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Volksdeutsche Soldaten unter Polens Fahnen. 
Tatsachenberichte von der anderen Front aus 
dem Feldzug der 18 Tage
[93]
Zwei Tage Bataillonskommandeur
Oberleutnant Hugo Meyer, Posen

Ich war wohl der erste volksdeutsche Offizier im polnischen Heere. Das kam so: Aus dem Lissaer deutschen Gymnasium mit dem Abitur 1922 entlassen, wollte ich nach dem Reiche, um zu studieren, kam aber wegen meines militärpflichtigen Alters nicht heraus. Deshalb ging ich sofort zum Militär, wurde zunächst dem Ulanenregiment in Lissa, dann nach einer Erkrankung der Nachrichtenabteilung des dortigen Infanterieregiments und zuletzt der Fähnrichschule in Schrimm zugeteilt, als einziger Deutscher. Die Geheimakte, in der meine Person "beschattet" war, und die ich einmal zufällig einsehen konnte, wanderte treulich hinter mir her. Daß der rechte Flügelmann und Primus der Schule ein Deutscher war, paßte den meisten Polen nicht. Sie verleumdeten mich beim Major, ich hätte in dem Legionärsliede statt "nasz Kościuszko" - "wasz K." (statt "unser K." - "euer K.") gesungen. Strenges Verhör beim Major. Ich parierte mit einer eigenen Beschwerde. Es sei für meine nationale Ehre untragbar, täglich die "Rota" von der Maria Konopnicka singen zu müssen, in der wir Deutschen "eine böse Brut" genannt werden und worin die Wendung vorkommt: "Nicht mehr wird der Deutsche uns speien ins Gesicht..." Das Lied hätte ich nie mitgesungen und könnte es auch in Zukunft nicht. Die Deutschen hätten nicht einmal die Angewohnheit, Tieren ins Gesicht zu spucken, geschweige denn Menschen. Statt eines heftigen Donnerwetters, das ich erwartete, machte mein gestrenges Gegenüber eine Verlegenheitspause und entließ mich. Noch größer aber war mein Erstaunen, als der Major bald darauf das tägliche Absingen der "Rota" untersagte.

Aus dieser Zeit ist mir noch in besonderer Erinnerung, daß viele von den polnischen Offizieren, die eine deutsche militä- [94] rische Ausbildung genossen hatten, darauf immer sehr stolz waren und sich ihren kongreßpolnischen Kameraden haushoch überlegen dünkten. So sagte mir mein Kompanieführer einmal: "Meyer, solange du Fähnrich bist, halt' die Schnauze, auch wenn deine Vorgesetzten Blödsinn machen, aber wenn du Offizier bist, dann zeig' ihnen, was ein Deutscher kann."

Nach der ersten Übung beförderte man mich zum Leutnant der Reserve. Wer beschreibt aber mein Erstaunen, als ich in meinem neuen Wehrpaß entdeckte, daß ich, ein Deutscher und Protestant, darin plötzlich zum "Polak" und "Katolik" geworden war. Ich mußte alle Überredungskünste anwenden, um diese Fälschung zu beseitigen und einen neuen Paß zu bekommen. Erfolg: Versetzung in ein anderes Regiment, Garnisonstadt Siedlce.

Als der Krieg ausbrach, war ich Oberleutnant der Reserve und mußte mich sofort nach Siedlce begeben. Schon auf der Fahrt dorthin wurde mir klar, daß eins in Polen bestimmt nicht klappen würde, nämlich die Organisation. Was sich unterwegs meinen Augen darbot, spottete jeder Beschreibung. Die Reservisten konnten nur mit den fahrplanmäßigen Zügen fahren, und diese waren wie Heringstonnen gefüllt, oft mehr mit flüchtenden Zivilisten als mit Militärpflichtigen. Daneben ein Abteil, in dem nur ein Oberst mit einer Bulldogge saß und in das er uns gewöhnliche Sterbliche nicht hereinließ. Die Reservisten kamen schon halb gerädert in ihrer Garnison an. Hier war aber kein Nachtlager für sie vorbereitet, so daß sie die ersten Tage und Nächte unter freiem Himmel zubringen mußten. Als nun gar die ersten deutschen Bomben fielen, sank die Stimmung so unter den Nullpunkt, daß die naivsten Schwindelmeldungen über polnische, französische und englische Siege sie heben sollten. Als wir aber 8 Tage nach Kriegsausbruch nach Süden marschierten, ohne klares Marschziel, da wollte keiner mehr an den Schwindel glauben.

Ich hatte im stillen gehofft, man würde mich, den Deutschen - als solchen wies mich mein Paß aus - irgendwo zum Drillen von Rekruten benutzen. Statt dessen übergab man mir die Führung einer Kompanie, mit einem polnischen Leutnant als Aufpasser. Jede Weigerung hätte für mich den [95] Tod bedeutet. Ich mußte also mit. Als ich für meine Leute Kennmarken anfertigen ließ, lachten mich die anderen Kompanieführer aus. Das sei Spielerei. Dieser Leichtsinn und diese Verantwortungslosigkeit waren mir unbegreiflich und empörten mich.

Die Verfassung der Truppe war alles andere als zufriedenstellend. Das neue Schuhwerk brannte wie Feuer, war es doch überhaupt nicht gefettet und zum Teil nicht richtig zugepaßt. Dazu die miserable Verpflegung, die nur in den ersten paar Tagen einigermaßen regelmäßig verabfolgt wurde. Die Brotrationen fielen sehr bald aus. Die warmen Mahlzeiten wurden rarer, bis wir die Gulaschkanone ganz verloren. Kein Wunder auch, wenn man bedenkt, daß nicht einmal die Kompanieführer Karten hatten und Truppe und Troß verschiedene Wege geführt wurden. Im Bataillon hatten wir lediglich eine einzige Karte, die wie ein Augapfel gehütet und dem jeweilig die Spitze führenden Kompanieführer anvertraut wurde. Marschiert wurde nur nachts, während am Tage nur kürzeste Rast bewilligt wurde, die die Leute auch dann noch mit unnötigen Schanzarbeiten ausfüllen mußten. Vor jedem herannahenden Flugzeug hatten wir in Deckung zu gehen. Meistens war es der Wald, der uns aufnahm. Und ob sich dann alle wieder zum Marsch einstellten? Es zählte niemand seine Mannschaften und fragte nicht nach den Zurückgebliebenen. Dies war auch rein technisch nicht möglich, da unsere Truppe sich durch die langen Märsche in andere Marschkolonnen hineinschob. Diese Gewaltanstrengungen auf den Märschen bis zu 65 Kilometer bei Nacht und im tiefen Sand brachten allein in meiner Kompanie einen Verlust von 30 v. H. des Bestandes, ohne daß in den ersten zehn Tagen des Marsches ein Schuß abgegeben worden wäre. In Ermangelung von ausreichenden Karten mußten wir die Bauern zu Führern nehmen, deren Angaben man keinen Glauben schenken konnte. Stumpf und teilnahmslos marschierten daher Mensch und Tier, und beide hielten nur Ausschau nach etwas Eßbarem. War es dann noch verwunderlich, wenn die Soldaten vor Ermattung einfach vom Wege in den Graben stürzten, und die Aufforderung zum Weitermarschieren mit einem Seufzer [96] nach Wasser und Brot beantworteten? Einzelne sind wohl der Truppe nach einer längeren Rast nachgekommen. Es war bald keine Seltenheit, barfüßige Soldaten zu haben. Dies waren nicht etwa Folgen von fehlendem Schuhwerk, sondern von blutunterlaufenen und vereiterten Füßen, für die die Sanitäter außer Jod keine Linderungsmittel besaßen. Wohl hatten wir einen Arzt, einen Juden, den dies aber wenig interessierte, und für den es die Hauptsache war, auf dem einzigen Sanitätswagen Platz zu finden. Kaum jemals habe ich einen Menschen gesehen, der so um seine eigene Haut besorgt war wie dieser "Menschenfreund". Aber Unter den Linden wollte er spazierengehen, wie er oft prahlte.

Unser Weg führte uns im Zickzackkurs über Łuków-Adamów in die Gegend von Ryki. Hier machten wir die erste Bekanntschaft mit den deutschen Bombern. In großer Höhe erschienen sie. Wir verkrochen uns, so gut es ging. Harte Aufschläge und schaurige Explosionen zeigten uns, daß die schwere Last irgendein Ziel gefunden haben mußte. Es war ein Brückenkopfkommando, das entdeckt wurde. Die ersten vier Toten und einige Schwerverletzte! Trotzdem die Einschläge in einer ziemlichen Entfernung von meinem Standort erfolgten, meinte man, sie in unmittelbarer Nähe zu haben, so stark wurde die Erde erschüttert. Schleunigst blies man wieder zum Aufbruch und schlug die entgegengesetzte Marschrichtung ein.

Lubartów war unser nächstes Ziel. Dort sollte gerastet werden. Unterwegs, es war etwa 9 Uhr abends, wunderte ich mich über die aufsteigende Helligkeit. Neugierig wandte ich mich um. Was war das? Eine Naturerscheinung? Nach einiger Zeit vernahmen wir ein Dröhnen und eine Erschütterung, die ich nie in meinem Leben vergessen werde. Bald erfuhren wir, daß die Festung Demblin, das alte Iwangorod, mit ihren riesigen Vorräten an Artilleriemunition und Benzin in die Luft gesprengt sei. Ein Teil unseres Bataillons hatte, wie ich später erfuhr, die Evakuierung der Stadt besorgen müssen. Jetzt konnte nicht mehr verheimlicht werden, daß die deutschen Truppen bei Radom standen. Wohin zum Teufel sollten wir überhaupt noch? Vom Westen die Deutschen, vom Osten die Russen und [97] wir dazwischen. Um den Eindruck zu verwischen, wurde uns erzählt, daß wir in die Riesenwälder bei Cholm stoßen sollen, wo wir größere Truppenverbände unter persönlicher Leitung des Marschalls Rydz-Smigly antreffen würden. Dort gebe es Rast und Erholung und Neuaufstellung der großen polnischen Armee, die dann zu dem machtvollen Schlage gegen die hereingelockten Deutschen ausholen solle. Wohl war die Nachricht von der Flucht des Staatspräsidenten ins Ausland durchgesickert, doch wurde dies damit entschuldigt, daß das Staatswohl es erfordere. England käme ja nun zu Hilfe.

Die Wälder von Cholm winkten also den müden Soldaten und versprachen Ruhe. Plötzlich Motorengeräusch. Eigene Flugzeuge haben wir nie gesehen, also mußten es feindliche sein. Dazu die Straße Lublin-Cholm-Kowel mit Truppen und Train verstopft. Flüchtlinge hasteten an uns vorbei, die einen nach Osten, die anderen nach Westen. Also wieder runter vom Wege. Das Flugzeug wurde unter Feuer genommen. Die Hölle war los. Die MG.s feuerten über die Köpfe der Truppen hinweg. Das Flugzeug kreiste ruhig weiter. Ein geringes Wippen wurde mit großem Geschrei begrüßt, denn nun mußte es ja stürzen. Weit gefehlt! In großem Bogen zog es ab und kam wieder, um sich die Marschkolonnen besser ansehen zu können. Wir wußten Bescheid! Jetzt werden die grauen Vögel uns bald die Hölle heiß machen. Und in der Tat waren die Wälder bald das Ziel des Anfluges einer größeren Staffel. Die Artilleriestände wurden unter Feuer genommen, während wir Deckung hinter den dicken Fichten und Laubbäumen nahmen.

Schleunigst wurde wieder aufgebrochen und gegen Süden marschiert, um Zamosch zu entsetzen. Krasnystaw war unser nächstes Ziel. Erreicht haben wir es nicht, weil dort bereits der Kampf tobte. Wir bezogen eine Stellung abseits von Krasnystaw und sicherten den Abschnitt nach der Wieprzniederung zu. Wie unzureichend der Nachrichtendienst war, belehrte mich gerade diese Position, mußten wir doch schleunigst die Division in umgekehrter Richtung sichern, da wir einen Angriff auf unsere eigene Rückendeckung erwarten mußten. Hier zog an uns eine Trainkolonne vorbei, deren Länge und wenig geordnete [98] Marschweise deutlich das allgemeine Chaos kennzeichneten. Während die Truppen kaum noch Verpflegung hatten und Brot überhaupt nicht mehr sahen, waren die Wagen überhaupt nicht oder mit unnützem Zeug beladen. Hier einige Konservendosen, die lediglich dem Train vorbehalten waren, dort leere Kisten. Vergeblich bemühten sich die Fourageoffiziere, Ordnung in das Durcheinander zu bringen. Es gelang nicht, und kurz entschlossen griff unser Divisionskommandeur durch und verschenkte einige Dutzend Wagen mit Bespannung und Inhalt an die Bauernbevölkerung. Wir konnten hungern!

Noch war unser Bataillon zu keiner Kampfhandlung gekommen. Wir marschierten, marschierten und dachten uns nebenbei, daß nun wohl bald das Ende kommen müsse. Man horchte hier und da, um Genaueres zu erfahren, doch waren die Nachrichten derart widersprechend, daß wir es schließlich aufgaben, uns Gedanken darüber zu machen. Schließlich merkten wir doch, daß wir in die Kampfzone hineingerieten. Sah man doch Spuren von zerrissenen und verbrannten Akten anderer Regimentskanzleien, die ein untrüglicher Beweis dafür waren, daß sie hier in eine verzweifelte Lage geraten sein mußten.

Die Fliegertätigkeit hatte gegen den 18. September nachgelassen. Warum? Mit vielsagender Miene wurde uns eröffnet, daß England nun sein Versprechen gehalten habe, und daß die Durchbrüche am Westwall der Grund für die Zurückziehung der Luftwaffe wären. - Schreck lähmte mich sekundenlang, und bange Sorge stieg in mir auf. Teufel noch einmal, es darf doch nicht schief gehen! Nein! Es muß bestimmt ein anderer Grund sein. Aber wo erfahre ich die Wahrheit?

Das Ende unserer qualvollen Märsche war noch nicht abzusehen. Da plötzlich geht eine Bewegung durch die rastende Artillerie. In meiner unmittelbaren Nähe - ich führe gerade die Nachhut - werden Geschütze abgeprotzt. Aha, Feind in Sicht! Dann wird es still. Weiter! Aber noch in derselben Nacht sind wir in unmittelbarer Nähe der Front. Das Bellen der MG.s, und das Heulen der Artilleriegeschosse und die Einschläge machen schaurige Musik. Brennende Dörfer mahnen an die harte Wirklichkeit. Auf den Feldwegen vor [99] Cieśniki staut sich die Artillerie. Wenn das die Deutschen wüßten! Auf dem Friedhof wird die Kompanie abgestellt und ich selbst muß nach vorn. Am Dorfeingang glotzen mich zwei Ungetüme an. Schnell mal nachsehen. Die ersten deutschen Munitionslastwagen! Schnell weiter zum Bataillonsstand. Ein großes Durcheinander und große Aufregung herrschen in der engen Bude. Nur ja keinen Lichtstreifen nach außen dringen lassen! Meine Kompanie als die zahlenmäßig stärkste, soll einen Spähtrupp verschicken. 10 Mann und 1 Zugführer ziehen ab. Der Rest darf vor der verriegelten Kneipe im Dreck rasten. Kälte und Nässe übermannen auch mich und im Stehen wird schnell noch ein Schläfchen getan. Der Morgen bricht an. Meine Leute kehren zurück, ohne irgend etwas erspäht zu haben. Was wird es geben? Plötzlich entdeckt jemand hinter der Kneipe einen verwundeten deutschen Soldaten. Schnell wird der Arzt geholt und der stark Blutende verbunden. Ein Raunen geht durch die Reihen unserer Soldaten. Alles will den Mann sehen. Der junge, wohlgenährte Verwundete, der sich tapfer hält, wird allgemein bewundert. Die Deutschen sollen ja keine Lebensmittel haben und halb verhungert aussehen! Und dieser sieht doch gar nicht danach aus. Sanitäter holen eine Tragbahre, und der Verwundete wird zum nächsten Krankenhaus abgefahren.

Nun wird das Bataillon zum Angriff formiert. Ich komme mit meinen Leuten zum Einsatz am linken Flügel. Feldartillerie geht in Stellung, auch Pak und MG.s. Aber schon hat man unsere Bewegung drüben bemerkt. Wir werden von der deutschen Artillerie abgetastet. Im Eilschritt gehe ich mit meiner Kompanie nach dem linken Flügel des Abschnittes. Ausgeschwärmt und gestaffelt drücken wir auf den nahen Wald zu, der von einem schwachen deutschen Spähtrupp gehalten wird. Mitten im Sturm erblicke ich vor meiner Linie zwei Soldaten der deutschen Wehrmacht, von denen einer schwer verwundet sein muß, während der andere sich um ihn bemüht. Einer meiner Leute versteht die Zeichensprache dieses deutschen Soldaten und reißt aus der Patronentasche eine Schnur, mit der der stark blutende Oberschenkel abgebunden wird. Schon bin ich dran und erkundige mich, ob's ihn [100] schwer getroffen hat. Ein dankbarer und ob der deutschen Anrede verwunderter Blick trifft mich, und mit verkrampfter Stimme gibt der Verwundete Bescheid. Mir würgt es in der Gurgel. Ich kann ihm nur noch zurufen, daß meine Sanitäter gleich kommen werden und muß weiter nach vorn. Ein Blick zurück aus dem Walde überzeugt mich, daß diese sich des Verwundeten angenommen haben.

Wohl hatten einige Hitzköpfe während unserer langen Märsche dafür propagiert, daß man jeden Gefangenen erledigen müßte, aber meine energische Aufklärung, daß waffenlose und verwundete Deutsche keine Feinde mehr sind, belehrte sie eines Besseren. Es ist mir auch nicht bekanntgeworden, daß von meiner Kompanie ein Gefangener ermordet worden ist, mit Ausnahme eines Falles, wo ein gefangener deutscher Soldat von einem anderen mir nicht unterstellten Trupp erschossen wurde, als er sich zur Flucht wandte. Außerdem wurde ein Volksdeutscher in Zivil niedergeknallt, dem man Spionage angedichtet hatte, allerdings von einer anderen Kompanie. Es soll ein Reschke (?) aus dem Lodscher Gebiet gewesen sein.

Der Wald ist erreicht. Ich verliere den größten Teil meiner Leute, trotzdem vorher genaue Instruktion gegeben war, wo wieder anzutreten sei. Kein Wunder auch, denn jeder Kompanieführer ist froh über jeglichen Zuwachs und reiht sofort jeden Umherirrenden bei sich ein, zumal die anderen Kompanien kaum über nennenswerte Bestände verfügen. Einer klaut dem andern die Leute weg.

Jetzt beginnt erst richtig die Hölle, denn wir werden nicht nur von der deutschen Artillerie, sondern auch von der polnischen mit schweren Brocken eingedeckt. Zurück in den Wald, Bescheid sagen und wieder nach vorn. Rechts von uns tobt der Kampf und wogt hin und her, bis die Dunkelheit ihm ein Ende bereitet. Brennende Gehöfte und Getreideschober umrahmen das schaurig grandiose Bild. Notdürftig eingebuddelt, habe ich hier mit einem Bruchteil der Mannschaft trotz Artilleriebestreuung diese Nacht auf dem Felde zum erstenmal ordentlich geschlafen. Erst am dritten Tage lösen sich die Fronten und wir ziehen weiter südwärts. Viel später erst wird mir klar, daß uns die deutschen Truppen hier nur aufhalten soll- [101] ten, um an einer anderen Stelle rechtzeitig den Kreis enger schließen zu können.

An Komarów vorbei streben wir dem Ort Krasnobród zu. Diesen Weg müssen schon vor uns Truppen gegangen sein, sehen wir doch Spuren von Kampf, Vernichtung und Tod. Starker Leichengeruch schlägt uns entgegen. Ein deutscher Kampfwagen mit weißem Kreuz ist im Morast steckengeblieben. Gute Arbeit und keine Pappe! Glücklicherweise hat bei unserer Truppe niemand das Ammenmärchen von den Tanks aus Pappe aufgebracht. Gebührend und ausgiebig wird der Wagen beklopft und bestaunt. Teufel auch, dagegen kann man nicht an! Der vorangegangene Kampf mit all seinen Schrecken, Hunger und die sinnlosen Märsche tragen dazu bei, daß die Leute keine Lust mehr haben, "nach Berlin" zu marschieren.

Ausgerechnet müssen wir nachts unsere Flanke sichern, da eine sinnlose Schießerei unsere Oberen nervös und unsicher macht. Unsere Leute sehen schon in ihren eigenen Kameraden Gespenster und knallen einfach drauf los. Keuchend geht's bergauf und bergab. Nur die brennenden Feldscheunen zeigen die Richtung an. Dort hinten soll unser Ziel sein. Plötzlich melden die Späher verdächtige Bewegungen, einige Kraftwagen wären von ihnen erkannt, und schon ist alles bereit, abzuhauen. Es war ja auch nicht meine Aufgabe, den Ort zu erobern. Eine furchtbare Detonation von angehäufter Munition macht die Leute gänzlich kopfscheu. Wir suchen Anschluß an unsere Truppe! Der hungrige Magen knurrt. - Die Mannschaft auch. Wird man in dem vor uns liegenden Ort rasten und etwas Eßbares erhalten können? Diese Frage beschäftigt mehr als der Krieg, und ich muß, wie so oft, alles versprechen, wenngleich ich selber nicht daran glaube. Wir haben aber Glück. Die von uns vor einigen Tagen einer anderen Truppenformation weggeschnappte Gulaschkanone hat sich wieder eingefunden, und mit allergrößter Eile wird die Portion verschlungen, um noch schnell die zweite zu erwischen. Wir steigen herab zum Wieprz auf die Stadt Krasnobród zu. Totenstille! Nur das Knirschen der Wagenräder und das Wiehern der Pferde durchdringt die Stille. An der Brücke [102] werden wir aufgehalten. Der Mond bricht durch, und zu meinem größten Erstaunen verwandeln sich die gerade ausgerichteten, schöngepflegten Baumreihen in schwarzberußte Schornsteine, die sich zum Himmel recken. Jetzt erkenne ich auch die Trümmerhaufen. Eine Stadt ist hier einmal gewesen... "Schadet nichts, Hitler wird schon bezahlen, und wir werden ein neues modernes Polen aufbauen", lacht der Bataillonskommandeur und schickt sich an, Freiwillige für einen nächtlichen Überfall auf deutsche Tanks zu werben. Man grinst verbittert und geht dem Wahnsinnigen aus dem Wege. Sein eigener Adjutant verweigert seine Teilnahme.

Nur kurz ist die versprochene Rast. Die Leute murren und müssen aus den warmen Schlafwinkeln aus Stall und Scheune einzeln herausgetrommelt werden. Schlaftrunken und zum Umfallen müde werden wir durch den zerstörten Ort getrieben. Heckenschützen, vornehmlich Juden, sollen hier Widerstand geleistet und auf deutsche Truppen geschossen haben. Verkohlte Leichen und verbrannte Kraftwagen liegen umher. Die schlechte Sicherung des Ortes durch die vor uns eingezogenen "Eroberer" muß sich verhängnisvoll auswirken. Kaum haben wir die letzten Häuser passiert, und eine Waldschneise zwischen ansehnlichen Höhen erreicht, da bricht der Spuk auch schon los. Die Späher mit dem Bataillonskommandeur an der Spitze trotten ein paar Meter vor der Truppe her und kehren sich nicht um die nahen Büsche. Wir schlafen ja schon im Gehen! Da jagen auch schon die deutschen MG.s mit ihrer Leuchtmunition in die zusammengeballte Masse, die sofort zurückflutet. Nur mit Mühe können die Offiziere ihre Leute zum Hinlegen und Ausschwärmen bewegen. Ein aussichtsloser Sturm auf die Höhen und von dort auf die Schlucht herab erstickt in dem Feuer der Gegenseite, das mit Hilfe von Leuchtraketen sicher und zielbewußt geleitet wird. Der Adjutant fällt, und vergeblich bemüht sich der Bataillonskommandeur, ihn zu finden. Die Truppe ist verschwunden. Wir paar Offiziere machen schleunigst kehrt und stolpern talabwärts... Wie eine Siegesfanfare höre ich noch das Kommando des deutschen Offiziers durch den nächtlichen Wald hallen, der "die erste Kompanie" zum Sammeln rief.

[103] Nach dem ersten Schreck sollen wir bis zum Morgengrauen, so gut es geht, einen Unterschlupf suchen. Wir haben aber die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Kaum sind die Glieder warm geworden, als auch schon von den Posten die Meldung eintrifft: "Sie kommen!" Eine wüste ziellose Schießerei nach allen Seiten gegen den unsichtbaren Feind, der uns zu umzingeln scheint, und ein Durcheinander ohnegleichen, veranlaßt den Bataillonskommandeur, uns an den Fluß zurückzuwerfen. Er selbst wird verwundet und haut nach hinten ab. - Werden sie nun kommen? Und wird endlich, endlich mal das einzig Richtige getan, nämlich die Kapitulation erfolgen? Aber nein, die hohen Herren wollen ja, daß wir ihnen die Flucht nach dem Auslande sichern. Mögen die Soldaten bluten. Dazu sind sie ja da. Hauptsache, man ist mit "Ehren" nach dem Auslande gegangen. Wir müssen daher noch einmal nach vorn. Ich bekomme das Kommando über das Bataillon und muß zum Sturm über eine völlig kahl gefressene Wiese ansetzen. Ein Wahnsinn ist es, gegen die feuerspeienden MG.s anzurennen, während wir über kein einziges mehr verfügen. Unter starkem MG.-Feuer muß ich wieder zurück zum Ufer, um den linken Flügel nach vorn zu bringen. Die Herren Obersten, die mich nach vorn gejagt haben, halten ihr Plauderstündchen und beantworten meine Fragen mit Achselzucken!

Es mußte nur ein schwacher deutscher Spähtrupp vor uns gewesen sein, sonst wären wir nicht so glatt die 500 Meter herübergekommen. Meine Leute hatten kaum gezielt, und manchen wähnte ich schon tot. Aber er kam immer wieder hoch und stürmte nach vorn. Ihm blieb auch nichts anderes übrig, denn Deckung bot uns die Wiese nicht. - Nur der Spaten vor der Stirn war mein Schutz, denn Stahlhelme hatten wir nie gesehen, wenn nicht gerade ein Toter freiwillig seinen hergab. Was machte aber die polnische Artillerie? Die Infanteristen hatten vergebens auf ihre Unterstützung gewartet, und als sie einsetzte, dann leider prompt in die eigenen Reihen. Das verstand sie übrigens ausgezeichnet, denn der Artilleriebeobachter war nie vorne zu sehen. "Der Draht ist wieder mal ausgegangen", war ständig die faule Ausrede.

Als ich auf der Straße Umschau nach einem guten Unter- [104] schlupf halte, steht plötzlich ein volksdeutscher Unteroffizier, Georg Lipke aus Posen, vor mir. Wir drücken uns die Hand, freudig bewegt. Ein verständnisvoller Blick! Wir wissen, der Schlamassel geht jetzt zu Ende.

Am nächsten Morgen erfahren wir, daß unsere Obersten schon vor 24 Stunden die weiße Flagge gehißt und sich ergeben haben, ohne uns die geringste Meldung zu schicken. Wir fluchen und stellen uns nun auch den deutschen Vorposten als Gefangene.-

Über all das, was ich in den wenigen Wochen innerlich gelitten habe, will ich keine Worte verlieren. Grau und fahl kam ich nach einer erlebnisreichen Wanderung und Fahrt in Posen an. Wenn ich jetzt an die Parole der polnischen Prahlhänse "Silni, zwarci, gotowi" (stark, einig, bereit) denke, wird mir klar, daß wohl noch kein Volk so von seiner Führung belogen und irregeführt wurde wie das polnische.


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aus dem Feldzug der 18 Tage