SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor


Unser Kampf in Polen. Die 
Vorgeschichte - Strategische Einführung - Politische und kriegerische Dokumente


Militärische Betrachtung des polnischen Feldzuges

von Oberstleutnant a. D. George Soldan

Mit Überraschung, oft mit Verblüffung ist die zuschauende Welt dem Verlaufe des Feldzuges gegen Polen gefolgt. Auch der Fachmann, der in militärischen Entwicklungen seiner Zeit lebende Offizier des In- wie des Auslandes hat an dieser Überraschung um so mehr teilgehabt, als er von den Vorgängen selber entfernt war. Ein solch schneller Verlauf mit derart vernichtenden Schlägen war nicht zu erwarten gewesen. In 18 Tagen ein Volk von 34 Millionen Menschen, zu dessen Schutz eine zahlen- und waffenmäßig gut vorbereitete Armee bereits an den Grenzen des Landes aufmarschiert war, über den Haufen zu rennen, nachdem diese mit ebenso kurzen wie harten Schlägen zermürbt worden war - das umfaßt ein Kriegserleben, dem die Geschichte kaum etwas Vergleichbares an die Seite zu stellen vermag. Es war ersichtlich, daß hier irgend etwas Neuartiges mitgesprochen haben mußte, denn mit Überlegenheit von Führung und Truppe, mochte sie noch so gewaltig gewesen sein, wie sich in der Tat hier ein soldatisches Können im strahlenden Lichte abhebt, war allein dieser schnelle Vernichtungsfeldzug nicht zu erklären. Die Ursachen liegen denn auch tiefer. Es heißt an der Oberfläche schürfen, wenn man sie nur in menschlicher Leistung sehen will, so ausschlaggebend diese letzten Endes, wie stets in der Kriegsgeschichte, auch gewesen ist. Man muß seinen Blick rückwärts bis zum Weltkriege und darüber hinaus schweifen lassen, um die wahrhafte Größe dieses einzigartigen kriegerischen Geschehens voll würdigen zu können.

Nach allen großen Schlachten des 19. Jahrhunderts ist der Besiegte bestrebt gewesen, so schnell wie möglich sich von dem Sieger weit abzusetzen, um Zeit für die Neuordnung seiner Verbände zu gewinnen. Zum erstenmal sah die Kriegsgeschichte im größeren Ausmaße das Gegenteil, als im Russisch-Japanischen Kriege 1904-1905 selbst nach ihrer sehr schweren Niederlage bei Mukden die Russen schon nach zwei Tagemärschen wieder in Kampffront stehen konnten. Und die weitere Überraschung war, daß es keines Halts an einer Festung, an irgendeinem Hindernis bedurfte, um diesen Halt zu stützen, sondern daß ein einfaches Eingraben in die Erde genügte, um die völlige Niederlage aufzufangen, den Sieger zu erneuten Vorbereitungen zu veranlassen, über die er aber zunächst selber einmal in die Erde zu versinken hatte. Abermals entsteht danach ein verbissener, über Wochen und Monate währender Stellungskampf, ein Ringen um jeden Meter Boden, wobei Dörfer zu Festungen, Wälder zu Bollwerken werden, ein Kampfverfahren im freien Felde sich entwickelt, das man ehedem nur um vorbereitete Befestigungsanlagen gekannt hatte. Je länger der Russisch-Japanische Krieg dauerte, um so aussichtsloser wurde eine Entscheidung durch Waffengewalt. Er fand sein Ende durch das vermittelnde Eingreifen dritter Mächte.

Damals stand man diesen Erscheinungen mit einer offenkundigen Ratlosigkeit gegenüber. Man tröstete sich mit der Zuversicht, daß die Ursache wohl nur in der Eigenart des Kriegsschauplatzes und der kämpfenden Parteien gelegen hatte.

Zehn Jahre später schienen die große deutsche Offensive des Jahres 1914 an der Westfront und die gewaltigen Erfolge im Osten das zunächst auch zu bestätigen. Aber gleichzeitig wurde immer klarer, daß auch jetzt durchschlagende Waffenerfolge, selbst ein Vernichtungsschlag, wie es Tannenberg gewesen ist, noch ausgeprägter als 1904-1905 im Vergleich zu Schlachten vergangener Zeiten keine nennenswerte Auswirkung auf den Verlauf der Operationen, geschweige denn auf den Ausgang des Krieges, zu gewinnen vermochte. Die gewaltigsten militärischen Anstrengungen konnten das im Verlaufe des Weltkrieges nicht mehr ändern. Das militärische Ringen wurde von Jahr zu Jahr über einem mit allen Mitteln entfesselten Wirtschafts- und Propagandakrieg mit dem Ziele körperlicher und seelischer Zermürbung des Volkes in den Hintergrund gedrängt. Es entstand der Begriff "Totaler Krieg", in welchem der bisherige alleinige Träger eines Krieges, der Soldat, in Abhängigkeiten geriet, die jede ungehemmte - und deshalb allein aussichtsreiche - Operationsfreiheit unterbanden. Als die Heere des Weltkrieges in die Erde versanken, ein Stellungskrieg sich so fesselnd um sie legte, daß kein Versuch zur Rückgewinnung des Bewegungskrieges, in dem ganz allein militärische Entscheidungsmöglichkeiten ruhen, gelingen wollte, war das Ausdruck eines völligen Erschöpfungszustandes für beide Parteien, ja, es war in gewisser Weise auch ein Ausdruck einer Resignation, eines dumpfen Ahnens, daß etwas Unvorhergesehenes der überkommenen militärischen Kriegsführung enge Grenzen gezogen hatte.

Das war das äußerliche Bild. Zunächst ungern oder auch gar nicht zugestanden! Aber unter bewundernswertem Aufbäumen nicht nur deutscher, sondern auch französischer Truppen konnte die niederziehende Erkenntnis immer weniger bestritten werden, daß die Verteidigung zur unbedingt stärkeren, durch keinerlei Mittel mehr zu überwindenden Kriegsform geworden war, sobald zwei vor allem auch in technischer Hinsicht einigermaßen gleichstarke Gegner miteinander rangen. Die Ursache lag in der vergleichsweise zu früheren Zeiten rapide gewachsenen abstoßenden Kraft der Waffen, insbesondere des Maschinengewehrs, wobei aber auch die Wirkung moderner Mehrladergewehre einzubeziehen ist, die schon im Burenkriege zu eigenartigen Erscheinungen geführt hatte. Bei der Artillerie hoben sich zumindest, in der Auswirkung gesehen, die einer Verteidigung oder einem Angriff dienenden, gegeneinander ausgespielten Kräfte sehr bald wieder auf. Jedenfalls - und alle Versuche, daran zu deuteln, ändern es nicht! - gab es in der Kriegsgeschichte kein Mittel mehr, am wenigsten in Gestalt von todesverachtend eingesetzten weit überlegenen Massen, um sich gegen diese abstoßende Waffenwirkung durchzusetzen. Und das wurde im Verlaufe des Weltkrieges um so augenfälliger, je mehr man diese wundervollen Waffen vermehrte und lernte, sie zweckmäßig auszunutzen, d.h. sie auch taktisch richtig einzusetzen. Auf der anderen Seite ist man in den vier Kriegsjahren nicht wesentlich über Ansätze hinausgekommen, nun auch solche Waffen auszubauen, die der Wiedergewinnung des Bewegungskrieges vielleicht hätten dienen können. Dazu gab es im Kriege selber allzu beschränkte Möglichkeiten. Zu verkennen ist allerdings auch nicht, daß durch den langen Stellungskrieg eine gewisse Erschlaffung eintrat, ein Sinken des Wagemuts, ein Erstarren in geistiger Einförmigkeit, eine Überschätzung des eroberten Landes - alles Erscheinungen, die vor allem der höheren Führung in menschlich durchaus verständlicher Weise jenen hohen Schwung nahmen, der nun einmal Vorbedingung ist, um einen auf Feindvernichtung zielenden Bewegungskrieg zu führen, vor allem wenn nicht mehr Flanken vorhanden sind, die sich zu wirksamer Operationsrichtung anbieten. Man mußte sie erst über einem Durchbruch schaffen. Dieser aber wurde zu einem Problem, das in keinem Falle trotz gewaltiger Versuche an der Westfront, wo die Entscheidung lag und wo ziemlich gleichstarke und gleichgute Kräfte miteinander rangen, gelöst werden konnte. Gelang einmal der Durchbruch an sich, so versackte der Angriff hier schneller, dort nach vereinzelt sogar beträchtlichen Erfolgen langsamer vor neuen Wällen abstoßender Waffenwirkung. Verdun, Somme, Flandern und die großen Schlachten des Jahres 1918 sind Marksteine solcher Enttäuschungen, wobei die letzten Erfolge der Franzosen ausscheiden. Sie sind über das deutsche Heer erzielt worden, das damals weniger durch Kampf als über Irrungen und über Auswirkungen des inzwischen zu höchster Wirkung entfalteten Wirtschafts- und Propagandakrieges in seinem Kern zermürbt, teilweise nach vier Jahren Kampf gegen gewaltige Übermacht völlig am Ende seiner Kraft war. Ludendorff hat vor der großen deutschen Offensive im März 1918 das Wort geprägt, daß die Taktik über die Strategie zu stellen sei. Bei einer Auseinandersetzung mit einer Heeresgruppe verbat er sich sogar das Wort "Operation", d.h. eine strategische Offensive mit weiter gesteckten Zielen zur Herbeizwingung einer vernichtenden Entscheidung. Unbewußt hat er damals das Fiasko einer militärischen Kriegführung festgestellt, deren Ziel auf die Niederwerfung des Feindes gerichtet ist (Clausewitz, 9. Kapitel!).

Die durch den Weltkrieg gewonnene Erkenntnis von der schwer zu brechenden Kraft einer stellungsmäßig sich stützenden Verteidigung hat auch nach ihm zunächst zu einem weiteren Ausbau der Abwehrwaffen geführt. Die Maschinengewehre erfuhren nicht nur zahlenmäßig, sondern auch konstruktiv eine erhebliche Steigerung der Leistung. Das entsprang einem verständlichen Sicherungsdrange, der bekanntlich, in Frankreich beginnend, auch zu der Anlage von ständigen Grenzbefestigungen führte, die sich an den bewährten feldmäßigen Stellungsbau anlehnen, aber durch im Frieden gegebene Möglichkeiten einen festungsähnlichen Charakter gewinnen.

Sehr bald aber wandte man sich nun auch in schnell gesteigertem Ausmaße der Vervollständigung ausgesprochener Angriffswaffen zu. Immer offener trat das Bestreben zutage, durch neue, dem Maschinengewehr überlegene Waffen operative Bewegungsfreiheit und hiermit wieder eine militärische Entscheidungsmöglichkeit in einem kommenden Kriege zu gewährleisten. Deutschland scheidet bei diesen vielfachen Versuchen aus. Mit dem 100.000-Mann-Heer und unter dem wohl überlegten Verbot gerade der in erster Linie hierzu auszugestaltenden Waffen konnte es nicht viel mehr tun als interessiert der Entwicklung in den großen militärischen Machtstaaten zuzuschauen. Das war bitter, sollte sich aber später doch auch als ein nicht zu unterschätzender Vorteil erweisen, denn die nun eingeschlagenen Wege erwiesen sich zunächst als irrig und nebenbei auch recht kostspielig.

Es lag nahe, daß man sich zunächst auf die Waffen stürzte, die im Weltkriege noch in den Anfängen gesteckt, aber hinreichend in ihm bereits erwiesen hatten,
Giulio Douhet
Giulio Douhet
[Fotoarchiv Scriptorium]
daß in ihnen starke Möglichkeiten einer Entwicklung ruhten, die gerade in Hinsicht auf die Wiedergewinnung operativer Bewegungsfreiheit Bedeutung erlangen konnten. Und
J. F. C. Fuller
J. F. C. Fuller
[Fotoarchiv Scriptorium]
ebenso nahe lag es, daß man nach den schweren Enttäuschungen zunächst einmal nach einem Radikalmittel suchte, unter dessen kraftvoller Entfaltung man die dunklen Mächte zu überwinden hoffte, die in erdversackten Linien und Löchern sich militärischer Kriegsentscheidung entgegenstemmten. In der Panzer- und in der Luftwaffe glaubte man solche Radikalmittel gefunden zu haben. Es erklang die Sphärenmusik des Italieners Douhet, der in der Luftwaffe die allein entscheidende sehen wollte. Dazwischen mischte sich mit grollenden, dumpferen Motiven die Herausstellung der Panzerwaffe durch den Engländer Fuller, der mit ungezählten Tanks alles Erdgebundene zu überwalzen hoffte. Allmählich mischten sich beide Motive, suchten sich in bezwingender Harmonie zu einigen, gewisse Dissonanzen immer mehr taktmäßig auszugleichen und so zu einem ungeheuren Furioso zu gelangen - Tausende von Flugzeugen in der Luft, Tausende von Kampfwagen auf der Erde - so erhoffte man eine gewaltige Vernichtungswelle schaffen zu können, der nichts zu widerstehen vermochte, zumal im Flugzeug und im Kampfwagen nun zugleich auch die erdgebundene Verteidigungsstärke des MG. zu einer beweglichen Angriffskraft umgeformt wurde.

Dieser Traum von dem Radikalmittel war allzu schön gewesen, als daß er hätte wahr werden können. Über einem mit Würde getragenen Maestoso ist er schnell in immer zarterem Pianissimo abgeklungen. Es wiederholt sich die alte Weisheit, daß jeder neuen Waffe die Gegenwaffe erwächst. In diesem Falle erfahren die Abwehrwaffen, Flak und Tak, einen überraschend schnellen Ausbau. Es beginnt ein Wettlauf, der allerdings für beide Seiten auch große Vorteile bringt. Flugzeug und Kampfwagen werden schneller und gegen Geschoßwirkung unempfindlicher, die Abwehrwaffen erfahren eine ständig steigende - bisher niemals erreichte - Präzisionswirkung und Feuergeschwindigkeit. Aber jetzt besinnt man sich darauf, daß man zwar mit diesen Waffen zerschlagen kann, daß aber weder Kampfwagen noch Flugzeug imstande sind, zerschlagenen Feind vollends zu vernichten, geschweige denn zerschlagenes Gelände zu behaupten. Auf sich gestellt konnten beide die ersehnte Operationsfreiheit also doch nicht zurückbringen. Man konnte schließlich auch derartige immerhin kostspielige Waffen nicht uferlos verwenden. Sie gebrauchten Anlehnung und diese fand sich nun in den Möglichkeiten, die in der Nachkriegszeit durch die Motorisierung allgemein sich in immer breiterem Ausmaße ergeben hatte. Es beginnen Versuche - um diese Zeit schaltet sich das nun auch wieder dank der Tat unseres Führers aufrüstende Deutschland in solche gewissermaßen internationalen
Unsere Pioniere
Unsere Pioniere
[Atlantic]
militärischen Entwicklungen ein - die sich schließlich zu einigen Erkenntnissen verdichten. Motorisierte Infanterie mit Pionieren und Artillerie werden jetzt mit den Kampfwagen in schnellen Divisionen oder wie
Deutsche Panzer im Vormarsch
Deutsche Panzer im Vormarsch
[Associated Press - Schwahn]
man es sonst nannte, gekoppelt. Das war der wesentlichste Schritt taktischer Entwicklung in der Zeit nach dem Weltkriege. In solcher Verkoppelung von Motorisierung, Mechanisierung und Panzerung auf der Erde vermutete man ein wirksames Mittel zur Erhaltung der Beweglichkeit, zumal wenn sie von oben her durch die Luftwaffe überdeckt und verstärkt wurde.

Darüber rückte nun auch die Infanterie wieder in ihre beherrschende Stellung als Königin des Schlachtfeldes ein. Sie war über allen schönen Träumen von neuartigen Radikalmitteln arg vernachlässigt worden. Man hatte ihr zwar eigene Geschütze in Verfolg einer klaren Lehre des Weltkrieges sehr bald gegeben, aber das war in Hinsicht auf die gleichzeitige Vermehrung der MG. völlig unzureichend. Die Stetigkeit auch ihrer Angriffsbewegung mußte möglichst sichergestellt werden, wobei man sich zu vergegenwärtigen hatte, daß auch motorisierte Infanterie, selbst wenn man sie in gepanzerten Fahrzeugen so nahe wie irgend möglich an den Feind heranführt, [den Feind] doch schließlich zur Erringung des Enderfolges mit den Beinen auf der Erde stehend niederkämpfen muß. Was die Infanterie benötigt, erschöpfte sich nicht in einigen Waffen, so sehr diese - Granat- und Minenwerfer, überschwere MG., Abwehrgeschütze gegen Kampfwagen und Flieger - auch geboten waren. Es handelte sich zugleich um Organisationsfragen, die tief in ihr Gefüge einschnitten, um ein umzugestaltendes Kampfverfahren, immer unter dem Gesichtspunkt, durch konzentrierte Waffenwirkung auch die Stetigkeit ihres Angriffsweges zu sichern.

Hierfür hatte vor allem der Krieg in Spanien mancherlei wertvolle Erfahrungen gezeitigt. Im übrigen aber zeigte dieser Krieg das vom Weltkriege her noch allzu gut bekannte Bild: sorgfältige Vorbereitung, kurzer Erfolg, Festlaufen vor neuen Feindstellungen. Es gelang dem Angreifer erst am Abschluß des Feldzuges durch rechtzeitiges Vorbringen seiner schweren Waffen eine Stetigkeit des Angriffs zu erreichen; das aber geschah zu einer Zeit, in welcher die Widerstandskraft des Feindes schon weitgehend über verschiedene Ursachen zum Erlahmen gebracht worden war.

Nach diesem Feldzuge war in der militärischen Fachzeitschrift Deutsche Wehr - es war im März 1938 - der Stand der derzeitigen militärischen Entwicklung folgendermaßen geschildert worden:1 "Erfolge werden stets errungen, wenn ein inniges Zusammenarbeiten aller Waffen und Waffengattungen um den Infanteristen herum zu einer höchsten Kraftauswirkung gelingt. Wesentliche Erfolge konnten bei Erfüllung dieser Voraussetzungen unter überraschend geringen Verlusten für den Angreifer gebucht werden. Die durchschlagende Kraft des Angriffs ist abhängig von der Aufrechterhaltung der Stetigkeit solcher intensiven Zusammenarbeit. Sobald sie erlischt, stockt der Angriff. Die Stetigkeit der Bewegung ist also abhängig von der Erhaltung der Stetigkeit des Zusammenwirkens der Waffen und der Stetigkeit des Nachschubs. Dieser Satz muß am Anfang aller Erwägungen in der Zukunft stehen. Nur dann werden wir einen wirklichen Fortschritt erleben, wenn ein von Macht getragener harter Wille rücksichtslos jede Eigenbrötelei der Waffengattungen zu brechen vermag, d. h. auch Luft- und Panzerwaffe zunächst einmal in die große Aufgabe hineinzwingt, die eben skizziert wurde." Und diese Betrachtungen abschließend, war die militärische Entwicklung seit dem Weltkriege folgendermaßen zusammengefaßt worden: "In früheren Zeiten konnte ein Feldherr großzügig über operatives Denken die Vernichtung des Feindes erstreben. Er durfte sicher sein, daß seine Gedankengänge von einer einigermaßen tüchtigen Truppe - und mit ein bißchen Glück - zu verwirklichen waren. Heute weiß das kein Feldherr mehr, wenn er nicht ausnahmsweise über ausgesprochen zahlenmäßige und materielle Überlegenheit verfügt, und selbst dann kann es, wie wir gelegentlich eben noch in China erlebt haben, Überraschungen geben. Andererseits darf nicht verzagt werden. Wir stehen heute erst am Anfang einer Entwicklung. Es stecken starke Möglichkeiten in ihr. Gelingt es, sie folgerichtig zu vollenden, d. h. mit der Stetigkeit des Zusammenwirkens aller Waffen wieder eine vernichtende Schlagkraft zu schaffen, so wird der Weg zur operativen Freiheit geöffnet sein und auch eine militärische Schlachten- und damit Kriegsentscheidung wieder in den Bereich der Möglichkeit rücken. Gelingt es nicht, so wird auch der Zukunftskrieg sehr bald wieder im Stellungskampf versacken und die Kriegsentscheidung über Zermürbung fallen.

Gewiß wird auch in Zukunft kein Feldherr auf den Stellungskampf verzichten. Er wird ihn aber bewußt als Mittel der Führung einsetzen, um Kräfte des Feindes zu binden oder um einen feindlichen Zugriff dort zu verhindern, wo er selber keine weiteren Interessen hat, als irgendein Gebiet zu schützen. Ebenso wird es keinen wahren Feldherrn geben, der in der Erkenntnis, daß nur dem Bewegungskriege eine Entscheidungsmöglichkeit innewohnt, nicht heute schon vom höchsten Wagemut getragen alle Wege und Mittel erschöpft, die sich ihm teilweise in völlig neuartiger Weise zur Herbeizwingung von entscheidenden Schlägen anbieten. Die Aussichten? ... Darüber ist nach dem Stande der Dinge, wie sie heute noch liegen, keinerlei Voraussage möglich."

Im Verlaufe des letzten Jahres war bekannt geworden, daß man gewillt war, sowohl in Italien als auch in Sowjetrußland die über Motorisierung auf der Erde und in der Luft der Kriegsführung nunmehr sich eröffnenden Möglichkeiten im Falle eines Krieges weitgehend anzuwenden und auszunutzen. Veröffentlichungen in der Fachpresse, ja sogar Hinweise in den bekanntgewordenen Dienstvorschriften konnten keinerlei Zweifel darüber lassen. In Deutschland schwieg man sich für die Öffentlichkeit aus. Daß man aber in unserem Generalstab nicht anders dachte, war selbstverständlich. In keinem Generalstab der Welt ist von jeher die Offensive, auf Vernichtung des Feindes zielende Kampfführung, so traditionell gepflegt worden wie im deutschen. So konnte es keine Überraschung bedeuten, daß Polen gegenüber, um mit den klassischen Worten von Clausewitz zu sprechen, ein Kriegsplan aufgestellt wurde, der "die Vernichtung der feindlichen Streitkraft, d. h. einen großen Sieg über dieselbe und ihre Zertrümmerung" zum Ziele hatte.

Dazu konnte allerdings die Einschätzung des polnischen Gegners, wenn es nötig war, nur noch anreizen. Der erste zusammenfassende Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht hat bereits betont, daß man über das polnische Heer gut unterrichtet war. Der Chauvinismus insbesondere polnischer Offiziere hat das ungemein erleichtert. Noch kurz vor dem Ausbruch des Krieges hat u. a. ein polnischer Generalstabshauptmann in zahlreichen Vorträgen, schließlich auch in einer kleinen, weit verbreiteten Broschüre die Aussichten des bevorstehenden Kampfes erörtert. Entkleidete man seine Darlegungen des rein Propagandistischen, so blieb manches übrig, das unter militärischen Gesichtspunkten auch für uns Interesse gewann. Dieser Hauptmann hat "objektiv" die Merkmale des deutschen und polnischen Soldaten verglichen, wobei er die Unterschätzung des Gegners als Leichtsinn, die Überschätzung als ein Verbrechen hinstellte. Charakteristischerweise führte er zur Erläuterung der "hohen kriegerischen Werte" der polnischen Armee den von Polen 1919-1920 gegen die Bolschewisten geführten Krieg an, der bekanntlich nach eigenen schweren Rückschlägen mit dem "Wunder an der Weichsel" die Niederlage der Sowjets besiegelte. Kein Geringerer als der Marschall Pilsudski, damals der polnische Oberkommandierende, hatte stets vor einer Überschätzung dieses Feldzuges gewarnt, der ohne alle Kriegsregeln und unter Verleugnung der einfachsten Grundsätze der Strategie und Taktik mehr einer "Schlägerei" gleiche als einem Kriege. Trotzdem hat gerade die Erinnerung an ihn im polnischen Heere eine Überheblichkeit groß werden lassen, die von Jahr zu Jahr Steigerung erfuhr. Man bildete sich ein, daß das polnische Offizierskorps im Laufe einer 18jährigen Ausbildung und Erziehung und einer vernünftigen Beförderungspolitik organisch und systematisch fest zusammengewachsen sei, daß die älteren Offiziere lediglich über Stärke des Geistes, über militärisches Können und vermöge hoher moralischer Werte in ihre verantwortlichen Stellen aufgerückt seien, während die Ausbildung der deutschen Offiziere über dem gewaltigen Ausbau der Wehrmacht hätte vernachlässigt werden müssen, ganz abgesehen davon, daß bei uns "Protektion und parteipolitische Tendenzen" des Wert des Offizierskorps stark herabgemindert hätten. Man war sich auch in Polen durchaus darüber klar, daß die Grundlage der Armeen, der Mensch, gewissermaßen das Rohmaterial ist, aus dem das Hauptwerkzeug des modernen Kampfes - der Soldat - geschaffen wird, daß der moderne Krieg ein solcher der Schnelligkeit, ein Krieg von Präzisionsmaschinen und von Millionen von Geschossen sein werde, daß starke Nerven, die Beherrschung der Gedanken und der eiserne Wille die Hauptbedingungen für den Sieg seien, der auf dem modernen Schlachtfelde nur dem moralisch starken Menschen zufalle. Das alles besaß, wie man sich fest einbildete, der polnische Soldat überragend, während man den deutschen als "dickbäuchig" und "bequem" und durch "parteipolitische Auswirkungen" unzufrieden wähnte. Das ist in Polen um so mehr geschrieben und geglaubt worden, je spannender die politische Lage wurde.

Überschätzte man auf diesem so wesentlichen moralischen Gebiet seine Eigenkraft in sehr bedenklicher Weise, so übersah man zugleich die Schwächen der eigenen Bewaffnung. Sie war, bedingt durch das zunächst völlige Fehlen einer größeren eigenen Rüstungsindustrie auf ausländische Fabrikate angewiesen, demgemäß uneinheitlich, konnte aber auch mit dem zahlenmäßig sehr schnellen Aufbau des Heeres nicht entfernt gleichen Schritt halten. Polens Bevölkerung wuchs bekanntlich von Jahr zu Jahr in ständig stärkerem prozentualem Ausmaße. Das Land stand mit einer möglichen Kriegsstärke von über 3½ Millionen Mann nach Sowjetrußland und Frankreich an dritter Stelle der Staaten, die für die Einkreisungspolitik Englands von offenkundiger Bedeutung waren. Der Friedensstand des Heeres war mit 90 Infanterie-Regimentern, die 274 Bataillone umfaßten, mit 40 Kavallerie-Regimentern, gleich 210 Schwadronen, mit 11 Kampfwagen-Bataillonen und 44 Artillerie-Regimentern mit 152 Abteilungen neben zahlreichen technischen Truppen bekannt. Was an Reserve-Formationen aufgestellt werden konnte, entzog sich näherer Kenntnis. Heute weiß man, daß die geschätzte Möglichkeit eines Kriegsheeres von 3½ Millionen auch annähernd nicht erreicht worden ist. Immerhin hätte jedoch im Falle einer längeren Dauer des Krieges die große Menschenreserve die Möglichkeit zu langem Durchhalten geboten, vor allem wenn die Belieferung mit Waffen vom Ausland eher aufrechtzuerhalten war.

Die große Uneinheitlichkeit dieser Waffen kam der letzteren Möglichkeit vielleicht entgegen, mußte aber die Ausbildung des Heeres ganz ungemein im Verlaufe des Krieges noch mehr erschweren, als das im Frieden bereits der Fall war. Am vorgeschrittensten war noch die Einführung eines einheitlichen Gewehrmodells - eine gute Mauserwaffe, Modell 29. Daneben aber gab es noch ein Modell 24, ein Modell 24/25, sogar noch ein deutsches Gewehrmodell 98 und verschiedene ältere französische. Nur das Gewehrmodell 29 wurde, ebenso eine Pistole Modell 28, in Polen selbst angefertigt. Auch eine Handgranate ("Pocisk C.F.E.F.") wurde seit einiger Zeit in polnischen Werkstätten fabriziert, um endlich die französische und die noch zahlreich vom Weltkriege her vorhandenen alten Bestände deutscher Handgranaten zu ersetzen. In den letzten Jahren hatte man auch planmäßig begonnen, die uneinheitliche Ausrüstung mit Maschinengewehren - es waren mindestens vier verschiedene Typen im Gebrauch - durch zwei im Lande selber gebaute Browningmodelle zu ersetzen.

Die polnische Infanterie war im übrigen in jeder Hinsicht modernisiert worden. Jede Schützenkompanie verfügte über neun leichte MG., eine gute Waffe, die etwa der in den Vereinigten Staaten eingeführten entspricht. Luftgekühlt hat sie eine Feuergeschwindigkeit von 600 Schuß in der Minute. Die Patronenzuführung erfolgt durch ein Magazin mit 20 Patronen. Bei jedem Infanteriezug befand sich eine Granatwerfertruppe zu 3 Werfern, die bei 700 m Höchstschußweite Granaten im Gewicht von 700 Gramm verfeuerten. Die schweren Maschinengewehr-Kompanien führten außer sechs MG.2 zwei Panzerabwehrkanonen und zwei schwere Minenwerfer, die den in Frankreich benutzten Stokes-Brandt entsprechen [und] eine Höchstentfernung von 1.900 m bei 3,25 kg Geschoßgewicht erreichen. Bezüglich der Panzerabwehrkanonen hatte man offenbar sich noch nicht endgültig entschieden. Es waren mehrere Modelle im Gebrauch. Erst vor nicht allzulanger Zeit war Neigung vorhanden, endgültig eine auch in Schweden und Dänemark gebräuchliche Bofors-Kanone einzuführen, die modernen Anforderungen voll gerecht wurde.

Die polnische Feldartillerie war mit der französischen 7,5-cm-Kanone von Schneider, Modell 97, ausgerüstet, eine Waffe, die sich bereits im Weltkriege vorzüglich bewährt hatte. Bei einer Schußweite von 11,2 km hat sie mit 1.140 kg ein verhältnismäßig sehr geringes Gewicht. In jedem Regiment führte die 1. und 2. Abteilung je zwölf solcher Geschütze, während die 3. mit zwölf 10-cm-Feldhaubitzen ausgerüstet war. Diese sind Erzeugnisse der Firma Skoda. Das Geschütz ist von der ehemaligen österreichischen Armee her bekannt. Auch eine Gebirgshaubitze - auf Tragetieren oder zweirädrigen Karren befördert - entspricht der ehemals österreichischen.

Die Geschütze der schweren Artillerie sind zum größten Teil aus Frankreich bezogen worden. Man findet 15,5-cm- und 22-cm-Kanonen, sowie 22-cm- und 30,5-cm-Mörser. Als hervorragend muß die 15,5-cm-Kanone angesprochen werden, die bei einem Geschoßgewicht von 43 kg eine Schußweite von 24 km erreicht, nebenbei das einzige in Polen geführte Geschütz mit moderner Spreizlafette. Alles in allem schätzte man, daß Polen über 1.350 leichte und 430 schwere Geschütze verfügte.

Sehr schlecht stand es, zunächst einmal allgemein gesehen, um die Motorisierung. Sie ist bis zum Jahre 1937 wenig von der Stelle gekommen. Die [nachfolgende] Zusammenfassung mag das übersichtlich aufzeigen.

1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938
Personenwagen 19 887 13 964 11 672 13 566 13 756 13 862 15 885 19 548
Autodroschken 5 152 7 140 5 426 4 941 4 578 4 298 4 453 4 946
Lastwagen 7 440 5 801 5 623 5 466 4 945 5 000 5 545 6 843
Autobusse 4 293 3 047 2 545 2 160 1 542 1 499 1 543 1 754
Motorräder 7 940 8 047 8 182 8 322 8 305 8 395 8 898 9 876
Sonst. Kraftfz. 631 726 749 836 1 047 1 075 1 144 1 233
   45 343    38 725    34 197    35 291    34 173    34 129    37 468    44 200

Es liegt auf der Hand, daß die militärische Motorisierung in mancherlei Hinsicht abhängig ist von der Entwicklung der allgemeinen im Lande. Für Polen kam aber hinzu, daß man zurückgehend auf eine Auffassung Pilsudskis glaubte, an der Reiterwaffe festhalten zu müssen. Inwieweit dabei Unvermögen auf der einen, Rücksicht auf die schlechten Wegverhältnisse des Landes auf der anderen Seite mitgesprochen haben, mag dahingestellt bleiben. Bemerkenswert ist jedenfalls, daß auch in der deutschen Fachpresse von hervorragenden Offizieren immer wieder gewarnt worden ist, in Hinsicht auf die Verhältnisse evtl. möglicher östlicher Kriegsschauplätze auf eine berittene Waffengattung ganz zu verzichten. Selbstverständlich hat man dabei nicht an die Erhaltung der alten, allmählich schon im Weltkriege nicht mehr brauchbaren Kavalleriedivisionen gedacht. Man glaubte aber, nicht zuletzt auf Grund der in diesem Kriege in Polen und in Rußland gemachten Erfahrungen, daß es in regenreichen Zeiten nicht möglich sein werde, selbst mit geländegängigen Motorfahrzeugen durchzukommen. Während in Deutschland durch eine Entscheidung des Führers zugunsten des Motors und der Panzerwaffe sehr bald entschlossen ein gradliniger Weg beschritten wurde, kam es in Polen zu einem Dualismus. Bei Beginn des Feldzuges verfügte das Heer über eine sehr starke Kavallerie - sie dürfte die im Frieden bereits vorhandene Zahl von 40 Regimentern noch überschritten haben - und über eine ungenügend betreute Panzerwaffe, man schätzte sie auf 700 Kampfwagen. Ist es doch kaum zu einem wirklich nennenswerten Einsatz einer Kavallerie gekommen, auf die man ganz besonders große Hoffnungen gesetzt hatte. Und wo es dazu kam - es dürfte zum letztenmal in der Kriegsgeschichte gewesen sein - waren die Verluste katastrophal.

Nicht minder nachteilig war die ungenügende Anzahl militärischer Motorfahrzeuge jeder Art. Erst seit 1937 bemühte sich die polnische Heeresleitung durch verschiedene Maßnahmen den Bau von für militärische Zwecke geeigneten Lastkraftwagen zu fördern. Das geschah zweifellos mit achtbarem Erfolge, denn schon für 1941 hoffte man den ganzen Inlandbedarf an Kraftfahrzeugen selber decken zu können. 1939 aber betrug die Gesamtzahl der im Verkehr befindlichen Lastkraftwagen und Zugmaschinen kaum 9.000, eine vom Standpunkte der Armee aus gesehen absolut ungenügende Zahl. Noch schlechter sah es mit Motorrädern aus. In der 34 Millionen zählenden Bevölkerung gab es nur 12.000.

Sehr viel günstiger sah es auf dem Gebiete des Militärflugwesens aus. Polens Luftwaffe war in den letzten Jahren erheblich ausgebaut worden. Es war dabei der Gedanke leitend, die Offensivkraft der Luftstreitkräfte möglichst zu steigern. Die Zahl der bei Kriegsausbruch vorhandenen Militärflugzeuge wurde in der Fachpresse auf mindestens 1.500 geschätzt. Sie dürfte aber nach den gemachten Erfahrungen niedriger gelegen haben, wenigstens was verwendungsfähige Maschinen anbelangt.3 Dagegen waren vom technischen Standpunkte aus die neuesten Erzeugnisse der polnischen Flugindustrie jedenfalls sehr gut. Seit 1923 hat sie ständig Erweiterung gewonnen. Seit 1927 tritt mehr und mehr eine Unabhängigkeit vom Auslande auf diesem Gebiete ein. Die internationalen Europarundflüge, bei denen zwar nur Sportflugzeuge in Wettbewerb traten, konnten 1930, 1932, 1934, 1937 und 1938 trotz schärfster Konkurrenz von den Polen gewonnen werden. Auf der Internationalen Luftfahrt-Ausstellung in Belgrad 1938 und auf dem letzten Pariser Selon sind einige Gebrauchsmuster und Prototypen der polnischen Luftwaffe gezeigt worden, die in Fachkreisen ein gewisses Aufsehen erregten. Die neuesten polnischen Typen zeigten eine sehr starke und zweckmäßig angeordnete Bewaffnung. So hatte z.B. der Eindecker "Sum" (470-km-Stundengeschwindigkeit), ein absolut modernes dreisitziges Fernaufklärungs- und Bombenflugzeug, 6 MG. Das Nahaufklärungsflugzeug "Newa" zeichnete sich durch vorzügliche Sicht nach allen Seiten aus. Das zweimotorige schwere Bombenflugzeug "PZL 37" vermochte bei einer Besatzung von 4 Mann eine Bombenlast von 2.580 Kilo zu tragen. Schlecht dagegen stand es mit der Fliegerabwehr. Anscheinend hatte man erst kürzlich begonnen, an Stelle einer alten 7,5-cm-Flak von Schneider - senkrecht nur eine Reichweite von 5,5 km - neuere Konstruktionen von Frankreich zu übernehmen.

Alles in allem war das eine recht beachtliche Wehrmacht. Sie mußte sogar als stark gelten, wenn man die Erfahrung noch des letzten Krieges in Spanien zugrunde legte. Nicht in offensivem Sinne, so sehr polnische Überheblichkeit von großen Eroberungen und Schlachten selbst vor den Toren Berlins phantasierte. Dazu fehlte es an wirklich zeitgemäßer Gestaltung des Heeres besonders in Hinsicht auf eine hinreichende Verwendung des Motors. Dagegen war die Defensivkraft, wenn sie zweckmäßig ausgenutzt wurde, eine sehr erhebliche, und hierauf hatten sich denn auch vorzugsweise die englischen Absichten aufgebaut. Man rechnete mindestens mit einer Widerstandskraft, mit der soviel Zeit zu gewinnen war, daß ein direktes Eingreifen Englands möglich werden konnte, und sei es auch nur in Form einer hinhaltenden Kampfführung, wie man sie in Spanien nicht ohne Erfolg inszeniert hatte.

Detailkarten - anclicken, um zu vergrößern!
Detailkarten des polnischen Feldzuges.
Zeichnungen von Lothar Helmcke.
Hier vergrößern
Alle solchen Hoffnungen waren bereits drei Tage nach Beginn des Vormarsches der deutschen Truppen restlos zerschlagen: "Wir haben" sagt Clausewitz in dem bereits zitierten Kapitel, "von einem vollständigen Siege, also von einer Niederlage des Feindes und nicht von einer nur gewonnenen Schlacht gesprochen. Zu einem solchen Siege aber gehört ein umfassender Angriff oder eine Schlacht mit verwandter Front, denn beide geben dem Ausgang jedesmal einen entscheidenden Charakter." Wir sind über das Ziel und die Anlagen der deutschen Operationen durch eine
Gen.-Oberst List   Gen.-Oberst v. Reichenau
l: Gen.-Oberst List
r: Gen.-Oberst v. Reichenau

[Weltbild / Presse-Hoffmann]
Verlautbarung des Oberkommandos der Wehrmacht unterrichtet. Es waren zwei Heeresgruppen unter der Führung des Oberbefehlshabers des Heeres, Generaloberst von Brauchitsch (Chef des Generalstabes General der Artillerie Halder), gebildet worden, von denen die südliche unter dem Befehl des Generaloberst von Rundstedt (Generalleutnant von Manstein als Chef des Generalstabes) drei Armeen umfaßte (die Armee des Generaloberst List, des Generaloberst von Reichenau und des Generaloberst Blaskowitz), und die nördliche unter dem Befehl des Generaloberst von Bock (Generalleutnant von Salmuth als Chef des Generalstabes) zwei Armeen zählte (die des Generaloberst von Kluge und die des Generals der Artillerie von Küchler). Die Heeresgruppe Süd sollte mit der mittleren Armee von Reichenau aus dem Raum um Kreuzberg in nordöstlicher Richtung auf die Weichsel durchstoßen. Hier lag gewissermaßen die Mittelrichtung, die
Gen.-Oberst d. Art. v. Kluge   Gen. d. Artillerie v. Küchler
l: Gen.-Oberst d. Art. v. Kluge
r: Gen. d. Artillerie v. Küchler

[Weltbild]
unmittelbar auf das Herz Polens zielte. Sie war gegen die in Gegend Krakau-Lemberg stehenden polnischen Heeresteile durch die südlicher aus Oberschlesien vorgehende Armee List in ihrer rechten Flanke abgeschirmt. Generaloberst List hatte aber zugleich die Aufgabe, die hier und am Nordrand der West-Beskiden stehenden polnischen Kräfte zu stellen, um sie dann mit den aus der Slowakei nach Norden vorstoßenden Teilen seiner Armee zu umfassen und ihnen wenn möglich das Ausweichen nach Osten zu verlegen. Hier deutete sich also von Anfang an der südliche Umfassungsarm an. Gefährlicher war für die Armee von Reichenau offenbar die linke Flanke. Deshalb wurde links von ihr die Armee Blaskowitz rückwärts gestaffelt angesetzt. Man trug also der Wahrscheinlichkeit Rechnung, daß die um Polen festgestellten Hauptteile der polnischen Macht sich einer drohenden Umfassung durch einen Vorstoß in südöstlicher Richtung zu entziehen suchen würden, was auch tatsächlich eingetreten ist.

Die Heeresgruppe Nord stand von vornherein einer besonders schwierigen Aufgabe gegenüber. Ihre beiden Armeen waren durch die Weichsel getrennt. Die südliche Armee von Kluge, beauftragt in kürzester Frist die Verbindung mit Ostpreußen herzustellen, wußte in ihrer linken Flanke die im Korridor stehende polnische Armee. Vor sich sah sie das bedeutende Hindernis der Weichsel, deren Übergang erzwungen werden mußte - bei Bromberg-Graudenz war angeordnet - um
Gesamtübersicht - anclicken, um zu vergrößern!
Gesamtübericht des polnischen Feldzuges.
Zeichnung von Lothar Helmcke.
Hier vergrößern
auftragsgemäß nach Süden Verbindung mit der Armee Blaskowitz herzustellen. Im weiten Raum dazwischen aber stand um Polen herum das polnische Hauptheer! Zugleich aber war dieser Armee aufgetragen, in kürzester Frist die Verbindung mit Ostpreußen herzustellen, von wo die Nordarmee dieser Heeresgruppe, Armee v. Küchler, über Narew und Bug östlich der Weichsel ausholend Verbindung mit der im Zentrum vorgehenden Armee von Reichenau zu suchen, mindestens aber Warschau von Osten abzuriegeln hatte. Man vergegenwärtige sich, daß man eigentlich sofort drei Umfassungen angesetzt hat: die erste mit der Südarmee gegen die bei Krakau-Lemberg stehenden polnischen Kräfte, die zweite mit den Armeen von Reichenau und von Kluge gegen das polnische Hauptheer um Posen herum, mit einer dritten um Warschau herumholend den ganzen Nordteil der Operationen noch einmal umschließend, sobald es der durch Blaskowitz in der linken Flanke entlasteten Armee von Reichenau gelang, der aus Ostpreußen vorstoßenden Armee von Küchler die Hand zu reichen. Fast so ganz nebenbei kommt es außer diesen Umfassungsbewegungen zu einem Abschnürungsprozeß des Korridorgebietes mit Gdingen und Hela.

Die deutsche Oberste Führung hat mit der Möglichkeit gerechnet, daß es wenigstens Teilen des polnischen Heeres gelingen würde, rechtzeitig genug noch über die Weichsel ostwärts auszuweichen. Aber auch dieser Fall war vorgesehen. Durch Erweiterung der Umfassungsbewegung sollte dann der Ring hinter San und Bug geschlossen werden. Man wollte also an dem vernichtenden Umfassungsgedanken grundsätzlich festhalten und handelte dabei gleichfalls im Sinne von Clausewitz, der dem Siege um so entscheidenderen Charakter zuspricht, je tiefer er im feindlichen Lande erfochten werden kann. Es ist gelungen, die stärksten Teile des feindlichen Heeres westlich der Weichsel zur Schlacht zu stellen und zu vernichten, und zwar geschah das, wie das Oberkommando der Wehrmacht mit berechtigtem Stolz aussprechen durfte, "in einem geschichtlich einmaligen Ausmaße", es geschah mit solcher Schnelligkeit, "daß das Schicksal des polnischen Heeres und damit des ganzen Feldzuges bereits nach acht Tagen entschieden war".

Es ist oft davon gesprochen worden, daß die strategische Anfangslage der Polen sehr ungünstig gewesen sei. In geographischer Hinsicht war das gewiß richtig, schon allein infolge der flankierenden Lage Ostpreußens. Auf der anderen Seite ergaben sich aber in militärischer Hinsicht für die Polen ebenso Vorteile eines Kampfes auf der inneren Linie. Sie konnten sich mit überlegener Kraft von Posen aus nordwärts gegen die Armee von Kluge werfen oder südwärts gegen die Armee Blaskowitz und an anderen Fronten vorerst hinhaltend kämpfen. Auch die gefährliche Flankendrohung der Armee von Küchler war mit starken Kräften im offensiven Vorstoß zu bannen. Die deutschen Armeen gingen so weit voneinander getrennt vor, daß darin für den Angegriffenen geradezu eine Herausforderung lag, eine Heeressäule nach der anderen zu zerschlagen. Zwischen der aus Oberschlesien und der aus Pommern vorgehenden Armee klaffte anfänglich ein Zwischenraum von nahezu 300 km, in welchem Raume das polnische Hauptheer stand. Die aus Ostpreußen angreifende Armee war rund 200 km von der pommerschen entfernt, dazwischen lag zudem das Hindernis der Weichsel. Ein entschlossener Gegner mußte derartige Möglichkeiten ausnutzen, und sicherlich hat die deutsche Oberste Führung auch mit ihnen gerechnet.

Die Strategie hat sich in diesem polnischen Feldzuge die ihr gebührende Stellung wieder zurückerobert. Es kann wieder eine Kunst der Führung geben, weil die Taktik über Motorisierung und Mechanisierung in vielfacher Anwendungsmöglichkeit und Anpassungsfähigkeit in Verbindung mit unmittelbar von der Luftwaffe gegebener Unterstützung in einem Umfange die Stetigkeit der Angriffsbewegung wiedergewonnen hat, daß der Feldherr sie als die gegebene Größe, oder besser noch gesagt, als die unerläßliche Voraussetzung zu behandeln vermag, über welche kühne und hochfliegende Pläne wahrhaften Feldherrntums Gestaltung zu finden vermögen. Gewiß hat auch dieser Feldzug mehrfach ein verbissenes Ringen gezeigt, das im Weltkriege die Regel war. Aber es konnte nicht mehr lähmend über ganze Fronten sich fortsetzen. [Der Motor:] Er ist es, der gestattet, jeden Erfolg zu nutzen, er macht die Infanterie schnellfüßig, wo es sein muß, ohne sie zu ermüden, er bringt die Artillerie sofort dahin, wo ihre Wirkung entscheidend sein muß, er vermittelt eine Aufklärung, die, gemessen an Pferdebeinen, wie ein Wettlauf zwischen Igel und Hase anmutet, er befähigt die Nachrichtentruppen - hier in Verbindung mit dem Funkgerät - Führung und Geführte fast ständig, die Waffengattungen und hiermit das Zusammenwirken der Waffen in bisher nicht erreichter Weise zu binden, er wirft die Pioniere mit ihrem schweren Gerät vor, er löst die Frage des Nachschubs, an der siegreiche Heere so oft zerbrochen sind, er ermöglicht, was die Kriegsgeschichte nur ganz vereinzelt zu berichten weiß, Verfolgung und damit Zersprengung oder gar Vernichtung. Und faßt man alles zusammen: der Motor war es, der verhütete, daß jedes MG. und jeder Schützengraben Stop gebieten konnte, der größte Erfolg an der nächsten Bodenwelle versickerte und nur unter neuen umständlichen Vorbereitungen wieder zu weiterer Auswirkung gebracht werden konnte, er war es, der jene Stetigkeit der Angriffsbewegung zurückgab, um die im Weltkriege vergeblich gerungen worden ist. Er trug neue Möglichkeiten militärischen Erfolges in die Kriegführung und eröffnete hiermit wieder die Aussicht auf Schlachten- und hiermit militärische Kriegsentscheidung, die seit dem russisch-japanischen Kriege der Jahre 1904-1905 verlorengegangen war.

Eine Wende der Kriegskunst! Man darf es nach dem Erlebnis des Feldzuges in Polen schon heute aussprechen. Noch ist sie gewiß nicht vollendet. In der Kriegskunst gibt es niemals Vollendung, sondern nur Entwicklung. Wohl mag sich manches anders gestalten, wenn durchaus gleichwertige Gegner, beide voll gleichwertig in der Ausnutzung der durch den Motor gegebenen Möglichkeiten, außerhalb friedensmäßig vorbereiteter, auch motorsicherer Wallanlagen, miteinander zu ringen haben. Der Motor wird auch dann seine in Bewegung umgesetzte Urkraft nicht verlieren. Sie ist bahnbrechend nun in größerem Ausmaße zum erstenmal in den Dienst der Kriegskunst gestellt worden. Das kühn gewagt zu haben, ist das Verdienst deutscher Führung, es bewältigt zu haben, das Verdienst des deutschen Soldaten, der wieder einmal unter Beweis gestellt hat, daß er der Beste der Welt ist.




Anmerkungen

1Eine Aufsatzreihe des Verfassers in Deutsche Wehr, der Zeitschrift für Wehrmacht und Wehrpolitik, Heft 8 u. 9, 1938. ...zurück...

2Man schätzte die Gesamtzahl der in Polen vorhandenen leichten MG. auf etwa 7.000, die der schweren MG. auf 4.300. ...zurück...

3Es waren in 2 Luftgruppen mit 6 gemischten Flieger-Regimentern etwa 300 Aufklärer, 300 Bomber und 400 Jäger vorhanden. ...zurück...


Seite zurückInhaltsübersichtSeite vor

Unser Kampf in Polen
Die Vorgeschichte - Strategische Einführung - Politische und kriegerische Dokumente