Der ekle Wurm der deutschen Zwietracht Politische Probleme rund um den 20. Juli 1944 Friedrich Lenz 3. Die drei Hauptgruppen der Gegner Hitlers Bevor ich nun in die Darstellung dieser "Beiträge" eintrete, will ich die verschiedenen Gruppen der Gegner Hitlers aufzeigen und zwar unterscheide ich drei Hauptgruppen:
I. Die Gruppe der natürlichen Gegner, welche aus weltanschaulichen Gründen Gegner der nationalsozialistischen Idee und damit Hitlers waren. Das waren sämtliche Marxisten, welche sich vom Marxismus weder lösen wollten noch konnten. Bei den Kommunisten blieb ein größerer Prozentsatz der Anhänger treu als bei den Sozialdemokraten, bei denen in der Hauptsache die entthronten Funktionäre Gegner blieben, die breite Masse der Anhänger aber zu Hitler überlief. Aus der Mitte der Parteien stellten in der Hauptsache die unentwegten "Weimarer" das Kontingent der Gegner, unterstützt aus Kreisen sämtlicher Konfessionen, welche sich vom Nationalsozialismus bedroht fühlten. Ein großer Bestandteil rekrutierte sich aus Kreisen der "Reaktion" des Adels, der Großlandwirtschaft und der Großindustrie. Im allgemeinen waren es die früheren "Machthaber". Hitler hat anscheinend Machiavelli doch nicht genau gelesen, sonst hätte er nicht erst 1944 erkennen müssen, daß kein Machthaber seiner Herrschaft sicher sei, solange die am Leben sind, denen sie genommen wurde. Womit ich aber keinesfalls sagen will, daß er sie hätte - leiblich - umbringen sollen. Diese Hauptgruppe war durch nichts aus ihrer Gegnerschaft zu lösen, mochte Hitler noch so große Erfolge haben. Er störte ihre Interessen. Sie sahen alles durch ihre Brille und beurteilten alle Maßnahmen nach folgendem Beispiel: "Die KDF-Schiffe sind nichts anderes als Truppentransporter, welche für die Eroberung der friedlichen Welt ausersehen sind und nur deswegen zu KDF-Fahrten benutzt werden, damit sie keinen Seetang ansetzen."8 Ihre grundsätzliche Einstellung gegen Hitler war so stur, daß sie, wenn er ihr Einkommen - die Pensionen etwa, die sie meist weiterbekamen - verzehnfacht hätte, sich darüber aufgeregt hätten, wie er ihnen die brutale Zumutung stellen könne, soviel Geld zu zählen und zu verbrauchen.
II. Die zweite Gruppe rekrutierte sich aus jenen Bevölkerungskreisen, welche dem neuen System teils wohlwollend, teils abwartend gegenüber standen, dann im Laufe der Zeit von Hitler selbst oder einem seiner Untergebenen bei irgendeinem, meist lächerlichen Anlaß "auf den Schlips getreten" oder nicht genügend beachtet wurden und dadurch sich zur Gegnerschaft entschlossen, ohne aber darauf Rücksicht zu nehmen, ob dieses "auf den Schlips treten" im Interesse der großen Staatsziele nach dem Motto: "Wo gehobelt wird, fallen Späne" - berechtigt war oder nicht. Wenn man sich heute überlegt, was die Mehrheit des deutschen Volkes seitens seiner Sieger und Regierenden seit 1945 alles über sich ergehen lassen mußte, so muß man erschüttert sein, wegen welcher Kleinigkeiten sich Menschen in eine tödliche Gegnerschaft zu einem vom ganzen Volke getragenen Regierungssystem drängen ließen. Meistens waren die Motive verletzte Eitelkeit, egoistische Interessen, kleinliche Rache und sonstige niedrige Bosheiten. Es ist interessant, wenn man diese Gründe der Gegnerschaft wie einen roten Faden bei den meisten maßgebenden Feinden Hitlers aus der umfangreichen Literatur feststellen kann.9 "Sie legten ihre Rache auf Eis", wie sich so treffend einer ausdrückte, der von übereifrigen SA-Leuten angeblich zu Unrecht verprügelt worden war und sich dann in die Rolle des Hauptspions der prosowjetischen Spionageorganisation "Rote Kapelle" drängen ließ und als solcher den Tod hunderttausender deutscher Soldaten verschuldete. Oder man lese nach, wie Herr Kempner zum Hauptankläger des deutschen Volkes in Nürnberg "wurde". Da lobe ich mir den Generalobersten v. Fritsch, der sich mit der Entschuldigung Hitlers vor den Generälen für das ihm angetane Unrecht und die Rehabilitierung durch die Ernennung zum Chef eines Regimentes wenigstens äußerlich begnügte und einen anständigen Soldatentod starb. Man hörte von ihm auch nicht, daß er sich aktiv an gegnerischen Aktionen beteiligte.10 III. Die dritte Gruppe umfaßt alle jene, welche im Grunde wohlwollend dem neuen System gegenüberstanden, im Laufe der Zeit aber an Maßnahmen Anstoß nahmen, deren wirkliche Bedeutung im Verhältnis des Weltgeschehens sie mangels realistischer Auffassungsgabe nicht richtig einschätzen konnten, und sich aus humanitären Gründen über Vorgänge entsetzten, welche entweder tatsächlich zu verurteilen waren, oder nur vom Gesichtspunkt revolutionärer Beurteilung aus verstanden werden konnten. Dazu gehören die Aktion des 30. Juni 1934,11 die Behandlung der Juden oder der politisierenden Pfarrer, die Konzentrationslager, die Bekämpfung der Widerständler und Partisanen während des Krieges, usw. Meist aber sind die Anhänger dieser Gruppe erst durch die Feindpropaganda oder die Hetze der ersten zwei Gruppen im Laufe der Zeit zur Gegnerschaft verführt worden.12 Es ist tragisch, daß der Hauptattentäter des 20. Juli, der Oberst Graf von Stauffenberg - einer der wenigen, der überhaupt bereit war, für seine Tat notfalls auch sein Leben zu wagen und deswegen einen gewissen Respekt verdient - einer jener Offiziere war, welche von ihren Vorgesetzten gemaßregelt wurden, weil sie im Überschwang der Begeisterung den Fackelzug am 30. Januar 1933 mitgemacht hatten. Die Tragödie zeigt sich besonders beim Freunde Stauffenbergs, dem Hauptmann Klausing, der in der Verhandlung vor dem Volksgerichtshof zu Freisler mannhaft sagte: "Ich bin im vollen Bewußtsein meiner Verantwortlichkeit an den Versuchen, Hitler zu beseitigen, beteiligt gewesen. Jetzt freilich, wo ich weiß, wer die Köpfe dieses Putsches waren und seine voraussichtlichen Nutznießer gewesen wären, bin ich mir klar, daß er zu keinem guten Ende hätte führen können, und daß ich der falschen Seite gedient habe." Ich halte es an dieser Stelle für zweckmäßig, zwei klare summarische Beurteilungen der Gegner Hitlers durch maßgebliche Anhänger der Widerstandsbewegung wiederzugeben.
H. B. Gisevius in Bis zum bitteren Ende: "Kommunisten, Sozialdemokraten, Liberale,
Konservative und Christen zogen sämtlich ihre eigenen Schlußfolgerungen aus
Vergangenheit und Gegenwart. Einig waren sie meistens nur im Negativen, der
Nationalsozialismus sollte verschwinden. Kürzer meinte Emil Henk im obenerwähnten Beitrag zum 20. Juli: "Im ganzen war dieser Kreis um Goerdeler ein bunt durcheinander gewürfeltes Sammelsurium, ohne einheitliches Programm und ohne feste politische Idee. Es waren im Grunde alles politische Einzelgänger, ohne greifbare Massenbasis. Einheitlich war unter ihnen die Gegnerschaft zu Hitler!" Diese beiden "Selbstbildnisse" möchte ich durch eine Beurteilung ergänzen, die Hans Richard Sprenger in Heft 9/II Nation Europa in wahrhaft klassischer Weise über die Gegner Hitlers abgab: "Der zweifellos fachlich hochgebildete Generalstäbler Beck saß seit Beginn des Krieges vor seinen Operationskarten und wartete in kaltem Haß darauf, mit seinem erlernten Kriegswissen gegen den Außenseiter Hitler Recht zu bekommen - daß es einmal einen Außenseiter Cromwell gegeben hatte, vergaß er dabei völlig. Der Theologe Bonhoeffer betete während des Krieges zu seinem dogmatisch festumrissenen Gott für die Niederlage seines Volkes - die nichts anderes zur Folge haben konnte als brutalste Gottlosigkeit. Stauffenberg ging ans Werk - ohne eine auch nur ahnbare Vorstellung von dem zu haben, was nach einem Gelingen eigentlich aus Deutschland werden sollte. Der fromme Offizier und Jurist von Schlabrendorff erdachte sich einen Unrechtsstaat zur Rechtfertigung der Bombenlegung - ohne sich verpflichtet zu fühlen, heute gegen das Siegerunrecht zu kämpfen. Zu ihnen gesellten sich alle jene kleinen, aber an intellektuellen Einflußquellen stehenden Nichts-als-Katholiken, Nichts-als-Protestanten, Nichts-als-Gewerkschaftler, Nichts-als-Wissenschaftler, die allesamt ihre ruhevolle Selbstgenügsamkeit bedroht sahen und deshalb wohl auch wirklich geglaubt haben mögen, 'alles' zu retten, indem sie alles zu Grunde richten halfen.
Diese schwächlichen Sprossen der alten Führungsschicht haben 1924 über
den
lächerlichen Splitterparteiführer Hitler gespöttelt, haben 1930 in ihm den
willkommenen 'Trommler' gesehen, über dessen Rücken man selber an die
Machtposition zu kriechen hoffte, haben sich 1933 vor ihm verkrochen oder in der Erwartung an
ihn gedrängt, daß er bescheiden zurücktreten und den wahrhaft Gebildeten
das
Feld überlassen werde, haben sich dann jahrelang mit der bestimmten, logisch
unwiderleglichen Erwartung seines alsbaldigen Schiffsbruches getröstet, haben ihn 1934
widerwillig gelobt, da er die Wehrmacht aus dem Boden stampfte und sie in die alten
Sättel
setzte, und haben ihn verflucht, da er die erkämpfte politische Führung nicht aus
der
Hand gab. Dieser Intellektualismus hat 'alles kommen sehen': Hitlers schnelles Versagen, den
raschen Zusammenbruch der 'hirnverbrannten Idee' einer Beseitigung des Versailler Unrechts,
die
todsichere Pleite - nur, was dann folgen mußte, das sahen sie seltsamerweise nicht.
Sie hatten keinen Anteil an der Beseitigung der Arbeitslosigkeit, an der Eingliederung des
Arbeiters in die Nation, an der Rettung des Bauerntums, an der Säuberung des kulturellen
Lebens, an der Wiedergeltendmachung eines
deutschen Wertgefüges - sie standen immer daneben und immer dagegen, von einem Tag
zum anderen den Zusammenbruch dieses Baues erhoffend, der doch der Führungsschicht
jeden Raum bot. Sie sahen nicht, daß der Masse der Herzschlag der Nation gegeben
wurde,
sahen nicht, wie Millionen aus Dumpfheit und Selbstverlorenheit zu freudiger Lebensbejahung
und zum Bewußtsein ihres Selbst fanden, spürten nicht, wie verschüttete
Brunnen zu sprudeln begannen, und wollten nicht erkennen, daß eine Welle echter
Gläubigkeit die deutschen Menschen erfaßte. Alles, was da geschah, paßte
nicht
zu den Formeln und Lehrsätzen, aus denen dieser Intellektualismus sich nährte; in
seinen geistreichen Gedankenspielen hatte das Neue
keinen Raum - also mußte es vom Satan sein. - Und so fanden die Träger dieser
Abart
von Geistigkeit in der verständnislosen Ablehnung, in ohnmächtigem Haß
zueinander, bildeten ihre Kreise, flüchteten sich aus der tätigen Welt, die da
erstand,
und suchten Trost in der Hoffnung auf die Rückkehr früherer Zeiten, beteten zu
Gott,
daß er Morgenthau und Stalin, dem Dollar und der marxistischen Weltrevolution den Sieg
geben möge, und schickten ihre Sendboten aus, um sich bei den
Todfeinden ihres Volkes anzubiedern."
Anmerkungen 8Da lobe ich mir die Amerikaner, welche gleich sagen, daß ihr neuer Luxusdampfer, der das Blaue Band errang, jederzeit in einen Truppentransporter umgewandelt werden könne. ...zurück... 9Aus einem Brief, den Herr von Hassel am 18. 4. 1938 an Göring richtete, ergibt sich nach T. R. Emessen (Dokumente aus Görings Schreibtisch), "aus welchen Erlebnissen Hassel die Konsequenzen zog, als er zu den Gegnern des Naziregimes überging. Dieser Mann gehörte zu den Teilnehmern und Opfern des 20. Juli 1944. Aber sein Brief vom 18. 4. 1938 gibt uns die bittere Erkenntnis, daß enttäuschter Ehrgeiz, nicht aber Überzeugung diesen Mann dem Nazismus entfremdet hat. Hassel steht damit nicht allein unter den Verschwörern des 20. Juli." ...zurück... 10Ich empfehle allen Lesern, welche bisher nur die verzerrten Darstellungen über die Fritsch-Krise, darunter auch die des Generals a. D. Foertsch (II. Veröffentl. d. Inst. für Zeitgesch.) kannten, den interessanten Beitrag zu studieren, den Generaladmiral a. D. Boehm zu diesem Thema in Heft 4/II Nation Europa leistete und womit nicht nur das Verhalten der Generale, sondern auch Hitlers in dieser Angelegenheit gerechtfertigt wird. ...zurück... 11Die Ausschaltung der SA. [Anm. d. Scriptorium] ...zurück... 12Die Verführung erfolgte unter Anwendung aller schändlichen Mittel wie Lügen, Verleumdungen und Erpressungen. So hielt man einem Mann, der Kenntnis vom Landesverrat der Herren Oster und Dr. Müller erlangte, davon ab, dies seiner Dienststelle zu melden, indem man diese als Patrioten und Hitler als Verbrecher hinstellte, weil er den Angriff deutscher Flieger auf Freiburg befohlen habe, was unzutreffend war, aber bei dem betr. Manne im Hinblick auf die Stellung Osters nicht ohne Eindruck blieb. Man schickte einflußreichen Leuten harmlos erscheinende Denkschriften zu, welche sie eigentlich wegen ihres Inhalts hätten der oberen Führung überreichen müssen, dies aber in Unkenntnis oder Kameradschaftlichkeit unterließen, um dann unter Hinweis auf diese Versäumnis auf die Verschwörerseite gezwungen zu werden. ...zurück...
13Dieser Haß ist bei allen maßgeblichen
Mitgliedern der Verschwörung nachzuweisen bis zu jenem Anlaß, der ihn gebar. Er
verdrängte jede Möglichkeit zu gerechter Beurteilung oder gar
verantwortungsvollen
Entschlüssen. ...zurück... |