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Reichenberg
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Bericht Nr. 78
Bericht über die
Vorgänge 1945-46
Berichter: Emil Breuer Bericht vom Juli 1948
Am 9. Mai 1945 zogen am
Vormittag die Russen in Reichenberg ein. Gegen Mittag
bombardierten russische Flieger die Stadt ohne jeden Anlaß und griffen mit Bordwaffen
die
auf den Straßen dahinziehenden Flüchtlingskolonnen und sonstigen Passanten an.
Russische Soldaten drangen in die Häuser ein und plünderten Geschäfte und
Wohnungen.
An den Plünderungen beteiligten sich besonders die inzwischen nach Reichenberg
gekommenen Tschechen. Mit Lastautos fuhren sie nachts vor einzeln stehenden Villen vor,
bedrohten die Bewohner mit Schußwaffen und schleppten fort, was ihnen wertvoll
erschien.
Gleichzeitig begann die tschechische RG (Revolutionsgarde) ihr unheilvolles Treiben. Auf der
Straße, auf dem Wege zur und von der Arbeit wurden die Deutschen angehalten, der
Uhren
und Schmucksachen beraubt, geprügelt und in Keller gesperrt, aber auch verschleppt.
Gelegentlich zwang man sie auch Schuhe und Strümpfe auszuziehen und barfuß zur
Arbeit zu gehen. So wurden eines Tages gegen Ende Mai früh gegen 7 Uhr am
Reichenberger Tuchplatz alle Passanten angehalten, aus der Straßenbahn herausgeholt, der
Schuhe und Strümpfe beraubt und dann viele Männer an die Wand gestellt. Es gab
zwei Tote. Die anderen verdankten ihr Leben dem Eingreifen eines russischen Obersten, der
dieses "tschechische" Verfahren einstellte. Deutsche mußten Massengräber graben
und zuschaufeln. Von Gablonz an der Neiße aus mußten über tausend
Männer einen mehrtägigen Hungermarsch machen, bei dem gar mancher vor
Ermattung und Hunger im Straßengraben starb. Ein russischer Offizier war dort
erschossen
worden und deswegen bestrafte man kollektiv die Deutschen. Später wurde als
Täter
ein Ukrainer festgestellt.
Mich holten am 21. Mai zu Mittag zwei russische Soldaten und ein
Dolmetscher aus meiner Wohnung ab. Mit anderen Deutschen wurde ich in die russische
Abteilung des Reichenberger Polizeigefängnisses eingeliefert. Am nächsten
Morgen
mußten wir in aller Früh nach Ratschendorf marschieren. Dort verhörte uns
kurz ein russischer Major; gegen Mittag konnten wir unbewacht wieder heimgehen. Die
Behandlung war völlig einwandfrei.
Am 7. Juni 1945 wurde ich, nachdem man zuvor meine Wohnung durchsucht hatte, am
Nachmittag ins Büro von der RG abgeholt, im Auto in das Haus Gablonzer Straße
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gebracht und dort in das obere Stockwerk geführt. Kaum hatte sich die Tür hinter
mir
geschlossen, versetzten mir zwei Männer schon heftige Faustschläge ins Gesicht,
durch die mir die Brille heruntergehaut und von der Zahnprothese ein Stück abgeschlagen
wurde. Dann schlugen die Beiden mich sechzigjährigen Mann mit Gummiknütteln
und Ochsenziemern auf Kopf, Brust und Rücken. Beim Herunterfetzen meiner Krawatte
wurde ich fast erdrosselt. Jede neue Frage des mich verhörenden Dr. Rokos war von
neuen
Mißhandlungen begleitet. Eine Stenotypistin sah diesen Mißhandlungen
lächelnd zu. Als ich von ihm aufgefordert wurde, die Namen von
Werwolfangehörigen zu nennen, mußte ich Rock und Schuhe ausziehen und mich
auf
einen Tisch legen; mit ihren Marterwerkzeugen bearbeiteten sie nun Rücken und
Fußsohlen, um mir ein Geständnis abzupressen. Da ich keine Werwölfe zu
nennen vermochte, schloß man diese Mißhandlungen mit der Drohung, am
nächsten Morgen um 8 Uhr meine ganze Familie vor meinen Augen zu erschießen,
wenn ich bis dahin die Namen der Werwölfe nicht angebe. Dann stieß man mich die
Treppe hinunter in einen Keller, wo ich zerfetzt und völlig ermattet unter den
Leidensgenossen, die dort schon schmachteten, auf das Stroh am Boden niederfiel.
In dem Keller lagen viele schwer Mißhandelte. Tagtäglich holte man einige
Insassen
heraus und mißhandelte sie im Kellervorraum so furchtbar, daß sie ganz blutig
geschlagen halbtot zurückkamen. Auch Kriegsinvalide wurden nicht verschont. Die Zahl
der in den beiden Kellern eingeschlossenen Personen überschritt bald 50, darunter 2
Frauen. Es war nicht soviel Platz, daß alle sich gleichzeitig niederlegen konnten; es
mußte abwechselnd geschlafen werden.
Am 10. Juni wurde am Nachmittag
der Reichenberg-Johannesthaler Arzt Dr. Fritz Werner eingeliefert. Durch die Kellertür
hörten wir jedes Wort seines Verhörs, das im Kellervorraum stattfand. Einige
Insassen wurden ihm gegenübergestellt. Wir hörten seine Schmerzensschreie, sein
Bitten, sein Flehen, doch die Mißhandlungen gingen weiter. Wurde er ohnmächtig,
übergoß man ihn mit kaltem Wasser; erwachte er wieder, setzte man die
Mißhandlungen fort. Endlich verstummte
sein Jammern - für immer.
Nachstehend die Übersetzung des Untersuchungsprotokolls der Polizeiabteilung der
Revolutionsgarde in Jung-Bunzlau über den Tod Dr. Fritz Werners.
Liberec, den 10. 6. 1945
Untersuchungsprotokoll:
Am 10. 6. 1945 um 19 Uhr
untersuchte ich die Leiche eines ca. 164 cm hohen im Alter von ca. 60 Jahren etwas
stärkeren Mannes. Es war Herr Dr. Fritz Werner, Oberarzt in Reichenberg, bei dem
eine Zuschrift gefunden wurde vom 1. 8. 1944, mittels welcher dem genannten Offizier der
deutschen Wehrmacht durch Adolf Hitler das Verdienstkreuz II. Kl. für die Verdienste
für die deutsche Nation verliehen wurde.
Ich ersah blaue Flecke nach
einer Contusio auf der Brust und im Gesicht und eine Rißwunde bei den linken
Rückenknochen. Der Brustkorb ohne Veränderung. Das Auge erweitert, Puls
unfühlbar, Atem beim Spiegel ohne Reaktion.
Grund des Todes: Commotio
cerebi propter apoplexiam cerebi ac. Vulnus contusioni lacerum regionis occip, lat. sin.
Unterschrift: Dr. Rocus m. p.
Policejní oddelení R. G.
Velitelství Ml. Boleslav.
Am 10. Juni 1945 nach der
Einlieferung zur Konfrontation starb an Gehirnschlag Herr Dr. Fritz Werner, Oberarzt in
Reichenberg. Die Einäscherung fand am 11. Juni 1945 im Krematorium in Reichenberg
statt. Untersuchungsprotokoll beigeschlossen.
Reichenberg, am 21.
Juni 1945.
Örtliche Rechtskommission in Reichenberg.
12. Juli 1945.
Frau Liese Werner, Reichenberg.
Ihrer Forderung vom 26. 6.
1945 auf Ausgabe der Urne mit der Asche Ihres am 20. Juni 1945 im hiesigen Krematorium
eingeäscherten Gatten entsprechen wir ausnahmsweise unter der Bedingung, daß
die
Urne in Ihrer Familiengruft im hiesigen Friedhofe eingelegt wird.
Der Vorstand des Amtes
Capek
Vorsitzender
Stempel und Unterschrift
Am 13. Juni wurden fast alle dort Eingesperrten einem kurzen Verhör unterzogen und in
Gruppen eingeteilt. Mit 21 anderen wurde ich etwa um 23 Uhr in das Reichenberger
Kreisgericht
eingeliefert. Völlig nackt ausgezogen, mußten wir ein zerschlagenes Hitlerbild
küssen und dann stundenlang mit erhobenen Händen auf dem kalten zugigen Gang
knien; währenddem mißhandelten uns die Schergen, die uns eingeliefert hatten,
ununterbrochen mit Stahlruten, Gummiknütteln und Ochsenziemern. Endlich trieb man
uns
in die Zellen. Völlig erschöpft fielen wir auf die harten ästigen Dielen nieder
und schliefen vor Ermattung ein. Bald holten die Marterknechte uns aus den Zellen wieder
heraus
und zwangen uns, uns gegenseitig mit Ochsenziemern kräftig zu prügeln. Das alles
geschah im Beisein und unter Mitwirkung der Gefangenenaufseher des Kreisgerichtes. Die
Zeichen der Mißhandlungen trugen wir wochenlang an uns; ich trug einen Bluterguß
ins linke Auge davon.
Nacht für Nacht wurden Deutsche im Kreisgericht eingeliefert und in gleicher Weise
mißhandelt.
In unserer Fünfmannzelle Nr. 59 waren wir zuerst 9 und bald darauf 20 Mann.
Wochenlang
schliefen wir in unseren Sommeranzügen auf den harten Dielen. Endlich bekamen wir
Decken und einige wenige Strohsäcke, die wir als Kopfkissen verwendeten. Aus einer
ganz
dünnen Suppe, aus Kaffee und aus 150 g Brot bestand die tägliche Verpflegung. Sie
war ganz und gar unzureichend und schwächte uns in kürzerster Zeit ganz gewaltig.
Der Gewichtsverlust betrug nach wenigen Wochen bis 30 kg. Reichlich gab es nur immer wieder
Schläge und Ohrfeigen. Besonders bei den sogenannten "Spaziergängen" im
Gefängnishofe, bei denen man von uns geschwächten Menschen
unmögliche,
große Muskelkraft erfordernde gymnastische Übungen verlangte, gab es
regelmäßig Prügel; jedes Versagen bot einen willkommenen Anlaß zu
Mißhandlungen. An Sonntagen beteiligten sich daran neben den
Aufsehern auch RG-Männer.
In der zweiten Hälfte August wurde die Suppe ein wenig gehaltvoller und die Brotration
auf
250 g erhöht. Außerdem konnte nun von den Angehörigen der
Häftlinge
wöchentlich ein Lebensmittelpaket von höchstens 2 kg abgegeben werden. Ein
hohes
Lied müßte den deutschen Frauen gesungen werden, die es trotz der kargen
Rationen,
die ihnen als Deutschen zustanden, ermöglichten, durch diese zusätzlichen
Lebensmittel (die manche Frauen außerdem infolge des Verbotes der
Eisenbahnbenützung für Deutsche noch bis 30 km weit tragen mußten) ihre
Männer und Söhne vor dem Hungertode zu retten. Aber bei gar manchem war es
schon zu spät. Hungertodesfälle und ebenso andere Todesfälle infolge
Schwächung und ungenügender ärztlicher Behandlung kamen im
Kreisgericht
Reichenberg und in allen Lagern und Gefängnissen vor.
Schon vor meiner Verhaftung, etwa Ende Mai, war öffentlich bekanntgegeben worden,
daß alle Deutschen, die nach dem 1. Oktober 1938 zugezogen sind, Reichenberg zu
verlassen hätten und nur 30 kg Gepäck ins Reich mitnehmen dürften. Wer
der
Aufforderung nicht sofort nachkomme, dürfe nur 20 kg, dann gar nur 10 kg Gepäck
mitnehmen. Die Behörden bestätigten mündlich den nach Reichenberg
zugezogenen Sudetendeutschen, daß diese Verfügung nur Reichsdeutsche
betreffe.
Meine zweitälteste Tochter war im Mai auf vier Wochen zu landwirtschaftlichem Einsatz
ins Tschechische verschickt worden; kaum heimgekehrt riß man sie aus dem Kreise der
Familie heraus und zwang sie, ohne Abschied von mir,
ihrem 60-jährigen Vater, der im Gefängnis saß, nur mit einem Rucksack mit
etwas Wäsche ausgerüstet, die Heimat zu verlassen. Einigen Verwandten ging es
nicht anders. Noch vor der Grenze beraubte man sie eines Teiles ihrer letzten Habe, vernichtete
ihre Sparkassenbücher, ihre Urkunden, Zeugnisse und anderen wichtigen Dokumente, zog
ihnen Schuhe und Strümpfe aus, sodaß sie barfuß weiterwandern
mußten, riß aus Kinderwagen die Betten und Matratzen und schüttete Milch
für Säuglinge auf die Straße.
Meine Haft im Kreisgericht Reichenberg hatte zu meiner völligen Entkräftung
geführt. Wohl deshalb wurde ich am 19. November 1945 in das Reichenberger Lager
überstellt. Ich war so geschwächt, daß der kurze Weg zum Lager für
mich ein recht mühsamer war. Nun gab es etwas mehr zu essen. Die reichlichere
Verpflegung - von arbeitenden Lagerinsassen mir überlassenes Essen und Brotgaben, von
meiner Familie ins Lager
geschmuggelte Speisen - kräftigte mich rasch. Mehr Bewegung im
Freien, in Sonne und Luft, tat das Übrige. Nach wenigen Tagen mußte ich auch
selbst
auf Arbeit gehen. Auf vielen Arbeitsstellen gab es zusätzliches Essen. Eine Ausnahme
bildeten vielfach die Behörden, wo entweder überhaupt nichts gegeben wurde oder
nur die auf den Tellern der Betriebsangehörigen verbliebenen Reste für die
Deutschen zusammengekratzt und ausgegeben wurden. Bei den Fliegern gab es manchen Tag
eine
dünne Suppe, an anderen aber so reichliches Essen, daß wir den Kameraden im
Lager
noch viel mitbringen konnten.
Auf dem Flugplatze standen bei den Wohnbaracken Müllkästen, die von uns von
Zeit zu Zeit zu entleeren waren. Darauf warteten wir schon immer, weil wir im Müll stets
kiloweise Brot und Gebäck und noch in Staniol eingepackten Fettkäse fanden. Wir
konnten an solchen Tagen nicht nur für uns eine reichliche Zubuße nachhause
tragen,
sondern auch die arbeitsunfähigen Leidensgenossen im Lager noch reichlich beschenken.
Die Arbeitsfähigen wurden zumeist ohne
Unterschied zu Schwer- und Schwerstarbeiten befohlen: Kohlen
schippen, Erd- und Bauarbeiten, Holz fällen, Verladearbeit und dergl., die Frauen wurden
an Haushalte und Wirtschaften zu Reinigungsarbeiten, Wäsche waschen u.ä
abgegeben. Daneben gab es Abkommandierungen zu Landwirten, in Steinbrüche, in
Bergwerke und in gesundheitsschädliche Betriebe im Innern des Landes; dann in
Brettsägen und zum Holz fällen im Gebirge. Mißhandlungen fanden nur im
Sommer 1945 in großem Ausmaße statt. Später kamen sie im Lager und auf
den Arbeitsplätzen nur noch vereinzelt vor.
Auch ich wurde trotz meiner 60 Jahre auf Schwerarbeit geschickt. Zweimal erkrankte ich. Das
erste Mal holte ich mir eine schwere Halsentzündung, als ich trotz Halsschmerzen und
Fieber noch zum Holzschleppen im bergigen Walde befohlen wurde. Das zweite Mal hatte ich
mir
bei Kanalisierungsarbeiten während einer längeren Regenzeit
Gelenksrheumatismus
zugezogen und war wochenlang arbeitsunfähig. Rühmend erwähnen
muß ich da die Behandlung durch den Lagerarzt Dr. Pott (Lagerinsasse).
Nach 13½ Monaten Haft wurde ich über Betreiben meiner Frau endlich am 24. Juli
1946 dem ersten (und letzten) regelrechten Verhör u. zw. bei der Polizeidirektion in
Reichenberg unterzogen. Man stellte mir rascheste Erledigung und baldige Aussiedlung in
Aussicht. Doch kam es wieder anders. Durch eine Anfang August 1946 erschienene Novelle zur
Strafvollzugsordnung wurde verfügt, daß bei "Ausländern" auf den
Strafvollzug
zugunsten der Aussiedlung verzichtet werden könne, wenn der Staat an der Aussiedlung
stärker interessiert sei als am Strafvollzug. Gleichzeitig wurde aber die Entscheidung
über die Einleitung eines Volksgerichtsverfahrens der Polizeibehörde entzogen und
dem Staatsanwalt übertragen.
Der Staatsanwalt erhob gegen mich die Anklage auf Grund des § 3 des
Retributionsdekretes
des Staatspräsidenten. Am 30. Oktober 1946 erhielt ich die Anklageschrift. Wieder sagte
man mir die Verhandlung in etwa 8 Tagen zu. Vorgeladen wurde ich aber vor das
außerordentliche Volksgericht in Reichenberg erst zum 21. November
1946. Der ex-offo-Verteidiger hatte mit mir keine Verbindung aufgenommen und war meines
Wissens auch nicht bei der Verhandlung. Nach Feststellung des Tages und der Stunde meiner
Verhaftung zog sich der Gerichtshof zurück und verkündete mir sodann, daß
ich unter Anwendung der Milderungen des § 16 und unter ausdrücklicher
Hervorhebung des Umstandes, daß ich keinerlei nationalsozialistische Propaganda
betrieben
habe, zu 17 Monaten schweren Kerker, verbüßt durch die Untersuchungshaft (von
17½ Monaten) verurteilt wurde. Die ganze Verhandlung hatte kaum 10 Minuten
gedauert.
Da ich aus dem Lager vorgeführt wurde, wurde ich auch dorthin wieder
zurückgebracht und weiter dort festgehalten und nicht zu meiner Familie entlassen,
obwohl
meine Strafe bereits abgebüßt war.
Kurz vor meiner Aburteilung u. zw. am 14. November 1946 war der letzte Großtransport
von Reichenberg (Alt-Habendorf) in die amerikanische Zone Deutschlands abgegangen. Bald
darauf hatte die tschechoslowakische Regierung, obwohl sie sehr gut wußte, daß
noch
etwa 200.000 Sudetendeutsche ihre Aussiedlung und die Zusammenführung mit ihren
Angehörigen im Reich erwarten, die Kühnheit, öffentlich zu erklären,
daß die Aussiedlung der Sudetendeutschen abgeschlossen sei. Meine Frau wohnte mit den
beiden jüngeren Töchtern und einem Enkel seit
Anfang 1946 - unsere Wohnungseinrichtung war ihr weggenommen, meine große
Bücherei abgeholt und sie selbst gezwungen worden, die Wohnung
zu räumen - bescheiden in einer kleinen Wohnung
in Reichenberg-Rosenthal I. In der Hoffnung auf meine baldige Haftentlassung hatte sie 1945
trotz aller Schikanen der Behörden auf mich gewartet; 1946 mußte sie bleiben, da
die
Aussiedlung von Familien ohne Ernährer infolge amerikanischen Einspruchs nicht mehr
zulässig war.
Die Verhältnisse im Lager wurden 1947 bedeutend besser. Die Zahl der Insassen war
gesunken. Jeder hatte sein Bett. Nach der Auflösung der Volksgerichte gab es im Lager
keine "Häftlinge" mehr, sondern nur noch "Auszusiedelnde". Der Stacheldraht um das
Lager
blieb trotzdem; nur die Sonderabsperrungen einzelner Baracken wurde abgetragen. Der Besuch
bei Bekannten in anderen Baracken wurde freigegeben, mehr Bewegungsfreiheit innerhalb des
Lagers eingeräumt und zeitweilig an Sonntagen auch Ausgang bewilligt. Auch die
Verpflegung wurde besser. In dringenden Fällen wurde Arbeitskleidung zugeteilt; in den
eingerichteten Werkstätten wurden Kleider und Schuhe kostenlos ausgebessert. Der
Anteil
am Arbeitslohn, den die Betriebe und Haushalte, die Lagerinsassen beschäftigten, an das
Lager zahlen mußten, wurde von 2 Kcs auf 10 Kcs für jeden Arbeitstag
erhöht.
Zigaretten und Süßigkeiten konnten im Lager gekauft werden.
Da mich der Arzt nach meiner Erkrankung an Gelenksrheumatismus als
minderarbeitsfähig
erklärt hatte, wurde ich nach meiner Aburteilung nur zu leichterer Arbeit eingesetzt. Im
März 1947 wurde ich dann als Fachkraft für die Liquidationsarbeiten bei den zu
liquidierenden deutschen Banken angefordert; ich arbeitete dort bis zu meiner Aussiedlung.
Auch
als Fachkraft erhielt ich aber für jeden Arbeitstag außer der Lagerverpflegung weiter
nur 10 Kcs als Entlohnung. Das Lager aber hob für mich einen höheren Arbeitslohn
ein als sonst. Etwa im März 1947 erhielten wir zufällig Kenntnis von einer
Verfügung des Innenministers von Ende Dezember 1946, nach welcher "während
der Zeit der vorübergehenden Einstellung der Transporte" eine Aussiedlung über
Taus und Furth i. Walde zwecks Zusammenführung getrennter Familien erfolgen
könne. Da meine älteste Tochter schon seit November 1945 in der Nähe
von Detmold-Lippe untergebracht war, bemühte ich mich auch um die Aussiedlung
über Taus. Aber immer wieder wurde ich, selbst als ich Arbeitsplätze nachwies,
unter Hinweis auf meine mit mir 5 Köpfe starke "geschlossene" Familie
zurückgestellt, da nur von ihren Familien getrennte Ehegatten, Kinder oder Eltern
dafür in Betracht kämen. So verging das ganze Jahr 1947.
Schon im Dezember 1947 wurden die Verhältnisse im Lager wieder schlechter und
strenger. Ausgang gab es an Sonntagen nur noch ganz selten. Selbst zu Weihnachten durften die
Familien nur an einem Tage und nur wenige Stunden besucht werden. Auf der Straße
deutsch zu sprechen war nicht mehr ratsam. Noch schlimmer wurde es Ende Februar 1948, als
die
Kommunisten die gesamte Regierungsgewalt an sich gerissen hatten. Die in einzelnen Betrieben
noch als unersetzbare Fachkräfte beschäftigten Deutschen mußten entlassen
werden. Deutsch sprechen wurde nun gefährlich. Das Lager durften wir fast nur noch zur
Arbeit verlassen. Ein Englischkurs, den Lagerinsassen als Lehrer und Schüler abhielten u.
zw. in
den Abend- und Ruhestunden, wurde nun verboten.
Die Volksgerichte wurden wieder errichtet und erhielten den Auftrag, alle
Volksgerichtsfälle zu überprüfen. Deutsche, die 1947 nach 1½
bis 2-jähriger Untersuchungshaft ohne Einleitung eines Strafverfahrens aus der Haft
entlassen worden waren, wurden wieder verhaftet und nun bestenfalls zur Mindeststrafe von 5
Jahren verurteilt. Die Milderungsbestimmungen des § 16 wurden bei Deutschen
grundsätzlich nicht mehr angewendet. Auch früher freigesprochene Deutsche
wurden
nochmals verhaftet und im erneuerten Verfahren zu langjährigen Kerkerstrafen verurteilt.
Selbst schon Verurteilte kamen nochmals vor das nun kommunistische Volksgericht, das das
Strafausmaß regelmäßig erhöhte. Noch vor meiner Aussiedlung sind
mir
außer einem Urteil über einen früher nicht angeklagten Deutschen zu 5
Jahren
zwei weitere Urteile bekannt geworden. In dem einen Falle wurde die längst
abgebüßte Strafe von 18 Monaten auf 15 Jahre erhöht, in dem anderen Falle
die frühere Strafe von 10 Jahren auf 20 Jahre. Diese 3 Urteile fällte das erneuerte
Volksgericht in Reichenberg am 19. Mai 1948. Die Urteile standen im "Stráz
severu".
Aber nicht nur Deutsche waren so von neuen Gefahren bedroht, sondern auch Tschechen und
besonders Angehörige von Mischehen. Anwälte, die Deutsche in
Volksgerichtsverfahren wirksam verteidigt hatten, wurden alle als unzuverlässig vom
Anwaltsberufe ausgeschlossen, tschechische Entlastungszeugen in Untersuchung gezogen.
In diesem Zeitpunkte wurde zuerst den Lagerinsassen und dann allen noch vorhandenen
Sudetendeutschen die Möglichkeit bekanntgegeben, sich auf eigene Kosten aussiedeln zu
lassen. An Transportkosten bis zur Grenze wurden von jedem Lagerinsassen 1000 Kcs und von
jedem anderen Sudetendeutschen 1500 Kcs verlangt. Nach Bekanntwerden der ersten Urteile der
neuen Volksgerichte trachteten alle, so rasch als möglich dieser Hölle zu
entfliehen.
Ich mußte nun für mich, meine Frau, zwei Töchter (eine war
Lagerangehörige, aber bei einem Bauer eingesetzt) und den dreijährigen Enkel
6500
Kcs Transportkosten aufbringen. Freunde halfen mir; allein hätte ich es nicht schaffen
können. Vom ersten Transport wurde ich aber nochmals zurückgestellt. Doch schon
dem nächsten Transport wurden wir zugeteilt; unser Gepäck wurde verzollt und am
Nachmittag des 26. Mai 1948 bestiegen wir mit 51 anderen Sudetendeutschen das Lastauto; auf
einem zweiten und den beiden Anhängern wurde unser Gepäck untergebracht. Wir
fuhren über Prag, Karlsbad und Asch an die Grenze, die wir am Vormittag des 27. Mai
nach erfolgter Zollrevision des Handgepäcks überschritten.
Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen
Überlebende kommen zu Wort
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