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Süddeutschland - Eberhard Lutze

Drei Kaiserstädte am Rhein

Die Dome zu Speyer, Mainz und Worms sind Heiligtümer der deutschen Nation. So verschieden sich dem heutigen Besucher die drei Städte zeigen, in denen sie stehen, die Dome bindet die Gemeinsamkeit ihrer großen Geschichte zusammen, die die Kaiser des Ersten Reiches gemacht haben. Die drei Kaiserdome blicken auf den Rheinstrom: schon durch ihre Lage sind sie vom Schicksal gezeichnet. Immer wieder sind Kriege und feindliche Heere an ihre Mauern gebrandet. In Speyer und Worms sind die Bürgerhäuser den Stürmen des Dreißigjährigen Krieges und der Franzoseneinfälle zum Opfer gefallen; allein die wie für die Ewigkeit gebauten Dome blieben bestehen. Speyer ist heute Hauptstadt der bayerischen Pfalz und hat etwas über 27 000 Einwohner; Mainz, als Hauptstadt des Weinhandels, in günstiger Lage, mit lebhafter Industrie, hat sich malerische Altertümlichkeit bewahrt und mit über 140 000 Einwohnern seine mittelalterliche Vorortschaft auch als moderne Großstadt fortgesetzt, während die einstige Hauptstadt des Burgunderreiches zu einer hessischen Landstadt von etwas über 50 000 Bewohnern zurückgesunken ist.

Die Landschaft ist bei allen drei Städten ähnlich: eine weite fruchtbare Ebene erstreckt sich zwischen Odenwald und Haardt, aus der sich die getürmten Baugruppen der Dome aufrecken. Der Mainzer Dom überragt das Gewirr der [744] Altstadtdächer. Ein Stück stromabwärts ergießt sich der Main in den Rhein. Durch eine aussichtsschöne Brücke verbunden liegt jenseits des Stromes Kastel. Die Berge des Taunus grünen herüber. Zu ihren Füßen liegt vornehm und gepflegt das Weltbad Wiesbaden, breitet sich der wein- und obstgesegnete Rheingau aus.

Ähnlich sind die Anfänge der Siedlungsgeschichte. Wir wissen von urgeschichtlichen Siedlungen. Funde aus der Bronze- und Eisenzeit werden in den Sammlungen der drei Städte gezeigt. Keltische Bevölkerung wurde verdrängt oder unterworfen von den Römern, die sich in dem großen aus Holz und Erde aufgeführten Legionslager auf dem Kästrich bei Mainz den für das Rheingebiet wichtigsten strategischen Punkt schufen. Die Anlage des Drusus, an den der 12 Meter hohe Rest des Eigelsteines aus dem Jahre 9 v. Chr. erinnert, hat am Zusammenfluß der beiden Ströme in glänzender Weise das römische Hinterland gesichert und zugleich als Ausfallstor zur Eroberung des rechtsrheinischen Germaniens gedient.

Die große Sendung von Worms begann mit dem Reich der Burgunder. Auf der Treppe des Wormser Domes stritten Kriemhild und Brunhild miteinander, begann der "Nibelungen Not". Selbst Mainz gehörte zum Wormsgau, in deren Hauptstadt "des gewaltigsten Erzbistums Macht durch ganz Germanien" ruhte. Die Chronik preist die alte Königsstadt, die 12 Stadttore, 60 Mauertürme, 50 Kirchen, die öffentlichen Gebäude, die Stifte und Patrizierhäuser. Die hunderttürmige Stadt des Mittelalters ist dahin. Geblieben ist ihr Ruhm als Stadt der Burgunder, als Residenz der ostfränkischen Könige, der Stadt der Kaiser, der Reichstage und der Reformation. In Worms hat Luther auf jenem denkwürdigen Reichstag 1521 vor der spanischen Majestät Karl V. sein männlich-kühnes Bekenntnis abgelegt. Das von Ernst Rietschel entworfene Denkmal hält das Gedenken an die befreiende Tat wach.

Speyers Stadtanlage geht, nachdem es als "Stadt der Nemeter" in der Römerzeit bereits eine Rolle gespielt hatte, auf den Merowingerkönig Dagobert zurück († 638). Er ist der Gründer des ersten Domes. Karl der Große unterhielt eine Pfalz in Speyer. Unter seinem Sohne beginnt die lange Reihe der Speyerer Reichstage, deren von 838 bis 1570 nicht weniger als 48 abgehalten wurden. Im Jahre 1529 protestierten die deutschen Reichsstände gegen das Wormser Religionsedikt; als "Protestanten" verließen sie den Reichstag.

Speyer wurden durch Ludwig XIV. besonders tiefe, nie wieder verheilte Wunden geschlagen. Die im Jahre 1689 gänzlich - bis auf Dom und "Altpörtel" - niedergebrannte Stadt durfte zehn Jahre lang nicht wieder aufgebaut werden, die Bevölkerung wurde auf das platte Land verteilt. Der Sonnenkönig hatte die Absicht, zwischen das Reich und die eroberten Grenzlande eine Wüste als strategische Schutzzone zu legen. Man wußte, daß man hier eine Schlagader alter deutscher Reichsherrlichkeit getroffen hatte: die Grabstätte der deutschen Kaiser, deren Gebeine geschändet wurden. Konrad II., der Gründer des heutigen Domes, schläft in der Kaisergruft seiner Gründung, Heinrich III., dessen schwergeprüfter Sohn Heinrich IV., Heinrich V., Barbarossas Sohn [745-752=Fotos] [753] Philipp von Schwaben, Albrecht von Österreich, Adolf von Nassau und Rudolf von Habsburg. Die Sage hat die toten Kaiser zu unsterblichen Helfern des Reiches erweckt. "Aber sie ruhen nicht. Ist das Reich in Gefahr, heben sie sich nächtens aus der Ruhe des Schlafes, wappnen die Brust mit der goldenen Brünne, schirmen das Haupt mit dem Helm und fahren in den heißen Streit."

Speyer. Der Kaiserdom (11. Jahrhundert).
[671]      Speyer. Der Kaiserdom (11. Jahrhundert).

Da bereits zwei Jahrzehnte nach der Vollendung des Speyerer Urbaues unter Konrad II. der hochgehende Rhein die Fundamente des Domes angegriffen hatte, hat Kaiser Heinrich IV. um 1097 "alle erfahrenen und tüchtigen Architekten, Zimmerleute, Maurer und andere Werkleute seines Reiches und auch anderer Reiche am Bau beschäftigt, viel Geld und ungeheure Mittel aufgewandt". Der Kaiser selbst berichtet, der Dom sei "von Unseren Vorfahren Konrad und Heinrich und Uns selbst ruhmvoll erbaut". 1159 erlebte der Dom nach einem verheerenden Brand neuerdings Umbauten. Die gelben und roten Steinlagen lassen noch die Baunähte erkennen. Ursprünglich waren nur die Seitenschiffe gewölbt. Durch Pfeilervorlagen hat Heinrichs IV. Bauleiter Otto von Bamberg die Einwölbung des Mittelschiffes ermöglicht: eine gewaltige, bahnbrechende Leistung der Zeit. Im Gegensatz zu dem "dunkel feierlichen Kultraum" der Krypta, die dem Urbau angehört, ist der Umbau Heinrichs IV. reicher, kaiserlicher, an neuen Bauzielen entflammt. "Es gibt in aller Baukunst keine Wände, die mit solch imposanter Wucht, solch wahrhaft kaiserlicher Majestät den Weg zum Altar formten, wie diese des Speyerer Hochschiffes" (H. Weigert). Der tragischste unserer deutschen Kaiser hat in Speyer dem Fanatismus seines päpstlichen Widersachers, dem mönchischen Geist der französischen Reformbewegung einen sieghaften Trutzdom errichtet. Die Größe der Planung und die Schönheit des Aufrisses hat auch die Wiederherstellung der Westteile und die süßliche Bemalung des vorigen Jahrhunderts nicht zerstören können.

Mainz. Der Dom.
[689]      Mainz. Der Dom.
Der Mainzer Dom ist die Leistung zweier Erzbischöfe der ottonischen Zeit. Durch Kaiser Heinrich IV. erhielt er als Geschenk für Hilfe der Bürger gegen Papst und Bischof eine neue Gestalt. 1239 wurde er geweiht, nachdem die Stauferzeit herrliche Plastik im Innern aufgestellt hatte, deren Reste im Diözesanmuseum verwahrt werden und zu denen man in der Pfarrkirche zu Bassenheim bei Koblenz kürzlich das Reiterrelief eines ritterlichen Hl. Martin fand, ein Werk des Meisters, der die Stifterfiguren im Naumburger Dom gemeißelt hat.

Der Dom ist doppelchörig. Am gewaltigsten ist die Ostapsis, deren salische Monumentalität das von leichteren, später eingezogenen Rippengewölben gegliederte Mittelschiff abschließt. Wahrhaft schöpferisch ist das 18. Jahrhundert am Außenbau tätig gewesen. Franz Ignaz Neumanns genialer westlicher Vierungsturm macht den Dom zum Herz und zur Krone des Mainzer Stadtbildes. In der erzbischöflichen Stadt, deren gepriesenes Lustschloß Favorite nicht mehr steht, wo Barockarchitektur und ‑plastik zu schäumender Lebensfreude zusammengeklungen waren, dort hat das häufig dem Mittelalter so feindselig [754] gesonnene Jahrhundert in dem Domturm von 1767 eine der schöpferischsten denkmalpflegerischen Taten hinterlassen, die wir kennen. Ihr stehen die meisterhaften Wiederherstellungen von 1926/1928 würdig zur Seite, die durch Unterfangen der Mittelschiffpfeiler und Stützkonstruktion des Neumannschen Turmes den fundamentlos gewordenen Dom von der Gefahr des Einsturzes gerettet haben. Im Gegensatz zu der aufdringlichen Bemalung in Speyer ist die neuzeitliche Wiederherstellung in Mainz Dienst am Bau, dessen ernste Sprache eindringlich spricht, dessen einzigartige Reihe von Grabmälern der Erzbischöfe ein bewegtes Bild vom Menschentum dieser geistlichen Führer des "Goldenen Mainz" gibt.

Im Durchwandern der Stadt stößt man noch allenthalben auf Spuren, die das Regiment der Kurfürsten im Stadtbilde hinterlassen hat, am eindringlichsten im kurfürstlichen Schloß, das als strenggegliederter Renaissancebau am Rhein liegt und die Sammlungen der verschiedenen Mainzer Museen enthält.

Der hervorragendste Kopf des Mainzer Bürgertums ist Johann Gensfleisch von Gutenberg gewesen, dem um 1468 in Mainz die geniale Erfindung gelang, Messinglettern zu gießen und diese als Stempel zur Schaffung von dauerhaften Bleimatrizen zu benutzen. Damit war die Buchdruckerkunst "erfunden". Das von Thorwaldsen 1837 in Mainz errichtete Standbild trägt die Inschrift: "Die Kunst, die den Griechen und Römern verborgen war, hat ein deutscher Mann findigen Geistes erdacht. Was immer die Alten gewußt und die Neuern wissen, wissen sie nicht für sich, sondern für jegliches Volk."

Der Wormser Dom ist der jüngste der drei Kaiserdome. Er geht zwar wie die beiden Schwesterdome gleichfalls auf die deutsche Frühzeit zurück - die Burgunder haben bereits 481 das Christentum angenommen -, aber er hat seine heutige Gestalt in kaum zwei Menschenaltern gewonnen.

Worms. Der Dom.
[672]      Worms. Der Dom.

Der wechselvollen Geschichte des Speyerer, der jahrhundertelangen Bauzeit des Mainzer steht die Einheit des Wormser Domes gegenüber. Der Bau wurde im frühen 13. Jahrhundert vollendet. Die wundervoll ausgewogene viertürmige Baugruppe ist ein unvergleichlich reiches Werk staufischer Gesinnung. Die Konstruktion ist von vornherein auf Wölbung aller Schiffe angelegt. Aber der Schub wird nicht, wie in der Gotik, auf ein Strebewerk abgeleitet, das wie ein Gerüst die Wände ihrer Schwere und Dicke entkleidet, sondern die Steinummantelung tritt überall mauermäßig schwer in Erscheinung, sowohl im Aufriß des Innenbaues wie in den von Zwerggalerien und fülligen Radfenstern ausgehöhlten Außenfronten. Frei und weit im Osten, trutzig und wehrhaft im Westen umstehen die vier Türme den weit ausgreifenden doppelchörigen Längsbau. Der fromme Geist der Kreuzfahrer hat sich mit der ritterlichen Kraft der Staufenkaiser vereinigt: Kirche und Burg zugleich, das ist die Gesinnung, die dem Kaiserdom zu Worms seine Form geprägt hat.

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Das Buch der deutschen Heimat
Hermann Goern, Georg Hoeltje, Eberhard Lutze und Max Wocke