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Der spanische Erbfolgekrieg   [Scriptorium merkt an: 1701–1714]

Obgleich Spanien von seiner Höhe im 16. Jahrhundert längst heruntergestiegen war, verfügte es beim Aussterben seines habsburgischen Herrschergeschlechts noch immer über eine ansehnliche Macht. Ihm gehörte Neapel, Mailand, Sizilien, Belgien, ein reicher Kolonialbesitz im Osten und in Amerika. Im Interesse des eigenen Volkes lag, daß es sich in dieser Stellung behauptete und mit allen Nebenländern vereinigt blieb. Mit kluger Voraussicht hatte schon Karl V. vor anderthalb Jahrhunderten die Niederlande und Oberitalien vom deutschen Reiche losgelöst und nicht dem neuen Kaiser, sondern seinem Sohn, König Philipp von Spanien, hinterlassen. Denn ohne die niederländischen Geldmittel hätte dieser nicht die bewährten spanischen Truppen unterhalten und der mächtigste Fürst des Abendlandes bleiben können. Seitdem waren freilich die nördlichen Niederlande und die großen weltpolitischen Ziele Karls V. und Philipps II. verloren gegangen. Aber gerade wegen zunehmender Schwäche bedurfte Spanien der Hilfsquellen aus seinen Nebenländern, um nicht zu einem Staate untergeordneten Ranges herabzusinken.

Mit den einheimischen spanischen Bedürfnissen kreuzten sich jedoch die Wünsche der europäischen Großmächte. Ludwig XIV. und Kaiser Leopold waren die nächsten Anwärter. Beide begehrten zwar nichts für sich und ihre unmittelbaren Thronerben, sondern Ludwig schob seinen nachgeborenen Enkel Philipp, Leopold seinen zweiten Sohn Karl vor. Aber auch im 16. Jahrhundert waren die österreichischen und spanischen Staaten der Habsburger lange Zeit getrennt verwaltet worden und doch ihr kirchliches wie politisches Übergewicht stark gewesen. [22] Erst recht bedrohlich schien die Gefahr, daß der Versailler Hof, welcher schon jetzt die Selbständigkeit des Abendlandes unsicher machte, noch den Haupteinfluß in Spanien und allen seinen zugehörigen Gebieten erlangte.

Leopold und Ludwig hatten früh erkannt, daß sie entweder sich vertragen oder kämpfen mußten. Ihr Kräfteunterschied war nicht groß genug, um das Ringen zum leichten Spiel, den Ausgang halbwegs gewiß zu machen. Außerdem hatte der schließliche Sieger die Eifersucht der Neutralen, besonders Hollands und Englands, zu erwarten. Diese riskierten alle Kolonial- und Handelserfolge des letzten Jahrhunderts, wenn der ganze spanische Besitz unter das gemeinsame Zepter eines Habsburgers oder Bourbonen kam.

Deshalb hatten der Kaiser wie Ludwig XIV. immer wieder daran gedacht, nach Karls II. Tode die spanischen Gebiete zu teilen, so oft sie einen gewaltigen Krieg zu vermeiden und sich zu vertragen wünschten. Seit 1664 war darüber viel verhandelt worden. Aber es waren stets drei Schwierigkeiten begegnet. Einmal wollte niemand endgültig und ehrlich verzichten, sondern jeder kam auf seine Gesamtansprüche zurück, sobald er mit einer ihm günstigen europäischen Lage rechnete. Zweitens widerstrebte die Stimmung des Erblassers und Landes allen Teilungsplänen so entschieden, daß sie nicht übersehen werden konnte. Wenn also die Anwärter König Karls Zustimmung haben wollten, konnten sie diese nur für einen Gesamtanspruch, nicht für einzelne Erbteile gewinnen. Drittens war eine Teilung leichter grundsätzlich beabsichtigt als wirklich ausgeführt. Die Nebenbuhler wie die Draußenstehenden hegten da verschiedenartige Bedürfnisse.

Ludwig XIV. hatte es hauptsächlich auf die spanischen Niederlande abgesehen. Sie besaßen zu Frankreich alte kulturelle und wirtschaftliche Beziehungen und hätten seine Stellung am Kanal, an der westlichen Nordsee und gegen den Niederrhein hin befestigt. Holland wäre jedem französischen Angriff offen gelegen und zu keiner selbständigen Politik mehr fähig gewesen; denn es hatte gegen Süden keine strategische Grenze. Dazu kam der noch immer beträchtliche Reichtum Flanderns und Brabants. Die Geldnot, welche den Franzosen wiederholt ihre Waffen aus der Hand genommen hatte, wäre gemildert, [23] Ludwigs Ehrgeiz neu angestachelt worden. Neben Belgien war aus der spanischen Erbschaft für die Franzosen Oberitalien besonders wichtig. Sie hätten den südlichen Fuß der Alpen gewonnen. Von zwei Seiten konnten sie dann die Habsburger leicht angreifen. Galten doch Süddeutschland und Oberitalien längst als Gebiete, in denen Habsburger und Bourbonen wetteiferten!

Aber gerade diese begehrtesten Stücke aus der spanischen Beute wurden den Franzosen am heftigsten umstritten. Schon während des niederländischen Aufstandes hatte die englische Königin Elisabeth den Holländern gegen die spanische Krone geholfen. Ihre Staatsmänner hatten erkannt, daß die flandrische Küste nicht im ruhigen Besitze der größten abendländischen Militärmacht bleiben durfte. Noch weniger als mit dem entfernten Spanien konnten sie eine Vereinigung Belgiens mit dem unmittelbar angrenzenden Frankreich zugeben, zumal seit dem 16. Jahrhundert die britische Seemacht und deren Handelsinteressen viel gewaltiger und empfindlicher geworden waren. Ebenso war für Holland die Vereitelung der französischen Gelüste auf Belgien eine Lebensfrage. Kaiser Leopold verlangte für sich die Lombardei nicht so entschieden wie König Ludwig. Aber wenn er sie allenfalls einem neutralen Mitbewerber überlassen hätte, niemals hätte er sie gutwillig in französischen Händen geduldet. Lieber noch gab er die Pyrenäenhalbinsel und die spanischen Kolonien preis.

Wären diese Hindernisse nicht unüberwindlich gewesen, der Wunsch, sich zu verständigen, war nach dem Rijswijker Frieden allseitig vorhanden. England und Holland sehnten sich nach ruhiger Entwicklung; Frankreich war hart mitgenommen, Ludwig XIV. näherte sich dem Greisenalter; der Kaiser, an sich kein tatkräftiger Mann, hatte jahrelang im Osten und Westen kämpfen müssen. Wie gern sich namentlich die französische Krone verglichen hätte, bewies ihr Teilungsvertrag mit den Seemächten vom März 1700. Nach ihm hätte sie sich mit Neapel, Sizilien, Sardinien und dem endgültigen Besitze Lothringens, also den für sie verhältnismäßig gleichgültigsten Stücken, begnügt, den Habsburgern Spanien, Belgien und die Kolonien überlassen, nur um dem blutigen Zusammenstoß auszuweichen. Die Lombardei sollte an den seines Landes beraubten Herzog von Lothringen fallen.

[24] Aber auch diesmal wurde der heißeste Friedenswunsch durch die Gewalt der Tatsachen erstickt. Der Kaiser hätte durch den Vertrag Italien verloren. Von den ihm zugestandenen Ländern aus wäre niemals ein kräftiger Angriff gegen Frankreich möglich gewesen. Vor allem aber verkündigte Karl II. von Spanien, sobald er das Abkommen erfuhr, sofort in feierlichster Form, daß er den Enkel Ludwigs XIV. zum Gesamterben bestimmt habe. Die französische Krone hätte also entweder den Vertrag mit den Seemächten erfüllen oder das Erbrecht ihres Enkels mit dem Schwerte verteidigen müssen. Dabei hatte sie im zweiten Falle nicht einmal schlechte Aussichten. Die österreichischen Finanzen waren trostlos, die dortige Bevölkerung gründlich kriegsüberdrüssig, die polnischen, schwedischen und ungarischen Verhältnisse aufs äußerste zugespitzt und zur Vorsicht mahnend. Auch ein weniger ehrgeiziger Fürst als Ludwig XIV. hätte sich unter solchen Umständen schwer entschlossen, einen guten Rechtstitel aufzugeben und seine Schwäche einzugestehen.

Ungern überzeugten sich seine Gegner, daß ihr ganzes wirtschaftliches und politisches Dasein gefährdet und der Krieg unvermeidlich war. Leopold I. wie Wilhelm von Oranien hatten Widerstände im eigenen Lager zu überwinden. Schließlich steckte der Vertrag vom 7. September 1701 ihre Kriegsziele ab. Die Seemächte England und Holland verlangten die Handelsfreiheit im Mittelmeer und mit beiden Indien, der Kaiser die wenigstens teilweise Erfüllung seiner Ansprüche; Holland wollte außerdem die "Barriere" schützen, welche bisher die spanischen Niederlande zwischen Frankreich und Holland gebildet hatten. Belgien, Mailand, Neapel, Sizilien und die spanischen Inseln im Mittelmeer fielen an den Kaiser. Die Seemächte behielten sich "zum Besten von Schiffahrt und Handel ihrer Untertanen die Gebiete und Städte beider Indien" vor, "welche sie erobern würden". Frankreich und Spanien sollten niemals vereinigt werden. Zwischen den Zeilen war zu lesen, daß die Verbündeten in Spanien Ludwigs Enkel stillschweigend dulden würden.

Leopold hatte weit mehr gefordert, sich aber schließlich begnügt, weil die ihm fest zugesagten Gebiete Mindestziele sein sollten.

[25] England und Holland hätten auch jetzt noch den Krieg gern vermieden. Ihre maßgebenden Staatsmänner überwanden den einheimischen Widerstand nur, wenn sie bis zur äußersten Grenze ihrer Friedensbereitschaft gingen. Aber mochten sie Ludwig XIV. auch eine längere Überlegungsfrist geben, an den Bedingungen selbst konnten sie nicht viel ändern.

Nach Kriegsausbruch brauchten sich die Verbündeten nicht mehr auf so bescheidene Ansprüche zu beschränken. Bei ihren großen Erfolgen hielten sie für nötig, daß ihr Gegner überall zurückgedrängt wurde. Nachdem Erzherzog Karl mit holländischer und englischer Hilfe in Spanien gelandet, kämpfte Ludwig XIV. nicht mehr um die dortige Erbschaft, sondern um die Unversehrtheit seines eigenen Staatsgebietes. Der Gedanke an die Rückgabe aller französischen Eroberungen seit dem Westfälischen Frieden, besonders Straßburgs und des Elsasses, wurde laut. 1705 verlangte der Wiener Hof sogar die lothringischen Stifter Metz, Toul und Verdun sowie die Freigrafschaft zurück. Ganz so weit gingen die Verbündeten nicht; aber auch sie forderten Straßburg, alle durch die Reunionen gewonnenen französischen Bezirke und Rechte, das im Kriege von den Franzosen wiedereroberte Breisach mit allen Festungswerken und Kriegsmaterialien, die Beschränkung der elsässischen Landvogteirechte auf ihr ursprüngliches Maß und selbstverständlich den unbedingten Verzicht auf alle spanischen Erbstücke.

Ludwig XIV. war 1709 so mürbe, um die meisten Wünsche zu erfüllen. Wenn damals Friede geschlossen worden wäre, hätte seine Regierung ohne jeden französischen Gebietszuwachs geendigt; das Deutsche Reich wäre im Westen durch die tiefe Erschöpfung der Franzosen wesentlich besser als beim Westfälischen Frieden dagestanden. Allein Mißtrauen und Siegesgewißheit verleiteten die Verbündeten, den Bogen zu überspannen. Während der Bourbone Philipp aus Spanien vertrieben und Erzherzog Karl nach Madrid geführt wurde, erholte sich vielleicht inzwischen das französische Heer wieder. Da schien es vorsichtiger, die sofortige Herausgabe Straßburgs und der belgischen Festungen als Bürgschaft andauernder Friedensbereitschaft zu verlangen und Philipps Vertreibung aus Spanien durch französische Waffen besorgen zu lassen. Die erste Forderung hätte Frankreich [26] wehrlos gemacht, aber nicht einmal das Kriegsende gewährleistet; die zweite verletzte das Ehr- und Familiengefühl des Königs. Dieser wagte lieber das Letzte.

Zwei unerwartete Glücksfälle kamen ihm zu Hilfe. Plötzlich starb Leopolds ältester Sohn Josef und als letzter Habsburger blieb nur noch der Erbanwärter auf die spanische Krone, der neue Kaiser Karl VI., übrig. Er hätte die Universalmonarchie Karls V. wiederhergestellt, den deutschen, italienischen, belgischen, spanischen und kolonialen Hausbesitz vereinigt. Die Seemächte hätten also durch die Friedensbedingungen von 1709 gerade das bewirkt, was sie durch den Krieg hatten vereiteln wollen. Eine bourbonische Sekundogenitur in Madrid war ihnen, zumal nach den großen französischen Kräfteverlusten, immer noch das geringere Übel. Ferner vollzog sich in England ein großer Umschwung und stürzte diejenige Partei, welche an der Kriegsverlängerung geschäftliches Interesse besaß. Zugleich brach auch in Holland die Friedenssehnsucht durch.

Die Seemächte kamen jetzt ohne Rücksicht auf den Kaiser den französischen Wünschen entgegen. Philipps Herrschaft über Spanien und beide Indien nahmen sie grundsätzlich an und verhandelten nur noch über die Sicherheiten für dauernde Trennung der spanischen und französischen Krone. Heftig wurde auf dem Utrechter Kongreß (1712) die bayrische Frage umstritten. Der dortige Kurfürst Max Emanuel war während des Kriegs Bundesgenosse Ludwigs XIV. gewesen, hatte wechselvolle Schicksale erlebt und war zwischen stolzen Hoffnungen und düsteren Zukunftsaussichten hin- und hergeschleudert worden. Da er weniger partikularistische als dynastische Interessen besaß, war es ihm nicht um das Wohl seines Stammlandes, sondern um eine vornehme und gute Ausstattung seines Hauses, möglichst um eine Königskrone zu tun. Anderseits war in Wien die alte Abneigung gegen einen starken bayrischen Nachbarstaat wieder erwacht. Wenn er nicht ganz österreichisch werden konnte, ließ er sich vielleicht zerstückeln und teilweise erwerben. Max Emanuel wäre dafür beim Gewinn Belgiens und Siziliens zu haben gewesen. Aber Holland wollte den Bundesgenossen Ludwigs nicht in seiner Nähe. Belgien fiel an Karl VI., freilich mit dem lästigen Barrierevertrag, durch welchen Holland das Recht [27] erhielt, bei einem Kriege mit Frankreich verschiedene belgische Festungen zu besetzen und Belgien nicht zum strategischen Aufmarschgebiet gegen die eigene Heimat werden zu lassen. England verlangte Sizilien für seinen Schützling, den Herzog von Savoyen. In Mailand, Neapel und Sardinien zog Karl VI. als Herr ein. Die deutsche Frage kümmerte die Seemächte nicht mehr, seit sie ihre Interessen erfüllt sahen und keine Kampfgenossen mehr brauchten. Im Gegenteil erleichterten sie den Abschluß des Utrechter Friedens (1713), wenn sie Ludwig XIV. alle in Rijswijk errungenen Vorteile, namentlich Straßburg, ließen.

Kaiser und Reich fühlten sich verraten und versuchten den Krieg allein fortzusetzen. Doch außer den Seemächten versagten auch die norddeutschen Staaten, voran Hannover und Preußen. Die Frieden von Rastatt und Baden, zu denen sich 1714 erst Karl VI. und dann das Reich bequemte, verschlechterten deshalb eher noch die deutsche Lage. Die Franzosen hatten inzwischen Landau und Freiburg erobert. Der Kaiser, welchen vor allem seine Familienbedürfnisse kümmerten, stellte seine italienischen Ansprüche an die Spitze. In Deutschland durfte nur Freiburg nicht französisch bleiben. Landau, das den Habsburgern nicht gehört hatte, gab er preis.

So hatte der spanische Erbfolgekrieg äußerlich für Deutschland ohne große Ergebnisse geendigt. Aber er war trotzdem nicht umsonst geführt worden. Die französische Krone war zwar besser weggekommen, als sie selbst es noch wenige Jahre zuvor erwartet hatte. Doch ihre Eroberungskraft war gebrochen. Auch stammte vom spanischen Erbfolgekriege die völlige Zerrüttung der französischen Finanzen, welche der Revolution den Weg ebnete. Für Deutschland bedeutete daher trotz der elsässischen Enttäuschung der Rastatter und Badener Friede eine fühlbare Erleichterung.






Deutschlands Friedensschlüsse seit 1555:
Ihre Beweggründe und ihre geschichtliche Bedeutung

Professor Dr. Gustav Wolf