[295]
Bd. 1: Teil 1: Die
wirtschaftlichen Folgen des Versailler Vertrages
IV. Das Reparationsproblem (Teil
2)
b) Der Dawes-Plan und seine
Durchführung
Professor Dr. Friedrich Raab
I. Einleitung
Von der Berufung des Daweskomitees bis zur
Ingangsetzung des Dawesplans
Der vorangehende Abschnitt schilderte die
Entwicklung der Reparationsfrage bis
zu der am 30. November 1923 erfolgten Berufung zweier
Sachverständigenausschüsse durch den
Wiedergutmachungsausschuß, der gewöhnlich die
"Reparationskommission" genannt wird. Von diesen beiden
Sachverständigenausschüssen sollte einer unter dem Vorsitz des
Engländers MacKenna die Höhe des ausgeführten deutschen
Kapitals feststellen und die geeigneten Mittel erwägen, wie es nach
Deutschland zurückzubringen sei. Dem anderen Ausschuß wurde der
Auftrag zuteil, einen Bericht über die Mittel zu erstatten, durch welche "der
deutsche Reichshaushalt ins Gleichgewicht zu bringen" sei und über "die zur
Stabilisierung seiner Währung zu ergreifenden Maßregeln". Dieser
später sogenannte "erste Sachverständigenausschuß", vielfach
auch "Daweskomitee" genannt, bestand aus folgenden Mitgliedern:
a) |
aus Belgien:
Emile Franqui, Vizepräsident der Société Générale de
Belgique,
Maurice Houtart, Mitglied der belgischen Kammer; |
b) |
aus England:
Sir Robert Kindersley, Präsident der Bank Lazard Brothers & Co. in
London,
Sir Josiah Stamp, Steuerspezialist, Direktor zahlreicher Industriekonzerne; |
c) |
aus Frankreich:
Edgar Allix, Professor der Finanzwissenschaft an der Sorbonne,
Jean Parmentier, Direktor des Crédit Foncier de France; |
[296] d) |
aus Italien:
Federico Flora, Professor der Finanzwissenschaft an der Universität
Bologna,
Dr. Alberto Pirelli, Industrieller; |
e) |
aus den Vereinigten Staaten:
General Charles Gates Dawes, Präsident der Central Trust Company of
Illinois in Chicago,
Owen D. Young, Aufsichtsratsvorsitzender der Electric Company. |
Damit waren mit je zwei Mitgliedern diejenigen Länder in diesem
Sachverständigenausschuß vertreten, welche nach Anlage II, §
2 zum ersten Abschnitt des Teiles VIII
über die Wiedergutmachungen des
Vertrags von Versailles befugt waren, Vertreter mit ständigem Stimmrechte
in die Reparationskommission zu entsenden.
Der Sachverständigenausschuß wählte General Dawes zu
seinem Vorsitzenden. Mit Ausnahme eines vierzehntägigen Aufenthalts in
Berlin tagte der Ausschuß in Paris, und zwar vom 14. Januar 1924 bis zum
9. April 1924.
Er ernannte zur Bearbeitung der beiden ihm gestellten Hauptaufgaben je einen
Unterausschuß aus seiner Mitte. Der Unterausschuß für die
Stabilisierung der Währung bestand aus Owen D. Young als Vorsitzenden,
sowie Professor Flora, Vizepräsident Franqui, Sir Robert Kindersley und
Direktor Parmentier. Er wurde unterstützt durch Herrn H. M. Robinson, der
dem Ausschuß nicht angehörte. Dem Unterausschuß für
den Ausgleich des Reichshaushaltes gehörten als Vorsitzender Sir Josiah
Stamp und ferner Professor Allix, Maurice Houtart und Dr. Pirelli an.
Die Rechte des Daweskomitees, zugleich aber auch die rechtlichen und politischen
Grenzen seines Arbeitsbereiches und seiner Entscheidungsfreiheit ergeben sich aus
den entsprechenden Befugnissen der Reparationskommission, durch deren
Beschluß und Auftrag das Daweskomitee ins Leben trat. Die
Reparationskommission weist selber in ihrem Berufungsbeschluß vom 30.
November 1923 auf diese Grundlage hin: "Um gemäß den
Bestimmungen des Artikels 234
des Vertrages von Versailles die Hilfsmittel und
die Leistungsfähigkeit Deutschlands zu prüfen, hat die
Reparationskommission, nachdem sie einem Vertreter Deutschlands nach
Billigkeit Gehör gewährt hat, beschlossen, zwei Ausschüsse
von Sachverständigen zu schaffen usw." Der Artikel 234
des Vertrages von
Versailles verlangt, daß die Reparationskommission vom 1. Mai 1921 ab
(also dem Zeitpunkte des Inkrafttretens des Londoner Zahlungsplans vom Mai
1921 und zugleich dem Zeitpunkte, bis zu welchem die Reparationskommission
der deutschen Regierung den Gesamtbetrag ihrer Verpflichtungen mitzuteilen
[297] hatte), von Zeit zu Zeit die Hilfsmittel und die
Leistungsfähigkeit Deutschlands zu prüfen hat. Der Artikel 234
schreibt ferner vor, den Vertretern Deutschlands angemessene Gelegenheit zu
geben, gehört zu werden, und ermächtigt die Reparationskommission,
die im Vertrag von Versailles festgesetzten Fristen zur Tilgung der deutschen
Zahlungsverpflichtungen nach dem Ergebnis solcher Prüfungen der
deutschen Leistungsfähigkeit auszudehnen, ebenso die gemäß
dem Vertrag von Versailles vorgesehenen Zahlungsarten zu ändern. Ebenso
ausdrücklich verbietet indessen der genannte
Artikel des Vertrages von
Versailles der Reparationskommission, ohne besondere Ermächtigung der
verschiedenen in der Kommission vertretenen Regierungen auf irgendeinen Betrag
zu verzichten.
Da also die Aufgabe der Reparationskommission zwar darin besteht, die Fristen
und Zahlungsarten, nicht aber die Gesamthöhe der deutschen
Reparationszahlungen von Zeit zu Zeit den Hilfsmitteln und der
Leistungsfähigkeit Deutschlands anzupassen, so ergab sich hieraus für
einen zur Unterstützung dieser Aufgabe der Reparationskommission
einberufenen Sachverständigenausschuß, auch im Zusammenhang
einer Erörterung des Gleichgewichts des deutschen Reichshaushalts und der
Stabilisierung der deutschen Währung (welche von den deutschen
Reparationszahlungen entscheidend beeinflußt werden), nur solche
Vorschläge zu machen, welche die Fristen und Zahlungsarten der deutschen
Reparationsverpflichtungen betrafen, nicht aber deren Gesamtumfang. Das
Daweskomitee hat sich an diese Grenzen seiner Aufgabe um so mehr gehalten, als
ihm auch politische Erwägungen diese Beschränkung nahelegten:
Jede mit den Hilfsmitteln und der Leistungsfähigkeit Deutschlands
vereinbare Bestimmung der Gesamtverpflichtungen Deutschlands hätte dem
von der Reparationskommission festgesetzten Gesamtbetrag von 132 Milliarden
Goldmark1 widersprechen müssen und durch
ihr Mißverhältnis
zu den Erwartungen der Reparationsgläubiger auch deren Widerstand gegen
jede Rücksichtnahme hinsichtlich der Fristen und Zahlungsarten
wachgerufen. Für das Daweskomitee ergab sich daraus der Zwang,
mindestens für einen Teil der deutschen Reparationsleistungen eine
unbestimmte Dauer der Jahreszahlungen vorzusehen. Zugleich gewann das
Daweskomitee hierdurch die Möglichkeit, in unangreifbarer Weise seine
Vorschläge als vorläufige zu bezeichnen, wozu es sich auch im
übrigen veranlaßt sah. Treffend wird dies im Schlußabschnitt
des ersten Teiles des zusammenfassenden Gutachtens des Daweskomitees
folgendermaßen formuliert:
"Wir möchten schließlich
betonen,
daß unser Plan zwar keine Lösung der ganzen Reparationsfrage
versucht, wozu er ja auch nicht berechtigt ist, wohl [298] aber eine Regelung ahnen läßt, da
seine Durchführung sich über einen genügend langen Zeitraum
erstreckt, um das Vertrauen wiederherzustellen; gleichzeitig ist er geeignet, ein
endgültiges umfassendes Abkommen über alle
Reparations- und verwandte Fragen zu erleichtern, sobald dies die
Verhältnisse ermöglichen."
Im übrigen sind sich die Sachverständigen nicht nur der rechtlichen,
sondern auch der politischen Schranken ihrer Tätigkeit voll bewußt
gewesen, heben sie doch selber hervor, daß politische Rücksichten
notwendig gewisse Grenzen zögen, innerhalb deren eine Lösung
gefunden werden müsse, wenn sie irgendeine Möglichkeit der
Annahme haben solle.
Damit ist zugleich ausgesprochen, daß aus rechtlichen und politischen
Gründen die Arbeit der Sachverständigen den Boden des Vertrages
von Versailles nicht verlassen durfte. Das Sachverständigengutachten des
Daweskomitees hat dies denn auch in keinem irgendwie wesentlichen Punkte
getan.2 Ja, der Vorsitzende der
Reparationskommission Bartou hat in der ersten
Sitzung des Daweskomitees hierauf mit Nachdruck hingewiesen, indem er
erklärte, daß die Sachverständigen ihre Arbeiten im Rahmen
des Vertrages von Versailles, gemäß dessen Artikel 234,
in voller Unabhängigkeit und beispielhafter Unparteilichkeit durchführen
würden.3
Der Vorschrift des Vertrages von Versailles, bei einer Prüfung
gemäß Artikel 234
die deutsche Regierung zu hören, wurde
dadurch entsprochen, daß der deutsche Staatssekretär Fischer vor der
endgültigen Berufung des Daweskomitees gehört wurde. Das
Daweskomitee selber hat als Beauftragter der Vertreter der Gläubiger keine
deutschen Generalsachverständigen hinzugezogen, wohl aber
während seines Berliner und seines Pariser Aufenthaltes zahlreiche deutsche
Sachverständige über Einzelfragen angehört und auch neben
zahllosem Einzelmaterial eine amtliche Zusammenfassung unter dem Titel
"Material für ein Studium von Deutschlands Wirtschaft, Währung
und Finanzen" entgegengenommen. Als Ergebnis seiner Tätigkeit legte der
Sachverständigenausschuß der Reparationskommission am
9. April 1924 einen, späterhin gewöhnlich "Dawesplan"
genannten, Bericht4 vor. Dieser vielfach auch schlechtweg
"Sachverständigengutachten" genannte Plan enthält in seinem ersten
Teile die Auffassung des Daweskomitees von seiner Aufgabe, seine
Schlußfolgerungen und den großen Umriß seines Planes. Der
zweite Teil gibt die Erwägungen an, die zu den Schlußfolgerungen des
Daweskomitees geführt haben, insbesondere soweit sie sich aus gewissen
Seiten der damaligen Finanz- und Wirtschaftslage Deutschlands
er- [299] geben hätten. Die einzelnen Abschnitte
dieses Teiles behandeln die Währungsfrage, stellen Betrachtungen
über die Bemessung von Deutschlands Belastung an, betreffen den
deutschen Haushalt für 1924/1925 und das deutsche Steuersystem und
bringen schließlich einen Vorschlag für die Kontrolle der als
Sicherheit vorgesehenen Einnahmen. Der dritte Teil besteht aus einer Reihe von
Anlagen, welche die technischen Einzelheiten der verschiedenen Vorschläge
enthalten, nämlich erstens den Plan für die Errichtung einer
Notenbank in Deutschland, zweitens den Vorschlag für einen
Wohlstandsindex; die dritte Anlage stellt einen allgemeinen Bericht über die
deutschen Eisenbahnen dar und ist dem Daweskomitee von Sir William Acworth
und Herrn Leverve erstattet. Die vierte Anlage betrifft die Übertragung des
Rechtes zum Betriebe der Reichsbahn an eine besondere Gesellschaft. Die
fünfte Anlage behandelt den Plan für Industrieobligationen. Die
sechste gilt der Übertragung von Reparationszahlungen aus deutscher
Währung in ausländische Währung und der Verwendung der
nichtübertragenen Überschüsse. Die siebente, achte und neunte
Anlage enthalten nur Materialien für die Vorschläge, und zwar
über die im Januar 1924 in Deutschland im Umlauf befindlichen
Zahlungsmittel, den deutschen Reichshaushalt für 1924 nach
vorläufiger Schätzung und eine Antwort der deutschen Regierung
über die Besteuerung von Einkommen verschiedener Höhe, die ganz
aus Dividenden deutscher industrieller Gesellschaften oder zur einen Hälfte
aus ausländischen Gesellschaften stammende Dividenden enthalten.
Die Reparationskommission erklärte am 11. April 1924, daß sie die
Schlußfolgerungen des ihr vorgelegten Berichtes billige und auch seine
Methoden anerkenne. Sie wolle jedoch mit der Empfehlung der Annahme durch
die beteiligten Regierungen der Reparationsgläubigerländer warten,
bis die deutsche Regierung ihre Bereitschaft zur Mitarbeit ausgesprochen habe.
Daraufhin erklärte sich zunächst das erste Kabinett Marx am 16. April
1924 bereit, an der Lösung der Reparationsfrage auf der Grundlage des
Sachverständigenberichtes mitzuarbeiten. Das zweite Kabinett Marx
bestätigte diese Erklärung am 4. Juni 1924, und fügte hinzu,
daß es bereit sei, alles zu tun, was an ihm liege, um die begonnenen
Vorarbeiten zu beschleunigen und den Sachverständigenbericht zu
verwirklichen. Allerdings könnten die von der deutschen Regierung
erlassenen Gesetze und Verordnungen erst dann in Kraft treten, wenn klar und
eindeutig feststehe, daß auch die Regierungen der
Reparationsgläubigerländer den Sachverständigenbericht als
ein unteilbares Ganze ansähen und gleichzeitig alle im
Sachverständigenbericht als notwendig bezeichneten Maßnahmen
träfen, um die deutsche Leistungsfähigkeit, namentlich die
wirtschaftliche und finanzielle Einheit Deutschlands und seine Verwaltungshoheit,
gleichzeitig wieder herzustellen. Es sei unerläßlich, daß die
vertragliche [300] Grundlage wieder hergestellt werde, sowohl
hinsichtlich des vertragsmäßig besetzten linksrheinischen Gebietes als
auch der über den Vertrag von Versailles hinaus besetzten Gebiete. Das
schließe ein, daß in dem altbesetzten Gebiet das Rheinlandabkommen
wiederhergestellt und loyal gehandhabt werde und die über den Vertrag von
Versailles hinaus besetzten Gebiete wieder geräumt würden. Diese
Erklärung der Reichsregierung billigte mit 247 gegen 183 Stimmen der
deutsche Reichstag am 6. Juni 1924.
Daraufhin sprach die Reparationskommission die bereits in Aussicht gestellte
Empfehlung einer Annahme des Sachverständigenberichtes durch die
Regierungen der Reparationsgläubigerländer aus, woraufhin diese
Regierungen ihre Bereitschaft erklärten. Gleichzeitig begannen die in dem
Sachverständigenbericht vorgesehenen vorläufigen
Organisationsausschüsse ihre Tätigkeit und verfaßten
Pläne für die Industrieobligationen, die Entwürfe eines
Reichsbahngesetzes und der einen Bestandteil dieses Gesetzes bildenden Satzung
der zu gründenden deutschen Reichsbahngesellschaft, sowie für die
Organisation einer Notenbank in Deutschland.
Am 16. Juli 1924 kamen die Vertreter der alliierten Regierungen zwecks
Ingangsetzung des Dawesplans in London zusammen. Vom 5. August ab nahmen
an dieser "Londoner Konferenz" auch Vertreter der deutschen Reichsregierung teil,
und zwar Reichskanzler Dr. Marx, Reichsminister der Finanzen Dr. Luther und
Reichsminister des Auswärtigen Dr. Stresemann. Das Ergebnis der
Verhandlungen wurde in einer Reihe von Abkommen niedergelegt, welche
später als Anlagen des bei Beendigung der Konferenz am 16. August 1924
unterzeichneten Schlußprotokolls bezeichnet wurden. Von diesen vier
Abkommen bzw. "Anlagen" ist das erste am 9. August 1924 zwischen der
deutschen Reichsregierung und der Reparationskommission abgeschlossen
worden. Es regelt die Verpflichtungen der deutschen Reichsregierung wie der
Reparationskommission zur Ingangsetzung des Dawesplans und zur Sicherung
seiner dauernden Durchführung. Ihm ist als "Unteranlage" eine Niederschrift
über die Zahlungen aus dem deutschen Reichshaushalt und die Einrichtung
einer Aufsicht über die Einnahmen aus den Zöllen und den Abgaben
auf Alkohol, Tabak, Bier und Zucker beigefügt. Dieses erste Abkommen
unterzeichnete die Reparationskommission nicht nur in Ausübung der ihr
durch den Vertrag von Versailles hinsichtlich der deutschen
Reparationsverpflichtungen ausgestellten Vollmachten, sondern auch auf Grund
weiterer Vollmachten, die ihr von den alliierten Regierungen hinsichtlich aller
derjenigen deutschen Zahlungsverpflichtungen ausgestellt wurden, welche
über die eigentlichen Reparationsverpflichtungen hinausgehen und darum
durch den Vertrag von Versailles nicht in den Bereich der Vollmachten der
Reparationskommission einbezogen [301] waren, nunmehr aber durch die in dem
Dawesplan vorgesehenen Zahlungen mit abgegolten werden sollten. Diese
weiteren Verpflichtungen bestanden insbesondere in den Unterhaltungskosten der
Besatzungstruppen sowie den Kosten der bereits auf Grund des Vertrags von
Versailles und der nunmehr neu errichteten Kommissionen und Kontrolleure.
Das zweite Abkommen ist ebenfalls am 9. August 1924, aber zwischen den
alliierten Regierungen und der deutschen Reichsregierung abgeschlossen worden.
Es regelt die Sachlieferungen Deutschlands und die Übertragung der von
Deutschland abgeführten Barleistungen in Zahlungsmittel der
Reparationsgläubiger, den sogenannten "Transfer". Ferner enthält es
allgemeine Vereinbarungen über die schiedsrichterliche Entscheidung aller
die Ausführung des Dawesplans betreffenden Streitfragen zwischen der
deutschen Reichsregierung und der Reparationskommission.
Das dritte Abkommen ist ebenfalls zwischen den Regierungen der
Reparationsgläubiger und der deutschen Reichsregierung abgeschlossen
worden und regelt die einzelnen Schritte zur allmählichen Ingangsetzung des
Dawesplans.
Das vierte Abkommen schließlich ist ohne Beteiligung der deutschen
Reichsregierung lediglich zwischen den alliierten Regierungen abgeschlossen und
nimmt gewisse Änderungen des Vertrages von Versailles vor, zu welchen
die Alliierten gemäß § 22 der Anlage II zu Teil
VIII des Vertrages von
Versailles durch einstimmigen Beschluß der in der Reparationskommission
vertretenen Regierungen ohne Zustimmung der deutschen Reichsregierung befugt
waren. Diese mit dem Vertrag von Versailles also nicht im Widerspruch stehenden
Änderungen der Geschäftsordnung der Reparationskommission
betreffen vor allem die Hinzuziehung eines amerikanischen Bürgers zur
Reparationskommission, solange sich die amerikanische Regierung in der
Reparationskommission nicht amtlich vertreten läßt, sowie das
Verfahren, nach welchem Anträge auf Feststellung einer
Nichterfüllung Deutschlands der im Dawesplan aufgeführten
Verpflichtungen zu behandeln sind. Ein überstimmtes Mitglied des
Ausschusses kann gegen die getroffene Entscheidung innerhalb acht Tagen
Berufung bei einer Schiedskommission einlegen, welche von dem Ausschuß
selber einstimmig oder, mangels eines einstimmigen Beschlusses, von dem
internationalen Gerichtshof im Haag auf fünf Jahre ernannt wird. Nur auf
Grund einer einstimmigen oder durch die erwähnte Schiedskommission
endgültig gewordenen Feststellung einer Nichterfüllung Deutschlands
dürfen in Zukunft Sanktionen ergriffen werden. Die Alliierten verpflichten
sich, in solchen Fällen sich unverzüglich miteinander ins Benehmen
zu setzen, um die Art der anzuwendenden Sanktionen zu bestimmen. Diese sind so
durchzuführen, daß sie schnell und
wirk- [302] sam
sind. - Es ist also weder eine Verpflichtung zum übereinstimmenden
Handeln, noch eine Bindung hinsichtlich der Art der zu ergreifenden Sanktionen
von den Alliierten eingegangen worden. —
Nach Beendigung der Tätigkeit der verschiedenen vorläufigen
Organisationsausschüsse legte die deutsche Reichsregierung dem Reichsrate
und alsdann dem deutschen Reichstage eine Reihe zur Durchführung des
Londoner Schlußprotokolls und der Ingangsetzung des Dawesplans
bestimmter Gesetze vor, und zwar: ein Gesetz über die Londoner
Konferenz, welches die Ratifizierung des Londoner Schlußprotokolls
vorsah; zur Durchführung der verschiedenen währungspolitischen
Maßnahmen ein Bankgesetz, ein Gesetz über die
Liquidierung des Umlaufs von Rentenbankscheinen, ein
Münzgesetz und ein Privatnotenbankgesetz; zur
Durchführung der Industriebelastung ein
Industriebelastungsgesetz, ein Gesetz zur Aufbringung der
Industriebelastung und eine Satzung der Bank für Industrieobligationen; zur
Durchführung der Belastung der deutschen Reichsbahn ein
Reichsbahngesetz, sowie eine Satzung der Reichsbahngesellschaft nebst
einem Reichsbahnpersonalgesetz.
Diese Gesetze wurden, soweit erforderlich mit der notwendigen
verfassungsändernden Mehrheit, am 29. August 1924 vom deutschen
Reichstage angenommen und bereits am folgenden Tage verkündet, so
daß die deutsche Reichsregierung, wie vorgesehen, an diesem 30. August
1924 das Londoner Schlußprotokoll endgültig unterzeichnen konnte.
Hierauf begann der Dawesplan am 1. September 1924 zu laufen, nachdem die
Reparationskommission festgestellt hatte, daß die für die
Durchführung des Dawesplans erforderlichen Gesetze in der von ihr
gebilligten Fassung verkündet seien. —
Im Folgenden wird zunächst eine Übersicht der deutschen
Verpflichtungen und der Rechte der Reparationsgläubiger gegeben, wie sie
im Dawesplan, in dem Londoner Schlußprotokoll und seinen Anlagen, sowie
den zu seiner und des Dawesplans Ausführung erlassenen deutschen
Reichsgesetzen enthalten sind. Dieser systematisch gegliederten Übersicht
folgt eine zusammenfassende Charakteristik der Bedeutung dieser Verpflichtungen
und Rechte und schließlich eine kritische Schilderung der Ausführung
dieser Verpflichtungen bzw. der Ausübung dieser Rechte in der Zeit vom 1.
April 1924 bis zum 30. April 1929, also während der ersten 4⅔ sogenannten
"Dawesjahre". Auf die während der Ausführung sich ergebenden
Schwierigkeiten und Abänderungsbestrebungen geht alsdann der folgende
Aufsatz näher ein.
[303]
I. Systematische Übersicht über
die deutschen Reparationsverpflichtungen und die Rechte der
Reparationsgläubiger auf Grund des Londoner Schlußprotokolls vom
16. August 1924, des ihm zu Grunde liegenden
Dawes-Plans und der zu seiner Ausführung erlassenen
Reichsgesetze
A) Verpflichtungen
Deutschlands
1) Verpflichtungen zu Zahlungen
a) Verpflichtungen des Reiches zu Zahlungen
Nach Ansicht der Sachverständigen war nicht zu erwarten, daß
Deutschland aus dem Reichshaushalt des Rechnungsjahres 1924/25 durch
Einschränkung der Ausgaben oder Steigerung der Einnahmen irgendeine
Zahlung an die Alliierten aufbringen könne; sie waren vielmehr davon
überzeugt, daß jede Forderung einer derartigen Zahlung sowohl den
Aufbau des Haushalts, wie auch die Stabilität der Währung in Gefahr
bringen würde. (Tatsächlich ist dieses Rechnungsjahr 1924/25 aber
seit dem Rechnungsjahre 1912/13 bis heute das einzige gewesen, in welchem die
tatsächlichen ordentlichen Einnahmen des Reiches seine tatsächlichen
sämtlichen Ausgaben überstiegen haben.5) Infolgedessen sieht der
Dawesplan als einen seiner wesentlichen Bestandteile im ersten Jahre die
Ausgabe einer äußeren Anleihe von 800 Millionen Goldmark durch
Deutschland vor. Wenngleich diese Anleihe in erster Linie für die
erfolgreiche Umge-
Erläuterungen zur umstehenden [Scriptorium: nachfolgenden] Tabelle
- Die runden Klammern bedeuten: Nicht aus Mitteln der
Steuerzahler.
- Soweit der Erlös aus dem Aktienverkauf nicht ausreicht, ist der
Minderbetrag aus den beschlagnahmten Reichseinkünften zu zahlen.
- Überdies Ausfall des von der Reichsbahngesellschaft auf
Reparationskonto abzuführenden Verkehrssteueranteils.
- Außerdem unter Umständen Zahlungen auf Grund der
Haftpflicht
des Reiches beim Zahlungsverzug der Reichsbahngesellschaft oder beim Dienst
der Industrieobligationen.
- In eckigen Klammern der Betrag, der bei einem Aufkommen aus den
beschlagnahmten Reichseinkünften von 1000 bzw. 1250 Millionen zu
zahlen ist; bei anderem Aufkommen ist ein Betrag innerhalb der weiter
angeführten Grenzen zu zahlen.
- Evtl. Zuschlag auf die Zahlungen des Reiches auf Grund des
Wohlstandsindexes.
- Evtl. Zuschlag oder Abschlag auf die Zahlungen des Reichs auf Grund der
Goldwertklausel.
- Vgl. I, 8, S. 326.
[304]
Tabellarische
Übersicht der Zahlungsverpflichtungen.8
Es sind zu zahlen: |
Im wie-
vielten Jahre d. Ausfüh-
rung d.
Dawes-
plans |
Das ist das
Jahr |
|
Vom Reich |
|
Von der deutschen
Industrie |
|
Von der deutschen
Reichsbahngesellschaft |
|
Insge-
samt
im Jahre
Mill.
GM |
an |
Millionen
GM |
insge-
samt
im Jahre |
an |
Mill.
GM |
insge-
samt
i. Jahr |
an |
Mil-
lionen
GM |
|
insge-
samt
i. Jahr |
|
1. |
1924/25 |
Erlös der 800-
Millionenanleihe |
(800)1
|
|
(800)
|
—
|
—
|
|
—
|
2% Zinsen
bis auf
20 Millionen |
200 |
|
200 |
1000 |
|
2. |
1925/26 |
Aus dem Erlös2
des Verkaufes
von bis 500
Millionen GM
Vorzugsaktien
d. Reichsbahn-
gesellschaft |
(250)
|
|
(250)3,4
|
2½% Zinsen
|
125
|
|
125
|
Rest v. 1. Jahre
5% Zinsen
Bonus
Beförderungs-
steuer |
20
550
25
250 |
|
845
|
1220
|
|
3. |
1926/27 |
Zahlungen
a. das
Reparations-
konto |
[110]5
0-360 |
|
3,4
0-360
|
5½% Zinsen |
250
|
|
250
|
5% Zinsen
Befördergs.-
steuer |
550
290
|
|
840 |
1090-1450 |
|
4. |
1927/28 |
Zahlungen
a. das
Reparations-
konto |
[500]5
250-750 |
|
3,4
250-750
|
5% Zinsen
1% Tilgung |
250
50 |
|
300 |
5% Zinsen u.
1% Tilgung
Befördergs.-
steuer |
660
290 |
|
950 |
1500-2000 |
|
5. |
1928/29 |
Zahlungen
a. das
Reparations-
konto |
1250 |
|
3,4
1250
|
6% Zinsen
u. Tilgung |
300 |
|
300 |
6% Zinsen u.
Tilgung
Befördergs.-
steuer |
660
290 |
|
950 |
2500 |
|
6.-10. |
1929/30
- 1933/34 |
Zahlungen
a. das
Reparations-
konto |
1250
+J6
±G7 |
|
1250
+J ±G
3,4 |
6% Zinsen
u. Tilgung |
300 |
|
300 |
6% Zinsen u.
Tilgung
Befördergs.-
steuer |
660
290 |
|
950 |
2500 +½J ±G |
|
11. ff. |
1934/35
ff. |
Zahlungen
a. das
Reparations-
konto |
1250
+2·J6
±G |
|
1250
+2·J6
±G3,4 |
6% Zinsen
u. Tilgung |
300 |
|
300 |
6% Zinsen u.
Tilgung
Befördergs.-
steuer |
660
290 |
|
950 |
2500 +J ±G |
[305] staltung der Reichsbank und
für die Sicherstellung der Währungsstabilisierung wichtig schien, so
sollte sie doch in zweiter Linie dazu dienen, Deutschland die Erfüllung
solcher unmittelbaren Verpflichtungen gegenüber den Alliierten in einer
Weise zu ermöglichen, die keine Geldübertragung nach dem
Auslande bedingte. Darum waren aus dem Erlöse dieser Anleihe 800
Millionen Goldmark bzw. deren Gegenwert in deutscher Währung auf das
Reichsbankkonto des zur Durchführung des Dawesplans berufenen
Generalagenten für Reparationszahlungen zu leisten. Allerdings hatte die
Zahlung nicht erst beim Eingang des Ertrages der Anleihe zu beginnen, vielmehr
waren während einer sogenannten "Übergangszeit" von Beginn der
Durchführung des Dawesplans am 1. September 1924 an monatlich 83
Millionen Goldmark vorzuschießen (das ist der auf einen Monat entfallende
Teil der Gesamtverpflichtung im ersten Jahre = 800 Millionen Goldmark aus dem
Anleiheerlös plus 200 Millionen Goldmark Zinsen der
Reichsbahnobligationen; Näheres siehe
unten). Um die Unterbringung der
Anleihe zu erleichtern und ihren Dienst sicherzustellen, hatten sich die alliierten
Regierungen verpflichtet, falls infolge einer Nichterfüllung Deutschlands
Sanktionen ergriffen würden, die besonderen Pfänder zu achten, die
etwa für den Dienst der Anleihe bestellt würden, und dem
Anleihedienst einen unbedingten Vorrang zuzubilligen.
Während des zweiten Jahres sollte das Reich aus dem ihm
zufließenden Anteil am Erlöse von Vorzugsaktien der deutschen
Reichsbahngesellschaft (siehe unten) oder
aus einer inneren Anleihe eine
außerordentliche Haushaltszahlung von 250 Millionen Goldmark leisten.
Während dieses Jahres fielen außerdem zunächst 250 Millionen
Goldmark Einnahme aus der Beförderungssteuer für das Reich aus,
weil die deutsche Reichsbahngesellschaft nur den diesen Betrag
übersteigenden Rest des Beförderungsteueraufkommens an das Reich
abzuführen hatte.
Während des dritten Jahres sollte Deutschland aus dem
Reichshaushalt 110 Millionen Goldmark leisten, während des vierten Jahres
500 Millionen Goldmark. Wenn jedoch der Ertrag der gesamten kontrollierten
Einnahmequellen (siehe unten) im dritten Jahre eine Milliarde oder im vierten
Jahre 1¼ Milliarden Goldmark überstiege, sollten die Leistungen aus dem
Reichshaushalt jeweils um ein Drittel dieses Überschusses, jedoch um nicht
mehr als 250 Millionen Goldmark erhöht werden. Wenn umgekehrt diese
Gesamteinkünfte im dritten Jahre eine Milliarde oder im vierten Jahre 1¼
Milliarden nicht erreichten, so sollten die Leistungen aus dem Reichshaushalt
jeweils um ein Drittel des Fehlbetrages, jedoch um nicht mehr als 250 Millionen
Goldmark jährlich vermindert werden.
Ferner sollte während des dritten und vierten Jahres dadurch ein
[306] Reservefonds in Höhe von 100 Millionen
Goldmark angesammelt werden, daß der Kommissar der verpfändeten
Reichseinnahmen von jedem der monatlichen Gesamteingänge an
beschlagnahmten Steuern und Zöllen jeweils soviel zurückbehielt, als
nötig war, um ein Zehntel der jeweils fälligen
jährlichen Verpflichtungen aus dem deutschen Reichshaushalt zu decken,
aber dem Generalagenten für Reparationszahlungen monatlich nur ein
Zwölftel der jeweils fälligen jährlichen
Haushaltsverpflichtungen überwies. Der Reservefonds ist in erster Linie
dazu bestimmt, etwaige Fehlbeträge der kontrollierten Einnahmen zu
decken. Die auflaufenden Zinsen sind der deutschen Regierung zu
überweisen, sobald der Reservefonds 100 Millionen Goldmark erreicht
hat.
Im fünften Jahre, dem ersten sogenannten "Normaljahre" (das ist
in dem gegenwärtig noch bis zum 31. August 1929 laufenden
Reparationsjahre) sind aus dem deutschen Reichshaushalte, ausschließlich
Beförderungssteuer, 1250 Millionen Goldmark zu leisten.
Wohlstandsindex
Vom sechsten Jahre der Ausführung des Plans der
Sachverständigen, das ist vom Jahre 1929/30 ab, soll zu der in gleicher
Höhe jährlich weiter zu entrichtenden erstmals für das
Normaljahr vorgesehenen Leistung von 1250 Millionen Goldmark eine
Erhöhung entsprechend dem nachfolgend dargelegten Wohlstandsindex
eintreten:
Der Wohlstandsindex setzt sich aus folgenden Komponenten zusammen:
- die Gesamtsumme der deutschen Ein- und Ausfuhr;
- die Gesamtsumme der Einnahmen und Ausgaben des Reichshaushalts
einschließlich derjenigen der Länder Preußen, Sachsen und
Bayern, jedoch abzüglich derjenigen Summen auf beiden Seiten, die in den
betreffenden Jahren zur Erfüllung des Vertrages von Versailles zu zahlen
sind;
- die im Eisenbahnverkehr beförderte Gütermenge nach
Gewicht;
- der Gesamtgeldwert des Verbrauches an Zucker, Tabak, Bier und Branntwein in
Deutschland, berechnet nach dem vom Verbraucher tatsächlich bezahlten
Preise;
- die Gesamtbevölkerung Deutschlands, berechnet nach den letzten
verfügbaren Volkszählungsergebnissen,
Geburts- und Todesstatistiken und Auswandererlisten;
- der Verbrauch an Steinkohle und Braunkohle, letzterer umgerechnet in
Steinkohle, auf den Kopf der Bevölkerung.
Bei Berechnung der Vergleichsbasis werden für die Einnahmen und
Ausgaben (b), für die Bevölkerungszahl (e) und für den
Kohlenverbrauch je Kopf (f) die Durchschnittsergebnisse aus den drei Jahren
[307] 1927, 1928 und 1929 und für die anderen
Komponenten die Ergebnisse aus den sechs Jahren 1912, 1913, 1926, 1927,1928
und 1929 zugrunde gelegt. Dabei sind die Unterschiede der
Bevölkerungszahl und des veränderten Goldwertes zu
berücksichtigen, um einen Vergleich der zwei früheren mit den vier
späteren Jahren zu ermöglichen. Die prozentuale Veränderung
in jeder der sechs Gruppen gegenüber der Vergleichsbasis wird getrennt
berechnet; das arithmetische Mittel aus diesen sechs Prozentzahlen ergibt den
Index.
Zur Errechnung des Jahreszuschlages wird die Indexziffer in den fünf Jahren
1929/30 bis 1933/34 auf 1250 Millionen, also nur auf die Hälfte der
Normalzahlung, in den folgenden Jahren, nämlich von 1934/35 ab auf die
Normalzahlung, nämlich 2500 Millionen, angewendet.
Der Jahreszuschlag wird nur nach vollen halben Prozenten des Index berechnet,
d. h. ein Indexmittel von 11,35% würde als 11% rechnen.
Auf Grund der Ergebnisse des vorangegangenen Kalenderjahres werden die evtl.
Zuschläge für das kommende Jahr der Ausführung des Planes
festgestellt und das Ergebnis der Reparationskommission mitgeteilt.
Der Zuschlag für das Jahr 1929/30 wird durch Vergleich der Statistik des
Kalenderjahres 1929 mit der Indexbasis errechnet und vor Ablauf des vierten
Monats des Jahres 1930/31 gezahlt.
Sollte sich nach dem Index in irgendeinem Jahr für den Zuschlag ein
negativer Betrag ergeben, so soll die Grundzahlung weiter geleistet
werden, spätere Zuschläge sind jedoch erst dann wieder zu zahlen,
wenn die Defizit- oder Minusbeträge der vorangegangenen Jahre entsprechend
berücksichtigt sind.
Die Regeln, nach denen der Index errechnet werden soll, sowie die Unterlagen und
Methoden, die zu benutzen sind, um festzustellen, daß die Statistiken,
welche die Komponenten des Index ergeben, möglichst richtig und
einwandfrei sind, sollen im einzelnen durch ein Komitee festgesetzt werden, das
aus vier Mitgliedern besteht. Zwei Mitglieder werden durch die deutsche
Regierung und zwei Mitglieder durch die Reparationskommission ernannt. Die
deutsche Regierung wird die Berechnung des Index durch das Deutsche
Statistische Reichsamt nach den von dem Komitee angegebenen Methoden
ausführen lassen.
Das Komitee hat das Recht, das statistische Material (insbesondere die
Anmeldungen und Nachweisungen) zu prüfen, auf Grund dessen die
Berechnungen für die Komponenten a und f ausgeführt werden; das
gleiche statistische Material soll unter den gleichen Bedingungen dem Kommissar
für die Aufsicht über die verpfändeten Einnahmen auf dessen
Wunsch zur Kenntnis gebracht werden.
[308] Berücksichtigung der Kaufkraft des
Goldes
Die deutsche Regierung, die Reparationskommission und die in der
Reparationskommission vertretenen Regierungen können jede für sich
vom Jahre 1928 ab in jedem künftigen Jahre eine Abänderung der
deutschen Verpflichtungen verlangen, mit der Begründung, daß sich
die allgemeine Kaufkraft des Goldes im Vergleich zu 1928 um mindestens 10%
geändert habe. Die vorzunehmende Abänderung kann sich sowohl auf
den Normalbetrag als auch auf die Zuschlagszahlung nach dem Wohlstandsindex
beziehen; bei der Zuschlagszahlung jedoch nur insoweit, als der Goldwert nicht
bereits in den Wertziffern der einzelnen Komponenten des Wohlstandsindex
enthalten ist. Ist eine gegenseitige Verständigung nicht zu erzielen, so soll
ein von dem Völkerbund zu ernennendes Komitee entscheiden. Die
veränderte Basis wird für jedes folgende Jahr bestehen bleiben, bis
eine der Parteien behauptet, daß seit dem Jahre, in dem die
Veränderung eintrat, wieder eine Veränderung von mindestens 10%
entstanden ist.
Die vorstehend behandelten Veränderungen werden auf Grund allgemein
anerkannter (deutscher oder nichtdeutscher) Preisindexziffern erfolgen, und zwar
einzeln oder in Verbindung miteinander, je nachdem eine Einigung stattfindet oder
es der Schiedsspruch bestimmt.
Bedingte Zahlungsverpflichtungen auf Grund besonderer Haftpflicht
Das Reich haftete über den Betrag der vorgenannten
Zahlungsverpflichtungen mit den verpfändeten Reichseinnahmen noch
für den Fall, daß aus dem Verkauf von Vorzugsaktien der deutschen
Reichsbahngesellschaft oder aus einer inneren Anleihe im zweiten
Reparationsjahre der fällige Betrag von 250 Millionen Goldmark nicht
aufgebracht werden kann. Es haftet ferner für den Fall, daß die Zinsen
und Tilgungsbeträge für die
Eisenbahn- und Industrieobligationen (s. unten) nicht rechtzeitig oder nicht in
voller Höhe bezahlt werden.
b) Verpflichtungen zu Zahlungen der Industrie
Der nach dem Dawesplan von der deutschen Industrie als Beitrag zu den
Reparationszahlungen insgesamt geforderte Betrag von "mindestens" 5 Milliarden
Goldmark soll mit jährlich 5% verzinst und 1% getilgt werden. Allerdings
ist in der Erkenntnis, daß Deutschland beim Inkrafttreten des Dawesplans
von flüssigem Kapital entblößt war und zu seiner Neubildung
eine Frist brauchte, während des ersten Jahres auf eine Verzinsung der
Summe völlig verzichtet und sie im zweiten Jahre nur in der halben
Höhe von 2½% gefordert worden, während die Tilgung erst
vom vierten Jahre in Höhe [309] von 1%, einschließlich der ersparten
Zinsen, erfolgen soll. Die Umlegung dieser Zahlungsverpflichtungen auf die
deutsche Industrie hatte gleichzeitig in doppelter Weise zu erfolgen. Einmal ist mit
Wirkung nach außen ein bestimmter Kreis von Unternehmungen auf Grund
des Industriebelastungsgesetzes dinglich belastet (s. unten), sodann ist in
einer lediglich im innerdeutschen Rechtsverhältnis wirkenden Form ein
weiterer Kreis von Unternehmungen zur tatsächlichen
Aufbringung der vorgenannten jährlichen
Zins- und Tilgungsbeträge verpflichtet worden.
Aufbringungspflichtig in diesem Sinne sind die Unternehmer
sämtlicher industriellen und gewerblichen Betriebe mit Einschluß des
Bergbaus, des Verkehrs-, Bank-, Versicherungs-, Gast-,
Schank- und Beherbergungsgewerbes, sowie des Handels. Unternehmer von
landwirtschaftlichen, forstwirtschaftlichen oder gärtnerischen Betrieben, von
Viehzucht-, Weinbau- oder Fischereibetrieben sind nicht
aufbringungspflichtig.
Industrielle oder gewerbliche Betriebe im Sinne des Aufbringungsgesetzes sind
auch die werbenden Betriebe des Reiches, der Länder und Gemeinden,
jedoch nicht die Reichspost. Befreit sind Unternehmer, wenn und solange ihr zur
Vermögenssteuer heranzuziehendes Betriebsvermögen den Betrag
von 20 000 Goldmark nicht übersteigt (während mit Wirkung nach
außen nur Unternehmer mit Betriebsvermögen von mindestens 50 000
Goldmark belastet sind). Der Betrag, den ein aufbringungspflichtiger Unternehmer
jährlich zu entrichten hat, bemißt sich nach einem Kapitalbetrage, der
auf Grund des zur Vermögenssteuer veranlagten Betriebsvermögens
festgestellt wird. Die Jahresleistung hat in zwei gleichen Summen
halbjährlich zu erfolgen.
Es wird eine Ausgleichs- und Sicherungsrücklage gebildet, in welche bis zur
Erreichung des Betrages von 300 Millionen Goldmark ein Zuschlag von 10 vom
Hundert zu den auf Grund des Aufbringungsgesetzes geschuldeten Beträgen
von den aufbringungspflichtigen Unternehmern zu zahlen ist; außerdem
fließen in diese Rücklage die Leistungen aufbringungspflichtiger
Unternehmer, welche zwischen zwei Umlegungen einen Betrieb eröffnen
oder ihr Betriebskapital vergrößern.
c) Verpflichtungen zu Zahlungen der deutschen
Reichsbahngesellschaft
Die von der deutschen Reichsbahngesellschaft ausgestellten
Reparationsschuldverschreibungen im Nennwerte von 11 Milliarden Goldmark
sind vom vierten Jahre ab mit 5 vom Hundert jährlich zu verzinsen und mit
jährlich 1 vom Hundert zuzüglich der durch die Tilgung ersparten
Zinsen zu tilgen. Für die ersten drei Jahre wurden die Jahresleistungen
begrenzt, und zwar für das erste Jahr auf 200 [310] Millionen Goldmark, für das zweite Jahr
auf 595 Millionen Goldmark und für das dritte Jahr auf 550 Millionen
Goldmark. Die Jahreszahlung hat in zwei gleichen Summen halbjährlich zu
erfolgen. Außerdem hatte die Reichsbahngesellschaft im zweiten Jahre an
den Generalagenten für Reparationszahlungen aus dem Ertrage der
Beförderungssteuer 250 Millionen Goldmark zu entrichten und in den
folgenden Jahren bis zum Ablauf ihres Betriebsrechtes (s.
unten) jährlich
290 Millionen Goldmark, den jeweiligen Rest des Aufkommens aber an das Reich.
Diese Zahlungen sind monatlich zu leisten.
Die Zusammensetzung und Gesamthöhe der in jedem Jahre überhaupt
zu entrichtenden Zahlungen ist aus der Übersicht S.
304 zu ersehen.
2) Verpflichtungen zu dinglichen Belastungen zugunsten der
Reparationsgläubiger
Der Dawesplan begnügte sich nicht damit, die vorgenannten
Zahlungsverpflichtungen vorzuschlagen, sondern er forderte zugleich zur
Sicherstellung dieser Leistungen eine dingliche Belastung der
Leistungsquellen.
Zur Sicherstellung der aus dem deutschen Reichshaushalt zu leistenden
Zahlungen sind die Erträge aus den Zöllen und den Abgaben auf
Branntwein, Tabak, Bier und Zucker zu verpfänden und einer besonderen
Aufsicht zu unterwerfen. Diese Aufsicht wird von einem Kommissar
ausgeübt, an welchen die deutschen Dienststellen die verpfändeten
Einnahmen spätestens am 20. eines jeden Monats abführen sollen,
und zwar die zehn größten Zollkassen unmittelbar den Gesamtbetrag
der im Vormonat bei ihnen aus den verpfändeten Quellen aufgekommenen
Bruttoeinnahmen, im übrigen die Oberfinanzkassen den entsprechenden
Gesamtbetrag der bei ihnen und den übrigen Zollkassen aufgekommenen
Bruttoeinnahmen; die Branntweinmonopolverwaltung entsprechend ihre
Nettoeinnahmen. Die verpfändeten Zahlungen haften nicht nur als Sicherung
für die Leistungen aus dem Reichshaushalt, sondern auch als
zusätzliche Sicherung für die übrigen Reparationszahlungen.
Die Reichsregierung ist zur Verpfändung weiterer indirekter Steuern
verpflichtet, einmal, falls die Einnahmen aus den zunächst
verpfändeten Einnahmequellen in drei aufeinanderfolgenden Monaten (unter
gewissen Voraussetzungen bereits in zwei Monaten) trotz vollständigen
Verbrauchs des Reservefonds (s. oben) nicht
ausreichen, um das monatlich
fällige Zwölftel der aus dem Reichshaushalt zu leistenden
Jahresverpflichtungen zu decken, oder wenn der Reichsminister der Finanzen von
dem Kommissar gemachte Vorschläge zur Erhöhung der Einnahmen
der verpfändeten Steuerquellen nicht ausgeführt hat und die
Einnahmen aus [311] diesen Einnahmequellen im vierten bis sechsten
Monat, nachdem der Kommissar seine Vorschläge gemacht hat, nicht
mindestens monatlich 120 vom Hundert eines Zwölftels der jeweils
fälligen Haushaltsverpflichtungen erreichen. Diese zusätzliche
Verpfändung erlischt, sobald die ursprünglich verpfändeten
Einnahmen für sich allein drei Monate hindurch mindestens 120 vom
Hundert eines Zwölftels der fälligen jährlichen
Haushaltsverpflichtungen ergeben haben.
Zur Sicherung der von der Industrie aufzubringenden
Reparationsleistungen sind die Unternehmer der industriellen und gewerblichen
Betriebe mit Einschluß des Bergbaus, der Schiffahrtsbetriebe sowie der
Privat-, Klein- und Straßenbahnen, mit der Verzinsung und Tilgung eines
Betrags von insgesamt 5 Milliarden Goldmark belastet. Unbelastet bleiben also,
trotz ihrer innerdeutschen Aufbringungspflicht, das übrige
Verkehrsgewerbe, sowie alle Betriebe, welche ausschließlich das
Bank-, Versicherungs-, Gast-, Schank- oder Beherbergungsgewerbe oder den
Handel zum Gegenstande haben. Ausgenommen bleiben schließlich alle
Unternehmer, wenn und solange ihr zur Vermögenssteuer heranzuziehendes
Betriebsvermögen den Betrag von 50 000 Goldmark nicht übersteigt.
Also sind auch Unternehmer, welche zwar nach ihrem Betriebszweig zu belasten
waren, aber nur ein Betriebsvermögen von
20-50 000 Goldmark versteuern, nicht zu belasten, obgleich sie
aufbringungspflichtig sind. Die Belastung ist so zu verteilen, daß folgende
Gruppen von Unternehmern mindestens die dabei vermerkten Hundertsätze
der Gesamtbelastung tragen:
- Schwerindustrie 20 vom Hundert,
- Maschinen- und elektrische Industrie 17 vom Hundert,
- Chemische Industrie 8 vom Hundert,
- Textilindustrie 7 vom Hundert.
Dabei ist ein Spielraum von 10 vom Hundert freigelassen. Diese öffentliche
Last geht allen anderen Rechten im Rang vor und bedarf zu ihrer Entstehung und
Wirksamkeit nicht der Eintragung in das Grundbuch oder Register.
Innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Inkrafttreten des
Industriebelastungsgesetzes war eine vorläufige Kollektivobligation
über 5 Milliarden Goldmark auszustellen, späterhin hatten die
Unternehmer in Höhe der auf sie entfallenden Belastung Einzelobligationen
auszustellen, welche vom Aussteller unter gewissen Voraussetzungen
zurückgekauft werden können. Diese Einzelobligationen dienen als
Grundlage für sogenannte Industriebonds, über welche weiter unten
Näheres aufgeführt wird.
Zur Sicherstellung der Reparationsleistungen der deutschen
Reichsbahngesellschaft ist das gesamte
Reichseisenbahnver- [312] mögen, welches vom Daweskomitee auf
26 Milliarden Goldmark geschätzt wurde, mit einer Hypothek im Nennwerte
von 11 Milliarden Goldmark zugunsten der Gläubiger von
Schuldverschreibungen belastet worden, welche von der deutschen
Reichsbahngesellschaft auszugeben waren. Diese Reparationshypothek ist kraft des
Reichsbahngesetzes entstanden und erstreckt sich auf alle Grundstücke, die
zum Reichseisenbahnvermögen gehören, samt allen
Grundstücken der Reichsbahngesellschaft, einschließlich allen
Zubehörs samt allen Fahrzeugen und sonstigen beweglichen Sachen, soweit
sie Eigentum des Reiches oder der Reichsbahngesellschaft sind.
3) Verpflichtungen zu organisatorischen
Maßnahmen
Zur Durchführung der vorbeschriebenen Zahlungsverpflichtungen und
dinglichen Belastungen bedurfte es der Schaffung der deutschen
Reichsbahngesellschaft und der Bank für deutsche
Industrieobligationen.
Die deutsche Reichbahngesellschaft ist durch das Reichsbahngesetz errichtet
worden. Gegenstand des Unternehmens ist der Betrieb der Reichseisenbahn,
einschließlich der künftigen Erweiterungen. Das Grundkapital der
Gesellschaft beträgt 15 Milliarden Goldmark, und zwar 13 Milliarden
Stammaktien und 2 Milliarden Vorzugsaktien. Diese Vorzugsaktien lauten auf den
Inhaber, sind frei übertragbar, gewähren Anspruch auf
Kapitalrückzahlung spätestens bei Ablauf des Betriebsrechtes der
Reichsbahngesellschaft sowie auf eine Vorzugsdividende. Die Stammaktien
werden auf den Namen des Deutschen Reiches oder, auf Verlangen der
Reichsregierung, auf den Namen eines deutschen Landes ausgestellt. Sie
gewähren das Recht auf eine Dividende nur nach Maßgabe des
Betriebsüberschusses; ein Recht auf Kapitalrückzahlung
gewähren sie nicht. Sie verbleiben in der Hand des Reiches und der
Länder und sichern somit deren Eigentumsanspruch. Denn die
Reichsbahngesellschaft hatte zunächst lediglich das ausschließliche
Recht zum Betrieb aller Eisenbahnen, die bei ihrer Gründung von der
"Deutschen Reichsbahn" betrieben wurden. Sie darf aber neue Eisenbahnen des
allgemeinen Verkehrs, soweit sie in Zukunft zugelassen werden, auf ihre Kosten
bauen und betreiben. Änderungen der bei der Errichtung der Gesellschaft
geltenden Tarife bedürfen der Genehmigung der Reichsregierung. Bei
Meinungsverschiedenheiten zwischen der Reichsregierung und der
Reichsbahngesellschaft entscheidet ein besonderes Gericht bzw. ein
Schiedsrichter.
Die Organe der Gesellschaft sind der Verwaltungsrat und der Vorstand. Die
achtzehn Mitglieder des Verwaltungsrates werden zur Hälfte von
der Reichsregierung, zur Hälfte von dem Treuhänder der
Eisenbahnobligationen als dem Vertreter der Gläubiger der
Repa- [313] rationsschuldverschreibungen ernannt. Auch von
dieser zweiten Hälfte können fünf Deutsche sein. Von den von
der Reichsregierung zu besetzenden Sitzen sind vier den Inhabern der
Vorzugsaktien und zwar für je 500 Millionen Goldmark je ein Sitz
einzuräumen. Der Präsident des Verwaltungsrates ist mit drei Viertel
Mehrheit zu wählen und muß Deutscher sein. Sobald die Inhaber der
Vorzugsaktien durch mindestens drei Mitglieder vertreten sind, soll der
Präsident aus ihrer Mitte gewählt werden.
Der Vorstand besteht aus dem Generaldirektor und einem oder mehreren
Direktoren. Diese müssen sämtlich Deutsche sein und dürfen
dem Verwaltungsrat nicht angehören. Der Generaldirektor wird vom
Verwaltungsrat auf drei Jahre mit drei Viertel Mehrheit ernannt; die Direktoren auf
Vorschlag des Generaldirektors. Ihrer aller Ernennung bedarf der
Bestätigung des Reichspräsidenten. Zu den Befugnissen des
Verwaltungsrats gehört außerdem die Feststellung des Voranschlags
der Bilanz und der
Gewinn- und Verlustrechnung, die Gewinnverteilung, die Anlegung
flüssiger Mittel der Gesellschaft und die Ermächtigung zur Aufnahme
von Anleihen und Krediten.
Der nach Deckung der Betriebsausgaben verbleibende
Betriebsüberschuß ist folgendermaßen zu
verwenden:
- Zunächst sind die für den
Zins- und Tilgungsdienst der Reparationsschuldverschreibungen bestimmten
Zahlungen zu bewirken.
- Sodann ist der Zins- und Tilgungsdienst der übrigen
Schuldverschreibungen und Anleihen zu bestreiten.
- Zur Deckung eines etwaigen Betriebsfehlbetrages der Gesellschaft und zur
Sicherstellung der rechtzeitigen Befriedigung des
Zins- und Tilgungsdienstes ihrer Schuldverschreibungen ist sogleich eine
Rücklage zu schaffen. Der Rücklage sind mindestens zwei vom
Hundert der gesamten Betriebseinnahmen zu überweisen, bis die
Rücklage den Betrag von 500 Millionen Goldmark erreicht hat. Muß
nach Erreichung dieser Grenze die Rücklage angegriffen werden, so sind
sogleich die jährlichen Überweisungen zu ihrer
Wiederauffüllung aufzunehmen.
- Der aus dem Betriebsüberschuß nach den vorstehenden Zahlungen
und Überweisungen verbleibende Reingewinn ist in folgender Reihenfolge
zu verwenden:
- Sollte in früheren Jahren die Vorzugsdividende auf die Vorzugsaktien
nicht voll gezahlt worden sein, so ist sie vorweg nachzuzahlen.
- Sodann ist die Vorzugsdividende auf die Vorzugsaktien
auszuschütten.
- Die Verwendung des verbleibenden Restbetrags bestimmt der Verwaltungsrat
nach folgenden Richtlinien:
[314] Für außerordentliche
Ausgaben können Sonderrücklagen vorgesehen werden. Vom Jahre
1935 ab ist eine besondere Rücklage zur Einziehung der Vorzugsaktien
anzusammeln. Diese Rücklage kann auch schon in einem früheren
Zeitpunkt angeordnet werden. Eine Rücklage für die Einziehung der
Stammaktien wird nicht gebildet.
Wenn der Verwaltungsrat eine Verteilung des weiteren
Reingewinnes beschließt, so soll dieser wie folgt verwendet werden: Ein
Drittel für Vorzugsaktien als Zusatzdividende, zwei Drittel für die
Stammaktien.
Sollten jedoch die Vorzugsaktien nicht in dem
vorgesehenen Gesamtbetrage von zwei Milliarden Goldmark ausgegeben sein, so
kommt der auf die noch nicht begebenen Vorzugsaktien entfallende Teil den
Stammaktien zugute.
Das Betriebsrecht erlischt mit der Tilgung sämtlicher
Reparationsschuldverschreibungen und Vorzugsaktien. Mit dem Ablauf des
Betriebsrechtes hat die Reichsbahngesellschaft der Reichsregierung die
Reichseisenbahnen samt allem Zubehör, Betriebsvorräten und
Nebenbetrieben, lastenfrei in ordnungsmäßigem Zustande zu
übergeben. Das nach Berichtigung aller Schulden verbleibende
Vermögen fällt dem Reiche zu.
Zur Ausgabe der durch die vorerwähnten Industrieeinzelobligationen
gedeckten Industriebonds, der Regelung des
Zins- und Tilgungsdienstes für diese Industriebonds und für die
Verwaltung der als Sicherung dienenden Einzelobligationen ist auf Grund des
Reichsgesetzes über die Industriebelastung die Bank für deutsche
Industrieobligationen zu gründen gewesen. Ihr Grundkapital soll 10
Millionen Goldmark betragen und ist in tausend auf den Namen lautende Aktien
eingeteilt, welche zunächst nur mit 25 vom Hundert einzuzahlen waren.
Die Bank hatte auf Grund der ihr übergebenen Einzelobligationen und der
zu deren Sicherung begründeten öffentlichen Lasten Industriebonds
im Gesamtbetrage von 5 Milliarden Goldmark auszustellen und davon
Stücke im Gesamtbetrage von 4¼ Milliarden Goldmark dem
Treuhänder für die Industrieobligationen auszuhändigen. Die
Zins- und Tilgungsbeträge der Industriebonds sind von der Bank für
Rechnung des Treuhänders auf das Konto des Generalagenten für
Reparationszahlungen bei der Reichbank einzuzahlen. Ihre Tilgung erfolgt im
Wege der Auslosung mit den aus der Jahresleistung angesammelten
Tilgungsbeträgen.
[315] Organe der Bank sind:
- der Vorstand,
- der Aufsichtsrat,
- die Generalversammlung.
Der Vorstand besteht aus einem oder mehreren Direktoren, die Deutsche
sein müssen und dem Aufsichtsrat nicht angehören dürfen. Er
wird erstmalig von der Reichsregierung bestellt, später vom Aufsichtsrat mit
einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen ernannt.
Der Aufsichtsrat besteht aus 14 Mitgliedern, von denen vier von den
nichtdeutschen Mitgliedern des Generalrats der Reichsbank (s. unten), drei von der
Reparationskommission und sieben von der Reichsregierung, und zwar drei als
ihre Vertreter, vier aus den Kreisen der belasteten Unternehmer und der
Aktionäre ernannt werden. Der Präsident des Aufsichtsrats muß
Deutscher sein und wird vom Aufsichtsrat mit mindestens zehn Stimmen
gewählt.
Die Generalversammlung beschließt über die Bilanz und die
Verwendung eines etwaigen Reingewinnes auf Vorschlag des Aufsichtsrats. Als
Gewinn dürfen nicht mehr als 6 vom Hundert des eingezahlten
Aktienkapitals verteilt werden. —
Das Daweskomitee schlug ferner als Grundbedingung für die
Herbeiführung einer einheitlichen und stabilen Währung in
Deutschland vor, entweder eine neue Notenbank in Deutschland zu errichten oder
die Reichsbank umzugestalten. Die Entscheidung dieser Frage blieb dem
vorerwähnten Organisationskomitee überlassen, das sich für die
Aufrechterhaltung der Reichsbank, zugleich aber auch für ihre Umgestaltung
gemäß dem Dawesplan entschied. Dadurch wurden einschneidende
Änderungen in der Verfassung der Reichsbank notwendig, welche durch das
Reichsbankgesetz festgelegt sind.6
[316] Der Reichsbank ist die Aufgabe zugewiesen,
den Geldumlauf im gesamten Reichsgebiete zu regeln, die
Zahlungsausgleichungen zu erweitern und für die Nutzbarmachung
verfügbaren Kapitals zu sorgen. Sie ist von der Reichsregierung
unabhängig, hat aber der Reichsregierung in regelmäßigen
Zeitabständen, sowie jeder Zeit auf Ersuchen, über
währungs- und finanzpolitische Angelegenheiten Bericht zu erstatten. Ihr ist
auf die Dauer von 50 Jahren das ausschließliche Recht gewährt,
Banknoten in Deutschland auszugeben, wobei die bestehenden
Notenausgabenrechte der Bayerischen Notenbank, der Württembergischen
Notenbank, der Sächsischen Bank und der Badischen Bank bis zum
Höchstbetrage von insgesamt 194 Millionen Reichsmark unberührt
bleiben. Außer den Reichsgoldmünzen sind die Reichsbanknoten das
einzige unbeschränkte Zahlungsmittel in Deutschland.
Die Bank ist verpflichtet, für den Betrag ihrer in Umlauf befindlichen Noten
jederzeit zu halten:
- Eine Deckung von mindestens 40 vom Hundert in Gold oder Devisen
(Golddeckung); diese Deckung muß zu mindestens drei Vierteln aus Gold
bestehen.
Devisen sind Banknoten, Wechsel mit einer Laufzeit von
höchstens 14 Tagen, Schecks und täglich fällige Forderungen,
die bei einer als zahlungsfähig bekannten Bank an einem
ausländischen zentralen Finanzplatz in ausländischer Währung
zahlbar sind. Sie sind mit ihrem jeweiligen Goldwert einzusetzen.
- Für den Restbetrag diskontierte Wechsel und Schecks, welche
bestimmten Erfordernissen genügen.7
Unter ausnahmsweisen Umständen darf die unter a) genannte Deckung auf
Vorschlag des Direktoriums durch Beschluß des Generalrats unter 40 vom
Hundert herabgesetzt werden; ein solcher Beschluß des Generalrats bedarf
Einstimmigkeit bis auf eine Stimme.
Im Falle einer solchen Herabsetzung der Deckung, die länger als eine
Bankausweiswoche dauert, hat die Bank von dem an der vorgeschriebenen
Deckung von 40 vom Hundert fehlenden Betrag eine [317] prozentual bemessene, aber mit der Senkung der
Deckung in ihrem Prozentsatz sich steigernde Notensteuer an das Reich zu
zahlen:
Der Diskontsatz muß, wenn die Deckung während einer
Bankausweiswoche oder länger ununterbrochen unter 40% liegt, mindestens
5% betragen.
Die Einlösung der Reichsbanknoten erfolgt nach Wahl der Bank in:
- deutschen Goldmünzen;
- Goldbarren;
- Schecks oder Auszahlung in ausländischer Währung in Höhe
des in Gold umgerechneten jeweiligen Marktwertes der betreffenden
Währung.
Für das Inkrafttreten über die Vorschrift der Noteneinlösung
bedarf es einer Bestimmung der Reichsregierung und der Zustimmung des
Reichsbankdirektoriums und des Generalrats. Diese sind bislang noch nicht erfolgt.
Zur Zeit besteht also keine Einlösungspflicht.
Die Reichsbank darf der deutschen Reichspost und der deutschen
Reichsbahngesellschaft angemessene Betriebskredite bis zum Höchstbetrage
von 200 Millionen Reichsmark für beide Unternehmen geben, daneben dem
Reiche Betriebskredite jeweils höchstens auf drei Monate und nur bis zum
Höchstbetrage von 100 Millionen Reichsmark. Am Ende des
Geschäftsjahres der Reichsbank darf keinerlei Verschuldung des Reiches bei
der Bank vorhanden sein.
Die Reichsbank hat das Recht, ihr Grundkapital bis auf 400 Millionen Reichsmark
zu erhöhen. Vom jährlichen Reingewinn sollen 20 vom Hundert so
lange einem Reservefonds zugeführt werden, als dieser weniger als 12 vom
Hundert des Notenumlaufs der Bank beträgt, gerechnet nach dem
Durchschnitt der letzten sechs Monate.
Die Anteilseigner haben Anspruch auf eine jährliche Dividende von 8 vom
Hundert. Wird diese Dividende in einem Jahr nicht erreicht, so ist der daran
fehlende Betrag aus dem Reingewinn der folgenden Jahre nach Abzug der dem
Reservefonds gesetzlich zufließenden Beträge vorweg zu entnehmen,
es sei denn, daß er aus einer vorhandenen Dividendenreserve entnommen
werden kann.
Der nach Ausschüttung dieser Dividende verbleibende Restbetrag des
Reingewinns wird wie folgt geteilt: von den ersten 50 Millionen Reichsmark
erhalten das Reich die Hälfte, die Anteilseigner die andere Hälfte; von
den nächsten 50 Millionen erhalten das Reich drei Viertel, die Anteilseigner
ein Viertel. Von dem dann noch etwa verbleibenden Restbetrag erhalten das Reich
neun Zehntel, die Anteilseigner ein Zehntel; die hiernach den Anteilseignern
zufließenden Beträge werden entweder als Zuschlag zur Dividende
gezahlt oder einem Spezialreservefonds für künftige
Dividendenzahlung zwecks Aufrechterhaltung einer gleichmäßigen
Dividende zugeführt.
[318] Organe der Reichsbank sind:
- das Reichsbankdirektorium;
- der Generalrat;
- der Zentralausschuß und
- die Generalversammlung.
Das Reichsbankdirektorium faßt seine Beschlüsse mit
einfacher Stimmenmehrheit; bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des
Präsidenten.
Der Präsident wird vom Generalrat in der Weise gewählt, daß
eine Mehrheit von neun Stimmen vorhanden sein muß, der mindestens sechs
deutsche Stimmen angehören. Der Präsident erhält eine
Ernennungsurkunde, die der Unterschrift der an der Wahl beteiligten Mitglieder
des Generalrats sowie der Unterschrift des Reichspräsidenten bedarf. Mit der
Aushändigung der Urkunde an den gewählten Präsidenten ist
dieser rechtmäßig bestellt. Lehnt der Reichspräsident seine
Unterschrift bei einem Gewählten ab, so hat eine Neuwahl stattzufinden.
Lehnt der Reichspräsident auch die Unterschrift bei dem
Neugewählten ab, so findet eine dritte Wahl statt, die endgültig ist,
ohne daß es für die rechtmäßige Bestellung der
Unterschrift des Reichspräsidenten unter der Ernennungsurkunde
bedarf.
Die Ernennung der Mitglieder des Direktoriums erfolgt nach Zustimmung des
Generalrats durch den Präsidenten.
Bei der Reichsbank wird ein
Generalrat gebildet, bestehend aus 14
Mitgliedern, von denen sieben die deutsche Reichsangehörigkeit und je
eines die britische, französische, italienische, belgische, amerikanische
(Vereinigte Staaten), holländische und schweizerische
Staatsangehörigkeit besitzen müssen. Durch einstimmigen
Beschluß kann der Generalrat die Zahl seiner deutschen Mitglieder
vermehren.
Der Präsident des Reichsbankdirektoriums ist eines der deutschen
Mitglieder und zugleich Vorsitzender des Generalrats.
Der Generalrat bestellt eines seiner ausländischen Mitglieder oder einen
anderen Ausländer, der eine im Generalrat vertretene
Staatsangehörigkeit besitzt, zum Kommissar für die Notenausgabe.
Der Beschluß muß mit mindestens neun Stimmen, worunter
mindestens sechs ausländische Stimmen sein müssen, gefaßt
werden. Die Wahl eines Nichtmitgliedes bewirkt das Ausscheiden des bisherigen
Mitgliedes gleicher Staatsangehörigkeit. Der gewählte Kommissar
wird durch die Wahl Mitglied des Generalrats. Seine Amtsdauer beträgt vier
Jahre.
Die deutschen Mitglieder - mit Ausnahme des
Präsidenten - werden von den die deutsche
Reichsangehörigkeit besitzenden Anteilseignern der Reichsbank
gewählt. Die ausländischen Mitglieder werden erstmalig vom
Organisationskomitee ernannt. Im Falle eines [319] Ausscheidens ist eine Person derselben
Staatsangehörigkeit von den zur Zeit der Wahl im Amt befindlichen
Mitgliedern zu wählen.
Bei der Reichsbank wird ein ständiger Ausschuß der Anteilseigner
(Zentralausschuß) gebildet werden, dessen gutachtliche
Äußerung sie in geeigneten Fällen einholen kann. Die
Mitglieder des Zentralausschusses sollen auf Vorschlag des
Reichsbankdirektoriums von der Generalversammlung aus den Kreisen von
Bankgewerbe, Industrie, Handel, Landwirtschaft, Handwerk und
Arbeitnehmerschaft, und zwar aus den deutschen Anteilseignern, gewählt
werden.
Rechte und Pflichten des Zentralausschusses bestimmt die Satzung.
Diese ausführliche Darstellung auch der nicht unmittelbar
reparationspolitischen Rechtsverhältnisse der Reichsbank ist an dieser Stelle
darum erforderlich, weil alle diese Bestimmungen nur mit Zustimmung der
Reparationsgläubiger abgeändert werden können.
4) Verpflichtungen hinsichtlich der Sachlieferungen
Schließlich hat sich die Reichsregierung im Londoner Schlußprotokoll,
Anlage II, noch dazu verpflichten müssen, die Durchführung der
Programme für alle Sachleistungen aus dem Vertrage von Versailles und
dem Dawesplan auf dem Wege von wirtschaftlichen Verträgen, die unter
gewöhnlichen geschäftlichen Bedingungen abgeschlossen werden,
soweit als möglich zu erleichtern. Vor allem ist ein besonderes Verfahren
für die Durchführung von Sachlieferungen eingeführt worden,
die in Kohlen, Koks und Braunkohlenbriketts, stickstoffhaltigen
Düngemitteln und einer Reihe im Vertrag von Versailles als Sachlieferungen
vorgesehener Farbstoffe und
chemisch-pharmazeutischer Erzeugnisse bestehen. Für diese
Gegenstände kann unter gewissen Voraussetzungen die deutsche
Reichsregierung als solche zur Lieferung gezwungen werden, während alle
übrigen Sachlieferungen nur im freien Verkehr verlangt werden
dürfen. Doch sollen sich auch diese Lieferungen im Rahmen bestimmter,
von der Reparationskommission aufzustellender Programme halten. Hinsichtlich
der zuvor besonders aufgeführten Waren ist die deutsche Reichsregierung
berechtigt, gegen die Entscheidung der Reparationskommission ein besonderes
Schiedsgericht anzurufen. Auch ist ein weiteres paritätisches Sonderkomitee
zur Regelung der einschlägigen Fragen eingesetzt.
B) Besondere Rechte der
Reparationsgläubiger
Die Rechte der Reparationsgläubiger zur Ernennung von Inhabern deutscher
Dienststellen bei der Bank für Industrieobligationen, der
Reichsbahngesellschaft und der Reichsbank sind bereits bei der Schilderung der
Einrichtung und Aufgaben dieser Gesellschaften erörtert [320] worden, so daß sich an dieser Stelle eine
nochmalige Aufführung erübrigt.
Eine eingehendere Darstellung erfordern aber die Rechte der
Reparationsgläubiger zur Ernennung von Kontrollorganen mit bestimmten
Rechten im Falle eines deutschen Zahlungsverzugs:
A. Weder in den verschiedenen
Reichsgesetzen vom 29. August 1924 noch in dem
Londoner Schlußprotokoll und seinen Anlagen ist die Einsetzung eines
Generalagenten für Reparationszahlungen bestimmt worden. Da aber durch
das Londoner Schlußprotokoll die Vorschläge des Dawesplans, soweit
sie mit diesem Protokoll und seinen Anlagen und den entsprechenden deutschen
Gesetzen nicht im Widerspruch stehen, ausdrücklich in Kraft gesetzt sind, so
sind für die Einsetzung des Generalagenten die entsprechenden
Vorschläge des Dawesplans verbindlich. Der Dawesplan hielt eine
Vermittlungsstelle zwischen der Reparationskommission und den verschiedenen,
im folgenden näher beschriebenen einzelnen Kommissaren zur
Durchführung des Dawesplans für notwendig, damit der nach diesem
Plan aufgebaute Organismus "sowohl nach der Seite der Reparationskommission
hin als auch in seiner deutschen Umgebung ordnungsmäßig arbeiten
könne".8
Der Agent für Reparationszahlungen ist von der Reparationskommission zu
ernennen.
Die Einzelkommissare tragen nach dem Dawesplan die volle Verantwortung
für die Erfüllung der ihnen anvertrauten Aufgaben und sind nur an die
ein Zusammenarbeiten regelnden Richtlinien gebunden, die sich etwa als
notwendig erweisen, um jede Doppelarbeit, jedes Übereinandergreifen in
ihrer Amtstätigkeit, alle unnötigen Reibungen und überhaupt
jede unharmonische Störung bei der Durchführung des Dawesplans zu
verhindern. Die einzelnen Kommissare behalten das Recht, im Falle von
Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen und dem Generalagenten für
Reparationszahlungen bei der Reparationskommission vorstellig zu werden.
Außerdem soll ein Ausschuß für die Zusammenarbeit
geschaffen werden, an dem die verschiedenen Kommissare, ihre Vertreter, die
Treuhänder und der Generalagent teilnehmen. Dieser Ausschuß soll
nur beratende Befugnisse haben und dem Zweck der Auskunftserteilung an den
Generalagenten dienen.
Alle Zahlungen auf Reparationskonto, gleichviel welcher Herkunft, sind
zuerst in Form von Depots bei der Reichsbank zugunsten des Generalagenten
für Reparationszahlungen zu leisten. Er allein hat das Recht, Abhebungen
von diesen Depots vorzunehmen und zwar unter Leitung eines aus sechs
Mitgliedern zusammengesetzten Komitees, [321] des sogenannten "Übertragungskomitees"
(auch "Transferkomitee" genannt), dessen eines Mitglied und zugleich
Vorsitzender der Generalagent für Reparationszahlungen ist. Die anderen
fünf Personen sollen zur Behandlung von Valutafragen befähigt sein.
Je ein Mitglied soll amerikanischer, belgischer, englischer, französischer
bzw. italienischer Nationalität sein und nach Befragung des Mitgliedes
gleicher Staatsangehörigkeit im Generalrat der Reichsbank von der
Reparationskommission ernannt werden.
Das Übertragungskomitee ist vorbehaltlich der Bedingungen des
Dawesplans frei in der Verwendung der zu seiner Verfügung stehenden
Mittel für die Bezahlung von allen
Sach- und Dienstleistungen auf gewöhnlicher geschäftlicher
Grundlage, soweit diese in den von Zeit zu Zeit von der Reparationskommission
nach Beratung mit dem Übertragungskomitee oder von einer besonderen
Schiedskommission aufgestellten Programmen vorgesehen sind. Diese Programme
sind hinsichtlich der Art der Gegenstände nicht den im Vertrag von
Versailles vorgesehenen Begrenzungen unterworfen, doch soll ihre Aufstellung
unter Berücksichtigung der Produktionsmöglichkeiten Deutschlands,
der Lage seiner Rohstoffversorgung, der notwendigen inneren Bedürfnisse
zur Aufrechterhaltung seines sozialen und wirtschaftlichen Lebens und gewisser,
im Dawesplan näher dargelegter Begrenzungen erfolgen. Die Verpflichtung
zur Lieferung von Farbstoffen und
chemisch-pharmazeutischen Erzeugnissen ist, soweit nicht Lieferungen auf
gewöhnlicher geschäftlicher Grundlage außerhalb des
besonderen Sachlieferungsprogramms in Frage kommen, für die Zeit bis
zum 15. August 1928 begrenzt. Die Entscheidungen des zur Ausführung des
Sachlieferungsprogramms errichteten paritätischen Sonderkomitees
dürfen in keiner Weise die Rechte des Übertragungskomitees
beeinträchtigen und bedürfen darum nicht nur der Genehmigung der
Reparationskommission, sondern auch, soweit es beteiligt ist, des
Übertragungskomitees.
Das Übertragungskomitee hat ferner die Zahlungen auf Grund der
Reparation Recovery Acts9 derart zu regeln, daß
Störungen des Wechselkurses verhindert werden. Außerdem soll das
Übertragungskomitee die Übertragung von Bargeld an die Alliierten
durch Ankauf von Devisen regeln und allgemein so verfahren, daß das
Höchstmaß von Übertragungen erreicht wird, das ohne
Gefährdung der Währung möglich ist. Ohne Zustimmung der
Reichsbank darf aber der Betrag des Guthabens des Generalagenten die Summe
von 2 Milliarden Reichsmark nicht überschreiten. Sobald das Guthaben die
Summe überschreitet, welche die Reichsbank im Depot behalten will, hat
das Übertragungskomitee die nichtübertragbaren Beträge in
[322] Obligationen oder anderen Anleihen in
Deutschland anzulegen. Haben die Gelder, welche nicht übertragen werden
konnten, und entweder in Reichsbankdepots oder in Anleihen innerhalb
Deutschlands angelegt sind, die Summe von 5 Milliarden Goldmark erreicht, so
sollen die auf Grund des Dawesplans vorgesehenen Zahlungen aus dem
Reichshaushalt und aus der Beförderungssteuer auf einen solchen Betrag
herabgesetzt werden, daß keine weitere Kapitalansammlung stattfindet. Die
in dem Dawesplan niedergelegten Normalsätze der deutschen Zahlung
sollen wieder in Kraft treten, sobald dies ohne Überschreitung der
festgesetzten Grenze für Kapitalansammlungen möglich ist.
Das Übertragungskomitee ist befugt, die Ansammlung auszusetzen,
ehe die Summe von 5 Milliarden Goldmark erreicht ist, wenn zwei
Drittel seiner Mitglieder der Meinung sind, daß eine derartige Ansammlung
eine Bedrohung der deutschen
Finanz- oder Wirtschaftslage oder der Interessen der
Reparationsgläubigerländer darstellt. Umgekehrt ist es mit der
gleichen Mehrheit befugt, Überschreitungen der
Kapitalansammlungsgrenze zu beschließen oder die eingehenden Gelder
für den Ankauf von Gegenständen jeder Art in Deutschland
zu verwenden, wenn "verabredete Finanzmanöver" von seiten der deutschen
Regierung oder irgendeiner Gruppe die Übertragungen in fremde
Währung verhindern wollen. Die deutsche Regierung und die Reichsbank
sind darum verpflichtet worden, die Arbeit des Übertragungskomitees in
jeder angemessenen Weise zu erleichtern, soweit es in ihrer Macht liegt,
einschließlich solcher Maßnahmen, die zur Aufrechterhaltung der
Stabilität fremder Währungen dienen. Auch hat das
Übertragungskomitee, wenn es der Meinung ist, daß der
Reichsbankdiskontsatz der Notwendigkeit zur Vornahme bedeutender
Übertragungen nicht entspricht, den Reichsbankpräsidenten hiervon
in Kenntnis zu setzen. —
Es ist ferner zur Kontrolle der einzelnen Aufbringungsquellen und zur
Wahrnehmung der Rechte der Gläubiger eine Reihe von
Kontrolleuren und Treuhändern mit sorgfältig
abgestuften Befugnissen bestellt worden:
B. Die Kontrolle der
verpfändeten deutschen Einnahmen ist einem
Kommissar übertragen, der von der Reparationskommission ernannt wird
und ihr gegenüber verantwortlich ist. Ihm ist für jede der
verpfändeten fünf Einnahmequellen ein Unterkommissar
beigegeben, ferner ein beratender Ausschuß, in den die fünf
Hauptgläubigerländer je einen Vertreter entsenden. Abgesehen von
den bereits geschilderten Aufgaben, stehen dem Kommissar folgende Rechte zu:
Dem Kommissar sind monatliche Zusammenstellungen über den Lauf jeder
der verpfändeten Einnahmen einzusenden, ferner alle
Ge- [323] setzentwürfe, Verordnungen und
Runderlasse an die Landesfinanzämter, die die verpfändeten
Einnahmen betreffen. Ihm steht ein Einsichtsrecht in die entsprechenden
Unterlagen bei der Reichsrechnungsstelle und der Reichshauptkasse zu. Er hat
Zutritt zum Reichsminister der Finanzen und anderen zuständigen
Reichsbeamten. Er darf auch die Dienststellen der
Provinzial- und Lokalverwaltung, sowie die der Steueraufsicht unterliegenden
Betriebe besuchen und bei den Dienststellen Einsicht in die Bücher und
Belege über die verpfändeten Einnahmen nehmen. Ihm ist vom
Reichsfinanzministerium jede Auskunft so schnell wie möglich zu erteilen,
die er für die Erfüllung seiner Aufgabe für nützlich
hält.
Die Rechte des Kommissars, wie sie vorstehend angegeben sind,
erweitern sich:
a) Wenn in drei aufeinanderfolgenden Monaten der auf das Konto des Kommissars
abgeführte Betrag aus den verpfändeten Einnahmen monatlich
weniger als 120 vom Hundert eines Zwölftels der jeweils fälligen
Haushaltsverpflichtungen beträgt oder
b) wenn bei unveränderter Lage der einschlägigen Gesetze,
insbesondere der Tarife, in sechs aufeinanderfolgenden Monaten der auf das Konto
des Kommissars abgeführte Betrag aus den verpfändeten Einnahmen
insgesamt um mehr als 35 vom Hundert hinter dem Betrage der entsprechenden
Monate des Vorjahres oder um mehr als 30 vom Hundert hinter dem
durchschnittlichen Betrage der entsprechenden Monate der beiden vorhergehenden
Jahre zurückbleibt oder
c) wenn bei unveränderter Lage der einschlägigen Gesetze,
insbesondere der Tarife, in sechs aufeinanderfolgenden Monaten der abgelieferte
Betrag einer der verpfändeten Einnahmen um insgesamt mehr als 50 vom
Hundert hinter dem abgelieferten Ertrage der entsprechenden Monate des
Vorjahres zurückbleibt.
Diese erweiterten Rechte des Kommissars, die er entweder einzeln oder
gleichzeitig ausüben kann, sind folgende:
a) Er kann dem Reichsminister der Finanzen vorschlagen, von dem ihm in den
Gesetzen gegebenen Ermächtigungen weitestgehenden und schärfsten
Gebrauch zu machen, um die Einnahmen aus den verpfändeten
Einnahmequellen zu erhöhen, oder er kann ihm vorschlagen, alle im
Rahmen der geltenden Gesetze zugelassenen Erleichterungen und
Vergünstigungen, wie z. B. den gänzlichen oder teilweisen
Erlaß oder die Erstattung von Steuern oder die Gewährung von
Stundungen usw. aufzuheben, bis die Voraussetzungen fortgefallen sind, unter
denen die erweiterten Rechte des Kommissars eingetreten sind.
[324] Der Kommissar soll bei seinen
Vorschlägen auf die wirtschaftlichen Bedürfnisse, insbesondere in
bezug auf die Ausfuhr, jede Rücksicht nehmen, die sich mit den
"steuerlichen Notwendigkeiten"10 verträgt.
b) Er kann, außer bei den Zöllen, Widerspruch erheben dagegen,
daß bei denjenigen Einnahmequellen, bei denen ein
Einnahmerückgang eingetreten ist, die Tarife ermäßigt werden,
und er kann bei sämtlichen Einnahmequellen, bei denen ein Rückgang
eingetreten ist, Widerspruch erheben dagegen, daß die Strafbestimmungen
gemildert oder irgendwelche allgemeine Regelungen getroffen werden, die
geeignet sind, die Eingänge aus diesen Einnahmequellen zu vermindern oder
zu verzögern.
c) Er kann seine Vertreter oder Sachverständigen damit beauftragen,
festzustellen, in welchen besonderen Ursachen der Rückgang der
Einnahmen bei bestimmten Einnahmequellen begründet ist. Zu diesem
Zweck kann er nach Benehmen mit dem Reichsfinanzministerium bestimmten
Landesfinanzämtern oder örtlichen Zolldienststellen oder beiden
zugleich Vertreter oder Sachverständige zuteilen. In diesem Falle wird ihnen
ein deutscher Beamter beigegeben werden, um ihnen die Ausführung ihres
Auftrags zu erleichtern und ihnen den Einblick in die Einzelheiten des inneren und
äußeren Dienstbetriebes zu vermitteln.
d) Falls sich bei der Ablieferung der Einnahmen aus den kontrollierten
Einnahmequellen durch die Oberfinanzkassen nach Maßgabe der
vorerwähnten Bestimmungen nach seiner Meinung
Unzuträglichkeiten herausgestellt haben, kann der Kommissar verlangen,
daß die Zahl der großen Zollkassen, die unmittelbar abzuliefern haben,
über die Zahl von 10 hinaus erhöht wird.
Diese erweiterten Rechte des Kommissars erlöschen, wenn die
Voraussetzungen für ihren Eintritt fortgefallen sind und dieser neue Zustand
drei Monate angedauert hat.
Die Reichsregierung soll in den folgenden Fällen unter den gleichen
Bedingungen wie die alten Einnahmen vorübergehend andere indirekte
Steuern verpfänden, die ausreichend sind, um zusammen mit den bisher
verpfändeten Einnahmen monatlich mindestens ein Zehntel der
fälligen jährlichen Haushaltsverpflichtungen zu ergeben:
a) Wenn die Einnahmen aus den kontrollierten Einnahmequellen derart
zurückgehen, daß in drei aufeinanderfolgenden
Monaten - oder in zwei aufeinanderfolgenden Monaten, falls der
Reichsminister der Finanzen die von dem Kommissar auf Grund seiner erweiterten
Rechte gemachten Vorschläge nicht ausgeführt
hat - der Kommissar [325] trotz vollständigen Verbrauchs des
Reservefonds monatlich nicht ein Zwölftel der fälligen aus dem
Haushalt zu leistenden Jahresverpflichtungen an den Agenten für
Reparationszahlungen hat abführen können, oder
b) wenn der Reichsminister der Finanzen die von dem Kommissar gemachten
Vorschläge nicht ausgeführt hat und die Einnahmen aus den
verpfändeten Einnahmequellen sich nicht so erhöht haben, daß
im vierten und den beiden folgenden Monaten, nachdem der Kommissar seine
Vorschläge gemacht hat, der an den Kommissar abgelieferte Betrag aus den
verpfändeten Einnahmen wieder mindestens 120 vom Hundert eines
Zwölftels der jeweils fälligen Haushaltsverpflichtungen
beträgt.
Sobald die alten verpfändeten Einnahmen für sich allein drei Monate
hindurch mindestens 120 vom Hundert eines Zwölftels der fälligen
jährlichen Haushaltsverpflichtungen ergeben haben, kommt die zeitweilige
Verpfändung der neuen Steuern in Fortfall. Gleichzeitig vermindern sich die
Rechte des Kommissars auf die ursprünglichen.
Wenn andererseits die Einnahmen aus den alten und neuen verpfändeten
Steuern zusammen so zurückgehen, daß in drei aufeinanderfolgenden
Monaten insgesamt nicht mindestens ein Betrag abgeliefert werden kann, der
ausreicht, um drei Zehntel der fälligen jährlichen
Haushaltsverpflichtungen zu decken, so hat der Kommissar folgende Rechte:
Er kann nach Benehmen mit dem Agenten für Reparationszahlungen die
Durchführung solcher Maßnahmen verlangen, welche nach seiner
Ansicht nötig und geeignet sind, vorhandene Mängel abzustellen und
die Erträge aus den Steuerquellen zu steigern, deren Rückgang den
Fehlbetrag herbeigeführt hat. Wenn diese Maßnahmen
ausgeführt und angewendet werden und wenn während vier
aufeinanderfolgenden Monaten die verpfändeten Einnahmen monatlich
mindestens ein Zehntel der jeweils fälligen jährlichen
Haushaltsverpflichtungen ergeben haben, sollen die Maßnahmen ganz oder
teilweise rückgängig gemacht werden, wenn der Reichsminister der
Finanzen und der Kommissar sie nicht mehr für nötig halten.
Werden diese Maßnahmen, soweit sie im Rahmen der geltenden Gesetze
vorgenommen werden können, nicht unverzüglich und, soweit sie
eine Änderung der Gesetzgebung zur Voraussetzung haben, nicht innerhalb
von zwei Monaten in Kraft gesetzt, oder führen sie nicht zu dem Ergebnis,
daß spätestens im vierten Monat nach ihrer Inkraftsetzung mindestens
ein Zehntel der fälligen jährlichen Haushaltsverpflichtungen zur
Ablieferung gekommen ist, so kann der Kommissar nach Benehmen mit dem
Agenten für Reparationszahlungen fordern, daß eine Änderung
der Organisation bei diesen Einnahmequellen eintritt. Zu diesem Zweck kann er
verlangen, daß eine oder [326] mehrere Organisationen gebildet werden, die die
Steuerzweige, durch deren Versagen der Fehlbetrag herbeigeführt ist,
selbständig und unabhängig vom Staat verwalten. Eine solche
Organisationsänderung kann aber, falls der Reichsminister der Finanzen es
verlangt, erst dann eintreten, wenn ein Schiedsrichter entschieden hat, daß
diese Maßnahme notwendig und geeignet ist, die Eingänge aus den
Steuern so zu gestalten, daß die jährlichen Haushaltsverpflichtungen
durch die verpfändeten Einnahmequellen sichergestellt sind.
Die Sätze der verpfändeten Abgaben auf Branntwein, Tabak, Bier und
Zucker sollen von der deutschen Regierung ohne die Einwilligung des Kommissars
nicht herabgesetzt werden.
C. Zur Durchführung des
Industriebelastungsgesetzes wird von der
Reparationskommission ein Treuhänder ernannt, erstmals auf mindestens 5
Jahre. Die Industriebonds im Gesamtbeträge von 4¼ Milliarden
Goldmark, die Einzelobligationen der Unternehmer und etwaige Urkunden
über die für die Einzelobligationen gestellten Sicherheiten werden
dem Treuhänder ausgehändigt. Die Industriebonds darf er mit
Genehmigung der Reparationskommission und zu deren Gunsten verkaufen oder
als Unterlage für eine Neuemission benutzen.
Er ist befugt, von den Einzelobligationen derjenigen Unternehmer, die
für die Vermögenssteuer des Jahres 1924 mit dem
größten Betriebsvermögen veranlagt sind, und deren Belastung
zusammen den Betrag von 1,5 Milliarden Goldmark erreicht, einen Betrag im
Nennwerte von 500 Millionen Goldmark zu veräußern.
Dabei dürfen die Obligationen eines einzelnen Unternehmers nur bis zur
Hälfte seiner Belastung veräußert werden. Den Unternehmern
ist während einer Frist von einem Monat Gelegenheit zum Rückkauf
zum Nennwert zu geben. Sobald der Treuhänder 500 Millionen Goldmark
Einzelobligationen veräußert hat, hat er die noch in seinem Besitz
befindlichen veräußerlichen Einzelobligationen der Bank für
deutsche Industrieobligationen zurückzugeben. Dafür hat ihm die
Bank Industriebonds auszuhändigen.
D. Zur Wahrung der Rechte aus den
Reparationsschuldverschreibungen der
deutschen Reichsbahngesellschaft wird ein Kommissar bis zu
ihrer völligen Tilgung von den ausländischen Mitgliedern des
Verwaltungsrats bestellt. Er hat das Recht, alle Anlagen und Dienststellen zu
besichtigen, ihm sind alle Berichte, Übersichten, Voranschläge,
Vorschläge für Abänderung der Tarife und andere, der
Genehmigung des Generaldirektors bedürftige Angelegenheiten mitzuteilen.
Alle anderen von ihm gewünschten Auskünfte sind ihm zu erteilen.
Meinungsverschiedenheiten mit dem Generaldirektor hat er vor den Verwaltungsrat
zu bringen, der auf seinen Antrag die [327] Entlassung des Generaldirektors mit einfacher
Stimmenmehrheit beschließen kann.
Sollte die Reichsbahngesellschaft mit den ihr auferlegten halbjährlichen
Zahlungen in Verzug geraten, so kann er die Unterlassung der seiner Auffassung
nach unbegründeten Ausgaben, eine bestimmte Tariferhöhung und
vom Verwaltungsrat einen Wechsel in der Person des Generaldirektors fordern.
Sollte innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Nichtleistung der
fälligen Zahlung die Deckung des fehlenden Betrages sich weder durch die
Zahlungen der Gesellschaft, noch durch die Inanspruchnahme der Haftpflicht des
Reiches haben ermöglichen lassen, so kann er, im Einvernehmen mit dem
bis zur Tilgung der Reichsbahnreparationsschuldverschreibungen ebenfalls zu
bestellenden Treuhänder dieser, alle Maßnahmen treffen, die
sie für nötig erachten, insbesondere den Betrieb selber
übernehmen und für die Betriebsführung entbehrliche
Fahrzeuge oder andere bewegliche oder unbewegliche Sachen
veräußern; letzten Endes das Betriebsrecht ganz oder zum Teil
verpachten.
E. Bei der Reichsbank wird vom Generalrat mit
mindestens neun Stimmen,
worunter mindestens sechs ausländische sein müssen, ein
Kommissar für die Notenausgabe auf vier Jahre bestimmt, welcher
eine der im Generalrat vertretenen ausländischen
Staatsangehörigkeiten besitzt. Unter seiner Kontrolle erfolgt die
An- und Ausfertigung, Ausgabe, Einziehung und Vernichtung der
Reichsbanknoten. Er hat die Durchführung aller Bestimmungen zu
gewährleisten, die sich auf die Ausübung des Notenausgaberechts und
die Erhaltung der Golddeckung beziehen. Ihm sind die täglichen
Nachweisungen über die Notendeckung und den Notenumlauf zur
Prüfung und Billigung vorzulegen. Seine Mitwirkung an der
An- und Ausfertigung der Noten wird nach seiner Anweisung durch einen
besonderen Ausfertigungskontrollstempel auf jeder im Umlauf gesetzten
Reichsbanknote beurkundet. —
Auf der Londoner Konferenz ist auf Antrag der deutschen Delegation festgestellt
worden, daß die Reparationsgläubiger Sanktionen auf Grund des
Vertrags von Versailles (VIII. Teil, Anlage II,
§ 18) nur dann ergreifen
dürfen, wenn Deutschland bei seinen Leistungen mit einem "quantitativ
erheblichen Teil" im Rückstand geblieben ist und wenn dieser
Rückstand auf ein "böswilliges Verhalten deutscher
Regierungsstellen" zurückgeführt werden kann. Im Falle der
Feststellung einer solchen "flagranten Verfehlung" durch die
Reparationskommission haben sich die Alliierten unverzüglich miteinander
ins Benehmen zu setzen, um die Art der anzuwendenden Sanktion zu bestimmen,
und zwar soll diese "schnell und wirksam" sein. Wird ein Mitglied der
Reparationskommission bei der Entscheidung über einen Antrag auf
Feststellung einer deutschen Verfehlung überstimmt, so [328] kann es Berufung bei einer Schiedskommission
einlegen. Sanktionen dürfen gegen Deutschland nur ergriffen werden, wenn
diese Schiedskommission die Nichterfüllung Deutschlands erklärt
oder die Reparationskommission einen einstimmigen Beschluß gefaßt
hatte. Eine Bindung der Reparationsgläubiger zu übereinstimmendem
Handeln oder hinsichtlich der Art der zu ergreifenden Sanktion ist nicht
eingegangen worden.
C) Schiedsinstanzen
Durch den Dawes-Plan, das Londoner Protokoll und die zu seiner
Ausführung erlassenen deutschen Gesetze sind für die Entscheidung
für den größten Teil möglicher Streitfragen
Schiedsinstanzen verschiedenster Art vorgesehen. Die wichtigsten durch
Schiedsinstanzen geregelten möglichen Streitgegenstände sind
folgende:11
Alle Meinungsverschiedenheiten zwischen der deutschen Regierung und der
Reparationskommission in Bezug auf die Auslegung der Vereinbarungen des
bisherigen Abkommens vom 9. August 1924, des
Dawes-Plans selbst oder der einschlägigen deutschen Gesetzgebung. (Dabei
bleibt das Recht der Reparationskommission zur Auslegung der
Reparationsbestimmungen des Vertrags von Versailles
unberührt.)
Bestimmte Meinungsverschiedenheiten zwischen der Reichsregierung bzw. der
deutschen Reichsbahngesellschaft oder der Bank für deutsche
Industrieobligationen einerseits und den alliierten Regierungen, der
Reparationskommission, einer in ihr vertretenen Regierung, Mitgliedern der
Reparationskommission, dem Übertragungskomitee, dem Kommissar
für verpfändete Reichseinnahmen, dem Eisenbahnkommissar, dem
Treuhänder für die Reichsbahnobligationen oder dem
Treuhänder für die Industrieobligationen andererseits.
Ferner sind ein paritätisches Komitee zur Berechnung des
Wohlstandsindexes, ein unabhängiger und unparteiischer Schiedsrichter bei
Stimmengleichheit im Übertragungskomitee hinsichtlich der Frage, ob
verabredete Finanzmanöver vorliegen, um die Übertragung der
Reparationszahlungen zu verhindern; sodann ein Schiedsgericht bei einem nicht
einstimmigen Beschluß der Reparationskommission über dieselbe
Frage, ferner die erwähnte Schiedskommission im Falle einer
Meinungsverschiedenheit innerhalb der Reparationskommission über eine
angebliche Nichterfüllung Deutschlands vorgesehen. Schließlich ist
allgemein bei Streitigkeiten zwischen den Regierungen, welche das Londoner
Protokoll unterzeichnet haben, betreffs des Vorgehens [329] bei Sanktionen der ständige Internationale
Gerichtshof im Haag für zuständig erklärt.
II. Bedeutung des Dawes-Plans, des Londoner
Protokolls
und der zu ihrer Durchführung beschlossenen
deutschen Reichsgesetze im Allgemeinen
Die Beurteilung des ganzen "Dawes-Werks", wie man das erste
Sachverständigengutachten, das Londoner Protokoll und seine
sämtlichen Anlagen und Unteranlagen, die damit im Zusammenhang
stehenden deutschen Reichsgesetze und dazugehörigen Satzungen und
Verordnungen der Kürze halber bezeichnen kann, ist von verschiedenen
Gesichtspunkten aus möglich und notwendig. Es bedarf der deutlichen
Hervorhebung des jeweils angelegten Maßstabes, um die Tragweite der
entsprechend verschiedenen Ergebnisse solcher Beurteilung richtig
einschätzen zu können:
A. Das Verhältnis des
Dawes-Werks zum Vertrag von Versailles
und den auf Grund des Vertrages von Versailles bis zur Londoner Konferenz vom
August 1924 getroffenen Entscheidungen der Reparationskommission.
Wie bereits in der Einleitung dieses Aufsatzes hervorgehoben, steht das
Dawes-Werk in keinem einzigen irgendwie wesentlichen Punkte im Widerspruch
zum Vertrag von Versailles. Es verletzt ihn weder, noch hebt es ihn auf, noch
verändert es ihn in wesentlichen Stücken. Auf einzelne kleine
Abänderungen hinsichtlich der Reparationskommission, die als
Abänderungen mit Zustimmung der deutschen Regierung beschlossen
wurden, ist in der Einleitung bereits hingewiesen. Die wichtige Herabsetzung der
Jahresleistungen gegenüber dem Londoner Zahlungsplan vom Mai 1921 und
die Ausdehnung der Zahlungsfristen wie auch die Änderung der
Zahlungsarten konnten von der Reparationskommission ohne Änderung des
Vertrags von Versailles vorgenommen werden (vgl. insbesondere Artikel 234
des Vertrags von Versailles). Eine Verschärfung gegenüber dem Vertrag
von Versailles ist insofern vorgenommen worden, als auf Grund des
Dawes-Werks nicht nur gemäß Artikel 248
des Vertrags von
Versailles alle Vermögenswerte und Einnahmequellen "Deutschlands und
der deutschen Bundesstaaten" an erster Stelle für die Zahlung der
Wiedergutmachung und aller anderen Verpflichtungen haften, sondern auch
nunmehr die deutsche Privatwirtschaft, soweit sie von der Industriebelastung
betroffen wird. Am stärksten geht das
Dawes-Werk über die Bestimmungen des Vertrags von Versailles,
abgesehen von der Haftung der privaten Industrie, durch die im Vorstehenden
näher beschriebenen Kontrollmaßnahmen und außerordentlich
weitreichenden Eingriffsrechte der verschiedenen Kontrolleure im Falle eines
deutschen Zahlungsverzugs hinaus.
[330] Auf eine latente Verletzung des Vertrags von
Versailles im Zusammenhang mit dem Londoner Ultimatum vom Mai 1921 sei
noch hingewiesen: Der Vertrag von Versailles kennt nur als
Reparationsverpflichtung die Verzinsung und Tilgung des von der
Reparationskommission festzusetzenden Gesamtbetrags der deutschen
Reparationsschuld, auf welche eine Reihe anderweiter Leistungen Deutschlands
anzurechnen sind. Die Reparationskommission hat, wenngleich wie bereits
erwähnt, sicherlich ohne zureichende Begründung, diese
Gesamtschuld auf 132 Milliarden Goldmark festgesetzt. Auch bei
günstigster Anrechnung des anderweit Geleisteten werden die
Dawes-Zahlungen diesen Betrag niemals zu tilgen
vermögen - es sei denn, daß auf Grund des oben näher
beschriebenen sogenannten Wohlstandsindexes eine zwar nicht wahrscheinliche,
aber immerhin nicht unmögliche starke Steigerung der Zahlungen aus dem
Reichshaushalt eintritt. Den ausführlichen zahlenmäßigen
Beweis dafür, daß diese Möglichkeit einer
Überschreitung selbst der durch das Londoner Ultimatum auferlegten
Verpflichtungen durch die Anwendung des Wohlstandsindexes besteht, habe ich
an anderer Stelle erbracht.12
B. Ganz unabhängig von dem rechtlichen
Verhältnis des
Dawes-Werks zum Vertrag von Versailles ist die politische Frage zu
behandeln, ob die Annahme des
Dawes-Plans zweckmäßig war oder nicht. Für die Entscheidung
dieser Frage kommt es vor allem darauf an, wie sich unsere gesamte politische und
wirtschaftliche Lage bei Ablehnung des
Dawes-Plans gestaltet hätte. Das Londoner Protokoll sah für den Tag
nach der endgültigen Unterzeichnung die Anordnung der
militärischen Räumung der Zone
Dortmund-Hörde und der seit dem 11. Januar 1923 außerhalb des
Ruhrgebiets besetzten Gebiete zugleich mit ihrer wirtschaftlichen Räumung
vor; acht Tage später das Aufhören der Erhebung von Abgaben an der
östlichen Zollgrenze zwischen dem besetzten und unbesetzten Deutschland;
zehn Tage später Wiedereinführung der im unbesetzten Deutschland
geltenden Gesetze und Tarife für die Erhebungen jeder Art. Bis zum 21.
Oktober 1924 war die Beseitigung aller Beschränkungen der deutschen
fiskalischen und wirtschaftlichen Gesetzgebung seit dem 11. Januar 1923
vorgesehen, ebenso die Wiedereinsetzung der deutschen Behörden mit den
vollen Befugnissen, die sie in den besetzten Gebieten vor dem 11. Januar 1923
ausgeübt hatten; ferner die Rückgabe aller industriellen,
landwirtschaftlichen und verkehrswirtschaftlichen Unternehmungen, die seit dem
11. Januar 1923 von den Besatzungsbehörden ausgebeutet oder gepachtet
worden waren, an ihre Eigentümer. Bis zum 7. Dezember 1924 waren die
von der französisch-belgischen Regie betriebenen Eisenbahnstrecken an die
deutsche Reichsbahngesellschaft [331] tatsächlich zurückzugeben und bis
zum 16. August 1925 sollte auch spätestens das Ruhrgebiet
militärisch geräumt werden. Andere Mittel, als die Unterzeichnung
des Londoner Protokolls, um alle diese politisch und wirtschaftlich gleich
unerträglichen, sicherlich widerrechtlichen Eingriffe der alliierten
Reparationsgläubiger tatsächlich rückgängig zu machen,
dürften nicht vorhanden gewesen sein. Daß somit die Unterzeichnung
des Londoner Protokolls praktisch das einzig wirksame Mittel war, um die
widerrechtlichen Beeinträchtigungen durch den Ruhreinbruch und seine
Folgen tatsächlich zu beseitigen, muß bei der Beurteilung der
politischen Zweckmäßigkeit dieser Unterzeichnung mit
berücksichtigt und gegenüber der Verschärfung der
Verpfändungs- und Kontrollbestimmungen abgewogen werden.
C. Mit dieser Beurteilung des rechtlichen
Verhältnisses zum Vertrag von
Versailles und der politischen Gründe, welche trotz gewisser
Verschärfungen unserer Reparationsverpflichtungen für die Annahme
des Dawes-Plans sprachen, ist schlechterdings nichts über die
Ausführbarkeit und die wirtschaftliche Tragweite des
Dawes-Werks überhaupt ausgesagt. Eine zusammenfassende allseitig
abwägende Beurteilung in knapper Form ist am einfachsten dadurch zu
geben, daß die Vorteile und Nachteile einander gegenübergestellt
werden, welche - unter der Voraussetzung, daß überhaupt Reparationen
zu zahlen sind - das Dawes-Werk für Deutschland enthält. Eine solche
Gegenüberstellung wird alsdann auch bei der Beurteilung aller
Abänderungsvorschläge nützlich werden können,
insofern die Erhaltung, möglichst sogar der Ausbau der Vorteile,
umgekehrt die Beseitigung, wenigstens die Abschwächung der
Nachteile anzustreben ist.
1) Vorteile
1. Die Zahlungen auf Grund des Dawes-Plans schließen alle Beträge
ein, die Deutschland den alliierten und assoziierten Mächten schuldet,
insbesondere die Besatzungskosten, die Kosten der verschiedensten Kommissionen
und Kontrollorgane, den
Zinsen- und Tilgungsdienst der deutschen Auslandsanleihe von 1924 und die
Finanzierung der weiteren Sachleistungen.
2. Abgesehen von den durch den
Dawes-Plan selbst vorgesehenen, findet keine andere ausländische Kontrolle
oder Einmischung mehr statt.
3. Mit der Leistung der einzelnen Zahlungen in Goldmark oder deren Gegenwert in
deutscher Währung auf das Reichsbankkonto des Generalagenten für
Reparationszahlungen hat die deutsche Regierung die ihr jeweils obliegenden
finanziellen Verpflichtungen endgültig erfüllt.
[332] 4. Eine Übertragung der aufgebrachten
Reparationszahlungen in die Währung der
Reparationsgläubigerländer darf nur insoweit erfolgen, als durch die
Durchführung des Programms für die Sachleistungen und die
Zahlungen auf Grund der Reparation Recovery Acts Störungen des
Wechselkurses verhindert werden und beim Ankauf von Devisen zur
Übertragung von Bargeld so verfahren wird, daß eine
Gefährdung der Währung unmöglich ist. Dabei ist es von
besonderer Bedeutung, daß die Sachverständigen bei der
Erörterung der Bedingungen für die dauernde Stabilität der
Währung eines Landes ausdrücklich darauf hinweisen, daß sich
nicht nur der Haushalt im Gleichgewicht befinden muß, sondern daß
auch die Einkünfte aus dem Auslande ebenso groß wie, unter
Einschluß der Reparationszahlungen, die Zahlungen ans Ausland sind. Sie
sagen wörtlich, daß Reparationszahlungen ans Ausland "nur aus
einem wirtschaftlichen Überschuß der Arbeitsleistung des Landes
bezahlt werden können". Ja, sie fügen sogar den in seiner Bedeutung
gar nicht überschätzbaren Satz hinzu: "Anleiheoperationen
können die Sachlage zwar verschleiern oder ihre praktischen Auswirkungen
zeitlich hinausschieben, vermögen sie aber nicht zu ändern."13
5. Falls die nicht übertragbaren Reparationszahlungen den Betrag von 2
Milliarden Reichsmark erreicht haben und die Reichsbank sie nicht länger
auf dem Reichsbankkonto des Generalagenten für Reparationszahlungen
wünscht, sind sie langfristig anzulegen, so daß also nicht
durch eine plötzliche Kündigung schwere Erschütterungen
eintreten können.
6. Von allergrößter Bedeutung - wenn die Schutzbestimmungen
bei der Übertragung richtig innegehalten
werden - ist schließlich die Bestimmung, daß beim Erreichen
der 5-Milliarden-Grenze der nichtübertragbar gewesenen Reparationszahlungen
bis zum Eintritt der Wiederübertragbarkeit eine Herabsetzung der
Aufbringungsverpflichtungen eintritt.
7. Einen Vorteil bietet das Dawes-Werk auch dadurch, daß für
ziemlich alle denkbaren Meinungsverschiedenheiten Schiedsinstanzen
vorgesehen sind und damit die Gefahr einer ausschließlich politischen
Entscheidung wesentlich vermindert ist.
8. Auf die politischen Wirkungen der Unterzeichnung des Londoner Protokolls,
insbesondere die Räumung des Ruhrgebiets, ist bereits hingewiesen
worden.
9. In gewissem Sinne darf auch als Vorteil gewertet werden, daß die
Sachverständigen ihre Vorschläge nicht als
endgültige Lösung des Reparationsproblems betrachteten,
sondern ausdrücklich auf die Notwendigkeit einer späteren
endgültigen Regelung hingewiesen haben.
[333]
2) Nachteile
1. Der grundlegende Nachteil besteht darin, daß auch das
Dawes-Werk an der Anerkennung des Londoner Ultimatums vom Mai 1921 nichts
geändert hat und somit die freilich nur durch Sanktionsdrohungen
erpreßte Unterschrift unter den Vertrag von Versailles hinsichtlich der
Reparationsverpflichtungen ebensowenig formell ungültig geworden ist wie
die Unterzeichnung des Londoner Ultimatums. Damit ist also weder das Unrecht
beseitigt worden, daß die im Vorfriedensvertrag übernommene
deutsche Wiederherstellungspflicht durch den Vertrag von Versailles auf einen
sehr viel größeren Kreis von Schäden ausgedehnt wurde
(wodurch überhaupt erst die außerordentliche Höhe der
Gesamtforderung möglich wurde); noch sind die zahllosen
Verstöße der Reparationskommission bei der Anerkennung der
Reparationsforderungen der einzelnen Reparationsgläubigerländer,
die in zweiter Linie zu der Höhe der Gesamtforderung geführt haben,
wiedergutgemacht. Und drittens ist der Wert der bis zum Inkrafttreten des
Londoner Ultimatums von Deutschland erfolgten und auf Reparationskonto
anrechnungspflichtigen Leistungen bislang weder vollständig noch in einer
auch nur dem Vertrage von Versailles entsprechenden Weise angerechnet
worden.
2. Dadurch, daß nur für einen Teil der auf Grund des
Dawes-Werks auferlegten Verpflichtungen eine zeitliche Begrenzung
vorgenommen worden ist, bleibt nicht nur die Höhe, sondern vor
allem auch die Dauer der deutschen Zahlungsverpflichtungen
vollkommen unbestimmt. Diese Unsicherheit hat nicht nur, insbesondere mit
Rücksicht auf den deutschen Kredit, gefährliche wirtschaftliche
Folgen. Noch bedenklicher sind die moralischen Wirkungen, die sowohl für
die Schaffenskraft des deutschen Volkes wie seine Stellung in der Welt durch eine
unabsehbare Reparationsbedrückung gegeben sind.
3. Wenngleich die Sonderbelastung der deutschen Reichsbahngesellschaft und der
deutschen Industrie letzten Endes die Gesamtheit der deutschen Wirtschaft ebenso
wie die Leistungen aus dem Reichshaushalt trifft, so bedeuten diese
Sonderverpflichtungen doch insofern eine zusätzliche Belastung, als sie mit
außerordentlich weitgehenden unerwünschten Aufsichtsrechten und
unter Umständen noch viel gefährlicheren Eingriffsrechten der
Reparationsgläubiger in die deutsche Wirtschaft verbunden sind.
4. Die Möglichkeit der Veräußerung der Industriebonds und
sogar eines Teils der Einzelobligationen wie auch der
Reparationsschuldverschreibungen der deutschen Reichsbahngesellschaft legen,
freilich mit den Einschränkungen, die sich aus dem Transferschutz ergeben,
die Gefahr einer Privatisierung der Reparationsschuld nahe. Eine solche
Privatisierung, durch die der einzelne private
aus- [334] ländische Inhaber von Bonds bzw.
Obligationen Gläubiger Deutschlands wird, machte eine Abänderung
der Reparationsverpflichtungen praktisch unmöglich und bedeutete darum
eine noch viel gefährlichere Festlegung als jede allein den alliierten
Regierungen gegenüber übernommene Verpflichtung.
5. Durch die dem Kommissar für die verpfändeten Reichseinnahmen
eingeräumten Rechte ist tatsächlich eine Finanzkontrolle eingerichtet
worden, welche selbst unter der Voraussetzung vollkommener Erfüllung der
durch das Daweswerk auferlegten Verpflichtungen den Kommissar nicht nur zu
einem Eindringen bis in alle Einzelheiten der Verwaltung der beschlagnahmten
Einkünfte berechtigt, sondern ihm sogar das Recht gibt, dem Reichsminister
der Finanzen Vorschläge zu machen, ja sogar gegen
Tarifermäßigungen Widerspruch zu erheben, wenn bei
unveränderter Lage der einschlägigen Gesetze in sechs
aufeinanderfolgenden Monaten der abgelieferte Betrag einer der
verpfändeten Einnahmen um insgesamt mehr als 50 vom Hundert hinter
dem abgelieferten Betrag der entsprechenden Monate des Vorjahres
zurückbleibt. Damit ist ein unmittelbarer Eingriff in die deutsche
Steuergesetzgebung selbst dann möglich, wenn nicht nur alle
Verpflichtungen erfüllt sind, sondern sogar der Wert des Gesamtpfandes
unvermindert bleibt, falls nur die Zusammensetzung des Gesamtpfandes durch
entsprechende Verschiebung des Ertrags der einzelnen Steuern sich
verändert hat. Hierzu kommt noch die außerordentliche Schwere der
Eingriffe, die dem Kommissar gestattet sind, falls der Ertrag der
verpfändeten Einkünfte nicht zur Deckung der
Zahlungsverpflichtungen des Reiches ausreicht.
6. Wenngleich auch der Kommissar bei der Reichsbank im allgemeinen nur
Kontrollrechte besitzt, so bildet doch die Befugnis des
Übertragungskomitees, den Reichsbankpräsidenten von seiner
Ansicht zu unterrichten, daß der jeweils geltende Reichsbankdiskontsatz die
notwendigen Übertragungen erschwere, eine erhebliche Gefahr. Denn bei
dem Einflusse der Reparationskommission und der Vertreter der
Reparationsgläubiger im Generalrat der Reichsbank und den allgemeinen
Befugnissen des Übertragungskomitees auf dem Gebiet der
Valuta- und Diskontpolitik wird sich der Reichsbankpräsident der
Beachtung einer solchen Mitteilung nur sehr schwer entziehen können.
7. Das gesamte Kontrollsystem ist wohlweislich, unter Ablehnung andersartiger
belgischer Vorschläge, so gestaltet worden, daß es wenigstens in
normalen Zeiten, d. h. ohne daß ein deutscher Zahlungsverzug
vorliegt, einigermaßen unsichtbar arbeitet. Aber gerade darin liegt eine
gewisse Gefahr, weil nämlich die öffentliche
Mei- [335] nung dadurch nicht
genügend der beim geringsten Zahlungsverzug drohenden Eingriffe
eingedenk bleibt.
8. Was nun die absolute Höhe der deutschen Aufbringungsverpflichtungen
zunächst in der sogenannten Normalhöhe von 2½ Milliarden
Goldmark angeht, so haben die Sachverständigen überhaupt keinen
ernsthaften Versuch unternommen, die Höhe dieser Summe zu
begründen, weder dadurch, daß sie untersuchten, zu welchen
Leistungen Deutschland bei strengerer Beobachtung auch nur der Bestimmungen
des Vertrags von Versailles eigentlich verpflichtet sei, noch durch eine
ausreichende Untersuchung der deutschen Leistungsfähigkeit. Die
Aufbringungssumme nach der durch den möglichen
Ausfuhrüberschuß bestimmten Zahlungsfähigkeit zu bemessen,
lehnten sie ausdrücklich ab, weil sich dadurch eine so niedrige Summe
ergäbe, daß sie für Deutschlands Gläubiger unannehmbar
sei. Diese politische Erwägung verführte sie dazu, die
Aufbringungsverpflichtung nicht nach der deutschen
Zahlungsfähigkeit, sondern nach der ihrer ebensowenig
begründeten Meinung nach sicherer feststellbaren
Höchstleistungsfähigkeit zur inneren Aufbringung zu
bemessen. Aber auch für ihre Abschätzung der Fähigkeit,
möglichst hohe Summen im Inneren aufzubringen, haben sie keine
zahlenmäßige Begründung versucht, weil es eine solche gar
nicht geben kann. Statt dessen berufen sie sich auf die angeblich im Vertrag von
Versailles enthaltene Forderung, daß das deutsche Steuersystem
verhältnismäßig genau so drückend sei, wie das
irgendeiner anderen in der Reparationskommission vertretenen Macht. Im Vertrage
von Versailles, Abschnitt VIII, Anlage
II, § 12, Absatz 2b, ist dies Verlangen aber
nicht zur Begründung möglichst hoher Forderungen aufgestellt,
sondern lediglich zur Regelung einer anderweit errechneten Verpflichtung.
Daß es überhaupt nicht möglich ist, den Druck verschiedener
Steuersysteme verschiedener Länder mit ganz verschiedener wirtschaftlicher
und sozialer Struktur zu vergleichen, sei nur nebenbei erwähnt.
9. Da es aber nun, wie die Sachverständigen selber wußten, auf keinen
Fall möglich war, die Fähigkeit Deutschlands zur Aufbringung
bestimmter Summen richtig abzuschätzen, sie aber unter keinen
Umständen Deutschland zu gut fahren lassen wollten, führten sie zur
Ergänzung den sogenannten Wohlstandsindex ein, durch den, wie
erwähnt, die deutschen Zahlungen unter Umständen über die
selbst im Vertrag von Versailles festgelegte Summe hinaus gesteigert werden
können. Der Wohlstandsindex steht aber darum nicht nur im Widerspruch
zu den Grundlagen unserer Verpflichtungen, sondern er ist auch als Index eines
Wachstums der deutschen Leistungsfähigkeit so falsch konstruiert,
daß er bereits aus diesem Grunde zur schärfsten Kritik herausfordert.
Mindestens drei seiner sechs [336] Faktoren sind unter den gegebenen
Verhältnissen grundsätzlich falsch gewählt, weil ihr Steigen
nicht ein Anwachsen, sondern eine Minderung der deutschen
Leistungsfähigkeit bedeutet. Das ist einmal der Wert der
Ein- und Ausfuhr. Für die Ausfuhr haben es die Sachverständigen
selber zugegeben, für die Einfuhr liegt es auf der Hand. Sodann die
Zunahme der deutschen Bevölkerung. In einem
verhältnismäßig kapitalarmen, seiner wichtigsten
Rohstoffquellen beraubten und viel zu dicht besiedelten Lande bedeutet die
Bevölkerungsvermehrung, die nicht der gleichzeitigen Kapitalvermehrung
entspricht, eine Bedrohung und keine Steigerung der durchschnittlichen
Lebenshaltung. Und die Einnahmen und Ausgaben der großen Länder
steigern sich, wie die Erfahrung der letzten Jahrzehnte zeigt, im allgemeinen
wesentlich nur für militärische und soziale Zwecke. Angesichts der
Rüstungsbeschränkungen des Vertrages von Versailles bleiben
für Deutschland somit nur soziale Steigerungsgründe übrig,
d. h. wachsendes Bedürfnis nach sozialer Fürsorge wird als
Zeichen wachsenden Wohlstandes gewertet!
10. So wichtig grundsätzlich die Bestimmungen des Transferschutzes sind,
so unzulänglich ist ihre nähere Ausgestaltung. Einmal fehlt es an
jedem klaren Zwang, die Erfordernisse der deutschen Währung auf
lange Sicht zu berücksichtigen, so daß das Transferkomitee,
unter Außerachtlassung der ausdrücklichen Warnung der
Sachverständigen, Übertragungen vornehmen kann, die nicht durch
einen Überschuß der Zahlungsbilanz, sondern lediglich durch eine
entsprechende Vermehrung der Kapitaleinfuhr, also auf dem Kreditwege,
ermöglicht werden. Das Transferkomitee läßt dabei
vollkommen außer acht, daß ohne die Sicherheit entsprechend
produktiver Verwendung späterhin nicht nur keine
Reparationsübertragungen ohne Gefährdung unserer Währung
möglich sein werden, sondern durch Verzinsung und Tilgung dieser Kredite
eine unsere Währung unter Umständen gefährdende
Beanspruchung der Zahlungsbilanz eintritt, welche bei strengerer Handhabung des
Transferschutzes hätte vermieden bleiben können. Auch die im
Dawesplan ausdrücklich vorgesehene Einbeziehung der Sachlieferungen und
der Zahlungen auf Grund der Reparation Recovery Acts in den Transferschutz ist
nicht so deutlich formuliert, daß sich daraus klare Forderungen für ein
entsprechendes Verhalten des Transferkomitees ableiten ließen.
11. Schließlich muß noch darauf hingewiesen werden, daß auch
durch das Londoner Protokoll und seine Anlagen die Gefahr von Sanktionen nicht
vollkommen beseitigt ist, und vor allem nicht die Möglichkeit der zwar
durch den Vertrag von Versailles nicht zugelassenen, aber von den
Reparationsgläubigern dennoch behaupteten Möglichkeit
militärischer Sanktionen, selbst ohne daß hierüber
[337] volles Einverständnis der beteiligten
Reparationsgläubiger im Einzelfalle erzielt zu sein brauchte.
III. Die Ausführung des
Dawes-Werks
Die folgende Übersicht unterrichtet zunächst über die
tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben des Generalagenten für
Reparationszahlungen während der vier ersten ganzen Jahre der
Ausführung des Daweswerks, das ist vom 1. September 1924 bis zum 31.
August 1928, sowie der ersten zwei Drittel des fünften Jahres, also des
ersten Normaljahres, das ist vom 1. September 1928 bis zum 30. April 1929:
(Tabellen siehe Seite 338 und
339.)
Aus den nachstehenden Übersichten geht hervor, daß das
Dawes-Werk bislang äußerlich vollkommen reibungslos funktioniert
hat. Soweit die Einnahmen des Generalagenten nicht vollkommen
plangemäß erfolgt sind, entspringt die Abweichung jeweils
entsprechenden Vereinbarungen mit der deutschen Regierung, worauf im
folgenden noch kurz eingegangen wird. Für die Ausgaben des
Generalagenten ist vor allem das stetige und starke Anwachsen der
Barüberweisungen von Bedeutung, welche in den vollen Jahren absolut von
0 auf 468 Millionen, relativ von 0 über 7%, 20,2%, 28,5% auf 36,3%
des an die Gläubiger verteilten Betrages angewachsen sind. Auch die
Bedeutung der Zahlungen auf Grund der Reparation Recovery Acts, welche ja
praktisch dadurch, daß für 26 vom Hundert des Wertes der
betreffenden Ausfuhr keine ausländischen Zahlungsmittel nach Deutschland
gelangen, für unsere Währung dieselbe Bedeutung wie die
Barüberweisungen haben, sind in den vollen Jahren von 180 auf 351
Millionen gestiegen. Sie haben im vierten Jahre mit den eigentlichen
Barüberweisungen und einigen anderen unbedeutenden
Übertragungen auch in ausländischer Währung zusammen
mehr als die Hälfte der gesamten Leistungen ausgemacht, so
daß die Sachlieferungen, die im ersten Jahre einschließlich der
Requisitionen und Lieferungen auf Grund des Rheinlandabkommens und im
Ruhrgebiete und anderen Zahlungen in Reichsmark noch 63,1 vom Hundert
darstellten, im vierten Jahre auf 45,9 vom Hundert herunter gegangen sind. Im
laufenden Jahre ist, vor allem im letzten Monat April, eine stärkere
Ansammlung auf dem Konto des Generalagenten zu verzeichnen. Ob dies
vorübergehende Bedeutung hat, oder auf beginnende
Transferschwierigkeiten schließen läßt, ist noch nicht mit
Sicherheit zu sagen.
Zur Einzelausführung des Daweswerkes ist an wesentlichen
Geschehnissen folgendes zu vermerken:
[338]
Ausgaben (in Millionen Goldmark) |
|
|
1. Jahr |
2. Jahr |
3. Jahr |
4. Jahr |
5. Jahra |
1. |
Zahlungen in Mark an
Besatzungstruppen |
52,3 |
41,8 |
37,4 |
34,0 |
|
29,3 |
2. |
Requisitionen und
Schadenersatzleistungen, sowie Lieferungen in Natura auf Grund d.
Rheinlandabkommens und im Ruhrgebiet |
135,1 |
44,4 |
36,2 |
31,7 |
3. |
Reparat. Recovery Acts |
180,3 |
243,1 |
290,1 |
351,0 |
|
258,7 |
4. |
Lieferungen von Steinkohlen, Koks u.
Braunkohlen, einschließlich Beförderung |
295,6 |
357,6 |
276,1 |
271,5 |
|
134,3 |
5. |
Lieferungen von chemischen
Düngemitteln |
19,9 |
50,8 |
60,8 |
50,8 |
|
33,6 |
6. |
Lieferungen von Farbstoffen und
pharmazeutischen Erzeugnissen |
26,3 |
11,2 |
12,5 |
18,9 |
|
7,4 |
7. |
Sonstige Sachlieferungen |
79,5 |
238,3 |
307,8 |
413,5 |
|
434,3 |
8. |
Verschied. Zahlungen |
— |
2,2 |
1,3 |
1,2 |
|
1,2 |
9. |
Barüberweisungen |
— |
70,8 |
258,6 |
467,9 |
|
514,7 |
|
|
|
Gesamtbetrag f. d.
Mächteb |
789,0 |
1060,2 |
1280,7 |
1640,5 |
|
1413,5 |
|
|
10. |
Dienst der deutschen Auslandsanleihe
1924 |
77,5 |
97,2 |
91,3 |
90,5 |
|
58,1 |
11. |
Interalliierte Kommissionen und
Schiedsgerichte |
26,7 |
18,4 |
10,0 |
8,2 |
|
6,4 |
12. |
Kosten der Erhebung von Zöllen
usw. |
3,3 |
— |
— |
— |
|
— |
13. |
Diskont und sonstige
Nebenausgaben |
0,2 |
7,4 |
6,5 |
7,1 |
|
5,3 |
14. |
Kursverlust |
— |
— |
0,4 |
— |
|
— |
|
|
|
Insgesamt
Ausgaben |
896,8 |
1183,3 |
1389,0 |
1746,4 |
|
1483,4 |
|
|
|
Bankguthaben am Schlusse des betreffenden
Jahres, bezw. im fünften Jahre am 30. April 1929 |
107,0 |
93,6 |
185,5 |
189,5 |
|
328,1 |
|
|
|
Insgesamt |
1003,8 |
1276,9 |
1574,5 |
1935,9 |
|
1811,5 |
|
|
|
a ⅔ des 5. Jahres
vom 1. 9. 1928 - 30. 4. 1929.
b Der an die Mächte verteilte Gesamtbetrag verteilt sich
folgendermaßen auf die einzelnen Länder: |
Frankreich |
396,6 |
565,7 |
638,3 |
862,5 |
|
742,7 |
Britisches Reich |
189,9 |
226,7 |
302,5 |
367,0 |
|
329,4 |
Italien |
60,4 |
77,1 |
92,8 |
119,5 |
|
106,8 |
Belgien |
93,5 |
116,4 |
68,6 |
108,6 |
|
77,6 |
Serbien |
30,1 |
38,2 |
46,3 |
58,5 |
|
54,2 |
Vereinigte Staaten |
— |
14,9 |
98,8 |
85,2 |
|
62,8 |
Rumänien |
7,4 |
9,0 |
10,6 |
15,4 |
|
15,5 |
Japan |
3,8 |
2,8 |
10,1 |
9,1 |
|
10,3 |
Portugal |
4,7 |
6,3 |
8,1 |
10,1 |
|
9,4 |
Griechenland |
2,6 |
3,2 |
4,2 |
4,4 |
|
4,5 |
Polen |
0,0 |
0,2 |
0,2 |
0,3 |
|
0,4 |
|
|
|
|
|
789,0 |
1060,2 |
1280,7 |
1640,5 |
|
1413,5 |
[339] Die Einnahmen der
einzelnen Jahre sind transferiert:
|
|
Mill. Goldmark |
|
% der Einnahmen |
|
|
1. Jahr |
2. Jahr |
3. Jahr |
4. Jahr |
5. Jahrc |
|
1. Jahr |
2. Jahr |
3. Jahr |
4. Jahr |
5. Jahrc |
1. |
In ausländ.
Währung |
262,1 |
414,4 |
682,5 |
942,2 |
863,7 |
|
26,1 |
35,4 |
46,1 |
53,8 |
53,2 |
2. |
Durch Zahlgn. in
RM |
634,7 |
768,9 |
706,5 |
804,2 |
619,6 |
|
63,2 |
65,8 |
47,6 |
45,9 |
38,2 |
3. |
Überhpt. nicht |
107,0 |
-13,4 |
91,9 |
4,0 |
138,6 |
|
10,7 |
-1,2 |
6,3 |
0,2 |
8,6 |
|
|
|
|
|
1003,8 |
1169,9 |
1480,9 |
1750,4 |
1622,0 |
|
100,0 |
100,0 |
100,0 |
100,0 |
100,0 |
Einnahmen (in Millionen Goldmark) |
|
|
1. Jahr |
2. Jahr |
3. Jahr |
4. Jahr |
5. Jahrc |
1. |
Deutsche Auslandsanleihe
1924 |
800 |
— |
— |
— |
|
— |
2. |
Normale
Haushaltsleistungen |
— |
250 |
110 |
500 |
|
833,3 |
3. |
Zusätzliche
Haushaltsleistungen |
— |
— |
300 |
— |
|
— |
4. |
Beförderungssteuer |
— |
241,9 |
278,1 |
285,8 |
|
193,3 |
5. |
Reichsbahnreparationsschuldverschreibungen, Verzinsung und
Tilgung |
200 |
550 |
540 |
660 |
|
440 |
6. |
Industrieobligationen, Verzinsung und
Tilgung |
— |
125 |
250 |
300 |
|
150 |
7. |
Sonstige Zinseneinnahmen |
0,3 |
2,7 |
2,8 |
4,3 |
|
5,4 |
8. |
Kursgewinne |
0,2 |
0,3 |
— |
0,3 |
9. |
Sonstige Einnahmen |
3,3d |
— |
— |
— |
|
— |
|
|
|
Insgesamt
Einnahmen |
1003,8 |
1169,9 |
1480,9 |
1750,4 |
|
1622,0 |
|
|
|
Bankguthaben am Anfang des betreffenden
Jahres |
— |
107,0 |
93,6 |
185,5 |
|
189,5 |
|
|
|
Insgesamt |
1003,8 |
1276,9 |
1574,5 |
1935,9 |
|
1811,5 |
|
|
|
c 2/3 des 5. Jahres
vom 1. 9. 1928 - 30. 4. 1929.
d Einnahmen im besetzten Gebiet während der
Übergangszeit zur Deckung der Zollerhebungskosten. |
1) Ingangsetzen des
Daweswerkes
Nach Abschluß der Londoner Konferenz am 16. August 1924 gingen bereits
vier Tage später die Gesetzentwürfe über die Londoner
Konferenz dem Reichsrate zu und wurden am folgenden Tage vom Reichsrat
verabschiedet, nachdem die zuständigen Ausschüsse des
vorläufigen Reichswirtschaftsrats gleichzeitig zugestimmt hatten. Am selben
Tag begann auch gleich die Aussprache im Auswärtigen
Aus- [340] schuß des
Reichstags, zwei Tage später in seinem Plenum. Am 29. August erfolgte die
Annahme der Gesetze im deutschen Reichstage, und am folgenden Tage die
Unterzeichnung des Londoner Protokolls. Da die Reparationskommission schon
am 29. August als vorläufigen Agenten und Präsidenten des
Transferkomitees den Amerikaner Owen D. Young und als Kommissar für
die verpfändeten Einnahmen den Engländer Fadyean, als
Treuhänder für die Eisenbahnobligationen den Franzosen Delacroix
und als Treuhänder für die Industrieobligationen den Italiener Nogara
ernannt hatte, konnte sie an dem spätesten hierfür vorgesehenen
Termin, dem 1. September 1924, auf Grund des Londoner Protokolls die erste
Feststellung treffen, daß die für die Durchführung des
Dawesplans erforderlichen Gesetze in der von ihr gebilligten Fassung
verkündet seien und der Generalagent für Reparationszahlungen seine
Tätigkeit aufgenommen habe. Damit erfolgte gleichzeitig die erste Zahlung
von 20 Millionen Goldmark Übergangsleistung auf das Konto des
Generalagenten durch die Reichsregierung. Am 3. September 1924 ernannte die
Reparationskommission den Amerikaner Parker Gilbert zum endgültigen
Generalagenten, der dies Amt heute noch bekleidet. Kurz darauf setzte sie
für die Dauer der Durchführung des
Sachverständigengutachtens die Befugnisse des seinerzeit eingerichteten
Garantiekomitees außer Kraft. Am 20. September 1924 veröffentlichte
die französische Regierung einen Erlaß über die dem englischen
Reparation Recovery Act entsprechende Einführung einer 26%igen
Reparationsabgabe auf eingeführte deutsche Waren. Ein Einspruch der
deutschen Regierung hiergegen blieb fruchtlos. Am 30. September 1924 wurde die
Bank für deutsche Industrieobligationen gegründet. Am 10. Oktober
1924 wurde in London die Vereinbarung zwischen den beteiligten Bankgruppen
über die Verteilung der deutschen
800-Millionen-Auslandsanleihe abgeschlossen. Gleichzeitig ernannte die
Reparationskommission das Transferkomitee, welches nunmehr außer dem
Generalagenten aus einem weiteren Amerikaner, einem Belgier, einem
Engländer, einem Franzosen und einem Italiener besteht. Am
darauffolgenden Tage ging das Betriebsrecht der deutschen Reichsbahn auf die
deutsche Reichsbahngesellschaft über. Am 13. bzw. 28. Oktober 1924
erfolgten die zweite und dritte Feststellung der Reparationskommission, daß
der Kontrollapparat, die Bank für deutsche Industrieobligationen, die
deutsche Reichsbahngesellschaft bestimmungsgemäß eingerichtet und
die Zertifikate für die
Eisenbahn- und Industrieobligationen übergeben seien bzw. die
französische und belgische Regierung das für die Wiederherstellung
der fiskalischen und wirtschaftlichen Einheit Deutschlands aufgeführte
Programm durchgeführt hätten.
[341]
2) Zahlungen aus dem deutschen
Reichshaushalt
Erstes Jahr. Wie bereits erwähnt, hatte die deutsche Regierung im ersten
Jahre nicht aus eigenen Mitteln, sondern aus dem Ertrag einer Auslandsanleihe 800
Millionen Goldmark auf das Reichsbankkonto des Generalagenten einzuzahlen.
Die Anleihe wurde zu rund der Hälfte des Nennbetrages in Amerika, zu
knapp einem Viertel in England, mit dem übrigen, ein Viertel ein wenig
übersteigenden, Betrage in Belgien, Holland, Frankreich, Italien, Schweden,
der Schweiz und zu einem sehr kleinen Teil von noch nicht 6 Millionen Goldmark
in Deutschland aufgelegt. Die in den verschiedenen fremden Währungen
erzielten Anleiheerträge im Gegenwert von 801 Millionen Goldmark wurden
einem auf den Namen des Reichs lautenden und unter der Kontrolle des
Generalagenten stehenden Reichsbankkonto gutgeschrieben. Diese
ausländischen Währungsbeträge wurden dann später, um
die übrigen Zwecke der Auslandsanleihe zu erfüllen, der Reichsbank
freigegeben, wobei gleichzeitig der Gegenwert in Reichsmark zunächst dem
Reich gutgeschrieben wurde, der Generalagent aber entsprechend der
Fälligkeit der einzelnen Beträge der deutschen Jahresleistung diese im
jeweiligen Goldmarkwerte abhob. Die Anleihe ist mit 7 vom Hundert
jährlich zu verzinsen und wird am 15. Oktober 1949 fällig, sofern sie
nicht früher getilgt wird. Es ist ein Tilgungsfonds anzulegen, der zur
Gesamttilgung bei Fälligkeit genügt.
Es wurden ferner für das folgende Reparationsjahr mit der Reichsregierung
Vereinbarungen über die monatliche Zahlung der von ihr zu leistenden
Beträge aus dem Reichshaushalt getroffen. Entsprechendes wurde für
die Abführung der Beförderungssteuer vereinbart.
Wie bereits früher erwähnt, waren für den Fall einer
bestimmten Erhöhung des Aufkommens der verpfändeten
Reichseinnahmen für das dritte und vierte Reparationsjahr zusätzliche
Zahlungen vorgesehen, welche insgesamt den Betrag von 500 Millionen erreichen
konnten. Da bereits während der ersten beiden Reparationsjahre die
Einnahmen aus diesen Einkünften eine starke Steigerung aufwiesen und mit
einer weiteren Steigerung, insbesondere infolge einer vom Reich vorgenommenen
Erhöhung einzelner dieser Steuern, zu rechnen war, andererseits den
Reparationsgläubigern an einer sicheren und gleichmäßigeren
Steigerung der Reparationszahlungen im Interesse gleichmäßiger
Übertragungen lag, einigte man sich darauf, die Verpflichtung zu einer unter
Umständen bis 500 Millionen Goldmark sich steigernden beweglichen
Zahlung in eine feste Verpflichtung von 300 Millionen Goldmark
umzuwandeln, welche lediglich im dritten Reparationsjahre in monatlichen Raten
zu zahlen war. Die Notwendigkeit dieses Abkommens wäre mindestens zum
Teil durch die Unterlassung von Steuererhöhungen vermeidbar gewesen,
nach- [342] dem aber diese
Erhöhungen vorgenommen waren, wurde das Abkommen auch für
Deutschland von Vorteil, weil es die Mehrzahlung begrenzte und
gleichmäßiger verteilte.
3) Verzinsung und Tilgung der
Reichsbahnobligationen
Auch die Zahlung der deutschen Reichsbahngesellschaft wurde auf Grund einer
besonderen Vereinbarung monatlich geleistet, wobei der Reichsbahngesellschaft
ein Diskont von 6 vom Hundert zugestanden wurde. Ferner wurde von der
Reichsbahngesellschaft mit der Reichsregierung angesichts der ungünstigen
Lage auf dem Kapitalmarkt ein Abkommen dahingehend geschlossen, daß
der Reichsregierung nicht, wie im Dawesplan vorgesehen, der Erlös aus dem
Verkauf von Vorzugsaktien im Nennwert von 500 Millionen Goldmark
übergeben wurde, woraus im zweiten Jahre der Haushaltsbeitrag und der aus
der Beförderungssteuer zu entrichtende Betrag beglichen werden sollte.
Vielmehr erhielt die Reichsregierung die entsprechenden Vorzugsaktien und
entrichtete die fälligen Beträge aus anderen Haushaltsmitteln.
4) Verzinsung und Tilgung der
Industrieobligationen
Die erstmalige Umlage der Industriebelastung ergab als Koeffizient für die
Verteilung der Last laut Verordnung vom 13. Dezember 1924 17,1 vom Hundert
des Betriebsvermögens. Da der Koeffizient etwas höher bemessen
war, als zur Erreichung des vorgesehenen Betrages von 5 Milliarden nötig,
wurde eine Ermäßigung des Nennbetrages der Einzelobligationen um
8 vom Hundert gewährt, wodurch der Koeffizient auf 15,75 vom Hundert
sank. Also betrug die Belastung der deutschen Industrie rund ein Sechstel ihres
Betriebsvermögens. Am festgesetzten Tage, dem 28. Februar 1925, wurden
der Bank und dem Treuhänder 60 500 Einzelobligationen über
insgesamt 5 Milliarden Goldmark übergeben. Da für die Aufbringung,
wie früher erwähnt, ein größerer Kreis von Unternehmern
in Betracht kommt, traf die aufbringungspflichtigen Unternehmer insgesamt
gemäß Verordnung vom 12. Januar 1926 die Verpflichtung zur
Verzinsung und Tilgung eines Betrages, welcher nur 13,64 vom Hundert ihres
Betriebsvermögens ausmachte und als Jahresleistung, einschließlich
der aufzubringenden Rücklage, im zweiten Reparationsjahre die Zahlung
von 3,75 des aufbringungspflichtigen Betriebsvermögens.
Da die Unternehmer, welche Einzelobligationen ausgestellt hatten, ihr
Rückkaufsrecht nicht ausübten, und die erforderlichen
Vorbedingungen für die Unterbringung der Obligationen auf dem
Weltmarkte nicht gegeben schienen, behielt der Treuhänder die gesamten 5
Milliarden Goldmark Industrieobligationen im Besitz, und zwar 4346,5 Millionen
Goldmark Industriebonds und 653,5 Millionen
Einzelobli- [343] gationen (von denen der Treuhänder bis
zu 500 Millionen auf freiem Markte unmittelbar verwerten darf).
Für die Jahre 1926 bis 1928 betragen die endgültigen Jahresleistungen
der aufbringungspflichtigen Unternehmer 3,5, 7,1 bzw. 7,65 des
aufbringungspflichtigen Betriebsvermögens. Bei der zweiten Umlegung der
Belastung hat sich ein Schlüssel von 19,6 vom Hundert des belasteten
Betriebsvermögens ergeben.
5) Tätigkeit des Generalagenten und des
Übertragungskomitees
Wie bereits erwähnt, sieht das Daweswerk auch für die Leistungen auf
Grund der Reparation Recovery Acts den Transferschutz vor. Zunächst kam
beim Inkrafttreten des Dawesplans nur der im März 1921 aufgestellte
englische Reparation Recovery Act in Frage, aber die französische
Regierung hatte im April 1921 bereits ein entsprechendes Gesetz erlassen, das
aber, wie bereits erwähnt, erst mit Wirkung ab 1. Oktober 1924, also
nach Unterzeichnung des Londoner Protokolls in Kraft gesetzt wurde.
Der Generalagent für Reparationszahlungen bemühte sich von
vornherein, eine anderweite Regelung herbeizuführen, weil ihm und dem
Transferkomitee nicht nur jede Kontrolle über diese Form der
Reparationszahlungen verloren ging, sondern auch die so übertragenen
Beträge den dem betreffenden Lande zustehenden Betrag übersteigen
konnten, was tatsächlich im Falle Englands geschah. Es gelang zwischen
allen Beteiligten hinsichtlich des englischen Reparation Recovery Act ein
Übereinkommen abzuschließen, nach welchem 90 vom Hundert der
an der Ausfuhr nach England beteiligten deutschen Exporteure monatlich Devisen
im Betrage von 30 vom Hundert ihrer Ausfuhr der Reichsbank zur
Verfügung stellen. Von diesen Sterlingbeträgen überweist die
Reichsbank allmonatlich für Rechnung des Generalagenten der Bank von
England einen Betrag in englischen Pfunden in der Höhe des
Reichsbankguthabens, das der britischen Regierung gemäß dem
Programm der Reparationskommission und des Übertragungskomitees bei
dem Generalagenten zusteht. Dieser zahlt vorbehaltlich der Zustimmung des
Übertragungskomitees die Sterlingbeträge der britischen Regierung
aus und erstattet den deutschen Exporteuren den Gegenwert in Reichsmark. Diese
Regelung ist zwar günstiger als das alte Verfahren, beseitigt aber die
Tatsache nicht, daß der deutschen Wirtschaft Auslandsguthaben ohne
Rücksicht auf die deutsche Währung entzogen werden. Mit
Frankreich wollte es zuerst nicht einmal gelingen, ein entsprechendes Abkommen
zu treffen, vielmehr erstattete die französische Regierung den Ertrag aus der
Erhebung des französischen Reparation Recovery Act an die Bank von
Frankreich zur Gutschrift für den Generalagenten, der alsdann in den
Grenzen [344] des französischen Anteils darüber
zugunsten des französischen Schatzamtes verfügte und den
Gegenwert den deutschen Exporteuren erstattete. Erst am 16. März 1928 ist
auch mit der französischen Regierung ein dem
deutsch-englischen Abkommen entsprechendes abgeschlossen worden. In der
letzten Zeit macht allerdings gerade die Aufbringung der englischen Devisen durch
die deutschen Exporteure Schwierigkeiten. Es handelt sich zur Zeit um einen
Betrag von etwa 300 Millionen Goldmark jährlich.
Zur Durchführung der Sachlieferungen ist ein Reichskommissar für
Reparationslieferungen und ein Sachlieferungsbüro in Paris eingerichtet
worden. Durch eine in Köln abgeschlossene Konvention vom 20. Oktober
1926 ist auch im Verhältnis zu Frankreich der freie Kohlenlieferungsverkehr
eingeführt. Belgien hat vorübergehend überhaupt auf
Reparationskohlen verzichtet. Zur weiteren Förderung des
Sachlieferungsverkehrs, gleichzeitig aber zur Minderung seiner Konkurrenz
gegenüber der französischen Privatwirtschaft hat Frankreich unter
dem 24. März 1928 ein besonderes Gesetz erlassen, durch welches zur
Förderung von ganz oder zum Teil mit Hilfe von Sachlieferungen
auszuführenden öffentlichen Arbeiten besondere
verwaltungsmäßige Erleichterungen zugestanden werden. Das
Verfahren zur Durchführung der erforderlichen Verträge
für solche öffentliche Arbeiten wie auch andere
außergewöhnliche Sachleistungen besteht darin, daß
zunächst einmal die Verträge gemeinschaftlich von der
Sachlieferungsstelle der Reparationskommission und der entsprechenden
deutschen Stelle geprüft und alsdann erst vom Transferkomitee und der
Reparationskommission entschieden werden. Als außergewöhnlich in
diesem Sinne werden auch solche Sachlieferungen angesehen, welche
vollständige Installierungen und Schiffsbauten vorsehen, die über 24
Monate in Anspruch nehmen, oder für nicht rationierte Waren Zahlungen
von mehr als 12 Millionen Goldmark im Jahre bedingen.
6) Sonstiges
Das in dem Londoner Schlußprotokoll vorgesehene Schiedsgericht zur
Entscheidung aller etwaigen Meinungsverschiedenheiten zwischen der
Reparationskommission und Deutschland bezüglich der Auslegung des
Daweswerks ist durch spätere Vereinbarung zwischen den Parteien von drei
auf fünf Mitglieder verstärkt worden, um außer einem
amerikanischen Vorsitzenden und zwei Vertretern der Reparationsgläubiger
und Deutschlands noch zwei neutrale enthalten zu können. Zum deutschen
Vertreter ist Professor Dr. Mendelssohn-Bartholdy,
Hamburg, bestimmt worden. Alle dem Schiedsgericht
bislang vorgelegten Fragen beziehen sich darauf, ob die im Dawesplan festgelegten
Jahreszahlungen bestimmte auf Grund des Vertrags von [345] Versailles geschuldete Zahlungen mit umfassen
oder nicht. Einige dieser Fragen sind vor der Entscheidung des Gerichtes durch
Übereinkommen der Parteien erledigt worden. In drei weiteren Fragen hat
das Gericht zugunsten Deutschlands entschieden, nämlich betreffs
Übertragungen, welche Deutschland an Frankreich in bezug auf
Rücklagen der Sozialversicherung hinsichtlich
Elsaß-Lothringens zu bewirken hat, sowie in bezug auf die in
Elsaß-Lothringen ab 11. November 1918 erdienten
Zivil- und Militärpensionen und entsprechend die Übertragungen an
Polen in bezug auf Rücklagen der Sozialversicherung hinsichtlich
Oberschlesien. Hinsichtlich Naturalrestitutionen von Gegenständen aller Art
und Wertpapieren und der Bezahlung einer während des Waffenstillstandes
von Großbritannien vollzogenen Kohlenlieferung entschied das
Schiedsgericht zugunsten der Reparationskommission. Betreffs der
Zivil- und Militärpensionen in Oberschlesien sah es von einem Spruch
ab.
Von außerordentlicher Bedeutung war die zweite Streitfrage, ob in die
Dawesjahreszahlungen die Liquidationsentschädigungen einbegriffen seien,
die das deutsche Reich an Reichsangehörige nach dem 1. September 1924
gezahlt hat oder zahlen wird. In dieser Streitfrage hat das Schiedsgericht zugunsten
der Reparationskommission entschieden.
Ferner hat das zuständige Schiedsgericht in der Frage, unter welchen
Bedingungen der Kommissar für die verpfändeten Einnahmen seine
Zustimmung zu der beabsichtigten Senkung dieser Einnahmen zu geben hat, den
Standpunkt der Reichsregierung nicht anerkannt.
7)
Schlußbemerkung
Die vorstehende Schilderung der wichtigsten mit der bisherigen Ausführung
des Dawesplans zusammenhängenden Geschehnisse zeigt auch nicht die
geringste Ungenauigkeit und Unvollständigkeit der Ausführung durch
die deutsche Regierung und keinerlei wesentliche Reibungen in der
Durchführung des Daweswerks. Es wäre aber vollkommen verfehlt,
hieraus irgendwelche Schlüsse auf die tatsächlichen wirtschaftlichen
Wirkungen oder gar auf die künftige Durchführbarkeit zu ziehen, wie
es der Generalagent für Reparationszahlungen in seinem letzten Bericht
getan hat. Es bleibt die Tatsache unbestreitbar, daß die bisherigen
Übertragungen ohne eine augenblickliche Gefährdung unserer
Währung nur durch die uns in sehr viel höherem Umfang
gewährten ausländischen Kredite ermöglicht wurden, deren
Rückzahlung bei Fortdauer der Reparationszahlungen auch nur in der
Höhe des Normaljahres, bei Aufrechterhaltung des
Transferschutzes zu einer Transferkrise, und bei seiner
Lockerung zu einer Währungskrise führen
muß. Denn die
Aktivie- [346] rung unserer
Zahlungsbilanz aus eigener Kraft in einem Umfang, daß sie neben den
jeweils fälligen
Zins- und Tilgungszahlungen für die Auslandskredite auch noch eine
Übertragung der Reparationszahlungen auf Grund des Dawesplans
gestattete, ist auch bei günstigster Schätzung der Zukunftsaussichten
der deutschen Wirtschaft unmöglich. Und selbst beim formellen Fortbestand
des gegenwärtigen Transferschutzes wird auf seine strengste Anwendung
gedrungen werden müssen. Denn nach den bisherigen Erfahrungen ist weder
der Generalagent für seine Person noch das Transferkomitee im ganzen
darauf bedacht, den Transferschutz so wirksam wie möglich anzuwenden.
(Inwieweit die Minderung der Übertragungen im April 1929 auf eine
strengere Beachtung der Transferbestimmungen schließen läßt,
kann zur Zeit der Niederschrift dieser Zeilen noch nicht beurteilt werden.)
Schließlich wird es eine Aufgabe der Regierung wie der deutschen
Öffentlichkeit sein, den Generalagenten für Reparationszahlungen in
die Schranken seiner Befugnisse zurückzuweisen, wenn er, trotz auch von
ihm anerkannter restloser Durchführung des Daweswerks durch
Deutschland, sich wiederum in einer Weise in deutsche Verhältnisse
einmischen sollte, wie er es in dem bekannten Schriftwechsel mit dem
Reichsminister der Finanzen Köhler im vergangenen Jahre und in seinem
letzten Jahresbericht getan hat.
Aus welchen Gründen, mit welchen Zielen, auf welchen Wegen und mit
welchen Aussichten eine Umgestaltung unserer Reparationsverpflichtungen zu
erstreben sei, wird der folgende Beitrag zeigen.
Literaturverzeichnis
I. Texte und Materialien
1. Amtliche Urkunden zur Vorgeschichte des
Waffenstillstandes, Berlin, 1918.
2. Der Waffenstillstand 1918-1919. Im Auftrage der
deutschen Waffenstillstandskommission herausgegeben von E. Marhefka, 3 Bände,
Berlin 1928.
3. Der Friedensvertrag, amtlicher Text der Entente und
amtliche deutsche
Übertragung, im Auftrage des Auswärtigen Amtes, Berlin 1919.
4. Aktenstücke zur Reparationsfrage,
herausgegeben vom Auswärtigen Amt, drei Folgen, Berlin 1922/23.
5. Die Sachverständigengutachten, im Auftrage
des Auswärtigen
Amtes, amtlicher Text der Reparationskommission in englischer und
französischer Sprache und amtliche deutsche Übertragung.
6. Die Londoner Konferenz Juli/August 1924.
Amtliches deutsches
Weißbuch, Sitzungsprotokolle, Aktenstücke, Briefwechsel. Im
Auftrage des Auswärtigen Amtes, Berlin 1925.
7. Die neuen Gesetze und das Londoner Protokoll, mit
Notenwechsel,
Denkschrift und Begründungen der Reichsregierung, mit Berichten der
Organisationskomitees und den Satzungen der neuen Gesellschaften, Frankfurt a.
M. 1924.
8. Friedrich Raab, Handbuch der Londoner
Vereinbarungen, Berlin 1925.
9. "Berichte des Generalagenten für
Reparationszahlungen" (vom 30. V. 25, [347] 30. XI. 25, 15. VI. 26, 30. XI. 26, 10. VI. 27, 10.
XII. 27, 7. VI. 28, 22. XII. 28).
10. Materialien zur Reparationspolitik,
herausgegeben von Friedrich Raab:
1. "Die Bedeutung des Dawes-Plans", Rede des Generalagenten
für Reparationszahlungen, englisch und deutsch, Berlin 1926.
2. Der Schriftwechsel zwischen dem Generalagenten
für
Reparationszahlungen und der Reichsregierung, englisch und deutsch, Karlsruhe
1928.
II. Schriften vorwiegend geschichtlicher und politischer
Art
1. R. St. Baker, Woodrow Wilson, Memoiren und
Dokumente über den
Vertrag von Versailles anno 1919, autorisierte Übersetzung von Thesing, Leipzig
1922.
2. Carl Bergmann, Der Weg der Reparation von Versailles
über den Dawes-Plan zum Ziel, Frankfurt a. M. 1926.
3. Lujo Brentano, Was Deutschland gezahlt hat, auf
Grund amtlichen Materials, Berlin 1923.
4. Rufus C. Dawes, Wie der Dawes-Plan zustande kam,
Stuttgart 1926.
5. J. M. Keynes, Revision des Friedensvertrages,
Deutsche Ausgabe, 1922.
6. R. Lansing, Die Versailler Friedensverhandlungen,
Deutsche Ausgabe, Berlin 1921.
7. E. Marhefka, "Ein Waffenstillstand sui generis", in
Vierteljahrsschrift für Politik und Geschichte, 1. (7.) Jahrgang, 1929,
Heft 1.
8. H. G. Moulton an E. MacGuire, Deutschlands
Zahlungsfähigkeit,
übersetzt und ergänzt von Kuczynski, Berlin 1924.
9. H. G. Moulton, Der neue Reparationsplan,
übersetzt und ergänzt von Kuczynski, Berlin 1924.
10. Friedrich Raab, "Der Wohlstandsindex", in
Preußische Gemeindezeitung, 1928, Nr. 24.
11. Max Sering, Deutschland unter dem Dawes-Plan,
Entstehung,
Rechtsgrundlagen, wirtschaftliche Wirkungen der Reparationslasten, Berlin 1928.
12. Hugo Simon, Reparation und Wiederaufbau,
Berlin 1925.
13. Fritz Terhalle, Die Reparationskontrolle, Jena
1925.
14. Oskar Wingen, Fünf Jahre
Reparationspolitik, Berlin 1925.
15. Eugen Würzburger, Wie die
Reparationsforderungen begründet
wurden, Band IX der Probleme des
Geld- und Finanzwesens, Leipzig 1929.
III. Schriften vorwiegend theoretischer
Art
1. G. P. Auld, The Dawes-Plan and the new
economics, New York 1927.
2. Herbert v. Beckerath, Reparationsagent und deutsche
Wirtschaftspolitik, Bonn 1928.
3. Walter Eucken, "Das Übertragungsproblem", in
Jahrbücher
für Nationalökonomie und Statistik, dritte Folge, 68. Band, Jena
1925, S. 145 ff.
4. Harald Fick, Transferproblem und Transfertheorie,
Jena 1929.
5. Sven Helander, "Zur Theorie der Transferierung", in
Weltwirtschaftliches Archiv, Oktober 1924.
6. Wilhelm Lautenbach, "Reparation und Volkswirtschaft", in
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Tübingen 1925, S. 236
ff.
7. Robert Liefmann, Vom Reichtum der Nationen,
Untersuchungen über
die sogenannten Reparationsfragen und das internationale
Verschuldungs- und Währungsproblem, Karlsruhe 1925.
8. R. C. Long, The Mythology of Reparations, London
1928.
[348] 9. Walter Mahlberg, Reparationssabotage durch
die Weltwirtschaft, Leipzig 1928.
10. Albert v. Mühlenfels, Transfer, Jena
1926.
11. M. Palyi, "Der Zahlungsbilanzausgleich bei einseitigen
Wertübertragungen", in Archiv für Sozialwissenschaften und
Sozialpolitik, 56. Band, Tübingen 1926, S. 302ff.
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