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Gegen den Zerfall (Teil
2)
Die Stadt Berlin war mir bis dahin, politisch und bevölkerungsmäßig
gesehen,
ein Buch mit sieben Siegeln. Ich kannte sie nur von gelegentlichen Besuchen, und da war sie mir
immer als ein dunkles, geheimnisvolles Rätsel erschienen, als ein Stadtungeheuer aus
Stein
und Asphalt, das ich meistens lieber verließ, als daß ich es betrat.
Man lernt Berlin erst kennen, wenn man einige Jahre dort lebt. Dann geht einem plötzlich
das dunkle, geheimnisvolle Etwas dieser sphinxhaften Stadt auf. Berlin und der Berliner
genießen im Land einen schlechteren Ruf, als sie verdienen. Schuld daran tragen meistens
jene nomadenhaft wurzellosen, internationalen Juden, die mit Berlin weiter nichts zu tun haben,
als daß sie dort auf Kosten der fleißigen, bodenständigen Bevölkerung
ihr parasitäres Dasein fristen.
Die Stadt Berlin ist von einer geistigen Beweglichkeit ohnegleichen. Sie ist lebendig und
tatkräftig und mutig, sie hat weniger Gemüt als Verstand und mehr Witz als
Humor.
Der Berliner ist betriebsam und vital. Er liebt die Arbeit, und er liebt das Vergnügen. Er
kann sich mit der ganzen Leidenschaft seiner mobilen Seele einer Sache hingeben, und
nirgendwo
ist der verbissene Fanatismus, vor allem in politischen Dingen, so zu Hause wie in Berlin.
Allerdings hat diese Stadt auch ihre Gefahren. Täglich speien die Rotationsmaschinen in
Millionen von Zeitungsexemplaren das jüdische Gift in die Reichshauptstadt hinein.
Berlin
wird von hundert geheimnisvollen
Mächten hin- und hergezerrt, und es ist schwer, in dieser Stadt einen festen Halt zu
gewinnen und eine sichere geistige Position zu behaupten.
Der Asphalt gibt den Boden ab, auf dem Berlin wächst und sich in atemberaubendem
Tempo vergrößert. Die Stadt ernährt sich nicht aus eigenen Vorräten,
weder materiell noch geistig. Sie lebt von der Scholle der Provinz; aber sie versteht es, das, was
die Provinz ihr willig gibt, in verlockenden Formen wiederzugeben.
Jede politische Bewegung hat in Berlin einen grundsätzlich anderen Charakter als in der
Provinz. In Berlin ist seit Jahrzehnten um die deutsche Politik mit Blut gekämpft worden.
Das macht den politischen Typ hier härter und grausamer als anderswo.
Die Mitleidlosigkeit dieser Stadt hat ihnen Niederschlag auch in ihren Menschen gefunden.
In Berlin heißt es: Vogel friß oder stirb! Und wer seine Ellenbogen nicht zu
gebrauchen versteht, der kommt hier unter die Räder.
Berlin braucht seine Sensation wie der Fisch das Wasser. Diese Stadt lebt davon, und jede
politische Propaganda wird ihr Ziel verfehlen, die das nicht erkannt hat.
Alle deutschen Partreikrisen sind von Berlin ausgegangen; und das ist auch erklärlich.
Berlin beurteilt die Politik mit dem Verstand, nicht mit dem Herzen. Der Verstand aber ist
tausend
Versuchungen ausgesetzt, während das Herz immer seinen gleichen Takt
schlägt.
Wir haben das alles erst sehr spät und nach vielen bitteren Erfahrungen einsehen gelernt.
Dann aber haben wir unsere ganze Arbeit darauf eingestellt.
Wir hatten nun mit Mühe und Not die Finanzen der Berliner Bewegung in Ordnung
gebracht und konnten jetzt daran gehen, die zerfallene Organisation neu aufzurichten. Es war
für uns ein günstiger Umstand, daß wir vorläufig keinerlei Widerstand
von außen her zu erwarten hatten. Man kannte uns noch gar nicht, und soweit man
überhaupt von unserer Existenz wußte, nahm man uns nicht ernst. Der Name der
Partei schlummerte noch in der Anonymität, und auch niemand von uns hatte es bisher
fertiggebracht, seinen eigenen Namen einer breiteren Öffentlichkeit bekanntzumachen.
Das
war auch gut so. Denn damit gewannen wir Zeit und Möglichkeit, die Bewegung auf eine
gesunde Grundlage zu stellen, so daß sie, würde der Kampf einmal
unumgänglich notwendig, allen Stürmen und Anfeindungen gewachsen war.
Die Berliner SA. war damals schon in beachtlicher Stärke vorhanden. Sie führte
ihre
glorreiche, kämpferische Tradition auf den Frontbann zurück. Der Frontbann war
der
eigentliche Träger nationalsozialistischer Parteigeschichte in Berlin vor dem Jahre 1926.
Allerdings war diese Tradition
mehr gefühls- als erkenntnismäßig bestimmt. Der SA.-Mann, soweit er im
Frontbann marschierte, war Soldat. Das politische Charakteristikum fehlte ihm noch
vollkommen.
Es war eine der schwersten Aufgaben der ersten Wochen,
den SA.-Mann zum politischen Soldaten umzuformen. Erleichtert allerdings wurde
diese
Aufgabe durch die willige Disziplin, mit der sich die alte Parteigarde, soweit sie in der SA.
marschierte, dem neuen Kurs der Berliner
Bewegung ein- und unterordnete.
Der SA.-Mann will kämpfen, und er hat auch ein Recht darauf, zu Kampf geführt
zu
werden. Seine Existenz gewinnt erst im Kampf ihre Berechtigung. Die SA. ohne
kämpferische Tendenz ist widersinnig und zwecklos. Als der
Berliner SA.-Mann erkannt hatte, daß wir kein anderes Ziel kannten, als mit ihm für
die Bewegung um die Reichshauptstadt zu kämpfen, da stellte er sich bedingungslos
hinter
unsere Parolen, und ihm ist es in der Hauptsache zu verdanken gewesen, daß so bald schon
aus dem chaotischen Durcheinander der Bewegung ein neuer Impuls hervorbrach und die Partei
dann in triumphalem Aufmarsch gegen ihre Feinde Stellung um Stellung erkämpften
konnte.
Schwieriger war das damals bei der politischen Organisation. Sie hatten nur wenig Tradition,
und
die Führung in den meisten Sektionen war schwächlich, kompromißlerisch,
ohne inneren Halt und ohne willensmäßige Kraft. Wir mußten viele Abende
damit zubringen, von einem Sektionslokal zum anderen zu fahren und aus den widerstrebenden
Organisationsteilchen ein festes Gefüge zu formen. Es kam dann auch zuweilen vor,
daß man auf Untergruppen stieß, deren ganzes Gehabe eher dem eines patriotischen
Kegelvereins als dem einer revolutionären Kampfbewegung glich. Da mußte dann
rücksichtslos eingeschritten werden. Es hatte sich in der politischen Organisation eine Art
von parlamentarischer Demokratie herausgebildet, und man glaubte nun, die neue
Führung
zum willenlosen Spielball von Mehrheitsbeschlüssen der verschiedenen Cliquen machen
zu
können.
Dem wurde sofort ein Ende gesetzt. Wir verloren dabei zwar wieder eine Reihe von
unbrauchbaren Elementen, die sich bei der Partei ankristallisiert hatten. Aber die gehörten
innerlich überhaupt nicht zu uns.
Daß der Marxismus und die jüdische Journaille uns damals nicht ernst nahmen, war
unser Glück. Hätte beispielsweise die KPD. in Berlin auch nur geahnt, was wir
waren und was wir wollten, sie hätte die ersten Anfänge unserer Arbeit mitleidlos
und brutal im Blut erstickt. Daß man uns am Bülowplatz gar nicht kannte, oder wo
man uns kannte, nur über uns lächelte, das hat man später oft und bitter
bereuen müssen. Denn wenn wir uns vorläufig auch darauf beschränkten, die
Partei selbst zu konsolidieren und damit unsere Arbeit mehr nach innen als nach außen
gerichtet war, so erschien uns das keineswegs als Selbstzweck, sondern nur als Mittel zum
Zweck.
Die Partei war für uns nicht ein Kleinod, das wir im silbernen Schrein verschließen
wollten; sie war vielmehr ein Diamant, den wir schliffen, um ihn später mitleidlos zum
Zerschneiden der feindlichen Front anzusetzen.
Viel Zündstoff, der in der Berliner Bewegung gelagert hatte, war bereits beseitigt, als wir
nach kurzer Zeit die Führerschaft der gesamten Organisation zum ersten Gautag
zusammenberiefen. Dort wurde die Personenkrise endgültig liquidiert und für die
ganze Partei die Parolen ausgegeben: Wir fangen von vorne an!
Parteikrisen werden in Berlin auf die Dauer niemals vermieden werden können. Die Frage
ist nur, ob die Krisen am Ende das Gefüge der Partei erschüttern, oder ob sie von
der
Organisation ausgeschwitzt werden. Die Berliner Bewegung hat viele persönliche,
organisatorische und programmatische Krisen durchgemacht. Sie haben hier meistens nichts
geschadet, aber oft viel genützt. Wir gewannen dabei immer die Möglichkeit,
überalterte und unbrauchbare Stoffe und Elemente aus der Organisation auszuscheiden
und
die bedrohte Gesundheit der Partei durch eine Radikalkur augenblicks wieder herzustellen.
So war es auch schon beim erstenmal. Nachdem die Partei die Krise überwunden hatte,
war
sie von allen Krankheitsstoffen gereinigt und konnte mit Mut und Tatkraft an ihre eigentliche
Aufgabe herantreten.
Schon begann damals der erste Terror, der sich allerdings mehr auf der Straße als in den
Ämtern bemerkbar machte. Es verging kein Abend, ohne daß unsere heimkehrenden
Parteigenossen vom roten Straßenmob angefallen und zum Teil schwer verletzt wurden.
Die
Organisation selbst aber hatte sich bereits so gefestigt, daß das vergossene Blut uns mehr
noch aneinander kittete, als daß es uns in Furcht und Angst auseinandertrieb.
Noch konnten wir keine großen Kampfversammlungen veranstalten, weil die Organisation
dazu nicht die innere Kraft hatte. Wir mußten uns darauf beschränken, die
Parteigenossenschaft mit Sympathisierenden und Mitläufern in kleinen Sälen
Woche
um Woche zu versammeln und bei unseren Reden weniger auf die aktuellen Tagesfragen
einzugehen, als vielmehr die programmatischen Grundlagen unserer Weltanschauung zu
erörtern und sie so in die Köpfe der Parteigenossen hineinzuhämmern,
daß sie sie gewissermaßen im Traum nachbeten konnten. Damit schloß sich
der
erste Kern der Partei zu einem festen Gefüge zusammen. Die Organisation hatte einen
Halt,
die Idee wurde in rastloser Aufklärungsarbeit vertieft. Jeder wußte, worum es ging,
das Ziel war aufgestellt, und nun konnte die ganze Kraft darauf konzentriert werden.
Auch damals schon gab es Kritiker - die Menge, die vom grünen Tisch aus jeden
Entschluß bemäkelten und es in der Theorie immer besser wußten, als wir es
in
der Praxis machten. Wir haben uns nicht viel darum gekümmert. Wir meinten, daß
die bessere Leistung sie am Ende doch immer zum Schweigen bringen würde.Wir konnten
nichts tun, ohne daß es bei den Mitläufern und Besserwissern kritisiert und in Grund
und Boden verdammt wurde. Das war damals so wie heute. Dieselben aber, die vor jedem
Entschluß es immer besser wußten als die, die die Entschlüsse auf eigene
Verantwortung fassen mußten, waren dann auch immer, wenn die gefaßten
Entschlüsse zu Erfolgen geführt hatten, diejenigen, die es vorausgesagt hatten und
am Ende gar so traten, als seien sie es eigentlich gewesen, die den Entschluß faßten
und deshalb auch den Erfolg für sich beanspruchen könnten.
Wir sind darüber zur Tagesordnung übergegangen. Wir haben, während die
Kritikaster an uns Feder und Maulwerk übten, gearbeitet und manchmal und oft bis in die
tiefen Nächte hinein geschuftet. Wir haben keine Mühe und keine Last gescheut.
Wir
haben in zähem Kampf eine feste Autorität aufgerichtet in einer Organisation, die
eben in Gefahr war, in Anarchie zu zerfallen. Wir haben, unbekümmert um das
Geschwätz der allzuvielen, die Fahne der Idee aufgepflanzt und fanatische und
bedingungslos kämpfende Menschen dafür in Marsch gesetzt.
Ich erinnere mich heute noch mit tiefer, innerer Bewegung eines Abends, da ich, vollkommen
unbekannt, mit einigen Kameraden aus der ersten Kampfzeit, auf dem Verdeck eines Autobus
sitzend, quer durch Berlin zu einer Versammlung fuhr. Auf den Straßen und Plätzen
das ameisenhafte Gewimmel der Großstadt. Tausend und tausend Menschen in Bewegung,
scheinbar ohne Ziel und Zweck. Über allem der flackernde Lichtschein dieses
Stadtungeheuers gelagert. Damals fragte einer mit bekümmerter Sorge, ob es wohl jemals
möglich sein würde, den Namen der Partei und unsere eigenen Namen dieser Stadt,
ob sie wollte oder nicht, aufzuzwingen und einzuhämmern. Eher noch, als wir das in jener
Stunde glauben und hoffen durften, hat diese bange Frage durch die Tatsachen selbst eine
unmißverständliche Antwort erhalten.
Kampf um Berlin: der Anfang
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