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Vorwort

Die erste Veranlassung zur vorliegenden Schrift haben die langjährigen Erörterungen über die deutschen Friedensziele gegeben. [Scriptorium merkt an: bezieht sich auf den Ersten Weltkrieg!] Hierbei fiel mir auf, wie wenig selbst Männer, die in Wort und Schrift sich auf die Vergangenheit beriefen und geschichtliche Beispiele für die Berechtigung ihres Standpunktes anführten, tatsächlich von diesen Dingen wußten. Zu ihrer Entschuldigung dient, daß unsere Handbücher meist nur die Bestimmungen der fertigen Verträge enthalten, nicht ihre Vorgeschichte, die Wünsche der Teilnehmer, den Unterschied des Gewollten und Erreichten. Um in die Beweggründe und Hemmungen bei den Friedensverhandlungen einzudringen, bedarf es zeitraubender Studien und deshalb ist die Kenntnis heute meist das Vorrecht einiger Spezialisten, welche noch dazu gewöhnlich nicht die gesamte neuere Geschichte, sondern nur begrenzte Abschnitte aus ihr beherrschen.

Zu einer Zeit, wo wir ganz besonders aus der Vergangenheit für unser praktisches politisches Wollen und Handeln lernen müssen, ist das gewiß ein beklagenswerter Zustand. Deshalb schien mir eine knappe Auswahl derjenigen Verträge und Vertragsbestimmungen unserer neueren Geschichte, welche nach irgendeiner Seite noch heute die besondere Teilnahme beanspruchen können, erwünscht zu sein. Denn ein dickes Buch, welches sämtliche deutsche Friedensschlüsse mit allen ihren Artikeln möglichst vollständig würdigt, hätte m. E. seinen Zweck, historische Tatsachenkenntnisse allgemeiner zu verbreiten, verfehlt. Bei dieser Auswahl und bei meiner ganzen Darlegung habe ich mich nicht von einem bestimmten politischen Parteistandpunkt leiten lassen. Allerdings habe ich geglaubt, im letzten Abschnitte aus der Gesamtdarstellung der deutschen Friedensschlüsse Folgerungen ziehen zu sollen, welche vielleicht für die [iv] jetzige und künftige deutsche Politik Bedeutung gewinnen können. Aber einmal weichen sie von den in fast allen Parteilagern derzeit üblichen Anschauungen ab; zweitens wollen sie nichts anderes sein als eine Zusammenfassung von geschichtlichen Erfahrungen, die sich in der Zukunft abermals bestätigen, indes auch durch neue Voraussetzungen berichtigt werden können. Übrigens hat dieser Schlußabschnitt auf meine Schilderung der deutschen Friedensschlüsse, insbesondere auf ihre Auswahl, keinen Einfluß ausgeübt. Vielmehr habe ich mich bemüht, tunlichst unbefangen den sachlichen Tatbestand herauszuarbeiten und vorzuführen. Deshalb konnte es sich für mich auch nicht darum handeln, aus der Reihe der neueren deutschen Friedensschlüsse einheitliche durchlaufende Beweggründe herauszuheben, wie das W. Michael in seiner Schrift über Englands Friedensschlüsse getan hat. Denn da wir angesichts der großen politischen Zersplitterung in der deutschen Geschichte eine viel stärkere Mannigfaltigkeit der Vertragschließenden, ihrer Absichten und ihrer Spielräume antreffen, hätte ein solches Bemühen meinem ganzen Buche ein gekünsteltes Gepräge verliehen.

Da ich ein tunlichst sachgemäßes Bild der verschiedenen Friedensschlüsse, der günstigen wie der ungünstigen, angestrebt und jeweils vor allem die Beweggründe des Siegers in den Vordergrund gestellt habe, ist mein Programm durch den militärischen Umschwung und Deutschlands Zusammenbruch auch in keiner Weise überholt worden. Vielmehr darf ich erwarten, daß gerade jetzt, wo die Friedensfrage unmittelbar brennend geworden ist, eine geschichtliche Betrachtung der früheren deutschen Friedensschlüsse ein höheres Interesse beanspruchen darf. Geht doch aus ihr u. a. hervor, daß bereits der Große Kurfürst aus wichtigen Gründen polnisches Gebiet forderte und daß dies dauernd ein Ziel der preußischen Politik geblieben ist.

Mai 1919.                               Gustav Wolf.






Deutschlands Friedensschlüsse seit 1555:
Ihre Beweggründe und ihre geschichtliche Bedeutung

Professor Dr. Gustav Wolf