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Volksdeutsche Soldaten unter Polens Fahnen. 
Tatsachenberichte von der anderen Front aus 
dem Feldzug der 18 Tage
[75]
Zwischen deutschen Tanks
und deutschen Fliegern

Soldat William Leuthold, Posen

15. September 1939. Am Bug. Ich denke viel an mein Zuhause. Es ist der Geburtstag meiner Frau. Ich kann mir eure Sorgen denken, ihr Lieben daheim! Wie werdet ihr die schwere Zeit überstehen? Haben euch vielleicht schon die Soldaten unseres Führers in ihren Schutz genommen? Es muß doch schon geschehen sein, da die Front hier in nächster Nähe verläuft. Ich wollte, ich könnte es noch erleben, daß unsere Heimat wieder deutsch wird. Jetzt wird es geschehen, und ich... ich muß hier auf feindlicher Seite in mir verhaßter Uniform Kriegsdienste leisten und womöglich... Herrgott, nur nicht zu Ende denken!...

Mir fällt der Auftritt in Cholm ein, als der Kompanieführer mich nach meiner Volkszugehörigkeit fragte und ich antwortete "Deutscher". Wie der Kerl da mit der Pistole in der Hand drohte, mich sofort zu erschießen, sie mir auf die Brust setzte und mich mit den tollsten Flüchen überfiel. Und dann mein Entsetzen, daß schon in der ersten Militärmütze, die ich bekam, die Läuse herumkrochen. Und dann die Sauwirtschaft, die überall herrschte, Unordnung, Durcheinander, Dreck. Irgendwo ist Benzin, aber kein Auto, anderswo ist ein Auto, aber kein Benzin. Einer hat ein Gewehr, der andere nicht. Einer ist ganz, der andere halb eingekleidet. Und der Spionenfimmel. Immer gab es argwöhnische Blicke und heimliches Getuschel, wenn ich auftauchte. Einmal wär's mir beinahe an den Kragen gegangen. Ich wurde streng verhört, denn irgend so ein Schwachkopf hatte das Gerücht verbreitet, ich, der Niemiec, hätte den deutschen Fliegern nachts mit Streichhölzern Lichtzeichen gegeben. Der Verdacht blieb, und ich mußte seitdem nicht so sehr fürchten, daß mich eine deutsche Kugel von vorn, sondern eine polnische von hinten erledigt. Endlich mein Auftritt mit dem polnischen Polizisten, der nach einem abgestürzten, verbrannten deutschen [76] Flieger mit dem Kolben stieß! In der Hosentasche stecken 1 Zloty und 70 Groschen. Das ist mein Sold für 20 Tage!

Alle diese Gedanken quälen mich... Ich sitze hier mit einem polnischen Trupp in einer Stellung dicht an einer hölzernen Bugbrücke, die wir gegen überraschenden deutschen Angriff decken sollen. Mein Schützenloch liegt der Brücke am nächsten, nur wenige Meter von ihr entfernt. Über den Bug flutet ein nicht aufhören wollender Zug von Flüchtlingen. Unbeschreibliche Szenen spielen sich vor meinen Augen ab. Mein Schützenloch hatte ich nach dem deutschen Luftangriff von gestern tiefer gegraben. Doch war die Vorderwand nur 1½ m dick, was bei einem Anfluge von Westen sehr gefährlich werden könnte. Vielleicht rutsche ich dann in den Bug vor mir.

Neun deutsche Bomber fliegen plötzlich die Brücke von Osten her an. Noch bin ich nicht an meinem Schützenloche; ich muß die Munition schleppen. Was die Füße tragen können, renne ich, schaffe es aber nicht mehr. Die Bomber sind schon heran! Da springe ich in die erste beste Schützengrube zu einem Polen. Ein fürchterliches Dröhnen und Krachen bricht los! Jedes Flugzeug wirft Serien von Bomben ab. Das Zittern der Erde will gar nicht aufhören. Rund um uns sind schwere Einschläge. Der Pole fängt an zu stöhnen und zu jammern, das Gewehr zittert in seinen Händen. Schließlich heult er auf wie ein kleines Kind. Ich könnte dem Kerl das Maul zudrücken, er steckt mich an! Eine kleine Pause tritt ein. Die Bomber bewerfen nun die Eisenbahnbrücke. Mit einigen Sätzen bin ich jetzt in meiner Stellung. Sie ist tiefer und enger. Da kommen alle neun Bomber wieder heran. Wieder gibt es ein Getöse, wie wenn die Hölle los wäre. Ich hocke zusammengekauert und rechne jeden Augenblick mit meinem Ende. Serienweise sausen neue Bomben herunter. Die Sekunden werden zu Minuten, die Minuten zu Stunden! Will das kein Ende nehmen? Kracht eine Bombe einmal ganz nahe, dann ducke ich mich tiefer. Von den Stößen gibt die Erde nach. Bis an die Knie bin ich schon verschüttet. Da hört das Toben [in] meiner Nähe auf. Ich bin heil geblieben! Aber da kommen die Bomber zum dritten Male! Beim ersten Anfluge hatte ich mich noch gefreut, daß die Polen es so heimgezahlt bekommen. Jetzt drohen die Nerven mit mir durchzu- [77] gehen. Am liebsten wäre ich davongerannt. Doch den Triumph, einen Deutschen flüchten zu sehen, sollten die Polen nicht haben. Erde spritzt in der Nähe auf. Ich drohe zu ersticken und schaffe mir mit den Händen Luft. Dann werde ich ruhiger, und in Gedanken an meine Lieben erwarte ich den Tod. Wir haben keine Erkennungsmarken. Ich weiß, daß es in der Heimat niemand erfährt, wenn dies hier mein Grab sein sollte. Halb von Sinnen füge ich mich in mein Schicksal. - Da ist auch schon alles vorüber! Bis an den Leib bin ich verschüttet. Vor übergroßer Nervenanspannung schlafe ich sofort ein, mich mit dem stahlhelmbedeckten Kopfe gegen die Vorderwand stützend, so wie ich sitze. So tief habe ich wohl noch nie geschlafen! Ich erwache wie aus einem bösen Traum. Neues Lebensgefühl durchströmt mich. Der ganze Angriff hat 20 Minuten gedauert (von 15 Uhr bis 15 Uhr 20 Min.). Über 200 Bomben sind abgeworfen worden! Als ich mich umsehe, sind die meisten Schützenlöcher leer. Die Polen haben Reißaus genommen; so auch drei Fähnriche, die neben mir gelegen hatten. Die Flucht der Polen ist den Offizieren gemeldet worden, die jetzt - aus dem Dorfe kommend - die Schützenlinie entlang gehen und laut schimpfend ihrem Unmut Ausdruck geben. Es ist ihnen dann sichtlich peinlich, als sie nur mich, den Deutschen, an Ort und Stelle finden. Sie reden aufgeregt von Kriegsgericht und Erschießung. Allmählich tauchen dann aus dem Walde am Dorfe die Soldaten auf, ohne sich aus dem Lärmen der Offiziere was zu machen. Die Fähnriche kommen wie begossene Pudel zurück; meinen Blicken weichen sie aus. Ein großer Teil bleibt für immer verschwunden. Wieviel davon tot, verwundet oder geflüchtet sind, zählt keiner. Die Lücken versucht man durch versprengte Soldaten zu füllen. Die Fähnriche erhalten für ihr "tapferes Verhalten" noch ein Lob. Beide Brücken sind stark beschädigt. Am Abend gibt es nichts zu essen, weil auch die Gulaschkanone verwaist ist. Es werden neue Mannschaften für die Küche gesucht. Erst am Morgen gibt es etwas, was Kaffee sein soll. Die Nacht haben wir wieder im Freien geschlafen, es ist schon ziemlich kühl. Warme Wäsche oder warme Kleidung gibt es nicht. Mäntel und Decken fehlen! An den Bug dürfen wir nicht, können uns also noch nicht einmal richtig waschen. [78] Die meisten tun es ohnehin nicht. Polen hält nicht zu Unrecht den Weltrekord im Seifesparen. Wer ein Rasiermesser hat, denkt gar nicht daran, es auch anderen zur Verfügung zu stellen. Ich sehe mit meinem Stoppelbart wie ein Räuber aus.

Am 16. September wird plötzlich vom westlichen Ufer auf das erste Aufklärungsflugzeug aus Flugabwehrkanonen geschossen. Die Flak muß in der Nacht angekommen sein. Wir wußten nichts davon. Dem deutschen Flugzeuge geschieht nichts, aber die Polen sind plötzlich freudig und gesprächig: Tatsächlich bleiben diesen Tag die Bomber aus. "Die deutschen Flieger wagen es jetzt nicht mehr zu kommen", heißt es. In der Nacht zum 17. September, einem Sonntag, bleiben wir in der Schützenstellung am Ufer. Es wird wieder von Tanks gesprochen, die vom jenseitigen Ufer kommen könnten. Bis 5 Uhr muß ich Posten stehen und bin gerade dabei, den nächsten unserer Gruppe zum Dienst zu wecken, als jenseits des Bug vier grüne Raketen aufsteigen. Das konnten nur deutsche Signale sein. Alarm! Alles stiert über den Bug. Hinter uns hört man auf dem Dorfwege das Rattern eines Motors. Wahrscheinlich eines der polnischen Lastautos. Niemand denkt sich etwas Schlimmes. Da bleibt das vermeintliche Auto, nur durch die Büsche getrennt, neben mir an der Brücke stehen. Plötzlich höre ich deutsche Kommandos: "Hier, Haß! Hierher! Paß auf! Schnell! Schnell!" Sofort bin ich im Bilde... Ein deutscher Tank ist unbemerkt vom Dorfe her auf die Hauptstraße und an die Holzbrücke gefahren. Einer, wohl Haß, hat Benzin auf die Brücke gegossen und sie angezündet. Es trennen uns keine 10 Meter voneinander. Ich hätte ja eigentlich schießen müssen und können. Aber wozu soll ich darüber viel Worte verlieren... Schnell will ich in mein Schützenloch steigen, da platzt ein Schrapnell, von den polnischen Kanonen geschossen, und während des Einsteigens saust mir eine Kugel zwischen Kopf und rechten Arm hindurch und streift den Bauch. Vom zweiten Schuß streift eine Kugel meinen Rücken. Da ducke ich mich, so tief ich kann, in die Grube. Mein Herz, das erst vor Freude schlug, schlägt nun vor Schreck. Das ganze Feuer der Schützenlinie geht jetzt über meinen Kopf hinweg dem deutschen Tank entgegen. Das Gewehrfeuer kann ja wenig tun, aber die [79] Geschütze! Da kracht aus dem Tank auch schon ein Schuß. Ein zweiter! Er wendet und fährt auf der Hauptstraße der Batterie entgegen. Schuß kracht auf Schuß. Dazwischen rattern die Maschinengewehre. Die Brücke fängt an zu brennen! Das alles hat nur ein paar Minuten gedauert, und schon ist der Tank auch wieder fort. Ich hatte mich schon gefreut, endlich in die deutsche "Gefangenschaft" zu fallen, meinte, jetzt müßte deutsche Infanterie eingreifen, leider... Ich stelle fest, daß ich nur leicht verletzt bin und will den Notverband anlegen. Da kommt der Fähnrich angelaufen und verlangt von allen die Notverbände. Der Major sei schwer verwundet, und schon reißt er mir den Verband aus der Hand und stürmt davon. Was nun? Schließlich schneide ich mir die Unterbeinkleider bis zum Knie ab und verbinde mich damit. Daß wir kein Verbandzeug, keinen Sanitäter haben, wissen wir schon lange. Richtige "polnische Wirtschaft". Es ist überhaupt eine Schande, diesen Dreck hier noch mitmachen zu müssen! - Da kommt der Befehl, jetzt auf dem östlichen Hügel Stellung zu nehmen. Ich melde meine Verwundung. Man nimmt aber keine Rücksicht. Ich sehe ihnen an, daß sie mich am liebsten über den Haufen schießen möchten. - Auf dem Wege zum Hügel sehe ich einen toten Polen liegen, dem die halbe Gesichtsseite weggerissen ist. Etwas weiter liegt dicht neben der Hauptstraße ein Verwundeter, der stöhnend um Hilfe ruft. Niemand kümmert sich um ihn. Es ist einer der jungen Schlesier, vielleicht ein deutschgesinnter. Ich nehme mich seiner an. Unser Oberleutnant, einer der wenigen vernünftigen Menschen, ein Ukrainer, kommt herzu und ist mir behilflich.

Ich bitte ihn um die Erlaubnis, den Verwundeten in ein Haus in Pflege bringen zu dürfen, womit er sofort einverstanden ist. Auf der Hauptstraße steht ruhig ein Panjewagen mit einem kleinen Gaul. Wir laden den Verwundeten auf, und gerade will ich abfahren, da erscheint mein Fähnrich. Er will mich durchaus nicht fortlassen und vermutet ganz richtig meine Fluchtgedanken. Ich berufe mich auf den Befehl des Oberleutnants, der sich schon etwas entfernt hatte, übergebe ihm auf Verlangen mein Gewehr und Tornister zur Verwahrung und ziehe trotz seines Protestes ab, da "Eile geboten sei". Das Pferd führend, komme ich auf der Hauptstraße über den Hügel [80] und sehe ein wüstes Feld der Vernichtung. Einige Lastautos, Geschütze und Wagen sind zerschossen. Pferde liegen tot da, andere haben sich losgerissen und rennen hin und her. Einige sind mit den Wagen an die Bäume gerannt. Koffer, Kisten und Säcke liegen verstreut umher. Da kommt unser Oberst: "Wo wollen Sie hin?" Ich weise auf den Verwundeten. "Aber nur ins nächste Dorf!" "Jawohl, Herr Oberst!" Nun geht's aber los. Von weitem höre ich noch das Rufen meines Fähnrichs: "Sofort zurück!" Ich murmele: "Du kannst mir..." und tue, als ob ich nichts gehört hätte. Ich habe die Empfindung, die Polen wollen nach mir schießen, biege schnell nach rechts ab in eine Schonung und bin ihren Blicken entschwunden. Eine Deichsel des Panjewagens ist gebrochen. Der Wagen will keine Spur in den Sandwegen halten. Da sehe ich einen anderen Wagen mit zwei guten Pferden zwischen den Bäumen festgefahren stehen, versuche den Verwundeten umzuladen, was mir aber nicht gelingt. Von einem anderen Wagen nehme ich dann eine Deichsel und fahre weiter. Wie ich vorher bemerkt hatte, führt die Spur des deutschen Tankes in dieser Richtung. Hoffentlich erreiche ich ihn noch irgendwie. Ungefähr 200 m in der Schonung bemerke ich plötzlich neben mir eine polnische Patrouille von drei Mann. "Was macht ihr hier?" - "Und Sie?" Mein Verwundeter fängt gerade zu stöhnen an, und ich will mich aufmachen, da fährt keine 300 m entfernt ein deutscher Tank an, der bisher stillgestanden hatte, und schon rattert auch sein MG. los. Die Kugeln spritzen durch das Geäst. Er entfernt sich immer mehr, fährt an die Eisenbahnstrecke, sprengt sie und schießt aus dem MG. Die Patrouille zieht sich darauf zurück. Ich führe das Pferd am Zügel weiter, so schnell es geht. Ehe ich aber aus der Schonung komme, ist der Tank seitwärts zurückgefahren und entschwindet meinen sehnsüchtigen Blicken. Ich hatte mir schon eine weiße Fahne, ein Handtuch, zurechtgemacht, um winken zu können. Vorbei, alles aus! Verzagt setze ich mich auf den Wagen. Vor mir steht auf der Eisenbahnstrecke ein Personenzug. Menschen kommen jenseits des Dammes über ein Feld zurück; sie waren vor dem Tank geflüchtet. Die Strecke vor der Lokomotive ist gesprengt. Da rufe ich nach einem Arzte oder Sanitäter. Man sieht mich erstaunt an, wie [81] ich daherkomme und macht mich auf den Tank aufmerksam. Schließlich kommt eine Sanitäterin und legt dem Verwundeten den Verband an. In einer Masse von Blut liegt er. Rückenschuß. Die Kugel ist auf einer Rippe breitgeschlagen und fällt gerade aus der Wunde. Sie kommt mir sehr verdächtig vor, und ich nehme sie mit. Außerdem ist der rechte Unterschenkel glatt durchschossen. Später stellen wir fest, daß viele von den polnischen Soldaten Lebel-Gewehre (alte französische Karabiner) hatten. Also: kein deutsches Geschoß.

In der Nähe stehen verstreut einige Häuser, sie sind verlassen. Wohin mit dem Kranken? Nichts. Also weiter! So komme ich nach einigen Kilometern auf die Bahnstation Jagodzin. Da [steht] ein Zug mit polnischen Tanks beladen. "Auf dem Zuge seid ihr", spotte ich. - "Ja, wir haben kein Benzin und keine Munition!!" So - so! Auf dem Nebengleis sind drei Waggons mit Verwundeten, davor eine Lokomotive, die sie nach Kowel bringen soll. Dort nämlich ist der nächste Arzt zu finden. Das ist noch eine lange Bahnfahrt. Meinen Verwundeten gebe ich an den Zug ab. Eine Krankenschwester schimpft auf die Lotterwirtschaft im Roten Kreuz. Die hellen Tränen laufen ihr herunter. Kein Verbandzeug, keine Medizin. Ein Sanitäter bestätigt das. Man merkt es ihnen an, daß sie die Nase voll haben und auf die polnische "Organisation" wütend sind. Schon von Lodsch ab, woher sie kämen, sei das so gegangen. Ihr leitender Offizier sei unter Mitnahme des ganzen Geldes schon in Lodsch verschwunden. Die Stimmung unter den Soldaten und Sanitätern ist fatal. Vergebens versucht ein polnischer Zivilist, mir für 1000 Zloty meinen lumpigen Panjewagen abzukaufen. Alle schimpfen über die polnische Regierung, die ihr Land in diesen Krieg gestürzt hat.

Einen Augenblick spiele ich mit dem Gedanken, mit dem Verwundetenzug mit nach Kowel zu fahren. Ich bin ja selbst verwundet. Was soll ich aber im Osten? Nach Westen möchte ich! So lasse ich mir die Übernahme meines Verwundeten bestätigen und fahre zurück. Es ist inzwischen etwas spät geworden. Wenn ich noch vor Dunkelheit zur Kompanie treffen will, muß ich mich beeilen! Verdammt, warum habe ich solch Pech und treffe keine Deutschen.

[82] Kurz vor 17 Uhr komme ich an und melde mich. Die Offiziere sitzen auf einer Querstange an der Brücke, die inzwischen vollständig verbrannt ist. Alle lassen die Köpfe hängen. Ich spüre, daß hier etwas nicht in Ordnung ist. Ich werde verhört. Es soll Verrat geübt worden sein! Mein Glück ist, daß ich alles schwarz auf weiß habe, auch die Patrouille kann ich als Zeugen anrufen und komme auch frei. Dann gehe ich zu meiner Abteilung und finde sie im Wäldchen hinter dem Dorfe. Alles ist erstaunt, mich zurückkehren zu sehen. Der Fähnrich grinst höhnisch, sagt aber keinen Ton. Mein Gewehr und Tornister sind verschwunden. Niemand weiß, wo sie geblieben sind. Da erfahre ich auch, was inzwischen los war. Der verwundete Major ist gestorben. Die beiden Tanks waren noch einmal zurückgekommen und man hatte unsere Gruppe mit Bajonetten (!) auf sie geschickt. Viele Tote und Verwundete hätte es gegeben. Mir läuft es eiskalt über den Rücken.

Da steigt nordöstlich von uns, etwa 2 km entfernt, eine weiße Rakete hoch; es ist das Angriffszeichen der Tanks. Da ruft mich auch schon ein Pole in sein Schützenloch, das er zwischen drei eng aneinander stehenden Kiefern gegraben hat. Einigen Schutz bildet er durch die gute Tarnung. Es ist für zwei etwas eng. Ich hocke mich, so gut es geht, nieder und lasse mir noch schnell die heutigen Vorfälle weitererzählen. "Ich habe unter dem Tank gelegen", erzählt er mir, schimpft über den Befehl und sagt mir schließlich: "Du bist verrückt, daß du zurückgekommen bist. Einen von uns haben sie gegriffen und auf den Tank gesetzt, damit wir nicht auf sie schießen sollen!" Wahrheitsgemäß sage ich: "Was sollte ich denn anders machen?" - Die Tanks kommen näher. Es scheinen mehrere zu sein. Sein Gewehr haltend, läßt der Pole eine Perlenschnur durch die Hände gleiten. Das Gewehr verrät seine Erregung, es zittert.

Es kommt Befehl, sich ruhig zu verhalten, nicht zu schießen, um die Stellung nicht zu verraten. Ein Tank fährt 20 Schritt vor uns vorbei. Das MG. knattert. Ab und zu fällt ein Kanonenschuß. Von der polnischen Artillerie scheint nichts mehr da zu sein. Sie schweigt. Ein zweiter Tank ist am Dorfe. Hinter dem nächsten Hügel bleiben andere stehen. Wahrscheinlich sind es im ganzen vier. Ein Fähnrich der Nachbargruppe ruft Be- [83] fehle. Da kracht dorthin eine Granate. Überhaupt scheint es, als ob vom Tank mit Granaten die Schützenlinie aufgerollt würde. Richtig, vor uns ein scharfes Krachen! Da fährt der Tank hinter uns auf einige Schritte Entfernung vorbei. Es ist schon dunkel, aber der Schatten verdunkelt uns noch mehr. Augenblicke höchster Spannung. Jetzt muß die Granate kommen. Es kracht neben uns! Noch einmal ziehen zwei Tanks vorbei zur Hauptstraße. Feuer leuchtet auf! Ein Haus ist in Brand geraten. Die Tanks kommen zurück, dann verhallt das Surren der Motore. Am liebsten möchte ich jetzt schlafen! So tief wie vorgestern! Da wird Befehl zum Sammeln am Gutshause gegeben. Die ganze Kompanie tritt an. Es sind --- 8 (acht) Mann, unser Fähnrich und 2 Oberleutnants. Der Kompanieführer will es nicht glauben, schickt uns zum Suchen aus. Ja, Tote und Verwundete sind da. Ein großer Teil ist geflüchtet. Es werden nicht mehr. Das ist der Rest von 150 Mann. Die beiden Posener Unteroffiziere, die mir so oft zugesetzt hatten, waren nach dem großen Bombenangriff verschwunden. Einer von ihnen hatte sich noch eines Tages hinter mich gestellt und aufgepaßt, ob ich auch schieße. Da mußte ich wohl oder übel einen Schuß ins Blaue abgeben. Es ist mein einziger Schuß gewesen, während der ganzen Kriegszeit. Allerdings sind viele Polen auf ihrer eiligen Flucht überhaupt nicht dazu gekommen, einen Schuß abzugeben. Die Gruppe der Fähnriche ist von 50 auf 20 geschmolzen, obwohl die Tanks zu ihnen hinter das Gutshaus gar nicht einmal gekommen sind.

Wir marschieren ab, ein kleines Häuflein, in Richtung auf die Eisenbahnbrücke. Dort machen wir halt. Es regnet. Im Geräteschuppen legen wir uns ermattet nieder. Mitten in der Nacht werden wir geweckt. Wir sollen über die Brücke. Eisenbahner haben inzwischen mitten auf die Brücke eine Lokomotive gestellt und vor und hinter derselben die Schienen entfernt. Wir tasten uns in stockdunkler Nacht hinüber, jeden Augenblick darauf gefaßt, zwischen den Bohlen in die Tiefe zu fallen. Ich hätte die Gesichter der einzelnen jetzt sehen mögen! Gesprochen wird gar nicht. Jeder ist froh, aus der Hölle herauszukommen. "Wojenko, wojenko, cóześ ty za pani..." Keiner denkt jetzt daran, dieses sonst so beliebte Kriegslied zu singen. [84] Ich überlege, ob ich nicht zurückbleiben soll. Aber wenn die Panzerwagen nicht wiederkommen? Wohin dann? Zu essen gibt es weit und breit nichts. Ich muß also auf eine günstigere Gelegenheit warten. Das Dorf brennt noch lichterloh...

Immer wieder muß ich jetzt nach meiner Errettung an das Husarenstück der deutschen Panzerwagen denken. Vollständig überrascht hatten sie die Polen. Die Front war doch nach dem Westufer gerichtet, und plötzlich waren die Tanks mitten unter uns, ohne überhaupt bemerkt worden zu sein. Die polnische Abteilung muß ohne Fühlung nach Norden gewesen sein. Ich war ja in einer heiklen Lage, aber gefreut habe ich mich trotzdem über den Schneid der deutschen Soldaten. Euch deutschen Kameraden aber gratuliere ich zu dem damaligen Gelingen und zu dem "Eisernen Kreuz". Ich wußte, daß ihr es dafür erhalten werdet und erfuhr es sogar nachher ganz zufällig. Als ich einige Wochen später nach Hause kam, hörte ich, es war wohl am 6. November 1939, durch den Deutschlandsender den Bericht des Unteroffiziers Beier von einer schweren Panzerabteilung, die im September an der Bugbrücke gekämpft hatte, und der mit in einem dieser Tanks gewesen ist. Ich hörte die Namen des Leutnants Wischnewski und des Feldwebels Haß, der damals gerufen worden ist. Ihr konntet ja nicht ahnen, daß euch so nahe ein deutscher Volksgenosse in polnischer Uniform saß. Ihr hättet mich vielleicht mitgenommen. Ich wollte auch über den Rundfunk an euch schreiben, doch war mir das im November nicht möglich, da ich an beiden Händen Entzündungen hatte infolge von Verletzungen, Unterernährung und Erkältung. Heute ist alles verheilt und, Gott sei Dank, vorüber. Es freut mich, daß ihr alle glücklich heimgekehrt seid. Auch von den Geschützen wußte ich, die ihr damals mitgenommen habt. Wir haben sie ja in den nächsten Tagen noch zu schmecken bekommen... Nun ist der ganze Polenspuk vorüber. Ich marschiere in den Reihen des volksdeutschen Selbstschutzes der Stadt Posen unter dem Kommando deutscher -Führer. Ein heiliges, starkes Gefühl durchglüht uns alle, die wir vorher unter Polens Fahnen dienen mußten. Dank sei unserem Führer Adolf Hitler. Ihm und dem Großdeutschen Reich gehört fortan unser Leben.


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Volksdeutsche Soldaten unter Polens Fahnen:
Tatsachenberichte von der anderen Front
aus dem Feldzug der 18 Tage