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Deutschland und der Korridor

 
Volkstum und völkische Leistung
im Weichselland (Teil 1)

Erich Keyser

Seitdem das Erbrecht der Dynastien an den von ihnen beherrschten Gebieten durch den Anspruch der Völker auf den von ihnen ererbten und besiedelten Grund und Boden ersetzt worden ist, hat die Ausbreitung der Völker und Volksgruppen und ihre Herkunft politische Geltung erlangt. Die Fragen, wie und wann die Völker entstanden sind, wo ihr Ursprung liegt und welche Länder sie später durch ihre Arbeit in Besitz genommen haben - Fragen, denen ursprünglich nur wissenschaftliche Bedeutung zukam - verlangen heute eine politisch entscheidende Antwort. Dies trifft mit besonderem Nachdruck für jene Gebiete zu, deren Bevölkerung im
Die Danziger Bucht
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Das Gebiet der Danziger Bucht.
Laufe der Jahrhunderte in völkischer Hinsicht gewechselt hat und in denen verschiedene Volksgruppen ansässig sind.

Zu diesen Gebieten gehört das Weichselland, der Raum längs des Stromes von Thorn bis zu seiner Mündung in die Ostsee bei Danzig. Denn in ihm hat nicht nur in den letzten beiden Jahrzehnten eine polnische Mehrheit die deutsche abgelöst, sondern auch schon in früheren Zeiten haben Bevölkerungsgruppen deutscher und slawischer Art in
Am Weichselufer in Thorn
Am Weichselufer in Thorn.
ihm neben- und nacheinander gesiedelt. Gewiß kann allein die Tatsache, daß eine Volksgruppe in einem Lande einmal gewohnt hat, für seine heutige und künftige staatliche Zugehörigkeit nicht maßgebend sein. Es gilt aber auch das Wort des amerikanischen Präsidenten Wilson, das die Voraussetzung für die Niederlegung der deutschen Waffen im Herbst 1918 gebildet hat, die Völker dürften nicht wie Steine auf einem Schachbrett hin- und hergeschoben werden; es müßten die landschaftlichen Zusammenhänge beachtet und das Selbstbestimmungsrecht der Völker berücksichtigt werden.

In der Tat können politische Ansprüche nicht nur auf die jeweilige Anwesenheit einer Volksgruppe in einem Lande gestützt werden; diese Volksgruppe muß selbst über ihr Schicksal [22] entscheiden können, und sie muß in dem Lande, dessen politische Herrschaft sie für sich beansprucht, etwas geleistet haben. Denn da nicht selten im Dasein der einzelnen menschlichen Gemeinschaften und auch der Völker Minderheiten die Gestaltung des Lebens und die kulturelle Entwicklung bestimmen, könnte es sonst geschehen, daß die kulturärmere Masse die Entscheidung über die an der Zahl kleinere, an Leistungsfähigkeit jedoch überragende Bevölkerungsgruppe erhält und damit den für sie selbst auf die Dauer schädlichen Niedergang der Kultur herbeiführen würde. Volkstum und völkische Leistung müssen miteinander in Einklang sein, wenn politische Rechte von ihnen abgeleitet werden sollen. Die eingangs aufgeworfene Frage nach der Bevölkerungsgeschichte des Weichsellandes ist deshalb dahin zu erweitern: Welche Volksgruppen haben seit alters das Weichselland besiedelt und welche Leistungen haben sie für seine kulturelle Entwicklung aufzuweisen? Eine solche Untersuchung ist auch gerade deshalb notwendig, weil bis in die neueste Zeit das Volkstum einiger der Gruppen, die das Weichselland bewohnen, angezweifelt oder falsch dargestellt worden ist; werden doch von polnischer Seite nicht nur die Kaschuben als Polen bezeichnet sondern auch die Mennoniten als "Holländer" der deutschen Bevölkerung als fremdartig gegenübergestellt.

Das Weichselland hat seit alters eine ununterbrochene nordisch-germanische Bevölkerung aufzuweisen gehabt. Sie hat stets die kulturelle Entwicklung des Landes bestimmt. Nur ihre Zahl und ihre Ausschließlichkeit sind öfters bedeutsamen Schwankungen unterworfen gewesen. Schon zur jüngeren Steinzeit, als zum ersten Male eine bäuerliche Kultur an der Weichsel sich ausbreitete, waren es Menschen nordischer Herkunft, die diesen Wandel der Kultur von der Stufe der Fischer und Jäger zum seßhaften Bauerntum herbeigeführt und damit das Antlitz des Landes umgestaltet haben. Die südliche Gruppe dieser Bauern stammte aus dem Kulturkreise der Bandkeramik, der zur jüngeren Steinzeit den größten Teil von Mittel-, West- und Süddeutschland, Böhmen, die Alpenländer und die Gebiete längs der Donau bis zum Balkan bedeckte. Er hat nur wenige Ausläufer nach dem Preußenlande in die Gegend von Kulmsee und Graudenz entsandt, während das benachbarte Kujawien rings um Hohensalza stärker besiedelt war. Mit Vorliebe wurden die fruchtbaren Löß- und Schwarzerdböden aufgesucht. Die westliche Gruppe der Bauern kam von der unteren Oder her. Sie gehörten dem Volke der Trichterbecherkeramik an, das damals das südwestliche Schweden, Jütland und Norddeutschland besiedelte. Es ist bekannt durch seine Großsteingräber, von denen sich jedoch im Preußenlande keine Beispiele gefunden haben. In breiter Front, von der Küste der Ostsee bis zur Warthe, rückten diese nordischen Bauern, die mit ihren langen Schädeln nachweislich der nordischen Rasse zuzuzählen sind, über Pommerellen hinweg an die Weichsel vor. Auch an der Nogat und im Kulmerlande reihten sich ihre Wohnplätze aneinander. Einige Ausläufer drangen an die nördliche Küste des Frischen Haffs zwischen Fischhausen und Königsberg und durch Masuren bis Lötzen und Darkehmen vor. Sie trafen dort auf die Träger der Kammkeramik, die von ihnen, wie die Übernahme von Gefäßformen zeigt, wirtschaftlich und handwerklich beeinflußt wurden. Diese Nordmänner der Trichterbecherkultur waren die ersten, welche das gesamte Preußenland kulturell geeinigt haben. Sie haben die älteren Bevölkerungsgruppen so stark zurückgedrängt, umgestaltet oder aufgesogen, daß zum ersten Male in der Geschichte das ganze Gebiet ein einheitliches Gepräge empfing. Die kulturelle Mittelachse ihres Siedlungsraumes war der untere Weichsellauf, von dem, wie später zur Zeit der Goten, auch das obere Weichselland bis zu den Karpathen bevölkert worden ist.

Bald nachdem die Träger der Trichterbecherkultur die erste Vereinheitlichung und Vernordung des Preußenlandes bewirkt hatten, folgten ihnen zwei weitere Kultur- und Völker- [23] wellen aus dem Westen, das Volk der Kugelflaschen und das Volk der Schnurkeramik. Auch sie beide waren Bauernvölker, wenn auch Jagd und Fischfang nicht verschmäht wurden, wo sich, wie an den beiden Haffen, dazu Gelegenheit bot. Das Volk der Kugelflaschen bevorzugte die schweren, fruchtbaren Schwarzerdböden in Kujawien und im Kulmerlande, genau wie es in Mitteldeutschland auf der Magdeburger Börde seßhaft war. Denn diese Kugelflaschenleute kamen unstreitig aus dem mittleren Deutschland, aus Anhalt, dem nördlichen Teil der Provinz Sachsen und aus der Kurmark. Sie begruben ihre Toten in mächtigen Steinkisten. Während Ostpommern von ihnen stark besiedelt war, fehlen auffallenderweise Funde dieser Kultur aus dem Gebiet links der Weichsel. Nur auf den Abhängen des Stromes treten einige Funde zutage. Sie schließen sich an die reichen Gräberfelder südlich der oberen Netze an. Auch im Kulmerlande und im westlichen Masuren um Ortelsburg ist diese Kultur stark vertreten, während sie im nördlichen und östlichen Ostpreußen nicht belegt ist. Nur das westliche Grenzgebiet und der Süden des Preußenlandes waren somit von den Kugelflaschenleuten bewohnt. Sie verfügten über ausgedehnte Handelsbeziehungen, da sie von der Kurischen Nehrung Bernstein und aus dem östlichen Galizien den schön gebänderten Feuerstein einführten. Es waren wohlhabende und schmuckliebende Menschen, die der jungsteinzeitlichen Kultur des Preußenlandes einen lebhaften und farbigen Einschlag verliehen.

Der Norden des Preußenlandes war dagegen mehr kriegerisch gestimmt. Die Streitaxt gilt nicht mit Unrecht als das Wahrzeichen seiner Kultur. Auch sie kam von der unteren Saale und Elbe her und breitete sich von der Oder zunächst an der Küste entlang aus. In Succase bei Elbing wurde das erste große jungsteinzeitliche Dorf ausgegraben, das den Trägern dieser Kultur zugeschrieben wird. Sie wird auch nach der ihr eigentümlichen Schnurkeramik benannt.

An der Danziger Bucht und am Rande des Frischen Haffes bildete sich eine eigenartige Mischkultur unter schnurkeramischer Führung aus, indem die neuen Einwanderer die Reste der Trichterbecherkultur und der Kammkeramik übernahmen; sie wird als "Haffküstenkultur" bezeichnet. Während die Kugelflaschenleute von der Küste des Preußenlandes im wesentlichen sich fern hielten, überzogen die Schnurkeramiker auch das Binnenland. Sie saßen in der Tucheler Heide, an der Warthe, an der Netze, in Kujawien und im Kulmerlande, bei Stuhm und Preußisch-Holland, bei Rosenberg und Osterode und über das ganze Gebiet der Masurischen Seen verstreut.

Diese Tatsache ist umso wichtiger, als die Schnurkeramiker von der neueren Forschung einstimmig als die "Indogermanen" betrachtet werden. Da sie über das Preußenland hinweg bis zum Baltenland und in das Innere Rußlands zu verfolgen sind, haben sie auf diesem Zuge die ältere Bevölkerung der Kammkeramik "indogermanisiert". Es waren in jedem Falle Menschen nordischer Rasse aus "Deutschland", welche das Preußenland ihrer Heimat verbunden und den Osten mit dem Westen verknüpft haben.

Gleichviel welcher Kultur und Rasse die genannten Volksgruppen zugehört haben, bevorzugten sie im wesentlichen die gleichen Gebiete zur Ansiedlung. Zu längerer Niederlassung lockten nur jene Gegenden an, in denen sich im Urwalde größere Lichtungen befanden. Denn der Wald war noch der Feind des Menschen. Seine kunstvoll geschliffenen Steinbeile und Äxte reichten nicht aus, weitere Waldstrecken zu roden und auf die Dauer an erneuter Bewaldung zu hindern. Doch ist auch zu bedenken, daß die waldfreien Flächen der damaligen Bevölkerung durchaus genügt haben dürften. Sie lebte, wenn auch nicht mehr ausschließlich, so doch zum großen Teile noch von Jagd und Fischfang. Deshalb wurden die Küstenräume wie von alters [24] her gerne aufgesucht. Ein Kranz von Siedlungen zog sich am Rande der Danziger Bucht, der Weichselniederung und des Frischen Haffs entlang. Die Kämpen von Rutzau und Oxhöft am Putziger Wiek, der Höhenrand südlich von Danzig bei Bangschin, Rottmansdorf und Schönwarling, einige Erhebungen in dem damals noch sumpfigen und wasserbedeckten Danziger und Marienburger Werder boten ebenso erwünschte Wohnstätten wie der Saum der Elbinger Höhe, wo die Gegend von Tolkemit reich besiedelt war. Auch die Frische Nehrung und das südliche Samland weisen mehrfach Funde auf. Besonders häufen sie sich auf der Haffseite der Kurischen Nehrung.

Von der Weichselmündung aus erstreckte sich die Besiedlung vornehmlich auf dem rechten Stromufer nach Süden, wo das Kulmerland wiederum stark bevölkert war. Die nur gelegentlich mit Bäumen und Sträuchern bestandenen Grasfluren luden dort, wie in Kujawien, zur Niederlassung ein. Um den wertvollen Ackerboden möglichst auszuwerten, wurden die Wohnstätten auf benachbarten Sandinseln angelegt. Die Kreise Graudenz, Kulm, Thorn, Briesen und Strasburg zeigen die dichtesten Menschenansammlungen, die zur jüngeren Steinzeit in Ostdeutschland bekannt sind.

Am Ende der jüngeren Steinzeit war das Preußenland ziemlich einheitlich von nordischen Stämmen bevölkert gewesen; erst die unermeßliche Ausbreitung der Indogermanen, welche ihre wichtigste und schließlich herrschende Gruppe gebildet hatten, lockerte ihren Zusammenhang und gestattete im Laufe der Jahrtausende die Herausbildung neuer Völker. Bezeichnend genug wurde das Weichselland wiederum zum Grenzraum. Denn im Osten der Weichsel traten allmählich immer deutlicher die baltischen Völker hervor. Im Süden des Warthe-Netzetales dehnten sich die Illyrier aus, und an der Küste zwischen den Mündungen der Oder und der Weichsel entstand das Volk der Ostgermanen. Jedem dieser drei Völker war ein eigener Kulturkreis zu eigen, der sich aus den Bodenfunden sichtbar heraushebt, wenn auch eine mannigfaltige Übernahme und Ausgleichung der Kulturgüter geschah.

Die Illyrier haben den geringsten Einfluß auf die Entwicklung des Weichsellandes ausgeübt. Ihre Kultur wird durch ausgedehnte Felder flacher Gräber veranschaulicht, in denen die Asche der Toten in zahlreichen Tongefäßen beigesetzt war. Da Funde dieser Art zunächst in der Lausitz in größerem Umfange gemacht sind, wurde und wird die Kultur der Illyrier häufig als Lausitzer Kultur bezeichnet. Doch ist sie nicht nur in der Lausitz sondern auch in Böhmen, Schlesien und Westpolen verbreitet. Als ihre Träger sind immer mehr die Illyrier erkannt worden, die erst später unter dem Ansturm der Germanen ihre Wohnsitze südwärts bis zum Balkan verlegt haben. Ihre Anwesenheit im Oder- und Wartheland wird durch mehrere Ortsnamen illyrischen Ursprungs bezeugt. Der von einigen polnischen Schriftstellern behauptete Zusammenhang dieser Illyrer mit den erst ein Jahrtausend später auftretenden Slawen ist nicht zu erweisen. Gleich den Trägern der älteren Bandkeramik sind sie später von dem Wartheland aus, zwischen Bromberg und Thorn über die Weichsel vorgedrungen und haben das Kulmerland besiedelt. Sie haben von dort aus auch die Kultur der benachbarten westmasurischen Stämme baltischer Herkunft beeinflußt. Eine ähnliche Entwicklung erfuhr von ihnen jene Bevölkerungsgruppe, die in der älteren Bronzezeit im Hügellande Pommerellens ansässig war. Die Kraft der illyrischen Kultur erlosch um 400 vor der Zeitenwende. Nur an der Weichsel bei Bromberg, bei Czersk und an der Netze bei Usch sind noch einige spätere Urnenfelder zutage getreten. Bald darauf hatten die Germanen die Herrschaft zu beiden Seiten der unteren Weichsel angetreten und die Illyrier bis hinter die mittlere Oder, ein wenig später hinter die Sudeten zurückgetrieben, soweit sie nicht von ihnen kulturell und volklich aufgesogen worden sind.

[25] Während die Illyrier nur den Südwesten des Preußenlandes und diesen auch nur zeitweise besetzt hielten, konnten die seit jeher im Osten des Gebietes heimischen Kulturgruppen sich sogar wiederum über die Weichsel nach Westen ausdehnen. Auch prägte sich in ihnen immer stärker eine volkliche Eigenart aus, die sie zweifellos als "baltisch" kennzeichnet. Denn es ist anzunehmen, daß die Überlagerung der Kammkeramik durch die Schnurkeramik die Indogermanisierung ihrer Träger und damit die Entstehung der baltischen Völker bewirkt hat. Wenn späterhin zu den baltischen Völkern die Letten, die Litauer, die Kuren und die Prußen gezählt werden, so kann zur Zeit noch nicht entschieden werden, ob alle diese Völker auch schon in der geschilderten Zeitspanne der Bronzezeit vorhanden gewesen sind oder ob sie sich erst später aus einer ursprünglich einheitlichen Volksgruppe herausgelöst haben. Dagegen ist die Behauptung, daß die späteren Prußen auf die bronzezeitliche Bevölkerung im östlichen Ostpreußen zurückgeht, durch Funde genügend gesichert. Die westlichen Ausläufer dieser baltischen Kultur finden sich in der älteren Bronzezeit bei Belgard und Schlawe in Ostpommern, bei Putzig und Neustadt, in der Tucheler Heide und bei Mewe. Sie sind hier ebenso bald verschwunden, wie an der Nogat und im Kulmerlande. Denn schon um 1000 vor der Zeitenwende lag die Westgrenze der baltischen Stämme an den Seen des Oberlandes, bei Soldau und Neidenburg.

Während die Illyrier nordwärts und südwärts sich schoben und die Balten fast unbeweglich am Boden hafteten, bereiteten sich im Nordwesten des Preußenlandes die größten Ereignisse vor. Seit der Wende vom zweiten zum ersten Jahrtausend brach sich die germanische Kultur von Westen her Bahn. Sie breitete sich von der unteren Elbe über Mecklenburg zur unteren Oder aus und erreichte staffelweise die Persante, die Leba und die Danziger Bucht. Bald darauf wurden auch die Elbinger Höhe und die Gegend um Preußisch-Holland erreicht. Diese einwandernden Germanen waren Bauern, die ihre Toten in mächtigen Hügelgräbern, später in Steinkisten beisetzten. Da diese Kultur deutlich germanische Züge trägt, aber auch von der Kultur der germanischen Siedler westlich der Oder unterschieden ist, wird sie mit Recht als ostgermanisch bezeichnet. Die Bodenfunde bezeugen die Herausbildung eines eigenartigen germanischen Stammesgebietes, das im Laufe der Zeit durch räumliche Ausbreitung und durch scharfe Trennung vom Mutterland selbständige Züge annahm.

Das Ursprungsland
der Ostgermanen
Das Ursprungsland der Ostgermanen
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Dieses Volk der Ostgermanen hatte seine deutlich erkennbare Urheimat im Hinterlande der Danziger Bucht. Die dichtesten Siedlungen lagen zwischen der Persante und der Radaune, reichten südlich bis zur Linie Belgrad, Rummelsburg und Stargard. Die wundervoll geformten Schwerter, die wie der gleichzeitige kostbare und geschmackvolle Schmuck der Frauen von heimischen Handwerkern hergestellt wurden, bezeugen die Kunstfertigkeit und den wahrhaft adligen Geist ihrer Träger. Von der Danziger Höhe breiteten sie sich über die Tucheler Heide und über die Netze hinweg bis zum Warthelande, später zur mittleren Oder aus. Die Weichsel wurde später ostwärts überschritten und zunächst das Oberland und das Kulmland besiedelt. Die dort vormals ansässigen Balten und Illyrier wurden verdrängt. Das Weichseltal bildete die Lebensachse eines weitgedehnten germanischen Volksbodens. Von dort wurde bis zum dritten Jahrhundert auch der Oberlauf der Weichsel bis hin zu den Karpathen besetzt. Im Südwesten bildete der Wall der Sudeten eine natürliche Grenze. Im Nordosten scheint die landwirtschaftlich wichtige Klimagrenze, etwa auf der Linie Braunsberg-Allenstein, dem Vordringen der bäuerlichen Germanen Halt geboten zu haben. Doch wurde die benachbarte baltische Kultur mehrfach beeinflußt. Im fünften und vierten Jahrhundert ballte sich auf der Danziger Höhe die Bevölkerung so stark wie noch niemals zuvor. Siedlung reihte sich an Siedlung. Auch die Gebiete zwischen Konitz, Flatow und Bromberg, das westliche Kulmerland und die Gegend [26] zwischen Marienwerder, Marienburg und Elbing weisen zahlreiche Fundplätze auf. Erst als die Bastarnen und Skiren, wie die ostgermanischen Stämme dieser Frühzeit von den Schriftstellern der Mittelmeervölker genannt werden, auf die Wanderschaft gegangen waren, trat eine gewisse Entvölkerung der Heimat ein. Sie erfuhr eine erneute Verdichtung, als die Goten kurz vor Beginn unserer Zeitrechnung von der schwedischen Küste und von Gotland aus die Weichselmündung übersiedelten. Das Land an der Danziger Bucht wurde daher noch im sechsten Jahrhundert Gothiskandza, das Gotenland, genannt. Auch die Burgunden verließen ihre Sitze auf Bornholm und im südlichen Schweden und verlegten sie nach der Küste Ostpommerns und an die untere Weichsel. Der gesamte Raum zwischen der Persante im Westen und der Passarge im Osten wurde von germanischen Siedlern ausgefüllt. Südlich von den Burgundern, im Kulmerlande, an der Warthe und an der mittleren Oder begründeten die Wandalen ein machtvolles Siedlungsgebiet.

Alle diese Bauernsiedler zeichneten sich durch eine reiche Kultur aus, die besonders in den künstlerisch hervorragenden Grabbeigaben an Waffen und fraulichem Schmuck zutage tritt. Die Schmiedekunst der Germanen erlebte damals in der Nord-Ostmark ihre höchste Blüte. Sie [27] hatten es nicht nötig, sich ausländischer Vorbilder zu bedienen. Zwar wurde wohl das Eisen, das damals bei der Herstellung von Waffen und Geräten die hergebrachte Bronze bereits verdrängt hatte, zum Teil von auswärts eingeführt. Auch lieferten die Kelten und die Römer gelegentlich einige Bronzegefäße und Schmucksachen. Trotzdem zeigen die reichen Verzierungen von Schwertern, Schwertscheiden und Lanzenspitzen, die im Weichsellande gefunden wurden, einen so eigenartigen Geschmack und einen so vollendeten Schönheitssinn, daß ihnen die fremden Einfuhrwaren in keiner Weise gleichzukommen vermögen. Die kriegerische Tüchtigkeit, die technische Fertigkeit und die geistige Kraft dieser ostgermanischen Stämme, die an der Weichsel zu weltgeschichtlicher Bedeutung heranreiften, prägten sich in ihnen aus.

Germanische Funde
der späteren Völkerwanderungszeit
im Oder- und Weichselraum
Germanische Funde
Mehr als ein halbes Jahrtausend, vom ersten Jahrhundert vor und in den ersten fünf Jahrhunderten nach Beginn unserer Zeitrechnung, ist somit das Land an der Weichsel ausschließlich im Besitz gotischer Stämme gewesen. Um so überraschender ist ihr späteres Verschwinden. Es wird erklärt durch eine fortgesetzte, lange Zeit währende Auswanderung der jüngeren Volksschichten; sie verließen wegen Überbevölkerung der Heimat oder auch aus Abenteuerlust die väterlichen Gefilde und zogen Jahr für Jahr in kleinen Gruppen südwärts nach der Donau, auf den Balkan und an das Schwarze Meer. Geburtenrückgang, Minderung der Volkszahl und Arbeitermangel waren die Folge. Es zeigten sich ähnliche bevölkerungspolitische Verhältnisse, wie sie auch in den letzten Jahrzehnten im deutschen Nord-Osten eingetreten sind, als wiederum gerade die Jugend in die Großstädte und Industriegebiete in Mittel- und Westdeutschland abwanderte. Zwar sind germanische Volksgruppen noch im sechsten und siebenten Jahrhundert im Weichsellande gerade in der Umgebung von Danzig nachweisbar; aber sie reichten nicht aus, um die Felder zu bestellen. Volksfremde Hilfskräfte wurden deshalb herangerufen; sie kamen, sobald sie die Gunst der Stunde bemerkten, in immer größerer Zahl und nahmen kampflos und ohne sonderliche Mühe den Boden ein, den seine bisherigen germanischen Besitzer achtlos aufgegeben hatten. Es waren im Osten der Weichsel die Prußen und im Westen die Pomoranen.

Die Prußen breiteten sich ursprünglich von der Memel bis zur Passarge und nach der Minderung der Goten auch bis zur Weichsel aus. Das von Jordanes erwähnte Mischvolk der Widiwarier dürfte aus dem Rest
Kulmsee im Kulmerland
Kulmsee im Kulmerland.
der Ostgermanen und zugewanderten Prußen entstanden sein. Die Südgrenze der Prußen bildeten die ausgedehnten Waldungen an den Masurischen Seen, die erst im ausgehenden vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert dem Verkehr erschlossen wurden. Auch das Land Sassen um Neidenburg, die Löbau und das Kulmerland, das durch die Drewenz, die Weichsel und die Ossa begrenzt wird, waren einst von Prußen bewohnt. In diesen fruchtbaren und seit alters reich besiedelten Gegenden haben schon in früherer Zeit heftige Grenzkämpfe zwischen den Prußen und den Polen stattgefunden. Die Polen sind erst um das Ende des zwölften
Ruine der Ordensburg Rehden
Ruine der im 13. Jahrhundert gegründeten Ordensburg Rehden.
Jahrhunderts in das Kulmerland eingedrungen und aus ihm öfters von den Prußen vertrieben worden. Die im Osten anstoßende Landschaft Löbau wies im dreizehnten Jahrhundert noch gar keine polnische Bevölkerung auf. Noch im fünfzehnten Jahrhundert war eine größere Anzahl dort gelegener Güter zu prußischem Recht ausgegeben und von Prußen bewohnt.

Im Westen grenzten die Prußen im wesentlichen an die Weichsel, die sie späterhin nachweisbar nur an zwei Stellen, in der Gegend von Mewe und an der Weichselmündung, überschritten haben. Prußische Siedlungen und Dienste waren im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert in
Blick über die Dächer Danzigs mit dem 
ragenden Turm der Marienkirche.
Danzig, im Mündungsgebiet der Weichsel gelegen, wird schon im Jahre 997genannt und 1224 als deutsche Stadt gegründet, kommt 1309 in den Besitz des Deutschen Ordens und tritt 1361 der Hanse bei. Das Bild der Stadt ist ein Zeugnis ihrer allzeit deutschen Geschichte.
Blick über die Dächer der Stadt mit dem ragenden Turm der Marienkirche.
dem Gebiet zwischen Mewe, Dirschau und Stargard vorhanden. Da Prußen [28] aus dem Bereich des Herzogs Mestwin von Pommerellen an einem Einfalle in das Ordensland teilgenommen haben, gehen diese Siedlungen mindestens wohl schon auf den Anfang des dreizehnten Jahrhunderts zurück. Vielleicht hat das Vorkommen von Schwarzerde um Mewe die Prußen zum Überschreiten der Weichsel gerade an dieser Stelle veranlaßt. Auch im Gebiet der Weichselmündung waren die Prußen nach Westen vorgedrungen. Die Bevölkerung der Fischersiedlung Danzig bestand, wie Urkunden aus den Jahren 1271 und 1348 bezeugen, aus Pomoranen und Prußen. Auch sind zahlreiche Ortsnamen im Danziger Werder und auf der Danziger Höhe nur aus der prußischen Sprache zu erklären. Die Prußen unterlagen frühzeitig dem kulturellen Einfluß der benachbarten Germanen. Wie Tacitus hervorhob, glichen sie in [29] ihren Gebräuchen und in ihrer Lebensweise den Sweben. Ihre Sprache enthielt noch im Mittelalter zahlreiche gotische Lehnworte. Ebenso scheinen ihre religiösen Vorstellungen durch die Germanen beeinflußt worden zu sein.


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