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Auswanderung der Juden
aus dem Dritten Reich

Ingrid Weckert


Teil 6 - Widerstand gegen die Haavara: auf jüdischer Seite

Trotz der für die Juden und für Palästina durchaus positiven Seite des Haavara-Abkommens war der Widerstand dagegen auf jüdischer Seite erheblich. Das Hickhack hinter den Linien beschreibt ausführlich Edwin Black in seinem Buch The Transfer Agreement.29 Die Tatsache, daß es zwischen dem Dritten Reich und der zionistischen Organisation ein Abkommen zum Vorteil Israels gegeben hat, scheint ihm unbegreiflich und unentschuldbar und er klagte die betroffenen jüdischen Stellen der "Nazi-Mittäterschaft" an. Das ist um so weniger verständlich, als er überzeugt ist, daß alle in Deutschland zurückgebliebenen Juden dem Holocaust zum Opfer fielen.

Jüdische Organisationen in aller Welt beklagten den Bruch des Boykotts gegen Deutschland durch die eigenen Leute. Der Vorteil für die aus Deutschland auswandernden Juden galt ihnen nichts im Vergleich zum Verrat der allgemein-jüdischen Interessen.

Aber auch in Palästina selbst gab es Schwierigkeiten. Die Monopolstellung der Haavara bei der Einfuhr deutscher Waren erregte den Neid palästinensischer Kaufleute, die ihre eigenen Aktivitäten gefährdet sahen. Vor allem die junge jüdische Industrie in Palästina, die den Absatz eigener Waren erstrebte, meuterte gegen die Einfuhr besserer und billigerer Artikel aus Deutschland. Die Haavara mußte schließlich den Forderungen jüdischer Unternehmer nachgeben und verhängte einen Einfuhrstop für bestimmte Waren. Sie garantierte dadurch den "Tozeret-Haarez"-Schutz (Schutz für einheimische Produkte). Gerissene Unternehmer lavierten geschickt zwischen den unterschiedlichen Möglichkeiten und nutzten sie zu ihrem Vorteil aus. Es kam vor, daß sich ein Unternehmen zunächst seinen Maschinenpark durch die Haavara beschaffte und anschließend für die damit erzeugten Waren den "Tozeret-Haarez"-Schutz in Anspruch nahm. Dadurch verringerte sich der Warenbedarf im Land und die Transfermöglichkeiten auf den Haavara-Konten lagernder Gelder.30

Die Jüdische Rundschau beklagte einmal dieses wenig Solidarität mit den deutschen Juden zeigende Verhalten:

"Bei der Palästinawanderung von Juden aus Deutschland und auch bei der Überweisung der Gelder für die jüdischen Fonds spielt die Frage des Transfers eine finanztechnisch wichtige Rolle. Ohne Kapitaltransfer ist eine Auswanderung großen Stils unmöglich. ( ... ) Wenn es trotzdem immer wieder in der palästinensischen Öffentlichkeit zu Diskussionen über diese Sache kommt, so dürfte dies teilweise der Unkenntnis der wirklichen Zusammenhänge, teilweise der Einwirkung von Interessenten zuzuschreiben sein, die aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen die Konkurrenz der Haavara gerne ausschalten möchten." (12.11.1935.)




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Teil 7 - Widerstand gegen die Haavara: auf deutscher Seite

Das Haavara-Abkommen fand auch bei deutschen Stellen nicht ungeteilten Beifall. Tatsächlich bedeutete es ja nicht nur eine erhebliche Belastung für den deutschen Devisenhaushalt, sondern brachte uns auch politische Nachteile ein. Der deutsche Generalkonsul in Jerusalem, Hans Döhle, betonte in einer Studie vom 22. März 1937, daß die deutsche Regierung durch das Haavara-Abkommen "all die Gesichtspunkte, welche in anderen Ländern für die Wahrung des deutschen Interesses maßgebend sind, zurückgestellt" hat, hinter der "Förderung der jüdischen Auswanderung aus Deutschland und der Seßhaftmachung der ausgewanderten Juden in Palästina". Die Stärkung der jüdischen Wirtschaft, die wir "durch die Erleichterung der Verpflanzungsmöglichkeit deutsch-jüdischer Industrieunternehmungen nach Palästina erst ermöglicht haben", muß sich auf dem Weltmarkt gegen uns auswirken. Döhle betonte, "die Gegnerschaft der palästinensischen Juden dem Deutschtum gegenüber tritt bei jeder Gelegenheit in Erscheinung."31

Großbritannien fühlte sich durch die deutsche Wareneinfuhr in sein Mandatsgebiet benachteiligt und startete in seiner Presse Angriffe gegen Deutschland. Nach der Studie Döhles sah die Negativbilanz des Haavara-Abkommen wie folgt aus:

1. Devisenverlust durch Warenausfuhr ohne Devisenerlös.

2. Durch Aufbau der jüdischen Wirtschaft Stärkung des antideutschen jüdischen Einflusses in Palästina.

3. Lenkung der deutschen Einfuhr nach Palästina durch die Jewish Agency ohne Berücksichtigung der deutschen Verkaufsinteressen.

4. Verärgerung der im Lande ansässigen arabischen und deutschen Kaufleute, die nur noch über die Jewish Agency mit Deutschland Geschäfte abschließen können.

5. Verärgerung der britischen Mandatsmacht, die ihre Vorrangstellung durch die deutschen Konkurrenten gefährdet sieht.

Die Skepsis Döhles war nicht unberechtigt, wenn man bedenkt, daß er vor Ort täglich antideutsche Ausfälle erleben mußte und sich gleichzeitig bewußt war, wieviel das Land den deutschen Einwanderern verdankte. Palästina glich einem Tier, das die Hand beißt, die es füttert. Die feindselige Einstellung der Juden Palästinas gegen Deutschland äußerte sich auf vielen Ebenen. So wurde z.B. in einem Purim-Umzug32 Deutschland als giftgrüner, mit Hakenkreuzen übersäter, feuerspeiender Drache dargestellt und ein Schild forderte den "Tozeret-Haarez"-Schutz und den Boykott gegen deutsche Waren.33

Trotz all dieser Bedenken entschied Adolf Hitler wiederholt, daß die Auswanderung der Juden mit allen Mitteln zu fördern sei und eine Aufhebung des Haavara-Abkommens nicht in Frage käme.

Der Vermögenstransfer über die Haavara war auch noch nach Kriegsausbruch, durch Einschaltung neutraler Länder, möglich. Erst im Dezember 1941, als die USA in den Krieg eintraten, brachen die Verbindungen ab.

Die Abwicklung der Haavara in Deutschland lag in den Händen der beiden jüdischen Banken Warburg in Hamburg und Wassermann in Berlin. Bei Kriegsende befanden sich noch Beträge der Haavara auf den Konten. Sie waren von der deutschen Regierung als Feindvermögen sichergestellt worden und wurden den Eigentümern nach 1945 in voller Höhe zurückgezahlt.34




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Teil 8 - Auswanderung und die SS

Von den deutschen Stellen war es - neben dem Reichswirtschaftsministerium - paradoxerweise35 ausgerechnet die SS und ihre Einrichtungen, die die jüdische Auswanderung unterstützten und förderten.

Die SS hatte sich von Anfang an darum bemüht, Einfluß auf die deutsche Judenpolitik zu nehmen. Sie empfahl die Förderung der jüdischen Massenauswanderung, warnte aber gleichzeitig davor, Druck auf diejenigen Juden auszuüben, die sich in erster Linie als deutsch, und dann erst als jüdisch empfanden. Man müsse erst einmal ein jüdisches Bewußtsein und jüdisches Selbstverständnis in ihnen wecken. Das sollte durch die Förderung jüdischer, kultureller Einrichtungen geschehen. Erst ein sich seiner Identität bewußt gewordener Jude würde auch bereit sein, Deutschland zu verlassen und in ein zukünftiges jüdisches Heimatland auszuwandern.36

Unter diesen Auspizien standen alle Förderungs- und Schutzmaßnahmen, die SS und Gestapo jüdischen Einrichtungen zuteil werden ließen. So seltsam es sich anhört, aber die Gestapo war damals die Adresse, an die sich viele Juden wandten, wenn ihnen von einer anderen deutschen Behörde eine Benachteiligung ins Haus stand oder sie sonst Hilfe brauchten. Als z.B. im Verlauf der sogenannten Kristallnacht, im November 1938, auch das jüdische Auswanderungsbüro in der Berliner Meinekestraße beschädigt wurde, war es die SS, die Mannschaften zum Aufräumen schickte und alles daransetzte, das Büro so schnell wie möglich wieder arbeitsfähig zu machen.37

Eine Art Propagandaschrift für die Auswanderung nach Palästina hatte schon 1934 Leopold Edler von Mildenstein, der spätere Judenreferent der SS, verfaßt. Mildenstein fuhr 1934 nach Palästina und blieb ein halbes Jahr dort. Sein Reisebericht unter dem Titel "Ein Nazi fährt nach Palästina" erschien in mehreren Folgen in der Goebbels-Zeitschrift Der Angriff (26. Sept. - 9. Okt. 1934). Der Bericht ist sehr lebendig und anschaulich geschrieben und gibt ein interessantes Bild der Zustände im englischen Mandatsgebiet und der politischen Strömungen in Palästina Anfang der dreißiger Jahre. Er ist noch heute lesenswert. Als Verfassername benutzte Mildenstein das Pseudonym "Lim", die ersten drei Buchstaben seines Namens, auf hebräische Art von rechts nach links gelesen.

SS und Gestapo beteiligten sich an der Einrichtung und Finanzierung von Umschulungslagern, die inzwischen in ganz Deutschland von der Zionistischen Organisation angelegt worden waren. Hier sollten vor allem junge Juden landwirtschaftliche und handwerkliche Berufe erlernen und auf das völlig andere Leben in Palästina vorbereitet werden. Teilweise stellte die SS sogar Grund und Boden für die Errichtung solcher Lager zur Verfügung. Nicosia bringt in seinem Buch "Third Reich" eine Karte mit dem Stand vom August 1936, auf der 40 solcher Einrichtungen verzeichnet sind, die sich über das ganze Reich erstrecken, vom äußersten Norden (Flensburg bzw. Gut Lobitten, Krs. Königsberg/Ostpr.) bis in den Süden, nahe der Schweizer Grenze (Gut Winkelhof).38

Auch in Österreich, der damaligen Ostmark, wurden nach dem staatlichen Anschluß solche Umschulungslager eingerichtet. Adolf Eichmann, der Leiter des Wiener "Hauptamtes für jüdische Auswanderung", setzte sich persönlich dafür ein. Er hat auch später die illegale Auswanderung zusammen mit dem Mossad (s. weiter unten) tatkräftig gefördert. Gelegentlich eskortierten SS-Einheiten jüdische Auswanderergruppen über die Grenze und sorgten dafür, daß sie ungehindert passieren konnten. Hannah Arendt war der Meinung, daß seine Bemerkung vor dem Jerusalemer Tribunal, im Jahr 1960, er habe Hunderttausende von jüdischen Leben gerettet, durchaus den Tatsachen entsprach, wenn sie auch im Gerichtssaal mit Hohngelächter quittiert worden sei.39


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Anmerkungen

29Edwin Black, The Transfer Agreement. The untold story of the Secret Agreement Between the Third Reich and Jewish Palestine, New York/London 1984. ...zurück...

30Feilchenfeld (Anm. 12), S. 54. ...zurück...

31zit. in: Vogel (Anm. 21), S. 110f. ...zurück...

32Purim: Im biblischen Buch Ester wird ein historisch nicht belegbares Ereignis geschildert. Die jüdische Frau des persischen Königs, Ester, hat erfahren, daß ein Plan zur Ausrottung der Juden in Persien bestehen soll, den ein Hofbeamter, Haman, ausführen will. Der Perserkönig Ataxerxes ist dem Plan zunächst nicht abgeneigt. Da greift Ester zu einer List, um ihr Volk zu retten. Anläßlich eines Festbanketts verführt sie Haman und läßt sich von dem König in eindeutiger Situation überraschen. Ihm gegenüber behauptet sie, Haman habe sie vergewaltigt. Jetzt wendet sich der Zorn des persischen Königs gegen Haman, und er läßt ihn aufhängen. Es gelingt Ester, den König zu überreden, im gesamten persischen Reich den Juden freie Hand gegen ihre Gegner zu lassen.
"In allen Provinzen des König Ataxerxes taten sich die Juden in den Städten zusammen und überfielen die, die den Untergang der Juden geplant hatten. Niemand konnte vor ihnen standhalten; denn alle Völker hatte Schrecken vor ihnen befallen." (Est 9,2)
Die Bibel berichtet, daß insgesamt in zwei Tagen 75.000 Menschen von den Juden ermordet wurden.
Die Geschichte hat, wie bereits gesagt, keine historische Grundlage. Ein theologisches Lehrbuch bemerkt dazu: "Das Judentum fand aber im Esterbuch die erzählte Wunscherfüllung dessen, was es real für Juden nicht gab." (Horst Dietrich Preuß und Klaus Berger, Bibelkunde des Alten und Neuen Testaments. Erster Teil: Altes Testament, (UTB 887) 3. Aufl., Heidelberg/Wiesbaden 1985, S. 118.)
Zum Gedächtnis an dieses jüdische Rachepogrom (wofür eigentlich Rache? Es war den Juden ja gar nichts geschehen!) wurde das Purim-Fest gestiftet und wird bis auf den heutigen Tag im Februar/März als großes Freudenfest begangen und mit einer Art Karnevalsumzug gefeiert. ...zurück...

33Leopold Edler von Mildenstein, "Ein Nazi fährt nach Palästina", in: Der Angriff, 26. 9. - 9. 10. 1934; hier: 1. 10. 1934. ...zurück...

34Feilchenfeld (Anm. 12), S. 71. ...zurück...

35Paradox muß das jedenfalls jedem erscheinen, der seine zeitgeschichtliche Bildung aus den Medien bezieht und in der SS eine organisierte Mörderbande des Dritten Reiches zu sehen gewohnt ist, die in erster Linie für den Holocaust an den Juden verantwortlich zeichnet. ...zurück...

36Reichsführer SS, Chef des Sicherheitsamtes: Lagebericht Mai/Juni 1934, Die Judenfrage; zit. in: Nicosia (Anm. 22), S. 106. ...zurück...

37Nicosia (Anm. 22), S. 244. ...zurück...

38Nicosia (Anm. 22), S. 217. Nur in der englischen Originalausgabe; in der deutschen Übersetzung findet sich an dieser Stelle ein leeres Blatt. ...zurück...

39Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen, München 1965, S. 90, 91; Jon und David Kimche, Des Zornes und des Herzens wegen. Die illegale Wanderung eines Volkes, ("The secret Roads", dt.) Berlin 1956, S. 17, 30; für die von Kimche aufgestellte Behauptung eines Kopfgeldes, das auswandernde Juden zu leisten gehabt hätten, gibt es keinen Beweis. Das scheint eine der Phantasiebehauptungen zu sein, ohne welche man offensichtlich solche Bücher, die die Wahrheit über ein sehr umstrittenes Thema behandeln, auf jüdischer Seite nicht schreiben kann. ...zurück...


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