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Der Hexenkessel
der tschechischen Innenpolitik

Die tschechische Innenpolitik in dieser Zeit wurde in der Hauptsache von den tschechischen Politikern Dr. Benesch, T. G. Masaryk, Dr. Kramař, Klofač, Gaida, Jan Švehla und dem Slowakenführer Andrä Hlinka repräsentiert.

Dr. Benesch, der 20 Jahre lang um den Traum des tschechischen Nationalstaates kämpfte, war kurz nach der Gründung der Č.S.R. Ministerpräsident, um dann fast zwei Jahrzehnte lang Außenminister zu sein. Daß er als [64] Nachfolger Masaryks Präsident der Č.S.R. wurde, verdankte er groteskerweise den Stimmen der Deutschen. Sein Name war im Inland wohlbekannt, aber seine Persönlichkeit fremd. Es zeigte sich bei offiziellen Anlässen, daß er das Tschechische mit einem fremden Akzent sprach, ebenso wie er Deutsch, Englisch und Französisch zwar fließend, aber mit allzu deutlichem Zungenschlag der Slawen beherrschte. Seine Reden, immer gelesen, hatten etwas Kaltes, Konstruiertes, Papierenes. Er war bekannt, aber er war in der Č.S.R. nicht populär und beim Volk nicht beliebt.

Auch T. G. Masaryk war kein Redner und seine Aussprache verriet, daß das Tschechische nicht seine Muttersprache war. Bevor er seine Professur an der Prager Universität annahm, schrieb er seiner Mutter, er wäre im Zweifel, ob er, der Dozent an der Wiener Universität, in der Lage sein werde, den sprachlichen Forderungen der Tschechen zu genügen. Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, zu wissen, daß Masaryk eine Reihe deutscher Gedichte geschrieben hat.

Dr. Kramař, der Repräsentant des Bürgertums, fühlte sich bis 1917 zur "slawischen Mutter Rußland" so hingezogen, daß er in der Vereinigung aller Slawen unter der Führung des Zaren die größte Chance seines Volkes sah. Die bolschewistische Revolution 1917 zerbrach sein idealistisches politisches Konzept, aber er blieb dennoch jahrelang der Führer der bürgerlichen nationalen Opposition gegen Benesch, dem er politisch unterlegen war.

Klofač, der Gründer der tschechisch-nationalsozialistischen Partei, der Benesch angehörte, spielte nur im Schatten Beneschs sozusagen als Nestor seine Rolle.

Gaida, das Haupt der tschechischen Faschisten, stolperte von Prozeß zu Prozeß und er konnte hauptsächlich wegen seiner ungeklärten Machenschaften während des Zuges seiner Legionäre durch Rußland, bei dem sie sich während der roten Revolution die tiefste Verachtung und den Haß der Bolschewiken und der Weißrussen gleichermaßen erworben hatten, keine Anhänger gewinnen. Der ständige Verrat der tschechischen Legionäre, die auf ihrem Rückzug nach Wladiwostok bald die Weißen und [65] bald die Roten verrieten, je nach der Höhe der Summen und der Vorteile, die sich ihnen boten, und dabei rücksichtslos das sibirische Land ausplünderten und die scheußlichsten Bestialitäten begingen, warfen ihre Schatten über den ehrgeizigen Mann und verdarben ihm sein ganzes Leben lang jede Chance. Er war genau so bedeutungslos wie bis 1945 die tschechischen Kommunisten, die erst beim rollenden Kanonendonner der einbrechenden Roten Armee zum Leben erwachten.

Der einzige tschechische Politiker, der ohne Illusionen die bedeutendste und konstruktivste Gestalt der älteren tschechischen politischen Generation war und für sein Volk viel zu früh starb, ist der Agrarier Jan Švehla gewesen. Sein Grundsatz: "Ja pán, ty pán" (wörtlich: ich Herr, Du Herr), also Gleichberechtigung der Partner, hätte unter seiner Führung einen gerechten Ausgleich zwischen den Völkern der Č.S.R. möglich gemacht und die dynamisch-nationalen Spannungen beseitigt.

Den Slowaken war der Priester Andrä Hlinka als Führer erstanden, dem sein Volk tiefste Verehrung entgegenbrachte und der in seiner slowakischen Volkspartei die einzige Vertretung seines Volkes und die energische Gegnerschaft gegen den Prager tschechischen Zentralismus bildete.

Benesch fühlte selbst, auf welch unsicheren Füßen das von ihm so mühsam konstruierte Staatengebilde stand, und versuchte im Inland durch einen besonders rigorosen Kurs gegen die nationalen Minderheiten die Zügel fest anzuziehen und im Ausland durch eine überaus geschickte und intensive Propaganda, besonders in London, Paris und Moskau, die Stimmung für die Č.S.R. hochzuhalten. Er gab riesige Summen besonders für die politische Propaganda im Westen aus und wurde deshalb wiederholt innerhalb der Č.S.R. stark angefeindet, weil es sich herausstellte, daß die von ihm gekauften Publizisten nur so lange in seinem Sinne schrieben, als die Gelder aus Prag flossen. Stockten sie, schrieben sie ihre eigene Meinung.

Dabei gelang es Benesch trotz aller Bemühungen nicht, eine tatsächliche feste Rückendeckung zu erringen. Als 1938 die nationalen Probleme akut wurden, stand die [66] Č.S.R. ohne außenpolitische und militärische Stütze da. Die militärischen Kräfte der gut ausgerüsteten tschechischen Armee waren allerdings nicht zu unterschätzen. Ein tief gestaffelter Verteidigungsgürtel umgab Böhmen und Mähren. Für die Armee selbst wurden Unsummen ausgegeben. Bereits Mitte der 20er Jahre hatte der Generalstäbler Stanislaw Jester unter dem Titel: "Sind wir vorbereitet?" eine Broschüre erscheinen lassen, die Emanuel Morawec schrieb und die auf die Aufgaben des tschechoslowakischen Militärs im Ernstfalle hinwies.

Die innenpolitischen Verhältnisse aber hatten sich durch den brutalen Herrschaftsanspruch der Tschechen über alle anderen Minderheiten nur verschärft. Die tschechoslowakischen Innenpolitiker standen in der Stunde der größten Gefahr vor einer Fülle Probleme, die sie durch 20 Jahre nicht gelöst hatten und von denen jedes nun in verstärktem Maße auftrat und seine Erfüllung forderte.

Seinerzeit war der Č.S.R. von den Großen der Schutz der Minderheiten zur Pflicht gemacht worden. Dieser Schutz der Minderheiten aber hätte die tschechoslowakische Republik in einen föderativen Nationalitätenstaat verwandelt und dem alten Traum Beneschs von einem tschechischen Nationalstaat ein rasches Ende bereitet. Daher kam der tschechoslowakische Staat seinen Minderheitsverpflichtungen gegen die Deutschen ebensowenig nach, wie gegen die Ungarn, Slowaken oder Polen.



 


Wir haben Euch gejagt,
wir werden Euch wieder jagen!

Die Sudetendeutschen protestierten beim Völkerbund. Ihre durch Senator Medinger vorgelegten Proteste hatten keinen Erfolg. Je stärker aber die nationalen Minderheiten wurden, desto stärker wurden sie in nationalen sowie wirtschaftlichen Belangen bedrängt. Die tschechische Staatsführung versuchte alles, um durch eine Politik der harten Hand am Ruder zu bleiben.

Als die Sudetendeutsche Partei, die damals keinesfalls faschistisch oder nationalsozialistisch war - Henlein [67] war bekanntlich mehrere Male in London und hielt dort Vorträge vor politisch interessierten Kreisen, lange bevor er nach Deutschland reiste - immer stärker wurde und schließlich nicht nur als die stärkste deutsche Partei, sondern auch die stärkste Partei des Staates wurde, hätte sie nach demokratischer Gepflogenheit einen ihrer Parlamentarier zur Regierung entsenden müssen.

Damit aber war der tschechische Nationalstaat ad absurdum geführt und die Tschechen erklärten, eine Regierungsteilnahme der Deutschen käme unter keinen Umständen in Frage. Die tschechisch-nationalsozialistische Abgeordnete Zeminova erklärte sogar vor aller Öffentlichkeit im Parlament gegen die deutschen Parlamentarier gewandt: "Wir haben Euch gejagt und wir werden Euch wieder jagen!"

Man versuchte im Gegenteil im Verlauf der ganzen Entwicklung die deutschen Gebiete, man nannte sie tschechischerseits die "verdeutschten" Gebiete, mit tschechischen Kolonisten zu durchsetzen. Zunächst verlegte man nur tschechische Bahn- und Postangestellte, Beamte der Staatsbehörden in die deutschen Gebiete, schuf für deren Kinder Schulen, um damit Posten für tschechische Lehrer in rein deutschen Gebieten zu gewinnen. Da die Zahl der Schüler meist gering war, wurden Kinder ärmerer deutscher Bevölkerungsschichten in die tschechischen Schulen durch Bereitstellung von Bekleidung und ähnlichem gelockt. Deutsche Staatsbeamte hatten zu wählen, ob sie ihre Kinder in die tschechische Schule schicken oder ihre Posten verlieren wollten. Diesen ersten Pionieren des tschechischen Staates folgten dann die Krämer und die Handwerker. Innerhalb weniger Jahre besaßen viele deutsche Städte eine tschechische Minderheit, die wirtschaftlich fundiert war, während sich unter den Deutschen eine immer größere Arbeitslosigkeit ausbreitete.

Bei Vergebung von Staatsstellen und Staatsaufträgen gelang es den Deutschen nicht, berücksichtigt zu werden und je vergeblicher die Bemühungen blieben, desto größer wurde die Verbitterung der Deutschen und ihre erklärbare Unverläßlichkeit als Minderheit in der Č.S.R.



 
[68]
Beneschs vergebliche Hoffnungen

Benesch wußte sehr wohl um die Unzulänglichkeiten der von ihm geführten Č.S.R. und versuchte durch seine besonders gepflegten Beziehungen mit dem Westen die Garantie für die Existenz seines leidenschaftlich erkämpften Staates zu sichern. Besonders Frankreich, das er immer das "bestgerüstete Land der Welt" nannte, sah er als sichersten Garanten für den status quo an.

England, wo der Sohn Masaryks, Jan, jahrelang Gesandter war und dabei keinesfalls wegen seiner nonchalanten Art viele Freunde gewann, spielte eine weit geringere Rolle in den Kombinationen der Tschechen.

Die Beziehungen zu Rußland, das bis zu dessen Auftreten in Genf an Europa völlig desinteressiert schien, verstärkten sich langsam, ohne jedoch fürs Erste zu einem greifbaren Ergebnis zu kommen. Moskau griff bekanntlich in die Krise 1938 nicht ein und anerkannte sogar offiziell Hitlers Protektorat über Böhmen und Mähren und unterhielt bis zum Ausbruch des deutsch-russischen Krieges 1941 ein sowjetisches Generalkonsulat mit einer Handelsmission in Prag bei der Protektoratsregierung.

Die Annahme Beneschs war, daß der Westen, der die Tschechen in ihrer Unnachgiebigkeit gegenüber den Minderheiten unterstützte, die Tschechen auch im Kampfe gegen Deutschland, Polen und Ungarn, auch im Ernstfalle unterstützen würde. Benesch dachte, nach zahlreichen Äußerungen aus der Zeit vor der Krise 1938, daß die Č.S.R. den ersten Stoß der Deutschen auszuhalten hätte, solange, bis Frankreich die deutschen Befestigungen im Westen überrannt und zu den Č.S.R.-Streitkräften gestoßen sein würde.

Nach dem deutschen Einmarsch in Österreich verlor aber die tschechische Politik jede Handelsfreiheit. Trotzdem vermied sie, gestützt auf die Ermunterung der Westmächte, jede Konzession gegenüber den nationalen Minderheiten, obwohl die Č.S.R. bereits praktisch von drei Seiten - von Deutschland, Polen und Ungarn - eingeschlossen war.



 
[69]
Die Tschechen blamieren Benesch

Ein schwerer Schlag für Benesch und seine Regierung war gerade in dieser so heißen psychologischen Situation die Entsendung des englischen Beobachters Lord Runciman im Sommer 1938 nach Prag. Die schlechte Disziplin der Tschechen - ein Herr seiner Begleitung wurde sogar einmal insultiert - machte einen so üblen Eindruck auf die Engländer, daß sie bei ihrer Abreise den Tschechen empfahlen, sie mögen die Forderungen der Sudetendeutschen erfüllen.

Benesch nahm die Entscheidung von München an, mobilisierte und trat zurück. Er wich der Wut der Prager Bevölkerung, die den einäugigen General Sirovy an die Spitze der Regierung rief.

Benesch floh in die zweite Emigration, um dort auf seine neue Chance zu warten.

Die Haltung seines tschechischen Volkes enttäuschte ihn tief. Das tschechische Volk schien sich mit der Entwicklung abgefunden zu haben und bereit zu sein, von den nicht gerade ärmlichen Brosamen, die vom Tische der damals reichen Deutschen abfielen, zu leben und zu profitieren. Die Lage, in der sich die tschechischen Extrempolitiker um Benesch in den Jahren 1938 bis 1945 in der Emigration befanden, war nicht sehr beneidenswert. Die Westmächte wieder warteten vergebens auf eine revolutionäre Reaktion der geknechteten Tschechen, die es sich in der deutschen Kollaboration gut gehen ließen. Die Russen aber sprachen unverhüllt von der traurigen Rolle der tschechischen Legion im Bürgerkrieg und hielten mit ihrer Verachtung nicht hinter dem Berg.

Benesch hatte zu dieser Zeit bei seinem Volk allen Kredit verloren. Man warf ihm vor, er hätte das Unglück von 1938 durch die Fehler seiner Politik heraufbeschworen und sich dann in Sicherheit gebracht. Benesch erkannte klar, daß nur mit Radikalismus das verlorene Vertrauen des eigenen Volkes und der Alliierten gewonnen werden konnte.

In dieser verzweifelten Situation entschloß man sich, vom berühmten Secret Service die kleine Saboteurgruppe [70] ausbilden zu lassen, die mit ihrer verhängnisvollen Tat, der Ermordung Heydrichs, tatsächlich vorübergehend die Profitgemeinschaft der Hitlerschen Kriegsindustrie mit dem tschechischen Volke etwas störte.

Wenn die Reaktion der deutschen Polizeistellen nicht derart rigoros gewesen wäre und wahllos Schuldige und Unschuldige bestraft hätte, wäre die Wirkung noch schwächer gewesen, als sie tatsächlich war. Hier haben die verantwortlichen deutschen Stellen genau das getan, was Benesch und sein Kreis so sehnsüchtig erwartet hatten.

Nach der Katastrophe von Lidice allerdings geschah bis zum Herannahen der Roten Armee nichts, d. h. nichts, was die deutsche Kriegsproduktion oder die deutsche Kriegsmaschinerie nur irgendwie ernstlich gestört hätte.


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