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Kampf um Berlin: Der 
Anfang.

Terror und Widerstand       (Teil 1)

Ist eine politische Bewegung zahlenmäßig klein, und fehlt es ihr an agitatorischer Schärfe und propagandistischer Aktivität, dann wird sie, unbeschadet, welche Ziele sie verficht, von ihren Feinden unbeachtet gelassen. Sobald sie aber ein gewisses Stadium ihrer Entwicklung überschritten hat und damit anfängt, die Öffentlichkeit in weitem Maße zu beschäftigen, werden ihre Feinde gezwungen, sich mit ihr auseinanderzusetzen; und da sie dadurch, daß sie die Bewegung bisher in für sie schädlicher Weise allzu sehr vernachlässigten, ziemlich ins Hintertreffen geraten sind, suchen sie nun durch ein Übermaß an Haß, Lüge, Verleumdung und blutigem Terror das Versäumte nachzuholen.

In der Politik entscheiden niemals allein die Ideen, die man verficht, sondern auch und in ausschlaggebendem Maße die Machtmittel, die man für die Durchfechtung von Ideen anzusetzen gewillt und fähig ist. Eine Idee ohne Macht wird immer, auch wenn sie richtig ist, Theorie bleiben. Ihre Träger müssen deshalb ihre ganze politische Schärfe darauf richten, die Macht zu erobern, um dann unter Einsatz von Macht die Idee zu realisieren.

Die nationalsozialistische Bewegung war nun, nachdem wir in zwei Monaten das innere Gefüge der Organisation neu aufgebaut hatten, über das erste Stadium ihrer Entwicklung hinaus. Sie war in sich gefestigt und konnte nunmehr zum Kampf in der Öffentlichkeit eingesetzt werden. In demselben Maße aber, in dem sich ihre Organisation vervollkommnete und die Propaganda begann, die ersten zaghaften Schritte nach außen zu tun, wurde der Feind auf sie aufmerksam; und erkannte sehr bald, daß es nicht genug war, die Bewegung selbst in ihrer anfänglich primitiven Entwicklung allzu sehr sich selbst zu überlassen. Die Partei hatte sich schon in bestimmten Machtpositionen festgesetzt. Ihre Weltanschauung war geklärt, die Organisation fest verankert; es hielt jetzt schwer, sie aus den Stellungen wieder herauszuwerfen, die sie in aller Stille bezogen und ausgebaut hatte.

Sobald der Marxismus, der bekanntlich in der Öffentlichkeit den Glauben zu erwecken versucht, er habe das Mandat auf die Reichshauptstadt für nun und immer in seinem Besitz, merkte, was wir wollten und planten und mit welchen Absichten wir umgingen, daß wir nicht mehr und nicht weniger in Schilde führten, als dem in der Tat für diese Zeit noch zutreffenden Schlagwort "Berlin bleibt rot!" ein Ende zu machen, ging er mit der ganzen massiven Wucht seiner Parteiorganisation gegen unsere Bewegung vor. Der Abwehrkampf, der damit auf der ganzen Linie gegen uns entbrannte, wurde durchaus nicht etwa nur vom Kommunismus geführt. Sozialdemokratie und Bolschewismus waren sich hier ausnahmsweise vollkommen einig, und wir hatten uns somit gegen eine doppelte Front zur Wehr zu setzen: gegen den Bolschewismus, der die Straße beherrschte, und gegen die Sozialdemokratie, die fest und, wie es schien, unausrottbar in den Ämtern saß.

Der Kampf fing mit Lüge und Verleumdung an. Es ergoß sich wie auf Kommando über die junge Bewegung der Spülicht der parteipolitischen Demagogie. Der Marxismus wollte seine in Zweifel geratenen Parteigänger davon abhalten, unsere Versammlungen, die sich eines wachsenden Zuspruchs zu erfreuen begannen, zu besuchen. Er gab ihnen als Ersatz dafür das Surrogat einer nichtswürdigen und lügnerischen Verdrehung des wahren Tatsachenverhalts. Die Bewegung wurde als eine Ansammlung von verbrecherischen und entwurzelten Elementen hingestellt, ihre Gefolgsleute als gedungene Bravos und ihre Führer als gemeine und niederträchtige Hetzer, die, im Dienst des Kapitalismus stehend, keine andere Aufgabe hatten, als die marxistische Arbeiterfront, die den bürgerlichen Klassenstaat zum Sturz bringen wollte, zu zerspalten und Zwietracht und Uneinigkeit in ihre Reihen hineinzutragen.

Damit nahm eine parteipolitische Hetze von nie gesehenen Ausmaßen ihren Anfang. Es verging kein Tag, ohne daß die Gazetten von nationalsozialistischen Untaten zu melden wußten. Meistens gab der Vorwärts oder die Rote Fahne den Ton an, und dann spielte das ganze jüdische Presseorchester die wüste und demagogische Hetzsinfonie zu Ende.

Hand in Hand damit ging auf der Straße der blutigste rote Terror. Unsere Kameraden wurden, wenn sie von den Versammlungen heimkehrten, bei Nacht und Dunkel niedergestochen und niedergeschossen. Man überfiel sie mit zehn- und zwanzigfacher Übermacht in den Hinterhöfen der großen Mietskasernen. Man bedrohte sie in ihren eigenen kärglichen Behausungen an Leib und Leben, und wo wir den Schutz der Polizei verlangten, redeten wir meistenfalls nur in den Wind hinein.

Man gewöhnte sich daran, uns als Staatsbürger zweiter Klasse zu behandeln, als nichtswürdige Hetzer und Verleumder, die nichts Besseres verdienten, als daß irgendein finsteres Subjekt ihnen draußen in den Proletariervororten den Dolch der Bruderliebe in den Rücken stieß.

Diese Zeit war für uns schwer und fast unerträglich. Aber bei allen blutigen Opfern, die uns aufgezwungen wurden, hatte dieser Kampf doch auch seine guten Seiten. Man fing an von uns zu reden. Man konnte uns nicht mehr totschweigen oder mit eisiger Verachtung an uns vorbeigehen. Man mußte, wenn auch widerwillig und mit zornigem Ingrimm, unsere Namen nennen. Die Partei wurde bekannt. Sie stand mit einem Schlage im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Wie ein heißer Sturmwind war sie in die lethargische Ruhe des politischen Berlins hineingefegt, und nun mußte man zu ihr Stellung nehmen: mit Ja oder mit Nein. Das, was uns in den Anfängen als verlockende und unerreichbare Sehnsucht erschienen war, das wurde plötzlich Wirklichkeit. Man sprach von uns. Man diskutierte über uns, und es blieb dabei nicht aus, daß in der Öffentlichkeit mehr und mehr danach gefragt wurde, wer wir denn eigentlich seien und was wir wollten. Die Journaille hatte damit etwas erreicht, was gewiß nicht in ihrer Absicht lag. Wir hätten jahrelang arbeiten und kämpfen müssen, um ein Gleiches zu vollbringen: die Bewegung war nicht mehr unbekannt. Sie hatte einen Namen, und wo man sie nicht liebte, da trat man ihr doch mit offenem und frechem Haß entgegen. Bisher hatte man über uns nur gelächelt. Zwei Monate Arbeit genügten, um dem Feind das Lachen zu vertreiben. Aus dem harmlosen Spiel wurde blutiger Ernst. Der Feind beging dabei eine Reihe von psychologischen Fehlern. Daß er Führer und Gefolgschaft in gleicher Weise verfolgte, bewirkte nur, daß beide sich in einer gemeinsamen Front der leidenschaftlichen Abwehr zusammenfanden. Hätte man die Oberen geschont und nur auf die Unteren geschlagen, dann wäre das auf die Dauer unerträglich und Wankelmut und Unzufriedenheit in den eigenen Reihen die unvermeidliche Folge gewesen. So aber formte sich aus unserem verzweifelten Haufen ganz natürlich eine auf Gedeih und Verderb aneinandergeschworene und ineinandergewachsene Kameradschaft heraus, die dann für alle Zukunft jeder Anfeindung standhalten konnte.

Auf meinem Schreibtisch häuften sich plötzlich die polizeilichen und gerichtlichen Vorladungen. Nicht, als wenn ich mit einemmal ein schlechterer Staatsbürger geworden wäre. Aber wer sucht, der findet. Und wenn einer den Entschluß faßt, dem herrschenden Regime den Kampf anzusagen, dann kann er bald kaum noch einen Schritt tun, ohne sich mit irgendeinem Gesetz in Konflikt zu bringen.

Ich mußte sehr bald nach vielen freundlichen Einladungen den Weg nach Moabit antreten. Ich erschien zum erstenmal in diesem weitläufigen, roten Berliner Gerichtsgebäude, in dem ich später noch so oft meine Gastspiele am laufenden Band absolvieren sollte. Zu meinem großen Erstaunen erfuhr ich hier, daß ich mich eines qualifizierten Hochverrats schuldig gemacht hatte. Ich wurde ausgequetscht wie eine Zitrone und merkte sehr bald, daß keines meiner geschriebenen oder gesprochenen Worte bei den hohen Behörden unbeachtet geblieben war.

Der eigentliche Kampf in der Öffentlichkeit begann an unserem festesten Stützpunkt, in Spandau. Dort veranstalteten wir in den letzten Januartagen unsere erste Massenversammlung, die diesen Titel in der Tat und zu Recht trug. Wir hatten an die marxistische Öffentlichkeit appelliert, und dieser Appell war nicht ungehört verhallt. Über fünfhundert rote Frontkämpfer waren, geschickt im ganzen Saal verteilt, unsere Zuhörer, und nun sollte der Hexensabbat beginnen. Sie kamen offenbar nicht, um sich von uns belehren zu lassen. Sie hatten vielmehr das Ziel, die Versammlung, wie es in ihrem Jargon heißt, auf den Leisten zu schlagen.

Diese löbliche Absicht wurde allerdings durch die virtuose Taktik, die wir im Verlauf der Versammlung einschlugen, durchkreuzt und zunichte gemacht. Wir erklärten von vornherein, daß wir mit jedem ehrlichen Volksgenossen offen debattieren wollten, daß jede Partei ausgiebige Redezeit erhalten solle, daß die Geschäftsordnung der Versammlung allerdings von uns, die wir das Hausrecht besäßen, bestimmt und jeder, der sich ihr nicht fügen wollte, von der SA. rücksichtslos an die frische Luft gesetzt würde.

Das war eine Sprache, die man bisher in Berlin nur in marxistischen Versammlungen gesprochen hatte. Die roten Parteien fühlten sich allzu sicher in ihrer Macht. Sie nahmen die bürgerlichen Vereine, die da geistreiche Dikussionen über den Marxismus veranstalteten, gar nicht ernst. Man pflegte bei den Roten darüber zu lachen und hielt es nicht der Mühe wert, überhaupt bürgerliche Versammlungen mit marxistischem Massenbesuch zu beehren.

Bei uns war das von Anfang an anders. Bei uns wurde die Sprache gesprochen, die auch der Marxist versteht, und es kamen Fragen zur Erörterung, die den kleinen Mann aus dem Volk auf das brennendste interessierten.

Der Proletarier hat ein ausgeprägtes, fein reagierendes Gefühl für Gerechtigkeit. Und wer es versteht, ihn dabei zu packen, der wird immer seiner Sympathie gewiß sein können. Wir erklärten, diskutieren zu wollen, wir stellten uns mit dem Proletarier ehrlich auf eine Stufe, Mann gegen Mann; und damit war es von vornherein unmöglich gemacht, daß die roten Hetzer durch gewissenlose Demagogie die Versammlung zum Platzen brachten, bevor sie überhaupt begonnen hatte. Das aber konnte uns schon genügen; denn wir wußten, kommen wir erst dazu, vor diesen irrenden und suchenden Menschen überhaupt zu reden, dann haben wir bereits gewonnen.

Das Referat nahm in dieser ersten großen Arbeiterversammling über zwei Stunden in Anspruch. Das Thema Sozialismus stand zur Debatte, und ich erlebte bei meiner Rede die große Freude, daß diese fünfhundert Menschen, die gekommen waren, um uns, wie die Rote Fahne schrieb, mit harten Proletarierfäusten zu Paaren zu treiben, stiller und stiller wurden, daß zwar zuerst ein paar bezahlte Hetzer durch geschickte Zwischenrufe den ruhigen Verlauf der Versammlung zu stören versuchten, aber auch die unter der eisigen Ablehnung ihrer eigenen Gefolgschaft mehr und mehr verstummten, und am Ende über der ganzen Versammlung eine feierliche Ruhe gesammelter Spannung lag.

Die Diskussion begann. Ein roter Hetzer bestieg das Rednerpodium und wollte eben anfangen, mit blutigen Phrasen zur Brachialgewalt aufzuhetzen, da kam von draußen die alarmierende Nachricht, daß rote Überfallkommandos zwei unserer vorzeitig heimkehrenden Parteigenossen überfallen und blutig geschlagen und gestochen hatten; einer mußte ins Krankenhaus überführt werden, wo er augenblicklich mit dem Tode rang. Ich erhob mich gleich, teilte die Ungeheuerlichkeit dieses Vorgangs der Versammlung mit und erklärte, die NSDAP. hielte es für unter ihrer Würde, weiterhin den Vertreter einer Partei in ihrer eigenen Versammlung zu Wort kommen zu lassen, deren Gefolgschaft draußen im feigen Dunkel der Nacht durch Knüppel und Dolch das zu ersetzen versuche, was ihr an geistigen Argumenten offenbar zu fehlen schien.

Hatte schon diese Schilderung des gemeinen und niederträchtigen Überfalls die ganze Versammlung in eine Siedehitze der Empörung versetzt, in der auch die letzten Kommunisten, wohl bedrückt vom eigenen schlechten Gewissen, zu verstummen begannen, so erweckte die kategorische Ankündigung, daß die NSDAP. nicht gewillt sei, auf solche Art mit sich Schindluder treiben zu lassen, bei allen anständigen Zuhörern tosenden Jubel und begeisterte Zustimmung. Ohne daß das von uns beabsichtigt war, flog der rote Hetzer, noch einige Protestphrasen stotternd, vom Podium herunter und wurde dann, von Hand zu Hand befördert, an die frische Luft gesetzt.

In meinem Schlußwort erklärte ich noch einmal mit aller Schärfe und Festigkeit, daß wir immer und überall gewillt seien, mit jedem ehrlichen politischen Kämpfer, vor allem einem anständigen Arbeiter ein offenes Männerwort zu sprechen; daß wir aber jeden Versuch, uns mit blutigem Terror zu begegnen, mit eben demselben Mittel entgegentreten würden und wir da, wo die anderen Arme und Fäuste, keine Leberwürste hätten.

Die Versammlung endete mit einem Sieg auf der ganzen Linie. Die roten Sprengtrupps schoben schweigend und mit hängenden Ohren ab; die eigenen Parteigenossen aber hatten an diesem Abend zum erstenmal das beglückende Gefühl, daß die Bewegung in Berlin nun die engen, begrenzten Fesseln einer parteipolitischen Sekte gesprengt hatte, daß der Kampf angesagt war und nun an der ganzen Front entbrennen mußte. Es gab jetzt kein Halten mehr. Wir hatten den Gegner herausgefordert, und jedermann wußte, daß er diese Herausforderung nicht unbeantwortet lassen würde.

So lautete auch das Echo am andern Tag in der marxistischen Presse. Wir wußten von vornherein, daß man im den Sudelküchen am Bülowplatz und in der Lindenstraße die Wahrheit in das glatte Gegenteil umlügen, daß man uns als feige Hetzer und Arbeitermörder anprangern würde, die harmlose Proletarier, nur weil sie eine politische Diskussion verlangt hatten, blutig niederschlügen.

In dicken Überschriftsbalken schrie die rote Journaille in die Reichshauptstadt hinein: "Nazis veranstalteten in Spandau ein Blutbad. Das ist ein Alarmsignal für die gesamte revolutionäre Arbeiterschaft der Reichshauptstadt!" Und darunter die unmißverständliche Drohung: "Das wir Euch teuer zu stehen kommen!"

Nun gab es für uns nur noch zwei Möglichkeiten: entweder nachzugeben und damit ein für allemal den politischen Ruf der Partei beim Proletariat zu verspielen, oder aber erneut und mit verdoppelter Wucht in die geschlagene Kerbe zu hauen und unsererseits den Marxismus wiederum zu einer Auseinandersetzung herauszufordern, die - das wußten wir - über das weitere Schicksal der Bewegung vorläufig entscheiden mußte.

Plakat
Plakat zu der Versammlungsschlacht
in den Pharussälen
      Text
"Der Bürgerstaat geht seinem Ende entgegen. Ein neues Deutschland muß geschmiedet werden! Arbeiter der Stirn und der Faust, in Deine Hände ist das Schicksal des deutschen Volkes gelegt. Am Freitag, den 11. Februar, Pharussäle! Thema: 'Der Zusammenbruch des bürgerlichen Klassenstaats.'"

Das war allerdings eine Provokation, die man bisher in Berlin noch nicht erlebt hatte. Der Marxismus empfindet es bekanntlich schon als Anmaßung, wenn ein nationaldenkender Mensch in einem Arbeiterviertel seine Gesinnung offen zur Schau trägt. Und gar am Wedding?!
Die Pharussäle
Die Pharussäle
Der rote Wedding gehört dem Proletariat! So hat es jahrzehntelang geheißen, und niemand fand den Mut, sich dem entgegenzustellen und durch die Tat das Gegenteil zu beweisen.

Und die Pharussäle? - Das war die unbestrittene Domäne der KPD. Hier pflegte sie ihre Parteitage abzuhalten, hier versammelte sie fast Woche für Woche ihre treueste und aktivste Gefolgschaft, hier hatte man bisher nur die Phrasen von Weltrevolution und internationaler Klassensolidarität geredet und gehört. Und gerade dahin beraumte die NSDAP. ihre nächste Massenversammlung ein.

Das war eine offene Kampfansage. So von uns gemeint und so vom Gegner verstanden. Die Parteigenossen jubelten. Nun ging es aufs Ganze. Nun wurde das Schicksal der Berliner Bewegung kühn und verwegen in die Waagschale geworfen. Jetzt hieß es: gewinnen oder verlieren!

Der entscheidende 11. Februar rückte heran. Die kommunistische Presse überschlug sich in blutigen Drohungen. Man werde uns einen warmen Empfang bereiten, man wolle uns das Wiederkommen verleiden. Auf den Arbeitsämtern und Stempelstellen wurde offen angekündigt, daß wir heute abend zu Brei und Brühe geschlagen würden.

Wir sind uns damals gar nicht der Gefahr bewußt gewesen, in die wir uns begaben. Ich jedenfalls kannte den Marxismus zu jener Zeit noch nicht so weit, um die möglichen Folgen im einzelnen vorauszusehen. Ich ging über die finsteren Deklamationen der roten Presse mit einem Achselzucken hinweg und erwartete mit Spannung den entscheidenden Abend.

Gegen 8 Uhr fuhren wir in einem alten, holprigen Auto vom Zentrum zum Wedding los. Ein kalter, grauer Nebel nieselte vom sternenlosen Firmament herunter. Das Herz klopfte zum Zerspringen vor Ungeduld und Erwartung.

Schon beim Durchfahren der Müllerstraße merkten wir, daß es heute abend nicht mit guten Dingen zuging. An allen Straßenecken lungerten Gruppen von Bassermannschen Gestalten herum. Man hatte es offenbar darauf angelegt, unseren Parteigenossen schon eine blutige Lektion zu erteilen, bevor sie den Versammlungsraum überhaupt betraten.

Vor den Pharussälen standen schwarze Menschenmassen, die in lauten und frechen Drohungen ihrer Wut und ihrem Haß Luft machten.

Der Führer der Schutzstaffel bahnte sich einen Weg zu uns und meldete mit knappen Worten, daß der Saal bereits seit 7¼ Uhr polizeilich gesperrt und zu zwei Drittel mit roten Frontkämpfern besetzt sei. Das war das, was wir wollten. Hier mußte die Entscheidung fallen. So oder so. Und wir waren bereit, dafür das Letzte einzusetzen.

Beim Betreten des Saales schlug uns ein heißer, atemberaubender Qualm von Bierdunst und Tabak entgegen. Die Luft war heiß zum Zerspringen. Ein tolles, johlendes Stimmengewirr durchtobte den Raum. Die Menschen saßen aneinander und ineinander gepfercht, und nur mit Mühe konnte man sich einen Weg zum Podium bahnen.

Kaum war ich erkannt, da dröhnte mir ein vielhundertstimmiges Rache- und Wutgeheul in die Ohren. "Bluthund!" "Arbeitermörder!" Das waren noch die mildesten Koseworte, die man mir nachschrie. Aber voll zitternder Leidenschaft antworteten darauf die Begrüßungsstürme der eigenen Parteigenossen und SA.-Männer. Von der Tribüne herunter klangen mitreißende Kampfrufe. Ich erkannte sofort: hier sind wir zwar eine Minderheit, aber diese Minderheit ist entschlossen zu kämpfen, und sie wird deshalb die Entscheidung bestehen.

Es war damals bei uns noch Brauch, daß alle öffentlichen Versammlungen der Partei vom SA.-Führer geleitet wurden. So auch hier. Baumlang stand er in seiner ganzen Größe vorne an der Rampe aufgebaut und gebot mit erhobenem Arm Ruhe. Das war aber leichter gesagt als durchgeführt. Ein höhnisches Gelächter war die Antwort. Die Schimpfworte flogen nur so aus allen Ecken des Saales zur Bühne herauf. Man grölte und schrie und brüllte; unter den einzelnen Gruppen saßen angesäuselte Weltrevolutionäre, die sich für diesen Abend den nötigen Mut offenbar angetrunken hatten. Es war ganz unmöglich, diesen Saal zur Ruhe zu bringen. Das klassenbewußte Proletariat war ja nicht gekommen, um zu diskutieren, sondern um zu schlagen, um zu sprengen, um dem Faschistenspuk mit schwieligen Arbeiterfäusten ein Ende zu machen.

Wir befanden uns keinen Augenblick darüber in unklaren. Aber wir wußten auch, daß, wenn es uns diesmal gelang, uns durchzusetzen, und wenn der Gegner nicht dazu kam, aus uns, wie er gedroht hatte, Hackepeter zu machen, der weitere Siegeslauf der Bewegung in Berlin unaufhaltsam sein würde.

Vor der Bühne standen etwa fünfzehn bis zwanzig SA.- und SS.-Leute, verwegen, in Uniform und mit Armbinde, für jeden roten Klassenkämpfer eine freche und dreiste Provokation. Hinter mir auf der Bühne stand ein auserlesener Trupp von zuverlässigen Leuten, in jedem Augenblick der kritischen Situation bereit, den anstürmenden roten Mob in Verteidigung des eigenen Lebens, wenn nötig, mit Brachialgewalt zurückzuschlagen.

Die Kommunisten hatten in ihrer Taktik offenbar einen Fehler gemacht. Sie hatten verstreute Gruppen nur einzeln durch den ganzen Saal dirigiert und hielten im übrigen, zu einem dicken Klumpen zusammengeballt, den rechten hinteren Teil der Versammlung besetzt. Hier war - das erkannte ich sofort - das Zentrum des Unruheherdes, und hier mußte deshalb - wenn überhaupt, zuerst und rücksichtslos eingegriffen werden. Jedesmal, wenn der Versammlungsleiter zur Eröffnung der Versammlung ansetzte, erhob sich dort ein finsteres Individuum auf einen Stuhl und schrie stereotyp mit kreischender Stimme: "Zur Geschäftsordnung!" Und das wurde dann vielhundertfach im Sprechchor nachgebrüllt und nachgejohlt.

Nimmt man der Masse ihren Führer oder auch ihren Verführer, dann ist sie herrenlos und kann mit Leichtigkeit überwunden werden. Unsere Taktik mußte also darauf hinausgehen, diesen feigen Hetzer, der sich da im Rücken seiner Genossen sicher und ungefährdet wähnte, unter allen Umständen zum Schweigen zu bringen. Wir machten diesen Versuch ein paarmal in Güte. Der Versammlungsleiter schrie mit schon heiserer Stimme in den wachsenden Lärm hinein: "Diskussionsgelegenheit gibt es nach dem Referat! Aber die Geschäftsordnung bestimmen wir!"

Doch das war alles nur ein untauglicher Versuch am untauglichen Objekt. Der Schreier wollte durch seine ewig wiederholten Zwischenrufe die Versammlung nur in Unruhe und am Ende in racheerfüllte Siedehitze versetzen. Dann kam der gewaltsame Sprengungsversuch ganz spontan und ohne Kommando.

Als alle unsere Maßnahmen, die Versammlung in Güte zur Ruhe zu bringen, sich als erfolglos erwiesen, rief ich den Führer der Schutzstaffel beiseite, und gleich darauf gingen seine Leute in verteilten Gruppen mitten in die tobende Kommunistenmasse hinein; und ehe die aufs äußerste erstaunten und betroffenen Rotfrontsoldaten sich dessen überhaupt bewußt wurden, hatten unsere Kameraden den Hetzer vom Stuhl heruntergeholt und mitten durch den tobenden Janhagel auf die Bühne gebracht. Das war bisher noch nicht dagewesen; und was ich erwartet hatte, trat denn auch prompt ein: ein Bierglas flog in die Höhe und fiel klirrend zu Boden. Und damit war das Signal zur ersten großen Saalschlacht gegeben. Stühle zerkrachten, von den Tischen wurden die Beine ausgerissen, aufgesammelte Gläser- und Flaschenbatterien waren in Sekunden geschützartig auf den Tischen aufgeprotzt, und dann ging's los. An die zehn Minuten wogte die Schlacht hin und her. Gläser, Flaschen, Tisch- und Stuhlbeine sausten wahl- und ziellos durch die Luft. Ein ohrenbetäubendes Gebrüll stieg hoch; die rote Bestie war losgelassen und wollte nun ihre Opfer haben.

Zuerst schien es, als wären wir allesamt verloren. Der kommunistische Angriff hatte so spontan und explosiv eingesetzt, daß er uns, obschon wir darauf vorbereitet waren, vollkommen unerwartet kam. Aber kaum hatten sich die im ganzen Saal verteilten und in der Hauptsache vor der Bühne massierten SA.- und SS-Trupps aus der ersten verwunderten Bestürzung erholt, da setzten sie mit verwegener Kühnheit zum Gegenangriff an; und dabei allerdings zeigte es sich, daß die kommunistische Partei zwar Massen hinter sich stehen hat, daß aber diese Massen in dem Augenblick, in dem sie auf eine fest disziplinierte und eingeschworene Gegnerschaft stoßen, feige werden und das Hasenpanier ergreifen. In kürzester Frist war der rote Janhagel, der da gekommen war, um unsere Versammlung auf den Leisten zu schlagen, aus dem Saal geprügelt und die Ruhe, die mit gütlichen Mitteln nicht hergestellt werden konnte, nun durch Brachialgewalt erzwungen.

Meistens wird man sich im Verlauf einer Saalschlacht der einzelnen Phasen einer solchen Aktion kaum bewußt. Erst später steigen sie in der Erinnerung wieder auf. Ich sehe noch heute vor mir ein Bild, das mir zeitlebens unvergeßlich bleiben wird: auf der Bühne stand ein junger, mir bis dahin unbekannter SA.-Mann und fegte zur Verteidigung der Versammlungsleitung seine Wurfgeschosse in den anstürmenden roten Mob hinein. Plötzlich wird er von einem weither geschleuderten Bierglas am Kopf getroffen.. Das Blut rinnt in breitem Strom die Schläfen herunter. Er sinkt mit einem Aufschrei zu Boden. Nach einigen Sekunden erhebt er sich wieder, greift eine auf dem Tisch noch stehende Wasserflasche und schleudert sie in weitem Bogen in den Saal hinein, wo sie dann klirrend auf dem Kopf eines Gegners zerspringt.

Das Gesicht dieses jungen Menschen bleibt in mir haften. Es hat sich in dieser blitzschnell sich abspielenden Episode unvergeßlich in meinem Gedächtnis eingeprägt. Dieser in den Pharussälen schwerverwundete SA.-Mann sollte sehr bald und dann allerdings für alle Zeiten mein zuverlässigster und treuester Kamerad werden.

Erst als der rote Mob heulend, grölend und fluchend das Feld geräumt hatte, konnte man feststellen, wie schwer und verlustreich diese Auseinandersetzung gewesen war. Auf der Bühne lagen zehn in ihrem Blut; meistens mit Stirn- und Kopfwunden und zwei mit schwerer Gehirnerschütterung. Der Tisch und die Treppe, die zur Bühne führte, waren mit großen Blutlachen bedeckt. Der ganze Saal glich einem einzigen Trümmerfeld.

Daluege 
und sein Adjutant
Gau-SA.-Führer Daluege (X)
und sein Adjutant
Und in dieser blut- und scherbenübersäten Wüste steht mit einem Male unser baumlanger SA.-Führer wieder an seinem Platz und erklärt in steinerner Ruhe: "Die Versammlung wird fortgesetzt. Das Wort hat der Referent."

Ich habe nie vorher und nie wieder nachher unter solchen erregenden Begleitumständen gesprochen. Hinter mir, stöhnend in Blut und Schmerzen, die schwerverletzten SA.-Kameraden. Rings um mich Scherben, zerbrochene Stuhlbeine, zersplitterte Biergläser und Blut. Die ganze Versammlung in eisiger Stille erstarrt.

Es fehlte uns damals noch an einem ausgebildeten Sanitätskorps; wir waren deshalb darauf angewiesen, da wir uns ja in einem proletarischen Vorort befanden, unsere Schwerverletzten durch sogenannte Arbeitersamariter abtransportieren zu lassen. Und da spielten sich dann vor der Türe des Versammlungsraumes Szenen ab, die in ihrer herzlosen Widerwärtigkeit geradezu unbeschreiblich sind. Diese vertierten Menschen, die da angeblich für die Brüderlichkeit der ganzen Welt kämpfen, ließen sich dazu hinreißen, unsere armen und wehrlosen Schwerverletzten zu beschimpfen und ihnen etwa mit Redewendungen, wie: "Ist das Schwein noch nicht verreckt?" zu Leibe zu rücken.

Es war unter diesen Umständen ganz unmöglich, eine zusammenhängende Rede zu halten. Kaum hatte ich angesetzt, da betrat wieder ein Sanitätskommando den Saal, und auf schwankender Bahre wurde ein schwerverletzter SA.-Mann von der Bühne herunter nach draußen getragen. Einer von ihnen, den diese verrohten Menschheitsapostel an der Türe mit den unflätigsten und gemeinsten Redensarten überschütteten, rief in seiner Verzweiflung mit einer Stimme, die laut und vernehmbar bis auf das Rednerpodium heraufdrang, nach mir. Ich unterbrach die Rede, ging durch den Saal, in dem noch verteilt einzelne Sprengkommandos der Kommunisten saßen - sie drückten sich allerdings nun unter dem Eindruck dieser unerwarteten Abreibung still und scheu beiseite - und nahm draußen von dem schwerverletzten SA.-Mann Abschied.

Am Schluß meiner Rede wurde zum ersten Male das Wort vom unbekannten SA.-Mann ausgesprochen.

Ein heiteres Erlebnis, das diesem blutigen Zusammenstoß gewissermaßen doch noch einen versöhnlichen Abschluß gab, soll nicht unerwähnt bleiben. Als nach dem Referat zur Diskussion aufgefordert wurde, meldete sich ein mickriger Spießer, der angab, Mitglied des Jungdeutschen Ordens zu sein. Er ermahnte mit pastoralem Pathos zu Brüderlichkeit und Ständefrieden, stellte uns in beweglichen Klagen die zwecklose Unmoral dieses Blutvergießens vor Augen und erklärte, daß Einigkeit allein stark mache. Als er dann noch nach einer tiefen Verbeugung vor der Versammlung zum Vortrag eines patriotischen Gedichtes ansetzen wollte, um damit seinen hohen Edelquatsch zu beendigen, antwortete ihm unter stürmischen Gelächter der ganzen Versammlung ein biederer SA.-Mann mit dem allerdings hier durchaus zutreffenden Zwischenruf: "Huch, du kleiner Geburtstagsdichter!"




Text des Plakats

Der Bürgerstaat geht seinem Ende entgegen!
Mit Recht! Denn er ist nicht mehr in der Lage Deutschland frei zu machen! Ein neues Deutschland muß geschmiedet werden das nicht mehr Bürger- und nicht mehr Klassenstaat ist. Ein Deutschland der Arbeit und der Disziplin! Für diese Aufgabe hat die Geschichte Dich ausersehen, Arbeiter der Stirn und der Faust! In Deine Hände ist das Schicksal des deutschen Volkes gelegt! Denke daran! Steh' auf und handele!
Am Freitag, den 11. Februar, abends 8 Uhr, spricht in den Pharus-Sälen, Berlin N, Müllerstraße 142, Pg. Dr. Goebbels über:

Der Zusammenbruch des bürgerlichen Klassenstaates!     ...zurück...




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