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Minenkrieg

Die Minen in der Lagazuoiwand

Beide Stellungen auf dem Felsband des Kleinen Lagazuoi, 2778 m (Abb. 75 und 76), sowohl die österreichische als auch die italienische, waren von größter Bedeutung für den ganzen Frontabschnitt am Falzaregopaß. In andauernder, nie erlahmender Tätigkeit versuchten die österreichischen Truppen, die italienische Stellung zu vernichten und die Besatzung vom Felsband zu verjagen. Überaus zäh klammerten sich die Italiener an diesem Punkt ihrer Stellung fest, trotzdem sie im Laufe der Zeit sehr große Verluste erlitten hatten.

Schon in den Oktoberkämpfen des Jahres 1915 machte sich der Italiener aus dieser Stellung unangenehm fühlbar. Eine italienische Patrouille nistete sich nach schwierigem Aufstieg hinter Felsblöcken auf dem Felsband ein und wirkte mit flankierendem Gewehrfeuer äußerst unangenehm und verlustbringend gegen die österreichischen Stellungen vor dem Valparolajoch. Das feindliche Felsband in der Hand der Italiener kostete den Österreichern mehr Opfer als die Abwehr sämtlicher italienischen Massenstürme.

Gegen Ende des Jahres 1915 und im Winter 1916 unternahmen die Österreicher zahlreiche Patrouillengänge und Überfälle auf das italienische Felsband. Zwar wurden dem Feinde durch abgeseilte Bergführer, die Handgranaten warfen und Rollbomben abließen, durch mächtiges Artillerie-, Minenwerfer- und Infanteriefeuer sehr schwere Verluste beigebracht, doch gelang es nie, das Felsband vollkommen zu säubern.

Infanteriegeschütz in Felsenstellung.
[zwischen S. 96 u. 97]      Abb. 59: Infanteriegeschütz in Felsenstellung.

Um Schutz vor den zahlreichen Angriffen zu finden, betrieben die italienischen Truppen mit größter Tatkraft den Ausbau ihrer Felsbandstellung. Sie bohrten zahlreiche Kavernen in den Fels, in welchen sie vor einem konzentrischen Artilleriefeuer sicher waren und verstärkten die Besatzung mit dem Fortschreiten des Ausbaues auf eine ganze Alpinikompagnie. Vor der Sprengung war das italienische Felsband ein vorzüglich ausgebautes Stellungssystem im Fels, in welchem zwei deutlich sichtbare Anlagen unterschieden werden konnten. Der österreichischen Stellung zunächst gelegen und für sie am gefährlichsten waren die Kavernenbauten in der Lagazuoiwand selbst und daran anschließend im sogenannten "Strebestein". Diese kleine Felsburg war ein auf dem Felsbande sich frei erhebender Felszacken von etwa 30 m Höhe und 18 m Breite. Er barg Gallerien und Kavernen in mehreren Stockwerken übereinander und war mit einem Gebirgsgeschütz und einem Maschinengewehr armiert. Die zweite Linie bildete der sogenannte "Täto- [121] wierte Stein", ebenfalls ein freistehender Zacken von 20 m Höhe. Auch dieser war kaverniert. Eine dritte Linie war in der Lagazuoivorkuppe selbst sichtbar. Der Gegner hatte sich an der Wand im Laufe der Monate in beträchtliche Höhe emporgearbeitet und stand kaum mehr als 30 m unter den eigenen Kampfanlagen auf der Vorkuppe.

Als im Sommer 1916 die Gefahr einer Ausbreitung des Gegners in der Lagazuoiwand noch drohender wurde, und mit dem weiteren Vordringen sein Ende und seine Waffenwirkung in den Rücken der österreichischen Stellungen wuchs, entschloß man sich auf der österreichischen Seite zur Aufnahme des Minenkampfes.

Die kleine Mine. Im Juli 1916 wurde der erste Stollen begonnen. Gegenmaßnahmen der Italiener, die mit ihren besseren Mitteln einen bedeutend rascheren Fortgang ihrer Arbeiten erzielten, zwangen jedoch vorerst zu abwartendem Verhalten. Der Gegner rückte in der Felswand zwischen der eigenen und der österreichischen Stellung mit zwei Stollen vor. Es blieb nichts anderes übrig, als ihm den Weg durch einen genügend weit von der eigenen Stellung gelegten Querstollen mit zwei Minenkammern zu verlegen. Als die Italiener mit ihren Bohrarbeiten schon sehr nahe an die eigene Anlage gekommen waren, erfolgte am 14. Januar 1917 die erste Sprengung. Der Erfolg war sehr zufriedenstellend. Die Sprengung zerstörte die feindlichen Angriffsstollen vollkommen und riß gleichzeitig eine bereits geladene, italienische Minenkammer mit sich. Die Gefahr eines nochmaligen Minenangriffes durch die Italiener war auf lange Zeit hinaus gebannt.

Die große Mine. Sobald sich die Bewegung der abgesprengten Gesteinsmassen etwas gelegt hatte, wurde mit der Weiterführung des angebohrten Angriffsstollens begonnen. Die erste Sprengung hatte die italienischen Feldwachen zurückgedrängt und versetzte die Verteidiger in die vorteilhafte Lage, den Minenkampf nunmehr weiter in das Vorfeld der eigenen Stellungen zu tragen.

Die Höhe des Minenstollens, der vorgestoßen wurde, betrug 1,80 m, die Breite 80 cm. Diese Breite erwies sich als Mindestmaß, um den Förderdienst ohne Störung aufrecht erhalten zu können. Das ausgebrochene Gesteinsmaterial wurde in Säcken aus dem Stollen zutage gefördert und außerhalb der Sicht des Feindes als Verdämmungsmaterial bereitgestellt. Bis zu 40 Mann waren notwendig, um mühsam das Gestein aus dem Stollen herauszubringen. Eine Hauptbedingung für das gute und rasche Fortschreiten der Minierarbeit war die Zufuhr frischer Luft, ohne welche jede Tätigkeit im Stollen unmöglich wurde. Sie wurde durch den Ventilator einer elektropneumatischen Bohranlage erneuert, die sehr gut funktionierte. Trotzdem gingen nach jeder Sprengung bis zum vollständigen Abziehen der durch die Sprenggase vergifteten Luft 2–3 Stunden für die Arbeit verloren. Der Stollen war in dieser Zeit ohne Sauerstoffatmungsapparat [122] unpassierbar. Auch später blieb noch lange viel feiner Kalkstaub in der Luft zurück, der Atmungsbeschwerden und Herzbeklemmungen verursachte. Die vorgesehene Länge des Stollens vom Anbruch bis zum Verdämmungswinkel betrug 85 m, von dort bis zur Minenkammer 8 m. Der Fassungsraum der Minenkammer war mit 58 cbm vorgesehen. Bis Anfang März wurden die Bohrarbeiten mit Handbetrieb durchgeführt und hiebei ein Vortrieb von 33 m erzielt. Von Anfang März bis zur Sprengung am 22. Mai stand eine einhämmrige, elektropneumatische Bohrmaschine in Verwendung. Die bei diesen Bohrarbeiten gemachten Erfahrungen ergaben, daß mit einer einhämmrigen Maschine eine tägliche Durchschnittsleistung von 1 m, bei einer zweihämmrigen eine Leistung von 1,75 m, und bei Handbetrieb durch Mineure ein Vortrieb von nur 30 cm im Tag erreicht werden konnte. Trotz dem geringen Fortschritt beim Handbetrieb mußte derselbe doch als der verläßlichste bezeichnet werden, da nur allzuoft Defekte bei den Bohrmaschinen auftraten, die oft nicht sofort zu beheben waren und großen Zeitverlust brachten. Am 20. Mai um 9 Uhr abends waren sämtliche Arbeiten am Minenstollen und an der Minenkammer beendet.

Für die Sprengung waren 24 000 kg Explosivstoff zugewiesen, deren Transport in die eigene Felsbandstellung wegen der denkbar ungünstigen Verhältnisse eine hochtouristische Leistung war. Das eingetretene Tauwetter hatte den Abgang zahlreicher Grundlawinen verursacht. Die auf das Feldband führende Seilbahn war durch Lawinen und durch das gegnerische Artilleriefeuer gänzlich zerstört. So mußte jede einzelne Sprengstoffkiste durch Träger an ihren Bestimmungsort gebracht werden. Bei Nacht beleuchtete der italienische Scheinwerfer vom Monte Averau den Aufstieg, der bei der geringsten vom Gegner bemerkten Bewegung unter starkes Artilleriefeuer genommen wurde.

Dank der Aufopferung und der Energie der Bergführer und der alpinen Abteilung des Kaiserjäger-Bataillons, das in Stellung lag, gelang es in sechs Tagen, den Munitionstransport von 1003 Kisten zu bewältigen. Außer einem Beinbruch kamen bei den Trägern keine Verletzungen vor. Die für die Ladung bestimmten Sprengstoffe waren: Chlorat, Dynamon G, Dynamon M, Ekrasit und Initialbüchsen. Die Schichtung in der Minenkammer wurde so vorgenommen, daß die Kisten mit den stärkeren Sprengmitteln feindwärts zu liegen kamen. Das Ekrasit wurde in Form eines liegenden Kreuzes auf halber Höhe der Ladung verteilt und die Initialbüchsen in der Mitte dieses Kreuzes angebracht.

Als Zündmittel waren zwei Leitungen mit elektrischer Zündung und zwei mit Knallzündschnur vorbereitet, welche in Wasserleitungsröhren geführt wurden, um sie gegen Beschädigungen zu schützen.

Als Verdämmungmaterial wurden die mit Schotter gefüllten, vorbereiteten Säcke verwendet. Die Verdämmungslänge betrug 37 m und das dazu notwendige Material etwa 7 Eisenbahnwaggons Schotter.

Das Laden und Verdammen wurde in 36 Stunden durchgeführt. Um beides in dieser [123] kurzen Zeit bewältigen zu können, wurden 50 der stärksten Leute des Betaillons nur für diesen Zweck auf das Felsband kommandiert.

Als Zeitpunkt für die Sprengung wurde die zehnte Abendstunde des 22. Mai bestimmt. Denn es war festgestellt worden, daß um diese Stunde die italienischen Verpflegs- und Munitionstransporte im Aufstieg auf das Felsband waren.

Da die Sprengung in ihrer Wirkung auch in der eigenen Stellung fühlbar sein konnte, und mit einem Steinregen und einem Emporschleudern von Felstrümmern zu rechnen war, mußten besondere Vorsorgen für die Besatzungen aller eigenen Stellungen des Kampfabschnittes getroffen werden.

Um der Möglichkeit zu begegnen, daß der Zeitpunkt der Sprengung aus eigenen Telefongesprächen durch den Feind abgehorcht würde, gab man den Zeitpunkt der Sprengung durch eine kurze, verschleierte, telefonische Depesche an sämtliche Stellungen und Batterien bekannt. Die Depesche lautete: "Hauptmann Eymuth trifft heute um 10 Abend beim Kampfabschnittskommando Travenanzes ein."

Das Programm klappte in jeder Beziehung und voller Erfolg, der die Erwartungen weit übertraf, war der Lohn für die monatelange, aufreibende und schwierige Arbeit.

Zur anbefohlenen Stunde am 22. Mai 1917 erfolgte die Sprengung.

Der von Minen zerrissene Kleine Lagazuoi.
[zwischen S. 120 u. 121]      [Vergrößern: Abbildung ist beschriftet!]
Abb. 76: Der von Minen zerrissene Kleine Lagazuoi, 2778 m, vom Falzaregopaß gesehen. Vorne ein italienisches Kriegerdenkmal. Die große Klammer bezeichnet die Stelle, wo österreichische Minen am 14. Jänner und 22. Mai 1917 zur Explosion gebracht wurden. Jene im Mai war mit 23 000 kg Sprengstoff geladen. Die Höhe des abgesprengten Bergteiles betrug 200 m, die Breite 136 m, die Masse des abgesprengten Gesteines 130 000 m3. Vgl. Abb. 75. Die kleine Klammer bezeichnet die Absprengung durch eine italienische Mine am 20. Juni 1917. Die italienische Mine besaß einen Sprengstollen von 1100 m Länge und war mit 33 000 kg Sprengstoff geladen.

Die ganze Stellungsanlage des Gegners in der Lagazuoiwand wurde vollkommen zerstört. Der "Strebestein" mit seinen sämtlichen Befestigungen bis zum "Tätowierten Stein" und auch ein Teil dieses wurde in die Tiefe gerissen. Alle Sandsackstellungen, darunter eine besonders starke hinter dem "Tätowierten Stein", ferner eine mächtige Betonmauer waren wie weggeblasen. Alle Baracken zwischen der Lagazuoiwand und dem "Tätowierten Stein" waren verschwunden. Die mit Holz gedeckten und ausgekleideten Laufgräben im Fels brannten aus.

Die Höhe des abgesprengten Bergteiles betrug 200 m, die Breite 136 m. Die abgesprengten Felsmassen wurden auf 130 000 cbm geschätzt.

Die mühevolle und verlustreiche Arbeit von 1½ Jahren der Italiener in den Felsen des Lagazuoibandes war in wenigen Sekunden vernichtet worden. Der Großteil der italienischen Besatzung fand hiebei den Tod.

Noch Wochen nach der Sprengung stürzten zeitweilig gewaltige Steinmassen ab und brachten Stellungsmaterial und Leichenteile zu Tal.

Der Minenkampf auf dem Lagazuoiband wurde von beiden Seiten auch weiterhin fortgesetzt. Bald darauf, am 20. Juni 1917, sprengten die Italiener die österreichischen Stellungen auf der Lagazuoi-Vorkuppe, 2668 m, in die Luft. Von der italienischen Felsbandstellung aus hatten sie in fünfmonatiger Arbeit einen steilen Stollen von 1110 m Länge durch die Felswände des Lagazuoi bis unter die Spitze der Vorkuppe getrieben. Die Mine war mit 33 000 kg hochexplosivem Sprengstoff geladen.

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Die Sprengung des Cimone d' Arsiero

Der Gipfel des Cimone d' Arsiero, der sich einer Bastion gleich zwischen Posina- und Asticotal auf den Sieben Gemeinden einschiebt, war am 23. Juli 1916 von seiner kleinen Besatzung, einer Feldwache des Salzburger 59. Infanterieregiments, vor dem übermächtigen, feindlichen Geschützfeuer befehlsgemäß geräumt worden. Die Italiener hatten den Gipfel kampflos besetzt. Damit mußten sie sich allerdings begnügen, denn eine von den Österreichern rasch errichtete Sandsackstellung, welche quer über den schmalen Grat nördlich des Gipfels gelegt wurde, setzte ihrem weiteren Vordringen ein Ende. Diese schmale Brücke von der österreichischen Stellung zum Cimonekopf mußte natürlich ein ebenso schwieriges Hindernis für einen Gegenangriff bilden. Die Angriffsabsicht beschäftigte die österreichische Führung stets und ernstlich. Man hatte nie daran gedacht, dem Feinde die Früchte seines Erfolges unbestritten zu überlassen.

Schon am 4. August hatte eine kleine Abteilung der Neunundfünfziger in kühnem Handstreich den Cimonegipfel genommen, ihn aber unter dem überaus heftig einsetzenden, feindlichen Artillerie-, Maschinengewehr- und Minenwerferfeuer räumen müssen. Das Blut der Braven war zu kostbar, um es auf diesem verlorenen Posten zu opfern. Man entschloß sich deshalb, den Gipfel des Cimone zu sprengen.

Dieser Entschluß löste umfangreiche und schwierige technische Vorarbeiten und Studien aus, mit denen der ganze Monat August ausgefüllt wurde.

Die Leitung der technischen Arbeiten war in guten Händen: Sie war dem von der Einnahme des italienischen Panzerwerkes Casa Ratti rühmlichst bekannten Sappeur, Oberleutnant Mlaker, anvertraut worden.

Die nach der Aufgabe des Gipfels von den österreichischen Truppen bezogene, vorderste Stellung war vom Cimonegipfel durch einen kaum 3–4 Meter breiten Grat mit beiderseitigem Steilabfall getrennt. In geringer Entfernung vor den Feldwachen und von der italienischen Gipfelstellung überhöht, lag eine Kaverne isoliert zwischen beiden Fronten. Sie sollte den Ausgangspunkt für den unterirdischen Angriff bilden. Ein Verkehr dorthin bei Tag war ausgeschlossen, bei Nacht infolge der großen Wachsamkeit des Gegners äußerst gefährlich. So mußte denn zunächst schrittweise unter dem Schutze der Nacht aus Sandsäcken ein gegen Infanteriefeuer schützender, eingedeckter Verbindungsgraben vorgetrieben werden, eine zeitraubende, mühevolle Arbeit, die zudem der Gegner wiederholt durch nächtliche Feuerüberfälle zu stören versuchte. In 10 Tagen war der gesicherte Verbindungsgang zur Kaverne fertig. Auf 18 Meter, fast Aug in Auge, hatten sich die wackeren Sappeure an den Feind herangearbeitet, dessen Alpinis noch einmal ohne Erfolg einen Überfall versucht hatten.

Noch schwieriger gestalteten sich die eigentlichen Minenarbeiten. Sorgfältige Messungen legten die erwünschte Richtung der Stollen und die zweckmäßigste Lage der Minenkammern fest. Am 26. August konnte mit dem Bohren des Minenstollens begon- [125] nen werden, zunächst freilich nur mühsam mit Handbetrieb, denn das Hinausschaffen der schweren Bohrmaschinen in zerlegtem Zustande aus dem Tal, deren Zusammensetzung und Installierung in der Kaverne nahm einige Tage in Anspruch. Die ganze Maschinenanlage mußte mit Rücksicht auf die ungünstigen Wegverhältnisse vollkommen zerlegt, die einzelnen Teile von der Mannschaft bis zum Aufstellungsplatz, der etwa 200 Meter von der Kaverne entfernt war, getragen werden. Da auch dieser Weg zum Teil in feindlicher Sicht und im Gewehrfeuerbereich der italienischen Posten war, mußte der Transport, um Verluste zu vermeiden, mit größter Vorsicht durchgeführt werden.

So zeitraubend und ermüdend dieses Verfahren war, mörderisch für Muskeln und Nerven, es wäre trotzdem einfach gewesen, wenn der Gegner müßig geblieben wäre. Doch der Feind arbeitete entgegen. Er minierte ebenfalls aus seiner Linie heraus, noch schiefer, noch tiefer auf den Angreifer zu. Er lauschte in seinem Stollen dem Wühlen des Gegners und richtete danach die Achsen seiner Brunnen. Lud der eine die Sprengkammern, dann würde der andere keinen Augenblick zögern: Er würde selbst laden und sprengen. Darum die furchtbaren Stunden des nahen Entgegenarbeitens, die noch unheimlichere Spannung vor dem Laden, Stunden, die nie enden wollten. Wer zündet zuerst? Raschheit ist alles!

Am 31. August meldete Oberleutnant Mlaker das erstemal über gehörte feindliche Minenarbeiten. Seine und seiner Leute Arbeitskraft und Wille zum Enderfolg erfuhren dadurch nur eine Steigerung.

Am 1. September wurde ein feindlicher Angriffsstollen festgestellt, dessen Richtung auf einen Vorstoß gegen unsere Kavernen schließen ließ. Er wurde durch einen schleunigst vorgetriebenen Gegenstollen unschädlich gemacht. In fieberhafter Eile nahm die Arbeit am Hauptstollen ihren Fortgang, trotz fortgesetzter Handgranatenangriffe des Gegners. Am 6. September war der Hauptangriffsstollen genau unterhalb der italienischen Stellung, eine von niemanden, selbst nicht von Oberleutnant Mlaker vermutete Arbeitsleistung war vollbracht worden. Unhörbar, aber unerbittlich näherte sich das Verhängnis dem Feinde.

Die taktischen Grundlagen für die eigentliche Kampfhandlung konnten nunmehr festgelegt werden. Die Infanterie trat in den Vordergrund. Sie sollte nach der Sprengung die feindliche Stellung beiderseits des Cimonegipfels und diesen selbst in Besitz nehmen. Dem ersten Bataillon der Neunundfünfziger unter seinem Kommandanten Major Schad war die Lösung des infanteristischen Teiles der Aktion übertragen worden. Während zwei Kompagnien dieses Bataillons als Rückhalt in und hinter der Hauptstellung bereitgestellt bleiben sollten, hatte die erste Kompagnie unter Oberleutnant Huber mit einigen Sappeurpatrouillen, ihrerseits wieder in drei Staffeln gegliedert, die eigentliche Angriffskolonne zu bilden.

Nur mit Munition, Verpflegung und dem nötigsten Werkzeug versehen, hatte die Staffel zunächst auf dem schmalen Rücken gemeinsam vorzugehen, die feindliche Linie von beiden Flügeln aus zu umfassen, aufzurollen und das Zerstörungswerk zu vollenden.

[126] Mehr als ein Dutzend Batterien leichten und schweren Kalibers waren zur Niederhaltung des erwarteten feindlichen Artilleriefeuers bestimmt. Unauffällig hatte schon lange vorher das Einschießen begonnen, am Tage der Aktion selbst sollte sich dann das Sperrfeuer um den todgeweihten Raum legen, den Cimonegipfel und dessen Besatzung von jeglicher Hilfe isolieren.

Indessen nahmen die technischen Arbeiten ungehinderten, flotten Fortgang. Noch mußte die Sprengmunition herangebracht und eingelagert, noch mußte verläßlich festgestellt werden, ob der Sprengstollen auch genau unter der italienischen Stellung angelangt sei. Die Festsetzung des Zeitpunktes für die Sprengung war nur mehr von diesen Umständen abhängig.

Unter den schwierigsten Verhältnissen wurde die Munition mit einer Raschheit herangebracht und eingelagert, die auch die höchsten Erwartungen weit übertraf. Raschheit war alles! Ihr war es vor allem zu danken, daß die Sprengung am 23. September nicht allein gerade in dem für den Feind ungünstigsten Zeitpunkt erfolgen konnte, nämlich gelegentlich der Ablösung, da die neue feindliche Besatzung kaum in ihre Stellung gelangt, unorientiert, unvertraut dem moralischen Eindruck ungleich rascher erlag, sondern daß auch die kostbare Sprengmunition vor einer längeren Lagerung in den durch die regnerische Witterung feucht gewordenen Kammern bewahrt wurde.

Aus diesem Grunde und weil man italienische Gegenminen fürchtete, drängten sowohl Oberleutnant Mlaker als auch Major Schad auf baldigsten Beginn der Aktion.

Am 11. September wurde tatsächlich wieder entferntes Minieren vernommen, am 12. September der Vortrieb eines Stollens aus dem näherkommenden Klopfen festgestellt. Rasch wurde sicherheitshalber ein Gegenstollen vorgetrieben, um im Falle der Annäherung dem Gegner entgegenzutreten. Aber der kam nur sehr langsam, sehr vorsichtig entgegen, er kam zu spät. Er hatte sich keine Klarheit über die Absichten der Gegenseite verschaffen können und infolge der Täuschungsmaßnahmen das Laden der Kammern nicht bemerkt. So wurde ihm der 23. September zum Verhängnis.

Am 20. September früh wurde unter Anwendung jeden Täuschungsmittels mit dem Laden der Kammern begonnen und dies am 22. um 6 Uhr abends beendet. Darauf wurde die Meldung gegeben, daß die Sprengung am 23. erfolgen könne.

Sie wurde für diesen Tag anbefohlen, der Feind war reif für sein Schicksal!

Im Dunkel der frühen Morgenstunden des 23. September befanden sich Abteilungen des italienischen Infanterieregiments 153 und das Alpinibataillon Val Leogra im Abstieg vom Cimonegipfel ins Tal. Wenige Stunden zuvor, unter dem Schutze der Nacht, waren sie vom ersten Bataillon des Infanterieregiments 219, das eben aus Schio gekommen war, abgelöst worden. Müde und abgespannt zogen die Abgelösten den Ruhequartieren entgegen. Plötzlich durchbrachen zwei rasch aufeinanderfolgende Donnerschläge von furchtbarer Gewalt die Stille des Morgens. Die Kolonne stockte und horchte entsetzt auf. Ächzend und widerwillig hob und dehnte sich oben der Berg in seinen Fugen, ein [127] kurzer Moment noch und schon durchschnitten zentnerschwere Felsblöcke in rasendem Flug die Luft, schon wurde das Jammergeschrei vom Cimonegipfel hörbar, der völlig verschwunden war und unter seinen Trümmern das italienische Bataillon begraben hatte.

Planmäßig, unerbittlich genau, hatte das Zerstörungswerk eingesetzt. Um 5 Uhr 45 Min. früh hatte Oberleutnant Mlaker durch einen Druck auf den Knopf des Glühzündapparates die Sprengladung entzündet – die Spitze des Cimone war nicht mehr. Ein ungeheurer, 22 Meter tiefer Sprengtrichter klaffte wie eine schwere Wunde dort, wo vordem der Gipfel weithin sichtbar aufgeragt hatte. Ringsum ein wüstes Trümmerfeld.

Nun war die Reihe an der Infanterie. Kaum war der Donner der Explosion verhallt, brachen die Sturmpatrouillen aus den schützenden Kavernen hervor, wo sie auf der Lauer gelegen hatten. Einzeln abgefallen stürmten sie den schmalen Grat entlang dem Sprengtrichter zu, den es rasch zu besetzen galt. Unerwartete Hindernisse stellten sich den Stürmenden entgegen. Noch war die Dunkelheit der Nacht nicht gewichen. Unsicher tasteten auch die gut Orientierten vorwärts, es fehlte die Bergspitze als gewohnter Richtungspunkt. Ihre Trümmer hatten den Zugang zum Trichter fast ungangbar gemacht.

Doch nichts vermochte die Braven aufzuhalten. Bald war der Trichter erreicht, rasch ordneten sich die Verbände, eine kurze Atempause und schon brachen die drei Kolonnen aus dem Trichter hervor, entfalteten sich fächerförmig zum entscheidenden, umfassenden Angriff auf den Feind, der sich nach der ersten Betäubung aufgerafft hatte und die Stürmenden mit wütendem Feuer vom Südrand des Cimonemassivs empfing, an das er sich angeklammert hatte. Zwei von den drei Kolonnenkommandanten, die Leutnants Hayer und Wachtel starben den Heldentod, mit ihnen manch einer ihrer braven Leute. Aber keine Gruppe ließ die andere im Stich; im schwierigsten Felsgelände, noch immer im ungewissen Dämmerlicht kämpfend, gelang trotz allem die Umfassung, der Rest der feindlichen Cimonebesatzung streckte die Waffen.

Es war 6 Uhr. Die österreichischen Geschütze legten Sperrfeuer um den Cimone. Ununterbrochen hielt das starke feindliche Geschützfeuer an, das zwischen 8 und 12 Uhr vormittags und gegen Abend zu außerordentlicher Heftigkeit gesteigert wurde. Schwere Stunden müssen die tapferen Erstürmer durchleben. Am Abend sind die lästigsten der feindlichen Batterien zum Schweigen gebracht. Alle Feldwachen meldeten übereinstimmend, daß sie trotz großer körperlicher Erschöpfung sich im Sprengtrichter jedem Angriff gewachsen fühlen. Aber es kam zu keinem Gegenangriff. Um so mehr versuchte die feindliche Artillerie, die Gipfelbesatzung zu vernichten. Sie verhinderte den Zuschub warmer Nahrung und nur auf ihre kalten Vorräte beschränkt, mußten die Feldwachen im Trichter, nur notdürftig gegen den Eisen- und Steinhagel gedeckt, die ganze Nacht verbringen. Erst der frühe Morgen des 24. September brachte den Braven die wohlverdiente Ablösung.

Eine reiche Siegesbeute krönte die Tat. An die 500 Mann mit 10 Offizieren wur- [128] den gefangen genommen, 8 Maschinengewehre, Granatwerfer, Minenwerfer, Bohrmaschinen, Flammenwerfer und zahlreiches sonstiges Kriegsgerät wurden eingebracht. Das erste Bataillon des italienischen Infanterieregiments 219 war vernichtet. 19 Offiziere und 1118 Mann waren zum Großteil mit der Mine in die Luft geflogen und unter ihr begraben worden.

Unter den Trümmern des gesprengten Gipfels mußten noch zahlreiche schwerverwundete Italiener liegen, deren Bergung jedoch infolge des außerordentlich starken feindlichen Artilleriefeuers nicht möglich war. Herzzerreißend drangen die Klage- und Hilferufe der Verschütteten durch die Trümmer zu der Gipfelbesatzung hinauf. Nur aus rein menschlichen Gründen entschloß man sich bei dem österreichischen Kommando zu einem Ersuchen an das italienische Kommando, einen vierstündigen Waffenstillstand einzuschieben, um das Leben der verschütteten Italiener zu retten. Ein österreichischer Generalstabshauptmann überbrachte das Ersuchen dem italienischen Kommando, das aus nichtigen Gründen und in der Annahme, es handle sich möglicherweise um eine Kriegslist der Österreicher, ablehnte. So wurden diese unglücklichen italienischen Soldaten, die in Ausübung ihrer Pflicht ein furchtbares Verhängnis ereilt hatte, von ihrem eigenen Kommando herzlos ihrem Schicksal überlassen. Mit gerechter Entrüstung wurde diese Entscheidung der italienischen Heeresleitung von den gefangenen Italienern aufgenommen, die sich freiwillig erboten, ihre verschütteten Kameraden auszugraben.

Voll Selbstverleugnung und Opfermut schritt jedoch die österreichische Besatzung selbst zum Rettungswerk. Sie setzte im feindlichen Feuer ihr Leben aufs Spiel, um das der wehrlosen, verschütteten Feinde zu retten. Noch am 28. September, 120 Stunden nach der Katastrophe, wurden Hilferufe unter den Trümmern gehört. Bis zum 2. Oktober wurden etwa 90 Italiener, freilich vollkommen erschöpft und verwundet, ihrem Steingrabe entrissen.

Nicht nur im Kampf auf dem Schlachtfelde, wo im Toben der Schlacht oft das klare Empfinden der Todesnähe fehlt, hatten sich die österreichischen Soldaten als Helden erwiesen, sondern auch als selbstlose Kämpfer im Dienste der Barmherzigkeit und Menschlichkeit. Höher noch als die glänzende Waffentat steht dieses höchste Heldentum.

Nicht nur der Erfolg, auch das Menschentum war auf seiten der Österreicher.






Front in Fels und Eis
Der Weltkrieg im Hochgebirge

Gunther Langes