II. Die nationalpolitische Tendenz
der tschechoslowakischen Wirtschaftspolitik
2. Die "legalen" Maßnahmen gegen das
Sudetendeutschtum
Der erste entscheidende Schlag gegen die deutsche Wirtschaft erfolgte im Februar
1919, als der tschechische Finanzminister Dr. Raschin
plötzlich die wechselseitige Übertragung von Guthaben und Depots
aus den übrigen Teilen der früheren Monarchie in die
Tschechoslowakei und umgekehrt sperrte. Die der Regierung
nahestehenden tschechischen Banken waren über die kommende
Maßregel orientiert und mit Zahlungsmitteln gut versorgt, während
die deutschen Geldanstalten der Sudetenländer und die in der
Tschechoslowakei liegenden Filialen der Wiener und Budapester
Großbanken sowie deutsche und ungarische Firmen, die noch ihre
bedeutenden Guthaben in den beiden früheren Hauptstädten bei der
Postsparkasse und in den Banken liegen hatten, durch jene Verordnung die
Verfügung über ihre Geldmittel verloren. Sie mußten nun
Kredite bei tschechischen Geldinstituten, besonders bei der "Zivnosteska
banka" aufnehmen, die nur unter der Bedingung der Einräumung der
Beteiligung an den um Kredit bittenden Unternehmungen gewährt wurden.
Damit hatte sich das tschechische Kapital mit einem Ruck Einfluß auf die
deutschen Industrie- und Handelsunternehmungen gesichert.43
[110] Die Verweigerung der
Bezahlung der Kriegslieferungen an die alte k. u. k. Armee durch die
tschechische Regierung war der zweite harte Schlag gegen die deutsche
Wirtschaft. Bei der wirtschaftlichen Struktur des alten Österreichs fiel der
größte Teil der industrielle Kriegslieferungen der sudetendeutschen
Wirtschaft zu und sie war es auch, die von dieser Verfügung am
härtesten getroffen wurde. Über den tatsächlichen Verlust sind
keine amtlichen Ziffern veröffentlicht worden. Nach privaten
Schätzungen wird die österreichische Staatsschuld an die Industrie
mit 4.5 Milliarden Friedenskronen angegeben.
Die Nichteinlösung der gezeichneten Kriegsanleihen war eine weitere
Maßnahme, von der das gesamte sudetendeutsche Volksleben auf das
allerhärteste betroffen und erschüttert wurde. An der Zeichnung
österreichischer Kriegsanleihe hatte das Sudetendeutschtum
hervorragenden Anteil. So wurden z. B. bei der 2. Kriegsanleihe in
Böhmen 82% von den Deutschen und nur 18% von den Tschechen
gezeichnet (Nationalitätenverhältnis zwischen Deutschen und
Tschechen 1 : 2), d. h. 217 K auf den Kopf der
deutschen, 26,3 K auf den der tschechischen Bevölkerung. Bei der 4.
Anleihe zeichnete die Zentralbank der deutschen Sparkassen 333 Millionen
Kronen, die der tschechischen 57 Millionen Kronen. Die tschechischen
Sparkassen hatten 7.5% ihrer Einlagen in Kriegsanleihe angelegt, die deutschen
77%. Von den rund 8 Milliarden Kronen, die in den Sudetenländern
gezeichnet wurden, entfielen 89% auf die Sudetendeutschen. Die
Nichteinlösung der österreichischen Kriegsanleihe der Prager
Regierung führte nicht nur zu einer allgemeinen Schwächung des
sudetendeutschen Volksvermögens, sondern zugleich zu einer Vernichtung
tausender und abertausender Existenzen. Daß das beabsichtigt war, geht aus
einer Äußerung der tschechischen Tribuna hervor, die am 17.
Mai 1922 schrieb: "Interessant ist, daß ein Bankdirektor (gemeint ist
Dr. Preis von der Zivnobank - Der Verf.) in der Annullierung
der Kriegsanleihe das Rezept gefunden haben wollte, die deutsche Industrie zu
tschechisieren. Er sagt: Die deutsche Industrie wird die Nichteinlösung
der Kriegsanleihe nicht aushalten und durch die tschechischen Banken auf diese
Weise am leichtesten tschechisiert werden."44
Es bedarf keiner erläuternden Worte, daß diese Maßnahme die
gesündeste Wirtschaft erschüttern und sie an einen fremden
Geldmarkt verkaufen mußte.
Nach dieser allgemeinen Schwächung des sudetendeutschen
Wirtschaftslebens in den ersten Nachkriegsjahren begann man mit einer
Übersteuerung der Industrie und des Bergbaues durch die Verlagerung des
Schwergewichtes von der Personal- auf die Verbrauchssteuer. Daß davon
wieder nur die Sudetendeutschen [111] betroffen wurden als
Industrievolk, beweist u. a. die vom tschechischen Senatspräsidenten
Klofac im Senat 1923 mitgeteilte Tatsache, daß aus den sudetendeutschen
Industriegebieten allein 56% aller staatlichen Steuern eingehen! Wenn diese
Steuerkraft trotz der mißgünstigen Behandlung deutscher
Industrieller und Kaufleute bei der Erteilung von
Ein- und Ausfuhrbewilligungen, der Begünstigung der tschechischen
Großbanken bei den finanziellen Transaktionen des Staates, und bei der
behördlichen Ausforschung der Geschäftsgebarung deutscher
Banken und Aktiengesellschaften zum Vorteil der tschechischen
Konkurrenzunternehmungen durch Kontrollkommissionen, welche die
Geschäftsbücher einsahen, in den ersten Jahren möglich war,
so beweist sie zugleich die ungeheuere Wirtschaftsstärke der
sudetendeutschen Industrie.
Die im März 1919 eingeleitete Währungstrennung und
Abstempelung der Noten der österreichisch-ungarischen Bank und die
später durchgeführte Vermögensabgabe führte zu einer
weiteren Schwächung der grenzdeutschen Industrie. Bei der Nostrifizierung
der Banken, Versicherungs- und industriellen Aktiengesellschaften wurden, um
Schwierigkeiten zu entgehen, tschechische Partei- und Finanzmänner in die
Verwaltungsräte der deutschen Unternehmungen aufgenommen, wodurch
die weitere Existenz deutscher Unternehmen überhaupt erst garantiert
wurde. Sie erhielten dadurch utraquistischen Charakter und zumeist einen
doppelsprachigen Beamtenkörper.
Zu all diesen innenstaatlichen Maßnahmen kam die systematische
Ausschaltung der sudetendeutschen Industrie von den staatlichen
Großlieferungen und die Benachteiligung der deutschen Wirtschaft bei der
Kontingentierung der Rohstoffe und der Produktion.
Durch das im Jahre 1922 erfolgte Hinauftreiben des Kurses der Krone auf das
Dreifache sind die Guthaben der Industrie im Auslande, besonders in den
Balkanländern, uneinbringlich geworden.
Aus nationalpolitischen Erwägungen sieht das Sudetendeutschtum mit
Besorgnis, wie die von der sudetendeutschen Wirtschaft aufgebrachten Mittel in
tschechische Hände übergehen. Denn überall dort, wo der
Staat entweder als Unternehmer (Tabakregie, Eisenbahnen, Post usw.) oder
als Investor (Vergebung von Lieferungen, Durchführung öffentlicher
Arbeiten) auftritt, findet das Sudetendeutschtum weder Schutz noch Brot.
Darüber kann die Vergangenheit nicht täuschen und die
Hoffnung auf die Zukunft nicht trösten. Das jährliche
Staatsbudget zeigt, in welcher Weise bei Verteilung der Ausgaben
sudetendeutsche Interessen berücksichtigt werden. Das tägliche
Leben lehrt es, daß von den 12 Milliarden, welche allein der Staat aus der
Wirtschaft zieht, nicht jener Teil dem Sudetendeutschtum zugute kommt, den es
zur Aufbringung der Einnahmen trotz Krise, Not und Armut ehrlich beisteuert.
Die Veröffent- [112] lichung über die
Verteilung staatlicher Aufträge und die Kundmachung über die
Verwendung öffentlicher Gelder, aus denen hervorgehen würde, wie
die deutsche Arbeiterschaft und die deutsche Wirtschaft beteilt werden, verlangen
die deutschen Abgeordneten vergeblich. Das ist hinreichend Grund, ein Budget
abzulehnen, das dem Sudetendeutschtum alle Pflichten zu budgetären
Einnahmen beizutragen auferlegt, ihm aber das Recht an den budgetären
Ausgaben verhältnismäßig teilzunehmen nicht garantiert.
Die sudetendeutschen Parlamentarier haben in hunderten Interpellationen auf
diese Mißstände hingewiesen und im Verlauf der alljährlichen
Budgetdebatte an Hand der Ziffern des Staatsvoranschlages diese systematische
Ausschaltung der Sudetendeutschen von den staatlichen Lieferungen und ihre
sonstige Benachteilung nachgewiesen.
Ein Beispiel aus dem Staatsvoranschlag des Jahres 1935 soll das Gesagte unter
Beweis stellen:
Für den Bau von
Staatsgebäuden innerhalb
der zivilen Staatsverwaltung ist insgesamt vorgesehen ein Betrag von |
129,430.900 |
Kč45 |
1. |
Hievon entfallen auf die Zentralbehörden |
16,120.000 |
" |
|
(In diesem Betrage sind
nur die für
das Jahr 1935 entfallenden Beträge des Bauaufwandes enthalten; so
z. B. von dem Gesamtaufwand für den Umbau des Czernin'schen
Palais für Zwecke des Außenministeriums im Betrage von 48,300
Kč ein Teilbetrag von 3,000.000 Kč.) |
2. |
Im Ressort des Ministerratspräsidiums für die
vorbereitenden
Arbeiten für den Neubau des Statistischen Staatsamtes |
10.000 |
" |
3. |
Im Ressort des Außenministeriums für die
Ausgestaltung der Gesandtschaftsgebäude |
2,200.000 |
" |
4. |
Im Ressort des Innenministeriums
Unter den hier vorgesehenen 32 Posten entfallen auf das deutsche Gebiet: |
13,108.000 |
" |
|
a) |
Eger: Kauf des Hauses Nr. 516, Jahrestilgungszahlung |
176.000 |
" |
|
b) |
Reichenberg: Ausbau des Bezirksamtes |
50.000 |
" |
|
c) |
Mähr.-Trübau: Tilgungszahlung für das
Amtsgebäude |
120.000 |
" |
|
|
also insgesamt |
346.000 |
" |
[113] 5. |
Justizministerium
Hievon entfallen auf das deutsche Gebiet: |
16,114.500 |
" |
|
a) |
Aussig: Tilgungszahlung für das Amtsgebäude |
11.400 |
" |
|
b) |
Falkenau: Beitrag für den Neubau des gemeinsamen
Amtsgebäudes |
900.000 |
" |
|
c) |
Auspitz: Neubau des Amtsgebäudes |
50.000 |
" |
|
d) |
Nikolsburg: Ausbau der Gefangenenhauswerkstätten |
50.000 |
" |
|
|
also insgesamt |
1,011.400 |
" |
6. |
Im Ressort des Schulministeriums
Hievon entfallen auf das deutsche Gebiet bezw. für deutsche
Kulturzwecke: |
44,898.800 |
" |
|
a) |
Tilgungszahlung für das hygienische Institut der deutschen
Universität |
26.500 |
" |
|
b) |
Für den Ankauf und Neubau für Zwecke der deutschen und der
tschechischen Universität; es wird angenommen, daß die
Hälfte des hier vorges. Betrages auf die deutsche Universität
entfällt |
1,315.000 |
" |
|
c) |
Für die Deutsche Universität (Nebengebäude
Hlavkabrücke) |
50.000 |
" |
|
d) |
Für vorbereitende Arbeiten für die Zahnklinik und das
Anatomische Institut (siehe Anmerkung bei 6 b) |
60.000 |
" |
|
e) |
Liebwerda: Landwirtschaftl. Hochschule, Neubau |
300.000 |
" |
|
f) |
Grundkauf für die Deutsche Technik in Prag |
50.000 |
" |
|
g) |
Tilgungszahlung für die Deutsche Technik in Brünn |
57.100 |
" |
|
h) |
Tilgungszahlung für den Zubau der Technik in Brünn |
19.700 |
" |
|
i) |
Für vorbereitende Arbeiten eines Zubaues des
Werkstättenlaboratoriums in Brünn |
25.000 |
" |
|
j) |
Für den Aufbau eines 3. Stockwerkes auf das deutsche
Staatsrealgymnasium in Prag II |
50.000 |
" |
|
|
also insgesamt nur |
1,953.300 |
" |
7. |
Im Ressort des Landwirtschaftsministeriums
Für das deutsche Gebiet ist nichts vorgesehen. |
1,680.000 |
" |
8. |
Im Ressort des Bodenamtes
Für das deutsche Gebiet ist nichts vorgesehen. |
199.600 |
" |
9. |
Im Ressort des Handelsministeriums
Für das deutsche Gebiet ist nichts vorgesehen. |
1,000.000 |
" |
10. |
Im Ressort des Ministeriums für öffentliche
Arbeiten
Für das deutsche Gebiet ist nichts vorgesehen. |
800.000 |
" |
11. |
Im Ressort des Ministeriums für soziale
Fürsorge
Für das deutsche Gebiet ist nichts vorgesehen. |
1,700.000 |
" |
[114] 12. |
Im Ressort des Gesundheitsministeriums
Für das deutsche Gebiet ist nichts vorgesehen. |
8,980.000 |
" |
13. |
Im Ressort des Finanzministeriums |
22,609.000 |
" |
|
a) |
Eger: Gebäude für die Finanzwache |
500.000 |
" |
|
b) |
Friedland: Neubau für die Finanzwache und Finanzamt |
500.000 |
" |
|
c) |
Roßbach: Gebäude für das Zollamt und
Finanzwache |
400.000 |
" |
|
d) |
Reichenberg: Ausbau des gemeinsamen Amtsgebäudes |
50.000 |
" |
|
e) |
Falkenau: Neubau des gemeinsamen Amtsgebäudes |
600.000 |
" |
|
f) |
Für vorbereitende Arbeiten von geplanten Neubauten in Kaplitz,
Roßbach, Trautenau, Brüx, Tachau und Landskron |
150.000 |
" |
|
|
also insgesamt nur |
2,200.000 |
" |
Von den im Staatsvoranschlag 1935 für Neubauten innerhalb der zivilen
Verwaltung vorgesehenen Gesamtausgaben im Betrage von
129,420.900 Kč entfallen nur insgesamt 5,860.700 Kč,
nur 4.5 v. H. auf das deutsche Gebiet, wobei gar nicht
erwiesen ist, daß diese Bauten von deutschen Gewerbetreibenden und
Arbeitern ausgeführt werden.46
[115] Kein anderes Bild
würde die Untersuchung früherer und künftiger
Staatsvoranschläge geben. Und wie es im vorliegenden Fall
budgetmäßig ist, so ist es auf allen Gebieten, wo der
tschechoslowakische Staat als Auftraggeber für die gewerbliche oder
industrielle Produktion auftritt.47
[116] Ein anderes
charakteristisches Beispiel für die Benachteiligung der deutschen
Wirtschaft bei der Kontingentierung der Rohstoffe und der Produktion zeigt die
Auswirkung des Margarinegesetzes vom 12. März 1934, über die aus
Wirtschaftskreisen folgender Situationsbericht ausgegeben wurde:
"Im Jahre 1934 wurden 6500
Waggons erzeugt, welche Menge 1935 auf 5000 Waggons herabgesetzt wurde.
Die Herabsetzung beträgt also 23 Prozent. Man sollte es nun für
selbstverständlich halten, daß die bestehenden Kunstfettfabriken
einfach ihre Erzeugung um 23 Prozent vermindern müssen. Aber weit
gefehlt! Bisher gab es 24 Kunstfettfabriken, jetzt werden aber noch weitere neue
Konzessionen erteilt. Obwohl zur Kunstfetterzeugung teure Maschinen notwendig
sind, fanden sich neun Firmen, denen es sich auszahlt, je einen Waggon
(10 000 Kilogramm) Kunstfette jährlich zu erzeugen. Weitere sieben
Firmen sollen je 2,3 bis höchstens 4 Waggons jährlich erzeugen.
Andere Firmen erhielten die Erlaubnis zur Erzeugung größerer
Mengen, obwohl sie im Vorjahr sehr wenig oder überhaupt kein Kunstfett
erzeugten. So z. B. hat der agrarische Moravosvaz im Vorjahr nur
Margarine aus anderen Fabriken verkauft, heuer aber das Recht erhalten, 200
Waggons zu erzeugen. Die sozialdemokratische
Großeinkaufsgenossenschaft hat im Vorjahre in ihrer Fabrik Nelahozeves
278 Waggons Kunstfette erzeugt, heuer aber wurden ihr 400 Waggons zugeteilt.
Die Firma Otta in Rakovnik hat im Vorjahre nichts erzeugt, hat aber heuer das
Recht, 150 Waggons zu erzeugen. Die Erzeugungsberechtigung wurde so verteilt,
daß 204 Waggons 20 Firmen erhielten, die im Vorjahr kein Kunstfett
erzeugten und von denen viele auch heuer keines erzeugen, sondern sich damit
begnügen werden, ihre Berechtigung einer anderen Firma zu verkaufen.
Von den 24 Firmen, die schon im Vorjahre Kunstfett erzeugten, erhielten 11 mehr
als ihnen gebührt, wogegen 12 Fabriken mehr entzogen wurde, als es dem
Gesetz entspricht. Nur eine einzige Firma erhielt die ihr nach den Vorschriften
gebührende Zuteilung...."48
[117]
Die Schicht-Werke in Aussig a. d. Elbe. Die Kennzeichen
der großen sudetendeutschen Unternehmer sind Weitsicht,
Tüchtigkeit, Ausdauer und soziales Verständnis. Die jüdische
Raffgier blieb ihnen fremd. So hat Georg Schicht 1848 in Ringelhain eine kleine
Seifensiederei begründet, 1882 verlegte er sie an die Ufer der Elbe in
Aussig. Heute sind die Schicht-Werke auf dem Gebiete der Fettindustrie in
Europa führend. Niemals erkaufte sich Georg Schicht und seine Nachfahren
den Erfolg durch Ausbeutung der Angestellten und Arbeiter. Das Aktienkapital
beträgt 140.000.000 Kronen.
|
Unter den benachteiligten Fabriken befinden sich ausschließlich deutsche,
vor allem die großen deutschen Schichtwerke in
Aussig-Schreckenstein. In einem Bericht des Bürgermeisteramtes von
Aussig an die Presse, der zugleich die Methoden der tschechischen
Wirtschaftspolitik charakterisiert, heißt es:
"Bei der Zuteilung aus dem
Kontingent ist nicht der Vorgang gewählt worden, alle Unternehmungen
gleichmäßig um 23 Prozent geringer zu beteilen, sondern es wurden
die Betriebe individuell behandelt. Hierbei wurden einzelnen Unternehmungen
Zuteilungen bewilligt, die über die Erzeugung im Jahre 1933 hinausgehen;
einige Betriebe, die bisher überhaupt [117] nichts erzeugten, auf
Erzeugung von Kunstspeisefetten nicht eingerichtet sind und das zugeteilte
Kontingent verkaufen, erhielten namhafte Kontingente, während die Firma
Schicht-A.-G. in Aussig-Schreckenstein als besteingerichteter Betrieb mit den
»Centra«-Werken in Krischwitz bei Bodenbach um 40 Prozent
gekürzt wurde. Nebenbei sei bemerkt, daß hier auch die sonst
geübte Solidarität der tschechischen Industrieverbände nicht
zur Geltung kam. In der Presse war vor einigen Wochen zu lesen, daß die
Betriebe »Schicht-A.-G.« und »Centra«-Werke durch
das verringerte Kontingent rund 600 000 Lohnstunden
einbüßen, was der jährlichen Arbeitsleistung von 240
Vollarbeitern entsprechen würde. Das ist jedoch nur der Lohnausfall, der
infolge der geringen Zuteilung eintritt, wenn sich an der bisherigen Organisation
des Betriebes keine wesentliche Änderung vollzieht. Gerade das letztere
steht aber in Frage! Der Betrieb der (sudetendeutschen) Firma
Schicht-A.-G. ist einer der modernst eingerichteten Großbetriebe der
tschechoslowakischen Republik und ganz Europas, der alle Vorteile in der
Behandlung der Erzeugnisse vom Rohstoff bis zur Fertigware ausnützt,
über konzernmäßige Verbindungen und einen Reklameapparat
verfügt, die sich über die halbe Welt erstrecken. Das Unternehmen
beschäftigt gegenwärtig in seinem Betriebe in
Aussig-Schreckenstein 2170 Arbeiter und 1084 Angestellte, in den
»Centra«- [118] Werken in Krischwitz
400 Arbeiter und Angestellte, zusammen also 3654 Personen. Es handelt sich um
einen der wenigen Großbetriebe im deutschen Gebiete unserer Republik, die
noch genügend Beschäftigung für ihre Arbeiter und
Angestellten haben. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung Schreckensteins,
Aussigs und der Orte in der Umgebung ist mit seiner Existenz auf die Firma
angewiesen, und die Gemeinden Aussig und Schreckenstein sowie der Bezirk
Aussig würden in ihren Einnahmen schwer geschädigt, wenn der
Betrieb auch nur zum Teil eingeschränkt würde. Die
tatsächliche Steuerleistung der
Georg-Schicht-A.-G. in Schreckenstein betrug in den Jahren
1929 - 1933 insgesamt 6 323 518 Kr.; an
Zuschlägen haben die beteiligten Selbstverwaltungskörper für
diese genannten Jahre 22 236 673 Kr. zugewiesen
erhalten.
In tschechischen politischen und industriellen Kreisen und
in einem Teil der Presse wird seit einiger Zeit gegen den Weltkonzern der
Schicht-A.-G. Stimmung gemacht. Dem Konzern wird vorgeworfen, daß
sich sein Kapital in schweizerischen, holländischen und englischen
Händen befinde und daß auch der Universalkonzern, dem die
Schicht-Werke in Schreckenstein, die
»Centra«-Werke in Krischwitz, die Ölfabriken in Lobositz
und die »Sana« in Prag-Hloubetin angehören, dem
inländischen Kapitalmarkt zu wenig Wohlwollen entgegenbringt und
trachtet, der tschechoslowakischen Steuerpflicht zu entschlüpfen.
Angenommen, daß es die Unternehmungen des Universalkonzerns mit der
tschechoslowakischen Steuerpflicht genau so halten wie die übrigen
Großunternehmungen, die unter dem Einfluß mächtiger
Bankherren stehen, was hat das aber mit der Aufteilung des Kontingentes zu tun?
Hat man keine andere Möglichkeit, als Aufträge zu entziehen und
dadurch vor allem die Angestellten und Arbeiter schwer zu schädigen,
denen die Steuer pünktlich bei jeder Gehalts- oder Lohnauszahlung in
Abzug gebracht wird? Es wurde behauptet, daß in den
Schicht-Werken eine beachtliche Zahl Ausländer auf bestbezahltem Posten
beschäftigt wird. Das ist ebenfalls unrichtig; denn unter den 58 im Betrieb
in Schreckenstein beschäftigten Ausländern befindet sich nur ein
einziger Chefchemiker, ein Schweizer, der als bestbezahlter Beamter
angesprochen werden kann und seit dem Jahre 1913 bei der Firma ist. Die
Hälfte der im Unternehmen beschäftigten Ausländer ist im
Gebiete der tschechoslowakischen Republik geboren, 26 von den 30
ausländischen Angestellten haben dauernde Aufenthaltsbewilligung, und
nur bei vier ist der Aufenthalt zeitlich beschränkt. Aber wieder
angenommen, die Behauptung wäre richtig; wie kommen die bei der Firma
beschäftigten tschechoslowakischen (gemeint sind die
sudetendeutschen - d. V.) Arbeiter und Beamten dazu, dafür
bestraft zu werden? Das deutsche Gebiet ist durch die Auswirkungen der
Wirtschaftskrise ohnehin ungleich schwerer betroffen als das tschechische. Sollte
da nicht bedacht werden, daß durch eine ungerechte Behandlung in der
Zuteilung des Kontingents und durch darauffolgende Entlassung von Arbeitern
und Angestellten eine Stimmung erzeugt wird, die zu
Verzweiflungsausbrüchen führt?
Wenn die Georg-Schicht-A.-G. und die
»Centra«-Werke mit einer dauernden Einschränkung der
Erzeugung im angegebenen Ausmaße rechnen müssen, dann ist nach
zuverlässigen Mitteilungen der weitere Bestand des [119] Unternehmens als
Großbetrieb gefährdet und eine einschneidende organisatorische
Umstellung zu gewärtigen; das würde bedeuten, daß
ungefähr die Hälfte des bisherigen Standes der Angestellten und
Arbeiter überflüssig würde und insbesondere die Angestellten
der Verkaufs- und Werbeabteilung zum größten Teil entlassen
werden müßten. Die Zahl der Arbeitslosen im Aussiger Bezirk
würde sich zumindest um 1500 vermehren, die Kaufkraft der
Bevölkerung um rund 20 - 25 Millionen Kronen
jährlich zurückgehen, was bedeutet, daß Gewerbetreibende und
Kaufleute um diese Millionen weniger Umsatz erzielen
würden...."
Trotz der zahlreichen Proteste, die gegen die geplante Kontingentierung von den
politischen Parteien und deutschen Wirtschaftskreisen erhoben wurden, erfolgte
die Aufteilung für das Jahr 1936 in der gleichen Weise wie im Jahre vorher.
Die Mitteilungen des deutschen Hauptverbandes der Industrie49 schrieben daraufhin:
"Die Aufteilung der
Margarine-Kontingente für das Jahr 1936 ist in der gleichen Weise wie im
vorhergegangenen Jahr erfolgt und stößt auf den großen
Widerstand, insbesondere der kleinen Firmen. Alteingesessene deutsche und
tschechische Firmen weisen darauf hin, daß die außerordentlich
niedrigen Zuweisungen geradezu ihre Existenz bedrohen, wobei sie in ihren
Reklamationen vor allem auf die Tatsache verweisen, daß die Reduktion der
Kontingente nicht bei allen Unternehmungen im gleichen Umfange
durchgeführt wurde, sondern sehr ungleichmäßig, so daß
sie sich zwischen 26 bis 50 Prozent bewegt, wogegen einigen neuen
Unternehmungen, die der sozialdemokratischen und agrarischen Partei
nahestehen, die Kontingente im Hinblick auf die bisherige Erzeugung wesentlich
erhöht wurden. Die zurückgesetzten Firmen haben die Ämter
bereits aufmerksam gemacht, daß ihnen bei einer so beschränkten
Produktion nichts anderes übrig bleiben wird, als Arbeiter zu entlassen,
wobei noch die Frage unbeantwortet bleibt, wie die Kapitalinvestitionen zu
amortisieren sind, die nun brachliegen. Zahlreiche Firmen haben sich bereits an
die Regierung gewandt. Wie versichert wird, wird auch eine Beschwerde an das
Oberste Verwaltungsgericht vorbereitet."
Diese Meldung des objektiven Wirtschaftsblattes wirft zugleich ein bezeichnendes
Schlaglicht auf die korrupte tschechische Parteiwirtschaft im Staate.
[120]
Fabriksabbruch in Würbenthal (Schlesien). In allen
sudetendeutschen Gauen das gleiche Bild: Fabriken in Abbruch, Menschen in
Not! Einst rauchten überall in den Tälern die Schornsteine der
Textil-, Papier-, Glas-, Porzellan- und Maschinenfabriken. Großstadtarbeiter
gab es wenige; die meisten bebauten nach der Arbeit in ihrem Heimatsort ein
kleines Gärtchen, lebten zufrieden und genügsam. Und heute?
|
Mit der Zertrümmerung der österreichisch-ungarischen
Wirtschaftseinheit verlor die sudetendeutsche Industrie rund 75% ihres bisherigen
Inlandsmarktes. Sie wurde zum Auslandsmarkt und seit 1918 mit hohen
Zollgrenzen umgeben. Der Weltkrieg aber hatte die alten überseeischen
Verbindungen der sudetendeutschen Exportindustrie abgerissen, die in der
Zwischenzeit mit anderen Industriestaaten angeknüpft wurden, so daß
sich die sudetendeutsche Industrie vielfach neue Absatzmöglichkeiten
wieder schaffen mußte. Sie war also nicht nur vor vollkommen neue
Marktverhältnisse gestellt, sondern mußte sich die
Exportmöglichkeiten aus dem Staate selbst, in dem sie produzierte,
erkämpfen. Die sudetendeutsche Exportindustrie hatte nicht nur mit den
Schwierigkeiten zu ringen, die sich aus der [120] Zollpolitik des eigenen
tschechischen Staates und aus dem Widerstand ehemaliger Exportstaaten gegen
die sudetendeutschen Waren ergaben, sondern in einzelnen Zweigen einen
Konkurrenzkampf um die Ausfuhr mit den staatlich geförderten
tschechischen Exportfirmen zu führen.
Dazu kamen noch die zahlreichen Schikanen der untergeordneten
Behörden, die den Export der sudetendeutschen Industrie hemmten und
schädigten.50
[121] Die staatliche
Wirtschaftspolitik förderte z. B. durch Exportprämien,
Steuernachlässe und Kreditgewährung die junge tschechische
Exportindustrie. Die tschechischen Konsularvertretungen im Auslande leiten alle
neuen Aufträge des Auslandes, die nur zu erreichen sind, der tschechischen
Wirtschaft zu, während die sudetendeutsche Industrie auf ihre eigene
Werbekraft im Ausland angewiesen ist.
Ein im Jahre 1924 erlassener Elbe-Moldau-Umschlagtarif begünstigte
offensichtlich Prag und die tschechischen Umschlagplätze, während
die deutschen Flußhäfen nicht in den Genuß staatlicher
Förderung kamen. Die anbefohlene tschechische Signierung der
weltbekannten Saazer Hopfenmarken wurde dazu benützt, um die
Konkurrenz des tschechischen Hopfenbaugebietes von Raudnitz mit dem an
Qualität überlegenen Saazer zu erleichtern.
Bei Wirtschaftsverhandlungen mit den Exportstaaten müssen die
Kompensationen der tschechoslowakischen Handelsdelegationen immer die
sudetendeutschen Industrien bezahlen.
Auf Grund der letzten deutsch-tschechoslowakischen Verhandlungen wurde
z. B. das Ausfuhrkontingent an Tonerzeugnissen aus der Tschechoslowakei
auf ein Drittel verringert. Das bedeutet die fast vollständige Lahmlegung
des ohnehin schon stark gedrosselten Exportes und damit einen vernichtenden
Schlag gegen die Tonförderung in den Gruben. Da 80% aller Tongruben
der Tschechoslowakei im Egerland, im Wildsteiner Gebiet liegen, werden
unmittelbar 700 sudetendeutsche Arbeiter mit ihren Familien von Arbeitslosigkeit
bedroht. Hunderte von Gewerbetreibenden sind mitbetroffen. Die Gemeinden des
Wildsteiner Bezirkes stehen vor dem Ruin.51
[122]
Das Regenwasser fällt durch das morsche Dach. Die
Stätte froher Arbeit und jahrzehntelangen Unternehmerfleißes ist ein
Abbruchhaufen geworden. Systematisch fördert die unfähige
Staatsverwaltung den Verfall einer im alten Österreich blühenden
Wirtschaft, richtet dreieinhalb Millionen Menschen, die nie den tschechischen
Staat gewollt hatten, zugrunde.
|
Die gleichen Schwierigkeiten werden dem Absatz sudetendeutscher
Industrie-Erzeugnisse im tschechischen Gebiet gemacht. Da ist es in erster Linie
die staatlich geduldete Boykottpropaganda der tschechischen Schutzvereine, die
der sudetendeutschen Wirtschaft den Absatz im Innern des Staates erschwert. Die
Jahrzehnte hindurch verkündete Parole: "Svuj k
svemu" - "Jeder zu den Seinen" findet bis ins kleinste Dorf Beachtung.
Während nun der sudetendeutschen Industrie der Absatzmarkt in den
nichtdeutschen Gebieten des Staates immer mehr verschlossen wurde, breitete
sich der Absatz der tschechischen Industrie im sudetendeutschen Gebiete aus und
schwächte dadurch das sudetendeutsche Wirtschaftsleben.
Ein typisches Beispiel hierfür ist die Errichtung von Verkaufsfilialen und
Reparaturwerkstätten der tschechischen Schuhgroßfirma Bata. Bis in
die kleinsten Landgemeinden sind die Verkaufsfilialen Batas bereits
vorgedrungen. Dadurch werden Hunderte deutscher Schuhmacher um ihre
Existenz gebracht.
[122] Bei der Verbreitung
tschechischer Waren im deutschen Gebiet fehlt es nicht an staatlichem Druck und
Einschüchterungsversuchen durch die im deutschen Gebiet angesiedelten
Tschechen, den Verkauf und Kauf tschechischer Industrieprodukte zu
tätigen.
Daß die staatlichen Ämter im sudetendeutschen Gebiet ihren
Warenbedarf nur mit tschechischen Erzeugnissen decken, die, wenn sie an Ort
und Stelle nicht zu erhalten sind, aus der tschechischen Erzeugungsfabrik bezogen
werden, ist nach den bisherigen Schilderungen nicht weiter
überraschend.
Die Nachteile für das sudetendeutsche Wirtschaftsleben ergeben sich aus
dieser Praxis von selbst.
Es ist unmöglich im Rahmen dieser Darstellung alle die staatlichen
Maßnahmen aufzuzählen, die in ihrer Auswirkung das
sudetendeutsche Wirtschaftsleben schädigten. Die angeführten
staatlichen Maßnahmen und Beispiele für die
planmäßige Benachteiligung der sudetendeutschen Wirtschaft durch
den Staat sollten [123] zeigen, wie der Staat
auf scheinbar legalem Wege durch seine Gesetzgebung und die
Exekutive durch eine einseitige Anwendung der staatlichen Machtmittel das
wirtschaftliche Übergewicht des Sudetendeutschtums zu brechen sucht.
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