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Vorwort
Es gibt nicht viele Menschen, die gewärtig haben, daß unser
deutsches Volkstum in Europa unter 15 verschiedenen Staaten zerteilt und
zerrissen ist, und daß allein am zusammenhängenden, naturhaft
entstandenen deutschen Volkskörper in Mitteleuropa außer den
drei deutschen Staaten, dem Reiche, Österreich und Danzig, heute
noch neun fremde Staaten einen herausgeschnittenen Anteil besitzen.
Wer sich diese Tatsache vor Augen führt, wird nicht erst zu fragen
brauchen, welch einen Inhalt ein Buch mit diesem Titel hat: "Deutschtum
in Not". Sein Zweck ist, die Lage alles vergewaltigten deutschen
Volkstums außerhalb der verstümmelten und verkleinerten
Grenzen des deutschen Reichs zu schildern. In Not ist jeder Teil des
deutschen Volks, der auf deutschem Volksboden wohnt und den gegnerische
Gewalt daran hindert, sei es dem deutschen Nationalstaat sich
anzuschließen, sei es, wenn er in der Ferne wohnt, auch von ferne her
deutsche Kulturgemeinschaft zu pflegen.
Unmöglich kann die Volksnot, in die so viele Teile des Deutschtums in
Europa geraten sind, dem Leser deutlich gemacht werden, ohne daß
der Boden, auf dem diese deutschen Menschen wohnen, und die Geschichte,
die sie bisher durchlebt haben, miteinander geschildert werden. Unsere
Darstellung wird daher so fortschreiten, daß zuerst immer Volksboden
und Volksgeschichte behandelt werden, und danach die Not der Gegenwart.
Zum erstenmal wird dieser Versuch mit Hilfe eines so großen
politischen Materials und so vieler, zum Teil seltener und schwer zu
erlangender Abbildungen unternommen, wie hier. Dabei habe ich einer Last
Erwähnung zu tun, die auf mich drückt, die ich aber vielleicht
teilweise abbürden kann, indem ich den Leser auf sie hinweise.
Für alles, was in diesem Buche steht, trage ich die Verantwortung. Es
ist aber nicht alles von mir verfaßt, sondern ich habe viele Mitarbeiter
gehabt, die mir den Stoff zukommen ließen, teilweise verarbeitet,
teilweise unverarbeitet. Sie zu nennen und ihre Beiträge zu
kennzeichnen, wäre in jedem anderen Falle Pflicht; in diesem
besonderen aber würde es für viele nur Gefahr und Verfolgung
bedeuten. Aus diesem Grunde muß ihr Name hier ungenannt
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Stundenturm in Schäßburg.
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bleiben - als ein Beweis mehr für die Wahrheit des Wortes vom
Deutschtum in Not. Um der Ein- [6] heitlichkeit willen mußte das Prinzip
auch in den wenigen Fällen befolgt werden, wo die Quellenangabe zur
Verfügung stand, z. B. bei der Reichszentrale für
Heimatdienst.
"Deutschtum in Not" ist ein Stück der Gesamtarbeit, die mich
seit dem Zusammenbruch unseres Staates im Weltkriege ausfüllt. Das
Ziel, dem sie an ihrem bescheidenen Teile gilt, ist der nationale
Wiederaufbau. Drei Faktoren müssen wir für diesen gewinnen.
Der erste ist unsere Jugend. Der zweite sind unsere Gebildeten. Der dritte ist
die öffentliche Meinung der übrigen Welt. Für die
Jugend versuche ich, das Auslandsdeutschtum durch Bild und Schrift zu
einem lebendigen Unterrichtsgegenstand zu machen. Für unsere
auslandsdeutsch und außenpolitisch eingestellte Bildungsschicht gebe
ich seit anderthalb Jahren eine Zeitschrift heraus. Für denselben
Leserkreis, nicht minder aber auch für den Ausländer, der
deutsch lesen kann und dem nicht schlechter Wille die Augen hält, ist
dies vorliegende Werk bestimmt. Es appelliert zugleich an das moralische
und das geschichtliche Verständnis derer, die es zur Hand nehmen.
Möge das Bild an seinem Anfang dem Leser ein Symbol dafür sein,
daß er offenen und ehrlichen Blicks das Tor des Wissens um die
historischen Zusammenhänge zu durchschreiten hat, wenn er die
Fähigkeit eines gerechten Urteils erhalten will.
Radiert und dem Buche gewidmet hat dies
Bild eine auslandsdeutsche Künstlerin:
Trude Schullerus in Hermannstadt in Siebenbürgen.
Berlin, den 1. Juli 1926.
Paul Rohrbach
[Scriptorium merkt an: auf der nachfolgenden
Seite 7 erscheint im Original die Inhaltsübersicht, die wir in diesem
online-Nachdruck hier wiedergegeben
haben. Seiten 8 und 9 sind Trennblätter.]
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