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[Bd. 7 S. 5]

14. Kapitel: Kampf um die Reichsführung
innerhalb der Harzburger Front.

Adolf Hitler führte an der Spitze des Nationalsozialismus einen elementaren Kampf gegen die korrupte Klassen- und Parteidemokratie von Weimar. Das Grundsätzliche in diesem Kampfe, der seit dem Sommer 1929 mit für die Nationalsozialisten wachsendem Erfolge seinen Fortgang nahm, konnte auch nicht durch die Verbindung mit den Deutschnationalen in der Harzburger Front irgendwie berührt oder abgeschwächt werden, wenn auch die Deutschnationalen mit dem System von Weimar belastet waren und die "nationale Opposition" von ihnen lediglich als ein Werkzeug des großkapitalistischen Wirtschaftssystems begriffen wurde. Jetzt nach der Wahl vom 31. Juli 1932 mußte sich der Gegensatz zwischen dem nationalen Volkswillen und dem nationalen Klassengeist unverhüllt zeigen, als es nun darum ging, zu entscheiden, wer von beiden die Reichsführung haben sollte, da ja der Marxismus und Liberalismus in den Hintergrund gedrängt waren.

  Folgen der Reichstagswahl  

Das Wahlergebnis hatte gewiß gezeigt, daß die Volksmassen weder von der Weimarer Demokratie noch vom Marxismus etwas erhofften. Die bürgerlichen Parteien, 12 an der Zahl, hatten 10 Millionen Wähler aufgebracht, davon hatten allein das Zentrum und die Bayerische Volkspartei mehr als 5½ Millionen. Im neuen Reichstag gab es außer dieser Fraktion als einzige bürgerliche, aber auch schwächste, nur noch die Deutschnationalen, der Marxismus in seinen beiden Fraktionen der Sozialdemokratischen und Kommunistischen Partei hatte etwa 13–14 Millionen Stimmen erhalten, und ebenso stark war der Nationalsozialismus geworden.

Wenn auch der Nationalsozialismus sowohl der marxistischen wie der bürgerlichen Front, jeder einzeln, überlegen war, so war sein Sieg doch zweifelsfrei und endgültig noch nicht entschieden, besonders, da jetzt nach dem Verschwinden des Marxismus die Deutschnationalen von ihren bisherigen Bundesgenossen der Harzburger Front deutlich abrückten. Das ein- [6] fachste wäre es gewesen, wenn der Nationalsozialismus die absolute Mehrheit erhalten hätte, und damit hatten in den Kreisen der Partei und der S.A. viele gerechnet. Als die Hoffnungen sich nicht erfüllt hatten, machte sich die Enttäuschung teilweise in gewalttätiger Erbitterung Luft. In Ostpreußen, Schlesien und Schleswig-Holstein wurden Bombenanschläge auf Gebäude und führende Persönlichkeiten der Demokratie und des Marxismus, Feuerüberfälle auf Wohnungen und Kaufläden jüdischer Geschäftsleute verübt. Tagelang zitterte die Unruhe durch die Gebiete der genannten Provinzen, auch in anderen Teilen des Reiches, in Braunschweig wie in der Pfalz, in Rheinland-Westfalen wie in Hessen und Bayern brauste es. In einzelnen Städten konzentrierten sich die S.A., auf märkischem Boden um Berlin herum sammelten sich die Formationen, und es schien, als sollte ein neuer Marsch auf Berlin, wie im November 1923 von München aus, in die Tat umgesetzt werden.

Die Nervosität der nationalsozialistischen Formationen leitete eine gewisse Berechtigung daraus ab, daß durch den unentschiedenen Wahlausgang die ganze politische Situation wieder unsicher und ungewiß geworden sei. Dies war um so bedenklicher, als inzwischen bekannt geworden war, in wie freigebiger Weise marxistische Polizeipräsidenten noch vor ihrer Absetzung im Juli Sozialdemokraten und Kommunisten mit Waffen und Munition versorgt hatten. Es war ein allgemeiner Zustand der Unsicherheit da, den nicht nur das ganze Volk, sondern vor allem auch die Nationalsozialisten empfanden und der in jener von untenher aufquellenden Unruhe der ersten Augusthälfte seinen Ausdruck fand.

Jedoch Adolf Hitler und seine Ratgeber waren um keinen Preis gewillt, den Weg der Legalität auch nur um Fingers Breite zu verlassen. Aufs strengste wurden alle Disziplinwidrigkeiten innerhalb der Bewegung unterdrückt. Für Hitler selbst gab es gar keine andere Wahl, als die demokratische Verfassung zu überwinden mit eben den Mitteln, welche diese Verfassung ihm bot. Aber gerade dies war sehr schwer, da die Verfassung gewissermaßen doppelt überwunden werden mußte, einmal in der Gestalt des Parlamentes als eines Ausdruckes des nach der Majorität berechneten Volkswillens, sodann in der Person des [7] Reichspräsidenten als des mit diktatorischen Vollmachten ausgestatteten Hüters der Verfassung.

Die Verfassung von Weimar stellte in ihrem ersten Artikel fest, daß die Staatsgewalt vom Volke ausgehe. So war es Hitlers Aufgabe zunächst gewesen, dieses Volk zu erobern, um damit in den Besitz der Staatsgewalt zu gelangen. Den Kampf um das Volk hatte Hitler drei Jahre lang mit Energie und Erfolg geführt; der 31. Juli hatte ihm zwar nicht den mathematisch errechenbaren Majoritätssieg gebracht, aber doch den Beweis geliefert, daß, abgesehen vom Marxismus, die klare Mehrheit des aufbauwilligen deutschen Volkes hinter dem Nationalsozialismus stand.

Nun aber gab es gemäß der Weimarer Verfassung in Ausnahmefällen, d. h. in Zeiten, da der Parlamentarismus arbeitsunfähig war, noch eine andere Quelle der Macht. Es war der Reichspräsident. Ihm räumte Artikel 48 diktatorische Machtbefugnisse ein, die um so bedeutsamer waren, als ein arbeitsunfähiger Parlamentarismus nicht in der Lage war, einer präsidialen Diktatur durch positive Arbeit Widerstand entgegenzusetzen. Seit Frühjahr 1930 war die diktatorische Macht des Reichspräsidenten in die Politik eingeschaltet. Brüning hatte mit ihr regiert, und dann hatte Papen sie angewendet. Für Hitler war es selbstverständlich, daß er im legalen Kampfe um die Macht auch Einfluß auf die Präsidialgewalt zu gewinnen trachtete. Bei der Neuwahl des Reichspräsidenten im Frühjahr 1932 vermochte sich Hitler allerdings nicht durchzusetzen, und so blieb dem Führer der Nationalsozialisten nach dem 31. Juli 1932 nichts anderes übrig, als den wiedergewählten Reichspräsidenten von Hindenburg auf seine Seite zu bringen, was natürlich nach den Vorgängen vom Frühjahr mit außerordentlichen Schwierigkeiten verbunden war. Das Ziel Hitlers war nunmehr, gestützt auf die Millionen seiner Anhänger im Reiche, mit Hilfe Hindenburgs eine Präsidialregierung zu bilden, ähnlich derjenigen Brünings und Papens, doch mit einer gewaltigen, realen, völkischen Macht hinter sich. Die Voraussetzungen waren von allen Möglichkeiten für eine Präsidialregierung Hitlers am günstigsten, aber hier erhob sich der entschlossene [8] Widerstand Hindenburgs, der von den Deutschnationalen verstärkt wurde.

So setzte denn jetzt jenes sechs Monate währende Ringen zwischen Hitler und Hugenberg um den Reichspräsidenten von Hindenburg ein, jene quälende Selbstzerfleischung der Harzburger Front, die das deutsche Volk um Haaresbreite wieder in das Chaos des Parteienregiments, ja des Bolschewismus hinabgestoßen hätte.

Bevor jedoch die Verwicklungen und Verwirrungen um die Reichsführung begannen, war es nötig, vom Volke die fortdauernden Schrecken des roten Freischärlerkrieges zu nehmen. Die unerhörten Bluttaten der Kommunisten, ihre viehischen Meuchelmorde an wehrlosen Nationalsozialisten hatten nun wochenlang angedauert, und gerade dieser Zustand des heimlichen Bürgerkrieges hatte jene Nervosität der S.A. verstärkt, die sich dann infolge der Enttäuschung über das Wahlergebnis in Bombenwürfen und Pistolenattentaten entlud. Sofort nach der Wahl hatte der Völkische Beobachter gefordert, daß die Kommunistische Partei unschädlich gemacht werden solle, und die Münchener Führerversammlung der Nationalsozialisten verlangte das Verbot der Kommunistischen Partei. Göbbels sah die alleinige Rettung in der Verkündung des Standrechtes gegen die "Moskauer Bluthunde", die S.A. und S.S. sollten das Recht haben, sich bewaffnet auf der Straße zu zeigen, sie sollten als Hilfspolizei einberufen werden, die Vollzugsgewalt in Reich und Preußen sollte auf sie übertragen werden, der "Moskauer Fremdenlegion" aber müsse man den Zutritt zum Reichstag verwehren. Teilweise traten auch die Deutschnationalen diesen Forderungen bei; so verlangten die Deutschnationalen Braunschweigs das Verbot der Kommunistischen Partei und die Errichtung einer Hilfspolizei, die paritätisch aus S.A.-Leuten und Stahlhelmern zusammengesetzt sei.

Natürlich waren die Marxisten auch nicht still. Die Kommunisten forderten, daß S.A., S.S., sowie alle sonstigen militärischen Verbände, d. h. vor allem also der Stahlhelm, aufgelöst würden. Die Sozialdemokraten beantragten im preußischen Landtage ebenfalls Auflösung der nationalsozialistischen Organisationen und Schließung der S.A.-Heime. Der [9] sozialdemokratische Parteiausschuß erörterte inzwischen unter dem Vorsitz von Wels "die Möglichkeiten eines beim Versagen der Staatsgewalt einsetzenden organisierten Selbstschutzes". Das Reichsbanner wandte sich an die bayrische Staatsregierung und versuchte, von ihr das Verbot des Völkischen Beobachters zu erreichen.

Die Reichsregierung war nicht willens, eine Initiative gegen die Kommunisten zu ergreifen, einen entscheidenden Vernichtungsschlag gegen sie zu führen. Das sollte der Reichstag tun. Papen hoffte, im Parlament eine Mehrheit für eine Regierungsvorlage zu erhalten, wonach Parteien, in deren Programm der Sturz des Staates gefordert werde, an Abstimmungen nicht teilnehmen oder ihre Stimmen nicht gezählt werden dürfen. Vielleicht glaubte Papen überhaupt auf diesem Wege eine arbeitsfähige Mehrheit im Parlament für sich zu gewinnen und an sich zu fesseln. Aber Papen und Gayl äußerten sich entschieden gegen jede Aufstellung einer Hilfspolizei, wie sie in Braunschweig und Mecklenburg-Schwerin geplant und von der nationalsozialistischen Regierung Oldenburgs bereits durchgeführt war. Der Oldenburger Regierung wurde aufgegeben, die aus S.A.-Leuten gebildete Hilfspolizei wieder aufzulösen.

Notverordnung gegen den
  kommunistischen Mordterror  

Gegen den kommunistischen Meuchelmord setzte die Reichsregierung um die Mitternacht des 9. und 10. August eine Notverordnung in Kraft, wie sie bisher in der deutschen Republik erst einmal angewandt worden war: nach der Ermordung Rathenaus. Die neue drakonische Notverordnung bedrohte ausnahmslos jeden politischen Mord mit der Todesstrafe. Körperverletzungen, Aufruhr, Landfriedensbruch sollten mit zehnjähriger Zuchthausstrafe geahndet werden. Um die Notverordnung durchzuführen, wurden Sondergerichte eingesetzt, die schnell arbeiten und nur nach dem Tatbestande urteilen sollten. Gegen ihre Urteile gab es keine Berufung, sie wurden mit der Verkündung rechtskräftig und vollstreckbar. Hierzu erklärte die Regierung außerdem, eine Amnestierung politischer Straftaten würde im schroffsten Gegensatz zu der mit der neuen Verordnung erfolgten Absicht stehen und darum würde sie sich [10] ohne Nachsicht jedem etwa auftauchenden Wunsche nach Begnadigung mit Nachdruck widersetzen.

In der Tat war der Erfolg überraschend. Der Meuchelmord der Kommunisten hörte zwar nun nicht sogleich gänzlich auf, aber er ward eingedämmt, ging immer mehr zurück, bis er allmählich ganz verschwand! Die Angst vor dem Hochgericht zwang das blutige Untermenschentum, die Macht des Reiches und das Leben der anderen zu achten. –

Brachts kleine
  Verwaltungsreform  

Wir wollen zunächst, ehe wir in die Betrachtung des Kampfes um die Reichsführung eintreten, kurz verfolgen, in welcher Weise der Reichskommissar Bracht in Preußen die Neuordnung durchführte. Es war Brachts Bemühen, den Staat über die Parteien wieder zu erhöhen; allerdings war das, was Bracht erstrebte, ein lebloser Staat, der nicht in, sondern neben dem Volke stand. Bracht bestimmte, daß keinerlei Parteiformationen zu polizeilichen und politischen Funktionen zugelassen werden dürften: den Gedanken der Hilfspolizei lehnte auch er also rundweg ab. Auch verbot er den Polizeibeamten, in Uniform an Parteiveranstaltungen teilzunehmen. Sämtliche Staatsbeamte aber mahnte er in einem Erlaß, Diener der Gesamtheit, des Volksganzen zu sein und also überparteilich zu denken und zu handeln. "Jetzt gilt es, das Wort Staat wieder groß zu schreiben und den Dienst am Staat und Volk allein als Blickpunkt unsrer ganzen Arbeit hinzustellen." Er, Bracht, werde nicht dulden, daß durch die Art der parteipolitischen Betätigung von Beamten der Staatsgedanke zu Schaden käme. Dies richtete sich deutlich gegen die Nationalsozialisten, deren immer stärker werdender Druck sich in allen Zweigen der Verwaltung bemerkbar machte, denn in den letzten Wochen waren zahlreiche Staatsbeamte zur Hitlerpartei übergetreten. Bei den Kommunisten aber ließ Bracht an einem Tage, dem 12. August, unvorhergesehen in allen großen Städten Preußens Haussuchungen vornehmen, die nicht nur eine Menge illegaler Druckschriften, sondern auch Schuß-, Hieb- und Stichwaffen zu Tage förderten. [Im Freistaat Hamburg stellte man fest, daß insgeheim der gut organisierte, aber längst verbotene Rotfrontkämpferbund noch fortbestand, in Flensburg und Ohrdruf wurden Kommunisten [11] verhaftet, weil sie in Reichswehr und Polizei Zersetzungsversuche unternahmen.] – Die kommunistische Gefahr bestand also nach wie vor in der seit langem bekannten Größe und Stärke.

Brachts "kleine Verwaltungsreform" von Anfang August 1932, die in Preußen 60 Amtsgerichte und 58 Landkreise aufhob, war eigentlich nur die Durchführung eines alten Severingschen Planes, den dieser im Anschluß an die Sparnotverordnung von Ende 1931 ausgearbeitet hatte. Die Nationalsozialisten lehnten daher auch die von den Marxisten übernommene Verwaltungsreform ab, da sie historisch Gewordenes zerstöre, das Recht der Selbstverwaltung stark beeinträchtige und alle traditionell-gefühlsmäßigen Momente im Volks- und Staatsleben mißachte. Der nationalsozialistische Landtagsabgeordnete und Jurist Nicolai urteilte: die Verwaltungsreform

"ist schematisch, berührt nur Äußerlichkeiten, kostet Geld statt Ersparnisse zu machen, vernichtet kulturelle Werte, zerreißt wirtschaftliche Beziehungen, schädigt das flache Land, und zu alledem täuscht sie auch noch die Hoffnungen tausender, die von der neuen Regierung Verständnis für ihre Sorgen und Wünsche und eine sorgfältige Pflege gerade der örtlichen Überlieferungen und Eigenarten erwartet hatten, nicht aber diktatorische Eingriffe zweifelhaften Wertes."

Bereits Ende Juli hatte Bracht eine Anzahl hoher sozialdemokratischer Parteibuchbeamter von ihrem Posten enthoben; diese Säuberung wurde im August energisch fortgesetzt bei der Durchführung der kleinen Verwaltungsreform: 60 marxistische Landräte verschwanden in Preußen, und diejenigen, die keine fachmännische Vorbildung besaßen, mußten Pension befürchten. Der angsterfüllte sozialdemokratische Parteivorstand begab sich zu Bracht und brachte schärfste Beschwerden über die systematische Verfolgung sozialdemokratischer Beamter vor. Wels und Stampfer drangen bis zu Papen vor und erklärten ihm, daß die fortgesetzten Amtsenthebungen von Sozialdemokraten einer Diffamierung der sozialdemokratischen Partei gleichkämen [12] und mit der Verfassung nicht zu vereinbaren seien. Doch für solche Sorgen hatte Papen kein Verständnis. Bis zum Ende des Jahres wurden etwa 140 hohe Beamte, Parteibuchmarxisten, von Bracht aus ihren Stellen entfernt und durch Fachleute ersetzt.

Gegenüber der sittlichen Verwilderung weiter Volkskreise forderte Bracht die Rückkehr zu christlicher und kultureller Gesittung. Allen Dekadenzerscheinungen sagte er den Kampf an.

      "Insbesondere ist es die schamlose Herabsetzung der Frauenehre und Frauenwürde, die als typische Entartungserscheinung christlich-deutscher Volkskultur, Volkssitte und Volkssittlichkeit zuwiderläuft."

So wurden die Nacktdarstellungen in Theatern, Kabaretts, Revuen, sowie der Unfug der Wahl von Schönheitsköniginnen verboten. Die Polizeiorgane wurden angewiesen, die Auswüchse des Badelebens, das Nacktbaden und den Besuch von Gaststätten in Badekleidung zu bekämpfen. Auch gegen die Freikörperkulturschulen der "proletarischen Kultur" sollte angegangen werden.

So versuchte Bracht auf alle Weise der Verwahrlosung des Volkes zu steuern, und vieles von dem, was er tat, entsprach preußischer Zucht und deutschem Anstand. Aber er ging von falschen Voraussetzungen aus: er wollte die alte überlebte Autorität des Obrigkeitsstaates wiederherstellen, jenes leblose Gefüge, dem sich der Einzelne nur mit den Kräften seines Intellekts nähern konnte – und dieser Umstand machte die Nationalsozialisten zu seinen Gegnern. Sie wollten den disziplinierten Volksstaat, in dessen geordnete Zucht sich jeder einzelne mit ganzem Herzen und ganzer Persönlichkeit einreihen sollte und in dem das alte liberalistische Parteiwesen beseitigt war.

Bracht fand nicht den nötigen Anschluß an die breiten, anständig denkenden Volkskreise bei den Nationalsozialisten, und mit diesen wollte Bracht nicht zusammen arbeiten, da er, selbst Liberalist, in seiner scheinbaren Verneinung des Liberalismus Partei und Volk verwechselte und zu alten reaktionären Anschauungen zurückkehrte.

[13] Um die Mitte des August trat die Frage nach der Neubildung der Reichsregierung in den Vordergrund. Eine Regierung auf parlamentarischer Basis erschien als ein unmöglicher Rückschritt. So mußte also weiterhin eine autoritäre, präsidiale Regierung bestehen bleiben. Das war die Meinung Hindenburgs und Papens. Hitlers Auffassung war, daß die Regierungsbildung ihm übertragen werden müsse, da er allein in Deutschland in der Lage war, das deutsche Volk in der Mehrheit seiner aufbauwilligen Kräfte durch den Nationalsozialismus mit der Reichsmacht zu verbinden. Das, was er erstrebte, war die Gewinnung Hindenburgs und Bildung einer Regierung in einer neuen präsidialen Form, unter gleichzeitiger fester Verankerung im Volke. Die Präsidialregierungen ohne Volk, wie sie von Brüning und Papen in verschiedenen Färbungen dargestellt worden waren, sollten vorüber sein: Volk und Präsident sollten künftig in einem einzigen Willen sich finden, im Willen des Nationalsozialismus.

  Regierungspläne  

Die von Papen erstrebte autoritäre Regierung sah anders aus. Aus der Unmöglichkeit einer parlamentarischen Regierung glaubte die Regierung Papen ihre Existenzberechtigung abzuleiten. Ihr Wesen war die Rückkehr zum alten Obrigkeitsstaat, der sich im luftleeren Raum bewegte und dem Volksleben hilflos gegenüberstand, so daß die Parteien ihr unheilvolles Unwesen weiter treiben konnten. Dieser autoritäre Staat war auch das Ziel Hugenbergs und der Deutschnationalen sowie des Stahlhelms, und diese Kreise verstanden es, den Reichspräsidenten für ihre Auffassung zu gewinnen. Die Frage der autoritären Regierung machte die bisherigen Verbündeten der Harzburger Front zu erbitterten Gegnern.

Papen meinte, der Reichstag solle nicht mehr parteipolitisch regieren, sondern sachliche Reichspolitik treiben. Die Regierung werde auch im Falle des parlamentarischen Mißtrauens nicht zurücktreten, denn sie besitze das Vertrauen des Präsidenten. Eher sei es möglich, daß die Verfassung geändert werde. "Unser Programm umfaßt die Dauer von mindestens vier Jahren", erklärte Schleicher, "und wir führen es unter allen Umständen durch zur Errettung Deutschlands vor dem Parteizerfall." Die Befreiung Deutschlands von der Herrschaft [14] der Parteien schwebte Papen, Hindenburg und Hugenberg wohl vor, aber Papen und Hugenberg, die selbst aus dem Liberalismus hervorgegangen waren, gingen einen falschen Weg, indem sie mit den Parteien zugleich das Volk auszuschalten versuchten.

  Regierungspläne einer  
Verfassungsänderung

Über die Pläne einer Verfassungsänderung verbreitete sich Reichsminister Freiherr von Gayl gelegentlich der Verfassungsfeier der Reichsregierung am 11. August 1932 im Reichstag folgendermaßen:

      "Was in unserem Volke ausgefochten wird, das ist ein Kampf der Weltanschauungen, der ein Ringen der Geister und nicht eine handgreifliche Auseinandersetzung sein soll. Wir tun gut, auch den weltanschaulichen und politischen Gegner bis zum Beweise des Gegenteils als einen ehrlichen Volksgenossen zu betrachten, der das Beste unseres Volkes will. Bewußt ausgeschlossen ist dagegen jeder, der einen nationalen deutschen Staat grundsätzlich verleugnet. Man mag zu Einzelheiten der Weimarer Verfassung stehen, wie man will, sie ist heute der einzige Grund, auf dem alle unbeschadet ihrer weltanschaulichen und politischen Meinung stehen müssen, die einen deutschen Staat überhaupt bejahen. Auf diesem Grunde müssen wir uns finden und handeln, denn wir haben keinen anderen, von dem aus wir den Vormarsch zu einem neuen staatlichen Leben überhaupt antreten können.
      "Damit ist aber nicht gesagt, daß die Weimarer Verfassung etwas Unabänderliches wäre. Rückblickend auf die 13 Jahre des Bestehens unserer Verfassung müssen wir bekennen, daß sie abänderungsbedürftig ist.
      "Die heutigen Zustände dürften ein schlagender Beweis sein, daß die Verfassung abänderungsbedürftig ist. Unser Volk kann sich auf die Dauer der Notwendigkeit einer Verfassungsreform, ja einer Reichsreform nicht entziehen. Je frühzeitiger und energischer diese Aufgabe angefaßt wird, desto besser ist es für uns.
      "Hier nur kurze Hinweise auf das, was vordringlich zu regeln ist. Die Reform hat auszugehen von einer Änderung des im Artikel 22 der Verfassung vorgeschriebenen Wahlrechts. In diesem Artikel wurzelt die von weitesten Kreisen schwer empfundene Herrschaft der Parteibürokratie. Das Volk will nicht Summen, sondern Persönlichkeiten wählen. Es versteht nicht, [15] daß die Stimmen noch nicht mündiger Volksgenossen gleichgewertet werden den Stimmen der Familienernährer und der Mütter. Zur Reform des Wahlrechts gehört auch die Einschränkung der zahlreichen kleinen Splitterlisten, deren Stimmen in der Regel ausfallen. Dem Wahlrecht sollte die Wahlpflicht entsprechen. Regieren heißt nicht nur die Forderung der Stunde erfüllen, sondern auch ein festes Ziel auf allen Gebieten des politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens nachhaltig ansteuern. Jede zielbewußte Regierungspolitik ist auf die Dauer in Deutschland zum Scheitern verurteilt an der Anonymität der Verantwortung und an dem Fehlen einer Stelle, die unabhängig von Parteieinflüssen dem Gesamtwohl schädliche Parlamentsbeschlüsse ohne schwerwiegende verfassungsmäßige Reibungen auszugleichen vermag.
      "Ein im Umbruch aller Werte befindliches Volk,
das unter einer furchtbaren Not leidet, bedarf einer von den Fesseln formaler Verantwortung mehr als bisher befreiten, aber persönlich um so stärker verantwortlichen Regierung, die in einer Ersten Kammer einen Helfer haben muß, der sie vor den Folgen der oft durch Wahlrücksichten und Stimmungen beeinflußten Parlamentsbeschlüsse schützen und die Stabilität der Regierungspolitik zu gewährleisten vermag.
      "Schließlich ist noch des inneren Umbaus des Reiches zu gedenken. Die Erfahrung seit dem 11. August 1919 hat zur Genüge die Unhaltbarkeit des Zustandes ergeben, daß im Reich und in Preußen von verschiedenartig zusammengefaßten und gerichteten Regierungen eine verschiedene Politik auf allen Gebieten betrieben werden kann. Der mindestens zeitweilig spürbare gute Wille zu enger gemeinsamer Arbeit zwischen Reich und Preußen hat den Konstruktionsfehler der Verfassung nicht auszuschalten vermocht. Es haben sich deutlich trennende, nicht einigende Kräfte gezeigt, die, zur Gewohnheit geworden, ernste Gefahren bedeuten. Das Verhältnis zwischen Reich und Preußen muß daher im Sinne einer engen Gemeinschaft zwischen beiden umgestaltet werden.
      "Das braucht keine Minderung der Selbständigkeit und Eigenstaatlichkeit der deutschen Länder zu bedeuten und soll sie nicht herbeiführen; in keinem Lande Europas ist eine so [16] mannigfaltige, oft geschichtlich gewordene Vielheit der Verhältnisse der Menschen, ihrer Anschauungen und Gewohnheiten festzustellen wie in Deutschland. Schematisierung und Zentralisierung Deutschlands von einer Stelle aus würden sehr bald Gegenkräfte entfesseln, von denen auf die Dauer eine wesentliche Schwächung des Reiches, und damit eine Minderung der Stoßkraft des deutschen Volkes in seinem schweren Kampf ums Dasein ausgehen würde. Dem Reich als der die deutschen Länder und Stämme umfassenden Einheit muß das gegeben sein, was es als deutscher Gesamtstaat zur Führung seines staatlichen Lebens benötigt. Alles andere sollte den Ländern und Stämmen verbleiben. Wird das Verhältnis Reich–Preußen zweckentsprechend geregelt, so ist ein Anwachsen der Bedeutung der anderen Länder für das Gesamtleben Deutschlands durchaus möglich und festlegbar.
      "Um diese Schicksalsfragen kommen wir nicht mehr herum und wollen wir uns nicht mehr herumdrücken. Über die Einzelheiten dieser Umgestaltung unserer Verfassung kann man streiten und verschiedene Wege suchen. Die Kraft zur Reform gewinnen wir nur, wenn wir von der Verantwortung vor Gott und Volk tief durchdrungen sind, die uns zwingt, das zu tun, was wir als richtig erkannt haben, und wenn wir dabei nicht nach Parteivorteilen und ‑nachteilen handeln, sondern nach dem Worte Bismarcks: 'Der Staat will bedient, nicht beherrscht werden.' Je tiefer in Unehre, desto selbstloser, opferfreudiger und tapferer sei unser Dienen an Volk und Staat!"

Hier hatte also Gayl die Grundzüge der Verfassungsänderung entwickelt. Man wollte teilweise wieder an die Verfassung des Bismarckreiches anknüpfen, die 1919 abgeschafft worden war. Man wollte aber anderseits auch auf dem Boden der Verfassung von 1919 bleiben, d. h. der Verfassung des Parteienstaates. Zunächst sollte die Tätigkeit des Parlamentes auf die Legislative beschränkt werden, jeder Einfluß auf die Exekutive, d. h. auf die ausführende Gewalt, die in den Händen des Reichspräsidenten und der Reichsregierung lag, sollte verschwinden. Damit sollten Artikel 54 und 59, welche dem Reichstag das Recht geben, Reichspräsident und Reichsminister vor dem Staatsgerichtshof anzuklagen, außer Kraft [17] gesetzt werden. Aus der Legislative des Parlamentes sollten alle staatsfeindlichen Parteien durch Aberkennung des Stimmrechtes der Abgeordneten ausgeschaltet werden. Damit sollte den Kommunisten das Handwerk gelegt werden.

Das Wahlalter sollte heraufgesetzt werden. Man war nur zweifelhaft, ob auf das 21. oder 25. Lebensjahr. Auch sollte wieder die persönliche Beziehung zwischen den Wählern und ihren Abgeordneten hergestellt werden. Das Listensystem, wonach der Wähler nur die Partei wählt, sollte fallen. Jeder Abgeordnete sollte wieder persönlich gewählt werden und nur in dem Wahlkreis, für den er sich aufstellen lassen und in dem er agitieren würde. Auch darin wollte man an die kaiserliche Zeit wiederanknüpfen, indem man die Zahl der Abgeordneten im Reichstage auf 399 begrenzte.

Die geplante Vereinigung der Preußischen Regierung mit der Reichsregierung war eine Rückkehr zur Bismarckverfassung. In dieser war der Reichskanzler zugleich preußischer Ministerpräsident. Die Verfassung von 1919 nivellierte die Machtstellung Preußens, indem es diesen Staat, der den Eckpfeiler des Reiches bildete, auf die gleiche Stufe mit den anderen Ländern stellte und seine Regierung von der des Reiches trennte. Die Zurückdrängung Preußens und die Lösung der Personalunion zwischen Reichskanzler und Preußischem Ministerpräsidenten 1919 bildeten ein bedeutsames Schwächemoment für das Reich. Bereits am 20. Juli 1932 hatte Papen den Zustand der Weimarer Verfassung, den Dualismus zwischen Reich und Preußen außer Kraft gesetzt, indem er als Reichskanzler sich zum kommissarischen Ministerpräsidenten von Preußen machte und die ständige Beteiligung der preußischen Minister an den Beratungen des Reichskabinetts anordnete.

Neu waren in den Plänen der Reichsregierung folgende Punkte: Zunächst Oberhaus, das nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zusammengesetzt sein sollte. Es sollte aus 150 Mitgliedern bestehen, die zum Drittel vom Reichspräsidenten, zum zweiten Drittel von der Reichsregierung und zum letzten Drittel von den Länderregierungen bestellt werden sollten. Man kann dieses Oberhaus als Nachbildung des ehe- [18] maligen Preußischen Herrenhauses bezeichnen, insofern, als es ein Puffer zwischen Regierung und Parlament darstellen sollte und das harte Aufeinanderprallen beider Gewalten, der Exekutive wie der Legislative, mildern und ausgleichen sollte. Bismarck hatte seinerzeit mit Rücksicht auf das Volk im Norddeutschen Bund wie im Deutschen Reich auf ein Oberhaus verzichtet.

Neu war ferner die Abstufung des aktiven Wahlrechtes, zwar nicht nach Besitz und Steuerzensus wie das alte preußische Dreiklassenwahlrecht, sondern nach dem Alter. Dem erhöhten Alter sowie dem Familienvater über 40 Jahre sollte eine zweite Stimme zugesprochen werden. Diese beabsichtigte Maßnahme hatte den Zweck, dem besonnenen Alter ein Übergewicht gegenüber der Jugend zu geben.

Neu war außerdem die Einführung der Wahlpflicht, die man nicht durch Strafen an Geld und Freiheit erzwingen wollte, sondern dadurch, daß man dem Nichtwähler mit der Aberkennung der staatsbürgerlichen Ehrenrechte drohte. –

Gewiß hatten die Pläne Gayls den Zweck, gegen das bisher herrschende System anonymer Massen ein politisches Führertum wieder zur Geltung zu bringen. Der Weg aber, den Gayl gehen wollte, war verkehrt; er wollte eine zuweit gediehene liberalistische Entwicklung auf ihr eigenes Kindheitsalter zurückschrauben, wodurch neue schwere Spannungen und Erschütterungen herbeigeführt zu werden drohten. Politisches Führertum konnte aber nur entstehen, wenn einer, wie Hitler, den Mut hatte, das Neue bis zur Überwindung seiner Schäden vorwärts zu treiben. Aber für das nationalsozialistische Prinzip der Überwindung der Parteien durch sich selbst war Gayl zu schwach.

  Papens Reformgedanken  

Der Reichskanzler Franz von Papen selbst setzte seine grundsätzlichen Ansichten über konservative Staatsführung in der Zeitschrift Volk und Reich (Septemberheft 1932) auseinander. Zunächst wies er darauf hin, daß konservative Politik nicht gleichzusetzen sei mit der Tätigkeit der Konservativen Partei in Preußen vor dem Kriege. Konservative Politik beruhe auf der "bewußten Sorge um die planmäßige Erhaltung des menschlichen Lebens in seinen natürlichen [19] Ordnungen". Die Staatsgewalt, deren höchster Träger vom Volk gewählt sei, müsse stark und unabhängig und gerecht gegen das ganze Volk sein. Das Ideal der Weimarer Verfassung sei Selbstherrschaft des Volkes, dies aber sei unerreichbar, und so habe man in Weimar ein System gegenseitiger Kontrollen und gegenseitigen Mißtrauens geschaffen, das die Freiheit des Volkes nur gefährde. Freiheit könne nur da sein, wo jemand in voller Unabhängigkeit diese Freiheit schütze. Der Reichspräsident sei jetzt das sichtbare Symbol der Staatsautorität, eine Persönlichkeit, welche das konservative Wesen sinnfällig ausgebildet und in den Dienst des Volkes gestellt habe. Die unbedingte Sicherheit der Staatsautorität, welche durch eine konservative Politik gefördert werde, sei die Grundlage für jede Weiterentwicklung in Staat und Wirtschaft. Allerdings müsse man vor dem blinden Glauben an die Macht der Bajonette warnen, denn diese reiche nie aus, die Staatsautorität auch innerlich zu stabilisieren, die Interessen der Volksgemeinschaft müßten den Vorrang beanspruchen vor allen Sonderinteressen (General Schleicher sagte einmal, es sei unmöglich, eine Diktatur im luftleeren Raum lediglich auf hunderttausend Bajonette stützen zu wollen).

Die Grundlage der Wirtschaftspolitik war nach Papen die Initiative und Form Arbeitskraft aller wirtschafttreibenden Menschen. Der Staat dürfe nur eingreifen, wenn der einzelne seine Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft verletze. Reinlich müsse der Staat von der Privatwirtschaft geschieden werden. Der Staat habe nur einen Rahmen zu schaffen, der auf drei Pfeilern ruhe: christliche Erziehung und Kultur, Staatsautorität und Staatsmacht, ethische Gesetze christlicher Wirtschaftsführung.

Schließlich zeigte Papen seinen Gegensatz zu den Nationalsozialisten auf. Parteiherrschaft und Staatsführung seien Begriffe, die sich niemals einander decken können. Es gehe um den Staat, nicht um eine Partei. Ein Staat aber, der von einer Partei und einem Parteiapparat beherrscht werde, könne konservatives Leben nicht entwickeln. Papen behauptete, daß die Hoffnungen in den Herzen der Millionen von [20] Nationalsozialisten nur durch eine autoritäre Regierung erfüllt werden könnten.

Den Plänen Papens und Gayls fehlte die schöpferische Initiative. Sie wollten den Liberalismus überwinden, kamen aber nicht vom Geist und von den Formen des Liberalismus los. Sie konstruierten wieder den Gegensatz zwischen Regierung und Volk, zwischen denen es eine tiefe, durch keine Brücke verbundene Kluft gäbe. Der Reichspräsident, der Reichskanzler seines Vertrauens und die Minister standen auf der einen Seite, auf der anderen stand das Volk mit seinen Parteien. Gayl und Papen wollten die Verfassung von 1919 annullieren, ohne das vom Nationalsozialismus verkündete neue System der völkischen Machtdisziplin der unbedingten Vereinigung von Volks- und Regierungswillen anzuerkennen. Beide wurden geschieden durch einen kunstvollen parlamentarischen Zwischenbau.

Daß Adolf Hitler sich keineswegs ohne Sicherungen und Forderungen in eine von solchen Anschauungen erfüllte Reichsregierung begeben durfte, war selbstverständlich. Außerordentlich gefährlich wurde das Problem der Regierungsbildung noch dadurch, daß neben dem Ringen um den autoritären Staat zwischen Papen und Hitler auch noch Bemühungen um die Wiedererweckung des Parlamentarismus liefen, die vor allem vom Zentrum ausgingen.

Das von Kaas geführte Zentrum forderte, daß Hitler die Verantwortung der Regierung im Reiche übernehme. Es hoffte im stillen auf ein Versagen und Auseinanderbrechen des Nationalsozialismus. In Preußen aber verhandelte der linke Flügel der Partei insgeheim mit der Sozialdemokratie, um eine Parlamentsmehrheit für eine Regierung Brüning-Severing-Hirtsiefer zustande zu bringen! –

Die Nationalsozialisten waren entschlossen, ihre bisherige Tolerierungspolitik dem Kabinett Papen gegenüber aufzugeben und in schärfste Opposition zu gehen. Sie warfen Hindenburg vor, nachdem er Brüning nach Hause geschickt habe, habe er den Zentrumskanzler von Papen sowie den deutsch-nationalen Freiherrn von Gayl berufen, die eine neue Methode begonnen hätten, den Siegeszug des Nationalsozialismus [21] zu sabotieren. Sie hätten einen achtwöchigen Wahlkampf herbeigeführt, um die Waffen des Nationalsozialismus abzustumpfen. Das sei ihnen nicht gelungen. Mit Ausnahme von General Schleicher sei die Reichsregierung eine getarnte Zentrumsregierung und in Preußen herrschte die Statthalterschaft getarnter Zentrumsleute. Die Hitlerbewegung hatte aber keine Lust, mit dem Zentrum sich zu verbünden, solange es irgend eine Möglichkeit gab, ohne die Hilfe des Zentrums an die Macht zu kommen. Hatte doch Kerrl erklärt: Wie Mussolini die italienische katholische Volkspartei zerschlagen habe, so würde die N.S.D.A.P. das Zentrum zerschlagen, dann werde Deutschland endlich Frieden haben.

Schärfster Kampf gegen Papen, Gayl und Bracht – das war die Losung der Nationalsozialisten. Sie verlangten für Hitler das Amt des Reichskanzlers und für Gregor Straßer das Reichsinnenministerium, ferner die Ämter des Staatssekretärs in der Reichskanzlei und des Reichspressechefs. In Preußen wollten sie das Ministerpräsidium haben. Sie beriefen sich darauf, daß Hindenburg den alten Reichstag aufgelöst habe, weil seine Zusammensetzung im Hinblick auf das stürmische Anwachsen der N.S.D.A.P. nicht mehr dem Willen des Volkes entsprach.

      "Das deutsche Volk hat dem bisherigen System sein vernichtendes Mißtrauen, dagegen der nationalsozialistischen Bewegung und ihrem Führer Adolf Hitler einen Beweis seines Vertrauens ausgesprochen, der in der deutschen Geschichte einzig dasteht. Dieser überwältigende Vertrauensbeweis kann seinen verfassungsrechtlichen und politischen Niederschlag nicht in einer gnädig zugestandenen und ausreichenden Beteiligung an der Regierung finden, sondern nur darin, daß der Führer der nationalsozialistischen Bewegung vom Reichspräsidenten zur Führung eines Reichskabinetts der Persönlichkeiten berufen wird, das der Stärke und Bedeutung der nationalsozialistischen Bewegung Rechnung trägt."

Es sei parlamentarischer Brauch, daß der Führer der stärksten Partei mit der Regierungsbildung beauftragt werde.

      "Die Auffassung des Herrn Reichspräsidenten, den Charakter des Reichskabinetts als eine überparteiliche Regierung aufrechtzuerhalten, liegt durchaus auf der Linie der Auffassung der N.S.D.A.P., die [22] keine Partei, sondern Volksbewegung im besten Sinne ist und seit ihrem Bestehen unaufhörlich für eine parteigebundene, aber im Volkswillen verwurzelte Regierung kämpft. Jeder Versuch einer Regierungsbildung nach anderen als diesen organischen Maximen, die heute im Reich politisch durchführbar sind, betrachtet die N.S.D.A.P. als erneute Sabotage des erklärten Volkswillens, der ihr unversöhnlicher Kampf gelten wird."

Die nationale Presse Deutschlands erörterte bereits die Möglichkeiten einer neuen Regierung, in der Adolf Hitler Reichskanzler, Gregor Strasser Reichsinnenminister, Göring Reichsverkehrsminister, Schleicher Reichswehrminister, Papen Reichsaußenminister sein sollten.

Unterdessen trieb Hugenberg ein heimliches Spiel. Sein Ziel war, mit allen Mitteln die Reichskanzlerschaft Hitlers zu verhindern, und er hatte in Gayl einen zuverlässigen Vertrauensmann in der Regierung sitzen. Die deutschnationale Presse agitierte: Ein Kabinett Hitler wäre – so schrieb der deutsche Schnelldienst Anfang August – nur auf parlamentarischem Mehrheitswege und also mit Billigung des Zentrums möglich. Bei einem solchen Rückfall in überlebte Methoden würden die Deutschnationalen nicht nur entbehrlich, sondern auch – uninteressiert sein.

Dem Nationalsozialismus aber, der den Bolschewismus niedergerungen, den Marxismus eingeengt, das System der Weimarer Koalition zertrümmert hatte, stand jetzt, unmittelbar vor dem Ziele ein unerwarteter Kampf bevor mit der Reaktion, dem jämmerlichsten, aber zugleich hartnäckigsten und hinterhältigsten seiner Gegner. Träger dieser unseligen Reaktion waren Hugenberg und Gayl, ihr Schrittmacher Papen.

  Stellung der Parteien  
zur Regierung

So standen sich denn drei Staatstheorien gegenüber: das Zentrum setzte sich für den bisherigen parlamentarischen Parteistaat ein, die Nationalsozialisten forderten das von den Parteien befreite völkische Reich, die Deutschnationalen befürworteten die "autoritäre" Regierung, die reaktionäre Methode, das Schicksal des Reiches unter Ausschluß der Öffentlichkeit einem kleinen Kreis von Männern der gesellschaftlichen Elite zu überlassen.

[23] Die deutschnationale Auffassung wurde vom Reichspräsidenten und von der Reichsregierung geteilt: mit der bisherigen Art der Parteiherrschaft müsse Schluß gemacht werden! Das war eine Absage an Kaas, eine Sicherung gegen Hitler und eine Zustimmung zu Hugenbergs Ansicht. Der Standpunkt des Zentrums werde der tatsächlichen inneren Lage in keiner Weise gerecht; da nun einmal parlamentarische Mehrheitsbildungen unmöglich seien, sei die einzige Möglichkeit die von Parlament und Parteien unabhängige und überparteiliche Präsidialregierung, wie sie Hindenburg fordere. Grundsätzlich könnten auch einige Nationalsozialisten aufgenommen werden, aber nicht als Parteileute, sondern infolge besonderer Fähigkeiten und des besonderen Vertrauens Hindenburgs.

Am 9. August begann die Reichsregierung die Besprechungen mit den Parteien um die Bildung einer autoritären Regierung der nationalen Konzentration. Während am Abend dieses Tages in Berlin Papen mit Hugenberg verhandelte, trafen der Reichswehrminister Schleicher und Adolf Hitler in Dresden zusammen. Hier in Dresden traten die schroffen Gegensätze, die wir aus dem Vorhergehenden kennen gelernt haben, offen zu Tage, und die Verhandlung verlief ergebnislos. Schleicher selbst hatte bereits vergeblich beim Reichspräsidenten zu Hitlers Gunsten zu vermitteln gesucht und Hindenburg eine Kanzlerschaft Hitlers vorgeschlagen. Bei den Dresdener Verhandlungen aber war er ausdrücklich streng an seinen Auftrag gebunden und durfte als Unterhändler der Reichsregierung seine eigene Auffassung nicht zum Ausdruck bringen. Zwei Tage später waren zwei Zentrumsbeauftragte, der Abgeordnete Joos und der württembergische Staatspräsident Dr. Bolz, bei Papen: sie forderten offene und volle Mitverantwortung der Nationalsozialistischen Partei an der Regierung, und verlangten Einhaltung der parlamentarischen Gepflogenheiten und loyale Zusammenarbeit zwischen neuer Regierung und Parlament. Das bisherige Reichskabinett sei weiterhin unmöglich. Papen jedoch lehnte alle parlamentarischen Forderungen ab.

In den weiteren Besprechungen am 12. August zwischen den Nationalsozialisten Röhm und Grafen Helldorf und den Regierungsvertretern Meißner, Schleicher, Papen erkannten die [24] Nationalsozialisten das Präsidialkabinett an, forderten aber für Adolf Hitler, die stärkste Persönlichkeit des politischen Lebens, den Kanzlerposten. Eine Besprechung Hitlers mit Hindenburg war in Aussicht genommen, und um alle Widerstände zu beseitigen, erteilte die nationalsozialistische Fraktion des preußischen Landtages auf die Einladung der Zentrumsfraktion zu Verhandlungen in der preußischen Regierungsbildung eine Absage, "da das ausschließlich Sache des Parteiführers Adolf Hitler sei." Der Nationalsozialismus war zu Beginn der Regierungsverhandlungen nicht gewillt, Hindenburgs Gedanken der Präsidialregierung von sich aus durch Verhandlungen mit dem Zentrum parlamentarisch zu belasten. Die reinliche Scheidung der Begriffe war notwendig, wenn man zum Erfolg kommen wollte.

Hitler war von München nach Berlin gerufen worden, um mit Hindenburg zu verhandeln. Vorher hatte er eine Aussprache mit Schleicher und Papen. Besonders der Wehrminister bemühte sich nach wie vor, dem nationalsozialistischen Führer den Weg in die Regierung zu bahnen, stand doch fast die gesamte zuverlässige wehrfähige Jugend Deutschlands im Lager Hitlers – die Jugend, die das Reservoir der Reichswehr bildete! Schleicher bot Hitler den neu zu schaffenden Posten eines Vizekanzlers in Personalunion mit dem Amte des Ministerpräsidenten von Preußen an, vielleicht wollte man den Nationalsozialisten auch das Reichsinnenministerium und noch ein drittes Ministeramt übertragen – doch Hitler lehnte ab, sowohl bei Schleicher wie bei Papen, der noch einmal die gleichen Angebote machte.

Sollte Hitler in eine Regierung eintreten, dann durfte er nicht Statist sein, der lediglich seinen Schuldanteil an den Fehlern der anderen übernehmen mußte, sondern er mußte das Schlüsselamt der Verantwortung, den Kanzlerposten, fordern. Die Verantwortung für das Regiment des Nationalsozialismus durfte nur dem Führer der Bewegung selbst überlassen werden, wenn überhaupt der Wille der Nationalsozialisten an der Verantwortung und das Geschrei der anderen, den Nationalsozialisten die Verantwortung zu übertragen, ehrlich gemeint waren!

[25] Hitler hielt nach seinen Auseinandersetzungen mit Schleicher und Papen einen Besuch bei Hindenburg für aussichtslos; dieser habe doch nur dann Zweck, wenn der Präsident noch keinen endgültigen Entschluß gefaßt habe, sondern zunächst nur die verschiedenen Auffassungen kennen lernen wolle. Hindenburgs Staatssekretär Dr. Meißner versicherte dem Dr. Frick, Hindenburg habe noch keinen Beschluß gefaßt, obwohl derselbe Meißner bereits eine Viertelstunde vorher der Presse mitgeteilt hatte, Hindenburg habe sich bereits entschlossen, dem Besuche Hitlers komme nur formale Bedeutung zu und an dem Ergebnis könne nichts mehr geändert werden. So waren in der Tat bereits vor der Zusammenkunft Hitlers mit Hindenburg die Würfel gefallen, ohne daß Hitler dies erfahren hatte. Hoffnungen auf einen Ausgleich der gegensätzlichen Standpunkte noch in letzter Minute waren durch nichts gerechtfertigt.

  Der 13. August 1932  

Am Nachmittag des 13. August begab sich Hitler, von Frick und Röhm begleitet, zu Hindenburg. Auch Papen und Meißner waren zugegen. Die Unterredung dauerte 16 Minuten. Hindenburg fragte:

      "Herr Hitler, ich habe nur eine einzige Frage an Sie zu richten: Sind Sie bereit, mir Ihre Mitwirkung im Kabinett von Papen zur Verfügung zu stellen?"

Hitler antwortete:

      "Wir sind gewillt und entschlossen, die volle Verantwortung für die deutsche Politik in jeder Beziehung zu übernehmen, wenn man uns dafür die eindeutige Führung der Regierung anvertraut. Ist das nicht der Fall, so kann die nationalsozialistische Bewegung weder an der Macht, noch an der Verantwortung teilnehmen."

Hitler forderte, wie das schon bekannt war, das Amt des Reichskanzlers, er rechnete aber zugleich damit, daß die Ministerien der Reichswehr, der Finanzen, der Justiz, der Post, der Wirtschaft und der Ernährung nicht mit Nationalsozialisten besetzt werden würden. Hindenburg jedoch entnahm seinen Worten irrtümlich den Anspruch auf die gesamte Macht, und diesen Anspruch lehnte der Präsident kategorisch ab!

      "Sie wollen also die ganze Macht haben? Das geht gegen mein Gewissen, das kann ich nicht gut heißen aus innen- und außenpolitischen Gründen."

Er könne es vor seinem Gewissen und seinen Pflichten dem Vaterlande [26] gegenüber nicht verantworten, die gesamte Regierungsgewalt ausschließlich der nationalsozialistischen Bewegung zu übertragen, die diese Macht einseitig anzuwenden gewillt sei. Er bedauerte, daß Hitler nicht in der Lage sei, entsprechend seiner vor den Reichstagswahlen abgegebenen Erklärungen eine vom Vertrauen des Reichspräsidenten berufene nationale Regierung zu unterstützen. Schließlich mahnte er Hitler in ernsten Worten, die von ihm angekündigte Opposition ritterlich zu führen und sich seiner Verantwortung vor dem Vaterlande und vor dem deutschen Volke bewußt zu bleiben: jeder Versuch einer gewaltsamen Erhebung der nationalsozialistischen Partei werde von der Staatsgewalt rücksichtslos niedergeschlagen werden. –

Drei Tage hatte der Kampf Hitlers um die Reichsführung gedauert. Er endete mit einem Mißerfolg, weil der Reichspräsident dem Nationalsozialismus nicht die volle Verantwortung zu übertragen wagte, sondern den höchsten Sinn einer Regierung der nationalen Konzentration in der Synthese gegensätzlicher Kräfte, der auf liberalistischem Geiste beruhenden konservativ-reaktionären Papenregierung mit der nationalsozialistischen Idee des Volksführers erblickte. Hitler hatte getan, was er tun mußte, um nicht den Glauben an sein Werk zu zerstören:

      "Ich werde niemals für ein Linsengericht die Erstgeburt verkaufen, ich nehme in grundsätzlichen Dingen lieber jeden Kampf und jede Verfolgung auf mich, als daß ich mir oder der Bewegung jemals untreu würde."

Aber das war von nun an klar: die gewaltige Bewegung des Nationalsozialismus befand sich von jetzt an im schärfsten Gegensatz nicht nur zur Regierung Papens, sondern auch zu den Deutschnationalen, welche das Vorgehen Hindenburgs aufs entschiedenste billigten. Die ehemalige Harzburger Front war in zwei erklärte feindliche Fronten zerfallen, was jetzt um so bedenklicher war, da die eine Front in der Regierung, die andere im Volke stand.

Als die Gefahr einer Mitbeteiligung Hitlers an der Regierung vorübergegangen war, deckte die deutschnationale [27] Zwergpartei tapfer ihre Karten auf und triumphierte. Der deutschnationale Abgeordnete Borck meinte im Tag, nun könne die Regierung nur noch bei Hugenberg Rückhalt finden; gestützt auf ihre eigene Verantwortung, dürfe sie nun vor der Revolution von oben nicht mehr zurückschrecken. Alle hemmenden Kräfte, alle Lauen und Halben müßten jetzt ausgeräumt werden. Die deutschnationale Landtagsfraktion in Preußen erklärte der Reichsregierung, sie stehe vollkommen hinter ihr, und die Deutschnationale Volkspartei rüffelte die nationalsozialistische Presse, daß sie keinen politischen Anstand, keine Ritterlichkeit besitze, wenn sie die Entscheidung Hindenburgs auf die "Einbläserei gewissenloser Intriganten aus dem Hugenberglager" zurückführe. Es kam zu unerquicklichen Reibereien, insbesondere, da der Stahlhelmführer von Stefani in Groß-Berlin gänzlich unbegründeterweise der S.A. Putschabsichten gemeinsam mit der Reichswehr nachsagte.

Ja, die Deutschnationalen fingen nun auch an, die Regierung Papen in der Einhaltung der "autoritären" nationalen und kapitalistischen Linie zu schulmeistern. Anfang September stellte Brosius, der Leiter dies deutschnationalen Pressedienstes, folgendes fest: Die Partei werde alle Schritte der Abkehr vom Weimarer Parlamentarismus begrüßen und unterstützen, aber die Befürchtung, daß personelle Fehlgriffe, daß die übertriebene Rücksichtnahme auf das Zentrum die Entschlossenheit des Kurses lähmten, hätten ihre Berechtigung nicht verloren. Auch die wirtschaftspolitische Linie sei unklar, man wisse nicht, wohin sie führe. Hugenberg sei bisher der Einzige in Deutschland gewesen, der im organischen Zusammenhange Pläne für eine Wirtschaftsgesundung entwickelt habe.

Zwischen dem Nationalsozialismus und der Reichsregierung aber loderte alsbald eine Feindschaft von geradezu elementarer Wucht empor infolge eines tragischen Ereignisses in Oberschlesien. Auf Grund der Notverordnung gegen den Terror waren Sondergerichte eingesetzt worden, die aus einem Vorsitzenden und zwei Beisitzern, Berufsrichtern, bestanden, und [28] zum Schrecken aller Kommunisten drakonisch harte Urteile fällten.

  Potempa  

Das erste Sondergerichtsverfahren wurde in Beuthen gegen eine Anzahl Nationalsozialisten, meist alte Freiheitskämpfer von 1919–1921, eröffnet, die am 10. August um ½2 Uhr nachts in Unkenntnis der Terrornotverordnung, die kurz zuvor in Kraft getreten war, den Kommunisten Pietrzuch, einen polnischen Insurgenten und gewalttätigen Säufer, aus Rache für den heimtückischen Überfall auf einen S.A.-Mann in Potempa totgeschlagen hatten. Nach fünftägiger Verhandlung verkündete das Gericht Ende August das Urteil: Fünf Todesstrafen, eine Zuchthausstrafe, drei Freisprechungen. Da erhob sich im Gerichtssaal der Gruppenführer der schlesischen S.A. und S.S., Heines, der in voller Uniform mit mehreren S.A.-Führern an der Verhandlung teilgenommen hatte, und rief laut in den Saal: "Das deutsche Volk wird in Zukunft andere Urteile fällen, das Urteil von Beuthen wird das Fanal zu deutscher Freiheit werden! Heil Hitler!" Ein gewaltiger Sturm brauste auf, die Mehrzahl der Zuhörer und Pressevertreter erhob sich und stimmte in den Hitlerruf ein, auf der Straße setzte sich die Erregung fort, ergriff tausende von Menschen. Je mehr die Polizisten mit den Gummiknüppeln auf die S.A.-Leute einhieben, um so wilder tobte die Menge, schrie Verwünschungen gegen die Richter und drängte immer ungestümer gegen das Gerichtsgebäude an. Die Polizeibeamten mußten mit Karabinern und Maschinenpistolen die Eingänge schützen. Bis in die tiefen Abendstunden hinein wogten die Unruhen durch die oberschlesische Stadt. Die Geschäftsstellen der sozialdemokratischen Zeitung, einer Zentrumszeitung und eines parteilosen Blattes wurden demoliert. Den jüdischen Kaufleuten wurden die Fenster eingeworfen, und noch im letzten Augenblick wurde verhindert, daß ein jüdischer Obsthändler gelyncht wurde.

Der aufgestaute Zorn der letzten Wochen brach hemmungslos aus. Die Empörung pflanzte sich über das Land, über Städte und Dörfer fort. In Breslau zogen aufgeregte Menschenmassen durch die Straßen mit dem Rufe: "Gebt uns [29] unsere Kameraden frei! Nieder mit dem Schandurteil! Nieder mit der Papenregierung!"

Adolf Hitler nahm sich unverzüglich der Verurteilten an und versprach Kampf für ihre Freiheit. Mit außerordentlicher Schärfe griff er Papen und seine "blutige Objektivität" an. 300 S.A.-Leute seien durch marxistische Feigheit gemordet und ihr Tod bleibe ungesühnt. Hier aber, wo ein Mörder und polnischer Insurgent den gerechten Tod erlitten habe, würden von Staats wegen sogleich fünf S.A.-Leute ermordet. Die Nationalsozialisten wiesen auf das schreiende Unrecht hin, indem sie das Beuthener Urteil mit dem gleichzeitig gefällten Urteil des Brieger Sondergerichts über die Ohlauer Mörder verglichen. In Ohlau hatten bei einem Aufruhr am 12. Juli die Reichsbannerführer zwei nationale Deutsche ermordet. Die Reichsbannerangehörigen waren in der Überzahl über einen S.A.-Mann hergefallen, hatten ihn bis zur Unkenntlichkeit massakriert und dann in die Ohle geworfen. Die Täter erhielten einige Jahre Zuchthaus, bzw. Gefängnis, – denn die Tat war vor der Terrornotverordnung begangen!

Deutschlands gesamte nationale Presse setzte sich für Begnadigung der Beuthener Verurteilten ein: Summum jus summa injuria. Der Stahlhelm bat bei Papen um Gnade. Um so gehässiger zeigten sich Demokraten und Marxisten: Das Brieger Urteil sei hart und ungerecht, aber das Beuthener Urteil sei gerecht und müsse vollstreckt werden! Dieselben Leute, die es nicht über sich bringen konnten, den Kopf eines vertierten Raub- und Lustmörders in den Sand rollen zu sehen, verlangten jetzt eine fünffache Hinrichtung!

Die Reichsregierung erklärte zu alledem, sie werde nicht dulden, daß irgendeine Partei sich gegen ihre Anordnungen auflehne.

      "Die leidenschaftlichen Vorwürfe, die in der Öffentlichkeit gegen diese Urteile erhoben worden sind, sollten sich gegen die Urheber der blutigen Ereignisse und nicht gegen die Staatsgewalt richten, die im Interesse der Gesamtheit zu so scharfen Maßnahmen greifen mußte. Die Reichsregierung wird jedem Versuch, die Grundsätze des Rechtsstaats zu verfälschen und die politischen Leidenschaften zu erneuten Ausschreitungen aufzustacheln, zu begegnen wissen."

Die Re- [30] gierung lehnte es ab, sich unter politischen Druck setzen zu lassen, und sowohl Papen wie Bracht waren fest entschlossen, das Urteil vollstrecken zu lassen. Jedoch Anfang September wunden die Todesurteile auf dem Gnadenwege in Zuchthausstrafe umgewandelt; es war besser und klüger, den Streit um Grundsätze nicht bis zum Äußersten, bis auf die Spitze zu treiben.

Das Ereignis von Potempa hatte die Feindschaft zwischen dem Nationalsozialismus einerseits und der Regierung Papen sowie den hinter ihr stehenden Deutschnationalen andererseits aufs höchste gesteigert. Bei diesem Bruderkampfe der nationalen Front war es ein günstiger Umstand, daß die Sozialdemokratie sich in einer tödlichen Schwäche befand und sich nicht in die Auseinandersetzungen mischen konnte, da sie die Ruhe dringend brauchte. Tag für Tag sausten vernichtende Schläge auf diese Partei nieder, stets aufs neue wurden Korruptionen, Unterschleife, Betrügereien führender Männer der Sozialdemokratie aufgedeckt. Es gab in Preußen kaum einen Minister, kaum einen Bürgermeister, Präsidenten oder Landrat, der rein von Schuld gewesen wäre. An ihnen allen haftete der Makel der Bestechung, der Untreue. Dazu kam die politische Schlappe durch das Urteil des Reichsgerichts vom 20. August, daß Papens Vorgehen am 20. Juli durch Artikel 48 der Reichsverfassung begründet sei und sich auf "geltendes Recht" stütze. Doch zähe hielten Braun und Severing an ihrem vermeintlichen Rechte fest: sie thronten wie Könige ohne Land in Berlin als "Hoheitsregierung".

Die sozialdemokratischen Gewerkschaften erhoben gelegentlich bei Papen ihre warnende Stimme, weil sie bei der bevorstehenden Wirtschaftsneuordnung Papens eine Schmälerung der Rechte der Arbeiter fürchteten. Die Härten der Notverordnung vom 14. Juni 1932 sollten beseitigt werden, Lohntarifverträge und soziale Versicherung wurden als unantastbare Einrichtungen erklärt. Dann wurden für die bevorstehende Reichstagsversammlung Sozialisierungsanträge vorbereitet, um Papen bei dem geplanten Umbau der Wirtschaft zu "unterstützen". Es waren sehr vielseitige Wünsche: Enteignung des Großgrundbesitzes zugunsten des Siedel- [31] wesens, Verstaatlichung der Schlüsselindustrie und der subventionierten Betriebe in Bergbau, Eisenindustrie, Metallgewinnung, Großchemie, Zementindustrie sowie der Großbanken, Streichung der Fürstenrenten. Man glaubte, auf diese Weise die zu den Nationalsozialisten abströmenden Mitglieder halten zu können und erklärte, daß es sich bei den Forderungen nicht "nur um ein parlamentarisches Manöver zur Entlarvung des Nazi-Scheinsozialismus" handle, sondern um Gegenwartsforderungen, da die Lage "reif für sozialistische Wirtschaftsumgestaltung in breiter Form" sei.

Auch die Rüstung und Vorbereitung des Bürgerkrieges wurde von den Sozialdemokraten nicht versäumt. Für die Arbeiterklasse gelte es, sich zu kommenden Kämpfen von unerhörter Schwere und Schärfe bereit zu halten, schrieb der Vorwärts am 24. August 1932. Das Reichsbanner faßte seine Einheiten schärfer zusammen – für die Bewaffnung hatten die früheren Machthaber gesorgt –, ein regulärer Bürgerkriegsalarmdienst wurde eingerichtet, desgleichen ein besonderer Beobachtungs- und Meldedienst, der die nationalen Wehrverbände insgeheim unter ständiger Kontrolle halten sollte. Soweit das noch möglich war, suchte man enge Verbindung mit republikanischen Behörden, und ein Kurierdienst aus Radfahrern, Motorrad- und Kraftwagenbesitzern wurde organisiert, um in "Augenblicken der Gefahr" alle Mitglieder in kürzester Zeit zusammenrufen zu können.

  Kommunistische Umtriebe  

Dieselben Bürgerkriegsvorbereitungen trafen die Kommunisten. Zwar hatten die Bluttaten durch die Terrornotverordnung ihr Ende gefunden, aber Sprengstoffattentate und einzelne Überfälle ereigneten sich doch immer noch hier und da. Vor allem wurden der verbotene Rotfrontkämpferbund und Kampfbund gegen den Faschismus im geheimen energischer denn je gefördert. Nachtübungen wurden veranstaltet, und wenn Polizei eingriff, wurde sie beschossen. In Pinneberg bei Berlin waren in den Häusern die Keller zu Unterständen umgebaut worden, in denen reichlich angefüllte Arsenale von Militärgewehren, Pistolen, Munition, Pulver, Handgranaten, Bomben, Hieb- und Stichwaffen und Knüppeln untergebracht waren. –

[32] Es war ein Zustand tiefen Unglücks über Deutschland hereingebrochen, ein Zustand, wie er allen Übergangszeiten eigentümlich ist. Zwischen S.A. und Stahlhelm und Reichsbanner und Rotfrontkämpferbund brütete die Atmosphäre rücksichtslosen Kampfes, und die wilden Gewalten wurden nur gebändigt durch die drakonischen Zuchtmittel einer Reichsregierung, die sich so gut wie zum gesamten Volke in Gegensatz befand. Machtkämpfe von elementarster Wucht kündigten sich an, und zwar waren fünf Fronten aufmarschiert: Die Reichsregierung, die sich auf die Bajonette der Reichswehr stützte, der Nationalsozialismus, dem S.A. und S.S. zur Verfügung standen, die Deutschnationalen, die sich mit dem Stahlhelm verbündet hatten, die liberalistisch-marxistische Mitte, die das Reichsbanner einzusetzen hatte, und der kommunistische Rotfrontkämpferbund.

Papens
  Aufbauprogramm  

Papen glaubte, daß die schweren Gefahren, die dem Volke drohten, nur durch zähe und erfolgreiche Aufbauarbeit abgewandt werden konnten. Und so war er von allem Anfang an ernstlich bemüht, auf dem Trümmerfelde Deutschland neue Kräfte zu entfalten.

Das war gewiß nicht leicht. Die Industrie war erwürgt. Ende Juli 1932 hatte Deutschland 5,4 Millionen Erwerbslose, die Ziffer war gegen Mitte des Monats infolge der Belebung des Arbeitsdienstes um 40 000 zurückgegangen. Die Lage der Landwirtschaft war trostlos. Allein im Juli waren in Pommern 61, in Brandenburg 74 Betriebe zusammengebrochen. Ein Viertel der gesamten Nutzfläche der Provinz Pommern stand im Sicherungsverfahren. Es mußte etwas erfolgen, um der Wirtschaft zu helfen und um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Für Papen gab es zwei grundsätzliche Fragen:

      "1. Wird man bei der Neuordnung der Wirtschaft den Mut haben, an die Überwindung reformbedürftiger oder überlebter Wirtschaftsformen heranzugehen?"
      "2. Wird man bei der Führung der Wirtschaftspolitik den Mut zu einer Entscheidung finden, die in den geschlossenen Ring der widerstreitenden Interessen eine Bresche schlägt, und
[33] wird man damit von der Kette der kleinen Notmaßnahmen zum planmäßigen Aufbau übergehen?"

Die erste Frage wollte Rückkehr zur Privatinitiative, Abkehr von dem Brüningschen System staatlicher Subventionen für kranke und schwache Betriebe. Was nicht die Kraft besaß, sich zu behaupten, das mochte zusammenbrechen. Um so eher reinigt sich der Wirtschaftskörper von ungesunden Elementen. Die zweite Frage wollte der egoistischen Interessenpolitik der Unternehmerverbände und der Gewerkschaften ein Ende bereiten, die Preisdiktatur und die Diktatur der Lohntarife sollten gelöst werden. Dabei rückte Papen den Gesichtspunkt "Gemeinnutz vor Eigennutz" in den Vordergrund; der Staatsführung dürfe es nicht darauf ankommen, das Kapital des Unternehmers zu schützen, sondern dem Volke die Arbeitsmöglichkeiten zu erhalten.

Die Grundforderungen des Aufbaus waren also folgende: Arbeitsbeschaffung, auch Arbeitsdienstpflicht, Aufhören staatlicher Subventionen, Senkung der Zinsen, nicht zwangsweise, aber freiwillig, Lockerung der Lohntarife, Einführung eines Krümpersystems in der Industrie durch Austausch zwischen Arbeitslosen und Beschäftigten.

Arbeitsdienst
  und Arbeitsbeschaffung  

Dem Freiwilligen Arbeitsdienst wandte man ganz besonderes Augenmerk zu. Die Zahl der bisher 85 000 in ihm Beschäftigten sollte auf 200 000 erhöht werden. Jugendliche Altersklassen sollten durch Entziehung der Unterstützung gezwungen werden, wenn sie nicht bereit waren, freiwillig am Arbeitsdienst teilzunehmen. Melioration, Entwässerung, Bodenkulturen, Wegebau und Wegeverbesserungen sollten vorgenommen werden. Stadtrandsiedlungen, Kleinwohnungsbau, Schiffsbau usw. boten Beschäftigungsmöglichkeiten. Auswahl und Schulung der Führer sollten sorgfältig durchgeführt werden.

Arbeitsbeschaffung und Arbeitsdienst mußten aber finanziert werden. Die Reichsbank weigerte sich, diese Finanzierung vorzunehmen. Ihr Präsident Dr. Luther erklärte, die Reichsbank sei kein Finanzierungsunternehmen, sondern ein Währungsinstitut. So kam Papen mit seinen Plänen nicht zum Abschluß. Jedoch der Reichspräsident drängte auf möglichst schnelle Durchführung der Ideen, hoffte er doch dadurch einmal den [34] durch die Opposition der Nationalsozialisten hervorgerufenen Druck zu beheben und weiterhin auch durch wiederkehrende Zufriedenheit bei den arbeitslosen Massen dem Kommunismus Abbruch zu tun. Von der siegreichen Durchbruchsschlacht gegen die Arbeitslosigkeit hing alles Weitere ab, vor allem die Befestigung des Gedankens des autoritären Staates gegen Nationalsozialisten und Kommunisten. Aber noch fehlte die Übereinstimmung zwischen den allgemeinpolitischen und den finanzpolitischen Notwendigkeiten innerhalb der Regierung.

Von der drittel Milliarde, die der Arbeitsdienst kostete, sollte Luther 200 Millionen geben. Er verlangte aber dafür Sicherheiten, Bürgschaften. Man griff deshalb in der Öffentlichkeit Luther scharf an, er sabotiere das Aufbauwerk. Selbst die Nationalsozialisten traten auf Papens Seite: Luther müsse gehen. Beim Zusammenbruch der Banken habe er eine Milliarde übrig gehabt, um das liberalistisch-marxistische Wirtschaftssystem und die jüdischen Großbanken zu retten, bei dieser Lebensfrage des Volkes aber sträube er sich, eine viel kleinere Summe zu geben. Papen war fast so weit, daß er den Plan einer Zwangsanleihe, den einst die Sozialdemokraten Brüning vorgeschlagen hatten, zu erwägen begann. Jedoch am 20. August kam endlich, nachdem man eine Woche lang gestritten hatte, die Einigung zwischen Papen und Luther zustande: Die Reichsbank stellte die erforderliche Summe zur Verfügung, wenn eine Anzahl anderer Banken ihr gegenüber die volle Sicherheit und Bürgschaft übernahmen.

Luther entwickelte einige Tage später auf dem Genossenschaftstag seine Grundsätze, die ihn bei den Verhandlungen mit der Regierung leiteten. Aus seiner Rede seien folgende Stellen wiedergegeben:

      "Angesichts des Gedankens, nur ganz Neues könnte Abhilfe von Übeln der Zeit verschaffen, könnte bei manchem der Eindruck entstehen, als ob eine Verteidigung des Grundsatzes der Privatwirtschaft und der Aufrechterhaltung weltwirtschaftlicher Verbindung, wie auch eine Verbindung der Goldwährung Passivität sei und ein gefährliches Sich-treiben-lassen bedeute, während ein forsches In-den-Vordergrundschieben unerprobter Wirtschaftsgedanken und Währungs- [35] vorschläge als entschlossenes Handeln gepriesen wird. Es war aber immer und zu allen Zeiten gefährlich, der Linie des geringsten Widerstandes zu folgen. Wirtschaftsentscheidungen sind Entscheidungen auf lange Frist, und werden sie falsch getroffen, so wird das Volk die Folgen noch zu fühlen haben, wenn die wirtschaftspolitischen Strömungen und Stimmungen, die sie einst hervorriefen, längst sich in ganz anderer Richtung bewegen....
      "Was die Reichsbank bereits getan und zugesagt hat, ist bekannt. Aus dem Regierungsprogramm wird sich weiteres ergeben. Ich erinnere auch an die Russenwechsel und die Sparkassenhilfe. Vor allem aber spreche ich auch heute hier wieder aus, daß die Reichsbank bereit ist, der Wirtschaft für jeden wirtschaftlich gesunden Zweck ihre Kreditkraft zur Verfügung zu stellen, sofern es sich nur um echte Geschäftsvorgänge handelt. In diesem echt wirtschaftlichen Rahmen fehlen nicht die Kredite, sondern es fehlen die, die bereit sind, die Kredite zu nehmen. Auch wenn demnächst das Wirtschaftsprogramm der Reichsregierung besondere Erleichterungen bieten wird und die Reichsbank Wege gefunden hat, um kräftig mitzuwirken, so kommt es letzten Endes doch darauf an, daß die zum privaten Wirtschaften Berufenen nun auch wirklich wirtschaften wollen...." –

Das Widerstreben Luthers gründete sich vor allem auf seine Auffassung, daß das Regierungsprogramm in seinem Arbeitsdienst eine starke Sozialisierungstendenz erkennen ließ. Sozialisierung aber erschien ihm im Gegensatz zur Privatwirtschaft unproduktiv und insofern als eine Gefahr für die Währung. Er gründete seine Ansicht auf die Erfahrungen, die das deutsche Volk 1919–1923 gemacht hatte. Die einzige Rettung sah er in einer ernsten, verantwortungsbewußten Privatinitiative. –

In der Frage der Arbeitsbeschaffung stellten große Organisationen dem Kanzler ihre Pläne zur Verfügung. Der von Dr. Gereke geführte Verband der preußischen Landgemeinden hatte einen Plan ausgearbeitet, zusammen mit Vertretern der Landwirtschaft, der Wehrverbände und Gewerkschaften, wonach die Landgemeinden durch eine Art Selbsthilfe an der [36] Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mitwirken wollten. Der Gerekesche Plan fand Papens Zustimmung, und der Kanzler nahm Gereke als Kommissar für Arbeitsbeschaffung in Aussicht.

Mit ganz besonderem Eifer nahm sich der Stahlhelm der Regierungspläne an. Ein Aufruf Mitte August besagte, daß der Arbeitsdienst der Weg zu innerer und äußerer Freiheit sei. Ein "Bund für organischen Staats- und Wirtschaftsaufbau" wurde gegründet, der erklärte, der Stahlhelm werde mit allen Kräften jede Regierung unterstützen, die sich zum Ziele den organischen Umbau der Wirtschaft setze, d. h. ihre Neuordnung auf berufsständischer Grundlage, die Wiederherstellung der natürlichen Leistungsgemeinschaften.

Die Nationalsozialisten billigten grundsätzlich Papens Absichten, nur fragten sie, ob Papen der richtige Mann sei, seine Pläne durchzuführen. Er nehme zwar den Nationalsozialisten ihre Gedanken fort, verwässerte sie aber mit schädlichen bürgerlichen Vorstellungen. Neue Ideen könne nur der durchführen, der sie ersonnen habe.

Die Industriemagnaten waren zurückhaltend. Sie folgten Luthers Gedankengängen. Ende August hatte Papen in Berlin eine Aussprache mit Industrieführern, unter denen sich Krupp von Bohlen und Halbach, Geheimrat Bosch und Siemens befanden. Trotz Papens eindringlichen Versicherungen, daß die Arbeitsbeschaffungspläne keinen Rückfall in planwirtschaftliche Tendenzen bedeuten sollten, konnten die Industriellen sich doch nicht von ihren Befürchtungen gänzlich befreien.

Auch Hugenberg und seine Partei hatten Mißtrauen. Hugenberg war verstimmt, daß er zu den Beratungen nicht hinzugezogen worden war. Er entdeckte nun in den Plänen des Kanzlers sozialistische Gedanken, die er verabscheute. Grollende Stimmen in der Partei bezweifelten den Nutzen der Regierungspolitik, die vielmehr verhängnisvolle Schäden und Schwächen in sich berge. Es wurde den Deutschnationalen schwer, bei Papen auszuharren, den sie erst gegen Hitler auf den Schild gehoben hatten.

Die Arbeitsbeschaffungspläne Papens waren also ein heißumkämpftes Gebiet. Nun es ernst werden sollte mit dem Ar- [37] beitsdienst, der ja in gewisser Weise eine sozialistische Staatswirtschaftsform darstellte, erklärten sich die überparteilichen Verbände mit Begeisterung dafür, während die Wirtschaftsorganisationen und liberalistischen Parteien Widerstand leisteten. Papen gab sich daher keine Mühe mehr, im Reichstag irgendeine Mehrheit für seine Pläne zusammenzubringen. Noch bevor das neue Parlament zusammengetreten war, rechnete man bereits allgemein wieder mit seiner Auflösung und mit Neuwahlen.

Papens
  Wirtschaftsprogramm  

Zwei Tage vor dem Beginn der Reichstagsversammlung, am 28. August, gab Papen in einer Rede vor den westdeutschen Bauernvereinen in Münster sein Wirtschaftsprogramm bekannt, das sogleich durch Rundfunk verbreitet wurde. Seine Regierung sei weder revolutionär noch reaktionär, sondern stütze sich auf konservative Gesinnung. Die "Zügellosigkeit" des Nationalsozialismus, die von ihm erstrebte Parteidiktatur wurde heftig angegriffen. Der Kanzler sagte, er sei gegen Hitler und für den Rechtsstaat, er sei fest entschlossen, die schwelende Glut des Bürgerkrieges auszutreten und die Anerkennung des gleichen Rechtes nötigenfalls zu erzwingen.

Das Wirtschaftsprogramm Papens ging grundsätzlich von der Privatinitiative aus, die lediglich durch staatliche Hilfsmaßnahmen, aber nicht durch Geldsubventionen, belebt und aus ihrer Erstarrung gelöst werden solle. In die Sphäre der Privatwirtschaft werde man nicht eingreifen. Wo der Staat an Privatbetrieben beteiligt sei, werde nur eine besondere staatliche Beaufsichtigung zur Wahrung der staatlichen Interessen eingesetzt. Das war eine Abkehr von den Brüningschen Subventionsmethoden.

Die Belebung der Privatwirtschaft sollte 1½–2 Millionen Erwerbslosen wieder Arbeit geben. Aber die Privatinitiative brauchte Geldmittel, um sich auswirken zu können. Papen schuf diese Geldmittel durch die neuartige Einrichtung der Steueranrechnungsscheine über Umsatz-, Gewerbe- und Beförderungssteuer, die wie Schuldverschreibungen an der Börse und von den Banken gehandelt werden und durch diese Beweglichkeit die Spargelder des Volkes ins Wirtschaftsleben hineinleiten und zur Produktionssteigerung verhelfen sollten. [38] Der Kanzler sagte in seiner Rede, daß solche Steueranrechnungsscheine in einer Gesamthöhe von 1500 Millionen Mark in der Zeit bis zum 1. Oktober 1933 ausgegeben würden. Für einen ganz besonderen Zweck aber sollten weitere 700 Millionen Mark Steuergutscheine zur Verfügung gestellt werden: jeder Arbeitgeber, der nachweislich die Zahl seiner Arbeitnehmer vermehrte, sollte für jeden Neubeschäftigten 400 Mark in Steuergutscheinen erhalten. Auf diese Weise, so rechnete Papen aus, könnten 1¾ Millionen Menschen wieder in den Wirtschaftsgang eingegliedert werden.

Einen weiteren Anreiz für die Arbeitgeber, die Zahl ihrer Arbeiter zu erhöhen, sollte die Möglichkeit bieten, den Tariflohn bis zu einem gewissen Grade zu unterschreiten, und zwar im Verhältnis zur Vermehrung der Belegschaft. Es sei nötig, sagte Papen, daß der beschäftigte Teil der Arbeiterschaft zu gunsten der Erwerbslosen Opfer bringe. Schließlich kündigte der Kanzler die Auflockerung des allzustarren Tarif- und Schlichtungswesens an und forderte für die jungen Leute, die von der höheren Schule zur Hochschule übergingen, das Arbeitsdienstjahr.

Alle diese Regierungsmaßnahmen stellten einen Zwölfmonatsplan dar. Papen hoffte, in einem Jahre den Um- und Neubau der Wirtschaft durchzuführen. Allerdings, so betonte der Kanzler, könne das Werk nur durchgeführt werden durch eine autoritäre Regierung, die gänzlich unabhängig sei von Parteieinflüssen. –

Der große Aufbauplan Papens gipfelte also in zwei Forderungen: Arbeitsdienst und Privatinitiative. Der Arbeitsdienst sollte vor allem die jugendlichen Erwerbslosen erfassen, ihnen eine Möglichkeit der Existenz und Schule der Arbeit sein. Die Privatinitiative hatte den Zweck der Produktionssteigerung und der Wiedereinstellung älterer Erwerbsloser. Allerdings waren die beabsichtigten Maßnahmen zugunsten der Unternehmer gedacht und belasteten die Arbeiter durch Lohnkürzungen. Das mußte den geschlossenen Widerstand der Arbeitnehmer herausfordern. Doch der Kanzler glaubte an die zwingende Macht seines Planes und war überzeugt, daß er hiermit den unbotmäßigen Reichstag bezwingen [39] würde. Er ließ es jetzt ruhigen Sinnes darauf ankommen, das widerspenstige Parlament nach Hause zu schicken, denn er war überzeugt, wer guten Willens sei, müsse hinter ihn treten.

Zur Durchführung des Planes waren zwei Dinge nötig: Der Arbeitsdienst forderte Geld – dies hatte ja Papen nun von der Reichsbank erhalten – und für die Belebung der Privatinitiative war Erhöhung des Absatzes Voraussetzung, das war das Gefahrenmoment: eine solche konnte nicht willkürlich herbeigeführt werden. Der Binnenhandel war durch die Verarmung des Bürgertums ganz außerordentlich zurückgegangen, der deutsche Export hatte die Hälfte seit 1903 eingebüßt. Was nützte vermehrte Arbeitsleistung, wenn die Erzeugnisse nicht verwertet werden konnten? Hier war eine Klippe, die in dem Plane nicht beseitigt war und nicht beseitigt werden konnte. So konnte praktisch die Produktionssteigerung nicht anders wirken, als daß die geleerten Lager der Unternehmer sich mit Sachwerten anfüllten, ein Ergebnis, das nicht den Erfordernissen der Volksgesamtheit entsprach.

Hatte sich die deutsche Industrie den Arbeitsdienstplänen der Regierung gegenüber gewissermaßen ablehnend verhalten, so begrüßte sie jetzt die Wiederherstellung der Privatinitiative. Der ehemalige Reichsbankpräsident Dr. Schacht hatte ja bereits Ende Juni 1932 die beiden Forderungen aufgestellt: vollständige Zurückziehung der öffentlichen Hand aus dem Wirtschaftsleben und völlige Wiederherstellung der privaten Initiative durch Lockerung der politischen Bindungen und der Tarife in Lohn und Arbeitszeit.

Der handwerkliche Mittelstand empfand es als eine Zurücksetzung, daß er an der Mehrbeschäftigungsprämie von 400 Mark für den Arbeitnehmer keinen Anteil hatte, denn eine solche kam ja doch vor allem den größeren Betrieben zugute. Die Nationalsozialisten wiesen auf die Einseitigkeit des Planes hin; der Industrie würden zwei Milliarden geschenkt, während die Bauern leer ausgingen. Die Bauernvereine waren mißgestimmt und der Reichslandbund telegraphierte an den Kanzler, man fürchte, für die Landwirt- [40] schaft werde nicht genügend gesorgt. Auch Hugenberg erklärte Anfang September, das Programm müsse nach der landwirtschaftlichen Seite hin ergänzt werden. Im besonderen schlug er die Einführung des Kontingentssystems vor, um die landwirtschaftliche Produktion durch Verringerung der Einfuhr zu kräftigen. Papen war daraufhin bereit, die Landwirtschaft durch Steuergutscheine auf zwei Fünftel der Grundsteuer zu entlasten: "Das Reichskabinett ist sich völlig klar darüber, daß die Rettung der Landwirtschaft eine deutsche Lebensfrage ist."

Durch Notverordnung vom 4. September 1932 wurde der Zwölfmonatsplan in Kraft gesetzt. Der allgemeine Eindruck im Volke war, daß es sich um eine Offensive zugunsten der kapitalistischen Wirtschaft handle. Volle Zufriedenheit äußerten nur die kapitalistischen Anhänger Hugenbergs: "Sozial handelt, wer Arbeit schafft." Die Fronten standen jetzt ganz klar: die Regierung Papen stützte sich auf Hugenberg und den Stahlhelm. Das erwies sich sogleich. War infolge des allgemeinen Demonstrationsverbotes der Aufmarsch der S.A. auf dem Tempelhofer Felde verhindert worden, so konnte der Stahlhelm am 3. und 4. September in Berlin einen Reichsfrontsoldatentag abhalten, zu dem 150 000 Frontsoldaten und Jungstahlhelmer aus allen Teilen des Reiches zusammenströmten. Seldte und Düsterberg betonten die innige Verbundenheit des Stahlhelms mit Hindenburg und der Regierung Papen, die Stahlhelmlosung von 1927 "hinein in den Staat" stehe vor ihrer Verwirklichung. An dem achtstündigen Vorbeimarsch auf dem Tempelhofer Felde nahm die Reichsregierung teil, zum ersten Male seit 1918. Auf den Stahlhelm setzte Papen all seine Hoffnung. Hatte sich doch die Regierung vergewissert, daß der Stahlhelm unbedenklich bereit sein würde, sie im Ernstfalle gegen jeden Angriff zu schützen, auch gegen einen solchen der Nationalsozialisten! Das deutsche Volk aber lehnte die kapitalistisch-sozialistische Synthese zwischen Privatinitiative und Arbeitsdienst ab. Es spürte hier einen Gegensatz, der wohl intellektuell, aber nicht seelisch überbrückt werden konnte.

  Verschärfung der Gegensätze  
zwischen N.S.D.A.P.
und Reichsregierung

[41] Wir wenden uns jetzt dem beginnenden parlamentarischen Kampfe zwischen den Nationalsozialisten und der Regierung Papen zu. Der Kampf wurde auf doppelter Front geführt, im Reiche und in Preußen.

Nachdem Hitlers Forderung, eine autoritäre Reichsregierung mit nationalsozialistischer Verantwortung zu bilden, von Hindenburg abgelehnt worden war, nachdem also der Reichspräsident es abgelehnt hatte, Hitler als Kanzler mit den Diktaturbefugnissen des Artikels 48 zu betrauen, sah sich Hitler genötigt, den Kampf um die Macht auf das parlamentarische Feld zurückzuverlegen. Die nationalsozialistische Taktik ging also nun darauf aus, die verfassungsmäßigen Rechte des Parlamentes als der Vertretung des Volkes gegen die autoritäre Regierung, die keine Verbindung mit dem Volke hatte, wieder zur Geltung zu bringen. Die nächste Forderung war demnach, eine parlamentarische Mehrheit zustande zu bringen und mit dieser die Bildung einer Regierung im Reiche wie in Preußen zu erzwingen.

Als einziger Koalitionspartner kam für die Nationalsozialisten das Zentrum in Frage. Es war zahlenmäßig die stärkste nichtmarxistische Partei und hatte außerdem das größte Interesse, dem parlamentarischen Regierungssystem gegen die autoritäre Regierung Papen zum Siege zu verhelfen. Mit dem Zentrum zusammen war den Nationalsozialisten die Mehrheit im Parlament sicher. So begann denn Ende August die Annäherung zwischen Nationalsozialismus und Zentrum, deren Zweck die Bildung einer Koalition war. Die Besprechungen, welche zunächst nur die Bildung einer preußischen Regierung bezweckten, kamen aber nur sehr schwer in Gang, es erhoben sich grundsätzliche Meinungsverschiedenheiten, und oft genug riß die Verbindung zwischen beiden Parteien wieder ab. Es waren langwierige Verhandlungen, deren schließliche Ergebnislosigkeit bereits an dem Tage, da Papen sein Wirtschaftsprogramm verkündete, feststand. –

Der preußische Landtag, dessen Präsident der Nationalsozialist Kerrl war, versuchte seinerseits eine Machtprobe mit dem Reichskommissar Dr. Bracht herbeizuführen. Grundsätzlich verurteilten die Nationalsozialisten alle Maßnahmen [42] Brachts, bestritten der kommissarischen Regierung überhaupt jede Rechts- und Verfassungsmäßigkeit, da ja diese Regierung von Papens Reichsregierung ohne Volk eingesetzt worden war. Als im Falle Potempa das Beuthener Sondergericht das harte Bluturteil fällte, stießen Parlament und kommissarische Regierung hart zusammen. Der nationalsozialistische Vorsitzende des Untersuchungsausschusses im Preußischen Landtag, Dr. Freisler, forderte, daß dem Landtagsausschuß der Beuthener Schwurgerichtssaal und die Verurteilten zur Verfügung gestellt würden, damit der Fall aufs neue von dem parlamentarischen Ausschuß untersucht würde. Bracht lehnte die Forderung ab, da der Ausschuß gar nicht zu einer Nachprüfung befugt sei und ein solches Verfahren außerdem die verfassungsmäßige Unabhängigkeit der Gerichte verletzen würde. Bei dieser Gelegenheit erklärte Bracht, daß die preußische kommissarische Regierung nur dem Reichspräsidenten, aber nicht dem Landtage verantwortlich sei. Bei dieser Auffassung mußte natürlich auch ein Mißtrauensbeschluß des Parlamentes gegen Bracht von vornherein unwirksam sein. Eine Beschwerde Kerrls bei Papen über Brachts Versuch, das Parlament auszuschalten, blieb ohne jeden Erfolg.

Bracht ging vielmehr nun noch einen Schritt weiter: im Gegensatz zu den Gepflogenheiten der früheren Regierung und im Gegensatz zu den Rechten der Volksvertretung verbot er am 30. August sämtlichen Ministerialbeamten, die Räume des Landtages überhaupt zu betreten und ihrer pflichtmäßigen Berichterstattung der Volksvertretung gegenüber nachzukommen. Das Parlament beantwortete diesen Vorstoß, indem es am gleichen Tage mit Hilfe der Nationalsozialisten einen kommunistischen Antrag annahm, wonach kein Beamter oder Angestellter verpflichtet sein sollte, den Dienstanweisungen nachzukommen, die auf Grund der Verordnung über die Einsetzung des Reichskommissars für Preußen erlassen worden sind: Beamte und Angestellte sollten also berechtigt sein, dem Reichskommissar Bracht den Gehorsam zu verweigern. –

Es war außer jedem Zweifel, daß zwischen der nationalsozialistischen Bewegung einerseits und Papen und Bracht anderseits tiefste Gegensätze klafften, die für die am [43] 30. August bevorstehende Reichstagseröffnung schwere Konflikte erwarten ließen. War in Preußen das Tuch zerschnitten zwischen Nationalsozialisten und Kommissarischer Regierung, so war dies auch im Reich der Fall, denn durch die Vorgänge vom 20. Juli waren ja die Regierungen Preußens und des Reiches aufs innigste verknüpft. Es gehört nicht viel dazu, um zu erkennen, daß das Parlament der Regierung Papen ein überwältigendes Mißtrauensvotum aussprechen würde. Aber weder Hindenburg noch Papen hatten die Absicht, durch den Reichstag einen Regierungssturz vornehmen zu lassen. Der Reichspräsident insbesondere wünschte dringend, daß das Wiederaufbauprogramm der Regierung nicht durch häufige Regierungswechsel durchkreuzt werde; er war entschlossen, unter allen Umständen an Papen festzuhalten. Natürlich war es in jedem Falle das Beste, daß, wenn irgend möglich, eine Reichstagsauflösung vermieden wurde.

Noch einmal am Nachmittage des 29. August hatten deshalb Papen und Schleicher eine Unterredung mit Hitler; noch einmal machte der Kanzler den Versuch, den Führer der Nationalsozialisten zu gewinnen. Es war umsonst. Hitler beanspruchte nach wie vor die volle Verantwortung für die Regierung, den Posten des Reichskanzlers. Am Abend des Tages reiste der Kanzler mit den Ministern Schleicher und Gayl nach Neudeck, wo sich Hindenburg aufhielt, und erwirkte vom Reichspräsidenten die Ermächtigung, den Reichstag aufzulösen, falls er Miene mache, der Regierung das Vertrauen zu versagen. Doch bevor Papen von dieser Ermächtigung Gebrauch machen würde, wünschte Hindenburg, noch einmal vom Kanzler um eine letzte, entscheidende Erlaubnis angegangen zu werden.

  Reichstagseröffnung  

Mit großer Spannung erwartete das Volk die Eröffnung des neugewählten Reichstages, die am 30. August, 3 Uhr nachmittags, begann. Es war der erste Reichstag der Deutschen Republik, der über eine große nationale Macht verfügte, und gerade dieser Reichstag wurde von der kommunistischen Alterspräsidentin Klara Zetkin, die aus Moskau hergekommen war, mit einer wilden Hetzrede und Heilrufen auf Moskau eingeleitet. Mit Ausnahme der Kommunisten nahmen die Abgeordneten – die Deutschnationalen fehlten [44] während der Eröffnung – die Rede der Zetkin mit eisigem Schweigen auf. Danach wurde der Nationalsozialist Hermann Göring zum Parlamentspräsidenten gewählt.

Der kommunistische Vorstoß, der in einem Mißtrauensantrag gegen Papen bestand und von den Sozialdemokraten befürwortet wurde, wurde von den Nationalsozialisten abgewiesen. Noch einmal wollten sie durch ein letztes Mittel, durch persönliche Vorstellung beim Reichspräsidenten, das Äußerste verhindern, und deshalb ließ Göring sich die Ermächtigung geben, daß das Reichstagspräsidium sich unverzüglich zu Hindenburg nach Neudeck begeben dürfe.

Göring telegraphierte sofort nach Neudeck und bat, daß der Reichspräsident am 1. September das Reichstagspräsidium empfangen möge. Jedoch antwortete Hindenburg, man möge von einer Reise Abstand nehmen und ihn erst in der nächsten Woche nach seiner Rückkehr nach Berlin aufsuchen. Damit war die drohende Krisis zunächst aufgeschoben worden. Hindenburg legte diesem Aufschub um so mehr Bedeutung bei, da in der Zwischenzeit die große Notverordnung der Regierung über den Wirtschaftsaufbau veröffentlicht werden sollte. Er hoffte immer noch, daß sich durch dieses Werk Papens Stellung bei den Parteien bessern würde. Die Nationalsozialisten versuchten unterdessen, die Koalitionsverhandlungen mit dem Zentrum weiterzuführen, doch waren sie entschlossen, endgültige Entscheidungen erst nach der Aussprache des Präsidiums mit Hindenburg zu treffen. Aus dem gleichen Grunde verschob Göring die Einberufung des Reichstags auf einen Termin nach der Unterredung. –

Die ersten zehn Septembertage waren von einer politischen Schwüle erfüllt, wie sie das deutsche Volk seit langem nicht gekannt hat. Elementare Auffassungen standen sich gegenüber, aber gefesselt, keiner freien Regung fähig, solange nicht die Zusammenkunft zwischen Göring und Hindenburg stattgefunden hatte – zwischen jenen beiden Männern, deren jeder für sich den Rechtstitel höchster Macht in Händen hatte, aber solange machtlos war, als nicht der andere sich mit ihm verständigte. Die Deutschnationalen standen starr und störrisch allen Bemühungen entgegen, welche die Wiedereinschaltung des [45] Parlaments in den politischen Gang erstrebten. Ihr Ideal war der autoritäre Staat, und so klammerten sie sich an Papen. Das Zentrum sehnte mit heißem Bemühen die parlamentarische Regierungsweise zurück, aber es traute nicht den Nationalsozialisten; diese würden über die Koalition hinweg die Alleinherrschaft an sich reißen. Die Sozialdemokratie litt an schweren, inneren Fieberkrisen, die durch den 20. Juli hervorgerufen waren, und das Reichsbanner versuchte, sich von der schwachen und kranken Partei zu lösen. Die Kommunisten, auf denen der Druck der Notverordnung vom 10. August lag, übten in aller Stille unverdrossen Bürgerkrieg, instruierten ihre Kämpfer und entwarfen Pläne. Die bürgerlichen Splitterparteien der Mitte entfalteten eine große Rührigkeit. Sie hofften von einer Reichstagsauflösung großen Gewinn, denn alle Nationalsozialisten, die über die Koalitionsverhandlungen mit dem Zentrum unzufrieden seien, würden zu ihnen zurückkehren. Unter der Losung "Für Hindenburg und Papen" sollte eine neue Sammelpartei, eine sogenannte Präsidialpartei, entstehen, welche die Auferstehung eines starken deutschen Bürgertums darstellen sollte.

Unbeirrt jedoch von all diesen offenen und geheimen Umtrieben, fochten die Nationalsozialisten ihren schweren Kampf weiter. Die Zustände bildeten eine außerordentliche Belastung für die Hitlerbewegung, und es war ein Kampf auf Tod und Leben, der da durchgehalten werden mußte. Unerschütterlich, hart und rücksichtslos blieb Hitler bei seiner Meinung, er wich nicht einen Finger breit von der Linie seines schonungslosen Kampfes gegen Papens Regierung ohne Volk ab. Er wollte die deutsche Revolution, er wollte nicht einen Ministersessel! In diesem Kampfe ohne Gnade war es erlaubt, jedes legale Mittel zu benutzen, auch die Koalition mit dem Zentrum, war es aber auch nötig, nichts unversucht zu lassen, deshalb die Zusammenkunft Görings mit Hindenburg. Mächtiger und eindringlicher denn je zuvor standen die Massen des gesamten Volkes unter dem Eindruck des erbitterten Ringens, vor dessen elementarer Gewalt die ganze Aufbautätigkeit Papens verblaßte. Für die Mehrheit des deutschen Volkes war [46] wichtiger als die große Notverordnung des Kanzlers der Ausgang der Unterredung Görings mit dem Reichspräsidenten.

Adolf Hitler selbst sprach am 7. September im Zirkus Krone zu München vor vielen tausend begeisterter Zuhörer: Das Judentum und der feudale Herrenklub bildeten sich ein, Deutschland retten zu können. Aber der Nationalsozialismus werde sie nicht zur Macht kommen lassen, und wenn der Reichstag zehnmal aufgelöst würde. Hitler erklärte, er werde streng die Verfassung wahren, aber wenn man ihm vorwerfe, daß er den Parteistaat erhalten wolle, so antworte er, daß er den deutschen Volksstaat retten wolle. Wenn morgen der Reichstag aufgelöst werde, so freue er sich heute schon auf den Kampf, der dann beginnen werde. Seine Bewegung sei nicht um ein paar Ministersessel feil, und nachgeben werde er nicht. Die Partei nehme den Fehdehandschuh auf, den ihr Herr von Papen hingeworfen habe:

      "Wir wollen den Kampf durchfechten und wollen sehen, auf wen Deutschland hört. Ob auf den Befehl des Herrn von Papen: Das Ganze kehrt! oder auf unser Kommando: Junges Deutschland vorwärts."

Es war nach diesen Worten für jeden Deutschen klar, daß der gewaltige Kampf zwischen den Systemen und Weltanschauungen, zwischen dem völkischen Fortschritt der Nationalsozialisten und der autoritären Reaktion der Reichsregierung, der Deutschnationalen und des Stahlhelms bis zur letzten, grundsätzlichen Entscheidung durchgeführt werden würde.

  Reichstagspräsidium  
bei Hindenburg

Am 8. September abends kehrte Hindenburg nach Berlin zurück. Unmittelbar darauf fanden sich Papen und Neurath bei ihm ein, und die Besprechung ergab, daß der Reichspräsident innerhalb der Regierung keinerlei Änderungen vorzunehmen gedachte. Am folgenden Vormittag erschien das Reichstagspräsidium bei Hindenburg, Göring und die drei Vizepräsidenten, Esser vom Zentrum, Gräf von den Deutschnationalen und Rauch von der Bayerischen Volkspartei. Die Unterredung, an der auch der Staatssekretär Dr. Meißner teilnahm, währte wenig mehr als eine Viertelstunde. Göring eröffnete seine politische Aussprache mit dem Hinweis, daß der Reichstag eine arbeitsfähige Mehrheit aufweise. Sofort erhob [47] Gräf Einspruch: es sei nicht üblich, bei einem formalen Besuch dieser Art politische Angelegenheiten zu erörtern. Das Präsidium sei keine politische Körperschaft und keineswegs einer Meinung. Der Reichstagspräsident sei also nicht befugt, dem Staatsoberhaupt politische Vorschläge zu machen oder gar Ratschläge zu erteilen. Auch Hindenburg teilte diese Auffassung, kam aber Göring entgegen, er habe nichts dagegen, wenn die Herren ihre Meinungen vorbrächten. In der kurzen politischen Aussprache gipfelten Görings Wünsche in der Bitte, Hindenburg möge seine letzten Entschließungen nicht eher fassen, als bis er in seiner Eigenschaft als Reichspräsident die Führer der großen Parteien empfangen und sich mit deren Auffassungen vertraut gemacht habe, um den Versuch zu machen, zwischen dem Reichspräsidenten und dem Reichstag eine Zusammenarbeit herzustellen. Hindenburg behielt sich eine letzte Entscheidung in dieser Sache vor, ließ aber deutlich erkennen, daß das Reichskabinett sein volles Vertrauen besitze.

Die erwartete Entscheidung war also noch nicht gefallen. Der Zustand der Ungewißheit dauerte weiterhin an. Am Nachmittage ließ Hindenburg die Fraktionsführer der Nationalsozialisten, des Zentrums und der Bayerischen Volkspartei zum Mittag des 13. September zu einer informierenden Besprechung einladen, an der auch der Kanzler teilnehmen sollte. Es war unschwer zu erkennen, daß Hindenburg auch bei dieser Aussprache sein völliges Einvernehmen mit dem Kanzler und seiner Politik ausdrücklich unterstreichen würde. Die Nationalsozialisten ihrerseits knüpften durch Dr. Frick und Dr. Göbbels neue Verhandlungen mit dem Zentrum an. Das Ergebnis war, daß die für den 12. September einberufene Reichstagssitzung nicht mehr vertagt werden sollte, da die Nationalsozialisten annahmen, daß der Empfang der Parteiführer beim Reichspräsidenten zur sofortigen Auflösung des Reichstages ausgenutzt werden könne. Da ja Papen an der Aussprache teilnehmen sollte, vermuteten nämlich die Nationalsozialisten und das Zentrum, Hindenburg werde sie wieder auffordern, hinter das Programm des Reichskanzlers zu treten.

  Reichstagsauflösung  

[48] Doch die Entscheidung fiel eher als man dachte. Als am Nachmittag des 12. September unter gewaltigem Andrang der Volksmassen der Reichstag sich versammelte, beantragte der Kommunist Torgler, die Anträge seiner Fraktion auf Aufhebung der Notverordnungen und ihre Mißtrauensanträge gegen die Regierung Papen sofort auf die Tagesordnung zu setzen. Göring gab dem Antrag statt, ohne daß Widerspruch sich erhob. Darauf beantragte Dr. Frick eine halbstündige Unterbrechung der Sitzung, um der vollzählig anwesenden Regierung eine letzte Möglichkeit der Einigung zu gewähren. Doch nichts geschah.

Reichskanzler von Papen meldet sich zum Wort.
[Bd. 7 S. 16a] Reichstag am 12. September 1932:
Reichskanzler von Papen meldet sich zum Wort.
      [Photo Scherl?]
Nachdem Göring die Sitzung wieder eröffnet hatte, erschien Papen mit der roten Aktenmappe, welche die Auflösungsverfügung enthielt. Als Göring bereits die Abstimmung über die kommunistischen Anträge eingeleitet hatte, meldete sich Papen zweimal zum Worte. Da jedoch Göring ihm erst nach der Abstimmung das Wort erteilen wollte, begab sich Papen zum Tische des Reichstagspräsidenten und unterbreitete ihm die Auflösungsverfügung. Nachdem die Abstimmung mit 512 Stimmen gegen und 42 Stimmen (35 Deutschnationale und 7 Volksparteiler) für die Regierung Papen durchgeführt war, gab Göring die Auflösung des Parlaments bekannt:

      "Auf Grund des Artikels 25 löse ich den Reichstag auf, weil die Gefahr besteht, daß der Reichstag die Aufhebung meiner Verordnung vom 4. September verlangt."

Das Schreiben war vom Reichskanzler und Innenminister unterzeichnet. Allerdings vertrat Göring die Ansicht, daß die Auflösung durch den Mißtrauensbeschluß des Reichstags unwirksam geworden sei, da eine gestürzte Regierung das Parlament nicht mehr auflösen könne. Die Regierung aber war von der Verfassungsmäßigkeit ihres Verhaltens überzeugt, da Papen sich vor erfolgter Abstimmung zum Wort gemeldet habe, aber nicht gehört worden sei.

Hierauf erhob sich ein Streit um grundsätzliche Machtfragen. Die Deutschnationalen, die über die Auflösung hämisch frohlockten, bezeichneten Görings Vorgehen als "offene Revolte gegen die Staatsführung", es bedeute die "Ausrufung der Parteiherrschaft gegen den Staat". Während Göring und die Nationalsozialisten die Auflösung nicht an- [49] erkannten, hatten die Deutschnationalen unverzüglich und mit großer Freude den Sitzungssaal verlassen. Zentrum, Sozialdemokraten und Kommunisten schlossen sich zunächst dem Standpunkte Görings an, erkannten aber bald darauf die Auflösung an.

In einem Schreiben an Göring legte Papen die Auffassung der Regierung dar. Nach Artikel 33 Absatz 3 müßten auf Verlangen die Regierungsvertreter während der Beratung auch außerhalb der Tagesordnung gehört werden und nach Artikel 97 der Geschäftsordnung könne ein Reichsminister auch außerhalb der Tagesordnung das Wort ergreifen. Görings Weigerung bedeutete also einen Verfassungsbruch. Im übrigen sei die Auflösungsorder des Reichspräsidenten in dem Augenblick rechtsgültig, wo sie vom Reichskanzler gegengezeichnet sei. Also bedeute die Abstimmung nach erfolgter Auflösung einen weiteren Verfassungsbruch. Der Kanzler erklärt weiter, die Reichsregierung werde einen Versuch des aufgelösten Reichstages, zusammenzutreten, unmöglich machen. Einen Termin für Neuwahlen habe die Regierung dem Reichspräsidenten noch nicht vorgeschlagen, da sie erst die weitere Entwicklung der nächsten Tage abwarten wolle. Ein kurzer Briefwechsel zwischen Göring und Hindenburg brachte keine Klärung der Gegensätze. Erst nachdem Göring auf seinen Standpunkt verzichtete – Zentrum, Deutschnationale und Sozialdemokraten setzten ihm zu, er möge nachgeben – und die Auflösung des Parlaments anerkannt hatte, verkündete die Reichsregierung am 17. September den Termin der Neuwahlen, der auf den 6. November festgesetzt wurde.



Geschichte unserer Zeit
Dr. Karl Siegmar Baron von Galéra