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Die Tragödie einer Frau
In einem der Züge nach Lowitsch befand sich die Frau eines Landwirtes
Hammermeister aus Otterau, einem der wohlhabenden niedergebrannten
Dörfer in der Nähe von Bromberg. Mit dieser Frau scheint etwas
vorzugehen, was die Mitmarschierenden nur schwer verstehen und deuten
können. Sie ist sehr verschlossen, das scheint ihre Natur zu sein. Nun, ihr
Mann ist vor ihren Augen ermordet worden, das tiefe Leid wird an ihr zehren.
Und doch muß da noch etwas Besonderes sein. Sie wird mit den anderen bei
Lowitsch befreit und kommt wieder nach Hause. Inmitten all der
Zerstörung, inmitten dieses Leides wird es schwer sein, daß sie sich
wieder ins Leben zurückfindet. Immerhin, die anderen schaffen es auch. Von Tag
zu Tag bekommen sie wieder etwas mehr Lebensmut, gehen an die Arbeit. Sie
äußern sich dahin, daß auch Frau Hammermeister wieder bald
zur inneren Ruhe kommen wird.
Dem ist aber nicht so. Sie wird noch verschlossener und scheint dauernd zu
grübeln. Niemandem kann sie sagen, was sie bewegt. Sie selbst weiß
es aber: nachdem ihr Mann erschlagen worden war, hat ein polnischer
Oberleutnant sich an ihr vergriffen, und sie spürt nun die Folgen davon.
Das kann sie nicht aushalten, das ist zuviel. Da geht sie hin und erhängt
sich. Ein Mädchen von zwölf und ein Junge von zehn Jahren, nun
Vollwaisen, bleiben zurück. Die Frau wird begraben. Die deutschen
Behörden, Militär- und Zivilpersonen stehen achtungsvoll an einem
offenen Grabe. Noch ist die feierliche Handlung nicht zu Ende, da zupft der Junge
einen deutschen Offizier am Ärmel und sagt: "Da steht der Mann, der hat
den Vater erschlagen!" Da genügend Polizei zur Stelle ist, wird der Fall
sofort geprüft, die Aussage bestätigt sich. Was folgte, war nichts
weiter als die gerechte Sühne. –
Für diese Frau hatte
der Leidensmarsch insbesondere eine Fülle von Leid und Weh geborgen.
Wie manche Tragödie ähnlicher Art ist über diese urdeutsche
Erde, die ein zur politischen Gestaltung unfähiges Volk verkommen
ließ und äußerlich und innerlich zerstörte,
dahingegangen: zu ihrer Beseitigung werden sich jetzt viele hundert Hände
regen müssen.
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