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Nachwort
Wenn ich jetzt abschließend meine Darstellung über die politische Justiz unserer
bewegten Zeit, die für mich ein besonderes persönliches Erlebnis war, betrachte,
stelle ich mir nochmals die Frage, ob es, wenn man die Befriedung wünscht, richtig ist,
ein
derart delikates Problem anzurühren, das in unserer ressentimentgeladenen Zeit sicherlich
noch nicht ohne Leidenschaft erörtert werden kann, weil eben die meisten Zeitgenossen,
so
oder so, unter politischer Justiz gelitten haben oder an ihrer Fortsetzung interessiert sind.
Es wird sicher viele geben, die der Meinung sind, daß wir heute noch nicht den
nötigen Abstand haben, um die krisenhaften Ereignisse, deren Zeugen oder Opfer wir
gewesen sind, richtig beurteilen zu können. Man versteht daher auch diejenigen, die
meinen, daß es besser sei, noch zu schweigen und keine Erinnerungen zu wecken, die
geeignet sind, die Menschheit noch mehr auseinanderzubringen. Diese Einstellung, die für
die Beteiligten natürlich die bequemste ist und letzten Endes auf
den Ohne-mich-Standpunkt hinausläuft, ist dann nicht berechtigt, wenn es sich um
Probleme handelt, die gelöst werden müssen, zu denen also diejenigen, die um die
Vorkommnisse wissen, nicht schweigen dürfen, ganz gleichgültig, ob ihre
Darstellung Gefallen findet oder nicht. Auch der Arzt, der Heilung bringen will, darf nicht davor
zurückschrecken, daß er Schmerzen verursacht.
Vor diese Frage werden alle gestellt, die sich mit der Lösung der Zeitprobleme befassen.
Sie ist besonders delikat bei der Erörterung der Kriegsverbrecherprozesse und des
Greuelkomplexes, die so leicht zu leidenschaftlichen Anklagen führen kann. Mit dieser
Frage beginnt der Franzose Henri Frenay seinen oben erwähnten Artikel. Er sagt: "In
dieser Situation sind zwei Haltungen möglich: Man kann schweigen, in der Hoffnung,
daß sich mit der Zeit der Schleier des Vergessens über das Bewußtsein breiten
wird, oder man kann im Gegensatz dazu die heikelsten psychologischen Probleme aufgreifen,
um sie vor der
Öffentlichkeit schonungslos, aber möglichst sachlich zu behandeln. Ist dann der
Abszeß geöffnet, so kann man auf Heilung hoffen. Diese letztere Methode haben
wir gewählt, um das heikelste Problem, das der Kriegsverbrecher, zu behandeln. Wir
haben es im vollen Bewußtsein der Schwierigkeiten und des Wagnisses der Aufgabe
getan. Gerade, weil sie schwierig und gefährlich ist, haben wir sie für wichtig
erachtet. Gerade weil dieses Problem in der augenblicklichen politischen Situation dazu angetan
ist, die Atmosphäre zu vergiften, die wir doch schaffen müssen, wenn wir eine
europäische Föderation aufbauen wollen."
In diesem Sinne habe auch ich die Aufgabe aufgefaßt, die ich mir bei der Behandlung der
Frage der politischen Justiz gestellt habe. Ich gehöre auch zu denen, die unter dem
Phänomen der politischen Justiz gelitten haben. Ich teile dieses Los mit vielen anderen.
Ich
möchte aber insoweit meine persönlichen Erlebnisse nicht herausstellen. Ich denke
daran ohne Bitterkeit und habe mich bemüht, meine Berufserlebnisse nicht zuliebe oder
zuleid eines Regimes zu schildern, sondern so, wie sie mir in der Erinnerung vor Augen stehen.
Man wird mir vielleicht vorwerfen, daß in meiner Darstellung die Prozesse des
Nationalsozialismus einen zu breiten Raum einnehmen. Aber es ist nun einmal so, daß
für unsere Generation der Nationalsozialismus das Erlebnis gewesen ist, mit dem wir uns
gerade auch bei dem Thema der politischen Justiz immer wieder auseinandersetzen
müssen.
Ob mir das hinreichend gelungen ist, ob überhaupt Menschen solche Dinge ganz frei von
Ressentiments behandeln können, vermag ich nicht zu sagen. Mögen andere sich zu
dem gleichem Problem äußern. Dann wird meine Arbeit eine Anregung und ein
Beitrag gewesen sein, von dem ich hoffe, daß er der Lösung des Problems dienlich
gewesen ist.
Wir beschließen unsere Internet-Veröffentlichung dieses Buches Politische
Justiz, die Krankheit unserer Zeit mit einer Frage, die sich jeder Leser selbst
beantworten kann: Wie
hat sich nun in den ca. 50 Jahren seit dem Erscheinen dieses Buches die Politisierung der Justiz
in Deutschland weiterentwickelt, wenn es in den noch immer
andauernden politisch-historisch
begründeten Verfahren neulich sogar möglich ist, Entlastungsbeweise pauschal
abzulehnen, Verteidiger so gut wie gar nicht zu Wort kommen zu lassen, einen Angeklagten
(Udo Walendy) sogar "für das, was er nicht gesagt/geschrieben hat" ins
Gefängnis zu schicken, oder einen anderen (Günter Deckert) für ein
Lächeln zu zusätzlichen Jahren Haft zu verurteilen?
Daß das vorliegende Buch seit 1998 in Deutschland auf dem
Index steht, spricht ja allein schon Bände...
Scriptorium, im Juni 2002.
Politische Justiz: die Krankheit unserer Zeit
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