[Anm. d. Scriptorium:
eine detaillierte Karte
der deutschen Kolonien
finden Sie hier.] |
Deutschlands Kolonialkriege (Teil
2)
Drei Tage Kampf um eine
Wasserstelle
Vom großen Ringen bei Groß-Nabas, Januar
1905
Aus den Erinnerungen von Max
Schmidt (†)1
Am 2. Januar 1905 wurde der Weitermarsch durch einen Wagen
verzögert, der nicht zu folgen vermochte und dessen Hafer auf andere
Fahrzeuge verteilt werden mußte. Dann setzten wir den Vormarsch
über die steinige, wellige Fläche fort. Die 4. Kompanie, 64 Gewehre
stark, und die beiden ersten Geschütze der Batterie bilden die Vorhut.
[64] Das Gesträuch
wird dichter, die Hochfläche faltiger, durch beides die Übersicht in
bedrohlichem Maße verdeckt.
Neben den Geschützen des Haupttrupps reitend, höre ich auf meine
halblaute Frage: "Wieviel Schuß haben wir noch?" von Leutnant
Overbeck, dem Führer der Batterie, die besorgte Antwort: "Nur
150!"
Mit kaltblütiger Freundlichkeit hatte er eben vorher seinen Leuten ein paar
ermunternde Worte zugerufen und dabei gescherzt:
"Artilleristen werden in der Schlacht
wie andere Menschen umgebracht."
Zum Abteilungsstabe vorgeritten, werde ich von Major Meisters neuem
Adjutanten angeredet: "Passen Sie auf, in kurzer Zeit liegen wir in schwerstem
Gefecht!"
Schon nach wenigen Minuten zischen uns die Kugeln um die Ohren. Im Nu ist
alles abgesessen, und kurze, scharfe Befehle setzen die Truppe an.
Rechts von der zuerst ins Gefecht getretenen 4. Kompanie wird die 7.
vorgeschickt, links die 5. Die Geschütze kämpfen alsbald zwischen
den Kompanien auf beiden Flügeln. Die Wagen und Karren werden nahe
herangezogen und zu einer Wagenburg zusammengefahren.
Der Gegner [Scriptorium merkt an: die
Hottentotten] weicht eine Strecke zurück, liegt aber dann erst
in seiner besten Stellung, in einer Felsenfestung mit klippigen Schluchten und
bombensicheren Laufgräben, die von der Natur in den gewachsenen Fels
geschnitten sind.
Diese Felsenburg sollte die kleine deutsche Abteilung einer, wie sich
herausstellte, fünf bis sechsfachen Übermacht entreißen.
Das stärkste Feuer hatte sich sofort gegen die halbe Batterie der Vorhut
gerichtet, der nur ein Zug der 4. Kompanie voraufritt. Durch Schnellfeuer
hatte man sich aber Luft geschafft und war mit der ganzen Schützenlinie
vorgedrungen. Der Gegner feuerte jedoch aus solcher Nähe, daß er
mit etwa viertelstündigem Kartätschenfeuer zurückgejagt
werden mußte. Inzwischen waren auch das dritte und vierte Geschütz
aufgefahren. Leutnant Overbeck läßt ein Geschütz
500 m weiter nach links rücken, um die gegenüberliegende
Höhe unter wirksames Feuer zu nehmen. Wenige Minuten später hat
ein Herzschuß diesen jungen, tatkräftigen, besonnenen
Batterieführer, unsern allseitig beliebten Kameraden, getötet.
Auch Major v. Nauendorff, der Kommandeur der Artillerieabteilung,
war bald nach begonnenem Gefechte, in das er tatenfroh eingegriffen hatte, neben
der Lafette des zweiten Geschützes durch einen schweren
Unterleibsschuß verwundet. Von den Bedienungsmannschaften lagen schon
mehrere tot oder verwundet in der Nähe ihrer Führer.
Stundenlang dauerte der heftige Kampf ohne entscheidende Fortschritte.
Wohl wird von den zwei Kompanien der Versuch gewagt, an buschreicher Stelle
gegen den Feind vorzubrechen, aber dessen Feuer ist zu stark. Die 7. Kompanie
hat sich bis zum Uferrand und bis zu einer Felsnase vorgekämpft, von der
[65] sie einen Teil der
feindlichen Stellung flankieren kann, doch die Entscheidung wird dadurch nicht
erzwungen.
Als der Feind die Überlegenheit seiner Zahl auszunutzen beginnt und die
den Auob in einer Entfernung von etwa 1200 m parallel streichende hohe
Düne besetzt, die vorher von einer Patrouille noch frei gefunden war, wird
die Lage bedenklicher. Die 5. Kompanie muß ihren linken Flügel
zurückbiegen, um eine Umfassung zu verhindern. Zwei Geschütze
greifen an ihrer Seite an.
Doch nun muß auch unserer Wagenburg und damit dem Rücken
unserer Stellung ein Angriff drohen. Denn Leutnant
v. Petersdorff, dessen Zug als Wagendeckung kommandiert ist,
sucht alle Pferdehalter für seine Schützenlinie. "Ein Mann
hält zehn Pferde", schallt es durch die in flacher Bodensenkung
aufgefahrenen Fahrzeuge, bei denen die Pferde in einiger Deckung stehen. Bald
werden die Rufe dringlicher: "Ein Mann hält zwanzig
Pferde! Vorwärts! Es wird brenzlig; ihr werdet gleich
angegriffen!"
Der Leutnant hat diese Gefahr abgewehrt; der Feind wurde sogar durch
kühnen Ansturm mit aufgepflanztem Seitengewehr an die Düne
zurückgeworfen.
Wieder verrinnt Stunde auf Stunde, und eine Gefechtsstunde dauert lange.
Doch hört man, wenn das Feuer nicht gar zu scharf herüberprasselt,
noch Äußerungen gelassenen Humors. Die vorüberpfeifenden
Geschosse werden nach dem Gewehrkaliber bestimmt, dem sie entstammen. "Das
war eine 71er", bemerkt ein kampfgeübter Unteroffizier zu seinem
Nebenmann, als eine Kugel mit tieferem Ton vorbeistreicht. "Das sind 98er", geht
das Gespräch weiter, als Geschosse mit kurzem, hellem Pfeifen über
den Köpfen hinfliegen. "Es können auch 88er sein", entgegnet einer,
"98er und 88er sind nicht zu unterscheiden." Aber eben diese heulenden Pfiffe?
"Das müssen Explosivgeschosse sein! Wo die Kerle die wohl
herhaben?" - "Oder", äußert einer, "es sind
Dum-Dum-Kugeln."
Dann beherrscht das sich verschärfende Gefecht alle Gedanken.
Major v. Nauendorff muß schwer verletzt sein. Mit welchem
Feuereifer war er beim Gefecht, und wie lebhaft hat er noch bei
Stamprietfontein in der Silvesternacht sein glückliches Geschick
gepriesen, das alte Jahr in den allerletzten Stunden mit einem Gefecht
abschließen zu können! Nach seiner Verwundung hat er eine Zeitlang
hinter einem Busche mit dem gleichfalls verwundeten Sergeanten
Wehinger gelegen, und beide hatten durch halblautes Singen ihre
Schmerzen zu betäuben, dann wieder durch Bibelsprüche ihr Herz zu
stärken gesucht. Der Major ruft mich an sein Schmerzenslager im Schatten
eines Ochsenwagens und bestellt für alle Fälle Grüße an
die Seinen: "Bringen Sie meiner Mutter meine letzten Grüße, und
sagen Sie ihr, daß ich im Glauben an meinen Erlöser sterbe." Dann
fragt er nach der Gefechtslage und ob von Deimlings Herannahen noch
kein Anzeichen bemerkbar sei. Als er danach eine kurze Beratung darüber
hörte, ob unsere Gefallenen sofort oder erst nach dem Gefecht zu bestatten
seien, entschied er für meinen Vorschlag, unseren Toten [66] lieber sofort das
Ehrengrab zu sichern. Wie wir Leutnant Overbeck als ersten an seine
Gruft trugen, rief ihm Nauendorff zu: "Lebe wohl, Overbeck, ich folge
bald nach." Oft bin ich an diesem und dem folgenden Tage an das Lager des
schwer Leidenden zurückgekehrt.
Das Gewehrfeuer erstarb schließlich, und eine ruhelose Nacht folgte. In der
Schützenlinie hieß es, jeder zweite Mann dürfe mit seinem
Nebenmanne abwechselnd schlafen, und die Ermattung ließ in einen
Halbschlaf sinken, aus dem einer hier und da wirr auffuhr. Die in der Finsternis
zugetragenen Nahrungsmittel hat kaum einer zu essen vermocht; alle litten Durst,
Durst - aber keinen Hunger. Zwar wurden einige Flaschen Wein von
unserem geringen Bestande vorgeschickt, aber was konnten diese helfen?
Sehnsüchtig schauten wir nach den Gewitterwolken, die sich am Himmel
zusammenballten, breiteten Zeltbahnen über schnell ausgeschaufelte
Vertiefungen, stellten jedes erreichbare Gefäß zurecht, legten die
Tropenhüte zum Auffangen einiger Tropfen neben
uns - allein der aufsteigende Wind verjagte die Wolken und unsere
Hoffnungen. Es war wohl niemand, der ohne Gebet dem kommenden Morgen
entgegenharrte.
Bei der ersten Dämmerung brach der Kampf mit verstärkter
Heftigkeit los und währte bis zur dunklen Nacht. Niemand verhehlte sich an
diesem zweiten Tage die vielfache Gefahr. Der Feind war in unverminderter
Übermacht in seiner Felsenburg geblieben und wehrte uns die rettende
Wasserstelle. Nach wenigen Stunden sengte die Sonne wieder unerbittlich
herab.
Beim Verbandsplatz häuften sich die Verwundeten. Einige suchten sich
einzureden, die Gebirgsbatterie werde von Rietmond zu Hilfe eilen,
andere trösteten sich mit Deimlings Anmarsch. Die beiden
Ärzte, die verbinden, Dr. Jäger und
Dr. Wels, haben Tag und Nacht den schwersten Dienst.
Major v. Nauendorff leidet schwer. Er bittet um Morphium. Dann
forscht er wieder nach dem Gefechte, nach Deimlings Herannahen. Wer
ihn doch mit Wasser laben könnte! Er ruft mit ermatteter Stimme:
"Tausend Mark für einen Schluck Wasser!" Still kriecht auf diesen Ruf
Sergeant Wehinger von der 5. Batterie, selber am Fuß
verwundet, zu seinem seufzenden Major und bietet ihm seinen Rotwein, den
er - der Reiche - noch besaß! Der Major sieht ihn dankbar an,
aber er wehrt mit auflodernder Entschlossenheit ab: "Lieber Sergeant, Sie
brauchen das nötiger als ich, Sie müssen wohl noch zu Ihrem
Geschütz; mit mir ist's doch bald aus." Es war der letzte Sieg, den der
Sterbende errang. Die Schmerzen betäubten hernach seine Sinne, und
einige Stunden später war er still eingeschlafen.
Der Schützenlinie brachte die immer glühendere sengende Hitze
unerhörte Durstqualen. Wohl denen, die von einem nahen Strauche
wenigstens zeitweise Schatten erhielten; sie konnten auch die kleinen,
zähen Blätter kauen und so ihren schmachtenden Mund ein wenig
erfrischen.
[67] Andere versuchten das
Blut erschossener Maultiere zu schlürfen. Vorüberkriechende
große Ameisen, die in der Angst des Durstes in den Mund gesteckt wurden,
halfen ebensowenig. Es kam sogar vor, daß Schützen vor Ermattung
einschliefen und - wie die Verdurstenden in der
Wüste - von herrlichem Wasser träumten, das in ihren
Wassersäcken durch die Schützenlinie gereicht würde. Der
Tod war den Schmachtenden vielfach gleichgültig geworden, aber sie rissen
ihre Kraft zusammen und taten ihre Pflicht. Doch traten auch einige
Hitzschläge ein.
Zuweilen wurden Einzelrufe zwischen dem Gewehrfeuer hörbar. "Mutter,
Mutter!" Ein anderer verwünschte dies Land, in dem er verdursten
müsse, aber sein Nebenmann sprach ihm Mut zu und bezeichnete einen
Felsblock, hinter dem einer eben auf sie geschossen hätte. Dann
hörte man wieder einen Seufzer: "Er führet mich zum frischen
Wasser" - es soll ein Gebet sein in dieser Not des Verdurstens.
Dabei locken drüben in Hörweite die Hottentotten mit
höhnischen Zurufen: "Dütschmann, banja Dorst? Komm, hier stief
Water!" Doch nicht alle Mannen Hendriks gebärdeten sich so
zuversichtlich. Bei der Abwehr eines Rückenangriffs hörte einer
unserer Bergdamara, der mit in der Schützenlinie lag, deutlich in der ihm
geläufigen Namasprache, wie der Kapitän seine Leute mit der
Lederpeitsche bedrohte. Als die Unseren einige Sprünge vorwärts
machten, hatten die Gelben ängstlich gerufen: "Sie kommen, sie kommen!"
worauf der Kapitän sie anherrschte: "Ich schlag euch mit dem Schambock
(der gedrehten Lederpeitsche) tot! Gerade wenn sie kommen, sollt ihr liegen
bleiben und schießen."
Gegen 1 Uhr, während der stärksten Hitze, kam die
gefährlichste Stunde. Die Batterie hat ihre Munition bis auf wenige
Schüsse verfeuert, obwohl schon gestern stundenlange Feuerpausen
eingeschoben waren. Beim ersten Geschütz rührt sich keine
Bedienung mehr. Der Geschützführer, Unteroffizier
Pöschel, liegt erschöpft hinter der Protze. Da
drängen die Hottentotten gegen die Geschütze heran. Leutnant
Semper, der schon einen Arm im Verband trägt, holt seine letzten
Leute herbei. Der Unteroffizier Köhler soll ein zweites
Geschütz zurückziehen und dann das erste retten helfen. Er hat nur
noch acht Schüsse. Als gegen das zurückgehende Geschütz
das feindliche Feuer zu stark wird, muß er halten und sich erst durch drei
Schüsse Luft schaffen. Jetzt erhält Leutnant Semper seinen
zweiten, tödlichen Schuß. Vor dem Bremssporn liegend, weist er die
sich um ihn Bemühenden zurück und kommandiert weiter, bis sein
Blut und seine Kraft verströmten - ein Beispiel heldenmütiger
Pflichttreue. Todesmatt wird er auf den Verbandsplatz geschafft, wo er bald
klaren Geistes mit Grüßen der Liebe an die Seinen verscheidet. Mit
ihm zugleich sind noch zwei Kanoniere verwundet.
Nun haben sich die Hottentotten auf das bedienungslose erste Geschütz
geworfen. Sie sind schon auf zwanzig Schritt heran. Da werden die letzten
fünf Schüsse des zweiten Geschützes gegen die
Bedränger abgerissen. Leutnant v. Seutter und einige Reiter
der 5. Kompanie eilen herbei und helfen dem [68] Unteroffizier
Köhler und dem Gefreiten Schulz, der vom ersten
Munitionswagen zu Hilfe gekommen ist, auch das erste Geschütz bergen.
Bei diesem finden sie noch etwas Munition, aber der Geschützführer
Pöschel hat inzwischen den Todesschuß empfangen.
Die ganze Bespannung dieses Geschützes war erschossen.
Ebenso versuchte der Feind, auf dem rechten Flügel ein Geschütz zu
nehmen, als auch dort die Munition versagte und die Bedienung
kampfunfähig dalag. Hier war es die 7. Kompanie, die rechtzeitig Hilfe
brachte.
Die Batterie hatte zähesten Heldenmut bewiesen. Ein Richtkanonier
z. B., der einen Beinschuß erhalten hatte, bat, ihm nur in die rechte
Stellung zu verhelfen, dann könne er sein Geschütz schon weiter
richten. Der Tapfere hielt aus, bis ihn ein zweiter Schuß völlig
kampfunfähig hinstreckte.
Der drohende, schmähliche Verlust der Geschütze war abgewandt.
Allein, die heiße Sonne brannte weiter und drohte die letzte Kraft
auszudörren. Nur mit Anspannung allen Pflichtgefühls zwang man
sich noch, seinen Dienst zu tun.
Unterdessen hatte Major Meister seinen Versuch, Wasser suchen und
herbeischaffen zu lassen, nochmals mit Aussetzung hoher Preise bei unseren
eingeborenen Bambusen fortgesetzt; unsere eigenen Reiter aus der immer
bedrohlicher gelichteten Schützenlinie auf Wassersuche zu schicken, war ja
unmöglich. Ob die Schwarzen rückwärts im Flußbett
Wasser finden und ob sie durch die Hottentotten überhaupt
hindurchkommen werden?
Mit einem Male verbreitet sich die freudigste Bewegung über den
Verbandsplatz. Die abgeschickten Eingeborenen kommen mit gefüllten
Wassersäcken zurück. Anderthalb bis zwei Stunden
rückwärts im Revier haben sie Regenwasser gefunden. Es gab
Wasser! Dieses war zwar lehmig, aber es erfrischte belebend bis in die
Fingerspitzen hinein. Zuerst wurden die Verwundeten gelabt. Hernach, als die
Eingeborenen und einige mit ihnen entsandte Deutsche den weiten Weg nochmals
zurückgelegt hatten, konnten volle Wassersäcke in die
Schützenlinie vorgebracht werden. Es gelang sogar, einen Wasserwagen zur
Regenpfütze zu schaffen und gefüllt zurück. Dieser
Wasserfund war unsere Rettung und gab alsbald der ganzen Abteilung wieder
frische Kraft und freudige Zuversicht auf siegreiches Gelingen.
Aus der Schützenlinie durften die einzelnen nacheinander vorsichtig zum
Trinken zurückkriechen. Der pflichttreuen Ausdauer der Truppe stellte
hierbei der Reiter einer Kompanie ein bewußtes Ehrenzeugnis aus, als er
den Zuruf, die Reiter sollten einzeln zum Wassertrinken kommen, entschlossen
abwehrte: "Aber Mensch, wir dürfen doch jetzt unsere Stellung nicht
verlassen!" Er hatte die Stimme seines Leutnants nicht sofort erkannt, der seinen
Leuten die ersten Wassersäcke zutrug.
Trotz des gefundenen Wassers blieb die Lage der Abteilung jedoch bitter ernst.
Unsere Batterie konnte noch notdürftig zwei Geschütze bedienen und
besaß nur eine ganz geringe, für den äußersten Fall
aufgesparte Munition. Die drei
schwa- [69] chen Kompanien waren
durch den Verlust an Toten und Verwundeten insgesamt auf wenig über
100 Gewehre zusammengeschmolzen.
Wie oft hatten wir schon voll bangen Sehnens nach Südosten gelauscht, ob
Deimling noch immer nicht Entsatz und Rettung bringe! Wie lange
vermochte unser geschwächtes Häuflein dieser Übermacht
noch zu trotzen?
Gegen Abend war ferner Geschützdonner gehört worden. So
beteuerten die einen, während es andere für Täuschung der
erregten Sinne erklärten. Aber Major Meister mußte von der
Schützenlinie die gewisse Meldung haben, er versicherte die Richtigkeit.
Deimling ist also im Anmarsch! Gott sei Dank! Aber die Entfernung
muß noch sehr groß sein! Was kann bis zu seinem Eintreffen alles
geschehen, wenn Hendrik Witboi die Gunst seiner Lage auszukosten
versteht?
Das Gefecht tobt mit verstärkter Heftigkeit bis in die tiefe Nacht.
Am späten Abend noch eine aufregende Meldung! Etwa 250 Feinde, meist
großwüchsige Gestalten, die Hälfte beritten, die übrigen
zu Fuß, sind über das Flußbett gezogen und scheinen sich in
unserem Rücken festzusetzen, die langen Orlogleute müssen Herero
sein! Will Hendrik morgen von allen Seiten mit seiner großen
Überzahl angreifen?
Es kommt die zweite Nacht in diesem Ringen, während der unsere Truppe
in der Schützenlinie ausharrt. Wie unsere überlebenden Zugtiere vor
Durst brüllen! Sonst ist's so unheimlich still nach dem
unaufhörlichen Geknatter.
Nur die Erschlaffung hilft einigen zu leisem, unruhigem Schlaf. Dann wieder
ernste, wache Stunden. Jeder Krieger ist allein mit seinen Gedanken und seinem
Gott. Von den Lagern der Verwundeten klagt hier und da ein verhaltenes
Stöhnen.
Am Morgen des 4. Januar, unseres dritten Gefechtstages, setzte das Feuer
schwächer ein. Von der hohen Düne zu unserer Linken fiel kein
Schuß mehr. Es ist auch flußabwärts ein Trupp in scheinbarem
Abzuge gesehen worden. Zieht der Feind auf den gestrigen Kanonendonner ab,
oder hat der alte Schakal Hendrik nur eine Kriegslist ersonnen?
Nach einiger Zeit steht der Leitung jedoch fest, daß große Haufen der
Feinde abgezogen sind. Die Wasserstelle ist trotzdem noch so stark besetzt
geblieben, daß unsere hungernde und durstende Truppe neuen Qualen,
vielleicht trotz alledem ihrem Verderben entgegensieht.
Das Kommando berät mit einigen Offizieren, ob der Zustand in ihren
Reihen das Wagnis eines Sturmes noch irgend gestatte. Die Truppe soll
möglichst mit Wasser versorgt ihre letzte Kraft zum Sturmangriff
sammeln.
Es muß gewagt werden! Aber gefährlich genug sieht's bei der
Abteilung aus. Es war eine bange Stunde, die wir mit pochendem und doch
gehobenem Herzen durchlebten. Die beiden Geschütze, für die noch
Bedienung und Munition übrig war, erhoben wieder ihre
langvermißte eherne Stimme und halfen mit einigen Treffern zum Gelingen
des Sturmangriffs. Die anfangs zäh und heftig
feuern- [70] den Feinde flohen
schreiend vor den blitzenden Bajonetten davon, und Geschütze wie
Sturmkolonnen stießen erfolgreich nach.
Die Wasserstelle Groß-Nabas war gestürmt, die furchtbare
Felsenfeste des Feindes in unseren Händen!
Ein Gefangener berichtet uns über die Stärke der Hottentotten und
den Grund ihres Abzuges und bestätigt die eigenen Wahrnehmungen der
Truppe. Von 1000 oder 1100 Gewehren sind gestern abend auf die Nachricht von
Deimlings siegreichem Vordringen
250 - 300 Herero von Hendrik abgezogen, der alte
Häuptling selber hat sich nach Gochas dem Obersten
entgegengeworfen.
Jetzt übersahen wir erst völlig die ganze Festigkeit der
Hottentottenstellung. Die Massen abgeschossener Patronen bezeichneten die
natürlichen wie die künstlichen Verschanzungen des Feindes. Die
Stellen, an denen er während der Gefechtstage seine Toten mehr verscharrt
als bestattet hatte, verrieten sich durch die lose aufgeschütteten
Kiesflächen.
Ein Häuptling hatte beim schnellen Abzug seine kräftige
Fleischbrühe im Stiche gelassen. Sogar einige Gewehre wurden
gefunden.
In dieser eroberten Stellung bezogen wir mit allen Sicherungen unser Lager.
Nun wurden zuerst die halbverschmachteten Tiere mit Vorsicht zur Wasserstelle
geführt. Etwa 150 von ihnen waren schon erschossen worden. Die
gequälten Tiere zitterten vor Erregung am ganzen Leibe, als sie mit
geblähten Nüstern das Wasser witterten.
Darnach durfte die Truppe, die seit drei Tagen fast nichts mehr gegessen hatte, an
sich selber denken.
Der Kampf hat uns 24 Tote und 47 Verwundete gekostet, ein Drittel unserer
Stärke, und etliche Verwundete waren sehr schwer verletzt!
Die hartgeprüfte, siegreiche Truppe war von tiefem, dankbarem Ernste
beherrscht. Bei einer Kompanie stellte sich nach Erfüllung der ersten
Pflichten eine Gruppe zusammen und sang aus matten Kehlen "Nun danket alle
Gott". Es war das allbeherrschende Gefühl, das jede Zurückhaltung
durchbrach. Wie viele versicherten aus freien Stücken: "Heute haben wir
beten gelernt!" Ein Unteroffizier (Einjähriger) rief mir mit leuchtenden
Augen zu: "Te Deum laudamus!" (Herr Gott, dich loben wir) und sprach
damit nur aus, was alle Herzen erfüllte. Bei einem Häufchen
Verwundeter hat einer sein kleines Feldgesangbuch aufgeschlagen, und ein
Unteroffizier neben ihm stimmt dem Lesenden zu, er tue recht, in solchen Zeiten
gewinne man das Büchlein lieb.
Bald sank die Nacht hernieder, und wer keine Wache hatte, durfte nun wirklich
ruhen! Wir dachten still dieser unvergeßlichen
Tage - und wir dachten der Toten, der Toten.
|