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Prag
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Bericht Nr. 61
Prag, Vorgänge in den
Monaten Mai-Juni 1945
Berichter: Dipl.-Physiker K. F. Bericht vom 27. 12. 1946
5. 5. 45. Nach einem Anruf von Prof.
Gudden, der uns aufforderte, das Phys. Institut auf keinen
Fall zu verteidigen (wir hatten außer drei Pistolen auch keine Waffen), kamen bewaffnete
Zivilisten ins Haus und suchten nach Waffen. Es blieb uns gerade noch Zeit, die Pistolen
notdürftig zu verstecken. Nachdem sie wieder fort waren, versteckten wir die Pistolen
gründlicher, denn abgeben wollten wir sie auf keinen Fall. Auch sämtliche
Uniformen wurden verräumt. Aus den verwirrenden Meldungen des Prager Rundfunks
war
kein klares Bild der Lage zu entnehmen.
Nach einer Stunde wurden wir auf
das Polizei-Revier in der Karlshofer Kirche gebracht und verhört. Während des
Verhörs setzte ein Tiefangriff von Flugzeugen mit Bomben und Bordwaffen ein, da
überließ man uns in der Kirche unserem Schicksal. Nachher forderte uns die
reguläre Polizei auf,
zum Czernin-Palais zu gehen, wo die deutschen Regierungsstellen seien. Wir sollten jedoch
einzeln gehen.
Wir holten unsere wichtigsten Sachen und als ich mit Frl. Tiedke (meiner Assistentin) vom
Institut wegging, begann es schon zu dämmern. Die Schießerei hatte fast
aufgehört. Wir kamen kaum 11 m weit bis zur Appolinariusgasse, wo uns der
nächste "Partisan" festnahm und in die psychiatrische Klinik führte, die
anscheinend
ein Hauptquartier war. Bei der Untersuchung wurden uns die wertvollsten Gegenstände
abgenommen und dann wies man uns ein Zimmer in der Krankenabteilung zu. Die Gesellschaft
war ja nicht sehr angenehm, aber man hatte seine Ruhe.
Am 6. und 7. Mai änderte sich nichts an unserer Lage. Dr. Sturm, ein Bekannter, kam
gelegentlich auf "Visite" und erzählte, was vorging.
Die Kämpfe spielten sich in unmittelbarer Nähe, kaum 11 m entfernt ab, doch die
sehnsüchtig erwartete Befreiung kam nicht.
Am 8. 5. ließen die Kämpfe nach und das Haus lag lediglich unter Artilleriefeuer.
An
diesem Tage steckte man mich mit 4 anderen Männern in eine Zelle im Keller. Die
Verpflegung und Behandlung war aber immer noch gut.
Am 9. 5. vormittags sprachen die Posten schon davon, daß die Russen in der Stadt
wären und es gab verschiedentlich sehr lange Gesichter bei den Posten. Um etwa 11 Uhr
trat die entscheidende Wendung in unserer Lage ein. Da fiel die Maske, das Individuum
verschwand und es herrschte nun die Masse.
Von der Gasse drangen Partisanen ein und trieben etwa 30 Mann mit Kolbenstößen
in die Weinberggasse vor das math. Institut zum Barrikadenräumen. Die erste war schnell
beseitigt und dann ging es an die zweite bei der Einmündung der Weinberggasse in die
Lindengasse. Diese war äußerst stabil gebaut mit Pflastersteinen, Erde, Balken,
Eisenstangen usw. Bald hatte sich eine gaffende Menge versammelt und es fehlte auch nicht an
Antreibern. Was sich dort in den Nachmittagsstunden des 9. 5. abspielte, das spottet jeder
Beschreibung! Die menschliche Vorstellungswelt hat keine Begriffe dafür.
Nach der ersten Stunde waren wir alle blutüberströmt von den Schlägen auf
Kopf und Hals, die mit allem Greifbaren geführt wurden, mit Schaufeln, Eisenstangen,
Zaunlatten, Bleirohren usw.
Der Rausch steigerte sich mit dem Anblick des Blutes. Dabei mußte man ständig
arbeiten und durfte nicht eine Sekunde aussetzen, wollte man nicht vollends erschlagen
werden.
Unter uns befand sich eine 70-jährige Frau, die Aufräumerin des mathem. Institutes
(ihr schor man den Kopf kahl), der einarmige Pförtner des mathem. Institutes und auch
mehrere Krankenschwestern. Bald zog man uns die Schuhe aus und jagte uns barfuß
über die Glasscherben.
Als in der Nähe zwei Schüsse fielen, trieb man uns als Kugelfang die Straße
entlang. Es gab wohl keinen unter uns, der sich nicht einen raschen Tod gewünscht
hätte.
Als man die Schützen nicht fand, vermutlich waren es eigene Leute, die mit den Waffen
nicht umgehen konnten, ließ man uns erst auf Scherben exerzieren und trieb uns dann
wieder zur Arbeit zurück, wo es genau so weiterging.
Nichts zeigt wohl deutlicher den Sadismus als folgender Vorfall: Als mir ein Partisan die Pistole
auf die Brust setzte und ich ihn aufforderte zu schießen, grinste er bloß und trieb
mich
mit den Worten: "To by slo moc rychle" (das ginge allzu schnell) wieder zur Arbeit.
Als es finster wurde, konnten wir uns schon kaum mehr auf den Beinen halten, wir gingen lange
schon nur mehr tief gebückt, weil die Kraft zum Aufrichten fehlte. Als sich der Haufen
verlaufen hatte, forderten uns drei Polizisten auf, aufzuhören. Wir fielen auf der Stelle um
wie Säcke. Als ich um mich sah, merkte ich erst, daß von den 30 Mann nur noch 4
am Leben waren. Die anderen waren erschlagen und weggeschleppt worden.
Die drei Polizisten schafften uns zunächst hinter die Gartenmauer der Psych. Klinik und
gaben uns dort etwas Wasser und Reis, wobei sie sich dauernd ängstlich umsahen, um ja
nicht von "Partisanen" dabei ertappt zu werden. So hungrig wir waren, vor Mattigkeit brachten
wir keinen Bissen hinunter.
Ein paar Minuten später lud man uns, so wie wir waren, auf ein Lastauto und brachte uns
in die Stefansgasse 22, in das ehemalige deutsche Realgymnasium. Alle unsere Sachen, die noch
in der Psych. Klinik waren, blieben zurück und wir haben nie mehr ein Stück davon
gesehen. So standen wir da, barfuß, dreckig, zerschlagen und dem Umfallen näher
als
dem Stehen. Aber an ein Setzen war beileibe nicht zu denken, denn jetzt war der Pöbel
wieder tonangebend und die Episode mit den 3 Polizisten war nur eine kurze Atempause
gewesen.
In einem Nebenhaus der Turnhalle ließ man uns noch Stunden mit erhobenen Armen an
der
Wand stehen, bis einer nach dem anderen umfiel. Jetzt ging es aber erst richtig los. Man schaffte
uns in die Gerätekammer neben der Turnhalle zu den "Gestapáci". Die halbe
Nacht
jagte
uns ein schon heiserer Kerl herum. Wir waren etwa 50 Mann. Gegenseitiges Ohrfeigen wurde
befohlen und da es nicht nach ihrem Geschmack ausfiel, auch kräftig vorgemacht. Als ich
wieder umkippte, hielt man mir ein brennendes Zündholz so lange an die Zehen, bis ich
wieder zu mir kam und aufstehen mußte. Beim zweiten Male ließ man mich etwas
länger liegen, dann trat mir einer auf der Nase herum und als ich darauf nicht mehr
reagierte, ließ man mich liegen. Viele, die sich nur ein wenig zu wehren versuchten,
wurden
erschossen.
In dieser Nacht und am kommenden Vormittag wurde Frl. Tiedke mit mehreren Frauen zweimal
durch den Raum geführt, von da ab sah ich sie nicht mehr wieder.
Der Vormittag des 10. 5. 45 verlief ruhig. Ich versuchte einen Glassplitter aus meiner rechten
Zehe herauszuziehen, aber er saß zu tief und kam erst zwei Monate später heraus.
Bis
dahin spürte ich ihn bei jedem Tritt.
Der Nachmittag des 10. 5. brachte mir das vielleicht grausigste
Erlebnis dieser Tage. Es kam ein
Trupp Bewaffneter herein und suchte sich die 6 jüngsten und kräftigsten
Männer aus, darunter war auch ich. Nachdem diese Leute unserer Bewachung
versprochen
hatten, sie würden uns nach Möglichkeit lebendig wiederbringen, führten sie
uns auf den Wenzelsplatz. Dieser war gesteckt voll mit einer grölenden Menge und man
mußte uns erst eine Gasse frei machen. Ich hätte nie gedacht, daß ein
Menschenanlitz so zur Fratze werden kann, denn wie geifernde Hunde reckten sie uns mit
gefletschten Zähnen die Köpfe entgegen, als sie uns anspieen und anbrüllten.
Mit aller Gewalt und entsicherten Pistolen mußte unsere Bewachung diese Wesen
(Menschen kann ich nicht sagen) von uns fernhalten. So kamen wir zur Einmündung der
Wassergasse und sahen unsere Aufgabe: An der großen Reklametafel an dieser Ecke
hingen
drei nackte Leichen, an den Füßen aufgehängt und mit Benzin verbrannt. Die
Gesichter bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt, die Zähne restlos herausgeschlagen,
der Mund nur ein blutiges Loch. Die gekochte Haut klebte uns an den Händen, so
mußten wir sie in die Stefangasse tragen und schleifen, als wir nicht mehr tragen konnten.
Ein Passant wollte unseren Zug fotografieren, wurde gesehen und halb erschlagen.
Als wir die Toten abgelegt hatten, zwang man uns, sie auf den Mund zu küssen mit den
Worten: "To jsou prece vasí bratrí ted' je políbejte!" (Das sind Eure
Brüder,
so küßt sie). Ich höre diese Worte noch wie heute. Was half da aller Ekel, das
Leben ist einem doch lieber und so preßten wir die zusammengepreßten Lippen in
die
blutige Lache, die den Mund darstellte. Noch heute spüre ich die eiskalten Köpfe in
meinen Händen.
Ich hatte mir kaum das Blut aus dem Gesicht gewaschen und mich instinktiv in die hinterste
Ecke
verkrochen, da kam auch unsere Begleitmannschaft von vordem in den Saal und suchte uns 6
wieder zusammen; irgendwie war mir nun plötzlich klar, was nun kommen mußte.
Wir hatten zu viel gesehen, viel zu viel, um weiterleben zu dürfen. Nur Tote konnten
schweigen.
So trieb man uns mit Fußtritten und Kolbenstößen zusammen und stellte uns
in
der Mitte des Saales auf. Unter größten Mißhandlungen wurde jeder nach
Name und Beruf gefragt und dann hieß es nur kurz: "Do sklepa smrtí!" (In den
Todeskeller). Bald darauf fanden wir uns in einem Kellerraum wieder, der also anscheinend
diesen vielsagenden Namen Todeskeller führte. Da über den endgültigen
Ausgang dieser Aktion bei uns kein Zweifel bestand, hatten wir nur den einen Wunsch, es
möchte schnell gehen. Das lag aber durchaus nicht in der Absicht unserer "Richter".
Die Wachen des Hauses waren anscheinend solcher Schauspiele schon überdrüssig
und so brachten sie irgend einen "Partisanen" von der Straße herein, der seine
diesbezüglichen Gelüste noch nicht gestillt hatte. Es begann dies, was wir alle oft
mitangesehen und auch für uns befürchtet hatten. Das langsame, sadistische zu
Tode
foltern, das Hineinsteigern in einen an Wahnsinn grenzenden Blutrausch. Blut wollte man sehen,
Blut, nur Blut, und seinen Opfern das Leben stückweise aus dem zuckenden Körper
reißen ... !
Der Erste in unsrer Reihe war erledigt und lag in seinem Blute am Boden, der Zweite kam an die
Reihe, ich wäre der Vierte gewesen. Als auch schon der Zweite am Boden lag, ging die
Türe auf und es kam ein Tscheche herein, der etwas intelligenter aussah und, dem
Benehmen der Wachen nach zu schließen, auch etwas zu sagen hatte. Wie ich später
erfuhr, war es ein Neffe des Ministers Stránský. Er fragte, wer wir seien und
nach
langem Zögern und Überlegen ließ er mich und
noch einen 17-jährigen Hitlerjungen aus dem Raum führen, weil wir die einzigen
waren, die tschechisch sprechen und ihm die Lage klar machen konnten.
Als wir am Posten vorübergingen, meinte dieser grinsend, wir wären die ersten, die
lebendig aus diesem Keller herauskämen. Die anderen blieben zurück. Was mit
ihnen geschah, wissen wir nicht. Wir haben sie auch nie mehr gesehen.
Es war inzwischen dämmerig geworden, wir wurden nach oben geführt und
konnten
uns noch unsere Habseligkeiten aus der Gerätekammer von "Gestapáci" holen.
Für mich war es nur eine herrenlose Decke, die ich mir dort angeeignet hatte. Ungern ging
ich in diesen Raum zurück und war froh, als ich das Schreien der Geschlagenen wieder
hinter mir hatte. Es "ergötzten" sich nämlich gerade wieder einige Partisanen in der
Gerätekammer.
Man brachte uns zunächst zu einem Verhör und anschließend in ein
Klassenzimmer im vierten Stock. In den engen Raum waren etwa 60 Menschen
hineingepreßt, sodaß nicht einmal alle Platz zum Liegen hatten. Ich fand noch einen
schmalen Streifen zwischen der Wand und den Bänken und rollte mich dort am
Fußboden in meine Decke. Nach den seelischen Anspannungen der letzten Stunden war
mir
meine Umgebung völlig gleichgültig, ich wollte nur Ruhe; dieser Zustand dauerte
etwa
eine Woche. - Erst allmählich begann ich mich dafür zu interessieren, ob und wo
man sich waschen könne und erst auf Drängen der anwesenden Frauen versuchte
ich
nach einer Woche eine Möglichkeit zum Rasieren aufzutreiben. Mir erschien alles so
sinnlos und unbedeutend, gemessen an dem Geschehenen. Erst als einige Tage vergingen, ohne
daß ringsum Menschen wie wertloses Ungeziefer umgebracht wurden, kam die Hoffnung
allmählich wieder, daß man diese Hölle doch noch lebend
überstehen würde. - Doch wie sah unsere Umgebung aus! Alle Klassenzimmer
waren vollgestopft mit Menschen: Frauen, Kinder, Greise, Männer, alles durcheinander,
dabei fehlten fast alle sanitären Anlagen. Die Folge war, daß nach kurzer Zeit viele
verlaust waren und dann von den Anderen wie Aussätzige behandelt wurden. Die
Verpflegung spottete jeder Beschreibung.
Wir bekamen am Morgen 1-2 Scheiben Brot und eine Schale Kaffee, zu Mittag eine Schale
Wassersuppe und abends wieder etwas Kaffee. So ging es wochenlang weiter und wir waren
bald
völlig entkräftet.
Alle Maßnahmen waren völlig willkürlich und änderten sich
sprunghaft.
Wir waren restlos der Willkür der jeweiligen "Machthaber" ausgeliefert, besonders die
Frauen. Man rief sie zu Verhören und zwang sie, sich völlig auszuziehen.
Nach etwa 14 Tagen wurde ein Kollege aus dem physikalischen Institut dort ebenfalls
eingeliefert,
der ganz ahnungslos von Brüx nach Prag gekommen war. Wir blieben von da ab
zusammen
bis zu meiner Flucht. Von "Arbeitseinsätzen" hielt ich mich auf Grund meiner
Erfahrungen
fern; nur einmal kam ich nicht mehr herum. Zum Glück ging es in eine unbelebte
Straße und ich konnte dabei meinen Besitzstand sogar um einen Brotbeutel vermehren. An
Schuhwerk hatte ich von einem Toten ein Paar Sandalen geerbt, Strümpfe hatte ich immer
noch keine.
Nach drei Wochen führte man uns, etwa 100 Personen, in die Leihamtsgasse, wo wir
wieder in einer Schule untergebracht wurden. Die Verpflegung und Behandlung wurde dort
wieder bedeutend schlechter. Zur Begrüßung legte man uns eine Leiche vor die
Füße mit der Bemerkung, daß es jedem so ergehen würde, der
versuchen
sollte, irgendeinen Wertgegenstand zu verstecken. Man nahm uns daraufhin alles ab (auch
Eheringe), was irgendwie von Wert war.
Eine allgemeine Entkräftung war bald so weit vorgeschritten, daß wir nur mehr
liegen konnten und zum Aufstehen einige Minuten brauchten, infolge Blutleere im Kopf.
Aber auch das wäre noch auszuhalten gewesen, wenn nicht die unerträgliche
Ungewißheit gewesen wäre, ob man nicht im nächsten Augenblick einem
"Partisanen" als Objekt zur Befriedigung seiner Gelüste dienen muß.
Es hatte sich nämlich so eingebürgert, daß jeder, der einen Menschen
quälen oder töten wollte, von der Straße hereinkam und sich ein Opfer
aussuchte. In unser Zimmer kam jeden Tag so ein Wüstling und mißhandelte immer
denselben auf die scheußlichste Art. Sein Sadismus kannte keine Grenzen. Er gab seinem
Opfer zunächst nach langen Mißhandlungen die gesicherte Pistole in die Hand,
angeblich mit einer Patrone geladen und forderte es auf, sich zu erschießen. Der Mann
nahm das auch ernst, weil er darin den einzigen Ausweg sah, setzte sich die Pistole an den Kopf
und wollte abdrücken. Da sie gesichert war, ging es nicht. Der Kerl ging daraufhin
und entsicherte mit einem Ausdruck des Bedauerns die Pistole, er hätte es vergessen. Nun
noch einmal dasselbe Schauspiel, sie ging wieder nicht los, weil sie garnicht geladen war. Das
ganze wurde nur inszeniert, um sein Opfer
zu quälen. - Einer der so Gefolterten stürzte sich aus dem 3. Stock in den Hof und
war sofort tot. Das ging so fort eine ganze Woche. Den letzten Tag bekamen wir
überhaupt
nichts mehr zu essen und in der Nacht wurden so viele Leute in einen Raum
zusammengepfercht,
daß die Meisten stehen mußten. Bei geschlossen Türen und Fenstern
mußten wir so die Nacht zubringen!
Am nächsten Vormittag, es war etwa der 29. Mai, wurden wir im Hof aufgestellt, etwa
800
Personen, und wieder endlos untersucht, obwohl nichts mehr heraus zu holen war. Ohne Essen
ging es mittags bei glühender Hitze in einem Elendszug zum Moldauerbahnhof.
Unterwegs
ereignete sich kein Zwischenfall, nur beim Eingang wurde der Letzte, der eine alte Frau
führte, auf Verlangen des Pöbels von einem Polizisten erschossen. Man verlud uns
auf
offene Kohlenwaggons, 60 bis 70 Mann auf einen Wagen und ließ uns in der prallen
Sonne
ohne Wasser und Verpflegung stehen bis zum Abend. Russen holten sich in dieser Zeit noch
alles,
was ihnen begehrenswert erschien.
Am Abend wurden wir an einen Personenzug angehängt und an der Fahrtrichtung stellten
wir bald mit Erleichterung fest, daß es nordwärts ging und nicht ostwärts, wie
wir alle befürchtet hatten. In Melnik wurden wir abgehängt und blieben über
Nacht in den Waggons. Am nächsten Morgen, dem 3. Tag ohne Verpflegung, fuhr man
uns
an die Verladerampe, stellte uns schön in Reihen auf und der Sklavenmarkt konnte
beginnen. Aus der Umgebung waren Bauern teils zufuß, teils mit Leiterwagen gekommen
und suchten sich nun die "geeignete" Ware aus.
Ich kam mit meinem Kollegen zu einem Trupp von etwa 8 Männern und 11 Frauen, die
für das Dorf Lhotka bestimmt waren, das etwa 7 km südöstlich von Melnik,
in unmittelbarer Nähe des Funkturms, lag. Wir waren zunächst gemeinsam in
einem
Gutshof auf dem Heuboden untergebracht. Das Erste war, daß wir uns in einem kleinen
Wasserlauf abwuschen. Dabei bemerkten wir erst, wie uns überall die Knochen
herausstanden. Das erste Essen, das ich zu mir nahm, bekam mir sehr schlecht, denn ich
mußte gleich erbrechen und den ganzen Tag liegen. Nur allmählich konnte man den
Magen durch kleine Bissen wieder an Nahrungsaufnahme gewöhnen.
Da jede Nacht die Russen kamen und die Frauen vergewaltigten, wurde bald jeder bei dem
Bauern untergebracht, bei welchem er arbeitete. Die Verpflegung war gut und auch über
die
Behandlung konnte sich keiner beklagen. Ich bekam einen Strohsack auf dem
Schüttboden
und vom Bauern ein Paar Schuhe zur Arbeit.
Ich hatte mit meinem Kollegen vereinbart, daß wir einmal gemeinsam fliehen wollten. Da
nach meiner Flucht den Anderen bestimmt die Gelegenheit dazu genommen werden
würde,
schlich ich mich nach Verlassen meines Hofes durch das Dorf zu ihm. Stundenlang lag ich im
Straßengraben und hinter dem Misthaufen und dann kroch ich über den Hof. Es
ging
alles gut und ich weckte ihn. Da ihm aber die Sache zu gefährlich schien, wollte er eine
Flucht nicht wagen. Er gab mir noch ein halbes Kilo Brot und dann verließ ich auf
demselben Weg mühsam den Hof. Aus dem Straßengraben nahm ich meinen
Brotsack auf, den ich dort zurückgelassen hatte, da er mich beim Schleichen hinderte,
verstaute das Brot darin, meinen einzigen Proviant, und verließ durch einen Hohlweg das
Dorf in
Richtung Funkturm-Melnik, als sich im Osten schon ein heller Streifen am Horizont zeigte.
Dokumente zur Austreibung der Sudetendeutschen
Überlebende kommen zu Wort
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