SucheScriptoriumBuchversandArchiv IndexSponsor


Recht(s)
in George Orwells "Neusprech"

Dr. Henry Brock
Hier nachgedruckt mit freundlicher Genehmigung des Verfassers.
Dieses Digitalisat © 1996-2019 by The Scriptorium.
PDF PDF zum Herunterladen © 2019 by The Scriptorium.

Ein mir gut bekannter Anwalt, der als Hundeliebhaber mit nachsichtigem Humor die "Anti-Kampfhundekampagne" unserer Medien verfolgt hatte, wurde durch die sozusagen über Nacht erfolgte Ablösung der Kampfhunde durch die unsere freiheitliche Demokratie bis in die Grundfesten erschütternden "Rechten" zu folgenden Gedanken angeregt:

"Nach der neuesten Sprachregelung unserer Herren Politiker, Kirchenfürsten, Medienzare, Gewerkschaftsbosse und was da sonst noch kreucht und fleucht, fühle ich mich bemüßigt, meinen Titel Rechtsanwalt (vorsichtig wie wir Juristen nun mal sind) in den zeitgemäßeren 'Linksanwalt' umzuwandeln. Auch meiner verehrten Lehrer an der Uni, den damaligen Rechtsgelehrten, wage ich mich jetzt nur noch abmildernd als 'Linksgelehrten' zu erinnern. Sie hatten damals noch die fatale Neigung, uns zu Recht und Wahrheit statt als fortschrittliche Dozenten zu 'Links und Lüge' anzuhalten. Selbstredend waren wir Studenten von ihnen auf die Idee des Rechtsstaates programmiert, nicht ahnend, daß wir heute weit zweckmäßiger und realistischer dem 'Linksstaat' zu dienen hätten.

Erst gestern suchte mich eine Mandantin wegen eines Autounfalls auf, weil sie sich geweigert hatte, einem von rechts kommenden Wagen die Vorfahrt zu gewähren. Die Dauerberieselung der Medien hatte die gute Frau so aufgebracht, daß sie sich geschworen hatte, in Zukunft nur noch auf der linken Straßenseite zu fahren. Nur unter Aufbietung meiner ganzen politisch korrekten Beredtsamkeit konnte ich sie von diesem halsbrecherischen, dazu noch unrechten, Pardon! 'unlinken' Vorhaben abbringen. Noch war die Rechtslage, d.h. 'Linkslage' in ihrem Falle nach meinem mir einst beigebrachten Rechtsgefühl (heute 'Linksgefühl') eindeutig gegen sie. Ich sage bewußt 'noch', denn wenn die Welt von Hysterikern oder Pathologen regiert wird, so kann man heute nicht wissen, was schon morgen sein könnte!

Obwohl ich mich als Ausgleich für meine Bürotätigkeit gern auf dem Fußballplatz tummele, wage ich einfach nicht mehr, weiterhin in meiner Spezialität als Rechtsaußen aufzutreten, und zum 'Linksaußen' fehlt es mir an der nötigen Agilität. Genauso wie ich beim Schreiben als Rechtshänder jedem inzwischen sicherlich bevorzugten 'Linkshänder' unterlegen sein dürfte. Gott sei Dank ist unsere frühere Rechtschreibung jüngst von unseren Multikulti-Ministern unter beachtlichem finanziellen Aufwand in eine mehr ihren speziellen Wünschen nicht mehr rechte Schreibung umfunktioniert worden.

Und auch vieles, das mir aus meiner Jugendzeit vertraut war, muß ich nun in einem gänzlich neuen Licht sehen. Mein Großvater hatte uns Kindern beispielsweise ans Herz gelegt: Tu recht und fürchte niemand! Was würde der gütige alte Herr heute wohl sagen, hätte man ihn aufgeklärt, daß es einmal opportun sein würde, 'links' zu handeln statt recht zu tun. Auch er war Jurist gewesen, ein aufrechter Mann, eine Eigenschaft, die ihn in unseren erdentrückten Zeiten allein schon als höchst verdächtig einstufen würde. Mit dem damaligen Rechtsweg war er natürlich bestens vertraut. Ich weiß nicht, ob er sich, stur wie er sein konnte, an einen nun zeitgemäßen 'Linksweg' hätte gewöhnen können. Und schon gar nicht an linksgedrallte Dogmen, deren Verkünder, wie es manchmal scheint, die Scheiterhaufen der Hexenverfolgungen aus dem finstersten Mittelalter für alle eigensinnigen Zweifler und 'Nichtgläubigen' herbeisehnen.

Da fällt mir noch ein, wie meine erste Lehrerin auf der Volksschule uns Kinder dazu anhielt, selber einen kleinen Garten anzulegen und zumal das Wunder der keimenden Bohnen zu verfolgen. Die Stangenbohnen stellten sich immer - o Schreck, o Graus - als rechtsdrehend heraus (ich lebe in Unkenntnis, ob mittlerweile einem linksgetreuen Botaniker gelungen ist, nach den Methoden von Stalins Starbiologen Lysenko eine politisch mehr korrekte linksdrehende Bohne zu züchten). Auf der Penne schlugen wir uns dann noch mit der altmodischen Mathematik herum, die auch dringend einer Neufassung bedarf. Wer will heute noch vom Rechteck, von rechten Winkeln, rechtswinklig usw. hören? Obwohl es den alten Pythagoras gewiß ärgern würde, wenn man auch seinen Lehrsatz linken Fanatikern zuliebe umbenennen würde.

Unglücklicherweise mußte ich bei einer näheren Inspektion meines mir von meinem Vater geschenkten Kleinkalibergewehres feststellen, daß der Lauf rechtsgezogen ist. Ein Waffenschmied, den ich daraufhin eiligst aufsuchte, teilte mir betrübt mit, daß es ihm unmöglich sei, den Rechtsdrall des Laufes auf 'Linksdrall' neu zu bohren (vielleicht handelte es sich bei ihm auch nur um einen heimlichen Rechtsradikalen, der noch nicht die Zeichen der Zeit erkannt hatte und von ihnen erleuchtet worden war?).

Ich stelle lieber meine Rechts-Linksgrübeleien ein, da ich es mir als Anwalt nicht erlauben kann, eigenen unbotmäßigen Gedanken anzuhängen - statt der altbewährten Paragraphen unserer Rechts-(verdammt! schon wieder rechts)-vorschriften. Ich werde es mir abgewöhnen müssen. Auch im beruflich unvermeidbaren Umgang mit linken Wirrköpfen sollte ich lernen, nachsichtiger zu sein - wie es die Berliner tun, wenn sie sich über einen gewissen Typus Mitmenschen amüsieren: Laß das Kind doch die Bolette!

Im übrigen werde ich mir noch mal George Orwells 1984 gerade auch wegen seines 'newspeak' vornehmen. Wenn ich ihn gründlich verdaut habe, bin ich sicher, auch mit den neuesten Vokabeln unseres erlauchten Zeitalters fertig zu werden: Ich schaffe das dann sogar 'mit links'!"




Recht(s) in George Orwells "Neusprech"