsstätten waren der "Hungerhof" in Detenitz, der Meierhof in Popovic, die Baumschulgärtnerei Mazanek in Jitschin, der Brückenbau in Zeleznice. Hatte man Glück, einmal bei einem kleineren tschechischen Bauer arbeiten zu können, da wurde der Magen wieder einmal voll. Hier kann ich erwähnen, daß sich der kleine tschechische Bauer größtenteils human uns gegenüber benommen hat.

Es verging ein Monat um den anderen, immer wieder wurden absichtlich Tatarennachrichten von den Aufsehern unter uns verbreitet, einmal freudigen Inhalts, dann aber sofort wieder traurigen Inhalts, der Hunger zermürbte unseren Körper immer mehr und mehr, die Läuseplage war furchtbar, die Kleidung ging zum Teufel, das Hemd faulte buchstäblich vom Buckel herunter und schon waren die ersten Todesfälle zufolge vollkommener Entkräftung zu verzeichnen. Bezeichnet wurden wir als Untersuchungshäftlinge, jedoch eine Vernehmung hat in Karthaus nie stattgefunden. Die schwarze Tafel zeigte uns an, daß im August 1945 der Stand an Untersuchungshäftlingen 1200 Personen betrug. Für mehr Leute war, weiß Gott, in Karthaus kein Platz, zumal sich auch einige hundert Sträflinge und jugendliche Eingesperrte in der Anstalt befanden. Der Bedarf an Arbeitskräften für verschiedene Arbeiten wurde immer größer.

Da eines Morgens, als wir auf dem Gefängnishof Aufstellung zur Arbeitszuteilung genommen hatten, kam aus einem seitlichen Trakt der Strafanstalt eine Kolonne marschiert, welche uns in Schrecken versetzte. Es waren die besonders gekennzeichneten Sträflinge, welche durch 6 Wochen in den Kasematten hausen mußten. Es gab Gelegenheit zum Erzählen. In den Zellen, wo das Wasser beständig rieselte, waren diese Männer strafweise untergebracht. 4-5 Mann in einer Ein-Mann-Zelle. Abwechselnd konnten sie in der Nacht ganz wenig schlafen und zudem wurde tagsüber und während der Nacht die Zellentür geöffnet und von brutalen Aufsehern Schläge und immer wieder Schläge auf alle Körperteile ausgeteilt. Diesem Treiben wurde erst Einhalt geboten, als eine russische Kommission die Zustände untersuchte. Auf deren Anordnung mußten die Häftlinge in normalen Zellen untergebracht werden. Auch die Marterung der Häftlinge hatte seit diesem Zeitpunkt aufgehört. Die Männer waren abgemagert bis zum Skelett und hatten grün und blau unterlaufene Stellen am Körper und im Gesicht. Mehrere mußten das Zeitliche segnen, jedoch der Lebensmut erhielt manchen am Leben. Der Anstaltsarzt hatte für unsere Leiden nicht das geringste Interesse. Er war angeblich auch langjähriger KZ-ler. Nach den Redensarten der Tschechen waren diese beinahe alle KZ-ler, und doch waren sie gut ernährt.

Von der Außenwelt waren wir vollkommen abgeschnitten. Mit unseren Angehörigen bestand keine Verbindung. Täglich wurden welche auf dem Anstaltsfriedhof eingescharrt. Ich war zufällig Zeuge an einer Beerdigung eines unserer Verstorbenen. Es war ein Warnsdorfer. Ich hatte mit noch einem Leidensgenossen auf dem Anstaltsfriedhof Arbeiten zu verrichten. Auf einem zweirädrigen Karren brachten zwei Sträflinge in Begleitung des Strafhausinspektors einen Sarg gefahren und trugen diesen vor ein bereits geschaufeltes Grab. Der Sargdeckel wurde abgehoben, der Sarg umgekippt und in das Grab kollerte der Leichnam, nur mit einem zerrissenen Hemd bekleidet. Denn auch die noch halbwegs verwendbare Kleidung wurde von der Anstalt zurückbehalten.

Soweit ich mich erinnern kann, starben in Karthaus folgende aus der Rumburger Gegend: Keil Hans, Stadtinspektor, Rumburg; Mehnert, Eisenbahner; Klier, Bankbeamter; Anderle, Kaufmann; Reindl, Arbeitsamtsangestellter; dann an den Folgen des Karthauser Aufenthaltes, in Böhmisch Leipa: Münzberg Otto, Kaufmann in Rumburg; Günther Oskar, Dienstmann in Rumburg; aus Oberhennersdorf Möcke, Prokurist bei Schierz, Rus & Co. in Rumburg; Walter Richard aus Oberhennersdorf; und viele andere mehr, auf die ich mich nicht mehr erinnern kann. Es ist nicht zuviel gesagt, wenn ich die Zahl der durch dieses Martyrium Verstorbenen mit 20% angebe. Inhaftierte waren aus folgenden Landkreisen vorhanden: Rumburg, Warnsdorf, Hohenelbe, Niemes und Arnau. Die unbarmherzigsten Tage in Karthaus waren die Sonn- und Feiertage. Um ½11 Uhr gab es Mittag- und Abendessen gleichzeitig. Dann bis nächsten Tag früh nichts mehr. Unser Leidensgenosse Aurich von der Deutschen Arbeitsfront in Rumburg hatte derartige Körperverletzungen aufzuweisen, daß wir an seinem Aufkommen immer zweifelten. Der ganze Rücken war bei ihm zufolge der vielen Schläge, die er schon in Rumburg erhalten hatte, eine eitrige Fläche. Der Mann hat viel ausgehalten und zufolge seiner starken Körperkonstitution hat sich sein Zustand in Böhmisch Leipa auch gebessert.

Gleich in den ersten Tagen in Karthaus wurde der oder jener mit zu Gartenbauarbeiten verwendet. Ein Leidensgenosse mochte wohl die Situation in einem Zuchthaus noch nicht erkannt haben und bei der Zählung am Abend fehlte er. Der ganze Garten wurde durchsucht und man fand den Unglücklichen versteckt hinter einem Beerenstrauch. Ich konnte die Folterprozedur von unserem Zellenfenster mit noch fünf anderen Insassen beobachten. Von vier Aufsehern wurde dieser Mann geschlagen und stürzte zusammen, wurde mit Wasser übergossen, erholte sich wieder und nun ging die Drescherei wieder los. Zum Schluß wurde der Bedauernswerte auf einer Tragbahre in die Lazarettabteilung getragen und wurde wieder lebensfähig.

Ein anderer Fall: Lehrer Tschapsky aus St. Georgenthal bei Warnsdorf war beim Militärkommando in Jitschin mit Umräumungsarbeiten beschäftigt. Es gab Schläge und Püffe. Tschapsky ließ sich zu der Äußerung hinreißen: "Na, unsere Zeit kommt schon auch wieder einmal!" In diesem Moment wurde er derartig zusammengeschlagen daß er mit der Räderbahre nach Karthaus gefahren werden mußte. Jedoch hatte er noch nicht ausgelitten, in einem Sonderraum wurde er nochmals derartig mißhandelt, daß er am nächsten Tage tot war. Er liegt im Anstaltsfriedhof beerdigt. Brutal gegen uns war man immer, bei der geringsten Kleinigkeit gab es Schläge. Ein Aufseher namens Rosenbaum, von uns der "Watschenpeppi" genannt, war ein äußerst brutaler Kerl. Nach Außenarbeitsschluß, welcher vor Eintritt der Dämmerung erfolgen mußte, marschierten wir in Kolonnen der Strafanstalt zu. Am Hof wurde nochmals Aufstellung genommen und von den Aufsehern nach verbotenen Gegenständen visitiert. Da war dieser Watschenpeppi ein starker Mann. Wer ihm nicht zu Gesicht stand, hatte auch schon einen wuchtigen Schlag im Gesicht. Seine Redeweise war: "Ihr deutschen Schweine, am liebsten sehe ich Euch zwei Meter unter der Erde". Sehr oft wurden während unserer Abwesenheit Zellenvisiten vorgenommen. Was brauchbar erschien, wurde geklaut. Keine Nadel, keinen Bleistift, Messer oder sonst ähnliches durften wir besitzen.

Im September 1945 erhielten wir endlich die Erlaubnis, unseren Angehörigen in der Heimat Nachricht zu geben. Später langten die ersten eingeschriebenen Kilopäckchen aus der Heimat ein. War das eine Freude, wenn ein Zelleninsasse mit einem Päckchen bedacht war. So gut es ging, wurde geteilt. Aber der Inhalt war schließlich für einen zu wenig, geschweige denn für alle Zellengenossen. Es war aber für uns doch wieder eine Auffrischung, daß wir mit der Heimat wieder in Verbindung standen. Es waren ihrer aber leider viele unter uns, die von zuhause nichts erwarten konnten. Denn zu dem Zeitpunkt waren schon ein Teil der Angehörigen von den Tschechen vertrieben worden und wir wußten nicht, wo sie waren. Im Oktober hieß es, daß wir heimkommen sollen. Und tatsächlich, Ende Oktober, November, wurden die Warnsdorfer, Hohenelber und Arnauer abtransportiert und endlich am 13. Dezember 1945 schlug auch für uns Rumburger und Niemeser die glückliche Stunde. Wir kamen in das Internierungslager in Böhmisch Leipa. Früh um 5 Uhr mußte angetreten werden. Wer nur halbwegs laufen konnte, machte sich zur Abfahrt bereit. Am schnellsten gestellt war Otto Münzberg aus Rumburg. Ich für meine Person war mit ca. 10 Abzessen behaftet und konnte den Kopf nicht wenden. Münzberg wurde von uns auf einem Karren mit zum Bahnhof gefahren und in den Waggon geschleppt. Die SNB, unsere Begleitmannschaft, war auch ein ausgesprochenes Gesindel. Sofort wurden wir gesichtet, wer bei der SS war. Einige waren darunter; was diese Leute auf dem Transport von den Unmenschen auszustehen hatten, ist unbeschreiblich. Zerschlagene Gesichter und gebrochene Rippen waren das Endergebnis. Besonders gelitten hat der Schwiegersohn des ehemaligen Bürgermeister Herbrich in Niederehrenburg. Münzberg Otto war mittlerweile so entkräftet, daß er in Böhmisch Leipa von unserem Leidensgenossen Richard Ritt durch die ganze Stadt getragen werden mußte. Um 12 Uhr kamen wir im Internierungslager an, Münzberg kam sofort ins Lazarett, um 14 Uhr war er tot.

Karthaus ist ein Gebäudekomplex, bestimmt für den Orden der Karthäuser, erbaut auf Anordnung Wallensteins in den Jahren 1647 bis 1654, Büßerzellen mit Wänden von 2-3 Meter Stärke, mit hochgelegenen Fenstern, welche nur mit 4 Meter langen Stangen geöffnet werden konnten. Die Klosterkirche ist noch vorhanden. Wir durften dort nicht eintreten, weil wir Läuse hatten. Das Ganze war umgeben mit 4 bis 5 Meter hohen Mauern. Mit Kopfbedeckung durfte nicht einmal der Hofraum betreten werden. Beim Haupttoreingang zwei große Statuen, darstellend Petrus mit dem Schlüssel und Paulus. Deprimierend ist der Anblick von Strafgefangenen, welche bis zu 30 kg schwere Ketten an die Beine geschmiedet haben und in besonderen Kasematten untergebracht sind. Es sind dies diejenigen Verbrecher, welche immer wieder auszubrechen versuchen.

In Böhmisach Leipa waren wir, wie schon erwähnt, am 13. Dezember angelangt. Es gab sofort ein Wiedersehen mit den Warnsdorfer Leidensgenossen und wir erfuhren bald, daß von einer Entlassung in die Heimat überhaupt noch keine Rede sein kann. Nachdem wir zur Genüge entlaust und notdürftig untergebracht waren, konstatierten wir, daß wir hier mit der Verpflegung ein bißchen beser gestellt waren als in Karthaus. Es gab schon 180 g Brot im Tag, Kaffee etwas mehr und ein besseres Mittagessen. Jedoch für unsere ausgemergelten Körper war das alles viel zu wenig. Besonders erholen konnten wir uns nicht. Arbeit war wenig, aber einer besseren ärztlichen Behandlung konnten wir uns unterziehen, nachdem die behandelnden Ärzte auch inhaftierte Sudetendeutsche waren und unsere Leiden kannten. Gar mancher ist durch diese Behandlung am Leben erhalten geblieben und ich kann diesen Männern nicht genug danken für ihre Aufopferung. Der tschechoslowakische Stabswachtmeister Vebr (Weber) als Lagerkommandant wird uns jedoch einem jeden eingedenk bleiben. Ständig besoffen, unmenschlich brutal, Hasser alles, was deutsch war, skrupelloser Menschenschinder, kurzum, er gehörte zum Untermenschentum. Durch eingesetzte frühere tschechische Gendarmeriebeamte wurden nach und nach Untersuchungsverhandlungen und Vernehmungen gepflogen und es kam die Zeit, wo viele Inhaftierte entlassen wurden, viele aber auch hart bestraft wurden. Mir schlug die Freiheitsstunde am 6. September 1946, da festgestellt worden war, daß gegen meine Person nicht der geringste strafbare Tatbestand vorlag, jedoch dieser ganze Leidensweg wäre mir erspart geblieben, wenn nicht ein Sudetendeutscher namens Johann Kantuzzi, wohnhaft in Oberhennersdorf Krs. Rumburg, durch vollkommen unwahre, bei den Haaren herbeigezogene Angaben meine Verhaftung veranlaßt hätte.


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