[427] XII. Die
Bevölkerungsbewegung im großdeutschen
Raum1
Universitätsprofessor Dr. Wilhelm Winkler
(Wien)
Die Erde für eine Bevölkerungsvermehrung
noch aufnahmefähig Das Zweikindersystem
führt zum Bevölkerungszusammenbruch Die
Bevölkerungsbewegung im Deutschen Reich und in Österreich
in den Jahren
1871–1928
Geburten- und Sterberückgang Ursachen des
Geburtenrückganges Nationalpolitische Folgen einer
Untervölkerung Besonders gefahrvolle Lage
Deutschösterreichs Geburten und
Geburtenüberschüsse in einzelnen Staaten
Vermehrungskraft der Völker Die
bevölkerungspolitische Bedeutung des Anschlusses.
Über die Bevölkerungsvermehrung nicht nur im großdeutschen
Raum, sondern auf der ganzen Erde sind die widersprechendsten Ansichten
verbreitet. Auf der einen Seite stehen die Schwarzseher, die meinen, es gebe heute
schon zu viele Menschen auf der Erde, man müsse daran denken, die
Kinderzahl möglichst einzuschränken. Ihnen gegenüber stehen
die anderen, die meinen, auf der Erde sei noch Platz genug für weiteren
Zuwachs. Diese Ansicht wird besonders auch von einer Reihe namhafter
Gelehrter2 vertreten, die auf ganz verschiedenen
Wegen zu dem übereinstimmenden Ergebnis gekommen sind, daß die
Erde schon bei dem jetzigen Stande der Technik und Wirtschaft mindestens
3- bis 4mal so viele Menschen erhalten könnte, als sie heute
tatsächlich erhält. Alois Fischer hat dazu das auf Seite 431 wiedergegebene höchst
lehrreiche Kartogramm entworfen. Es zeigt sich, daß dem im
allgemeinen3 überfüllten Westeuropa
noch unausgefüllte Gebiete von ungeheurer Ausdehnung
gegenüberstehen. Dabei sind die möglichen technischen Fortschritte
der Wirtschaft und die daraus folgenden Steigerungen des Nahrungsspielraumes
der Erdbevölkerung noch gar nicht in Rechnung gesetzt. So dürfen
wir in Übereinstimmung mit der fachwissenschaftlichen [428] Forschung annehmen,
daß die Erde derzeit noch reichlich Platz hat für die Aufnahme
weiterer Menschen.
Diese Betrachtung haben wir an den Anfang unserer Ausführungen gestellt,
weil in ihr der Schlüssel zur Beantwortung der Bevölkerungsfrage
des deutschen Volkes liegt. Ist auf der Erde noch genügend Raum für
die Ausbreitung der Völker, so werden ohne Zweifel diejenigen Volker
machtpolitisch und damit auch
wirtschafts- und kulturpolitisch in der Zukunft am besten bestehen, die bis zur
Ausfüllung der Erde eine den anderen Völkern überlegene
Bevölkerungszunahme behalten, vorausgesetzt, daß es ihnen gelingt,
ihren zur Auswanderung gezwungenen Überschuß in ihre Kolonien
zu lenken oder wenigstens durch eine straffe Auswanderungsorganisation an die
Heimat zu binden und dem Volkstum zu erhalten.
Wenn wir die aus diesen Erwägungen notwendig folgende
bevölkerungspolitische Zielsetzung einer wünschenswerten
größtmöglichen Bevölkerungszunahme annehmen, dann
taucht zunächst die Frage auf, wie groß die durchschnittliche
Kinderzahl der Familien eines Volkes sein muß, um überhaupt eine
Vermehrung zu gewährleisten. Das Zweikindersystem führt ohne
Zweifel zum Bevölkerungszusammenbruch, weil hier eben nur die Eltern,
nicht aber die zahllosen
Ehe- und Kinderlosen ersetzt werden. Auch bei einer durchschnittlichen Zahl von
drei Kindern erhält sich die Bevölkerung kaum noch auf dem
gleichen Stand. Erst von vier Kindern im Durchschnitt der Familien
aufwärts gibt es eine Bevölkerungszunahme.
Wir besitzen leider weder im Deutschen Reich noch in Österreich eine
Familienstatistik, aus der wir die heutige Kinderzahl der Familien aller Schichten
und Stände der Bevölkerung ersehen könnten. Erst die
für 1931 hier wie dort vorgesehene Volkszählung wird über
diese familienstatistischen Fragen Klarheit bringen. In Ermangelung einer
Familienstatistik mag uns hier die Geburtenstatistik des Deutschen Reiches und
Österreichs auf nebenstehender Seite [Scriptorium
merkt an: hier gleich nachfolgend] belehren.
[429] Die Bevölkerungsbewegung im Deutschen Reich und in
Österreich
in den Jahren 1871–1928.4 |
Jahrfünft,
Jahr |
Deutsches Reich5 |
|
Österreich |
Lebend-
geborene |
Geburten-
überschuß |
|
Lebend-
geborene |
Geburten-
überschuß |
Lebend-
geborene |
Geburten-
überschuß |
|
Lebend-
geborene |
Geburten-
überschuß |
A. Grundzahlen |
B. Verhältnis-
zahlen auf 1000
Einwohner |
A. Grundzahlen |
B. Verhältnis-
zahlen auf 1000
Einwohner |
|
1871-1875 |
1,619.251 |
443.914 |
38.9 |
10.6 |
160.447 |
16.239 |
34.5 |
3.5 |
1876-1880 |
1,730.437 |
578.154 |
39.3 |
13.1 |
165.180 |
25.221 |
34.0 |
5.2 |
1881-1885 |
1,704.741 |
519.444 |
37.0 |
11.3 |
166.763 |
23.895 |
32.8 |
4.7 |
1886-1890 |
1,759.288 |
583.172 |
36.5 |
12.1 |
169.707 |
27.520 |
32.0 |
5.2 |
1891-1895 |
1,844.068 |
660.100 |
36.3 |
13.0 |
176.328 |
34.640 |
31.7 |
6.2 |
1896-1900 |
1,956.522 |
800.430 |
36.0 |
14.7 |
184.507 |
47.984 |
31.5 |
8.2 |
1901-1905 |
2,010.626 |
845.549 |
34.3 |
14.5 |
187.071 |
51.845 |
30.3 |
8.4 |
1906-1910 |
1,988.104 |
887.127 |
31.6 |
14.1 |
180.446 |
48.662 |
27.8 |
7.5 |
1911-1913 |
1,859.705 |
804.544 |
28.1 |
12.2 |
167.608 |
41.021 |
24.9 |
6.1 |
1914 |
1,818.596 |
527.286 |
26.8 |
7.8 |
161.692 |
37.132 |
12 |
12 |
1915 |
1,362.546 |
- 67.874 |
20.4 |
- 1.0 |
125.680 |
- 18.579 |
12 |
12 |
1916 |
1,029.484 |
- 268.570 |
15.2 |
- 4.0 |
98.895 |
- 40.429 |
12 |
12 |
19176 |
912.109 |
- 433.315 |
13.9 |
- 6.6 |
92.289 |
- 58.057 |
12 |
12 |
19186 |
926.813 |
- 679.662 |
14.3 |
- 10.5 |
92.560 |
- 80.013 |
12 |
12 |
19197 |
1,260.500 |
282.120 |
20.0 |
4.5 |
118.518 |
- 12.140 |
18.5 |
- 1.9 |
19208 |
1,599.287 |
666.358 |
25.9 |
10.8 |
146.644 |
23.869 |
22.7 |
3.7 |
19219 |
1,560.447 |
700.248 |
25.3 |
11.3 |
151.13813 |
40.687 13 |
23.2 13 |
6.2 13 |
1913 im heutig.
Gebietsumfang |
1,605.954 |
721.199 |
26.9 |
12.1 |
163.354 |
38.966 |
24.1 |
5.7 |
192210 |
1,404.215 |
523.589 |
23.0 |
8.6 |
150.958 |
37.491 |
23.1 |
5.7 |
192310 |
1,297.449 |
435.551 |
21.1 |
7.1 |
146.885 |
46.961 |
22.4 |
7.2 |
192410 |
1,270.820 |
511.745 |
20.5 |
8.3 |
142.141 |
44.086 |
21.6 |
6.7 |
192510 |
1,292.499 |
547.808 |
20.7 |
8.8 |
135.841 |
40.853 |
20.5 |
6.2 |
192610 |
1,227.900 |
493.541 |
19.5 |
7.9 |
127.254 |
28.220 |
19.1 |
4.2 |
192710 |
1,161.719 |
404.699 |
18.4 |
6.4 |
118.741 |
19.111 |
17.8 |
2.9 |
192811 |
1,182.477 |
442.889 |
18.6 |
7.0 |
116.783 |
20.686 |
17.5 |
3.1 |
Obzwar die nebenstehende [obenstehende]
Tabelle in dem das Deutsche Reich betreffenden Teile nicht auf den heutigen
Gebietsumfang berechnet ist, die drei Unterabteilungen der Reihe daher
untereinander nicht vergleichbar sind, so ist daraus doch sehr wohl zu erkennen,
wie sowohl im Deutschen Reich als auch in Österreich die Geburtenzahlen
bis zur Jahrhundertwende
zu-, dann abgenommen haben, während die
verhältnismäßige Geburtenhäufigkeit (Geburtenziffern)
[429=Tabelle oben] [430]
schon von den Siebzigerjahren an in Rückbildung begriffen waren. Parallel
zu diesem Geburtenrückgang hat sich ein Sterberückgang vollzogen,
und zwar zunächst stärker als der Geburtenrückgang, was eine
Steigerung der Geburtenüberschüsse und
Geburtenüberschußziffern zur Folge hatte. Begreiflicherweise waren
dieser Entwicklung Grenzen gesetzt; denn die Abnahme der Sterbefälle
kann nicht so weit gehen als diejenige der Geburten. So nehmen denn die
Geburtenüberschüsse und die Geburtenüberschußziffern
ungefähr von der Jahrhundertwende an eine rückläufige
Bewegung.
Um die Wirkung dieser Entwicklung voll zu verstehen, müssen wir uns vor
Augen halten, daß das Deutsche Reich, ursprünglich ein Staat starker
Auswanderung, vor dem Kriege allmählich ins
Bevölkerungsgleichgewicht kam, während das Gebiet des heutigen
Österreich dauernd außerstande war, die von ihm benötigten
Arbeitskräfte beizustellen, was zu der Einwanderung fremder Völker
mit den bekannten unliebsamen nationalpolitischen Folgen führte.
Die Kriegsjahre haben durch die Totenverluste und durch den
Kriegsgeburtenausfall infolge der Abwesenheit der wehrfähigen
Männer von der Heimat eine ganz abnormale Gestaltung der
Bevölkerungsbewegung erzeugt. An Stelle des früheren
Geburtenüberschusses ist begreiflicherweise ein Geburtenabgang getreten.
Nach dem Kriege hat aber der Geburtenrückgang im Deutschen Reiche wie
in Österreich neuerlich eingesetzt und es ist auch der
Geburtenüberschuß neuerlich, in Österreich sogar nahe an
Null, gesunken.
In dem starken Rückgang des Geburtenüberschusses kommt zum
Ausdruck, daß der Geburtenrückgang nicht, wie von mancher Seite
behauptet wurde, eine ganz harmlose, durch den Sterberückgang bewirkte,
sondern eine bösartige, auf selbständigen Ursachen beruhende
Erscheinung sei. In der Altersschichtung der Bevölkerung
äußert sich diese Entwicklung in der Weise, daß die Zahl der
alten Leute immer mehr anwächst, die des Nachwuchses aber von Jahr zu
Jahr geringer wird. Der Altersaufbau beider Staaten, der bis zur Jahrhundertwende
infolge der wachsenden Nachwuchszahl eine Pyramidenform hatte, ist von diesem
Zeitpunkt an in Umbildung auf eine Zwiebelform begriffen. Die Wirkung des
Geburtenrückganges wird noch verstärkt durch den sehr starken
Geburtenausfall während der Kriegsjahre.
Der Geburtenrückgang vor dem Kriege wurde nicht durch einen
übermächtigen wirtschaftlichen Druck, sondern durch eine [431=Kartogramm] [432]
Entartung des natürlichen Willens zum Familienleben infolge
wachsender Lebensansprüche und abnehmender
Verantwortungsbereitschaft bewirkt. Nach dem Kriege ist infolge der
drückenden Wirkungen der Friedensverträge noch wirtschaftliche
Bedrängnis als Ursache der Kinderarmut hinzugekommen. Hier liegt das
Tragische der gegenwärtigen Bevölkerungslage im
großdeutschen Raume: dem auf dem Wege von Übervölkerung
zu Untervölkerung befindlichen Deutschen Reiche, dem
untervölkerten Gebiete des heutigen Österreich ist durch die
Gewaltsamkeiten der Friedensverträge künstlich eine
Übervölkerung aufgepfropft worden, die zu einer
Verschärfung des Nachwuchsmangels und damit zwangsläufig zu
einer starken Untervölkerung in der Zukunft führen muß. Die
Gegenwart kann und will eine starke Kinderaufzucht nicht tragen, der Zukunft
aber in 20 bis 30 Jahren wird dieser Ausfall an Nachwuchs bitter abgehen.
Die Begleiterscheinungen der Untervölkerung, Arbeitermangel und
Einwanderung unerwünschter Elemente in das deutsche Volksgebiet
werden hereinbrechen und der Rückgang der Volkszahl wird den
Niedergang des Volkes weithin sichtbar machen. Besonders gefahrdrohend ist
die Lage zunächst für das schwache, ohnmächtige
Österreich, das von mächtigeren Völkern stärkerer
Volksvermehrung umringt ist. Aber auch für das Deutsche Reich droht im
weiteren Lauf Gefahr aus der starken Volksvermehrung des nahen und fernen
Ostens. Die folgenden Zahlen auf nebenstehender Seite [Scriptorium merkt an:
nachfolgend] sollen das
näher veranschaulichen.
Österreichs natürlicher Zuwachs spielt ebenso wie derjenige
Frankreichs praktisch so gut wie keine Rolle mehr. Aber auch des Deutschen
Reiches Zuwachs wird von demjenigen Italiens beinahe erreicht, von demjenigen
Polens übertroffen, nicht zu erwähnen den jährlichen
japanischen Bevölkerungszuwachs, der mehr als das Doppelte, und den
russischen Bevölkerungszuwachs, der mehr als das Vierfache desjenigen
des Deutschen Reiches beträgt. So vollzieht sich schon in unseren Tagen,
gewissermaßen unter unseren Augen, durch die verschiedene
Vermehrungskraft der Völker eine Verschiebung der europäischen
und der Erdbevölkerung von weltgeschichtlicher Bedeutung. Frankreich,
das zur Zeit Napoleons die Hälfte der Bevölkerung Europas (ohne
Rußland) besaß, weist heute nur noch ein Zehntel der
Bevölkerung dieses Gebietes auf. Es ist in dieser Zeit folgeweise vom
Deutschen Reiche, Großbritannien, Preußen und Italien [433]
überflügelt worden.
Übersicht über Geburten und
Geburtenüberschüsse
in einzelnen Staaten14 |
Staat und Jahr |
Grundzahlen
|
Verhältnis-
zahlen |
Lebend-
geborene |
Geburten-
überschuß |
Lebend-
geborene |
Geburten-
überschuß |
|
England und Wales |
(1928) |
660.267 |
199.827 |
16.7 |
5.0 |
Frankreich |
(1928) |
745.315 |
70.205 |
18.2 |
1.7 |
Deutsches Reich |
(1928) |
1,182.477 |
442.889 |
18.6 |
7.0 |
Österreich |
(1929) |
112.121 |
14.693 |
16.7 |
2.2 |
Tschechoslowakei |
(1928) |
336.146 |
117.474 |
23.2 |
8.1 |
Ungarn |
(1928) |
219.049 |
72.849 |
25.6 |
8.5 |
Italien |
(1928) |
1,071.061 |
430.174 |
26.0 |
10.5 |
Rumänien |
(1927) |
603.284 |
210.434 |
35.5 |
12.4 |
Polen |
(1928) |
983.720 |
479.151 |
32.6 |
15.9 |
Europäisches Rußland |
(1926) |
3,519.888 |
1,851.668 |
49.9 |
26.2 |
Japan |
(1928) |
2,180.435 |
921.897 |
34.4 |
14.5 |
[434]
Die Lebendgeburten. Karte der Lebendgeburten auf 1000 der Bevölkerung der europäischen Staaten (1927).
|
Die Verschiebungen gehen weiter. Sie werden durch die heutige Verschiedenheit
der Vermehrungsverhältnisse und ihrer weiteren Entwicklung in der
Zukunft bestimmt. Für das Deutsche Reich besitzen wir eine
Vorausberechnung des Deutschen Statistischen Reichsamtes, neben die wir die
Zahlen für Frankreich (Sauvy) und für Italien (Gini) stellen:15
Jahr |
Deutsches Reich |
Frankreich
|
Italien |
1921 |
62.000 |
38.909 |
38.944 |
1931 |
64.538 |
39.540 |
43.553 |
1941 |
66.732 |
39.360 |
47.708 |
1951 |
67.248 |
38.445 |
51.603 |
1961 |
66.474 |
37.600 |
55.571 |
[434] Nach diesen Zahlen
würde bei Fortdauern des Geburtenrückganges schon im Jahre 1961
eine Abnahme der deutschen Bevölkerung zu bemerken sein. Das deutsche
Volk in Mitteleuropa hätte damit das traurige Erbe Frankreichs angetreten
und wäre wie dieses verurteilt, von anderen Völkern überholt
und in den letzten Winkel der Weltgeschichte gestellt zu werden.
Es tritt an uns die Frage heran, ob angesichts dieser Bevölkerungslage
Österreichs und des Deutschen Reiches der
Zusammenschluß der beiden außer seiner
gefühlsmäßigen Begründung nicht auch noch eine
bevölkerungspolitische Begründung findet. Diese Frage ist unbedingt
zu bejahen. Zunächst für Österreich. Soweit es sich um den
durch den Friedensvertrag von St. Germain geschaffenen wirtschaftlichen
Druck auf Österreich und seine Folgen für die
öster- [435] reichische
Bevölkerungsvermehrung handelt, so wäre ohne Zweifel das
Aufgehen Österreichs in dem großen, von viel lebhafteren Antrieben
bewegten Wirtschaftsgebiet des Deutschen Reiches auf weite Sicht der rettende
Weg aus der unverschuldeten Not und ihren Wirkungen auf die
Bevölkerungsvermehrung Österreichs. Die Vereinigung mit dem
großen Wirtschaftsgebiet des Deutschen Reiches würde auch eine
gute gegenseitige Ausgleichsmöglichkeit zwischen
überschüssigen Kräften auf dem einen Arbeitsgebiet und
fehlenden Kräften auf dem anderen ergeben, also beiderseits die
Auswanderung verringern. Sie würde ferner für Österreich
eine wirksamere Form der Auswanderungsorganisation, somit der besseren
Erhaltung der Auswanderer für ihr Volkstum zur Folge haben. Der
Nichtanschluß dagegen, sei es in Form der "Selbständigkeit" oder
irgendeiner politischen Verbindung mit seinen Nachbarn würde für
das untervölkerte und wehrlose Österreich der zweiten Hälfte
dieses Jahrhunderts eine beständige Überfremdung durch politisch
stärkere Nachbarn, somit eine beständige soziale und politische
Bedrohung bedeuten. Die wichtigste, für beide Teile in gleichem
Maße notwendige Wirkung des Anschlusses auf die beiderseitige
Bevölkerungslage würde ich aber in folgendem erblicken: Beruht der
seit Jahrzehnten dauernde Geburtenrückgang auf einer seelischen
Erkrankung des Volkes, ist er eine verhängnisvolle Entartungserscheinung
in seinem Denken, dann kann eine Umstimmung des kranken Organismus, eine
Umstellung der Volksmassen von persönlicher Genußsucht
und Lebensgier auf Opfermut und Verantwortungsfreudigkeit nur durch die
tiefe seelische Erschütterung des nationalen Erlebens
herbeigeführt werden. Throne sind gestürzt worden, Altare ins
Wanken geraten, ehrwürdige Ideale sinken in den Staub. Wenn in dieser
entgötterten Welt etwas die Zukunft des deutschen Volkes retten kann, so
ist es die Besinnung auf sich selbst, ist es die Idee der nationalen Einigung.
|