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Deutsche helfen Rußland
bauen. Der Beitrag der
Deutschen in der Geschichte Rußlands

Teil 8: Ein Thronfolger flieht vor seinem Vater
ährend Peters erste Europareise dem unersättlichen Bildungs- und Wissenshunger eines jungen Mannes gedient hatte, war seine zweite Reise rund 20 Jahre später mehr darauf angelegt, als Staatsmann Möglichkeiten und Grenzen seiner Außenpolitik zu erkunden. Schweden, dessen junger König Karl XII. - ein tapferer Krieger, aber ungeschickter Diplomat - sich übernommen hatte, wurde mehr und mehr isoliert. Seine Nachbarn gingen daran, sich aus dem früheren großen Machtbereich der Schweden die fettesten Brocken herauszuholen. Beteiligt waren neben Polen, seinem Erbfeind, auch die Dänen und der Herzog von Mecklenburg-Schwerin. Besonders engen Kontakt nahm Peter jedoch mit Friedrich Wilhelm von Preußen auf, dem "Soldatenkönig".

Der preußische König hatte eine Vorliebe für "lange Kerls". Peter und Friedrich Wilhelm trafen sich insgesamt siebenmal. Bei jedem Besuch am preußischen Hofe brachte Peter dem König einige Prachtexemplare aus einheimischer Zucht mit, insgesamt 248 dieser Riesen. Etwas handfester war Peters Unterstützung für Preußen in dessen Wunsch, Vorpommern von den Schweden zu erhalten, das Kernstück von Pommern mit Greifswald, einer der ältesten deutschen Universitäten, an der später einmal auch der deutsche Freiheitsherold Ernst Moritz Arndt wirken sollte, und Stettin, das auch die Polen schon zu jener Zeit in ihrer unersättlichen Gier nach immer mehr Land gern vereinnahmt hätten.

Nachdem Livland und Estland schon fest in seiner Hand waren, wollte Peter weiteren Einfluß an den südlichen Ostseeküsten gewinnen. Seine Heiratspolitik hatte dabei seine von keinerlei moralischen Bedenken gehemmten Eroberungspläne zu unterstützen. Seinen ältesten Sohn vermählte er mit der Prinzessin von Braunschweig, einer Schwägerin des deutschen Kaisers. Auch die beiden Töchter seines zurückgebliebenen Bruders mußten sich seinen Plänen fügen. Für seine eigene Tochter hatte er eine Ehe mit dem Prinzen von Holstein Karl-Friedrich im Auge, obwohl beide noch Kinder waren. Seine auf lange Sicht geplante Politik sollte ihm damit den Zugang zum Kieler Hafen verschaffen. Holstein war für ihn mit dem geplanten Verbindungskanal als Drehscheibe zwischen Nord- und Ostsee die ideale strategische Position.

Als Ergänzung seiner Machtpolitik ließ Peter seit dem Jahre 1711 ein russisches Heer durch Norddeutschland ziehen, angeblich um die Schweden aus ihren noch nicht geräumten Positionen zu vertreiben. Unter ihrem habgierigen Marschall Fürst Menschikow wurden die russischen Soldaten für die deutsche Bevölkerung, die noch schwer unter den Folgen des 30jährigen Krieges litt, eine wahre Geißel. Doch die Anwesenheit des schwer auf dem Lande lastenden russischen Heeres hatte eine einfache "rechtliche Grundlage": Herzog Karl-Leopold von Mecklenburg-Schwerin hatte die Zarennichte Katharina Iwanowna geehelicht und die Russen gebeten, ihm im Kampf gegen die Schweden beizustehen - ein im zerrissenen, von zahllosen Fürsten regierten Deutschland nicht ungewöhnlicher Vorgang.1

Der Schacher mit deutschen Landen ging so weit, daß der König von Dänemark sich die schwedischen Eroberungen zwischen Elbe und Weser, das sogenannte Herzogtum Bremen-Verden, aneignen konnte. Als ihm das verwüstete Land jedoch nichts einbrachte, stieß er es an den König von England ab; die Bewohner waren bei diesem Kuhhandel nicht befragt worden.

Berühmt wurde noch jener Dialog, den Peter mit König Frederik von Dänemark, dessen Geliebte ihn ein Vermögen kostete, bei einem Herrenabend führte. Auf die Frage des Dänenkönigs, ob Peter sich auch eine Mätresse halte, antwortete dieser: "Ich habe einen ganzen Haufen Huren, aber die sind bei weitem billiger als Ihre eine. Sie sollten lieber für Ihr Geld Schiffe bauen lassen!"



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Teil 9: Das tragische Ende
des Zarewitsch
eter sah in Preußen seinen zuverlässigsten Verbündeten. Ein Deutschland, das diesen Namen verdiente, gab es zu seiner Zeit nicht: Der Kaiser war machtlos. Die deutschen Fürsten dachten jeder nur an sich und an ihre wenn auch noch so jämmerlich kleine Herrschaft. Während das Reich in Ohnmacht lag, wuchsen Größe und Ansehen Rußlands.

Nur in kultureller Hinsicht war Deutschland noch immer tonangebend. Peters als Nachfolger bestimmter Sohn Alexej sollte folglich in Deutschland erzogen werden. Der 17jährige Zarewitsch war von Natur scheu und furchtsam und fühlte sich seiner Zukunftsaufgabe nicht gewachsen. Er wollte lieber Pope werden, wurde jedoch zunächst einmal als eine für den russischen Thron glänzende Partie mit der Schwägerin Kaiser Karls VI. verheiratet. Die Ehe war zu frühem Scheitern verurteilt. Der Schwächling Alexej brachte es zwar fertig, zwei Kinder zu zeugen; doch mißhandelte er, wohl um sich als Mann aufzuspielen, seine Frau derart, daß sie schon mit 21 Jahren starb.

Im Oktober 1716 nutzte Alexej die Abwesenheit seines Vaters, um nach Wien zu entfliehen und den deutschen Kaiser um Asyl zu bitten. Auf seinen Thron wollte er verzichten. Für den Zaren war das ein Schock, auf den er mit erbarmungsloser Grausamkeit reagierte. In eine erneute Moskauer Revolte glaubte er auch seinen Sohn verwickelt. Mit falschen Versprechungen ließ er seinen Sohn aus dem italienischen Exil zurücklocken. Unter tagelanger Folterung belasteten die Verdächtigten sich gegenseitig. Peter ließ sie in Ketten schmieden, der Länge nach auf spitze Pfähle ziehen oder ihre Leiber mit Keulen zerschlagen und aufs Rad flechten. Der Zarewitsch, obwohl zur Organisation eines Putsches völlig unfähig, wurde für schuldig erklärt und zum Tode verurteilt. Er starb unter der Folter.

Von nun an war Peter in ständiger Sorge um einen würdigen Nachfolger und Vollender seines Werkes. Unter seiner Führung war Rußland zur Großmacht geworden. Seine Reformen im Innern bewiesen die Hand eines modernen und weitschauenden Staatsmannes, der auch zur Verwirklichung seines Programmes stets ein Gespür für wirkliche Talente gezeigt hatte. Die hervorstechendsten dieser Helfer und Berater waren Deutsche. In dem Hamburger Heinrich Fick fand er einen ausgezeichneten Verwaltungsfachmann, der für ganz Rußland ein neues System für die Finanzämter und andere Behörden nach den Vorbildern des Lübecker und Magdeburger Stadtrechts schuf.

Burchard 
Christoph von Münnich
Burchard Christoph von Münnich
(1683 - 1767)
Feldmarschall und Premierminister
Zwei weitere bedeutende Persönlichkeiten, die Peter beim Neubau des russischen Reiches unterstützten, waren Burchard Christoph von Münnich aus dem Oldenburgischen und der Bochumer Pastorensohn Heinrich Ostermann. Von diesen Männern schrieb der schwedische Historiker Crusenstolpe: "Die wirksame Tätigkeit der Deutschen hat hauptsächlich zur Größe Rußlands beigetragen. Ostermann war die Seele der ganzen Verwaltung, gekannt und gefürchtet als einer der geschicktesten Staatsmänner seiner Zeit. Münnich war derjenige, der mit Eifer und Einsicht die innere Kommunikation des Landes förderte, indem er neue Kanäle und Wege anlegte. Das Ingenieur- und Artilleriewesen und die zu diesem Zweck nötigen Schulen verdanken ihm ihre Entstehung. Kein Staat konnte sich zu jener Zeit rühmen, so geschickte Minister zu besitzen wie Rußland."

Münnich baute u.a. den Ladoga-Kanal, der russischen Schiffen ermöglichte, vom Finnischen Meerbusen bis ins Schwarze und Kaspische Meer zu segeln. Diese das große russische Netz schiffbarer Wasserstraßen verbindenden Kanäle erlaubten es, die unermeßlichen Holz- und Bodenschätze des Riesenlandes zu erschließen. Münnich bewies, daß er nicht nur ein erstklassiger Ingenieur, sondern bei der Eroberung der Krim im Kampf gegen die Türken auch ein Feldherr von Rang war.2

Ostermann, dessen älterer Bruder Prinzenerzieher am Zarenhof war, hatte als Seeoffizier Peters Aufmerksamkeit erregt. Ostermann wurde ein Meister der schwierigsten Verhandlungen. Er vermochte Staatsverträge nicht nur in Russisch und Deutsch, sondern auch in Latein und Französisch aufzusetzen.

Fayence aus 
dem 19. Jahrhundert
Fayence aus dem 19. Jahrhundert mit Portraitminiaturen von zehn russischen Zaren; sechs von ihnen waren deutscher Herkunft.
Peter der Große starb am 8. Februar 1725. Nach seinem Tod wurde Pastor Glücks einstiges Hausmädchen die Herrin des Russischen Reiches. In Wahrheit lenkte jedoch Fürst Menschikow, mit über 150.000 Familien von Leibeigenen und unzähligen Landgütern der reichste Mann Rußlands, die Geschicke des Landes.

Katharina, die nicht einmal schreiben konnte und sich dabei auf ihre deutschen Sekretäre und Übersetzer verließ, verstand es trotzdem, das russische Kulturleben zu bereichern. Die einzige russische Zeitung hatte nach ihrem Willen auch in deutscher Sprache zu erscheinen. Endlich ins Leben gerufen wurde jetzt auch die von Leibniz vorgeplante Akademie der Wissenschaften, wo anfangs zwei deutsche Ärzte, dabei Peters Jugendfreund sowie späterer Hofarzt, den Lehrbetrieb übernahmen. Die Bibliothek wurde von Peters Hofbibliothekar Johann Daniel Schumacher geleitet. Auch einen botanischen Garten und verschiedene Lehrwerkstätten ließ Katharina entstehen. Forschungsaufträge gingen ebenfalls an Deutsche, so an den Arzt Dr. Daniel Jakob Messerschmidt, der in einer sieben Jahre währenden Expedition Bodenschätze, Menschen und Tierreich Sibiriens erforschte. In der Familienpolitik erfüllte sie einen alten Wunsch Peters. Sie verheiratete ihre Tochter Anna mit dem Herzog Karl-Friedrich von Holstein-Gottorf - sie sollten die Eltern von sieben Generationen russischer Zaren werden.

Katharina konnte nur zwei Jahre und drei Monate regieren; im Alter von 43 Jahren starb sie 1727 an Wassersucht, betrauert von der ganzen Stadt. Alexander Gordon schrieb über sie: "Sie war ein ausgezeichnet schönes Weib, mit einem hellen, klaren Verstand begabt und jederzeit froher Laune. Gegen alle Menschen war sie zuvorkommend und freundlich, und niemals vergaß sie, daß sie aus einfachen Verhältnissen gekommen war."

Der neue Zar, Peter II., der einzige Sohn des unglücklichen Zarewitsch Alexej, war bei der Krönung 1727 ein Kind von 11 Jahren; 1730 starb er an Pocken. Im Jahr 1740 folgte ein "Herrscher", der mit ganzen zwei Monaten noch in den Windeln lag, ein rein deutschblütiges Kind und direkter Nachkomme Heinrichs des Löwen. Der Säugling wurde vom ebenso geldgierigen wie hartherzigen und verschlagenen Vormund Biron vertreten, der Münnich und Ostermann haßte und auf deren Beseitigung sann. Nominell wurde die Regentschaft von der Herzogin Anna-Elisabeth von Braunschweig ausgeübt; Münnich und Ostermann besorgten die Staatsgeschäfte. Nach Peter des Großen Devise gehörte ein gutes Verhältnis zu Preußen, wo am 31. Mai desselben Jahres der junge Friedrich auf den Tod seines Vaters folgte, zu deren Politik.

In Wien begann mit Maria Theresia eine neue Epoche, und in Rußland sann die vorher nur mit ihren Liebesaffären beschäftigte Elisabeth Petrowna danach, die Macht zu ergreifen. Die dralle und kleine Elisabeth war nicht nur unmäßig im Essen und Trinken. Sie nahm jeden Mann, ob Höfling, Soldat oder Lakei, der ihr gefiel, in ihr Bett.3

Die Thronablösung durch Elisabeth war für das russisch-preußische Verhältnis ein Verhängnis. Der junge und geistreiche, durch seinen scharfen Witz bekannte Friedrich, später der Große genannt, hatte einige wenig respektvolle Bemerkungen über die Österreich, Frankreich (die Pompadur) und Rußland beherrschenden "drei Unterröcke" gemacht, von der gegnerischen Diplomatie genüßlich ausgeschlachtet! Die von ihm als "Hure des Nordens" bezeichnete Elisabeth wurde daraufhin zu seiner Todfeindin. Sie ließ sich leicht dazu bewegen, auch Rußland in den kostspieligen Siebenjährigen Krieg gegen Preußen zu verwickeln.

Eine vom französischen Hof mit erheblichen Bestechungsgeldern finanzierte Palastrevolte der frankophilen Gruppe am Zarenhof hatte zur Folge gehabt, daß die bisher preußenfreundliche Politik Rußlands ins Gegenteil umschlug. Münnich und Ostermann wurden ergriffen und zum Tode verurteilt; Ostermann sollte sogar gerädert und Münnich von vier Pferden zerrissen werden. Als Ostermanns Kopf schon auf dem Block des Henkers lag, erfolgte plötzlich auf Befehl Elisabeths die Umwandlung der Todesstrafe in lebenslängliche Verbannung nach Sibirien.

Elisabeth regierte Rußland 20 lange Jahre, und erst nach ihrem Tode am 5. 1. 1762, nach 20 langen Sibirienwintern, wurde Münnich - er war jetzt 79 Jahre alt, aber immer noch voller Energie und Tatkraft - durch den nächsten Zaren befreit.


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Anmerkungen

1Gewisse Interessegruppen scheinen sich auch heute ohne fremde Besatzer nicht glücklich oder sicher zu fühlen! ...zurück...

2Ein Deutscher, der sich später unter Zar Alexander II. einen Namen machte, war der General Konstantin von Kaufmann, Abkömmling einer unter Peter III. aus Holstein gekommenen Familie. Seinem strategischen Können verdankt Rußland u.a. die Eroberung des riesigen Amurgebietes im Fernen Osten. ...zurück...

3Ähnliches berichtet der Engländer Vivian Bird von Churchills Mutter, der Frau Lord Randolph Churchill, die mit über 300 Männern, vom höchsten Adel bis zum primitivsten Stallknecht, geschlafen haben soll. ...zurück...


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