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Nr. 59:
Führerrede vom 6. Oktober 1939
(Reichstagssitzung)
(Auszug)
... Ich habe es verboten, mehr Menschen zu opfern, als unbedingt notwendig war,
das heißt, ich habe die deutsche Kriegführung von der noch im
Weltkrieg herrschenden Meinung, um des Prestiges willen bestimmte Aufgaben
unter allen Umständen in einer bestimmten Zeit lösen zu
müssen, bewußt frei gemacht. Was zu tun unbedingt erforderlich ist,
geschieht ohne Rücksicht auf Opfer. Was aber vermieden werden kann,
unterbleibt. Es wäre für uns kein Problem gewesen, den Widerstand
von Warschau so, wie wir ihn vom 25. bis 27. September gebrochen haben, vom
10. bis 12. zu brechen. Ich habe nur erstens deutsche Menschenleben schonen
wollen und zweitens mich der wenn auch trügerischen Hoffnung
hingegeben, es könnte auch auf der polnischen Seite wenigstens einmal die
verantwortungsbewußte Vernunft statt dem verantwortungslosen Wahnsinn
siegen.
Es hat sich aber gerade hier im kleineren Rahmen genau das gleiche Schauspiel
wiederholt, wie wir es im größten Umfang vorher erleben
mußten. Der Versuch, die verantwortliche polnische Truppenführung,
soweit es eine solche überhaupt gab, von der Zwecklosigkeit, ja dem
Wahnwitz eines Widerstandes gerade in einer Millionenstadt zu
überzeugen, schlug fehl. Ein Generalissimus, der selbst in wenig
ruhmvoller Weise die Flucht ergriff, zwang der Hauptstadt seines Landes einen
Widerstand auf, der höchstens zu ihrer Vernichtung führen
mußte. In der Erkenntnis, daß die Fortifikation der Festung Warschau
allein dem deutschen Angriff wohl nicht standhalten würde, verwandelte
man die Stadt als solche in eine Festung, durchzog sie kreuz und quer mit
Barrikaden, richtete auf allen Plätzen, in Straßen und in Höfen
Batteriestellungen ein, baute Tausende von Maschinengewehrnestern aus und
forderte die gesamte Bevölkerung zur Teilnahme am Kampf auf. Ich habe,
einfach aus Mitleid mit Frauen und Kindern, den Machthabern in Warschau
angeboten, wenigstens die Zivilbevölkerung ausziehen zu lassen. Ich
ließ Waffenruhe eintreten, sicherte die notwendigen Ausmarschwege, und
wir alle warteten genau so vergebens auf einen Parlamentär wie Ende
August auf einen polnischen Unterhändler. Der stolze polnische
Stadtkommandant würdigte uns nicht einmal einer Antwort. Ich habe die
Fristen für alle Fälle verlängern lassen, Bomber und schwere
Artillerie angewiesen, nur einwandfrei militärische Objekte anzugreifen,
und meine Aufforderung wiederholt: es blieb wieder vergeblich. Ich habe
daraufhin angeboten, einen ganzen Stadtteil, Praga, überhaupt nicht zu
beschießen, sondern für die zivile Bevölkerung zu reservieren,
um dieser die Möglichkeit zu geben, sich dorthin zurückzuziehen.
Auch dieser Vorschlag wurde mit polnischer Verachtung bestraft. Ich habe mich
zweimal bemüht, dann wenigstens die internationalen Kolonien aus der
Stadt zu entfernen. Dies gelang endlich mit vielen Schwierigkeiten, bei der
russischen erst in letzter Minute.
Ich habe nun für den 25. September den Beginn des Angriffs befohlen.
Dieselbe Verteidigung, die es erst unter ihrer Würde fand, auf die
menschlichen Vorschläge auch nur einzugehen, hat dann allerdings
äußerst schnell ihre [102] Haltung
geändert. Am 25. begann der deutsche Angriff, und am 27. hat sie
kapituliert!...
... Die wichtigste Voraussetzung aber für ein wirkliches Aufblühen
der europäischen und auch außereuropäischen Wirtschaft ist
die Herstellung eines unbedingt garantierten Friedens und eines Gefühls der
Sicherheit der einzelnen Völker. Diese Sicherheit wird nicht nur
ermöglicht durch die endgültige Sanktionierung des
europäischen Status, sondern vor allem durch das
Zurückführen der Rüstungen auf ein vernünftiges und
wirtschaftlich tragbares Ausmaß. Zu diesem notwendigen Gefühl der
Sicherheit gehört vor allem aber eine Klärung der Anwendbarkeit
und des Verwendungsbereichs gewisser moderner Waffen, die in ihrer Wirkung
geeignet sind, jederzeit in das Herz eines jeden Volkes vorzustoßen, und die
damit ein dauerndes Gefühl der Unsicherheit zurücklassen werden.
Ich habe schon in meinen früheren Reichstagsreden in dieser Richtung
Vorschläge gemacht. Sie sind
damals - wohl schon, weil sie von mir
ausgingen - der Ablehnung verfallen. Ich glaube aber, daß das
Gefühl einer nationalen Sicherheit in Europa erst dann einkehren wird,
wenn auf diesem Gebiet durch klare internationale und gültige
Verpflichtungen eine umfassende Fixierung des Begriffs erlaubter und unerlaubter
Waffenanwendung stattfindet.
So, wie die Genfer Konvention einst es fertigbrachte, wenigstens bei den
zivilisierten Staaten die Tötung Verwundeter, die Mißhandlung
Gefangener, den Kampf gegen Nichtkriegsteilnehmer usw. zu verbieten,
und so, wie es gelang, diesem Verbot im Laufe der Zeit zu einer allgemeinen
Respektierung zu verhelfen, so muß es gelingen, den Einsatz der Luftwaffe,
die Anwendung von Gas usw.,
des U-Bootes, aber auch die Begriffe der Konterbande so festzulegen, daß
der Krieg des furchtbaren Charakters eines Kampfes gegen Frauen und Kinder
und überhaupt gegen Nichtkriegsteilnehmer entkleidet wird. Die
Perhorreszierung bestimmter Verfahren wird von selbst zur Beseitigung der dann
überflüssig gewordenen Waffen führen. Ich habe mich
bemüht, schon in diesem Kriege mit Polen die Luftwaffe nur auf
sogenannte militärisch wichtige Objekte anzuwenden bzw. nur dann in
Erscheinung treten zu lassen, wenn ein aktiver Widerstand an einer Stelle geleistet
wurde.
Es muß aber möglich sein, in Anlehnung an das Rote Kreuz eine
grundsätzliche, allgemein gültige internationale Regelung zu finden.
Nur unter solchen Voraussetzungen wird besonders in unserem dicht besiedelten
Kontinent ein Friede einkehren können, der dann, befreit von
Mißtrauen und von Angst, die Voraussetzung für eine wirkliche
Blüte auch des wirtschaftlichen Lebens geben kann. Ich glaube, es gibt
keinen verantwortlichen europäischen Staatsmann, der nicht im tiefsten
Grunde seines Herzens die Blüte seines Volkes wünscht. Eine
Realisierung dieses Wunsches ist aber nur denkbar im Rahmen einer allgemeinen
Zusammenarbeit der Nationen dieses Kontinents. Diese Zusammenarbeit
sicherzustellen, kann daher nur das Ziel jedes einzelnen wirklich um die Zukunft
auch seines eigenen Volkes ringenden Mannes sein.
Um dieses große Ziel zu erreichen, werden doch einmal die großen
Nationen in diesem Kontinent zusammentreten müssen, um in einer
umfassenden Regelung ein Statut auszuarbeiten, anzunehmen und zu garantieren,
das ihnen allen das Gefühl der Sicherheit, der Ruhe und damit des Friedens
gibt. Es ist unmöglich, daß eine solche Konferenz zusammentritt
ohne die gründlichste [103] Vorarbeit, d. h.
ohne die Klärung der einzelnen Punkte und vor allem ohne eine
vorbereitende Arbeit. Es ist aber ebenso unmöglich, daß eine solche
Konferenz, die das Schicksal gerade dieses Kontinents auf Jahrzehnte hinaus
bestimmen soll, tätig ist unter dem Dröhnen der Kanonen oder auch
nur unter dem Druck mobilisierter Armeen. Wenn aber früher oder
später diese Probleme doch gelöst werden müssen, dann
wäre es vernünftiger, an diese Lösung heranzugehen, ehe noch
erst Millionen an Menschen zwecklos verbluten und Milliarden an Werten
zerstört sind.
Die Aufrechterhaltung des jetzigen Zustandes im Westen ist undenkbar. Jeder Tag
wird steigende Opfer fordern. Einmal wird dann vielleicht Frankreich zum
erstenmal Saarbrücken beschießen und demolieren. Die deutsche
Artillerie wird ihrerseits als Rache Mülhausen zertrümmern.
Frankreich wird dann selbst wieder als Rache Karlsruhe unter das Feuer der
Kanonen nehmen und Deutschland wieder Straßburg. Dann wird die
französische Artillerie nach Freiburg schießen und die deutsche nach
Kolmar oder Schlettstadt. Man wird dann weiterreichende Geschütze
aufstellen, und nach beiden Seiten wird die Zerstörung immer tiefer um
sich greifen, und was endlich von den Ferngeschützen nicht mehr zu
erreichen ist, werden die Flieger vernichten. Und es wird sehr interessant sein
für einen gewissen internationalen Journalismus und sehr nützlich
für die Fabrikanten der Flugzeuge, der Waffen, der Munition usw.,
aber grauenhaft für die Opfer...
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