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Walter Milbradt kommt

Später saß ich an einem kleinen Wärterhäuschen an der Bahn, ein Soldat hatte mir einen halben Becher kalten Kaffee gegeben und ich trank ihn in langsamen, ganz langsamen Schlucken. Ich saß auf der Erde, im Schatten, mit dem Rücken gegen die Mauer des Gebäudes gelehnt. Die Kameraden lagerten alle an der Bzura, die nahe an unserer Wiese vorbeifloß, sie wuschen sich, badeten und ruhten. Ich hörte Udo Roth eine Rede halten. Ich konnte ihn sehen, er stand auf der Böschung des Eisenbahndammes, etwas erhöht über den anderen und allen sichtbar. Er sprach ruhig und stark von Deutschland, vom Führer und von der neuen Ordnung. Kurz vorher war er es gewesen, der einem deutschen Offizier die Meldung gemacht hatte, daß etwa 600 bis 800 Kameraden von den polnischen Posten weiter nach Osten abgedrängt worden seien. "Dann muß ich ihnen sofort ein paar Panzerwagen nachschicken!" hatte der deutsche Offizier ausgerufen - und fort war er. So war es Udo Roth gewesen, der dafür gesorgt hatte, daß die Bromberger Gruppe ebenfalls an diesem Tage noch befreit wurde. - Jetzt stand er dort am Eisenbahndamm und sprach vom Führer.

Aber dann wurde mein Blick in eine andere Richtung gezwungen. Da bewegte sich etwas vor mir, es kam über eine Bodenwelle heran, ich wurde nicht recht klug daraus, was es sein könne. Nun war der Mann ganz nahe, er hatte die kleine Erhöhung erklommen. Er kam näher.

[102] Gott ist mein Zeuge, ich lüge nicht: Da kam ein Mann auf den Knien heran. Er schleppte ein Knie vor das andere und so näherte er sich. Auf den Schultern trug er einen Kameraden. Es waren nur noch zwanzig Meter bis zu mir und dem Bahnwärterhäuschen. Ich starrte hinüber zu dem Herankommenden und ich vermochte nicht, mich zu erheben, um ihm Hilfe zu leisten.

Da kam mein Kamerad Walter Milbradt aus Altreden, der nicht mehr die Kraft hatte, auf seinen Füßen zu gehen, er kam auf den Knien heran und trug einen Toten herbei, den in den Minuten der Befreiung noch das Geschoß aus einem polnischen Maschinengewehr getroffen hatte. Er schleppte sich bis zu mir heran und ließ dann den Toten zur Erde gleiten. Neben mir stand noch immer der deutsche Soldat im Stahlhelm, wir starrten auf das Bild vor uns. Walter Milbradt sah uns mit einem Blick an, in dem der Morgen der Freiheit war, und sank neben dem Körper des Toten ins Gras, seine Kräfte waren am Ende. Er wurde ohnmächtig.

Über einen Kilometer weit hat er, auf den Knieen sich fortbewegend, den toten Kameraden getragen. Er ließ die anderen zu den deutschen Soldaten hin vorstürzen, ließ sie an sich vorbeilaufen und schleppte seine Last, ließ sie nicht im Stich, obwohl doch auch ihn das Herz dahin zog, wo die anderen jubelten und die Lieder Deutschlands sangen. Jeder Arzt, jeder Sportsmann, jeder Besserwisser wird euch sagen, daß diese Tat unmöglich sei, da sie über die menschliche Kraft gehe. Und doch ist sie geschehen, am 9. September 1939 vor Lowitsch in Polen. Walter Milbradt war ohnmächtig, die Kraft hatte ihn verlassen, er lag neben einem toten Kameraden. Aber er würde wieder aufwachen und er war nun frei. —


 
Schluß

So, meine Kameraden, sind wir in das Reich marschiert, auf unserem langen Wege durch Polen. Und wie Walter Milbradt bringen wir alle auf dem Rücken unsere Toten mit. Sollte einmal einer auf den Gedanken kommen, den Deutschen [103] in Polen ein Denkmal zu setzen, so möge es einen Mann zeigen, der sich auf den Knien einen Berg hinaufschleppt und, einen Toten auf den Schultern, die Freiheit sieht.

Unsere Heimat hat geblutet wie kein anderes deutsches Grenzland. Nun sind Weichsel und Warthe, Netze und Drewenz und die Seen und die Städte und Dörfer, die Wälder und Hügel und Felder der Heimat deutsch. Das Blut der Erschlagenen, die Tränen der Verwitweten und Verwaisten, der Glaube der Lebenden haben unser Land zu einem Herzstück des Reiches gemacht. Mögen andere schon beginnen, das gering zu achten, was wir erlebt haben! Dennoch wird die Opfersaat dieser Wochen aufgehen. Es genügt, wenn wir und wenn unsere Kinder wissen, was wir für Deutschland auf uns nahmen.


[104]
Nachwort

Diesem Buch liegen Berichte zugrunde, die mir teils schriftlich zur Verfügung gestellt, teils mündlich gemacht wurden. Ich habe dafür zu danken den Herren Paul Jendrike in Bromberg, von Rosenstiel in Lipie, Walter Milbradt in Altreden, Peter Schrey in Raschleben, Viktor Ortwig in Kruschwitz, Walter Lemke in Luisenfelde, Julius Mutschler in Ostwehr, Wilhelm Meister, Bruno Schneider und meinem Bruder Reinhold Wittek in Hohensalza. Ferner habe ich Berichte benutzt, die in der Deutschen Rundschau, Bromberg, und im Posener Tageblatt veröffentlicht wurden. Herrn Hans Ulrich Hempel habe ich es zu verdanken, daß ich gemeinsam mit meinem Bruder und Walter Lemke die Strecke des Marsches im Auto abfahren und die einzelnen Stationen ausführlich in Augenschein nehmen konnte.

E. W.      

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Der Marsch nach Lowitsch
Erhard Wittek