Teil 5 - "Persilscheinhandel" und Selbstbetrug
Seine Idee der Verbindung von Nationalismus und Sozialismus war gewiß eine neue und
sehr gute. Dadurch gelang es ihm, die größten Gegensätze im Volk
auszugleichen und so einen inneren Frieden herzustellen, wie es ihn in keinem Volk dieser Erde
vorher oder nachher gegeben hat. Dieser wohl einzigartige Zustand dauerte in etwa von 1933 bis
zur Olympiade 1936. Von da an begann sich eine Veränderung einzuschleichen, die sich
sehr viel später, gegen Ende des Krieges, öffentlich bemerkbar machte.
Der erste Anstoß dazu war die Entmachtung der SA, die am 30. Juni 1934 begann. Sie war
ein entscheidender Schlag gegen die nationalsozialistische Revolution. Ich habe dies am Abend
des 30. Juni 1934 zum ersten Mal zu spüren bekommen. Ich war mit meiner Alexandra
beim Ehepaar Goebbels zu Besuch, als Hitler, eben in Berlin angekommen, uns eingehend und
genau berichtete, wie dieser fatale Tag für ihn verlaufen war. Er wußte, daß
ich
Truppführer der SA war und einer von drei Adjutanten
des SA-Obergruppenführers der SA-Gruppe Berlin-Brandenburg, allerdings
nur pro forma - dispensiert vom SA-Dienst als Adjutant des Ministers.
Während dieses Gesprächs am Abend jenes erschütternden Tages fragte
mich
Hitler ganz unvermittelt: "Wo sind Sie eigentlich heute gewesen - der Obergruppenführer
Ernst, Ihr Vorgesetzter, war doch auf der Flucht gefaßt
worden - und ist inzwischen erschossen!" Ich antwortete, ich habe im Ministerium wie immer
Dienst getan. "Da haben Sie aber Glück gehabt. Wenn Sie mit Ernst zusammen
geschnappt
worden wären, hätte ich Sie wohl kaum retten können." Diese Antwort traf
mich wie ein Strahl eiskalten Wassers. Auch meine Frau war empört, sie hat ihm diese
Antwort niemals verziehen.
Es war ohne Zweifel richtig, daß er gegen Röhm und die Korrupten unter den
höheren SA-Führern mit aller Schärfe vorging, insbesondere daß er das
in höchster Gefahr persönlich tat. Aber er durfte keinesfalls zulassen, daß
seine SA - das Rückgrat der Revolution - die er zu einmaliger Selbstdisziplin erzogen
hatte,
nun politisch ausgeschaltet wurde. Er gab damit die Revolution frei für ganz andere
Kräfte - und das war der Anfang vom Ende.
Unter den Erschossenen - und zwar zu Unrecht Erschossenen - waren zwei meiner besten
Freunde: Gruppenführer Schneidhuber und Freiherr von Wechmar,
Brigadeführer.
Natürlich haben wir uns - mehr als irgendjemand sonst - jahrelang gefragt, warum Hitler
so
handelte. Drei Faktoren haben ihn dazu gedrängt: Die Partei (später unter
Einfluß von Bormann), der Reichsführer SS Heinrich Himmler, welcher eine eigene
Macht aufzubauen im Begriff war, und der einstige Stabschef der SA, Hermann Göring,
der
nun glaubte, eine nationalsozialistische Luftwaffe als Hausmacht aufbauen zu können.
Als am 30. Juni 1934 nachmittags gegen 17 Uhr Adolf Hitler aus München kommend in
Tempelhof landete, war zum ersten Mal eine Kompanie der Luftwaffe zum Ehrensalut
angetreten.
Hitler sollte dadurch überrascht und erfreut werden. Hitlers Gesicht verfinsterte sich
jedoch,
er nahm von der Luftwaffe so gut wie keine Kenntnis, und Goebbels war wütend.
Als ich am Vormittag dieses gleichen Tages in meinem Büro am Wilhelmplatz saß
und auf meinen Minister wartete, erschien Göring plötzlich bei mir. Er
begrüßte mich und ging sofort zum großen Fenster, trommelte mit seinen
Fingern an die Fensterscheibe und sagte, ohne mich anzusehen: "Wissen Sie eigentlich, was los
ist?" Ich antwortete, daß ich fast nichts wisse. Da sagte er, für mich völlig
unverständlich: "Der Stabchef Röhm wird heute erschossen." Röhm, der
außerdem Reichsminister war, hat sich selbst erschossen, und das zu Recht, weil er
nämlich als Stabchef der SA völlig unmöglich, obendrein menschlich
verkommen und daher ein Verräter war. Die Wehrmacht scheint mir eine Doppelrolle
gespielt zu haben.
Der Ausfall der SA brachte automatisch eine Zurücksetzung der "Alten Garde" der
NSDAP
mit sich, denn die meisten Angehörigen der "Alten Garde" gehörten schon seit
vielen
Jahren auch der SA an. Somit führte der 30. Juni 1934 langsam aber sicher zur
Ausschaltung der Revolution. Sie fand fortan nur noch sozusagen "im Saale" statt.
Und damit war der Weg frei für all jene, welche nun so bald wie möglich der Partei
beitreten wollten, um auf irgend eine Weise am äußeren Erfolg dieses Staates und
Volkes mitzuverdienen. Diese Menschen wurden von den eigentlichen
Nationalsozialisten
verächtlich die "Nazis" genannt. Mit ihnen und durch sie wurde die Partei immer
bürokratischer. Die "Alten Kämpfer" fühlten sich in ihr nicht mehr wohl und
verkrochen sich in der SA oder der "Alten Garde".
Dies empfanden wir umso tragischer, als jetzt die Jahre kamen, in denen der eigentliche Aufbau
einsetzen konnte, denn Hitler hatte Ordnung geschaffen, das Volk war glücklich und einig
wie nie, die Industrie entwickelte sich mächtig, der Export wuchs beachtlich, und im
Mittelpunkt der ganzen Entwicklung stand der deutsche Arbeiter der Stirne und
der Faust - angesehen, geachtet und frohgemut.
Was erstreben Menschen wohl, die frei und glücklich leben und stolz sein können
auf ihren und ihres Volkes Fortschritt? Eine Familie, ein Heim, Kinder! Das ist immer und
überall so gewesen. Ein Blick in die Statistiken der dreißiger Jahre beweist mehr als
alle Wahlresultate, daß das deutsche Volk damals sehr zufrieden war und mit einem
langen
Frieden rechnete. Wenn einer behauptet, es hätte vor 1944 einen nennenswerten
Widerstand
im Volk gegen Adolf Hitler und seine Regierung gegeben, dann fehlen ihm entweder jegliche
grundlegende Kenntnisse über die damalige
Zeit - oder er ist ein ganz gemeiner Lügner!
Millionen deutsche Menschen haben 1945/46 geglaubt, sich nur durch Lügen retten zu
können. Täglich wurden
ihnen - gratis vom Feind - die raffiniertesten Lügen entweder auf Umwegen oder direkt
frei
Haus geliefert. So entstand jenes grauenhafte Unwesen des "Persilscheinhandels", durch den sich
Millionen auf Kosten der Wahrheit und Ehre des ganzen Volkes "retteten".
Es ist wohl nirgends in der Weit so viel und so phantasievoll gelogen worden wie im
Deutschland
der Nachkriegszeit - ich glaube, vor allem in Westdeutschland. Da mehr oder weniger alle
Deutschen, vor allem während der Kriegsjahre, sich in irgend einer Form für das
nationalsozialistische Reich eingesetzt hatten, war ein Wiederaufbau nach 1945 völlig
undenkbar ohne diese mehr als 90% des ganzen Volkes.
Ganz sicher hatten all jene, welche beim Wiederaufbau des neuen Staates die sowohl beruflich
als
auch politisch notwendige Mitarbeit erbrachten, ihre Leistungsfähigkeit zuvor im
Hitlerreich erlernt und eingesetzt. Es ist daher keineswegs übertrieben, wenn wir sagen,
daß der Mut, die Entschlossenheit, der Zusammenhalt und vor allem der Glaube an
Deutschland - alles Eigenschaften, ohne die der Wiederaufbau aus Trümmern niemals
möglich gewesen
wäre - aus genau jenem Deutschland stammte, das nunmehr auf das übelste
verleumdet wurde.
Den Wiederaufbau Deutschlands verdanken wir einem deutschen Volk, welches die
dreißiger Jahre erlebte und somit die damit verbundene Einstellung zu Volk und Staat,
zum
Leben überhaupt und der daraus resultierenden Erziehung mitbrachte. Wenn sich die
heutige Generation vor die gleiche Aufgabe gestellt sähe wie damals, von 1945 bis 1952,
die Hitlergeneration, dann würde aus dem Wiederaufbau wohl so gut wie nichts geworden
sein. Ohne die großen, ewigen Ideale kann eben niemals etwas wirklich Wesentliches
für Volk und Staat entstehen!
Der erste Nachkriegsbundeskanzler, Dr. Konrad Adenauer - mir seit meiner Studienzeit
persönlich gut
bekannt - gehörte ja selbst dazu. Er bemühte sich unter Hitler
außerordentlich,
wieder Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt (Köln) zu werden.
Hitler
zweifelte nicht an Adenauers Fähigkeiten, glaubte aber, ihn wegen dessen Haltung zur
Zeit
des rheinischen Separatismus jetzt keinesfalls so bevorzugt einsetzen zu können. Er
ordnete
aber an, daß Dr. Adenauer von ihm eine jährliche Pension von
RM 40,000,-- bekam. Das erzählte mir Reichsminister Dr. Lammers nach dem Kriege. Er
war selbst deswegen bei Hitler vorstellig geworden und somit der beste Zeuge.
Sowohl Bundeskanzler Dr. Adenauer als auch sein Nachfolger Dr. Kurt Georg
Kiesinger - seinerseits Verbindungsmann des Reichsaußenministers von Ribbentrop zum
Reichspropagandaminister Dr.
Goebbels - wußten sicher genug der Dinge, um der Verleumdung des Deutschen Volkes
vor
aller Welt energisch
entgegenzutreten - unterließen dies aber wohlweislich!
Die Persilscheine waren die Voraussetzung für das Heer der Verleumder. So entstand
nicht
aus Überzeugung oder gar aus Treue zu Volk und Staat und um des Friedens mit den
ehemaligen Feindmächten willen eine Klarstellung der
Vergangenheit - sondern aus millionenfachen Ängsten hinsichtlich der
Abhängigkeit
von den Feindmächten und der scheinbaren Aussichtslosigkeit auf den
Friedensschluß - eine fast allgemeine, höchst demoralisierende Lügerei,
welche
jede wirklich deutsche Außenpolitik aufs äußerste belastete und somit den
inneren Frieden aus ethischen und moralischen Gründen unmöglich machte.
Und je mehr die wirklichen Zeugen aussterben, umso weniger Möglichkeiten hat dieses
Volk, jemals wieder zur vollen Wahrheit über sich selbst zurückzukehren.
Solange aber ein Volk in dieser Weise - zu Recht oder zu Unrecht - belastet ist, wird es
unmöglich frei sein können in seinen Entschlüssen, in seiner Politik, letzthin
in seinem Leben überhaupt. So lange wird es nämlich von anderen Völkern
erpreßt werden - und so lange wird auch die Erpresserei im Volke selbst kein Ende
finden.
Was haben die Nachkriegsregierungen Westdeutschlands dagegen getan? Genau das Falscheste!
Sie haben die Ehre des Volkes zu erbetteln und erkaufen versucht. Aber mit Kniefällen
und
mit Zahlungen macht man eine solche Situation nur noch viel
schlimmer - niemals besser. Denn jeder einigermaßen venünftige Mensch
draußen in anderen Ländern muß sich doch sagen: Wer so kniet und wer so
zahlt, dessen Gewissen muß einfach unerhört schlecht sein!
Und wenn wir heute sagen: "Das, was uns da vorgeworfen wird, stimmt doch gar
nicht - das ist zumindest zum weitaus größten Teil völlig erlogen!", dann
wird
man uns entgegenhalten: Wenn das wirklich
so ist - wie wir es übrigens von Anfang an eher vermutet haben - dann seid Ihr Deutschen
heutzutage dermaßen üble Gesellen, daß wir erst recht keine Achtung mehr
vor
Euch haben können. Dann seid Ihr
nämlich - um Eures Exportes willen - einfach zu feige, die Wahrheit zu sagen und Eure
Ehre wieder herzustellen!"
Die Menschheit hat sich jedenfalls einen schlechten Dienst erwiesen, als sie ein Volk, ein Reich
und vor allem eine Revolution zerschlagen wollte,
die - wenn man mitgeholfen hätte - ungeheuer viel Gutes für alle hätte
bringen
können. Die Völker dieser hochzivilisierten westlichen Welt leiden doch heute weit
mehr noch als in den zwanziger Jahren daran, daß sie dem schrankenlosen Materialismus
und damit auch dem Kapitalismus dienen, daß sie nicht mehr naturgemäß zu
denken verstehen und sich dadurch in immer verheerenderer Maßlosigkeit verlieren. Seit
Jahrzehnten betrügen sich diese Völker selbst, während sie sich
tatsächlich ihrer völligen Vernichtung preisgeben.
Die Regierungen handeln schon längst nach der Lehre des Herrn Emile Coue, indem sie
nach den Regeln der Selbstbeeinflussung immer von neuem, aller Wirklichkeit zum Trotz,
über alle
Maßnahmen - trotz des krassesten Gegenteils - unser glückliches Leben preisen und
den Fortschritt loben, welcher am Ende unser aller Untergang ist.
Während der schlimmsten Bombennächte von Berlin konnte ich acht Tage und
Nächte hindurch sämtliches gerettetes Mobiliar aus meinem abgebrannten Haus
ohne jeden Schutz auf der Straße stehen lassen, ohne daß auch nur eine Kleinigkeit
davon gestohlen wurde. Es waren viele wertvolle antike Möbel, Teppiche und Bilder
dabei.
Und das war keineswegs ein Ausnahmefall, sondern allgemein so im verpönten
"Hitlerdeutschland"!
Ich konnte noch im Kriege allein mit dem Reichsminister Dr. Goebbels
in Berlin-Mitte, auf der Wilhelmstraße und Unter den Linden spazieren gehen, ohne
daß wir auch nur einem Menschen begegneten, der uns nicht mit freundlichem Gesicht
gegrüßt hätte.
Im Februar 1945 habe ich im Stabsquartier der "Feldherrnhalle" vier junge Soldaten gesehen, die
vor Wut heulten, weil man sie geschnappt hatte, als sie ohne Erlaubnis auf dem schnellsten Weg
an die Front wollten, um endlich für Deutschland kämpfen zu "dürfen".
Eines der erschütterndsten und zugleich großartigsten Erlebnisse war mir die
Weihnachtsnacht 1945, in der wir gefangenen
Nationalsozialisten - etwa 6,000 an der Zahl - umgeben von mit amerikanischen
Maschinengewehrschützen besetzten Wachtürmen, ohne vorherige Verabredung
plötzlich gemeinsam das Lied "Ich bete an die Macht der Liebe" sangen. Alle
amerikanischen Offiziere und viele Tausende Deutsche liefen zusammen, um uns zu sehen, zu
hören und
mitzusingen - und der amerikanische Lagerkommandant, ein Frontoffizier, hatte Tränen in
den Augen.
Im Nürnberger Justizpalast stürzte sich ein General des Heeres aus dem dritten
Stockwerk auf den Steinflur des Erdgeschosses hinunter. Dort, wo die Zentralstelle des
großen Zuchthauses war, blieb er tot vor unseren Augen liegen. Bald darauf fingen einige
in
ihren Zellen an zu singen und immer mehr und mehr schlossen sich ihnen an, bis
wir alle - die eingesperrten Nationalsozialisten und die Nicht-Nationalsozialisten und sogar
einige
Ausländer - mitsangen, bis es mächtig durch die riesigen Gewölbe
schallte - jenes Lied, das früher so leicht über unsere Lippen gegangen war und nun
noch einmal im Leben aus tiefster Seele kam: "Dir, Adolf Hitler, haben wir's
geschworen - - - !"
Das sangen deutsche Soldaten, Offiziere, Generale, Professoren, Geistliche, Juristen, Richter,
Ärzte usw., von denen Dutzende schon wußten, daß sie gehängt
würden - weil niemand von allen so gewesen war, wie die "Nichtwissenden" ganz einfach
behaupteten.
Schwerbewaffnete US-Infanterie rückte in Massen ein, alliierte Panzer umstellten das
Zuchthaus - während im "Zuchthaus der Ehre" die Nacht einbrach.
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