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Mädel im Kampf. Erlebnisse und Erzählungen.
[31]
Schulmädel kämpfen
Von Inge Klamroth

"Du bist also doch bei den Nazis!"

Triumphierend hielt meine Klassengefährtin einen Zettel hoch, der aus meinem Heft gefallen war. Ein Werbeblatt war es für den NS.-Schülerbund.

"Du kannst es behalten und es dir durchlesen, wenn du magst", sagte ich ruhig, "hast es sowieso bekommen sollen."

"Politik ist Unsinn! Das interessiert mich nicht, - und außerdem ist es verboten!"

So war die Stellung aller Mädel. Unmöglich schien es, sie für uns zu werben. Sie steckten ganz tief drin in Kleinmädchensorgen, Schulbetrieb und Bürgerlichkeit. Bis dahin hatten wir drei, die eine ganz kleine "Schulgruppe" bildeten, uns zurückgehalten, - jetzt wollten wir aber endlich diese verschlafene Gesellschaft aufrütteln. "Nur nichts tun, was verboten ist!" Lieber meldete man die "Sünder" beim Direx an, das gab ein Lob extra.

Der "Verfassungstag" nahte.

Da planten wir unsern Angriff.

Es war gegen alle Schuldisziplin, - aber er sollte [32] frische Luft unter die Mädel bringen. Den vierten Vers, der dem Deutschlandliede damals angehängt war, kannten wir alle und sangen ihn bei jeder Gelegenheit - nur nicht bei Staatsfeiern. Da war er verboten. Nun gingen wir in alle Klassen, verteilten unsere Vertrauensleute durch die ganze Aula. Und als wir zum Deutschlandliede einsetzten, sangen wir alle Verse, und ganz stark klang der vierte auf: "Deutschland, Deutschland über alles, und im Unglück nun erst recht." Sie sangen alle mit, die ganze Schule. Wir hatten sie einfach mitgerissen.

Der Direx springt vor.

Brüllt uns sein "Halt Halt, aufhören" zu.

Ein paar werden wirklich still. Die anderen singen weiter bis zum Schluß.

Was tut es uns, daß wir in der Klasse ein gewaltiges Donnerwetter bekommen, daß man uns alles mögliche androht. Die Gemüter sind aufgeweckt, überall heißt es "Warum?"

Jetzt können wir werben und reden.

Eine und die andere begreift, das ist nicht Politik bei uns wie im Reichstag oder sonstwo, das ist Einsetzen für Deutschland, das ist Kampf für Deutschland.

Einige Wochen später wurde das Verbot des NSS. noch einmal verkündet. Gleichzeitig strengste Untersuchungen etwa schon bestehender Gruppen angekündigt. [33] Das erschwert das Arbeiten maßlos. Einige verlassen uns wieder, nur eine ganz kleine treue Schar bleibt. Unser Heim liegt weit aus der Stadt. Ein unergründlich tiefer Landweg führt dahin, bis zu den Knöcheln waten wir im Schlamm. Als man uns doch entdeckt, müssen wir ausziehen.

Nun haben wir jeden Mittwoch "Kränzchen".

Das kleine Führerbild und das winzige selbstgenähte Hakenkreuzfähnchen, das damals in unserem Heim hing, haben mich seither überallhin begleitet. Sie waren unser Heiligtum, das geliebte Zeichen, das uns mit der großen Bewegung äußerlich verband. Das Bild hatte zwei Seiten. Auf der anderen war irgendeine hübsche Landschaft. Wir mußten überall vorsichtig sein. Und eines Tages stand auch wirklich eine Lehrerin dort vor mir. Wir wußten, daß sie unsere erbittertste Gegnerin war, Staatsparteirednerin und Abgeordnete. Sie wollte "mich mal besuchen". Und beiläufig heißt es dann auf einmal: "Ihre Leistungen in Mathematik sind schlechter geworden."

Ich nicke, das stimmt, eine lange Versäumnis war noch nicht wieder eingeholt.

"Sie haben Nazis in Ihrer Klasse!" ist ihr nächster Satz.

Ich sehe sie abwartend an, innerlich zitternd. Was wollte sie?

[34] "Nennen Sie mir die Namen, ich melde Sie dann nicht - ich werde für gute Zensuren sorgen!"

War das möglich?

Meine fassungslose Empörung läßt mich keine Antwort finden. Dann, schließlich brachte ich nur ein "Niemals!" heraus.

Nun setzte ein erbitterter Kampf ein.

Wir mußten täglich auf Revisionen der Schultaschen rechnen. Jedes Zusammenreden und Zusammenstehen wird beargwöhnt. In den Klassen ist ein widerlicher Geist, überall hocken Spitzel und Aufpasser. Einen Vertrauten haben wir im Kollegium. Der warnt uns, und ohne diesen Lehrer wären wir wohl damals alle von der Schule geflogen. Nun kann man uns nie entdecken. Im Chemieschrank wohlverwahrt liegen bei Revisionen etwa doch mitgebrachte "belastende" Schriften. Flugblätter sind durch die ganze Schule verstreut, Zettel kleben überall. Nie kriegt man uns.

Dann bekomme ich die Bezirksführung.

Nun muß noch vorsichtiger gearbeitet werden. Wir werben in den Dörfern. Überall entstehen kleine Einheiten. In der Zeitung stehen Berichte darüber. Wir bringen Gedichte und Werbeaufsätze hinein. Sie sind alle mit falschem Namen gezeichnet. Nur wenige im Bezirke wissen, wer wirklich dahintersteckt. Und auch [35] die Lehrerschaft zerbricht sich vergeblich den Kopf über diese BDM.-Führerin, von der sie nur den Namen, nichts weiter kennt.

Niemand kommt darauf, daß diese "artige" Obersekundanerin dahintersteckt.

Unsere Schulgruppe wächst langsam. Ein mächtiger Ehrgeiz hat uns gepackt. Wir wollen keine Möglichkeit zu Tadeln oder zu berechtigten Vorwürfen geben. Wir müssen lernen, wir wollen lernen. - Nicht für die Lehrer, für uns, für die Bewegung.

Ende 1932 hat die Schulleitung genügend Material. Sie läßt sich über die tatsächliche Mitgliedschaft ihrer Schüler in der HJ. nicht mehr täuschen. Verhöre fangen an. Die Lage wird ernst. Wir sitzen eines Nachmittags zusammen. Was soll werden, wenn wir das Konsilium kriegen? Der Gedanke an die Eltern ist schlimm. Plötzlich kommt einer hereingestürzt, schwenkt ein Zeitungsblatt:

"Die Mitgliedschaft in der HJ. ist gestattet!"

Am nächsten Tag melden in allen Klassen die Mädel, daß sie Mitglied des BDM. sind. Das heißt, sie sollten es melden, aber hier schieden sich zum letztenmal die Geister. "Wenn das nun schlechte Zensuren gibt" oder Benachteiligungen seitens der uns auch weiterhin gegnerischen Lehrer. In meiner Klasse sind wir drei. Lotte will sich nicht melden.

[36] "Noch nicht, nein, noch nicht, erst sollen die Zeugnisse vorbei sein."

Alles Reden ist umsonst. Solange sie diese direkte Gefahr für sich nicht sah, hatten wir nie an ihr gezweifelt. Jetzt versagte sie. Wir anderen meldeten uns. Unsagbar stolz, daß wir es sagen konnten, bereit, alle Anfeindungen zu tragen, die nun auch prompt eintraten.

Zwei Monate später, am 30. Januar 1933, waren wir die "Lieblingsschüler".




[37]
Wir schließen den Kreis fester
Von Inge Klamroth

Bitterkalt war es, als wir uns zu diesem ersten richtigen "Schulungslager" trafen. Zwölf Führerinnen waren gekommen. Wir kannten uns schon gut von Tagungen und Treffen und hatten immer stärker gefühlt, daß wir einmal mehr Zeit brauchten, um unsre Arbeit zu besprechen und Fragen zu klären. Entstanden waren die BDM.-Gruppen bei uns fast überall als "Anhängsel der Jungens", wie wir es nannten. Ihre ganze "Arbeit" war Strümpfestricken und Wahlhilfe gewesen. Je größer aber diese Gruppen wurden, je mehr wuchsen auch die Aufgaben, und dafür mußten wir jetzt gründlich etwas lernen.

Das Programm dieses Lagers bestand in der Hauptsache aus Vorträgen über die wichtigen politischen Sätze jener Zeit.

Daneben brachten wir uns Lieder und Volkstänze bei.

Ein feiner Geist steckte in diesen Mädeln. Es war das Lager, in dem mit dem größten Ernst gearbeitet wurde, - nie wieder erlebte ich das so stark. Wir waren verboten gewesen, wurden überall angefeindet. Sich zu [38] uns bekennen hieß sich in Gegensatz zu seiner gesamten Umgebung in Schule, Beruf, Familie setzen.

Die Mädel taten es doch. Wenn wir abends zusammensaßen und erzählten, wenn wir sangen oder ich vorlas, - in allem steckte ein großer Ernst und eine große Bereitschaft. Maßlos dunkel war jene Zeit, die Novemberwahlen hatten der Partei keinen Erfolg gebracht, jeder feindete uns an, alle prophezeiten uns Untergang und Erliegen. Und dumpfe Sorge lastete auf uns allen. Unwillkürlich rückten wir fester zusammen, gaben einander Halt, bewiesen immer wieder Mut und Hoffnung.

Am letzten Abend standen wir ums Feuer.

Eisiger Wintersturm jagte über den See zu unserer Höhe hinauf.

Die Kälte stach und schmerzte, finstere, sternlose Winternacht war um uns.

Da schlossen wir den Kreis.

Ein Geloben lag in dieser Stunde und ein tiefer Ernst: "Wenn alle untreu werden - ".

Wir sahen sie vor uns, die Schlafenden und Laschen, die Feigen und die Verräter, die unser Reich verkauften, die Not und Elend verschuldet hatten, denen Ehre, Treue, Opfer lächerliche Dinge waren.

" - so bleiben wir doch treu!"

Der Sturm riß uns die Worte vom Munde, fuhr uns an, wollte uns umreißen.

[39] Wir stemmten uns dagegen, standen fest. Die Funken sprühten in die dunkle Nacht, ließen leuchtende Bahnen hinter sich.

Wir schlossen den Kreis fester -

" - wollen predigen und sprechen vom heil'gen Deutschen Reich!"

Ein neues Jahr brach an. Dunkel und kalt. Und brachte uns doch den Sieg.


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