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Deutschland und der Korridor

 
Danzig und Gdingen (Teil 3)
Kurt Peiser

Der Bahnhof von Gdingen
Der Bahnhof von Gdingen.

Straßenbild von Gdingen.
Straßenbild von Gdingen

Länger als drei Jahre hat der Rechtsstreit Danzig-Gdingen gedauert, ohne daß es möglich war, nach der praktischen Seite auch nur um einen Schritt von der Stelle zu kommen. Die Rechtslage an sich war so klar, daß selbst der Rat des Völkerbundes als Berufungsinstanz nicht umhin konnte, die Verpflichtung Polens, vollen Gebrauch vom Danziger Hafen zu machen, festzustellen. Offen blieb dagegen die Frage nach Inhalt und Umfang dieser Polen auferlegten Pflicht und danach, wie weit Polen sich dieser Verpflichtung zur Ausnutzung des Danziger Hafens entzogen hatte. Ein vom Völkerbund ernannter Sachverständigen-Ausschuß sollte diese Fragen in einem Gutachten klären. Nach umfangreichen Verhandlungen in Danzig und in Genf haben die fünf internationalen Mitglieder dieses Ausschusses ihr Gutachten im September 1932 erstatte. Es gipfelte in der Erklärung, daß ein schrankenloser Wettbewerb zwischen zwei so nahe gelegenen Häfen, die dem gleichen Hinterlande dienten, vernichtend wirken mußte. Deshalb erhoben die Sachverständigen die Forderung, der Begünstigungspolitik Polens gegenüber Gdingen gewisse Grenzen zu ziehen, die Hafenabgaben in Danzig und Gdingen einander anzugleichen, die Schiffahrtsgesellschaften, die Eigentum des polnischen Staates sind, von ihm kontrolliert oder durch ihn subventioniert werden, anzuhalten, ihre Schiffe im gleichen Maß und zu den gleichen Bedingungen den Hafen von Danzig anlaufen zu lassen wie den Hafen von Gdingen. Schließlich hielten die Sachverständigen es für erforderlich, daß eine Reihe von Waren, die von polnischen Staatsbetrieben ein- oder ausgeführt werden, ausschließlich über den Danziger Hafen gehen sollen, wie auch der Auswandererverkehr aus Polen seinen Weg über den Danziger Hafen nehmen soll.

Wenn auch dieses Sachverständigen-Gutachten bei weitem nicht dem entsprach, was die Danziger Regierung und mit ihr die Danziger Wirtschaft erwarten zu können geglaubt hatte, so bedeutete es insofern doch einen Fortschritt, als erstmalig durch Beauftragte des Völkerbundes praktische Vorschläge zur Lösung eines Problems gemacht worden waren, das für Danzig zur Lebensfrage geworden war. Dieses dem Hohen Kommissar des Völkerbundes erstattete Gutachten kommt nach Danzig, da ringt der Hohe Kommissar, Graf Gravina, mit dem Tode, um wenige Tage später seine Augen für immer zu schließen.

[274] Ein Vakuum tritt ein. Polen stellt neue Millionen für den Ausbau [Gdingens] zur Verfügung, immer stärker wird die Bedrohung Danzigs durch den polnischen Staatshafen, den die polnische Presse in jenen Jahren leidenschaftlichen Ringens das "Schwert von Gdingen" nennt. Verhandlungen, die als Nachfolger des Grafens Gravina der Däne Rosting zwischen Danzig und Polen in der Hafenfrage anzubahnen versucht, scheitern. Erst die Machtübernahme durch die NSDAP. in Danzig schafft eine neue Lage. Die nationalsozialistische Regierung der Freien Stadt Danzig unternimmt den Versuch, an die Stelle der endlosen und nur zu oft ergebnislosen Verfahren vor allen möglichen Instanzen des Volkerbundes die direkte Verständigung mit dem Nachbarstaate Polen treten zu lassen. Das erste Problem, das auf dieser Grundlage zur Erörterung gestellt wird, ist die Ausnutzung des Danziger Hafens durch Polen. Soll der Ruin des Danziger Hafens vermieden werden, muß der Wettbewerb zwischen Gdingen und Danzig normalisiert werden. Am 5. August 1933 bereits wird das erste Danzig-polnische Hafen-Übereinkommen unterzeichnet. Die Danziger Regierung erklärt sich bereit, für die Dauer dieses Übereinkommens das vor dem Völkerbund schwebende Verfahren in der Frage der Ausnutzung des Danziger Hafens einzustellen. Demgegenüber übernimmt die polnische Regierung die Verpflichtung, unverzüglich alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Rückgang des über den Danziger Hafen gehenden Verkehrs zu verhindern. "Die polnische Regierung wird in Zukunft dem Hafen von Danzig, soweit dies in ihrer Macht liegt, eine gleiche Beteiligung an dem seewärtigen Warenverkehr (Einfuhr, Ausfuhr und Durchfuhr) unter Berücksichtigung der Quantität und der Qualität der Ware sichern."

Dieses Übereinkommen ist der Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen zwischen der Danziger und der polnischen Regierung, die mit der Unterzeichnung eines Protokolls in Warschau am 18. September 1933 beendet wurden. Eine Reihe von Einzelbestimmungen dieses Warschauer Protokolls beziehen sich auf die Herstellung gesünderer Wettbewerbsbedingungen zwischen den beiden Nachbarhäfen, darüber hinaus ist dem Protokoll als Anlage eine Liste beigegeben worden, die 44 einzeln aufgezählte Warenarten enthält, von denen die polnische Regierung jährliche Mindestmengen über den Danziger Hafen zu schicken sich verpflichtet hat. Für den Danziger Hafen ist diese Warenliste besonders wichtig, weil sie zur Aufrechterhaltung der Struktur des Danziger seewärtigen Warenverkehrs neben einigen Massengütern eine Reihe von wertvollen Stückgutwaren aufweist, Waren, die nicht nur den Hafen sondern auch den Handel Danzigs interessieren.

Gegen Ende 1933 sind diese Vereinbarungen in Kraft getreten. Zweimal sind sie um je ein Jahr verlängert worden, um schließlich nach langwierigen Verhandlungen, die auf Wunsch der Danziger Regierung aufgenommen worden waren, durch eine am 5. Januar 1937 unterzeichnete Vereinbarung ergänzt zu werden. Auch dieses bis zum 31. Dezember 1939 gültige "Interpretationsabkommen" läßt den Wunsch Danzigs nach Ausschaltung aller Maßnahmen der polnischen Regierung erkennen, die zu einer Benachteiligung des Danziger Hafens gegenüber Gdingen führen können.

Im Zeichen der Danzig-polnischen Hafenverständigung hat der seewärtige Warenverkehr über Danzig im Vergleich zu demjenigen des Hafens von Gdingen in dem Jahrfünft von 1934 bis 1938 eine Entwicklung genommen, wie sie aus nachstehender Zusammenstellung hervorgeht: Es betrug in Tonnen:
[275]

die Einfuhr über die Ausfuhr über der Gesamtumschlag über
Danzig   Gdingen   Danzig   Gdingen   Danzig   Gdingen  
1934 655 763 991 544   5 713 181   6 200 369 6 368 944 7 191 913
1935 778 532 1 111 844 4 324 246 6 362 599 5 102 778 7 474 443
1936 953 154 1 335 456 4 675 002 6 407 490 5 628 156 7 742 946
1937   1 515 822 1 718 004 5 684 849 7 288 172 7 200 671 9 006 177
1938 1 547 866   1 526 536   5 583 886 7 646 902 7 131 752 9 173 438

Aus obiger Übersicht geht hervor, daß mengenmäßig der Gesamtumschlag im Hafen von Gdingen seit dem Jahre 1934 ununterbrochen erheblich größer gewesen ist als derjenige im Hafen von Danzig, daß er im Jahre 1938 den seewärtigen Warenverkehr über Danzig um nicht weniger als 2.041.686 Tonnen, das heißt um 28,6 v.H. übertroffen hat.

Was nicht weniger bedeutsam ist, ist die Feststellung, daß die Struktur des seewärtigen Warenverkehrs über Danzig gerade auch im Laufe der letzten Jahre namentlich in der Einfuhr eine weitere, außerordentlich bedrohliche Verschlechterung erfahren hat. Trotz der Warenliste vom 18. September 1933 ist Danzig immer weiter aus dem Umschlag zahlreicher Einfuhrgüter, an denen nicht nur Danzigs Spedition sondern auch Danzigs Handel stärkstens interessiert ist, ausgeschaltet worden, wie dies aus folgender Gegenüberstellung ersichtlich ist:

Einfuhr Für Danzig am 18. Sep-
tember 1933 festgelegte
Mindestumschlagsmenge
Tatsächliche Umschlags-
menge in Tonnen 1938
über
in Tonnen Danzig Gdingen
Kaffee 4 000              1 784      4 991     
Tee 750              587      6 039     
Häute u. Leder 3 000              129      37 640     
Pflanzliche Öle u. Fette 11 000              1 302      5 208     
Gerbstoffe 14 600               8 569      15 128     
Kupfer 700              479      28 041     
Woll- u. Baumwollgarne 5 400              82      2 122     
Nüsse u. Mandeln 500              201      1 888     
Thomasschlacke 10 000              4 625      66 150     
Früchte 2 000              494      56 176     
Reis 5 000              4 153      45 257     

Es bedarf keines besonderen Hinweises darauf, daß die gesteigerte Einfuhr eines geringwertigen Massengutes, wie es die Erze und Schwefelkies darstellen, die mit 1,07 Millionen Tonnen nicht weniger als 70 v.H. der Gesamteinfuhr über den Danziger Hafen im Jahre 1938 darstellten, keinerlei vollwertigen Ersatz für die Ablenkung wertvoller Speditions- und Handelsgüter zu bedeuten vermag.

Angesichts dieser Entwicklung kann es nicht überraschen, daß auch der Anteil des Danziger Hafens am Werte des polnischen Außenhandels eine starke Herabsetzung gegenüber Gdingen erfahren hat. Am Wert des polnischen Außenhandels waren im Jahre 1938 beteiligt:

    der Danziger Hafen     der Gdingener Hafen
in der Einfuhr mit   7,5 v.H. 53,7 v.H.
in der Ausfuhr mit 23,5 v.H. 40,9 v.H.
insgesamt 15,1 v.H. 47,3 v.H.

[276] Daraus, daß im Jahre 1938 der Anteil der Stückgüter am Einfuhrverkehr über Danzig nur noch 21,2 v.H., über Gdingen jedoch 47,7 v.H. betrug, erklärt es sich, daß sich der Durchschnittswert der im Danziger Hafen umgeschlagenen Waren pro Tonne auf 62,8 Zl., im Hafen von Gdingen dagegen auf 135,8 Zl. belief.

Blick auf den Hafen von Gdingen 1929
Blick auf den Hafen von Gdingen 1929.

Im Gdingener Hafen.
Im Gdingener Hafen

Zieht man das Fazit aus diesen nüchternen Feststellungen, so gelangt man zu dem Ergebnis, daß die "gleiche Beteiligung" des Danziger Hafens am polnischen seewärtigen Warenverkehr weder quantitäts- noch qualitätsmäßig vorliegt. Der als Kriterium für die Einhaltung der "gleichen Beteiligung unter Berücksichtigung von Quantität und Qualität der Ware" im "Interpretationsabkommen" vom 5. Januar 1937 vorgesehene "Umschlagswert" ist in Gdingen von Jahr zu Jahr größer geworden als derjenige Danzigs: die polnische Regierung hat damit auch die auf der Grundlage der Danzig-polnischen Verständigung stark reduzierte Verpflichtung dem Danziger Hafen gegenüber nicht erfüllt!

So ernst die sich aus dieser Entwicklung zwangsläufig für die Danziger Wirtschaft ergebenden Sorgen sind, sie haben eine Steigerung dadurch erfahren, daß das polnische Element im Betriebe der Danziger Hafenwirtschaft eine von Jahr zu Jahr wachsende Ausdehnung aufzuweisen hat. Während die polnische Presse immer wieder in bewegten Tönen über Hindernisse und Erschwerungen klagt, die angeblich der polnischen Wirtschaft in Danzig bereitet werden und die polnischen Wirtschaftskreise an einer stärkeren Ausnutzung des Danziger Hafens hindern, hat der "Rat der polnischen Hafeninteressenten in Danzig" in seinem Geschäftsbericht für das Jahr 1938 Angaben veröffentlicht, die eine erhebliche Weitung des Beschäftigungsgrades polnischer Firmen erkennen lassen und ein Schlaglicht auf die der deutsch-Danziger Hafenwirtschaft hierdurch drohenden Gefahren werfen. So ist im Jahre 1938 von der in den Danziger Hafen eingelaufenen Tonnage bereits mehr als die Hälfte durch polnische Schiffsmakler abgefertigt worden. An der Spedition über Danzig waren im gleichen Jahre polnische Firmen mit nicht weniger als 42,6 v.H. beteiligt. Der Atemraum der deutschen Hafenwirtschaft Danzigs wird damit immer kleiner.



Seit jenem 16. Juni 1919, an dem die alliierten und assoziierten Mächte einem vom Deutschen Reich losgelösten und in enge wirtschaftliche Beziehungen zu Polen gesetzten Danzig eine neue "große Handelsblüte" in Aussicht stellten, sind zwei Jahrzehnte vergangen, die Handelsblüte Danzigs ist ausgeblieben. Zwanzig Jahre hindurch hat die Danziger Wirtschaft um ihre Existenz ringen müssen. Die Weichsel, Polens "Hauptwasserweg", ist immer stärker versandet und daher in ihrer Bedeutung als Binnenwasserstraße immer weiter gesunken. Der Danziger Hafen, "Polens einziger freier und sicherer Zugang zum Meere", ist aus dem ihm durch das Diktat von Versailles übertragenen Aufgabenkreis von Jahr zu Jahr stärker durch den Hafen verdrängt worden, den der polnische Staat vor den Toren Danzigs unter Einsatz der ihm zur Verfügung stehenden wirtschafts- und finanzpolitischen Machtmittel errichtete, um ihm - unbeschadet aller Verpflichtungen dem Danziger Hafen gegenüber - den ersten Platz im polnischen seewärtigen Warenverkehr einzuräumen, ihn zu dem Exponenten der polnischen Seeküstenpolitik zu machen.

Die von den alliierten und assoziierten Mächten vor zwanzig Jahren für die Loslösung Danzigs vom Deutschen Reich genannten Gründe sind gegenstandslos geworden. Das Problem, dem man in Versailles, befangen von politischen Irrtümern und wirtschaftlichen Trugschlüssen, den Namen "Freie Stadt Danzig" gab, ist reif für eine Lösung, die Danzig als Hafen- und Wirtschaftsplatz die Möglichkeit zur Erfüllung einer Mission gibt, die so alt ist wie das Deutschtum dieser Stadt an der Mündung des Weichselstromes.


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