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Bd. 8: Die Organisationen der Kriegführung, Dritter Teil:
Die Organisationen für das geistige Leben im Heere

  Kapitel 1: Die deutsche Verwaltung
des Generalgouvernements in Belgien 1914-1918
  (Forts.)

Generalleutnant Hans v. Winterfeld

5. Die Zivilverwaltung.   (Forts.)

Die Verwaltungstrennung.

Nachdem die Flamenpolitik des Generalgouverneurs ein stetiges, wenn auch langsames und planmäßig gefördertes Vorschreiten zum Ziel der Verwaltungstrennung bezweckte, mußte es bei ihm und den Organen seiner Verwaltung das äußerste Befremden erregen, als unvermutet im Frühjahr 1917 aus Berlin von der Reichsleitung das Verlangen ausgesprochen wurde, nunmehr schneller damit vorzugehen. Die Vorbereitungen dafür konnten noch nicht so weit gefördert sein, besonders für Flandern, daß durch eine Überhastung nicht große Unzuträglichkeiten eingetreten wären. Erst nach langem Widerstande gab der Generalgouverneur nach, so daß die endgültige Trennung in Wallonien und Flandern ins Auge gefaßt wurde. Es sei gleich vorausgeschickt, daß die Verwaltungstrennung eine ausschlaggebende Wirkung auf den Fortgang der Flamenbewegung nicht gehabt hat. Zwar ging die Fortführung der eigentlichen Flamenpolitik des Generalgouverneurs nunmehr ganz natürlich von der Politischen Abteilung auf den Chef der Verwaltung in Flandern über, weil dessen Verwaltung ja gar keinen anderen Zweck hatte, als eben im flämischen Sinne zu arbeiten. Aber nach Überwindung einiger Übergangsschwierigkeiten verschiedener Personenveränderungen änderte sich in der Sache nichts.

Die zum 1. Juli 1917 in Aussicht genommene Trennung der Verwaltung in zwei Hälften hatte den Zweck, das eine der beiden neuen Verwaltungsgebiete nur nach den Rücksichten der flämischen, das andere nach denen der wallonischen Bevölkerung zu verwalten, beide natürlich mit gebührender Berücksichtigung der deutschen militärischen Interessen, soweit es der Krieg eben verlangte.

Die Trennung war dadurch verhältnismäßig leicht, daß die Rassen- und Sprachengrenze ziemlich scharf ausgeprägt von West nach Ost lief und mit ganz geringen Ausnahmen auch die schon bestehenden politischen Grenzen dazu paßten. So konnten die Provinzen Ost- und Westflandern, Antwerpen, Limburg an Flandern, Lüttich, Luxemburg, Hennegau und Namur an Wallonien fallen. Nur der zur Provinz Brabant gehörige Kreis Nivelles mußte geteilt [77] werden, so daß diese Provinz bloß zum größeren Teile an Flandern fiel. Die Hauptstadt Brüssel gehörte dazu.

Sobald die Belgier merkten, daß es mit der Verwaltungstrennung ernst wurde, regnete es Proteste. Besonders wurde behauptet, daß Brüssel keine überwiegende flämische Bevölkerung habe, und dazu allerlei falsche oder falsch aufgefaßte Statistiken und Beweise angeführt.

Das gegenteilige, von der deutschen Verwaltung gesammelte Material war aber so erdrückend und einwandfrei, daß kein Grund vorlag, aus solchen Rücksichten von der geplanten Maßregel abzustehen.

Eine nur geringe Schwierigkeit bot die notwendige Auseinandersetzung der nach verschiedenen Verwaltungsgebieten aufgeteilten Provinzteile. Wegen der sehr weitgehenden Selbstverwaltung wurden eine große Anzahl Verwaltungszweige davon getroffen.

Sehr viel größer war eine andere Schwierigkeit. Die Umwandlung der bisherigen einen zentralistischen Verwaltung in zwei nebeneinander auf gleichem Fuße bestehende war nach Ansicht der belgischen Regierung eine so tiefgreifende, geradezu revolutionäre Veränderung der bestehenden Staatsform, daß sie diese unter keinen Umständen anzuerkennen gewillt war. Wäre doch dadurch mindestens in einem der neuen Landesteile der überwiegende französisch gerichtete Einfluß gebrochen worden.

Die Regierung stand nicht an, die Trennung als ein hochverräterisches Unternehmen zu bezeichnen, welches nicht mehr mit den Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung im Einklang stände.

Dadurch kamen ihrer Regierung gegenüber alle diejenigen belgischen Beamten, welche bisher mit ihrem Einverständnis auch unter der deutschen Verwaltung ihren Dienst ganz loyal getan hatten, in die Zwangslage, entweder an diesem Hochverrat teilzunehmen oder den Dienst einzustellen. In letzterem Falle gingen sie selbstverständlich ihres bisherigen Gehaltes verlustig. Natürlich war es für diese Leute ein sehr großer Gewissens- und materieller Zwang, sich in dem einen oder anderen Sinne zu entscheiden.

Im Schoße der deutschen Verwaltung war mit dieser Tatsache gerechnet worden, und gerade deswegen hatte man nicht so große Eile mit der Trennung gehabt. Man wollte erst Zeit gewinnen, um die nötige Anzahl flämischer Beamten heranzuziehen. Nun stellte sich allmählich heraus, daß viele von den höheren Beamten in den Ministerien den Dienst verweigerten. Außer ihren politischen Bedenken war bei vielen ausgesprochenermaßen der Grund der, daß es in Namur, wohin die wallonische Verwaltung verlegt werden mußte, zu langweilig sei. Außerdem sei die Wohnungsfrage für die nach Wallonien Versetzten schwierig.

Letzteres war zweifellos richtig. In dem kleinen Namur machte die Unterbringung der vielen dorthin verlegten oder ganz neuen Behörden die aller- [78] größten Schwierigkeiten. Wieder regnete es Proteste seitens belgischer Organisationen und Einzelpersonen.

Die Aufgabe war nicht leicht zu lösen. Zunächst angewendete Zwangsmaßnahmen konnten bei der schließlich sehr großen Zahl der Streikenden nicht weitergeführt werden, und so blieb nichts übrig, als mit neu eingestellten, vielfach wenig brauchbaren Belgiern und einer größeren Zahl deutscher Beamter, welche schließlich die Heimat hergeben mußte, auszukommen.

Trotzdem gelang es in nicht zu langer Zeit, einen ziemlich vollzähligen Beamtenkörper zusammenzustellen.

An die Stellen der Chefs der Verwaltungen wurden durch Allerhöchste Kabinettsorder der preußische Landrat Haniel für Wallonien und der badische Oberamtmann Schaible für Flandern berufen. Ersterer war bisher Präsident der Zivilverwaltung im Hennegau, letzterer in der Zentralpolizeistelle des Generalgouvernements tätig gewesen. Beide kannten daher die Verhältnisse der ihnen übergebenen Verwaltungsgebiete genau; für die Wahl des letzteren war außer seiner sonstigen Eignung noch seine Angehörigkeit zum katholischen Bekenntnis, dem die Mehrzahl seiner neuen Untergebenen angehörte, bestimmend gewesen.

Die Verwaltungstrennung hatte eine weitere große Umgliederung der Zivilressorts zur Folge.

Es wäre natürlich am wünschenswertesten gewesen, wenn jede der beiden Verwaltungen für sich mit allen Abteilungen versehen gewesen wäre, die zur Führung der Geschäfte nötig waren. Dieses hätte aber zur Folge gehabt, daß einzelne Abteilungen der bisherigen Zentralverwaltungen hätten geteilt werden müssen, bei denen dies nur zur Erschwerung der Geschäfte geführt hätte. Es mußte ganz untunlich sein, die Finanzverwaltung und die Verwaltung für Handel und Gewerbe aufzuteilen. Gerade hier kam es im deutschen Interesse darauf an, in beiden Ressorts einheitlich nach denselben Gesichtspunkten zu arbeiten, was durch Stellung unter zwei verschiedene Verwaltungschefs zu den größten Schwierigkeiten hätte führen müssen. So blieb nichts übrig, als auch diese beiden Verwaltungen ganz selbständig zu machen und dem Generalgouverneur unmittelbar zu unterstellen.

In den Verhältnissen der schon bis jetzt selbständigen Bank- und Politischen Abteilung trat nur bei der letzteren eine ziemlich wichtige Änderung ein. Die bisher von ihr geleitete Abteilung für die Flamenpolitik wurde dem Verwaltungschef für Flandern als dem nunmehr allein zuständigen überwiesen und die Presseangelegenheiten in den beiden nun getrennten Landesteilen den beiden neuen Verwaltungschefs zugeteilt.

Es bestanden fortab im ganzen sechs selbständige Verwaltungen und die Zentralerntekommission unter unmittelbarer Leitung des Generalgouverneurs, sozusagen sieben gleichgestellte Zivilministerien. Da ihre Geschäftsgebiete von [79] selber vielfach ineinander griffen - man denke nur an die Finanzabteilung, die mit allen anderen in enger geschäftlicher Berührung stand -, so war die Frage der Einsetzung einer Art Ministerpräsidenten oder eines Chefs des Zivilstabes erwogen worden, um durch ihn eine Einheitlichkeit der dem Generalgouverneur vorzutragenden Angelegenheiten zu gewährleisten.

Diese Absicht scheiterte an der Auswahl einer für diesen schwierigen Posten geeigneten Persönlichkeit. Vom Reichskanzler war beabsichtigt und vorgeschlagen worden, dem Chef der Politischen Abteilung in diesem Sinne eine überragende Stellung anzuweisen, der Generalgouverneur konnte sich aber aus mancherlei sachlichen Gründen mit diesem Gedanken nicht befreunden. Es wurde dann der Ausweg gefunden, daß ein Leiter der Zivilkanzlei des Generalgouverneurs bestellt wurde, welcher die Verbindung zwischen den Abteilungen herstellen sollte. Der betreffende Beamte ist seinem oft recht schwierigen Amte stets mit dem größten Takt erfolgreich gerecht geworden.

Die neue Verwaltungsorganisation begann nun ihre Tätigkeit. Selbstverständlich stellten sich zunächst einige Reibungen ein, aber nach nicht langer Zeit lief die Maschinerie ohne größere Schwierigkeiten noch 1½ Jahre bis zum Ende der deutschen Besetzung.

Besonders im Verwaltungsgebiet Wallonien, welches bisher in politischer Beziehung gegen Flandern wegen der besonders wichtigen Flamenfrage etwas zurückgestanden hatte, fing ein reges politisches Leben zu erblühen an.

Schon früher hatte es im Wallonenlande eine zwar schwache Partei gegeben, welche ganz bewußt den von den Französlingen gewünschten Anschluß an Frankreich wenigstens in kultureller und wirtschaftlicher Beziehung ablehnte. Sie wollten eben Wallonen sein. Es gab sogar eine eigene altertümliche wallonische Sprache, welche in einigen wenigen Bezirken in der Gegend von Lüttich noch gesprochen wurde.

Die Stärkung dieses im besonderen wallonischen Volkstums nahm sich die neue Verwaltung ganz besonders an. Begünstigt wurde dies Bestreben durch den Umstand, daß die Leitung der Presseangelegenheiten zu den Befugnissen des Verwaltungschefs gehörte.

So zeigten sich denn bald vielversprechende Anläufe zu einer neuen, nicht-antideutschen Orientierung auch in diesem Landesteil.

Ganz selbstverständlich war weiter die pflegliche Behandlung, welche die Verwaltung den nicht unbeträchtlichen Gebietsteilen in der Provinz Luxemburg angedeihen ließ, die eine deutschsprechende Bevölkerung und auch Gesinnung aufwies. In der Gegend von Arlon, nicht weit von der Grenze des Großherzogtums Luxemburg, hielten sich diese alten deutschen Sprachinseln. Durch Förderung von Schulen und ähnliche Maßregeln geschah alles, was in dieser Beziehung getan werden konnte.

[80] Es ist wohl kein Zweifel, daß im Falle eines günstigen Kriegsausganges diese Gebiete dem Deutschen Reiche hätten gewonnen werden können, ebenso wie dies im umgekehrten Falle, allerdings ohne die Berechtigung der Volksgemeinschaft mit Eupen und Malmedy, geschehen ist.


Die Finanzabteilung.

Erst durch die Verwaltungstrennung war die so wichtige belgische Finanzverwaltung eine selbständige Abteilung des Generalgouvernements geworden.

Wurde die deutsche Zivilverwaltung in ihren Zielen durch die Forderungen des deutschen Interesses beeinflußt, so war sie doch andererseits durch die zur Verfügung stehenden Geldmittel beschränkt.

Es war klar, daß die deutsche Verwaltung dem Deutschen Reiche keine Kosten verursachen durfte. Für das Besatzungsheer waren ja nach völkerrechtlichen Begriffen die zu erhebenden Kontributionen bestimmt; aber auch die nicht auf diese Geldquellen angewiesene Zivilverwaltung mußte mit belgischem Gelde unterhalten werden, da sie ja für das Land selber zu arbeiten bestimmt war, allerdings unter Wahrung der Interessen der deutschen Kriegführung und Volkswirtschaft.

Der belgische Haushaltsetat betrug vor dem Kriege in Einnahme und Ausgabe etwa 800 Millionen Franken. Mit der deutschen Besatzung verminderten sich die Ausgaben um ein beträchtliches, denn selbstverständlich fielen die Kosten für das Heer, die Zivilliste, die abwesenden Minister, die Ministerien des Auswärtigen, der Kolonien, der Eisenbahnen und viele andere kleinere Ausgaben fort; auch die Staatsschuld nach dem feindlichen Ausland brauchte nicht mehr verzinst zu werden.

Andererseits waren aber auch die Einnahmen ganz erheblich zurückgegangen. Zum großen Teil ergab sich das aus dem Kriegszustande überhaupt, denn durch die Blockade waren die Eingangszölle und alle sonst aus dem Außenhandel eingehenden Einnahmen, sowie diejenigen aus der Kongokolonie entweder ganz fortgefallen oder sehr stark vermindert; auch die Eisenbahnen, Post und Telegraphen brachten nichts mehr ein.

Aus diesen Verminderungen auf beiden Seiten ergab sich ein Finanzbedarf, der im letzten Jahre der deutschen Verwaltung rund 300 Millionen Franken betrug.

Mit den übriggebliebenen Geldquellen der Friedenszeit konnte dieser Bedarf natürlich nicht gedeckt werden. Eine ausgiebige Umgestaltung der belgischen Steuergesetzgebung erwies sich als dringend nötig. Zum Glück konnte dies ja ohne Beanspruchung eines Parlamentes durch Verordnungen des Generalgouverneurs, welche Gesetzeskraft hatten, bewerkstelligt werden.

Die belgische Steuergesetzgebung stand auf einem ungewöhnlich unmodernen Standpunkt. Im besonderen die direkten Steuern waren sehr ab- [81] änderungsbedürftig. Es bestand bisher keine Besteuerung des mobilen Vermögens und des Einkommens, die direkten Steuern waren großenteils ein Flickwerk von Auflagen auf Fenster, beschäftigte Dienstboten und Arbeiter, Maschinen, Pferde und Wagen und ähnliche an sich leicht zu erfassende Steuerobjekte, die aber jede Folgerichtigkeit und Gerechtigkeit vermissen ließen.

Weiter kannte man an direkten Steuern die Grundsteuer, Patentsteuer, letztere in mancher Hinsicht unseren Gewerbesteuern ähnlich, Bergwerksabgaben, Stempelsteuern auf allerlei Verträge, Erbschaftssteuern und ähnliches. Die meisten dieser Steuern waren so unsozial wie möglich. Diejenigen auf die vorerwähnten Luxusgegenstände konnten nur schematisch ausgestaltet werden und ließen sich daher leicht umgehen. Wohlhabende, ja reiche Leute konnten, wenn sie es geschickt, aber durchaus im Rahmen des Gesetzes anfingen, nur mit verhältnismäßig geringen Beträgen zu Steuern herangezogen werden, da ja Vermögens- oder wirklich durchgreifende Einkommensteuern vollständig fehlten.

Zu den hauptsächlichsten indirekten Steuern, welche gute Einnahmen geliefert hatten, zählten die Zucker-, Branntwein- und Brausteuer. Auch sie konnten zum Teil, weil das Rohmaterial zu den betreffenden Fabrikationszweigen eingeschränkt werden mußte, nicht die bisherigen Erträge bringen.

Zunächst wurden also alle bestehenden Zölle, Abgaben und Steuern weiter erhoben. Auch Deutschland und die besetzten französischen Gebiete wurden weiter als Zollausland behandelt und mit aus diesem Grunde die Grenze gesperrt. Dann begann sofort die Inangriffnahme der Bearbeitung neuer Vermögens- und Einkommensteuergesetze. Die Beamten des belgischen Finanzministeriums hatten die Berechtigung dieser Steuern schon lange erkannt und beteiligten sich durchaus einwandfrei an dieser Arbeit. Es war aber sehr schwierig, die Grundlagen dafür zu finden, da eben jede Statistik über Vermögen und Einkommen bis dahin vollständig fehlte.

Bis diese Gesetzgebung daher eingeführt und wirksam werden konnte, blieb nichts anderes übrig, als von dem in Belgien schon bewährten Mittel Gebrauch zu machen, nämlich entsprechende Zuschläge zu den bestehenden Steuern, direkten und indirekten, zu machen. Durch besondere Verordnung wurden z. B. die Zuschläge für landesflüchtige Belgier, welche auf die deutsche Aufforderung nicht nach Belgien zurückkehrten, um das Vielfache erhöht.

Auch allerlei neue Besteuerungsarten für die Landwirtschaft wurden eingeführt. Sie hatte infolge des Krieges am wenigsten gelitten, hatte im Gegenteil sehr gute und sichere Einnahmen, die zum Teil wohl über das sozial Gerechte hinausgingen. Ihre günstige Lage zeigte sich auch besonders durch das Anschwellen der ländlichen Spareinrichtungen und die Tilgung von Schulden. Sie bildete daher eine ergiebige Einnahmequelle für Steuern.

So gelang es, den Geldbedürfnissen der deutschen Zivilverwaltung vollständig gerecht zu werden. Die Finanzabteilung war immer in der Lage, für [82] neue Ausgaben Deckung zu schaffen, ohne daß irgendwie eine Aussaugung des Landes stattgefunden hätte. Trotzdem wurde diese Behauptung in der feindlichen Hetzpresse immer wiederholt.

Mit dem Augenblicke der Verwaltungstrennung hätte ja theoretisch die Teilung der Finanzabteilung in je eine für die beiden neuen Verwaltungsgebiete erfolgen sollen. Die praktische Überlegung verhinderte dies aber, weil die Trennung zu den größten Schwierigkeiten hätte führen müssen. Sie erwies sich auch als ganz überflüssig, da es schnell gelang, die Bedürfnisse der beiden neuen Verwaltungen mit der Geschäftsführung der Finanzabteilung in die beste Übereinstimmung zu bringen. So wurde nun auch die Finanzabteilung eine selbständige, dem Generalgouverneur unmittelbar unterstehende, und hat bis zum Schluß ohne Unzuträglichkeiten weiter gearbeitet.


Die Abteilung für Handel und Gewerbe.

Auch die mit vollzogener Verwaltungstrennung selbständig gewordene Abteilung für Handel und Gewerbe war aus kleinem Umfang zu einer mächtigen Organisation emporgeblüht.

Eine der ersten Bitten, die der Bischof von Lüttich dem ersten Generalgouverneur bei dessen Eintreffen in Belgien vortrug, war, daß möglichst bald Maßnahmen zur Wiederbelebung der gewerblichen Tätigkeit getroffen werden möchten. Dieser Geistliche, der erste Staatsbeamte, welcher die Verbindung mit der besetzenden Macht suchte, hatte eine der wichtigsten Fragen berührt. Denn Belgien, dessen Landwirtschaft sein Volk nicht ernähren konnte, war ja auf die Industrie und den damit verbundenen Handel zu seinem Gedeihen angewiesen. Die geringe Größe des Landes im Verhältnis zur Zahl seiner enggedrängten Bevölkerung bedingten es, daß Belgien einer sehr großen Einfuhr von Lebensmitteln bedurfte, welches es nur mit den Erzeugnissen seiner Gewerbe durch Vermittlung des Handels bezahlen konnte.

Rohstoffe aber, mit Ausnahme der Kohlen, Steine und Erden und des Flachses, fehlten dem Lande fast gänzlich, so daß die Gewerbe auch hiervon für ihre Betätigung einer sehr großen Einfuhr benötigten.

Diese Einfuhr wurde daher im ganzen so bedeutend, daß die Ausfuhr der durch Veredelung der Rohstoffe gewonnenen Fabrikate doch noch nicht die belgische Handelsbilanz zu einer aktiven gemacht hätte, wenn nicht die reichen Gewinne des Handels auch noch aus anderen Quellen geflossen wären. Diese Gewinne erwuchsen aus dem Umschlaghandel in Antwerpen, den Durchfuhreinnahmen der Eisenbahnen und Kanäle und der sehr hohen Verzinsung der in ausländischen Unternehmungen angelegten riesigen Kapitalien, sowie auch aus dem starken internationalen Bäder- und Reiseverkehr.

Daß die Industrie trotz der mangelnden Rohstoffe in Belgien ein so günstiges Betätigungsfeld finden konnte, lag an den glücklichen Arbeitsbedingungen.

[83] Die Kohle war in nächster Nähe zu finden; die Rohstoffe konnten zum größten Teil zur See, oft bis unmittelbar zur Arbeitsstelle, und dann auf gut entwickeltem Eisenbahn- und Kanalnetz mit billigen Tarifen und nur kurzen Wegen weiterbefördert werden. Der große Menschenüberfluß lieferte viele und billige Arbeitskräfte, für die nur geringe soziale Lasten aufzubringen waren.

So waren die Gewerbe und der Handel in Belgien in der blühendsten Verfassung und in weiterem raschen Aufschwung.

Wie stark diese Zunahme war, zeigt die durchschnittliche jährliche Zunahme im Handelsgewerbe um 450 Aktien- und 650 offene Handelsgesellschaften.

In den ersten Kriegstagen waren Handel und Gewerbe sofort empfindlich in Mitleidenschaft gezogen worden. Fast gar nicht allerdings durch die unmittelbaren mechanischen Einwirkungen der Kriegshandlungen; denn die Beschädigungen durch die Gefechte waren für die industriellen Anlagen außerordentlich gering. Erst in der eigentlichen Zone des Stellungskrieges, in Westflandern, war allerdings schließlich alles durch die Kämpfe zerstört; in diesem Gelände, welches überwiegend landwirtschaftlich genutzt war, befanden sich aber verhältnismäßig nur wenige industrielle Anlagen. Die hauptsächlichsten Industrien und Handelsplätze lagen im Maastale, an der Sambre, bei Mons, Brüssel, Antwerpen, Gent und am Oberlauf der Schelde.

Zunächst standen alle diese Industrien still. Der vollständig stillgelegte Eisenbahnverkehr und der dadurch hervorgerufene Kohlenmangel war eine der Hauptursachen. Weiter aber trug sehr viel der Umstand dazu bei, daß ein großer Teil der Besitzer industrieller Werke, um den Kriegswirren zu entgehen, unter Mitnahme des flüssig zu machenden Vermögens ins Ausland geflüchtet war.

Die Grundlage der belgischen Industrie bildet die Kohle in den drei großen Becken von Lüttich, Charleroi und Mons. Zum Glück war die große Mehrzahl der Kohlengrubenbesitzer nicht geflohen, sondern hatte sich in richtiger Erkennung ihres eigenen Vorteils im Lande gehalten.

Mit ihnen trat die deutsche Verwaltung zunächst in Beziehungen. Ihr Einfluß auf ihre Arbeiter, und deren Bedürfnisse auf Erwerbsmöglichkeiten brachten es bald dahin, daß die Tätigkeit in den Kohlengruben aufgenommen wurde. Natürlich kam sie nicht überall gleichmäßig schnell in Gang, es waren auch vielfache Schwierigkeiten zu überwinden, aber im Jahre 1915 war die Kohlenförderung bereits auf zwei Drittel derjenigen des letzten Friedensjahres gestiegen und hat sich gegen Ende der Besetzung wieder beinahe der Friedensförderung genähert.

Diejenigen Industrien, welche nicht aus anderen Gründen an der Aufnahme ihrer Tätigkeit gehindert waren, konnten also wieder mit dem nötigen Brennstoff versorgt werden. Auch die städtischen Gas- und Elektrizitätswerke konnten den nötigen Bedarf wieder bekommen, so daß auch die Verkehrsverhältnisse durch Inbetriebsetzung der Straßenbahnen sich bald wieder besserten.

[84] Da nun auch die von deutscher militärischer Seite betriebenen Eisenbahnen und die zahllosen Kleinbahnen einen sehr großen Kohlenbedarf hatten, so ergab sich sehr bald die Notwendigkeit der einheitlichen Bewirtschaftung und Verteilung der verfügbaren Kohlenvorräte. Es wurde bei der Abteilung für Handel und Gewerbe die Kohlenzentrale errichtet, welcher im allgemeinen ähnliche Befugnisse zustanden wie den für gleiche Zwecke in Deutschland während und nach dem Kriege bestehenden Behörden. Sie wurde auch in weitgehender Weise mit der später einsetzenden Lieferung von Kohlen an neutrale Staaten, besonders an Holland, beauftragt, wofür andererseits holländische Vieh- usw. Lieferungen im Austausch nach Deutschland erfolgen konnten.

Die Beaufsichtigung der eigentlichen Kohlenförderung lag in den Händen der deutschen Bergverwaltungen in Lüttich, Charleroi und Mons.

Außer den drei vorgenannten, schon vor dem Kriege in voller Tätigkeit stehenden Revieren fand sich aber in Belgien noch eine andere große Zukunftsmöglichkeit für den Kohlenbergbau. Im Kempenlande, dem öden, an Holland anschließenden Nordostzipfel des Landes waren kurz vor dem Kriege große Lager, allerdings in sehr bedeutender Tiefe, gefunden worden, welche sich als eine Fortsetzung des rheinisch-westfälischen Kohlengebietes darstellten. Die Abteufung einiger Schächte war bei Kriegsausbruch gerade im Gange gewesen. Unter Beteiligung staatlichen und ausländischen Kapitals hatten sich mehrere große Gesellschaften zur Ausbeutung gebildet.

Die Weiterführung dieser Aufgaben lag im deutschen Interesse. Denn einer der wenigen Rohstoffe, welche die feindliche Blockade dem Deutschen Reiche nicht nehmen konnte, war gerade die Kohle, und davon konnte nie genug vorhanden sein, um die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und diejenigen der Neutralen, mit denen Deutschland Erzeugnisse austauschen wollte. Es kam hinzu, daß jede Arbeit in Belgien deutsche Arbeiter sparte und für die Front frei machte.

So wurde denn die Fortsetzung der Arbeiten an den Gruben bei Beeringen und bei Genck ungesäumt in Angriff genommen und unter Verwendung der neuesten technischen Hilfsmittel, besonders des Gefrierverfahrens zur Durchbohrung der stark wasserhaltigen Bodenschichten, schnell gefördert. Die Erschließung der kohlenführenden Schichten gelang dann auch bald, und die Förderung hatte bei Kriegsende schon eine namhafte Höhe erreicht. Daß diese Werke mit den neuesten Einrichtungen auch in bezug auf die Fürsorge für die Arbeiter, z. B. durch Förderung des Siedelungswesens, ausgestattet wurden, bedarf bei der Erwähnung einer deutschen Verwaltung keiner besonderen Versicherung.

In gleicher Weise wurden die Steinbrüche, soweit sie nicht schon zum Arbeitsgebiet der militärischen Baudirektion gehörten, in Betrieb gehalten oder neu genommen. Besonders Kalksteinbrüche als notwendige Hilfsmittel für die Eisen- und Stahlgewinnung auch im lothringischen und rheinischen Industriegebiet mußten in umfangreicher Weise ausgenutzt werden.

[85] Die doppelte Ausnutzung der Brüche einerseits, wie schon früher dargelegt, durch die militärischen Behörden, andererseits durch die zivilen Bergverwaltungen, mag als eine wenig glückliche Arbeitszersplitterung erscheinen. Erklärlich ist sie, wie so vieles in der Verwaltung des Generalgouvernements, durch die historische Entstehung, die natürlich nicht mit der langen Dauer des Krieges rechnete. Vieles, was aus den Bedürfnissen des Augenblicks entstanden war und sich bewährte, konnte dann nicht ohne großen Schaden und Erzeugungsstörungen umgeändert werden, auch wenn die Änderung an sich zweckdienlich gewesen wäre.

Die Fühlung zwischen den Behörden, die auf dasselbe Ziel hinarbeiteten, wurde auch immer gehalten, und es gelang stets schnell, etwa auftretende Reibungen und Rivalitäten auszugleichen.

Als ein Beispiel, wie oft aus kleinen Ursachen beträchtliche Störungen eintraten, die dann wieder mit einfachen Mitteln beseitigt werden konnten, mag hier die Tatsache angeführt werden, daß die oft in Deutschland oder an der Front so dringenden Kohlen- oder Gesteintransporte häufig Verzögerungen erlitten, weil sie als Transporte der "Zivilverwaltung" anderen, militärischen Transporten nach den Bestimmungen der Militäreisenbahnordnung nachgestellt wurden. Eine daraufhin verfügte rein formelle Umbenennung der Bergbehörden schuf schnell Wandel; denn nun fuhren dieselben Güter als Transporte der "Militärbergverwaltungen" mit Vorrang.

Eine große Erschwerung für alle bergbaulichen Betriebe bildete die Versorgung mit den nötigen Sprengstoffen. War schon der Friedensbedarf in der Heimat ein sehr großer, so kam in immer steigendem Maße die Kriegführung mit ihren dauernd wachsenden Anforderungen hinzu, so daß die Sprengmittel für Belgien häufig knapp wurden. Da kam die Ausnutzung der Erfindung der flüssigen Luft für Sprengzwecke der Verwaltung zugute. Einige neu angelegte Fabriken in Belgien versorgten bald nicht nur das Generalgouvernement, sondern auch Einrichtungen der Etappengebiete.

Mit den so gewonnenen Rohstoffen des Kohlenbergbaues wurde es nun auch möglich, die sehr große belgische Metallindustrie wieder in Gang zu bringen. Metallische Rohstoffe besaß das Land allerdings nur sehr wenige; aber zunächst die Aufarbeitung der vorhandenen Bestände und weiter die Zufuhr aus dem lothringischen Erzgebiet und anderswoher ermöglichten bald die Inbetriebsetzung vieler Werke. Es lohnte sich sogar, oberschlesische Zinkerze durch ganz Deutschland zur Verarbeitung nach Antwerpen und anderen an der holländischen Grenze gelegenen Fabriken rollen zu lassen. Die Ersparung deutscher Arbeitskräfte durch die in Belgien heimischen Arbeiter bot eben sehr große Vorzüge.

Die beiden vorgenannten Industrien, Bergbau und Eisenerzeugung und -verarbeitung, dienten teils unmittelbar, teils mittelbar der deutschen Kriegswirtschaft. Von einem anderen wichtigen Industriezweig Belgiens konnte man [86] dies nicht sagen, nämlich der Glasfabrikation. Auch sie aber wurde, soweit ihr als minder wichtig Kohlen zugeteilt werden konnten, wieder zum Aufleben gebracht. Die zahlreichen Fenster- und Spiegelglasfabriken besonders im Sambretal nahmen die Arbeit wieder auf, wenn sie auch meist nur auf Vorrat arbeiteten; denn die Ausfuhr konnte nur nach neutralen Ländern gehen und war daher beschränkt.

Die Wiederbelebung eines anderen Industriezweiges gelang dagegen nicht. Die bei Verviers blühende Tuchfabrikation und die in Flandern heimische Baumwollspinnerei mußten feiern, weil die nötigen Spinnstoffe vollständig ausblieben; auch aus Deutschland, welches selber daran Mangel hatte, konnten sie nicht eingeführt werden. Die Umstellung auf die in der Heimat notgedrungen entstandene Ersatzindustrie konnte in Belgien gar nicht versucht werden. Immerhin wurden einige für diese Ersatzindustrie verwendbare Rohstoffe, z. B. Brennesseln, auch in größeren Mengen in Belgien gewonnen und nach Deutschland geschickt.

Ein Versuch, die stilliegenden Spinnerei- und Webereimaschinen anderweitig nutzbar zu machen, kam nicht zur Ausführung. Bei einem Besuche in Belgien regte der türkische Vize-Generalissimus Enver Pascha, die Seele des Kriegswillens der Türkei, an, daß Maschinen aus Verviers nach der Türkei transportiert werden möchten, um die dort in großen Mengen angeblich vorhandene Wolle verarbeiten zu können, da der Transport nach Deutschland zu schwierig sei. Die sehr einleuchtende Anregung kam nicht zur Ausführung. Ob Transportschwierigkeiten für die Überführung der Maschinen oder die Besorgnis vor einer etwa später möglichen Konkurrenz gegen die deutsche Textilindustrie maßgebend gewesen sind, bleibt unentschieden. Wahrscheinlich sprach beides mit.

Bald gelang es auch, die zunächst stillgelegte Spitzenindustrie wieder zu beleben. Gerade durch diese, allerdings nur dem Luxus dienende, aber nur sehr wenig Rohmaterial verbrauchende hochwertige Fabrikation konnte der Arbeitslosigkeit nicht unwesentlich gesteuert werden.

Eines der wesentlichsten Hilfsmittel für die meisten der in Gang gebrachten Fabrikationszweige war die Bereitstellung der nötigen Schmiermittel für die Maschinenanlagen. Auch hierin entstand durch die Wirkungen der Handelsblockade sehr bald ein empfindlicher Mangel, welcher zu schleuniger Abhilfe zwang.

Zur Verwaltung der vorhandenen und Gewinnung neuer Fette und ähnlicher Erzeugnisse wurde die Ölzentrale geschaffen, die mit einem weitverzweigten Netz von Filialen, Fabriken und ähnlichen Einrichtungen sich schnell zu einer sehr leistungsfähigen Organisation entwickelte. Bald über ihren eigentlichen Zweck hinauswachsend, begann die Ölzentrale mit ihrem Stab von technisch hervorragenden Beamten unter weitgehender Ausnutzung ihrer wissenschaftlichen Hilfsmittel und Erfahrungen zur Herstellung von Erzeugnissen zu schreiten, welche kaum verwendet worden waren, ehe die Notlage des Krieges dazu zwang. Fett- [87] gewinnung aus Knochen und Tierkadavern, Entfettung der Spülwässer, Aufschließung von Stroh für Futterzwecke wurde nebst vielen anderen ähnlichen Fabrikationszweigen in Angriff genommen und zu hoher Vollkommenheit entwickelt. Auch hierin fand die feindliche Propaganda einen Anlaß, um ihren leichtgläubigen Völkern vorzulügen, die Deutschen gewönnen aus ihren Gefallenen unentbehrliche Hilfsmittel für ihre notleidende Volkswirtschaft. Die Verwaltung der kargen Vorräte und Zufuhren an Petroleum und Speiseölen, die Fabrikation von Karbid, Farben, Lacken und anderen Chemikalien bildete ein weiteres Arbeitsfeld der Ölzentrale.

Die Hauptstelle für Gas, Wasser und Elektrizität zeigte schon durch ihren Namen den Umfang ihrer Tätigkeit an.

Alle diese Werke konnten ihren rechten Nutzen nur entfalten, wenn sie stetig arbeiteten, wenn sie möglichst von Streit oder anderen sozialen Störungen verschont blieben.

Trotz der zweifellos in weiten Kreisen der Bevölkerung vorhandenen Haßgefühle gegen alles Deutsche, trotz manchen passiven, vereinzelt auch offenen Widerstandes ist es aber zu nennenswerten Arbeitseinstellungen nicht gekommen. Von Zeit zu Zeit flackerte einmal irgendwo ein Streik auf, aber fast immer nur kleinere Gebiete umfassend und von kurzer Dauer. Politische Gründe, etwa Widerstand gegen die deutsche Verwaltung, waren es äußerst selten, fast immer nur materielle, meist Ernährungsfragen, welche die Veranlassung bildeten. Irgendwelche Störungen der deutschen Kriegswirtschaft kamen nicht in Frage. Nur einmal, im Jahre 1918, hatte sich der Elektrizitäts-, Gas- und Wasserarbeiter eine gewisse Erregung, auf politischer Grundlage beruhend, bemächtigt, welche die Gefahr eines allgemeinen Streiks dieser Leute befürchten ließ. Dies wäre deswegen besonders unangenehm auch für die deutsche Kriegführung gewesen, weil der Eisenbahnbetrieb ohne die Beleuchtungsanlagen nicht aufrechterhalten werden konnte. Bei dem riesenhaften Militärverkehr, welcher dauernd Belgien durchflutete, kann man sich die zu erwartenden schweren Folgen ausmalen. So wurde denn für diesen Fall eine militärische Nothilfe vorbereitet, zu welcher, da die zahlreichen nötigen Fachleute unter den Truppen des Generalgouvernements nicht vorhanden waren, auf Anordnung der Obersten Heeresleitung auch die angrenzenden Armeen Aushilfen stellen mußten; der drohende Streik kam nicht zum Ausbruch.

Neben diesen Industrien, deren Betrieb für die deutsche Kriegswirtschaft von zwingender Bedeutung war, wäre noch die Zucker- und Tabakindustrie zu erwähnen.

Erstere, da sie auf dem im Lande herrschenden Zuckerrübenbau beruhte, durfte eigentlich nur im Interesse der Bevölkerung betrieben werden, so daß nur die auch schon im Frieden den Bedarf stark überschreitenden Mengen, welche ausgeführt worden waren, nach den bestehenden Vereinbarungen deutschen [88] Verbrauchern zur Verfügung standen. Auch diese Fabrikation wurde, um eine sachgemäße Verteilung an die Berechtigten möglich zu machen, und aus steuerlichen Gründen, durch die Zuckerverteilungsstelle beaufsichtigt.

Ähnliche Einrichtungen erwiesen sich als nötig für die Bewirtschaftung des in Belgien gebauten oder aus Holland eingeführten Tabaks, welcher, da er kein Lebensmittel ist, nicht den Vereinbarungen mit dem später zu erwähnenden amerikanischen Hilfswerk unterlag. Ebenso war es mit der Alkoholgewinnung.

Die Wiederbelebung von Handel und Gewerbe bildete aber nur eine Seite der Geschäftstätigkeit. Es hatte sich bald gezeigt, daß vielfach die Tätigkeit von mehreren Werken vereinigt, wirtschaftlicher war, als wenn sie jedes für sich arbeiteten. Da aber die sparsame Ausnutzung aller Rohstoffe und Fabrikationsmaterialien besonders wichtig war, so erwies sich die Zusammenlegung mehrfach als notwendig.

Die Tätigkeit der Abteilung für Handel und Gewerbe in dieser Hinsicht erforderte somit eine große Anzahl tiefer Eingriffe in die Geschäftsgebarung der belgischen Industrie. Es muß hervorgehoben werden, daß diese sich meist in bemerkenswerter Weise den Eingriffen fügte, in den meisten Fällen natürlich deshalb, weil sie einsah, daß sie selber, soweit es unter den kriegerischen Verhältnissen möglich war, damit am besten fuhr. Allerdings befürchteten viele Werkbesitzer spätere Repressalien ihrer Regierung, wenn sie offenkundig für deutsche Interessen arbeiteten. Sie wollten sich gern auf einen von deutscher Seite ausgeübten Zwang berufen können. In solchen Fällen und bei Werken, deren Leiter geflohen waren, die aber dennoch für deutsche Zwecke betrieben werden mußten, wurden die sogenannten Zwangsverwalter eingesetzt, nach deren Weisungen gearbeitet werden sollte. Die finanziellen Ergebnisse kamen natürlich den betreffenden Werkverwaltungen zugute. Außerdem wurde die Einsetzung der Zwangsverwaltung in solchen Werken nötig und angeordnet, die entweder vom feindlichen Ausland aus geleitet wurden, oder an deren Kapital mindestens zu einem Drittel feindliche Ausländer beteiligt waren, oder bei denen wesentliche Teile ihres Betriebes im Auslande lagen, oder schließlich solche, bei deren Betrieb wesentliches deutsches oder Interesse des besetzten Belgiens vorlag. Bei den weit über die ganze Erde reichenden Verbindungen des belgischen Handels und der Industrie mußte diese Maßregel in sehr vielen Fällen angewendet werden.

In den feindlichen Ländern waren entsprechende deutsche Firmen sofort unter Sequester gestellt worden; die Schicksale der betreffenden Besitzer usw. sind ja genugsam bekannt. Es wäre nun natürlich unbillig gewesen, wenn belgische Werke vielleicht mit einem Gewinn hätten arbeiten können, der früher oder später dem übrigen feindlichen Auslande nutzbar geworden wäre. Häufig war es sehr schwierig festzustellen, ob und in welchem Maße feindliches, nicht-belgisches Kapital beteiligt war.

[89] Nachdem im Lauf der Zeit sich herausgestellt hatte, daß in einigen feindlichen Staaten zur Liquidierung des deutschen Eigentums geschritten wurde, lag kein Grund vor, aus Vergeltungsgründen nicht dasselbe zu tun. Es war vielmehr sogar vaterländische Pflicht geworden.

Die Liquidierung ging in der Weise vor sich, daß deutschen Interessenten die Werke, die ganz oder zum großen Teil in feindlichem, nichtbelgischem Besitz waren, zum Kaufe angeboten wurden, nachdem mit der größten Sorgfalt und Unparteilichkeit der Wert ermittelt worden war, zu dem die Veräußerung mindestens erfolgen müsse. Für einige große Betriebe fanden sich auch bald Abnehmer. Die großen Gas- und Wasserwerke in Antwerpen z. B. gingen bald in die Hände der westdeutschen Schwerindustrie über.

Schwieriger waren schon die Verhältnisse bei Werken, deren Übergang in deutsche Hände zwar an sich sehr wünschenswert, deren Liquidierung aber nicht mit guten Gründen der Vergeltung zu rechtfertigen war. So hätten sich die reichen Kohlenvorkommen im Kempenlande im deutschen Besitz sicher als besonders wertvoll erwiesen, und es hatten sich auch bereits sehr namhafte Interessengemeinschaften aus der rheinischen Schwerindustrie gebildet, welche nach dem Erwerb dieser Bodenschätze trachteten.

Die deutsche Verwaltung und die Reichsleitung waren natürlich an sich dieser Stärkung der deutschen Volkswirtschaft durchaus gewogen, aber die Schwierigkeit lag darin, daß man den in belgischer Hand befindlichen Besitz nicht als Vergeltung liquidieren konnte, obgleich er ja feindlicher war, weil die belgische Regierung wegen der Schnelligkeit, mit der das Land besetzt worden war, nicht Zeit gehabt hatte, das deutsche in Belgien befindliche Eigentum ihrerseits zu liquidieren. Sie hätte es nach dem Beispiel ihrer Bundesgenossen ja sicher getan, wenn sie gekonnt hätte. Aber es war nun einmal nicht geschehen, und so fehlte die Handhabe zu Vergeltungsmaßnahmen.

Es war zwar bekannt, daß große französische Firmen, z. B. Schneider-Creusot, an den Werken im Kempenlande beteiligt waren, aber die Höhe der feindlichen Anteile war schwer festzustellen; und auch der Umstand, daß der belgische Staat nach dem geltenden Bergrecht in erheblichem Maße interessiert war, gab keinen Anlaß, etwa auf Grund des Kriegsbeuterechts, wie einmal vorgeschlagen wurde, eine Beschlagnahme vorzunehmen und dann zu liquidieren. So blieb diese Angelegenheit in der Schwebe und war bei Kriegsende noch nicht entschieden.

Selbstverständlich konnten alle diese Besitzveränderungen nur bei einem für Deutschland glücklichen Ausgang des Krieges Bestand behalten, weil sie dann im Friedensvertrage Aufnahme gefunden hätten. Der verhängnisvolle Versailler Frieden hat dies alles zerstört. Im Gegenteil haben ja nunmehr die Feindstaaten, darunter auch Belgien, das Recht, nach Gutdünken mit dem deutschen Eigentum in Belgien zu verfahren, und zwar auch mit dem, welches vor [90] dem Kriege in deutschem Besitz war. In welcher Weise die belgische Regierung von diesem Recht Gebrauch zu machen beabsichtigt, ist vorläufig, im Jahre 1922, noch in keiner Weise ersichtlich; es ist aber wohl das Schlimmste zu befürchten.

Ein Umstand verdient bei den in Belgien seitens der deutschen Verwaltung getätigten Liquidationen besonders hervorgehoben zu werden. Stets ist es das Bestreben des Generalgouverneurs gewesen, bei dem Bewerb um das feindliche Eigentum in Belgien möglichst vielen Interessenten Raum zu geben und eine gesunde Konkurrenz hierin zu begünstigen.

Im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit der Abteilung für Handel und Gewerbe stehen ihre Bestrebungen zur Verbesserung der Arbeitsschutzgesetzgebung. Letztere lag in Belgien im Verhältnis zu den Zuständen in Deutschland noch sehr im argen. Man kann sagen, sie stand noch in den ersten Anfängen.

Dies war um so wunderbarer, als in Belgien im Vergleich mit anderen Ländern sowohl die niedrigsten Löhne als die längste Arbeitszeit Geltung hatten. Große Teile der industriellen Bevölkerung hatten noch eine zwölfstündige Arbeitszeit bei einem Durchschnittsverdienst von 4 Franken täglich. Die hierdurch bedingte elende Lebenshaltung wurde vermehrt durch einen erschreckenden Alkoholverbrauch, der sich schon durch die unerhörte Zahl von einem Ausschank auf durchschnittlich 35 Einwohner ausdrückt. Das tiefste soziale Elend herrschte in der Arbeiterbevölkerung.

Dabei war eine Sozialversicherung in der Form der Altersversicherung nur im Bergbau obligatorisch; im übrigen gab es freie Hilfskassen und Unterstützungsorganisationen der Berufsvereinigungen gegen Arbeitslosigkeit, beide mit Zuschüssen des Staates oder der Gemeinden ausgestattet.

Der soziale Schutz für die Frauenarbeit versagte fast ganz; für Frauen über 21 Jahre gab es überhaupt keinen besonderen sozialen Schutz; infolgedessen wurden sie sogar in den Bergwerken zahlreich verwendet.

Versuche der Arbeiter zu sozialer Selbsthilfe bestanden daher natürlich. Es waren Gewerkschaften entstanden, deren Mitgliederzahl aber nicht sehr schnell zunahm, und die infolge der politischen Einwirkungen in sozialistische, klerikale und liberale zerfielen.

Natürlich lag in dieser Förderung sozialer Schutzbestimmungen auch der Gedanke verborgen, den Vorteil, den die belgische Industrie durch das fast vollständige Fehlen der Kosten für den Arbeiterschutz gegenüber der deutschen hatte, für die Zeit nach dem Kriege zu verringern. Denn es war klar, daß bei jeder Art des Kriegsausganges die belgische Bevölkerung sich die einmal errungenen Schutzrechte, wenn sie auch von der deutschen Verwaltung eingeführt waren, nicht wieder würde nehmen lassen.

Aber der Hauptgrund für die beabsichtigte segensreiche Tätigkeit war doch das die Generalgouverneure beseelende Gefühl, die Lage der arbeitenden Bevölkerung in Belgien nach deutschem Vorbild zu bessern. Die Unterschiede [91] zwischen den verschiedenen Volksklassen waren in Belgien, besonders auch im Verhältnis mit Deutschland, zu kraß.

So war denn eine der ersten Verwaltungsmaßnahmen in Belgien die Inkraftsetzung eines zwar schon im Frieden erlassenen, aber noch nicht verkündeten Gesetzes zum Schutz der Frauen- und Kinderarbeit.

Die weiteren Schritte zur Einführung der sozialen Versicherung nach deutschem Muster wurden bald unternommen. Auf Grund der in Deutschland gemachten Erfahrungen und natürlich mit Berücksichtigung der in Belgien vielfach anders liegenden Verhältnisse kam das Werk zustande, dessen Auswirkung durch die Beendigung des Krieges verhindert wurde.

Ein schon vor dem Kriege von den belgischen Kammern beratenes obligatorisches Versicherungsgesetz wurde von der deutschen Verwaltung im Jahre 1918 in Kraft gesetzt.

Weitere auf dem Gebiet der sozialen Fürsorge liegende Besserungen des bestehenden Zustandes werden an anderer Stelle erörtert.

Mit diesen Aufbaubestrebungen der deutschen Verwaltung nicht in Einklang zu stehen scheint ein anderer Zweig der dienstlichen Tätigkeit der Abteilung für Handel und Gewerbe, aus welcher den Deutschen von feindlicher Seite die heftigsten Vorwürfe gemacht worden sind.

Es trat wohl manchmal an die Generalgouverneure von seiten deutscher eigensüchtiger Interessenten die Anregung heran, die belgische Industrie durch Zerstörung wichtiger Anlagen gegenüber der deutschen konkurrenzunfähig zu machen, ja es wurde sogar der Vorwurf erhoben, daß durch die vom Generalgouverneur betriebene Förderung der belgischen Industrie die deutsche geschädigt würde. So wurde z. B. von seiten der deutschen Zementindustrie bemängelt, daß die in Belgien wieder in Betrieb gesetzten Zementfabriken den gleichen deutschen Werken Abbruch täten. Zunächst einmal war ein solcher Schaden gar nicht nachzuweisen; dann aber hätten die großen, durch die Zementfabrikation in Belgien erzielten Transportvorteile und Arbeiterersparnisse jeden etwaigen Schaden in Deutschland wettgemacht.

Niemals ist seitens des Generalgouvernements auf Anregungen dieser Art eingegangen worden. Im Gegenteil mußte in den Fällen, wo der Abbruch industrieller Anlagen aus irgendeinem Grunde sich als nötig erwies, jedesmal der Nachweis erbracht werden, daß gerade die Niederlegung dieser Fabrik für die deutsche Kriegswirtschaft unumgänglich war.

Als ein besonders bezeichnender Fall dieser Art möge der folgende angeführt werden. Zu einem Zeitpunkt, als die Vergrößerung vieler deutscher Fabriken zur Erzeugung von Kriegsmaterial besonders dringend wurde, kam an das Generalgouvernement die Anforderung, eine Anzahl Maschinenhallen abmontieren und nach Deutschland zum Wiederaufbau befördern zu lassen. Obwohl der Generalgouverneur grundsätzlich mit der Lieferung des Verlangten, [92] soweit es nötig sei, einverstanden war, erschien die Anzahl der abzubauenden Hallen so ungeheuerlich, daß eine sachgemäße Verwendung in Deutschland füglich bezweifelt werden mußte. Die entsprechende Anfrage ergab dann, daß allerdings eine sehr viel kleinere Anforderung berechtigt war, die nun anstandslos erfüllt wurde, um das in Deutschland knappe Material zu strecken.

Dieses war nämlich der einzige Grund, der die Niederlegung von Werken gebieterisch forderte.

Bei der bedrängten Rohstofflage der deutschen Industrie mußten die vielen in Belgien stilliegenden Fabriken mit ihren ungenutzten Maschinenanlagen eine gute Aushilfe wenigstens an Schrott liefern. Zwar hat es von vornherein den Anschein der Barbarei, wenn die Zerstörung nutzbringender Werkzeuge ins Auge gefaßt wurde. Aber vor den zwingenden Rücksichten der deutschen Kriegsnot mußten solche Bedenken schweigen, war diese doch ausschließlich eine Folge der gegnerischen Maßregel der Blockade. Auch wurde selbstverständlich mit größter Sachlichkeit verfahren; nur veraltete, häufig unbrauchbare Anlagen von geringem Wert wurden abgebrochen, wirklich wertvolle dagegen geschont. Ob dieser Gesichtspunkt bei noch längerer Kriegsdauer weiter hätte Geltung behalten können, kann allerdings bezweifelt werden.

Jedenfalls war es eine besondere Aufgabe der nur für solche Zwecke eingesetzten Reichsentschädigungskommission, den Zustand und Wert der abzubrechenden Werke auf das genaueste festzustellen, um später je nach Kriegsausgang die volle Erstattung des entstandenen Schadens möglich zu machen. Die Sorgfalt, mit welcher diese Behörde durch Photographieren der Fabriken und Maschinen vor der Zerstörung, durch eingehendste Besichtigungen und Berechnungen vorging, verdient die allergrößte Anerkennung.

Viele Märchen kamen auf feindlicher Seite über die barbarische Verwüstung der belgischen Industrie auf. Wo überhaupt eine Zerstörung stattfand, war sie durch die Kriegsnotwendigkeit geboten; alles andere sind Lügen der feindlichen Propaganda.

So ist z. B. die angeblich geschehene oder geplante Zerstörung belgischer Kohlenbergwerke eine böswillige Verleumdung.

Es wurde schon während der Besetzung Belgiens von vielen Seiten hervorgehoben, welchen Vorteil die belgische Industrie bei eigenem guten Willen zur Arbeit davon haben würde, wenn sie durch den Abbruch ihrer alten, unmodernen Werke in die Lage gesetzt wäre, mit den natürlich gewährten Entschädigungen neue, leistungsfähige wiederherzustellen. Inwieweit letzteres in den Jahren seit dem Kriege ihr gelungen sein sollte, entzieht sich der Kenntnis. In Deutschland wäre es zweifellos geschafft worden.

Die Vielseitigkeit der Abteilung für Handel und Gewerbe ist durch die vorstehende Schilderung nicht erschöpft. Eine große Fülle weiterer Aufgaben auf den Gebieten des Gewerkschaftswesens, der Gewerbe- und Schiedsgerichte, [93] Gewerbeaufsicht, Fortbildungswesen, Handelskammern usw. gehörte zu ihrer Tätigkeit.

In sehr vielen Fällen streifte ihr Arbeitsgebiet dasjenige anderer Behörden des Generalgouvernements; besonders traf das für Belange zu, die der Tätigkeit des Oberquartiermeisters beim Stabe des Generalgouverneurs vorbehalten war. Auch hier konnte stets durch verständnisvolles Einvernehmen eine fast reibungslose Tätigkeit auf dem verwickelten Arbeitsfeld erzielt werden.

Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte