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I. Antwort der Alliierten und Assoziierten Mächte auf die Bemerkungen der Deutschen Delegation zu den Friedensbedingungen


[7] Einleitung: Grundlagen der Friedensverhandlungen

Die Alliierten und Assoziierten Mächte stimmen mit der Deutschen Delegation völlig überein, wenn sie betont, daß die Grundlage der Verhandlungen über den Friedensvertrag sich in dem Schriftwechsel befindet, welcher der Unterzeichnung des Waffenstillstandes vom 11. November 1918 unmittelbar vorausgegangen ist. Es wurde damals vereinbart, daß der Friedensvertrag als Grundlage die 14 Punkte aus der Rede des Präsidenten Wilson vom 8. Januar 1918 haben sollte, unter Berücksichtigung der Änderungen durch das Memorandum der Alliierten in der Note des Präsidenten vom 5. November 1918, sowie die Grundsätze für eine Regelung, wie sie vom Präsidenten Wilson in seinen weiteren Reden, insbesondere seiner Rede vom 27. September 1918 ausgesprochen worden sind. Das sind die Grundsätze, die im November 1918 zur Einstellung der Feindseligkeiten geführt haben. Diese Grundsätze haben die Alliierten und Assoziierten Mächte als geeignete Friedensgrundlage angesehen; diese Grundsätze sind es immer wieder, die in den Beratungen der Alliierten und Assoziierten Mächte, die zur Abfassung der Friedensbedingungen geführt haben, befolgt worden sind.

Die Deutsche Delegation behauptet jetzt, daß die Friedensbedingungen nicht im Einklang mit diesen Grundsätzen ständen, welche so für die Alliierten ebensosehr wie für die Deutschen selbst Gesetzeskraft erlangt hatten. Bei dem Versuch, zu beweisen, daß dieses Übereinkommen verletzt worden ist, hat die Deutsche Delegation aus zahlreichen Reden Zitate ausgezogen, von denen die meisten vor der Botschaft vom 8. Januar 1918 liegen, und von denen viele durch Alliierte Staatsmänner zu einem Zeitpunkt ausgesprochen wurden, wo sie sich noch nicht im Kriegszustand mit Deutschland befanden, oder keine Verantwortlichkeit für die Lösung der öffentlichen Angelegenheiten hatten. Die Alliierten und Assoziierten Regierungen sind daher der Ansicht, daß es sich erübrigt, diese Liste nicht im Zusammenhang stehender Zitate anderen Zitaten gegenüberzustellen, welche für eine Erörterung über die Grundlage der Friedensverhandlungen ebenso unerheblich sein würden.

Um auf alles zu antworten, was diese Zitate sagen wollen, genügt es, auf eine Note der Alliierten Mächte Bezug zu nehmen, die dem Präsidenten der Vereinigten Staaten am 10. Januar 1917 auf eine Anfrage über die Bedingungen, unter denen sie bereit sein würden, Frieden zu schließen, übermittelt worden ist:

      "Die Alliierten empfinden einen ebenso tiefen Wunsch wie die Regierung der Vereinigten Staaten, den Krieg, für den die Zentralmächte [8] verantwortlich sind, und der der Menschheit grausame Leiden auferlegt, beendigt zu sehen. Aber sie erachten es heute für unmöglich, zu einem Frieden zu gelangen, der ihnen die Wiedergutmachungen, Zurückerstattungen und Garantien sichert, auf die ihnen der Angriff ein Recht gibt, für den die Zentralmächte verantwortlich sind, und der sogar seinem Wesen nach darauf hinauslief, die Sicherheit Europas zu unterwühlen, einen Frieden, der auch den Aufbau der Zukunft der Nationen Europas auf festen Grundlagen ermöglicht."

In derselben Note erklärten die Mächte im Anschluß an eine Bezugnahme auf Polen, daß ihre Kriegsziele umfaßten "vor allem die Wiederherstellung Belgiens, Serbiens, Montenegros mit den ihnen gebührenden Entschädigungen; die Räumung der besetzten Gebiete Frankreichs, Rußlands, Rumäniens mit gerechten Wiedergutmachungen; die Neugestaltung Europas, garantiert durch eine dauerhafte und gleichzeitig auf Achtung vor den Nationalitäten, auf das Recht für alle großen und kleinen Völker, auf völlige Sicherheit und freie wirtschaftliche Entwicklung gegründete Ordnung, die sich gleichzeitig auf solche territorialen Abmachungen und internationalen Regelungen gründet, die geeignet sind, ihre Grenzen zu Lande und zu Wasser gegen ungerechtfertigte Angriffe zu schützen; die Rückgabe der einst den Alliierten mit Gewalt oder1 gegen den Willen ihrer Bevölkerung entrissenen Provinzen, die Befreiung von Italienern ebenso wie von Slawen, Rumänen und Tschecho-Slowaken von der Fremdherrschaft, die Befreiung der der blutigen Tyrannei der Türken unterworfenen Völkerschaften und die Ausschließung des Ottomanischen Reiches aus Europa als mit jeder westlichen Zivilisation völlig fremd." Man kann also nicht bestreiten, daß die verantwortlichen und zum Ausdruck des Willens der Völker der Alliierten und Assoziierten Mächte berufenen Staatsmänner niemals den Wunsch nach einem Frieden unterhalten oder ausgesprochen haben, der das im Jahre 1914 verursachte Unrecht nicht wieder gutmachte, der nicht ein Rächer der Kränkungen der Gerechtigkeiten und des internationalen Rechts wäre und der nicht die politischen Neubildungen Europas nach einem Plane unter Sicherheit für die Freiheit aller Völker und damit der Aussicht auf dauernden Frieden wieder aufbaute.

Aber die Deutsche Delegation behauptet, zwischen den Grundlagen des Friedens, über die man sich geeinigt hat, und dem Entwurf des (Friedens-)Vertrages einen Unterschied zu finden. Sie erblickt einen Unterschied zwischen den Bedingungen dieses Vertrages und einer der am 6. April 1918 in Baltimore durch den Präsidenten Wilson gehaltenen Rede entnommenen Erklärung:

      "Wir sind bereit, im Augenblick der endgültigen Regelung uns dem deutschen Volk ebenso wie allen anderen gegenüber gerecht zu zeigen. Deutschland etwas anderes als unparteiische und leidenschaftslose2 Gerechtigkeit vorzuschlagen, zu welchem Zeitpunkt es auch immer sei, und welches auch immer der Ausgang des Krieges sein möge, würde einen Verzicht auf unsere eigene Sache bedeuten, denn wir fordern nichts, was wir nicht zu gewähren bereit wären."

[9] Dieses Zitat steht nicht allein; man muß es mit einem der Hauptgrundsätze der Rede von Mount Vernon vom 4. Juli 1918 zusammenhalten, welcher fordert:

      "Die Zerstörung jeder willkürlichen Macht, wo immer es sei, die abgesondert, heimlich oder allein durch ihren Willen den Frieden der Welt stören könnte; wenn diese Macht jetzt nicht gestört werden kann, sie wenigstens zu tatsächlicher Ohnmacht einschränken."

Keiner dieser beiden Grundsätze der angenommenen Friedensgrundlage ist bei der Festsetzung dieser Bedingungen außer acht gelassen worden.

Die Deutsche Delegation erblickt in den Bestimmungen über die territorialen Festsetzungen einen Widerspruch zwischen den Bestimmungen des Vertrages und der folgenden von Präsident Wilson am 9. Juli 1918 abgegebenen Erklärung: "Wenn es in Tat und Wahrheit das gemeinsame Ziel der gegen Deutschland vereinten Regierungen und ihrer Völker ist, in den kommenden Friedensverhandlungen einen sicheren und dauernden Frieden zustande zu bringen, so werden alle, die am Verhandlungstische Platz nehmen, bereit und willens sein, den einzigen Preis zu zahlen, um den er zu haben ist. Dieser Preis ist unparteiische Gerechtigkeit in jedem Punkte, gleichgültig wessen Interessen dabei durchkreuzt werden, und nicht nur unparteiische Gerechtigkeit, sondern auch Genugtuung für alle Völker, deren Geschicke zur Entscheidung kommen."

In ihrer Mitteilung zählt die Deutsche Delegation eine gewisse Anzahl territorialer Bestimmungen auf und schließt daraus, daß ihre Grundlage bald ein unverjährbares historisches Recht, bald der ethnographische Grundsatz, bald wirtschaftliche Interessen bilden; in jedem Falle ergeht die Entscheidung zuungunsten Deutschlands.

Wenn in gewissen Fällen, nicht in allen, die Entscheidung nicht zugunsten Deutschlands getroffen ist, folgt das keineswegs aus der Absicht, gegen Deutschland ungerecht zu handeln. Es ist vielmehr die unvermeidliche Folge der Tatsache, daß ein beträchtlicher Teil des Deutschen Reiches aus Gegenden bestand, die in der Vergangenheit Preußen oder Deutschland sich zu Unrecht angeeignet hatten. Es ist für die Alliierten und Assoziierten Mächte eine wesentliche Pflicht, diese Ungerechtigkeiten auszugleichen entsprechend den förmlichen Erklärungen des Präsidenten Wilson in seiner Rede im Kongreß am 11. Februar 1918:

      "Jeder Teil der endgültigen Regelung muß auf der wesentlichen Gerechtigkeit dieses besonderen Falles und auf den geeignetsten Bestimmungen zur Herstellung eines dauernden Friedens gegründet sein."

Die Deutsche Regierung findet, daß zwischen den Bestimmungen des Friedensvertrages, welche die wirtschaftlichen Fragen regelt, und dem 3. der 14 Punkte des Präsidenten Wilson ein Widerspruch besteht:

"Soweit als möglich Unterdrückung aller wirtschaftlichen Schranken und Schaffung gleicher Handelsbedingungen für alle Nationen, die dem Frieden zustimmen und sich zu seiner Aufrechterhaltung vereinigen."

[10] In der Anwendung dieses Grundsatzes möchte die Deutsche Delegation von den wirtschaftlichen Bedingungen, die durch den Krieg geschaffen sind, völlig absehen, indem ihr eigenes Land unberührt ist und in keiner Weise von der Verwüstung leidet, die die Gefilde und die Wohnstätten der Alliierten Völker heimgesucht hat. Nichtsdestoweniger fordert sie die sofortige Zulassung Deutschlands zum Genuß aller in den Friedensbedingungen vorgesehenen handelspolitischen Abmachungen. Das würde zur Folge haben, in den Handelsbedingungen eine Ungleichheit zu schaffen, die sich in Europa während vieler Jahre fortsetzen würde. Die Gleichheit kann nur durch Abmachungen geschaffen werden, die den Verschiedenheiten Rechnung tragen, welche in der wirtschaftlichen Kraft und industriellen Unversehrtheit der Völker Europas bestehen. Aber die Friedensbedingungen enthalten gewisse Bestimmungen für die Zukunft, die die Übergangszeit, während der das wirtschaftliche Gleichgewicht wieder hergestellt werden muß, überdauern können. Nach diesem Zeitraum ist ein Gegenseitigkeitsverhältnis vorgesehen, welches sehr deutlich der Gleichheit der wirtschaftlichen Bedingungen entspricht, wie sie Präsident Wilson festgesetzt hat.

Die Deutsche Delegation will in den Bestimmungen des Vertrages eine Verletzung des Grundsatzes finden, den Präsident Wilson am 11. Februar 1918 vor dem Kongreß ausgesprochen hat:

      "Völker und Provinzen sollen künftig nicht von einer Souveränität zur anderen verschachert werden dürfen, gerade als ob sie bloße Gegenstände oder Steine in einem Spiele wären."

Die Alliierten und Assoziierten Regierungen weisen die Behauptung, wonach ein Verschachern von Völkern und Provinzen stattfände, entschieden zurück. Alle territorialen Bestimmungen des Friedensvertrages sind nach eingehendster und gewissenhaftester Prüfung aller Gesichtspunkte der Rasse, der Religion und der Sprache für jedes Land besonders festgesetzt. Die berechtigten Hoffnungen der Völker, die lange einem fremden Joch unterworfen waren, sind gehört worden, und in jedem Falle haben die Entscheidungen als Grundlage den Grundsatz gehabt, der in derselben Rede ausdrücklich angeführt ist, nämlich:

      "Alle klar bestimmten nationalen Bestrebungen müssen die vollste Befriedigung finden, die ihnen gewährt werden kann, ohne neue Gründe der Zwietracht und des Gegensatzes zu schaffen oder alte Gründe der Zwietracht und des Gegensatzes zu verewigen, welche mit der Zeit den Frieden Europas und folglich den der Welt erneut zunichte machen könnten."

Endlich erhebt die deutsche Delegation gegen die Tatsache Einspruch, daß Deutschland nicht eingeladen worden ist, bei der Bildung des Völkerbundes als Gründer mitzuwirken. Präsident Wilson hat aber keinen Völkerbund im Auge gehabt, der bei seinem Beginn Deutschland mit umfaßte; man kann keinen Ausspruch von ihm als Stütze einer derartigen Behauptung anführen. In der Tat sind in seiner Rede vom 27. September 1918 die Bedingungen, die für die Zulassung Deutschlands zum Völkerbund maßgebend sein müssen, mit größter Bestimmtheit dargelegt worden:

      "Es ist notwendig, den Frieden zu sichern, und diese Sicherheit für den Frieden kann nicht Gegenstand nachträglicher Erwägung sein. Der Grund - um noch einmal offen zu sprechen - weshalb der Frieden [11] gesichert werden muß, besteht darin, daß Vertragschließende an ihm teilnehmen, auf deren Versprechungen, wie man gesehen hat, kein Verlaß ist, und man muß ein Mittel finden, um bei der Festlegung der Friedensbedingungen diese Quelle der Unsicherheit zu unterdrücken."

und weiter:

      "Deutschland wird sich seinen guten Namen wieder schaffen müssen, nicht durch das, was am Friedenstische geschehen wird, sondern durch das, was folgen wird."

Die Alliierten und Assoziierten Regierungen rechnen mit einer Zeit, wo der durch diesen Vertrag errichtete Völkerbund allen Völkern offenstehen wird, aber sie können auf keine der für einen dauernden Bund wesentlichen Bedingungen verzichten.



1"oder" fehlt im englischen Text. ...zurück...

2Im englischen Text fehlt "unparteiische und leidenschaftslose". ...zurück...


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Vollständiger Text der Mantelnote
und der Antwort auf die deutschen Gegenvorschläge.

Deutsche Liga für Völkerbund.