[63]
Nr. 33:
Aufzeichnung des Britischen Generalstabs
über die Frage etwaiger Luftbombardierungen in der ersten Phase
eines Krieges, bei dem Deutschland im Westen defensiv bleibt und im Osten
angreift1
(Auszug)
... Es ist die Absicht Seiner Majestät Regierung, in der nahen Zukunft den
britischen Befehlshabern Instruktionen über die Art der
Durchführung von Bombardierungen zu Beginn eines Krieges, und zwar
sowohl aus der Luft wie von See aus, zu geben, die einen noch
einschränkenderen Charakter haben, als durch eine vernünftige
Auslegung der mit Frankreich vereinbarten Politik oder der hierüber
bestehenden Völkerrechtsregeln erfordert wird. Seiner Majestät
Regierung hält es für lebenswichtig, daß kein
verbündeter Befehlshaber eine Handlung irgendwelcher Art unternehmen
soll, die uns möglicherweise einem berechtigten Vorwurf
uneingeschränkter Bombardierungen aussetzen kann, ohne daß
ausdrückliche Befehle von London gegeben sind. Es ist beabsichtigt, dem
französischen Generalstab bald eine Abschrift dieser Befehle zu
übermitteln, wobei die Hoffnung besteht, daß der französische
Generalstab die Möglichkeit findet, seinen Befehlshabern gleichartige
Instruktionen zukommen zu lassen.
Trotzdem kann man sich gewisse besondere Umstände denken, in denen
wir gezwungen sein könnten, von dieser allgemeinen Linie abzuweichen.
Die britischen Stäbe denken hierbei an den Fall, daß die Deutschen
ihre Hauptoffensive zu Lande und in der Luft gegen Polen oder Rumänien
richten, im Westen aber völlig defensiv bleiben. Sollte dieser Fall eintreten,
so könnte es schwierig sein, eine Untätigkeit in der Luft
gegenüber Deutschland zu rechtfertigen, während Polen
überrannt wird, obgleich die Alternative, gegen gewisse Ziele vorzugehen,
die nicht als "rein militärisch im engsten Sinne des Wortes" bezeichnet
werden können, zu unterschiedslosen deutschen Luftangriffen führen
könnte.
Aktionsmöglichkeiten für die
französisch-britischen Luftstreitkräfte, um den Druck auf Polen bei
Kriegsbeginn zu erleichtern, wobei angenommen wird, daß Deutschland im
Osten angreift und im Westen defensiv bleibt
......
9. Es gibt im großen ganzen vier verschiedene Aktionsmöglichkeiten,
unter denen eine Wahl getroffen werden muß. Sie sind weiter unten kurz
dargelegt. Es wird in jedem Falle angenommen, daß eine volle nationale
Mobilisierung erfolgt ist oder sich im Gange befindet und daß wir sofort zur
See alle Maßnahmen wirtschaftlichen Druckes einschließlich der
Unterbrechung alles deut- [64] schen Handels auf dem
Seewege und der Wegnahme aller deutschen Schiffe auf See in Kraft setzen. Eine
Erwägung, die die Wahl einer dieser Aktionsmöglichkeiten
beeinflussen muß, besteht darin, daß das endgültige Schicksal
Polens von dem endgültigen Ergebnis des Krieges und dieses Ergebnis
wiederum von der Fähigkeit der Alliierten abhängen wird, die
schließliche Niederlage Deutschlands herbeizuführen, nicht aber von
unserer Fähigkeit, bei Beginn des Krieges den Druck auf Polen zu
erleichtern.
10. a) Alle notwendigen Vorbereitungsmaßnahmen zu Lande und in der
Luft zu treffen, einschließlich der Entsendung der British Advanced Air
Striking Force und der 1. Abteilung der Field Force nach
Frankreich - aber keine offensive Aktion in der Luft einzuleiten, mit
Ausnahme von Aktionen gegen Kriegsschiffe auf See.
b) Luftaktionen gegen rein "militärische" Ziele im
engsten Sinne des Wortes einzuleiten - d. h. die deutsche Flotte und
ihre Basen, Einheiten und Einrichtungen der Luftstreitkräfte und die
deutsche Armee an der Westfront.
c) Unsere Luftaktion so weit auszudehnen, daß sie
Ziele einschließt, welche zwar rein militärischen Einrichtungen so
nahe wie möglich verwandt sind, aber eine stärkere Wirkung haben
hinsichtlich einer Herabsetzung der Fähigkeit des Feindes, den Krieg
fortzusetzen. In dieser Gruppe scheinen die brauchbarsten Ziele Bestände
von Benzin und Fabriken für die Herstellung von synthetischem Benzin zu
sein.
d) Von vornherein "die Handschuhe auszuziehen" und die
Ziele anzugreifen, die am besten geeignet sind, die feindlichen
Kriegsbemühungen herabzusetzen, ohne Rücksicht darauf, ob eine
solche Aktion schwere Verluste unter der feindlichen Zivilbevölkerung
hervorrufen wird oder nicht.
......
|