[58] Totentanz um die Fontana Negra I. Der Zug Leutnant Große hatte die Fontana Negra-Scharte, 2545 m, besetzt und sollte nach acht Tagen von einem anderen Zuge derselben Kompagnie preußischer Jäger, die neben der Wolf Glanvell-Hütte in Reserve lag, abgelöst werden (Abb. 46, 47 u. 49). Leutnant Große war einer von denen, die keinen Fingerbreit wichen. "Ich werde die Stellung gegen jeden Angriff halten", hatte er am Morgen nach der Ablösung der Bayern gemeldet. Aus dieser Meldung sprach, wenn auch nicht Furcht, so doch Besorgnis und Große hatte Ursache besorgt zu sein: Er lag mit seinen 60 Gewehren allein in weit verschobener Stellung, nicht in den Geröllhalden auf dem Sattel selbst, sondern mehrere hundert Meter südlich darüber hinaus, wo das Gelände zunächst abfiel und dann noch einmal etwas anstieg. Zu beiden Seiten, sogar etwas hinter ihm, standen die vom Feinde besetzten Tofanagipfel in steilen Felswänden 700 m über ihm und bedrohten ihn von den Flanken und im Rücken. Ihm gegenüber, höher als er selbst, lagen italienische Alpenjäger im unübersehbaren Klippengewirr der Felsen und in einer Stellung von viel größerer Ausdehnung als die seinige. Sie hatten ihre Flügel vorgeschoben und an die schroffen Felswände gelehnt. So war Große in einem Zweidrittelkreis vom Feinde umgeben. Als er das erkannt hatte, bog er die Flügel seines Zuges noch schärfer zurück, so daß seine Stellung einem Ringe glich, der durch zu große Beanspruchung an einer Stelle geborsten und im ganzen ein wenig in die Länge gezogen ist. Die offene Stelle lag nach rückwärts zu an dem über der Fontana Negra-Scharte zur Wolf Glanvell-Hütte führenden Felsensteig. Mit einigen Gewehren konnte der Ring jederzeit geschlossen werden. Der Weg bis zur Wolf Glanvell-Hütte war sehr beschwerlich. Denn von der Fontana Negra-Scharte fiel eine senkrechte Wand von 200 m ins Tal hinab. Sie war nur auf eisernen Sprossen, die schräg ansteigend in den Fels geschlagen waren, besteigbar. Für jeden feldmarschmäßig ausgerüsteten Jäger war der Aufstieg ein Wagnis auf Leben und Tod. Dennoch hatte der Zug ohne Unfall, und ohne daß ein Mann zurückgeblieben war, den Sattel erreicht. Der Feind benahm sich vom ersten Tage an unruhig und aufgeregt. Seine Schüsse [59] prasselten bald salvenartig, bald in langen Abständen einzeln herab, ohne je ganz zu verhallen. Die Jäger waren hinter ihren Felsen gut gedeckt und erwiderten aus festen Schießscharten das Feuer gleichmäßig ruhig. In jedem Ziele, das der Gegner unvorsichtig bot, saßen blitzschnell ihre Kugeln. Leutnant Große befahl sparsamsten Munitionsverbrauch. Es hatte sich von selbst ergeben, daß nur die besseren Schützen mit ihren Zielfernrohrgewehren schossen, während die übrigen den Einschlag beobachteten. Das war den ganzen Tag über ein musterhaftes Arbeiten, getragen von selbstverständlichem Ernst und ruhiger Freude am Erfolg. Als der erste Abend heraufkam, hatte der Zug nur zwei Leichtverwundete. Große schickte sie zur Wolf Glanvell-Hütte zurück mit der Meldung über den Tagesverlauf und einer Skizze von der eigenen und der feindlichen Stellung. Er schilderte sachlich knapp die Ereignisse und bat um Munition. An einem bevorstehenden Angriff des Feindes wäre nicht zu zweifeln, aber man könnte ihm mit Zuversicht entgegensehen, wenn nur genügend Patronen da wären. Die Nacht verlief ruhiger als der Tag. Gegen Morgen kamen von der Wolf Glanvell-Hütte ein paar tausend Patronen. Große hatte Posten vorgeschoben. Einigen von ihnen war es gelungen, die Wände der Tofana di Roces zu ersteigen, so daß sie den Gegner überhöhten und wirksam beschießen konnten, während ihnen von dem Gipfel keine unmittelbare Gefahr drohte. Dieser Posten wurde auf vier Mann verstärkt und blieb auch tagsüber stehen. Alle übrigen zog Große in der Morgendämmerung ein. Der zweite Tag war ähnlich dem ersten, nur die Heftigkeit des Feindes schien noch gewachsen zu sein. Seine Wut richtete sich besonders gegen den vorgeschobenen Posten, der am Abend fast seine ganze Munition verfeuert hatte. An diesem Tage meldete Große zwei Tote und vier Verwundete. In der Nacht brachte eine Trägerabteilung Verpflegung und Munition und als der dritte Tag anbrach, war der Zug mit allem Notwendigen reichlich versehen. Der Feind änderte seine Taktik: Er benutzte das Morgenlicht nicht wie sonst, um seine Gewehre knattern zu lassen, sondern blieb ruhig, als wollte er nichts davon wissen, daß der neue Tag über die Berge kam, und gab auch den Jägern keine Gelegenheit ihre Treffkunst zu zeigen. Wie ausgestorben lagen die Felsen da, in denen er saß. Sie waren noch von ungewissem Grau umhüllt, und nur wo sie den lichten Morgenhimmel zum Hintergrund hatten, traten ihre Umrisse scharf hervor. Aber die Jäger fühlten es: das war die Stille vor dem Sturm und sahen dem Kommenden mit schußfertigem Gewehr ruhig entgegen. Da ging es drüben mit einem Schlage aus tausend Gewehren los: [60] Von allen Seiten rasten die Geschosse herab mit einer Heftigkeit, wie wenn sie die Steine, die den Jägern als Deckung dienten, zerreißen wollten. Maschinengewehre hämmerten ununterbrochen. Es schien, als ob das Gestein selbst Kugeln spie, denn vom Feinde war nicht das geringste zu sehen, so gut hatte er sich versteckt, so geschickt benutzte er das Dämmerlicht. Nur schießende, lärmende, hämmernde, rasend gewordene, Tod und Verderben speiende Steine, Felsen, Kamine und Schluchten. Jedes Winkelchen, jede Zacke, jeder Spalt, jeder Vorsprung war von dem Wahnsinn erfaßt und half mit. Und alle Wut entlud sich gegen das Häuflein der sechzig Jäger! Während die Kugeln und Steinsplitter ihnen um die Köpfe schwirrten, daß die Luft staubig wurde vom zerriebenen Dolomitfelsen, lugten sie scharf durch die Schießscharten, spähten sie vorsichtig über die Kanten der schützenden Steine, um den Feind vom ersten Augenblick seines Vorgehens an im Zielfernrohr zu haben. Und der Augenblick kam: Eine Viertelstunde nur währte das Schießen. Dann brach es plötzlich ab und wich sekundenlanger Lautlosigkeit. Dann aber waren alle Felsen belebt. Im Nu wimmelten sie von grauen Gestalten, die aus allen Verstecken des zerklüfteten Bodens hervorquollen, von Stein zu Stein sprangen, sich katzenartig duckten, über Felsen kletterten, hinfielen, weiterhasteten, vorwärts stürmten und taumelten, ihren Führern folgend und jeden Zögernden mit sich reißend, fasziniert von einem herrischen Willen, der alle rücksichtslos nach einem einzigen Punkt hinpeitschte. Und die Gewehre der deutschen Jäger hielten unter ihnen reiche Ernte. Wohl fluteten die Wellen der Italiener anfangs machtvoll vor, dann aber brachen die Vordersten zusammen, stutzten die Nächsten vor den blutenden Leibern und verzweifelten Blicken der Sterbenden und zögerten hinter den Steinen länger als die Atempause es erforderte. Zwar sprangen sie wieder vor, zwar drängte die nächste Welle mit neuer Kraft nach, aber es war doch ein Zögern in ihren Reihen und ein Erlahmen ihres Ungestüms. Und als die Jäger eine Zone schufen, über die auch der Mutigste nicht lebend hinüberkam, da geriet die Flut ins Stocken und stand schließlich still. Der erste Ansturm war abgeschlagen. Der Feind saß wieder hinter Felsen und wagte sich nicht hervor, es sei denn, um zurückzukriechen und besseren Schutz zu gewinnen. Die Jäger hatten keinen Zoll breit Boden preisgegeben. Aber erst dieser Angriff hatte ihnen die Gefahr, in der sie schwebten, unverhüllt gezeigt. Der Gegner war zwei Bataillone stark, und sein erster Ansturm hatte ein Drittel ihrer Patronen verbraucht. [61] Als Große seine Leute fragte, wer zur Wolf Glanvell-Hütte hinabgehen wollte, um Hilfe und Munition zu holen, meldeten sich fast alle freiwillig dazu. Er schickte zwei auf den gefahrvollen Weg. Der eine hatte kaum die Deckung verlassen, da brach er unter dem Feuer des Feindes zusammen. Der andere schien gegen alle Kugeln gefeit zu sein und verschwand hinter der Fontana Negra-Scharte. Doch dort traf ihn dasselbe Los, als er sich schon gerettet glaubte. Die Jäger aber sahen dies nicht und nährten ihre Hoffnung auf Hilfe von Stunde zu Stunde. Bald nach Mittag begann der Tanz von neuem: Wieder schickte der Gegner seinem Angriff einen wütenden Feuerüberfall voraus; wieder blieben die Nerven der Jäger stark, daß keine ihrer Patronen verschwendet werde. Und die Sturmwellen der Italiener stürzten sich zum zweiten Male in die deutschen Kugeln. Vor allem wollte der Feind den Vorposten überwältigen. Dazu hatte er den Gipfel der Tofana di Roces in Massen erstiegen und versuchte nun, im Feuer der Jäger an den Hängen herabzuklettern und sich dem Posten von oben zu nähern. Er zeigte eine Entschlossenheit, die sich durch nichts beirren ließ und kein Opfer scheute. Die Kugeln der Jäger fegten die Kletternden mit furchtbarer Treffsicherheit von den Felsen herab. Jeder haltsuchende Arm, jeder tastende Fuß genügte ihrem Zielfernrohre und der Feind fiel mit zerschmetterten Gliedern, oft laut schreiend, in die Tiefe. Man hörte trotz allen Lärms den dumpfen Ton der aufschlagenden Körper. Es gelang dem Angreifer, auf der Tofana di Roces bis auf Handgranatenwurfweite an den Posten heranzukommen. Ein wilder Kampf entbrannte. Die vier Jäger wehrten sich mit dem Mut, der jede übermenschliche Aufgabe heiligt. Der laute Knall ihrer Handgranaten beherrschte alles Getöse. Ihre Gewehre arbeiteten fieberhaft und wurden den von drei Seiten herankriechenden, keuchenden, stürmenden, kletternden Italienern oft ohne Zielen ins Gesicht hinein abgedrückt. Alle Energie des Gegners richtete sich auf diesen Brennpunkt des Angriffs und der Verteidigung. Seine Maschinengewehre hämmerten unaufhörlich gegen das kleine Felsennest. Aber alle Kugeln prallten am Dolomitfelsen wirkungslos ab. Von den Felsen der Tofana di Roces flogen Handgranaten. Sie trafen vorbei. Plötzlich fiel eine von ihnen zischend mitten unter die Jäger. Blitzschnell flog sie zurück und krepierte beim Feind. Und die Vier kämpften weiter mit Riesenkraft. Als sie keine Handgranaten mehr hatten, schleuderten sie dem Gegner, der auch von unten andrängte, Felsblöcke entgegen, selbst auf die Gefahr hin, ihre Deckung dabei abzubauen. [62] Doch dann traf sie Schlag auf Schlag. Der eine fiel vornüber und blieb tot auf der Brustwehr liegen, der zweite brach ächzend zusammen, und die beiden letzten erlagen einer gut gezielten Handgranate. Der Feind hatte den Posten auf den Hängen der Tofana di Roces überrannt. Leutnant Große war an der linken Schulter verwundet und konnte den Arm nicht mehr gebrauchen. Er legte das Gewehr auf und schoß mit der rechten Hand allein. Es sah traurig aus bei seinem Zug. Die Italiener hatten während des zweiten Angriffes ihr Feuer nicht eingestellt, sondern unterstützten den Sturm von beherrschenden Punkten aus mit Maschinengewehren und Schützen. Und da die Jäger in der Hitze des Gefechts auf die eigene Sicherheit wenig acht gegeben und sich oft hoch über die Deckung erhoben hatten, um besser schießen zu können, war mancher von ihnen den Kugeln zum Opfer gefallen. Nach der Überwindung des Vorpostens durch den Feind zählte die Schar um Große noch dreißig Schützen. Nur wenige waren ganz unverwundet. Doch in den Felsen vor ihrer Stellung verblutete auch der zweite Angriff des Gegners. Da wartete der Feind bis zur Abenddämmerung. Die Jäger verbanden einander ihre Wunden und gaben die Hoffnung auf rechtzeitige Hilfe nicht auf. Unablässig wanderten ihre Blicke zur Fontana Negra-Scharte, aber von Stunde zu Stunde verloren sie an Zuversicht. Ein junger Jäger, dessen Glieder noch heil waren, wollte noch einmal den Versuch wagen, die Verbindung mit der Wolf Glanvell-Hütte herzustellen. Er sprang, geschickt jede Deckung benutzend, von Felsen zu Felsen und kam unverwundet durch die Spießrutengasse der um ihn einschlagenden Geschosse. Da atmeten die Jäger noch einmal erleichtert auf, denn nun mußte die Hilfe vor Dunkelheit da sein. Aber der Feind hatte es eilig: Kaum verschwand die Sonne hinter dem Gipfel der Tofana, da brach er zum dritten Male vor. Es war die letzte Kraftprobe auf beiden Seiten, ein zähneknirschendes, letztes Zusammenraffen aller Energie. Wer in diesem Ringen seinen Willen durchsetzte, der blieb endgültiger Sieger; das wußte jeder von den Kämpfenden. Der maßlose, zur Einheit geschmiedete Wille von tausend Feinden brandete hoch auflodernd gegen die Stellung der Dreißig, brandete mit seiner tausendfachen Wut und zerschellte beim ersten Anprall. Zwei Stahlmassen schlugen mit ungeheurem Getöse aneinander, aber die eine erwies sich härter als die andere und zersprengte diese. In dem Wall krepierender Handgranaten, den die Jäger um sich herumgelegt hatten, erstickte der Angriff des Feindes. [63] Danach trat eine Pause ein. Leutnant Große war durch einen Beinschuß zu Boden gestreckt; von seinen Leuten blieben noch sechzehn kampffähig. Er ließ sich auf einen Fels der Brustwehr legen, um mit dem unverwundeten rechten Arm schießen zu können. Dann zählten sie ihre Patronen und verteilten sie untereinander. Sie hatten zusammen noch 30 Schuß. Wieder hingen ihre Blicke minutenlang an der Fontana Negra-Scharte. Der Feind raffte sich noch einmal auf und löschte ihnen den letzten Hoffnungsschimmer. Wohl an die dreißig Italiener der vordersten Linien fielen, der Ansturm stockte noch einmal. Dann vernichteten die Jäger ihre Gewehre und warteten auf das Kommen des Feindes. Als auf deutscher Seite kein Schuß mehr fiel, kam er zögernd und ohne Triumph herbei. — Die Gipfel der Dolomiten glühten im Golde der untergehenden Sonne und ehrten das kleine Häuflein der Gefangenen, das blutend, langsam über die Felsen der Fontana Negra gegen Süden hinabkletterte. Der taktische Erfolg der Italiener war gering, denn, als sie nach Überwindung des Zuges Große gegen die Fontana Negra-Scharte vordrangen, stießen sie dort auf neue deutsche Truppen, die zum Teil noch im Anstieg aus dem Travenanzestal begriffen waren. Der Kampf um die Fontana Negra begann wieder.
II. Es gab kaum eine Felsenstellung in den Dolomiten, die so ständig in einem Kleinkrieg von Gefechten lag, wie jene in der Fontana Negra. Aber es gab auch keine österreichische Hochgebirgsstellung, die ein so jämmerlich unglückliches Dasein fristen mußte, wie diese Felsenfalle zwischen den Drei Tofanen (Abbildungen 46, 47 u. 49). Nach den unglücklichen Kämpfen, die schon die Jäger des Deutschen Alpenkorps auf der Fontana Negra-Scharte zu bestehen hatten, folgte eine Reihe von Kleinkämpfen und Patrouillengefechten, die mit zäher Erbitterung geführt wurden und die Verteidigung immer wieder zu einem langsamen Zurückweichen zwangen. Es erscheint wie ein Rätsel, daß diese eigenartigste aller Felsenstellungen überhaupt so lange zu halten war. Die österreichische Stellung im Fontana-Negra-Kar hatte den Feind fast bis zu einem Ring geschlossen um sich. Nirgends stand der Gegner auf gleicher Höhe, sondern [64] überhöhte in diesem drohenden Felszirkus die österreichischen Stellungen in jeder Höhenlage von 100 bis zu 1000 m. Dazu hing der Rücken dieser unhaltbaren Frontlinie vollkommen in der Luft. Hinter den österreichischen Felsgräben und Kavernen schoß das Trümmerfeld des Kares steil in die Tiefe und endete weit unten in eine senkrechte Felswand, die in einer Höhe von 100–200 m glatt und undurchsteiglich in das Travenanzestal abfiel. Durch diese Felswand führte über Leitern aus Eisenstiften der Zugang in das Kar. Schon die Begehung dieser Leitern war äußerst anstrengend und gefährlich. Aus der Felsenfalle in der Fontana Negra gab es für die österreichische Besatzung kein Entrinnen, weder in der Flanke, noch nach rückwärts. In schütterer Linie zogen sich die nur notdürftig ausgebauten Stellungsanlagen durch das Trümmerkar von einer Felswand zur anderen. Riesige, haushohe Blöcke mitten drin, waren mit ihren eingebohrten Kavernen die Pfeiler der Stellung.
Hoch oben in den Felsgraten der Bergmassive, die das Kar einschlossen, hatte die todgeweihte Stellung zwei Flügelstützpunkte. Einsam und verlassen thronten sie viele hundert Meter über der Hauptstellung: In den Wänden, die von den Tofanen II und III gegen das Kar und in das Travenanzes abfielen, die Felsenfeldwache "Nemesis"; im scharfgeschnittenen Grat, der von der Tofana I gegen Norden abfiel, die Feldwache "Dickschädel" (Abb. 46 u. 47). Einsame, verlorene Posten, für die es nur drei Dinge gab, wenn ein entscheidender Angriff der Italiener einsetzen würde: Der Tod auf der Feldwache, Absturz über die Felsen oder Gefangennahme. Ein Entrinnen gab es nicht. Vom Feinde im Halbkreis überhöht und eingesehen, bedroht aus Stellungen auf 1000 m höheren Bergspitzen, auf denen Batterien standen und Scheinwerfer, umgeben von Felswänden, aus denen bei Tage als Echo auf jede kleinste Bewegung die feindlichen Maschinengewehre krachten, konnte die Besatzung in der Fontana Negra nur nachts notdürftig an ihren Stellungen arbeiten und diese verbessern. Es gab bei Tag kein Leben in dieser Felseinöde, alles, was in die Stellung kam und aus ihr ging, mußte den Schutz der Nacht haben. Wenn heller Tag und Sonne auch diesem fürchterlichen Ort Bergschönheit gaben, lag alles Leben und Treiben in den österreichischen Linien unter den silbergrauen Felsen der Dolomiten. Als der Winter auch den Feind auf den Bergen ringsum zu teilweiser Untätigkeit zwang, erwuchs den armen Leuten unten im Kar ein neuer, furchtbarer Feind aus den Wänden der Tofanen: Die Lawinen. Von allen Seiten rauschten sie wie ungeheure Wasserfälle über die Steilwände herab und begruben Unterstände und Kavernen zu weißen Gräbern. So hatte die Stellung im Kar der Fontana Negra über ein Jahr einen einsamen, aussichtslosen Kampf gegen die Macht der Berge und den Feind auf ihnen gekämpft, täglich und stündlich gekämpft und war immer unterlegen. Am 9. Juli 1916 fiel die Fontana-Negra-Stellung endgültig. Zu dieser Zeit war sie vom Hochgebirgsdetachement des Kaiserjägerhauptmanns Lap besetzt. Als am jenseitigen Fuße der Tofana di Roces im Felskörper der Punta dei Bois- [65] Castelletto die 35 000 kg Sprenggelatine an einer winzigen Zündschnur hingen, um die uneinnehmbaren österreichischen Stellungen auf ihr in die Luft zu zerstäuben, setzte, wie es der große Angriffsplan der Italiener vorsah, zuerst ein Durchbruchsversuch im Fontana Negra-Kar ein. Am 8. Juli begann das Vorbereitungsfeuer der Italiener aus schwersten Geschützen in den Felsenkessel zu schlagen. In der Nacht auf den 9. Juli lag dichtester Nebel auf den Kampfgräben. Um 2 Uhr nachts begann überfallsartig ein rasendes Feuer der italienischen Artillerie aus allen Kalibern und aus Minenwerfern, das eine Stunde dauerte. Ein Maschinengewehr begann aus den Felswänden der Tofana II in den Rücken der Besatzung zu schießen. Standhaft und unverdrossen überstand die Besatzung das Trommelfeuer, nur notdürftig hinter Felsblöcken gedeckt, und erwartete den Angriff. Inzwischen hatten die italienischen Angriffstruppen im Schutze der Nacht, des Nebels und des Trommelfeuers in den Felsen des Kessels die österreichischen Stellungen umgangen und eingeschlossen. Nun folgte der Angriff, der sich mit besonderer Wucht gegen den linken Flügel konzentrierte. Schon bei der Verlegung des Trommelfeuers war es den Italienern gelungen, den rechten Flügel der Österreicher auszuheben. In der kurzen Pause zwischen dem Einstellen des Trommelfeuers und dem Beginn des Angriffs hörte Hauptmann Lap in nächster Nähe italienische Stimmen. Italienisch rief er durch den Nebel die Unsichtbaren an und frug nach dem Losungswort. "Brescia e Cecilia", kam es zurück. Nun wußte man, daß der Feind den rechten Flügel bereits eingedrückt hatte. Mit wenigen Jägern warf sich Hauptmann Lap den eingedrungenen Italienern entgegen und verjagte sie mit Handgranaten. Von vorne, in der Flanke und im Rücken wurde der linke Flügel von dem übermächtigen Angriff der Italiener erfaßt. Mit einer gewaltigen Übermacht drang der Gegner vor, nur der unverwundete Rest von 70 Mann des Hochgebirgsdetachements stand dem angreifenden Alpinibataillon Antelao gegenüber. Eine unheimliche Verwirrung setzte ein. Es gab keine einheitliche Führung mehr, jeder Mann wurde in der undurchdringlichen Finsternis der Nacht zum Einzelkämpfer. Wo der Feind hinter den Felsblöcken hervorbrach, sprangen ihm die Verteidiger entgegen, und wehrten ihn mit Handgranaten und im Handgemenge ab. Mit äußerstem Geschick nützten die Kaiserjäger ihre genaue Kenntnis dieses Felsenlabyrinths aus, in dem sich der Gegner nicht voll entfalten konnte und unsicher umhertappte. Immer wieder drangen Sturmscharen des Feindes vor. Schon währte dieser höllische nächtliche Kampf zwischen den Trümmern des Kars Stunden. Da begann sich plötzlich ein empfindlicher Mangel an Munition bemerkbar zu machen. Die letzten Reste des Häufleins der Verteidiger drängten sich beim Kavernenfelsen zusammen, wo noch etwas Munition aufgestapelt lag. Dem Feind war es gelungen, einige große Felsblöcke zu erklettern und nun wütete der Kampf von Felsblock zu Felsblock. Mit einem geschlossenen Angriff ging der Feind gegen das letzte Bollwerk der Ver- [66] teidigung beim Kavernenfelsen vor. Hauptmann Lap sank durch einen Handgranatensplitter und einen Schuß an Fuß und Schulter verwundet zusammen. Mit letzter Kraft gelang es den Jägern, den Platz vor dem Kavernenfelsen zu säubern und ihren verwundeten Hauptmann durch den hochgelegenen Eingang in die Kaverne zu schaffen. Nun saß der Rest der Verteidiger mit einer Anzahl gefangener Italiener in der Felskaverne. Verzweifelt versuchte ein Fähnrich mit einer Handvoll unverwundeter Leute zweimal aus der Kaverne auszubrechen. Jedes Mal konnte er für kurze Zeit den Eingang vom Feinde säubern. Aber bald wurde der Kavernenfelsen vollkommen umzingelt, der Ring war geschlossen, aus dem es kein Entrinnen gab. Das halb zerstörte Maschinengewehr in der Kaverne konnte nur mehr Einzelschüsse abgeben, die Leute hatten keine Handgranaten und keine Gewehrmunition mehr. Fast alle waren verwundet. Jede Hoffnung auf Hilfe aus dem Travenanzes war geschwunden. Da flogen italienische Handgranaten in die Kaverne, ein Flammenwerfer begann durch die Schießscharten seine teuflischen Schwaden zu speien. Um 6 Uhr früh, nach dreistündigem, heldenhaftem Kampf in Nacht und Nebel dieses Hexenkessels streckten die Letzten von der Fontana Negra die Waffen. Das Detachement Hauptmann Lap war nicht mehr, alle waren gefallen, verwundet oder gefangen. Nur ein Mann entkam und konnte sich in das Travenanzes durchschlagen. Fast auf den Tag genau waren ein Jahr früher die blutenden Reste der preußischen Jäger über die Fontana Negra-Scharte gezogen, dem Süden, der Gefangenschaft zu. Jetzt zog ein Trupp Kaiserjäger den gleichen Weg. Helden der Fontana Negra.
Auch zum "Dickschädel" kletterten die italienischen Sturmpatrouillen über den Nordgrat von der Tofana I hinunter und wollten ihn über die Felsen hinabwerfen. Aber der "Dickschädel" machte seinem Namen alle Ehre, und schickte den Feind mit blutigen Köpfen zurück. Noch als die Hauptstellung gefallen war, wehrte sich der Kommandant des "Dickschädels", Fähnrich Schlachter, mit seinen 16 Kaiserjägern erbittert. Den ganzen 9. Juli noch kämpfte die Besatzung auf ihrer Felsenkanzel zwischen Himmel und Erde. Am 10. Juli war auch bei ihnen die Munition zu Ende. In weitem Bogen schmetterten die Kaiserjäger ihre Gewehre über die Felswände viele hundert Meter tief ins Travenanzes hinunter. Und mußten dann den gleichen Weg ziehen, wie am Tage vorher ihre Kameraden von der Hauptstellung.
[67] Nur die "Nemesis" entkam. Von allen Seiten umringt und ohne Munition, mußten sie sehen, wie ihre Kameraden gefangen durch das Kar abgeführt wurden. Da die leichteren Kletterwege, die den Zugang aus dem Kar bildeten, vom Feinde verrammelt waren, seilten sich die Leute der "Nemesis" über die senkrechten Felswände in das Travenanzes ab. Vier Tage währte diese abenteuerliche Flucht durch die Felsen, dann konnte der Kommandant der "Nemesis" das Eintreffen der Feldwache seinem Kommando melden.
Als man in der Nacht des 9. Juli unten im Travenanzestal besorgt das fürchterliche Wettern in der Fontana Negra hörte und jede Nachricht ausblieb, was dort oben geschehen war, kletterte der Abschnittskommandant Kaiserschützenhauptmann Baborka mit einer kleinen Anzahl Freiwilliger in das Kar hinauf. Keiner kehrte zurück. Viele Tage später fanden die italienischen Truppen die Leiche des Hauptmanns zwischen den Felstrümmern. Da wußte man, daß die Fontana Negra-Stellung endgültig gefallen war.
Verblutet Mann für Mann, Nur Lieder werden melden, Was Großes sie getan. Br. Willram.
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