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Bd. 9: Das Deutsche Reich
und die Vorgeschichte des Weltkrieges, Erster Teil


Hermann Oncken, ord. Professor an der Universität Berlin

Kapitel 2: Das Deutsche Reich
unter der Staatsleitung Bismarcks 1871 - 1890
  (Forts.)

[287] 5. Europäische Hochspannung in den letzten Jahren der Staatsleitung Bismarcks (1885 - 1890).

Mit einer ermüdenden Monotonie kehren gewisse Grundhaltungen der Außenpolitik Bismarcks, zumal in dem Abwägen seiner Stellung zwischen Österreich und Rußland, bis zu dem Ausgang seiner Staatsleitung wieder. Sie lassen in ihrem Gesamtverlauf, wenn auch die einzelnen Phasen in dem vergänglichen Wechsel der Taktik sich unterscheiden, den Geist, der die Friedenspolitik des Deutschen Reiches beherrschte, in einem monumentalen, bei aller Bewegtheit einheitlichen Bilde erscheinen - aber die Gewalten, die dieser Friedenspolitik in den Weg treten, werden fortan in allen Lagern in steigendem Wachsen sein.

Seit dem September 1885 war von neuem, wie einst in dem Winter 1875/76, die orientalische Arena der diplomatischen Rivalitäten eröffnet, die sich bei jeder Wendung zu einem europäischen Kriegsschauplatze zu erweitern drohte. Die neue Sachlage erschien dadurch besonders verwickelt, daß nicht eigentlich der Ausgangspunkt, die Tatsache der bulgarisch-ostrumelischen Union, über die sich auch die Kaisermächte längst grundsätzlich geeinigt hatten, wohl aber die Begleit- und Folgeerscheinungen, die durch den Unionsakt mittelbar oder unmittelbar ausgelöst wurden, den Anstoß zur Verschärfung der europäischen Gegensätze gaben. So zufrieden auch Rußland mit einem Groß-Bulgarien, das dem russischen Einfluß gesichert war, gewesen wäre, so erbittert verwarf man in Petersburg die Möglichkeit, daß der verhaßte Fürst Alexander als Vollstrecker der Union sich dadurch befestigte; man sann vielmehr auf eine Gelegenheit, seine Person zu beseitigen und die gefährdete Beute wieder unmittelbar in die Hand zu bekommen. Auf der anderen Seite wollte Österreich, durch einen Freundschaftsvertrag mit König Milan von Serbien verknüpft, gegenüber der bulgarischen Machtverstärkung dem serbischen Staate, der nach Kompensationen begehrte, irgendeinen Ersatz verschaffen, um dadurch die eigene Partei in Belgrad am Ruder zu erhalten und einem Ausbrechen des serbischen Nationalgefühls in eigene Machtbezirke vorzubeugen. Im Grunde war das ganze Machtverhältnis [288] zwischen Rußland und Österreich auf der Balkanhalbinsel, dieses ganze sorgfältig ausbalancierte Gleichgewicht höchst labiler Elementargewalten, hinter denen die dunkle Urkraft der slawischen Gesamtbewegung sich rührte, in Gefahr, sich einer Lawine gleich in Bewegung zu setzen. Die dritte der Orientmächte aber, England, sah gerade in diesen Balkanwirren eine höchst willkommene Ablenkung von jenem großen Gegensatz, der es noch vor wenigen Monaten in Mittelasien an den Rand eines Krieges mit Rußland gebracht hatte; da es in einem vergrößerten und verselbständigten Bulgarien eine künstliche Barriere gegen den russischen Vormarsch auf Konstantinopel erkannt hatte, stellte es sich mit Entschiedenheit hinter den Fürsten Alexander. Wenn man dabei auch die Möglichkeit eines deutschen Thronwechsels in Rechnung setzte, so sollte diese Erwartung sich allerdings als verfrüht erweisen. Denn Kaiser Wilhelm I. hatte sich überraschend erholt, er schoß am 1. November 1885 dreißig Hirsche in der Schorfheide und ließ auch weiter die Politik der Staatsräson walten, ungestört durch dynastische Wünsche.

Gegenüber den sich kreuzenden Interessen der großen Mächte stand somit die Politik des Deutschen Reiches wie vor zehn Jahren auf dem Standpunkt der völligen Uninteressiertheit. Aber während damals die einzelnen Mächte noch ganz frei in ihren Beziehungen zueinander gewesen waren, war jetzt ein verwickeltes Bündnissystem an die Stelle getreten, in dessen Zentrum Deutschland als ehrlicher Makler und Friedenswächter seines Amtes waltete; es hatte in der neuen Krisis zugleich das Ergebnis der Friedenspolitik des letzten Jahrzehntes und damit seine eigene europäische Position nach allen Seiten zu verteidigen. In dem Zusammenhange dieser Sorgen erscheint es begreiflich, daß Bismarck unmutig von oben herab über die zwei Millionen Hammeldiebe schalt, die den Frieden Europas aufs Spiel setzten. Darum sah er, nach einer Besprechung mit Herrn von Giers in Friedrichsruh, zunächst seine Aufgabe darin, in Wien Zurückhaltung und Verständigung mit Rußland zu predigen. Er hatte einst genügend mit Kompensationsansprüchen, die sich aus dem europäischen Gleichgewicht1 herleiteten, zu tun gehabt, um dem Serben die Übertragung dieser Gleichgewichtsmethoden auf die Balkanwelt zu gestatten, und warnte die Österreicher davor, eine Verpflichtung gegenüber Serbien anzuerkennen. So gelang es ihm, Österreich und Rußland zur Verständigung zu bringen, die auf einer Botschafterkonferenz in Konstantinopel erfolgen sollte. Nicht aber gelang es, eine serbische Kriegserklärung an Bulgarien zu verhindern, die dem Verlauf der Dinge eine überraschend andere Wendung gab. Die unerwartet schnellen und vernichtenden Siege des Bulgarenfürsten nötigten die Vertreter der Mächte in Belgrad, seinem weiteren Vordringen mit einem kollektiven Schritte entgegenzutreten, und führten, als Fürst Alexander zunächst jedes Einlenken verweigerte, [289] den Österreicher zu dem weiteren Schritte, mit einer Drohung des Einmarsches in Serbien die Nachgiebigkeit des Bulgaren zu erzwingen.

Damit aber war die Situation von neuem und zwar in doppelter Hinsicht verschärft. Rußland war nicht nur über den Siegeslauf des Fürsten Alexander erbittert, weil er dessen bulgarische Stellung befestigen mußte, sondern ebensosehr durch das Dazwischentreten Österreichs gekränkt, das diesem Siegeslauf ein Ende machte, aber die Linie der geltenden vertraglichen Verpflichtungen überschritt und das slawische Gesamtgefühl verletzte. England dagegen sah jetzt die Stunde gekommen, die Botschafterkonferenz zum Scheitern zu bringen und sich bedingungslos hinter den Fürsten Alexander zu stellen, dem nach seinen Erfolgen, wie immer in solchen Fällen, auch die europäischen Sympathien aus vielen Lagern zuflogen. Um so mehr glaubte Graf Kálnoky, der bisher die Verständigung mit Rußland im Sinne des Dreikaiserbündnisses gepflegt hatte, im österreichischen Interesse handeln zu müssen. Solange der Waffenstillstand noch nicht gesichert erschien, war Österreich sogar gewillt, in Serbien einzurücken - und auf diesem heißen Boden konnte jede Stunde den Zwischenfall bringen, der den äußeren Anlaß zum Einmarsch gab. Ungeheuer aber wallte die Aufregung in den politischen Kreisen Rußlands auf. Der Zar rief aus: Wir sind von Österreich betrogen. Während in Wien Kálnoky offen klagte, Österreich hätte hoffen dürfen, daß sein deutscher Verbündeter auf seine Interessen Rücksicht nehme, glaubte Herr von Giers, niemals ganz fest in der Gunst des Kaisers stehend, schon sein Amt niederlegen zu müssen - das Ende der Politik des Dreikaiserbündnisses stand vor der Tür.

Um so bestimmter erklärte Bismarck, die Mitverantwortlichkeit für einen Einmarsch nicht übernehmen zu können. Die Sorge, daß Österreichs Interessen verletzt werden könnten, reichte für ihn nicht aus, um ein Überschreiten der Verträge von 1881/84 durch so folgenschwere Gewaltmaßregeln zu gestatten. Er wußte zur Genüge, daß bei einer militärischen Operation, welche die Leidenschaften der Völker und Stämme wecke, die Grenzen zwischen zeitweiligem Eingreifen und längerer Aufrechterhaltung zu unsicher seien, um nicht bei der nächsten Wendung schon die russische Kriegsgefahr zu entfesseln. Mit hohem Ernste verteidigte er gegenüber dem stillen Vorwurfe Wiens seine Politik, an der vorgängigen Verständigung seiner beiden Verbündeten in allen Orientfragen festzuhalten, und erinnerte warnend daran, daß auch für Rußland ebenso wie für Österreich Interessen der inneren Ruhe und Ordnung auf dem Spiele ständen: "Wenn es dem Kaiser Alexander bisher auch gelungen ist, Ausbrüche der Österreich feindlichen öffentlichen Meinung seines Landes zu dämpfen, so bleibt doch die Tatsache bestehen, daß sich in Rußland eine große Aufregung für die slawischen Brüder zeigt, welche leicht wie vor dem letzten Türkenkriege zu hoher Spannung des nationalen Drucks und zu Attentaten gegen die Person des Zaren führen kann." So sehr er die Gefährlichkeit der panslawistischen Tendenzen seit langem [290] bekämpfte, so stellte er doch ihr Vorhandensein und ihre Einwirkung auf die amtliche Politik realistisch in Rechnung, um verständnisvoll seine Ratschläge für den Frieden zu erteilen. So gab er auch in Wien ernstlich zu erwägen, ob der Doppelmonarchie in ihrem eigensten Interesse an der Förderung national-serbischer Bestrebungen gelegen sein könne.

Seinen Bemühungen gelang es, die Leitung der österreichischen Politik zum Verzicht auf den Einmarsch in Serbien zu bringen, der durch den Abschluß des förmlichen Waffenstillstandes zwischen Serbien und Bulgarien am 22. Dezember sowieso unnötig wurde. Auch fortan verfolgte er die Linie der Zurückhaltung und mäßigenden Einwirkung auf Gegensätze, in denen der Keim zu einem europäischen Zerwürfnis lag. Das völkerrechtliche Verhältnis zwischen der Türkei und Bulgarien wurde am 5. April 1886 in der höchst provisorischen Form wiederhergestellt, daß nur der jeweilige Fürst von Bulgarien auf fünf Jahre zum Generalgouverneur von Ostrumelien bestellt wurde. Damit schien zunächst eine Schonzeit des Friedens auf dem Balkan und in Europa eingeleitet, aber sie erwies sich als nicht von langer Dauer. Es hätte vielleicht nicht einmal des unruhigen Tatendranges des Fürsten Alexander bedurft, der in seiner Thronrede vom 14. Juni 1886 eigenmächtig die Realunion zwischen Bulgarien und Ostrumelien vollzog und gleich darauf sogar Bündnissondierungen in Bukarest vorzunehmen wagte - um nicht, nachdem einmal der Widerstreit der großmächtlichen Orientinteressen aufgerufen war, eine viel ernstere Gefahr für den europäischen Frieden zu entfesseln.

Es waren nicht eigentlich Einzelvorgänge in der Abwicklung der bulgarischen Geschicke, die eine neue Krisis heraufbeschworen, sondern entscheidend wurde die im Laufe der Monate sich immer mehr vertiefende Erkenntnis der Russen, daß die ganze Befreiungspolitik gescheitert sei. Man konnte sich nicht länger verhehlen, daß die Orientpolitik des Zarbefreiers, die man einst nach jahrelanger Vorbereitung unter vielen Opfern und Schwierigkeiten unternommen hatte, schließlich doch nicht zu der erhofften russischen Machtverstärkung geführt habe, sondern zur Bildung eines neuen, auf sich selber gestellten und seiner Unabhängigkeit nachtrachtenden Nationalstaates, der durch sein Dasein und unter dem Einfluß anderer großmächtlicher Einflüsse den Weg nach Konstantinopel, statt ihn zu öffnen, eher versperren mußte - jenem geschichtlichen Lebensgesetze gemäß, daß befreite Völker nicht dankbar, sondern undankbar sind, weil sie sich von dem Befreier befreien müssen. Das war die ungeheure Enttäuschung, die das russische Volk oder genauer, seine aktive slawophile Oberschicht mit brennendem Schmerze empfand. Der säkulare Machtwille, der in dem riesigen russischen Körper steckte, sah sich gleichsam um seine letzten Ziele an der entscheidenden Stelle betrogen, und alle politischen Lebenskräfte, die sonst in dem Innern des Zarenreiches nicht zur Geltung kamen, entluden sich nach dieser Seite, nach außen hin. Und so wenig die im geschichtlichen Zusammenhange unausweich- [291] liche Entwicklung der Balkanvölker irgendwie Dritten und zumal der deutschen Politik zur Last gelegt werden konnte, so versteifte sich doch der nationalistische Instinkt in der Vorstellung, daß der Ausgangspunkt aller dieser Dinge in dem Berliner Kongreß zu finden sei, daß aber die erneute Anlehnung an die beiden anderen Kaisermächte an diesem für Rußland negativen Ausgang nichts geändert habe. Dieser politische Kalkül erzeugte wiederum, wie in den Jahren nach dem Berliner Kongreß, eine gegen Deutschland gerichtete Stimmung, mit allen Bitterkeiten, die sich aus einem solchen Prozeß der Verdrängung ergeben, und befestigte weiterhin die Überzeugung, daß die Verträge von 1881 und 1884, während deren Dauer das alles sich vollzogen hatte, eigentlich ein Fehler seien. Man sah tagtäglich die Ergebnisse des letzten Krieges, eines nach dem andern, verschwinden, und da diese Verluste sozusagen unter der Flagge des Dreikaiserbündnisses vor sich gingen, so verringerte sich die niemals sehr lebhafte Stimmung für diesen Geheimbund, um sich mehr und mehr in einen offenen Widerstand dagegen zu verwandeln.2 Man fragte sich, wozu er diene, und fand die Antwort: nur um dem österreich-ungarischen Ehrgeiz ein freies Feld auf dem Balkan zu eröffnen und den Deutschen eine überragende Stellung in der Mitte Europas zu sichern.

Dementsprechend begann sich in der öffentlichen Meinung, ohne einen greifbaren Anlaß, zunächst kaum merkbar, dann schärfer zugespitzt, die politische Verstimmung gegen Deutschland zu richten. Schon Anfang Mai 1886 hatte Katkow in der Moskovskija Vedomosti jenes verschwiegene Lieblingsthema angeschlagen, das wir seit 1871 kennen: Rußlands Freundschaft werde für Deutschland so lange einen Wert haben, als es notwendig sein würde, am Rhein und hinter dem Rhein große Massen aufzustellen.3 Als der Botschafter von Schweinitz Ende Mai 1886 auf seinen Posten zurückkehrte, fiel ihm vor allem die veränderte Sprache auf, welche von den russischen Zeitungen und von einigen Personen in bezug auf Frankreich geführt wurde.4 Das wohlbekannte Spiel, dessen Ton früher nur in der Diplomatie leicht und versteckt angeschlagen wurde, begann jetzt in der russischen Öffentlichkeit, die sich nur innerhalb der ihr von oben gezogenen Grenzen frei bewegen konnte, die Musik zu bestimmen.

Durch diesen Umschwung der Stimmung aber - das war das Neue und für die europäische Staatspolitik unendlich Folgenreiche - wurde ein anderer gefährlicher Gegenspieler aufgerufen, der nach längerer Zurückhaltung nunmehr seine Zeit hereinbrechen sah: der französische Chauvinismus, der seit dem Sturz Ferrys im Frühjahr 1885 in den Vordergrund drängte und seit der bulgarischen Revolution die Gunst der Stunde witterte. Es war nicht etwa ein einzelner [292] Konflikt oder ein allgemeiner Interessengegensatz, der die stärkere Wendung zur Revanche auslöste - denn von alledem war in den deutsch-französischen Beziehungen damals nicht die Rede -, sondern der Umschwung der Weltlage, der nach der Periode der Entspannung von 1884/85 wieder den anderen und eigentlichen Weg möglich machte, nach dem die Seele so vieler Franzosen verlangte. Schon bald nach dem Kriege hatte Bismarck vorausblickend geurteilt, es könne sich nur darum handeln, welche Zeit die Franzosen brauchen würden, um ihre Armee oder ihre Bündnisse so weit zu reformieren, daß sie ihrer Meinung nach zur Wiederaufnahme des Kampfes fähig sein würden.5 Jetzt zum ersten Male glaubte man, der Armee sich sicher fühlend, auch die Möglichkeit eines Bündnisses heraufziehen zu sehen. Des einen Bündnisses, das man brauchte. Noch während des Krieges von 1870/71 hatte ein unpolitischer Kopf wie Erneste Renan das allein mögliche Programm der Zukunft für Frankreich in die prophetische Forderung gefaßt: "Attiser la haine toujours croissante des Slaves contre les Allemands, favoriser le panslavisme, servir sans réserve toutes les ambitions russes" - immer war es die heimliche Hoffnung geblieben, aber erst wenn das Dreikaiserbündnis, das im Wege stand, ernstlich durchlöchert wurde, ließ sich an die Verwirklichung des Traumes denken.

Dieses neue Verhalten der öffentlichen Meinung hatte seit dem Januar 1886 in dem Kriegsminister General Boulanger auch die persönliche Verkörperung gefunden, deren der politische Sinn der Franzosen bedarf, um die Geister mit Enthusiasmus fortzureißen.6 Der Ruf der Revanche ging ihm schon voraus, und sobald er im Amte stand, sah er seine oberste Pflicht darin, das heilige Feuer zu schüren. Tapfer und tätig, ehrgeizig und eitel, hatte er damals noch nicht die Mängel des Charakters enthüllt, die später seine innere Leere und Haltlosigkeit aufdeckten. Bald umgab eine lärmende und herausfordernde Presse die aufsteigende Hoffnung der Franzosen, vielfach Eintagserzeugnisse, die heute hunderttausend Abnehmer fanden und morgen schon andern Platz machten; schon strömte, von dem Zentrum ausgehend, aus manchen Kundgebungen der Generale ein verheißender und drohender Ton, der die Herzen höher schlagen ließ. Die Seele dieses Revanchegeistes, dessen Hauptprediger Paul Déroulède, der Gründer der Patriotenliga war, lebte innerlich von der russischen Möglichkeit, und was sie fühlte und mit lauter Geberde kundgab, geschah vor allen Dingen im Hinblick auf den russischen Widerhall. Es war noch nicht die Forderung des Revanchekrieges: wenn sie bestimmt und auf nahe Frist gestellt worden wäre, würde sie [293] wohl von der erdrückenden Mehrheit der Franzosen abgelehnt worden sein. Allein nach einer chauvinistischen Hetzschrift, wie der von Déroulède eingeleiteten "Avant la bataille" (April 1886), ist die französische Stimmung noch keineswegs zu beurteilen. Einer der klügsten deutschen Beobachter sagte damals mit Recht: "Trotz der Antipathie, die Revanche praktisch in Szene zu setzen, ist das Spiel mit der Revancheidee allen Franzosen eine angenehme Beschäftigung und für die Staatsmänner eine Pose, die sie nicht entbehren können. Somit ist das Revanchegefühl ein wichtiger Faktor der inneren und äußeren Politik - im Innern der fortgesetzten militärischen Machtvermehrung und Reformarbeit - nach außen des Strebens nach europäischen Konstellationen, welche eintretendenfalls die Ausführung der Idee erleichtern und begünstigen."7

Diese Konstellation schien mit jedem Tage günstiger zu werden. An den bulgarischen Vorgängen erhitzte sich der gegen die Mitte gerichtete Ton der Moskauer und Petersburger Presse; er wirkte anfeuernd auf die Revanchehoffnungen zurück, die sich immer kecker in einem Teil der Pariser Presse äußerten. Es war ein Ineinanderspielen zweier wesensverwandter Triebkräfte, die sich wechselseitig steigerten; so wenig sie zunächst auf der einen oder andern Seite die amtliche Politik bestimmten, so sehr vermochten sie, sich wechselnd den Ball zuwerfend, die Atmosphäre zu erhitzen, damit sie eines Tages der amtlichen Politik ihren Weg vorschreiben könnte. Sie fanden in Rußland seit der Gründung der Nouvelle Revue durch den Franzosen Cyon ein Organ, das sich geradezu dieses Wechselspiel der Ermutigung zur Lebensaufgabe machte. Schon begann man, in einem systematischen Zusammenspiel, den Ton und den Grad der Herausforderungen schrittweise zu steigern. Im Laufe des Sommers wurde Déroulède auf einer Rundreise in Rußland, besonders in Odessa, von den Behörden und von der Gesellschaft lärmend gefeiert, und gleichzeitig, gleichsam im Austausch kriegerischer Gefühle, hielt ein russischer General eine anspielungsreiche Verbrüderungsrede, als jenes Denkmal des Generals Chancy in Nouart eingeweiht wurde, dessen pathetische Aufschrift die französischen Generale aufforderte, sich den Marschallstab jenseits des Rheines zu holen. So wurde im Laufe des Jahres General Boulanger, der diesen neuen Geist ausgesprochen vertrat, eine Macht. Im August 1886 bezeichnete ihn Jules Ferry bereits als eine Gefahr für das Kabinett, eine Gefahr für die Armee, eine Gefahr für die nationale Sicherheit.8 Vom europäischen Standpunkt aus mußte man hinzufügen: eine Gefahr für den Frieden.

Aber man begreift, daß die panslawistische Partei in Rußland mit diesem Geiste ihre Orientpolitik gewinnen wollte: und so begann sie im Sommer 1886 ihr Spiel offener und angriffslustiger aufzudecken. In einem berühmt gewor- [294] denen politischen Artikel in der Moskovskija Vedomosti vom 19./31. Juli 1886 übernahm Katkow selbst die Führung. Er war durch die Indiskretion russischer Diplomaten über die geheimen Verträge von 1881 und 1884 unterrichtet worden9 und entschloß sich, in sorgfältig verdeckten Laufgräben, zum Angriff auf diese ihm verhaßte Zentralstellung. Wie zehn Jahre zuvor Dostojewski stellte er die große Frage, ob die deutsche Freundschaft eine Notwendigkeit für Rußland sei, oder ob sie nicht alles für Deutschland bedeute. Er kam zu dem Ergebnis, wenn Deutschland so hoch dastehe, so tue es dies, weil es auf Rußland stehe: Deutschland verdanke Rußland alles, sogar seine Existenz, und sinke zu einer gewöhnlichen europäischen Macht herab, sobald Rußland ihm nicht mehr als Piedestal diene. Er war klug genug, nicht einen völligen und plötzlichen Kurswechsel in der Außenpolitik vorzuschlagen: "Wir sind überzeugt, daß man in unseren Worten eine Anspielung auf eine franco-russische Allianz sehen wird, aber wir protestieren gegen eine solche Auslegung. Wir wünschen, daß Rußland sich in freien, wenn auch freundschaftlichen Beziehungen zu Deutschland befinden soll, daß aber solche Beziehungen auch zwischen uns und anderen Mächten bestehen, desgleichen auch mit Frankreich, welches mehr und mehr eine ihm gebührende Stellung einnimmt." Es war noch nicht die Forderung eines neuen Separatbündnisses, um so mehr aber Spott über Herrn von Giers, der Bismarck in Friedrichsruh besuche, wie einst die russischen Gesandtschaften zum Khan der goldenen Horde während der Tatarenherrschaft pilgerten, es war die Forderung der freien Hand, um sich auch den Weg nach Paris zu öffnen, damit Deutschland von seiner hegemonischen Höhe heruntergeholt und Rußland an seine Stelle gesetzt werde. Man hat mit Recht von diesem Artikel Katkows die bewußt gewordene Abkehr von der bisherigen Politik datiert.10 Er bereitete einen Weg, dessen Ende nicht mit Worten genannt, aber eindeutig zu erkennen war. Es war die versteckte Kriegserklärung gegen das Dreikaiserbündnis von 1881 und 1884.

In diesem Augenblick sah Bismarck seine Politik, den Russen an seiner Seite zu halten,11 an einem kritischen Wendepunkt angelangt. Gewiß, er konnte die Russen "stellen", sie amtlich befragen, welchen Sinn alle diese Vorgänge hätten, die "in der öffentlichen Meinung Deutschlands nicht nur, sondern ganz Europas den Eindruck hervorrufen, als ob wir nicht, wie wir glaubten, in einem freundschaftlichen, sondern in einem feindlichen Verhältnis zu Rußland ständen". Dieses Verhalten erschwere jede Anlehnung Deutschlands an Rußland, wie es anderseits Frankreich zu einem Kriege ermutigen müsse.12 Aber er kannte die Art, in der man amtlich auswich. Auch diesmal hieß es, daß die russische Diplo- [295] matie die Hetze gegen Deutschland mißbillige; man erklärte die Artikel der Presse für ganz belanglos gegenüber der Autorität des Zaren und konnte sich nicht genug tun, von oben herab, fast verächtlich, über die französischen Annäherungen zu sprechen.13 Nicht aber wurde die Frage beantwortet, weshalb in einem Lande, in dem der Wille des Zaren-Selbstherrschers unumschränkt gebot, alle diese Dinge zugelassen wurden. Wollte man durch dieses Spiel mit der französischen Karte die deutsche Politik einschüchtern, sie in der Orientpolitik von der Seite Österreichs ablösen oder gar das deutsch-österreichische Bündnis zu sprengen suchen? War es nicht die alte, wohlbekannte Melodie, einst nur im diplomatischen Verkehr gespielt, jetzt gröber instrumentiert, mit populären Mitteln vor aller Öffentlichkeit geübt? Ging es nicht von neuem um die Autonomie der deutschen Politik, die Bismarck im Jahre 1879 begründet hatte? Trotz der neuen Verträge zu Dreien wußte der Reichskanzler ganz genau, daß er es nicht wie in früheren Zeiten mit einem eindeutigen Partner zu tun hatte. Er fühlte, wie das monarchische und amtliche Rußland, mit dem das Deutsche Reich durch Verträge freundschaftlich verbunden war, immer mehr jenes andere unterirdische und deutschfeindliche Rußland gegen seine Friedenspolitik ausspielte.

So sah Bismarck sich, wie vor sieben Jahren, erneut an den Kreuzweg der Entscheidungen zurückgeworfen. Was in seinem Innern vorging, erhellen blitzartig seine Randbemerkungen zu den Berichten über die russischen Äußerungen. Am 5. August: "ja. confer 1879!... Drohungen rufen in der großen Politik nicht nur Verstimmungen, sondern Gegenverstimmungen hervor, die sich nicht rückgängig machen lassen und die Wege festlegen." Und am 10. August: "Zu spät; inzwischen tritt Anlehnung an England ein, wie 1879 an Österreich." Das war nur der erste Eindruck, der Gedanke, das System der Bündnisse eines Tages noch weiter ausdehnen zu müssen; vielleicht dadurch ausgelöst, daß einige Tage zuvor in England ein Ministerium Salisbury erneut an die Stelle Gladstones getreten war und die Möglichkeit eröffnete, im Notfall den Dreibund über den Kanal hinweg zu verlängern. Aber es war nur eine unter vielen Möglichkeiten, die in der ruhelosen Seele des Staatsmannes erwogen wurden. Er war entschlossen, an keiner vorbeizugehen, die sich seinem erfindungsreichen Nachdenken bot, als er jetzt in die letzte und unruhigste Epoche seiner europäischen Politik eintrat. Jede Auseinandersetzung mit Rußland hatte auch eine Seite, die nicht nur die Außenpolitik des Deutschen Reiches anging, sondern auch seine Innenstruktur: das war die Polenfrage. Bevor wir dazu übergehen, das System der Politik aufzurollen, mit der Bismarck der europäischen Krisis begegnete, haben wir einen Blick auf seine Polenpolitik zu werfen, auf die gesetzgeberischen Maß- [296] nahmen des preußischen Staates, die mit der Ausweisung fremdstaatlicher Elemente in den östlichen Grenzprovinzen im Jahre 1885 begannen und in der Ansiedlungspolitik in der Ostmark im Jahre 1886 gipfelten. Daß diese Polenpolitik ihre zwingenden innerpolitischen Motive besaß, bedarf keiner Erörterung; die bevölkerungspolitische Verschiebung in der Ostmark sprach eine deutliche Sprache, und es lag nahe, nach dem Abschluß des Kulturkampfes, die nationale Abwehr auf ein vom Konfessionellen nicht berührtes Gebiet zu verlegen. Die Dinge hängen aber zugleich mit dem deutsch-russischen Spannungszustande zusammen, sie haben auch ein außenpolitisches Gesicht.14 Die herkömmliche Auffassung besagt, daß jede scharfe Polenpolitik Preußens auch den Russen eine gewisse Garantie gab. Bismarck nahm gleichsam die Tradition wieder auf, die seine Außenpolitik im Jahre 1863 während des Polenaufstands begründet hatte, und mochte daher auf eine günstige Aufnahme seiner Maßnahmen rechnen, die sich auf dem ursprünglichsten Gebiet deutsch-russischer staatspolitischer Interessengemeinschaft bewegten. Aber schon die Ausweisungspolitik stieß in Petersburg auch auf Kritik, weil sie dem Nationalismus der Slawophilen ein Schlagwort lieferte, und Schweinitz neigte dazu, sie für falsch berechnet und fehlerhaft zu halten. Das letzte Motiv der Polenpolitik Bismarcks ließ aber auch noch eine andere Deutung zu. Wenn eines Tages trotz aller Bemühungen ein Krieg mit Rußland unvermeidlich wurde, gewann die polnische Frage sofort eine zentrale Bedeutung. Die österreichische Politik war entschlossen, im Kriegsfalle diese Karte mit höchster Wucht gegen Rußland auszuspielen, Polen zu insurgieren und eine national-polnische Armee aufzustellen; auch im deutschen Generalstab rechnete man in einem solchen Falle mit dem Projekt einer Herstellung Polens. Das war ein Kampfmittel, das an sich Bismarck nur in dem Entschluß bestärken konnte, den russischen Krieg, wenn irgend möglich, zu vermeiden; aber wenn ihm der Krieg aufgezwungen wurde, gedachte auch er, um der Selbsterhaltung willen, diese Waffe aufzunehmen.15 Wenn aber mit einer solchen Möglichkeit gerechnet werden mußte, so empfahl es sich, rechtzeitig und im Frieden die eigene nationale Stellung im Osten so stark wie möglich zu machen, und in Westpreußen und Posen das polnische Element zu schwächen, sei es durch Abschiebung von Ausländern, sei es durch deutsche Ansiedler: so erklärte er dem österreichischen Bundesgenossen seine Maßnahmen.15 Und es entsprach dem elastischen Geiste des Listenreichen, auch gegen künftig vielleicht zu entfesselnde Gefahren der Infektion den deutschen Staatskörper frühzeitig zu immunisieren. Wie dem auch sei, die [297] halb innenpolitische, halb außenpolitische Gegnerstellung der preußischen Polen machte sie ihm gefährlich. Er war erbittert, als die polnische Fraktion die Abwehr aus dem dafür zuständigen preußischen Landtag in den deutschen Reichstag verlegte, dessen oppositionelle Mehrheit in einer Resolution die Ausweisungen als nach Art und Umfang unberechtigt verurteilte (16. Januar 1886); in heftigen Ausbrüchen schalt er über den Vorstoß und drohte, sich von dem Reiche auf die Preußische Position oder gar einen neuen "Bund" zurückzuziehen.16 Der europäische Spannungszustand begann auch bei uns auf die innenpolitische Situation zurückzuwirken. Wenn im weiteren Verlauf russische Ukase das Recht ausländischen Grundbesitzes in den Westprovinzen wesentlich einengten, oder zum Angriff gegen die deutsche Kultur in den baltischen Landen vorgingen,17 so mochte auch diese Antwort der Säuberung eines Kampfplatzes der Zukunft dienen. Der Vorgang verriet zugleich das Übergreifen des nationalistischen Elements auf die Außenpolitik. Die alte autonome Politik der Großen Mächte sah sich überall den Strömungen der Tiefe ausgesetzt, die den Kurs zu bestimmen trachteten, und auch für das System Bismarcks wurde eine neue Problematik sichtbar. Insbesondere begann in der jetzt gewitterschwer heraufziehenden europäischen Krisis, wie jedesmal in den großen Krisen des Jahrhunderts, im tiefsten Grunde auch das ungelöste polnische Problem mitzuspielen.

Aber das polnische Mittel war doch so beschaffen, daß man, bevor man es anwandte, vom preußisch-deutschen Standpunkte alles getan haben mußte, um seine Anwendung zu vermeiden. Und so entschloß sich Bismarck, in jenen Tagen der erregten Randbemerkungen, vor allen Gegenstößen zunächst einen Versuch zu machen, die anscheinend verlorengegangene Fühlung mit Rußland wiederherzustellen. Da in dem nächsten Monat der Zar sich an der russisch-deutschen Grenze aufhielt, ließ er ihm mitteilen, daß er, wie im Vorjahre, den jungen Prinzen Wilhelm zu seiner Begrüßung entsenden werde.

Schon vorher hatte Bismarck dem russischen Minister von Giers auf einer Zusammenkunft in Franzensbad am 25. August 1886 die Gewißheit gegeben, daß er niemals die Wege Rußlands in Bulgarien kreuzen würde; er schlug ihm vor, den großen Gegensatz durch eine Demarkationslinie auf dem Balkan zu entgiften,18 nach der Österreich den russischen Einfluß in Bulgarien und Rußland den österreichischen Einfluß in Serbien gewähren lassen solle. Ferner erörterte man die Grundlage eines neuen Vertrages, wenn der bestehende ablaufen und in derselben Form nicht wieder erneuert werden [298] sollte.19 Giers, der für seine Person an der Aufrechterhaltung der bisherigen Verträge festhielt, erklärte, den deutschen Freundschaftsdienst in der bulgarischen Sache nicht vergessen zu wollen.

Denn schon war der Russe dazu übergegangen, das in Bulgarien verlorene Terrain auf dunklen und gewaltsamen Wegen zurückzugewinnen. In der Nacht vom 20./21. August war Fürst Alexander von militärischen Verschworenen überfallen und über die Grenze geschafft worden; nach seiner Rückkehr am 30. August entschloß er sich, vor der feindseligen Ungnade, die ein Telegramm des Zaren ihm vor aller Welt ankündigte, den bulgarischen Boden nach wenigen Tagen zu verlassen. Die Russen hatten mit ihren asiatischen Methoden der englischen Politik, die soeben wieder in die Hände Salisburys übergangen war, ihre "wesentlichste Waffe"20 aus der Hand geschlagen. Bismarck aber sah mit der gefährlichen Person des Fürsten Alexander nur den Zankapfel zwischen Rußland und Österreich verschwinden; so übel der allgemeine Eindruck in Europa war, er blieb entschlossen, die in Bulgarien vollzogenen Tatsachen um seiner allgemeinen Friedenspolitik willen hinzunehmen und über alle Nebenumstände souverän hinwegzusehen. Darum hielt er auch jetzt an der Reise des Prinzen Wilhelm nach Brest-Litowsk (12. September) aus dem entscheidenden Motiv fest; "unser Zweck, vor Europa die Dreikaiser-Entente zu dokumentieren und dadurch den Frieden zu befestigen, bleibt derselbe."21 So hatte denn der Besuch des Prinzen, der zugleich die russischen Gewaltsamkeiten vor der Welt deckte, zunächst die formelle Wirkung, daß der Zar dem Prinzen befriedigt erklärte, er wolle den Frieden und die Aufrechterhaltung der Dreikaiserentente.

Aber der große sachliche Gegensatz, der die Krisis hervorgerufen hatte, war durch die Entfernung der Person des Fürsten Alexander nicht aufgehoben, er schwoll nur immer stärker an, je mehr die endgültige Entscheidung über das Schicksal Bulgariens - und hinter ihm stand der russische Landweg nach Konstantinopel! - herannahte. Dabei stellte sich sehr bald heraus, daß die formale Lösung, die Bismarck mit dem Vorschlag der Demarkationslinie und der Teilung der Interessensphären anstrebte, bei keiner der beiden Mächte auf Gegenliebe stieß.

Die österreichische Politik, der Gunst der europäischen Meinung sicher, von der englischen Staatskunst angespornt, wollte die Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, ohne die Verlegenheit Rußlands im Sinne seiner eigenen Orientinteressen zu nutzen. Eine russische Festsetzung in Bulgarien erschien unerträglich, weil sie den Weg nach Konstantinopel scheinbar widerstandslos öffnete; und der heim- [299] liche Rat Bismarcks, einem russischen Vorstoß über den Balkan auf Konstantinopel zuzusehen, weil man dann militärisch und politisch in die Flanke der Russen käme, war zu fein, um die Gemüter zu beruhigen.22 Wenn Kálnoky persönlich auch zu weitgehender Anpassung an die Politik Bismarcks bereit war, im ungarischen Parlament wallten die Leidenschaften, von dem ehemaligen Minister Andrássy selber angefeuert, heftig empor und drängten zur Tat. In der öffentlichen Meinung stellte man sich, als ob man von der deutschen Bundestreue die Unterstützung einer aktiven Orientpolitik erwarten dürfe, und begann schon die Frage aufzuwerfen, wenn das Bündnis in dieser Lebensfrage versage, welchen Nutzen es dann eigentlich habe für die habsburgische Monarchie? Diese Stimmungen setzten sich auch nach Zisleithanien fort, und Bismarck selbst mußte sich herbeilassen, in Artikeln der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung in eine Polemik mit der Wiener Presse einzutreten und den richtigen Sinn des von ihm geschaffenen Bündnisinhaltes wiederherzustellen.

Ja, zum ersten Male geschah es, daß Bismarck sich genötigt sah, seine Außenpolitik auch gegen die Kritik eines großen Teils der deutschen öffentlichen Meinung, die den Gesamtzusammenhang nicht zu durchschauen vermochte, zu verteidigen.23 Ein großer Teil der Presse nahm für Bulgarien und den Battenberger Partei; nicht nur aus dem sentimentalen Motiv, das für den "ritterlichen" Fürsten gegen die russische Barbarei sprach, oder aus dem unklaren Gefühl, daß die deutsche Macht solche Gewalttaten vor Europa decke. Sie übernahm zugleich die Argumentationen der Wiener Staatsleitung und Presse, und auch die englisch-battenbergische Tonart, die am kronprinzlichen Hofe einen leidenschaftlichen Rückhalt fand, hallte in dem Lager der schon auf den Thronwechsel eingestellten deutsch-freisinnigen Parteipresse lärmend wieder. Die Opposition des Reichstages glaubte in günstiger Stunde den sonst gemiedenen Boden der Außenpolitik betreten zu dürfen. Wenn die einen klagten, die monarchische Gesinnung müsse Schaden leiden durch die Billigung der Sofioter Vorgänge, so erhoben die anderen den Vorwurf, daß man gegen eine junge, sich selber bestimmende Nation Partei zugunsten der Unterdrücker nehme. Die Germania sah wieder einmal den großen Augenblick für den deutsch-österreichischen Bund gekommen, die Straße nach Konstantinopel den Russen zu versperren, und die Freisinnige Zeitung Eugen Richters meinte, die Unterwerfung unter den Willen des Zaren möge den Weltfrieden bedeuten, aber man nähere sich [300] der Grenze, wo die Unterwerfung aufhören müsse. Die demokratische Volkszeitung (die regelmäßig von der Kronprinzessin gelesen wurde) höhnte sogar: "die brutalsten Rechtsbrüche des zaristischen Despotismus ruhig hinzunehmen, weil ihnen die »Gewissenlosigkeit« fehle, einen Krieg mit Rußland zu führen, das hätten die Diplomaten des Deutschen Bundes wirklich auch gekonnt"; sie verstieg sich sogar zu der Phrase: wenn Deutschland in der Weltpolitik auf diese bescheidene Rolle sich beschränken wollte, dann hätte das deutsche Volk sich die Ströme von Blut und Schweiß sparen können, die dazu gehörten, das Deutsche Reich zu gründen. Das Berliner Tageblatt wagte auch den letzten Schritt zu dem Ruf nach den Waffen: wenn der europäische Friede nur durch ein Mittel erhalten werden könne, welches die Moral im Volke untergrabe, so dürfe man fragen, ob nicht ein gesunder Krieg einem so krankhaften Frieden vorzuziehen sei?

Selbst in dem militärischen Lager begann hier und da schon die echte Besorgnis aufzusteigen, ob in der Mitte zwischen dem französischen Chauvinismus und der drohenden Sprache der russischen Presse ein kraftvolles Auftreten der deutschen Politik nicht die einzig mögliche Antwort sei.24

Genug, auf einer sehr weit ausladenden Basis der Kritik wurde die sonst über jede Anfechtung erhabene Außenpolitik Bismarcks einer Prüfung unterworfen, ob sie mit ihrer Nachgiebigkeit gegen Rußland nicht zu weit gehe, ob sie nicht der Meinung Europas oder gar der Würde der Nation zuwiderlaufe; vor allem aber: ob sie überhaupt den von ihr verfolgten Zweck erreiche. Das ganze System dieser Politik stand mit einem Schlage, aus den verschiedensten Beweggründen, zur öffentlichen Erörterung - dagegen hatte die Autorität Bismarcks, ja, letzten Endes seine innere und äußere Machtstellung im Staate sich zu behaupten.25

Unerschüttert durch den Ansturm von allen Seiten blieb Bismarck entschlossen, seine Politik unter allen Umständen weiter zu verfolgen. Gegen die Kritik in allen Lagern, gegen die bitteren Klagen der Enttäuschung in Wien, [301] und gegen die skrupellose Ausnutzung der Konjunktur von der russischen Seite her. Wenn ein Pariser Chauvinistenblatt beklagte, daß mit dem Battenberger der Kriegsanlaß zwischen Rußland und Deutschland hinweggeräumt sei, so verstand sich für Bismarck die umgekehrte Schlußfolgerung von selbst; mochte die Königin Victoria, auf der höchsten Woge ihrer Familienpolitik treibend, ihrem geliebten "Sandro" immerhin versprechen, ihre Regierung würde alles aufbieten, "um die Mächte gegen Rußland und für Dich zu gewinnen";26 das deutsche Interesse verbot es, zumal bei der Unsicherheit jeder englischen Hilfe, sich aus diesem Anlaß ins Feuer schicken zu lassen.27 Aber Bismarck war sich natürlich darüber im klaren, daß dieser Widerstand nach innen, gegen Wien und London, doch nur eine Kampffront zweiten Grades war, daß die eigentliche Kampffront gegen die russische Politik und die in ihr liegenden Gefahren gerichtet war. Sollte es ihm gelingen, Rußland an der Seite Deutschlands und im Lager des Friedens festzuhalten, oder mußte er damit rechnen, daß es sich ablöste und die ihm dargebotene Hand der französischen Revanche ergriff?

Es war im Grunde das alte Spiel von 1876/77, das jetzt von neuem, nur mit stärkeren Druckmitteln, nicht mehr in diplomatischen Noten, sondern in voller Öffentlichkeit von der russischen Seite gespielt wurde. Diese russische Politik besaß seit einem Jahrhundert ihre große Tradition. Seit den Zeiten Katharinas verfolgte sie diese Methode, durch einen wachsenden Druck auf die Mitte Europas ihren Machtwillen in Europa durchzusetzen. In den früheren Stadien hatte sie sich des preußischen Staates als eines Helfers bedient und aus diesem Grund seinen Aufstieg gefördert. Dieser säkularen Tendenz war seit der Reichsgründung Bismarcks ein Riegel vorgeschoben. Das Deutsche Reich verlangte, seinem Lebensgesetz folgend, seine außenpolitische Autonomie, und war als Mittel zu anderen Zwecken nicht mehr in Dienst zu stellen. Aber immer wieder spannte man in Petersburg die Einwirkung auf Berlin an, um dadurch die europäische Deckung für das Ausgreifen im nahen Orient zu gewinnen. Man hatte in den siebziger Jahren die Methode des Druckes überspannt und dadurch eine erhöhte Widerstandsfähigkeit Mitteleuropas hervorgerufen; jetzt glaubte man stärkere Mittel in der Hand zu haben, um das Ziel zu erreichen. Mit einer Demarkationslinie auf dem Balkan wollte man sich nicht abfinden lassen; man traute sich zu, die Einflußstellung in Bulgarien mit brutalen Gewaltmitteln aufrecht halten zu können, und hütete sich nur, das Land militärisch zu besetzen, weil man dadurch in die Mausefalle Bismarcks zu geraten fürchtete. Aber man blieb entschlossen, [302] die moralische Unterstützung seitens der deutschen Politik mit allen Mitteln, auch mit denen der eindeutigen Nötigung, herbeizuführen.

Das ganze Selbstgefühl einer großen Machttradition lebte in der dumpfen Seele des Zaren. Die Gestalt Alexanders III., die von nun ab tiefer in die europäischen Geschicke eingreift, besaß keinen großen Zug. Seine in einem riesigen Körper lebende Natur bewegte sich zwischen Indolenz und Jähzorn und verdeckte den Mangel an Urteil und Entschlußkraft durch eine hochmütige Gleichgültigkeit nach allen Seiten; sein äußeres Auftreten, das den Eindruck der Geradheit erweckte, ließ die ihm keineswegs fremde Hinterhältigkeit nicht unmittelbar sichtbar werden. Als Selbstherrscher sah er auf die französische Republik ebenso herab, wie er gegen die neubegründete deutsche Machtstellung eine gereizte Eifersucht hegte. Aber so selbstherrlich er im Innern schaltete, er hatte doch das dunkle Empfinden, daß er die Fühlung mit dem russischen Nationalismus nicht aufgeben dürfe; nicht umsonst hatte Katkow in ihm den Gedanken erweckt, daß er den Thron stütze. Der Zar führte eigentlich die Geschäfte nicht selbst, sondern er ließ seinen Außenminister Verträge schließen, die von der Gesamtlage erfordert wurden, und die unverantwortlichen russischen Gewalten dagegen ankämpfen, wenn sie damit noch mehr aus dem Vertragsverhältnis herausschlagen konnten: mochten solche Elemente immerhin die französische Karte ausspielen, um die nötige Gefügigkeit der deutschen Politik zu erzielen und aus der bulgarischen Sackgasse herauszukommen. Er meinte höher als sie alle zu stehen.

Die amtliche russische Politik mochte an der Dreikaiser-Entente festhalten, aber die unverantwortlichen Organe, die den Willen und die Launen des Zaren widerspiegelten, forderten die Ablösung Deutschlands von Österreich. Das war der springende Punkt, zu dem jede vertrauliche deutsch-russische Diskussion unweigerlich zurückkehrte. Selbst ein gemäßigter Mann wie Graf Paul Schuwalow, der sich zum deutschfreundlichen Lager zählte, gestand in einer champagnerseligen Stimmung dem Grafen Herbert Bismarck: "Es ist absolut nötig, daß wir Österreich von der Karte Europas verschwinden lassen. Ihr werdet seine deutschen Provinzen nehmen und nichts wird uns politisch noch trennen können. Laßt uns auf Österreich sch........"28 Der trunkene Ausbruch wiederholte im Grunde nur das telegraphische Ansinnen Gortschakows, das genau zehn Jahre zurücklag, und sein Sinn sollte bis zum Weltkriege nicht aus dem Lexikon der russischen Vertraulichkeiten verschwinden.

Bismarck konnte im Herbst 1886 nicht verkennen, daß er nicht mehr so sicher in der Hinterhand dieses Spieles saß wie zehn Jahre zuvor. Die Weltlage war verwickelter geworden, selbst die Rückendeckung im Innern war nicht mehr so zuverlässig; der eigene Partner ließ sich im Bündnis nicht mehr so leicht binden, und der Gegner hielt jetzt den französischen Trumpf in der Hand, der inzwischen an Stärke gewonnen hatte. Die Fortsetzung seiner bisherigen Politik war viel [303] schwieriger geworden, ja, er mußte sich fragen, ob sie noch möglich war. Sie wurde unmöglich, wenn die russische Politik wirklich den Versuch machte, statt des bloßen Liebäugelns mit der französischen Karte sie offen aufzunehmen und mit ihr zu stechen. Und jetzt schien es, als ob man ernstlich mit einem solchen Schritte rechnen müsse. Im Anfang Oktober erhielt der Kanzler aus Paris die Meldung, daß, nach verschiedenen Quellen, in den letzten Tagen des August oder im Anfang September - in den Tagen des bulgarischen Gewaltstreichs! - nichtamtliche russische Bündnissondierungen an die französische Regierung herangebracht und von dieser abgelehnt worden seien.29 Bismarck wollte diesen Angaben, die von dem französischen Botschafter in Berlin auf das Bestimmteste für falsch erklärt wurden, zunächst keinen Glauben schenken. Dann aber ließ sich der französische Ministerpräsident M. de Freycinet selbst am 5. November zu der Mitteilung an den deutschen Botschafter herbei, daß ihm zu Anfang September plötzlich "sehr weitgehende" Vorschläge von einem Vertrauten des Zaren gemacht, von seiner Regierung aber abgelehnt worden seien; vor 12 Tagen seien sie noch einmal aufgetaucht. Aus welchen Gründen die amtliche französische Politik - mit einer Mitteilsamkeit, wie sie sich auch in den Jahren 1879 und 1882 in ähnlicher Lage gezeigt hatte - so beflissen war, die Annäherung und ihre Ablehnung nicht für sich zu behalten, sei dahingestellt. Aber wie stand es um die russischen Absichten? Die Nachforschung in Petersburg führte zu keinem eindeutigen Ergebnis. Herr von Giers erklärte, sich den Kopf abschneiden lassen zu wollen, wenn irgend etwas an dem Gerüchte wäre, und der deutsche Botschafter bezeichnete es als unvereinbar mit dem Charakter des Zaren, ein solches Doppelspiel zu spielen. Jedoch auch er kam zu dem Resultat, daß die Annäherungsversuche an Frankreich stattfanden, "aber ohne Autorisation des Kaisers und seines Ministers".30 Bismarck konnte sich nicht mehr gegen die Tatsache verschließen, daß der Kern der Mitteilung Glauben verdiene; die Sondierung mochte auf nichtamtlichem Wege erfolgt sein, "durch Persönlichkeiten, welche leicht desavouiert werden können",31 immerhin durch Persönlichkeiten, welche damit einer geheimen Neigung des Zaren zu dienen glaubten.

Kriegstreiber General Boulanger, Kriegsminister 1885-1886.
[288a]      Kriegstreiber General Boulanger, Kriegsminister 1885-1886.
Jedenfalls erzielten sie eine Wirkung, auf die vielleicht das ganze Manöver angelegt war. Der Vertreter des Aktivismus im französischen Kabinett wurde dadurch ermutigt, auf seinem Wege kecker voranzugehen. Im Anfang Oktober legte der Kriegsminister Boulanger eine Forderung von 7 Millionen Francs zur Ausführung einer Probemobilmachung im nächsten Frühjahr vor; die Zeitungen deuteten an, was man bisher nicht gewagt habe, solle jetzt dazu [304] dienen, sich bei Deutschland in Respekt zu setzen, oder sprachen geradezu davon, daß man Deutschland provozieren wolle. Bismarck ließ darauf dem Generalstab die Frage vorlegen, ob die Durchführung dieses Projektes uns irgendwie der Gefahr der Überraschung aussetze. Moltke aber wahrte die Ruhe: nur, wenn die Mobilmachung in der Form kompakter Aufstellung schlagfertiger Formationen an der Grenze beabsichtigt sein sollte, würden Gegenmaßregeln, dann aber auch die ernstesten, zu ergreifen sein.32

Aber man konnte sich nicht verhehlen, daß die Flut in Paris höher stieg. Mochte der neue Botschafter in Berlin, M. Herbette, sich auch mit der beruhigenden Erklärung einführen, daß der Déroulèdismus ein überwundener Standpunkt und die Idee der Revanche überaltert sei, daß alle Franzosen statt dessen für ihre Mittelmeerinteressen leicht zu entflammen wären33 (er betrieb eine deutsche Unterstützung der französischen Ansprüche in Ägypten), so fand er jetzt weder Glauben noch Gegenliebe. In Wirklichkeit war die Idee, die man Berlin gegenüber so eifrig verleugnete, zu einer Macht geworden, die den Staat noch nicht beherrschte, aber sich bereits anschickte, ihn zu erobern. Das Spiel Boulangers mit dem Feuer wurde nur darum so gefährlich, weil der Russe jeden Augenblick ein Scheit hineinwarf. Wie es auch um die Art der russischen Bündnissondierungen in Paris stand, an der Revanchestimmung konnte man die Nachwirkungen wie an einem Barometer ablesen. Im Laufe des Oktobers begann der deutsche Militärattaché in Paris34 immer ernster zu warnen: "General Boulanger und die Revancheidee gehören jetzt so eng zusammen, daß der eine nur mit dem andern bestehen kann; nach dem übereinstimmenden Urteil aller herrscht eine so gereizte Stimmung gegen Deutschland, wie vielleicht noch nie nach dem Kriege." Eine neue, nur dem Anfachen des Hasses dienende Zeitschrift La Revanche, die als ihr Programm verkündete, die öffentliche Meinung auf die Idee des Kampfes vorzubereiten, wurde am ersten Tage ihres Erscheinens in 130 000 Exemplaren verkauft, und das Organ der Patriotenliga Le Drapeau sprach die Zuversicht aus, daß Elsaß-Lothringen im Jahre 1889 wieder mit Frankreich vereint sein würde. Wenn es zwei Frankreich gab, eines, das den Gedanken der Re- [305] vanche, ohne ihm innerlich untreu zu werden, auf längere Zeit vertagt wissen wollte, und ein anderes, das jetzt schon die Stunde gekommen, die Freunde bereit und die eigene Kraft stark genug glaubte, dann war die Gefahr im Wachsen, daß die ungestümere Richtung das abwartende Element eines Tages überrennen würde.35


1 [1/288]"Es wäre eine interessante und nützliche Studie, zu verfolgen, welche Vorstellungen und welche Eroberungen seit Ludwig XIV. mit dem Ausdruck gedeckt worden sind." ...zurück...

2 [1/291]So schildert ein neutraler Zuschauer wie der belgische Gesandte am 4. Juli 1886 diesen Prozeß. Schwertfeger, Die belgischen Dokumente 1, 108. ...zurück...

3 [2/291]Irene Grünberg a. a. O., S. 92 f. ...zurück...

4 [3/291]Denkwürdigkeiten 2, 321 f. ...zurück...

5 [1/292]Vgl. S. 133. ...zurück...

6 [2/292]Bericht des Oberstleutnants v. Villaume vom Oktober 1886: "Das schärfere Hervortreten der Revanchegelüste in Frankreich datiert von dem Zeitpunkt, wo General Boulanger zum Kriegsminister ernannt wurde, da derselbe schon lange vorher als Revanche-Kriegsminister der Zukunft für sich hatte Reklame machen lassen. Seitdem hat die Revancheidee in demselben Maße zugenommen, wie seine Popularität, weil er kein Mittel und keine Gelegenheit unbenutzt ließ, um den ihm vorausgegangenen Ruf zu rechtfertigen." Gr. Pol. 6, 146. ...zurück...

7 [1/293]General der Kavallerie Frhr. v. Loë an Graf Waldersee, 7. November 1886. H. O. Meisner, Aus dem Briefwechsel Waldersees 1, 35 ff. ...zurück...

8 [2/293]Rambaud, Jules Ferry (1903) S. 429. ...zurück...

9 [1/294]Constantin Pobjédonostsew, Memoires politiques (1927) S. 471. ...zurück...

10 [2/294]O. Hoetzsch, Rußland, S. 65. Die mildere Auffassung von Irene Grüning a. a. O., S. 99, scheint mir die programmatische Bedeutung des Artikels zu unterschätzen. ...zurück...

11 [3/294]Dazu gehört auch die deutsche Billigung der vertragswidrigen Verfügung über den Freihafen Batum durch die Russen. ...zurück...

12 [4/294]Erlaß an Berchem 22. Juli 1886 (noch vor Katkows Artikel). ...zurück...

13 [1/295]Berichte von Berchem (Gespräch mit Schuwalow) 15. August 1886, (Gespräch mit Giers) 10. August 1886, und von Bülow (Gespräch mit Tscherewin) 10. August 1886. Tscherewin machte geradezu den Vorschlag: "Arrangeons-nous à deux, sans l'Autriche, et si vous voulez, à ses frais." Gr. Pol. 5, 53. ...zurück...

14 [1/296]J. Behrendt, "Die polnische Frage und das österreichisch-deutsche Bündnis 1885 - 1887" (Arch. f. Pol. u. Gesch. 7 [1926], 699 - 767). - Feldman, Bismarck a sprawe polska 1930. (Nach Ostland, Berichte, Jg. 5 [1931], 222 - 230.) ...zurück...

15 [2/296]Erlaß an Prinz Reuß 1. Februar 1886: "Die Entwicklung werde um so gefährlicher sein, je kräftiger das polnische Element in Posen und Westpreußen noch ist, in der Abschwächung des polnischen Elements bei uns liegt die Verstärkung unserer Bündnisfähigkeit mit Österreich." ...zurück...

16 [1/297]In der damaligen Äußerung Bismarcks zu Schweinitz: "den Prinzen Wilhelm kann man hierfür leicht haben" ist vielleicht die Keimzelle zu den Plänen von 1890 zu erkennen; vgl. Zechlin, Staatsstreichpläne Bismarcks, S. 25. ...zurück...

17 [2/297]Zeugnisse aus dieser Zeit belegen, daß das russische Mißtrauen wegen der baltischen Provinzen noch fortdauerte. Große Politik 5, 53 f., 100 f. ...zurück...

18 [3/297]Formulierung 13. September. Große Politik 5, 62 f. ...zurück...

19 [1/298]Bismarck erklärte Giers: "Ein paar Zeilen genügen, in denen man sich versichert, daß man sich nichts zuleide tun will." (Große Politik 5, 221; vgl. 4, 61.) Ein belgischer Bericht vom 30. Januar 1887 spricht von der Giers gegebenen "Blankovollmacht für den Orient" (Schwertfeger a. a. O.). ...zurück...

20 [2/298]Große Politik 4, 292. ...zurück...

21 [3/298]Randbemerkung Bismarcks vom 2. September 1886. Selbst der alte Kaiser hatte gewisse Bedenken gegen den Besuch in diesem Augenblick geäußert. ...zurück...

22 [1/299]In diesen Jahren gehörte dieses Stratagem zu den geheimsten Listen Bismarcks: die Russen, da sie doch einmal nach Konstantinopel wollten, ungehindert vorstoßen zu lassen und die dann eintretenden Folgen abzuwarten. So im November 1886: "Aufgabe Österreichs wird es sein, die Russen in der Richtung von Stambul zu ermutigen und dann erst zu déployieren." ...zurück...

23 [2/299]Schon am 10. August hatte Bismarck über die russische Presse auch deshalb geklagt, weil durch sie "die deutsche öffentliche Meinung noch antirussischer werde, als sie ist; wir bedürfen derselben." (Große Politik 5, 51). ...zurück...

24 [1/300]So meldete aus Konstantinopel der Militärattaché Frhr. Colmar von der Goltz, die Beflissenheit Deutschlands, Rußland zu dienen und angenehm zu sein, und die zur Schau getragene Kriegsscheu hätten dort Staunen erregt. ...zurück...

25 [2/300]Die aus dem österreichisch-englischen Lager genährten Gedankengänge der Kritik kehren in dem interessanten Buche von Ulrich Noack: Bismarcks Friedenspolitik und das Problem des deutschen Machtverfalles (1928) noch einmal in einem großen historischen Zusammenhange, den Kern der Politik Bismarcks ergreifend, wieder. Seine Argumentationen, die aus pazifistischer Grundstimmung zu einem leichten Herzens entfesselten Weltkrieg (um der Zurückweisung Rußlands nach dem Osten willen!) führen, vermögen mich nicht zu überzeugen, daß es einen anderen und besseren Weg gegeben hätte. Für den handelnden Politiker ist das Durchdenken aller Möglichkeiten, die eintreten könnten, geboten. Wenn aber die Historie nachträglich solche anderen Möglichkeiten, die hätten eintreten können, durch eine Kettenreihe von Konsequenzen zu verfolgen sucht und daraus ihre Maßstäbe und Werturteile gegenüber dem Geschehenen entnimmt, so wagt sie sich an Dinge, die nicht ihres Amtes sind. ...zurück...

26 [1/301]Corti, Alexander v. Battenberg S. 210. ...zurück...

27 [2/301]Ein die Deutschen vor aller Selbsttäuschung warnender Artikel in der Kölnischen Zeitung vom 31. August 1886 meinte: "Wenn England den Fortschritt Rußlands im Orient hemmen wolle, so möge es versuchen, die mohammedanische Welt widerstandsfähig zu machen, aber Deutschland mit der Zumutung verschonen, den Expansionsdrang der herrschenden Klassen in Rußland auf sich abzulenken." ...zurück...

28 [1/302]17. Oktober 1886. ...zurück...

29 [1/303]Über die Bündnissondierung: Große Politik 6, 93 - 100; 5, 119. Dazu Schweinitz a. a. O., 2, 325; Waldersee 1, 303 f., 318. ...zurück...

30 [2/303]Schweinitz, a. a. O., 2, 331. ...zurück...

31 [3/303]So Bismarck im Staatsministerium am 15. November 1886. Lucius a. a. O. 356. ...zurück...

32 [1/304]Große Politik 4, 186 ff., 193 f.; 6, 144. Der Revanchegedanke habe momentan nur bei dem verrückten Déroulède und einigen seiner bedeutungslosen Anhänger Anklang. Der ganze Rachekrieg und die Frage des Hasses gehöre aber in das Reich der contingences lointaines de l'avenir. ...zurück...

33 [2/304]Große Politik 6, 143, 192. ...zurück...

34 [3/304]Die Berichte Villaumes beleuchten scharf den chauvinistischen Ausschnitt der öffentlichen Meinung, sie geben darum noch kein objektives Gesamtbild. So sah z. B. Waldersee im Augenblick noch das Friedensbedürfnis vorherrschen und wollte die Auffassung, daß man auf einen baldigen Ausbruch des Krieges gefaßt sein müsse, "vom militärischen Standpunkte" nicht gelten lassen. Auch der neue Botschafter Graf Münster schätzte die Gefahr Boulanger nicht so hoch ein und sah, von der französischen amtlichen Lesart allzusehr beeinflußt, die Idee der Revanche schon verblassen. Große Politik 6, 152 f., 157 ff., 160 ff. Vgl. Tagebücher Waldersees 1, 298 f. ...zurück...

35 [1/305]Für das Nebeneinander dieser beiden Richtungen ist eine klassische Aussage die Ausführung, die Déroulède bei seinem Rücktritt von der Leitung der Patriotenliga am 18. April 1887 machte: "Die Zeit sei endlich dagewesen, wo Frankreich der Gefahr kühn entgegenblickte; Frankreich hatte ernste Stütze an Rußland, Italien zauderte. Noch nie sei die Gelegenheit so günstig und nie der Reichskanzler so unverschämt gewesen. Die französische Regierung aber nahm alles hin und bereitete nichts vor gegen eine plötzliche Invasion. Und wenn man ihnen von verlorenen Provinzen sprach, antworteten Mitglieder des Kabinetts: wir verzichten auf nichts, aber wir sind nicht bereit, wir müssen warten, Deutschland bedurfte 60 Jahre, um Jena zu rächen. Da bedauerte ich, daß Ferry nicht da war; Ferry hätte die einzige Gelegenheit für eine sichere Revanche ergriffen." ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte