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Der ekle Wurm
der deutschen Zwietracht
Politische Probleme rund um den 20. Juli 1944
Friedrich Lenz
4. Die Tätigkeitsgruppen
und ihre Staatsstreichpläne und Aktionen
Die Gegner unterteilten sich nun insgesamt in zwei große Tätigkeitsgruppen:
Die einen - und zwar der zahlenmäßig überwiegende
Teil - beschränkten sich auf die übliche negative Kritk gegen die Maßnahmen
des neuen Systems, auf die Kolportage aller Gerüchte und faulen Witze, auf die
Austragung
kleinlicher Streitigkeiten mit Funktionären der Partei und Organisationen. In manchen
Fällen bildeten sich auch Gruppen gleichgesonnener Gegner, welche immer wieder
Pläne schmiedeten, wie man dem System Schwierigkeiten machen oder tatsächlich
zu
Leibe rücken könne, selbst aber nichts taten.
Im großen und ganzen waren alle diese Versuche dem System ungefährlich und
hinsichtlich ihrer staatsabträglichen Bedeutung ziemlich unwichtig. Gewiß
wäre
es besser gewesen, wenn sich auch diese Kreise in sachlicher Mitarbeit oder positiver Kritik oder
in vorsichtiger Benutzung der "Notbremse" im Interesse des Vaterlandes betätigt
hätten. Aber in jedem Staate muß eine Regierung mit einem gewissen Teil der
Bevölkerung rechnen, welcher sich negativ statt positiv verhält, ohne daß
hierdurch der eigentliche Bestand des jeweiligen Regierungssystems gefährdet wird.
Nun kommen wir aber zur anderen, zahlenmäßig zwar
unbedeutenderen, aber
entscheidend wichtigeren Gruppe einflußreicher Politiker oder hoher Militärs,
welche
entweder schon aus der praktischen Mitarbeit ausgeschieden waren und deswegen
ungenützten Tatendrang verspürten, oder sich noch in Amt und Würde
befanden
und hier mangels genügender Anerkennung unzufrieden waren und daher ebenfalls nach
zusätzlicher politischer Betätigung drängten. Aus deren Kreisen bildeten sich
die
kleine Gruppe der eigentlichen Akteure. Das waren auf politischem Gebiet; Herr
Staatssekretär E. v. Weizsäcker, die beiden Brüder Erich und Dr. Theodor
Kordt,
der erste an maßgeblicher Stelle im Auswärtigen
Amt, der letzte an der deutschen Botschaft in London, Dr. Schacht und Dr. Carl Goerdeler sowie
der frühere Gestapobeamte H. B. Gisevius, Dr. Josef Müller und der ehemalige
deutsche Botschafter in Rom, v. Hassel; auf militärischem Gebiet: die beiden
Generalstabschefs des Heeres, Beck und Halder, der Leiter der Abwehr, Admiral Canaris mit
seiner rechten Hand, dem Generalmajor Oster, und die Herren Fabian v. Schlabrendorff und
Generalmajor v. Tresckow sowie Oberst Graf v. Stauffenberg.
Deren Drang konnte sich nun aber nicht auf innerpolitischem Gebiete austoben, da ja hier die
nationalsozialistische Revolutionsmethodik wenig Gelegenheit gelassen hätte, um
Lorbeeren
zu ernten, wenn man sich nicht auf sachliche "Notbremsearbeit" beschränken wollte. Also
suchte man sich das interessanteste Gebiet aus, auf dem man dem System, also Hitler,
tatsächlich Schaden zufügen konnte, das Gebiet der Außenpolitik. Dies hatte
ja
auch den Vorteil, daß die "Masse nichts davon verstand", diese Tätigkeit also einem
exklusiven Kreis auserwählter Herren vorbehalten war. Sie erachteten diese
Tätigkeit
umso notwendiger, als nach ihrer Meinung nicht nur die Masse nichts von Außenpolitik
verstand, sondern auch die von dieser Masse (des Volkes) berufene Regierung nicht. Dieser
Hitler
konnte zwar als "Rattenfänger" eine "urteilslose" Mehrheit verführen, ihm ihre
Stimme zu geben, aber zur Außenpolitik gehörte denn doch mehr. Dazu waren
nur sie geboren und berufen! Die Elite! Da es ja auch ein Gewissen gab, das sich ab und
zu regte, schuf man sich "Blitzableiter": "den Weltfrieden" und "die
Menschlichkeit" - in derem Interesse man Dinge tun konnte, die man im Interesse des
Vaterlandes
nie hätte tun dürfen.
Der Leitgedanke für diese Herren wurde folgendes
Bekenntnis, das der beste "Fachmann" aus dem Kreise der Verschwörer, der einstige
Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Herr v. Weizsäcker, in seinen
Erinnerungen
niederlegte und von dem man jedes Wort genau wägen muß: "Ich selbst habe vor
und
im Krieg mich stets für moralisch berechtigt und verpflichtet angesehen, hinter dem
Rücken Hitlers und Ribbentrops solche politische Nachrichten an den möglichen
politischen Gegner gelangen zu lassen, die den Ausbruch und die Ausweitung des Krieges
hintenanhalten konnten, gleichgültig, ob sie ein politisches Geheimnis waren oder nicht.
Mein Ziel war es zu verhindern, daß aus dem möglichen ein wirklicher
Feind
werde."
Es ist nun wirklich nicht schön, daß man ihm seitens der "wirklichen Feinde" diese
wertvolle uneigennützige Hilfe mit 7 Jahren Gefängnis dankte und daß ihn
das
Schicksal nicht länger leben ließ, um den "Erfolg" seines Verhaltens noch
"genießen" zu können. Das kommt davon, wenn das "Staubwischen" und das
"Sandstreuen" manchmal durcheinandergerät.
Neben dieser außenpolitischen Tätigkeit arbeiteten sie an ihrem anderen
großen
Plan: das deutsche Volk von seinem Führer, der täglich so
viele Beweise innen- und außenpolitischer Unfähigkeit gab und der nichts anderes
im
Auge hatte, als die friedliebende und uneigennützige Welt raschestens mit Krieg zu
überziehen, baldmöglichst durch einen kleinen Mord zu befreien. Ich will davon
Abstand nehmen, den ganzen Kleinkram dieser Vorbereitungen zu schildern, denn
darüber
gibt es - Gott sei Dank - eine große Literatur, in welcher sich die Helden ihrer Taten
rühmen. Wir haben Herrn Gisevius zu danken, daß er dies auch auf die Gefahr hin
tat,
daß "manche der Gestalten entheroisiert wird".
Das Haupt der Verschwörung war [Ludwig Beck,] der Chef des
Generalstabes selbst, der
schon 1938 ausgeschieden war, weil er sich mit Hitler, diesem "größenwahnsinnig
gewordenen Gefreiten", nicht vertragen konnte. Es hatte ihm nicht gepaßt, daß seine
politisch gefärbten Denkschriften nicht genügende Beachtung fanden.14 Da er nicht "drinbleiben"
konnte, sorgte er rechtzeitig für einen Nachfolger in der Person des Herrn Franz Halder.
Es
kam zu umfassenden Staatsstreichplänen und außenpolitischen Aktionen
verschiedenster Art, welche am klarsten und kürzesten in folgender Aufstellung
zusammengefaßt sind:
IM FRIEDEN:
1. Im Sommer 1938 bereitete General Beck, damals
Generalstabschef des Heeres, zusammen mit seinem Nachfolger, dem General Fritz Halder,
Staatssekretär v. Weizsäcker, Dr. Karl Gördeler, Admiral Canaris und Oberst
Oster, einen Staatsstreich vor, dessen Termin Mitte September angesetzt wurde. Um
ausländische Hilfe zu erlangen, wurde die englische Regierung über den Plan und
seine wichtigsten Details informiert. Nach einer Rücksprache mit Canaris sandte Beck im
August 1938 den ehemaligen Leiter der konservativen Vereinigung, Ewald
von Kleist-Schmenzin, mit entsprechendem Auftrag nach London. Kleist weilte vom 19. bis 24.
August 1938 in London und hatte Besprechungen mit Sir Robert Vansittart, der der Regierung
darüber berichtete, Lord Lloyd und Winston Churchill.
Zeugen: Deutsche: 1. General Halder, 2. Dr. Rud. Pechel, 3. Dr.
Hans-Bernd Gisevius; ausländische: 1. Mr. Jan Colvin (Gollancz Verlag, London), 2. Lord
Halifax, 3. Winston Churchill.
Anderes dokumentarisches Material: 1. Aussagen Halders in Nürnberg, 2.
Aussagen Halders vor der Münchener Spruchkammer, 3. persönliche Informationen
Halders an den Verfasser des Buches Gespräche mit Halder.
2. Am 5. September
1938 beauftragte Staatssekretär
v. Weizsäcker den Londoner Geschäftsträger Dr. Theo Kordt, die englische
Regierung über den geplanten Statsstreich zu unterrichten. Die Übermittlung
erfolgte
durch Frl. Susanne Simonis. Der Auftrag wurde in der Nacht vom 6./7. September 1938 in einer
geheimen Unterredung Dr. Kordts mit dem britischen Außenminister Lord Halifax
durchgeführt.
Zeugen: Deutsche: 1. Dr. Theo Kordt, 2. Frl. Susanne Simonis (jetzt Auswärtiges
Amt Bonn), 3. Dr. Erich Kordt; ausländische: 1. Mr. Philipp
Conwell-Evans (London), 2. Lord Halifax.
Anderes dokumentarisches Material: 1. Buch Dr. Kordts: Nicht aus den Akten, 2.
Staatssekretär v. Weizsäcker: Erinnerungen.
3. Unmittelbar vor dem beabsichtigten Putsch, etwa am
12./13. September 1938, beauftragte General Halder, Generalstabschef, seinen Vertrauten, den
Obersten Hans
W. Boehm-Tettelbach, damit, nach London zu fliegen und die englische Regierung erneut
über den geplanten Staatsstreich zu unterrichten und ihre Hilfe zu erbitten. Die Botschaft
wurde Sir Robert Vansittart übermittelt.
Zeugen: Deutsche: 1. Generalmajor
H. W. Boehm-Tettelbach, 2. General Franz Halder; ausländische: 1. Sir Robert Vansittart,
London.
Andere dokumentarische Unterlagen: 1. Halders Nürnberger Aussage, 2. Halders
Aussage vor der Spruchkammer.
4. Im Sommer 1939 weilt
Oberst Boehm-Tettelbach erneut im Auftrage Halders und Canaris' in London.
Zeugen: wie Nr. 3, sowie Mr. Jan Colvin.
5. Wenige Wochen später, etwa im August 1939,
weilt ein weiterer Generalstabsoffizier, ein General Graf Schwerin, mit demselben Auftrag in
London.
Zeugen: wie Nr. 3, sowie Mr. Jan Colvin.
6. Im Dezember 1938 unterrichtet Dr. Schacht den
Präsidenten der Bank of England, Montagu Norman, über die Staatsstreichsituation
in
Deutschland und insbesondere über die Haltung der Generäle. Der Bericht lag der
englischen Regierung vor.
Zeugen: Dr. Schacht und Dr. Gisevius.
7. Im August 1939, wie vorher schon 1937 und 1938,
verhandelt Dr. Goerdeler mit Vertrauensleuten der englischen Regierung in London über
deren Unterstützung des deutschen Staatsstreiches.
Beweise: 1. Artikel "Entschleierter Mythos" von Georg Alexander in der
Hannoverschen Presse vom 18. Juli 1947, 2. Hans Rothfels, Die deutsche Opposition
gegen Hitler.
8. Ende August 1939 informiert Fabian v. Schlabrendorff,
Verfasser des Buches Offiziere gegen Hitler, in London Winston Churchill und Lord
Lloyd
über die politische Lage in Deutschland und Staatsstreichmöglichkeiten. Daß
W.
Churchill die Staatsstreichabsichten des deutschen Generalstabs kannte, erläutert seine
Rundfunkrede vom 17. Oktober 1938 (zitiert durch Times vom 17.10.1938, Seite
16).
Zeugen: Fabian v. Schlabrendorff.
Anderes dokumentarisches Material: Buch des Historikers Hans Rothfels, Die
deutsche Opposition gegen Hitler.
IM KRIEGE:
9. Im Oktober 1939 wird Dr. Theo Kordt von
Staatssekretär Weizsäcker an die deutsche Gesandtschaft zu Bern versetzt mit der
ausdrücklichen Aufgabe, dort mit einem Vertrauensmann Lord Halifax' Verbindung
aufzunehmen. Der
V.-Mann ist der bereits erwähnte
Mr. Conwell-Evans.
Zeugen: Deutsche: 1. Dr. Theo Kordt, 2. Dr. Gisevius; ausländische: Mr.
Philipp Conwell-Evans.
Anderes dokumentarisches Material: Buch Dr. Kordts, Nicht aus den Akten.
10. In den Monaten
Februar-März 1940 nimmt
Botschafter Ulrich v. Hassell in Arosa, Schweiz, Kontakt auf mit einem Verbindungsmann Lord
Halifax'. Vermittler: Hassels italienischer Schwiegersohn.
Beweis: Buch Vom anderen Deutschland von U. v. Hassell.
11. Im Frühjahr 1940 nimmt Dr. Josef
Müller im Auftrage Canaris' und Halders Verbindung mit einem Vertrauensmann der
englischen Regierung in Rom auf. "Die Verbindung lief über den englischen Gesandten
am
Vatikan, Osborne, zu Lord Halifax," schreibt der Historiker der Opposition, Hans Rothfels,
darüber. Die Gespräche und Verhandlungen betrafen den Staatsstreich in
Deutschland
und hatten zum Zweck, eine begünstigende Zusage der englischen Regierung zu erlangen.
Diese wurde auch gegeben in Gestalt
des sogenannten "X-Reports" (Geheimbericht X) und General Halder übermittelt, der sie
wiederum General v. Brauchitsch vorgelegt hat, der nach Halders eigener Aussage im
Spruchkammerverfahren diese Tätigkeit als "Landesverrat" bezeichnete.
Zeugen: 1. General Halder, 2. Justizminister a.D. Dr. J. Müller,
München.
Andere dokumentarische Unterlagen: 1. Buch Chief of Intelligence von Mr. Jan
Colvin
(Verlag Victor Gollancz), 2. Nürnberger Aussage Halders, 3. Aussage Halders vor der
Münchener Spruchkammer.
Daneben liefen noch zahlreiche Attentatspläne und Versuche gegen Hitler und seine
Begleitung. Zu erwähnen ist noch das Angebot deutscher Generale, welche sich
verpflichteten, 300,000 Nazis innerhalb 14 Tagen zu "liquidieren", wenn man zusage,
Deutschland nicht zu besetzen. (Beweis: Sir Samuel Hoare in Gesandter in besonderer
Mission.)
Diese "klugen Politiker" gingen von der simplen Einbildung aus, daß England prompt
dann,
wenn es ihnen paßte, eine scharfe Haltung gegen Hitler zeigen oder gar Krieg gegen ihn
führen würde. Ja, sie bildeten sich ein, daß England diese scharfe Haltung
zeigen
würde, um Hitler zum Rücktritt zu zwingen und damit sie, die "besseren
Deutschen",
ans Ruder zu bringen. Darin täuschten sie sich aber, denn sie erhielten praktisch nur
nichtssagende Vertröstungen und billige Dankesbeteuerungen.
Es ist zweckmäßig, eine Schilderung eines
Hauptbeteiligten, des Herrn v. Schlabrendorff, zu wiederholen, die dieser in seinem Buche
Offiziere gegen Hitler gibt: "Ich
selbst fuhr vor Kriegsausbruch nach England. Dort suchte ich Lord Lloyd auf, zu dem ich dank
einer von unserer Gruppe neu gesponnenen Verbindung Zutritt hatte. Ich konnte ihm mitteilen,
daß der Ausbruch des Krieges unmittelbar bevorstehe und durch einen Angriff auf Polen
eingeleitet werden solle, was auch immer für Vermittlungsvorschläge gemacht
werden würden. Ferner konnte ich ihm sagen, daß die englischen
Bemühungen
in Rußland durchkreuzt werden würden, weil der Abschluß eines Vertrages
zwischen Hitler und Stalin bevorstehe. Hitler wolle sich durch diesen Vertrag den Rücken
freihalten. Lord Lloyd bat mich, ihn zu ermächtigen, beide Mitteilungen an Lord Halifax,
den damaligen englischen Außenminister, weiterzugeben. Ich trug keine Bedenken. Zum
gleichen Zeitpunkt hatte ich eine Besprechung ähnlichen Inhalts mit Winston Churchill,
sie
fand auf dem Landsitz Churchills statt. Als ich meine Darlegung mit dem Staz einleitete: 'Ich bin
kein Nazi, aber ein guter Patriot,' lächelte Churchill über sein breites Gesicht und
sagte: 'Ich auch.'"
Oder Herr Gisevius: "Was für Gefahren sich damals verantwortungsbewußte
Männer aussetzten, will ich nur an einem Fall belegen, der innerhalb der Abwehr
mächtig Staub aufwirbelte. An einem neutralen Orte gingen der belgischen Gesandtschaft
fortlaufende Warnungen zu, die in der Bekanntgabe der bevorstehenden Invasion
mündeten.
Mit verblüffender Offenherzigkeit kabelte der betreffende Diplomat hierüber an
seine
Regierung, wobei der Hauptteil der Schilderung ausmachte, warum er vorschlage, diese
Nachricht
nicht zu glauben. Sie gehe auf eine hohe militärische Stelle zurück, woraus
zu schließen sei, daß es sich um ein Täuschungsmanöver handele, denn
sonst sei
der Überbringer - ein Verräter."
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Anmerkung
14Als Hitler z.B. Beck fragte, ob
er wirklich glaube, daß die französische Armee der deutschen überlegen sei,
antwortete er unter Hinweis auf seine 40jährige militärische Erfahrung, daß
die
französische Armee im Kriegsfalle die deutsche "durch Sonne, Mond und Sterne jagen
würde". ...zurück...
 
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