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Bd. 7: Die Organisationen der Kriegführung, Zweiter Teil:
Die Organisationen für die Versorgung des Heeres

  Kapitel 6: Feldsanitätswesen   (Forts.)
Generalarzt Dr. Carl Altgelt

2. Organisation des Sanitätswesens bei Beginn des Krieges und seine Entwicklung während desselben.   (Forts.)

Marine und Schutztruppen.

Die Organisation des Marinesanitätswesens.
(Von Marine-Generalarzt Dr. Schepers.)

Wenn auch die Orlogschiffe der Hansastädte und die Fahrzeuge der Brandenburgischen Marine des Großen Kurfürsten regelmäßig Heilbeflissene an Bord hatten, so ist doch das Sanitätswesen der deutschen Kriegsmarine aus dem Sanitätswesen der preußischen Armee hervorgegangen. Die ersten Marineärzte kamen vom Heere und gingen dorthin zurück. Die Verschiedenheit der Aufgaben führte aber notwendig zur Loslösung. Als 1896 die Trennung eintrat, war sie praktisch längst vollzogen. An der Spitze des Marinesanitätswesens stand der Generalstabsarzt der Marine. Unter ihm leiteten in Anpassung an die Organisation der Marine die beiden Stationsärzte als Vorstände der Sanitätsämter und Berater der Stationschefs den Sanitätsdienst im Bereich der Ostsee- und Nordseestation (Kiel und Wilhelmshaven) zu Wasser und zu [439] Lande. Ihnen waren die Lazarette unterstellt, von denen es drei größere mit mehreren hundert Betten in Kiel, Kiel-Wik und Wilhelmshaven und kleinere in den verschiedenen Standorten an der Küste gab, sowie die beiden großen Sanitätsdepots.17 Den Sanitätsdienst an Bord der in der Hochseeflotte zusammengefaßten Seestreitkräfte leitete der Flottenarzt, dem die Geschwaderärzte mit ihren Schiffsärzten und für die Torpedoboote die Flottillen- und Halbflottillenärzte nachgeordnet waren. Die Schiffsärzte der Auslandschiffe fuhren als Einzelärzte, auf größeren Fahrzeugen noch mit einem Hilfsarzt. Das ostasiatische Kreuzergeschwader hatte seinen eigenen Geschwaderarzt. Die Erwerbung des Kiautschougebiets brachte die Aufstellung eines Gouvernementsarztes mit sich. Zu seinen dankbaren Aufgaben gehörte neben der Schaffung eines großen Lazaretts die dort besonders wichtige hygienische Arbeit, die Tsingtau zum gesundesten Hafen des Ostens gemacht hat. Daneben bestand von 1877 - 1913 ein Marinelazarett in Jokohama; an der Hochschule für Chinesen in Tsingtau und am Chinesenkrankenhaus daselbst waren Marinesanitätsoffiziere als Lehrer oder Leiter tätig. Für viele Sanitätsoffiziere war die Teilnahme an den außereuropäischen Expeditionen der letzten Jahrzehnte - China, Südwestafrika, Ponape, Venezuela, Ostafrika - immerhin eine Vorschule für den Krieg.

Das Marinesanitätsoffizierkorps ergänzte sich teilweise aus Studierenden der Kaiser-Wilhelms-Akademie, teilweise aus jungen Zivilärzten. Die wissenschaftliche Fortbildung erfolgte wie beim Heere. Die Ergänzung des Unterpersonals geschah aus freiwillig sich meldenden Marinemannschaften, die bei den Lazaretten ausgebildet wurden. Der Dienst in den Lazarettapotheken und Sanitätsdepots wurde von Marineapothekern, der Verwaltungsdienst von Marinelazarettbeamten versehen. Auch einige Schwestern fanden in der Krankenpflege Verwendung. Für den Krankentransport wurden Krankenträger und Hilfskrankenträger bei jedem Marineteil ausgebildet und an Bord möglichst jeder Mann in den für die erste Hilfeleistung nötigen Handgriffen unterwiesen.

Für den Krieg bedurfte es zunächst nur einer Erweiterung dieser Organisation insofern, als überall Personal und Material mobilmachungsgemäß aufgefüllt wurde. Denn auch die aus Reserven neu zu bildenden Marineteile fügten sich in die bestehende Organisation leicht ein, ebenso wie die "Festungslazarette", die in allen Standorten in geeigneten Baulichkeiten eingerichtet wurden. Das größte dieser Lazarette mit 2000 - 3000 Betten befand sich, von den am meisten bedrohten Punkten der Nordseeküste, aber auch von Kiel bequem zu erreichen, in Hamburg, wo die Auswandererhallen der Hamburg-Amerika-Linie in Veddel unter Ausnutzung der Organisation dieser großen [440] Schiffahrtsgesellschaft verwendet wurden. Dies ermöglichte, alle Verwundeten und Kranken der Marine in Marinelazarette aufzunehmen, ohne daß Überfüllung eintrat. Ebenso planmäßig ging die Einrichtung von Lazarettschiffen18 vor sich. Schon in den Chinawirren waren der für diesen Zweck umgebaute Überseedampfer "Gera" als Marinelazarettschiff und zwei für das Expeditionsheer bestimmte Lazarettschiffe, "Wittekind" und "Savoja", nach Ostasien entsandt. Im Frieden
Ein Schleppzug von sechs Lazarettschiffen auf der Oberspree.
Ein Schleppzug von sechs Lazarettschiffen
auf der Oberspree.      [Vergrößern]

Aus: Um Vaterland und Freiheit, Bd. 1, S. 46.
besaß die Kriegsmarine solche Fahrzeuge nicht. Der Umbau der hierfür vorgesehenen Dampfer erfolgte so schnell, daß schon am Tage der englischen Kriegserklärung, dem vierten Mobilmachungstage, einige Hilfslazarettschiffe von Hamburg in die Elbmündung abfahren konnten. Rechnete man doch damit, daß es unmittelbar nach dem Eintritt Englands in den Krieg zum Seekampf kommen würde. Als Hilfslazarettschiffe wurden Dampfer des Küstenverkehrs eingestellt, während die eigentlichen Lazarettschiffe, im Frieden große Passagierdampfer und in 12 - 14 Tagen umgebaut, richtige schwimmende Hospitäler waren.19 Die Hilfslazarettschiffe konnten nur mit Vorsicht verwendet werden, seitdem die Engländer am 22. Oktober 1914 das Hilfslazarettschiff "Ophelia" in brutalster Verletzung des Völkerrechts aufgebracht und seine Besatzung gefangengesetzt hatten. Durch das Ausbleiben eines baldigen Entscheidungskampfes verminderte sich die Verwendungsmöglichkeit auch der Lazarettschiffe. Bis zum April 1915 waren die meisten bereits wieder außer Dienst gestellt; bis zum Kriegsende blieb nur die "Sierra Ventana" tätig.

Der Verkehr mit den Organen der Freiwilligen Krankenpflege gestaltete sich einfach durch die vom Kaiserlichen Kommissar und Militärinspekteur der Freiwilligen Krankenpflege verfügte Ernennung je eines Territorialdelegierten in Kiel und Wilhelmshaven. Von besonderer Bedeutung war auch die aufopfernde Mitarbeit der Schwestern in den Festungs- und Kriegslazaretten.

Neue Aufgaben brachte die Bildung der aus überschüssigen Mannschaftsreserven der Marine aufgestellten Marinedivision zur Verstärkung des rechten Flügels an der Westfront. Das bewährte Muster der Armee mußte in einigen Punkten den Bedürfnissen der Marine angepaßt werden. Die zwei Sanitätskompagnien und die fünf Feldlazarette konnten zur Beförderung der Einrichtung wie der Verwundeten mit Kraftwagen ausgestattet werden. Die bald zu einem Korps erweiterte Division verteidigte den äußersten rechten Flügel der Westfront und die ganze flandrische Seefront und war gleichzeitig Basis für den von hier ausgehenden Teil des U-Boots- und Torpedobootskrieges. Dementsprechend hatte auch der Korpsarzt, dem ein Angehöriger des Marine- [441] sanitätsoffizierkorps als Beratender Chirurg zur Seite stand, sehr mannigfaltige Aufgaben zu lösen, von der Einrichtung dreier großer Kriegslazarette und zweier Genesungsheime an bis zu den großen Fragen der ganz Belgien betreffenden Seuchenbekämpfung. So wurde das als Typhusnest bekannte Ostende durch Schutzimpfung der gesamten Bevölkerung vollständig saniert; überhaupt zog von der Hilfsbereitschaft der Militärärzte auch die Zivilbevölkerung nicht geringen Nutzen. So hatten Marinesanitätsoffiziere für die nach der Einnahme Antwerpens zurückflutende, aber ohne ärztliche Versorgung gebliebene Bevölkerung Mechelns ein kleines Hilfskrankenhaus eingerichtet, selbstverständlich ohne irgendwelchen eignen Nutzen. Das sei nebenbei erwähnt, weil diese Dinge damals von der Bevölkerung sehr anerkannt, jetzt aber längst vergessen sind oder gehässig entstellt werden.

Inzwischen war Tsingtau, wo die ärztliche Versorgung nicht geringen Anteil an der Stärkung des Widerstandes gehabt hatte, gefallen. Der Heldenkampf des Kreuzergeschwaders war ausgekämpft, und auch der Kreuzerkrieg mußte allmählich erlahmen. Das überlebende Sanitätspersonal leistete teils Dienst bei den Gefangenen und Internierten, teils gelangte es - gelegentlich auf ganz abenteuerliche Weise - in die Heimat zurück. Hier gab der wachsende U-Bootskrieg neue Aufgaben; je länger die Fahrt dauerte, desto notwendiger wurden die hygienischen Einrichtungen und die Mitnahme eines Arztes. Die Gasbekämpfung an Bord, die Entwicklung des Marineluftschiff- und Fliegerwesens forderte eine vermehrte Mitarbeit des Marinesanitätskorps. Endlich brachte die gewaltige Erweiterung des Kriegsschauplatzes auch räumliche Ausdehnung des Marinesanitätsdienstes mit sich. In der Türkei hatte er durch Anlage von Lazaretten, Revieren, Laboratorien und Polikliniken einen wesentlichen Anteil an der Verteidigung der Dardanellen. Aber auch in Anatolien und Syrien waren Marineärzte, besonders zur Abwehr der ständig drohenden Seuchengefahr, tätig. In Ostafrika kämpfte ein Marinedetachement mit dem zugehörigen Sanitätspersonal unter Lettow-Vorbeck. In Bulgarien bediente sich besonders die Marine deutscher Marinesanitätsoffiziere. In Libau führte die Zusammenziehung von Marinetruppen zur Errichtung eines Marinefeldlazaretts. In Finnland stellte die Marine wenigstens vorübergehend ein Lazarett auf. In der Krim, im Kaukasus, in Pola und beim Skutari-Detachement waren Marinesanitätsoffiziere als Truppen-, Hafen- und Werftärzte tätig. Daß außerdem eine Reihe von früher aktiven, jetzt überzähligen Sanitätsoffizieren auf allen Kriegsschauplätzen tätig waren, kann hier nur gestreift werden.

Aus diesem Umriß ein vollständiges Bild der Leistungen des Marinesanitätswesens zu schaffen, scheiterte an den Grenzen des zur Verfügung stehenden Raumes. Auch würden sich Wiederholungen kaum vermeiden lassen bei solchen Gebieten der Medizin, welche allgemein ärztlicher Natur sind. Es soll [442] daher nur versucht werden, in einigen Aufsätzen Dinge zu besprechen, die für das Sanitätswesen der Marine irgendwie besonders charakteristisch sind, aber auch diese können nur als Skizzen gewertet werden.20


Sanitätsdienst an Bord, besonders im Kampf.
(Von Marine-Oberstabsarzt Dr. Amelung.)

Die Hauptaufgabe des Sanitätsdienstes an Bord von Kriegsschiffen besteht zur Friedenszeit in der Erhaltung eines guten Gesundheitszustandes der Schiffsbesatzung, also in der Krankheitsverhütung und in der raschen Beseitigung der durch Krankheit bedingten Besatzungsausfälle. An sich bleiben diese beiden Hauptaufgaben des Sanitätsdienstes an Bord auch zur Kriegszeit die gleichen; sie sind aber wesentlich größer und noch erheblich bedeutungsvoller. Während im allgemeinen der Verhütung von Krankheitsfällen durch die Maßnahmen der Bordhygiene eine Bedeutung zugemessen werden muß, die höher zu bewerten ist als die eigentliche Krankheitsbehandlung selbst, insofern, als erstere den Eintritt der letzteren zu beeinflussen vermag, gewinnt die Krankenbehandlung zur Kriegszeit im Stadium des Kampfes selbst eine die Bordhygiene weit in den Hintergrund drängende Bedeutung. Jede dieser beiden Hauptaufgaben des Sanitätsdienstes an Bord kann also die wichtigere werden; Erfüllung und Nichterfüllung beider kann die Gefechtskraft eines Kriegsschiffes ganz erheblich beeinflussen, ja unter Umständen erst bedingen oder lahmlegen.

Die hygienischen Maßnahmen zur Krankheitsverhütung an Bord sind zu Friedens- und Kriegszeiten im wesentlichen gleich; nur ist ihre Durchführung zu Kriegszeiten erheblich erschwert durch die bei Eintritt des Kriegszustandes sofort erfolgende Veränderung aller Verhältnisse, des ganzen Lebens an Bord, durch die Umstellung des gesamten Schiffsdienstes für den Kampf. Sich diesen veränderten Verhältnissen elastisch anzupassen, um doch das Ziel zu erreichen, ist daher ein erstes Erfordernis für die verantwortliche Leitung des Sanitätsdienstes. Das Kriegsschiff ist eine gegebene Größe, an dessen räumlicher Begrenzung nichts geändert werden kann, dessen Raum- und Personalausnutzung schon in Friedenszeiten bis ins Äußerste und Kleinste durchdacht war, dessen nur auf den Kampf eingestellte Aufgabe aber zur Kriegszeit alles andere in den Hintergrund zu drängen droht. Die bei der Mobilmachung eintretende starke Erhöhung der Besatzungszahl bei gleichen Raumverhältnissen verlangt aber besondere Aufmerksamkeit, da sich die an die Unterbringung zu stellenden hygienischen Anforderungen nur sehr schwer oder aber gar nicht erfüllen lassen. Den gesundheitlichen Gefahren, die die Raumüberlegung, der Mangel an Be- [443] wegungsmöglichkeit, die geringe Widerstandsfähigkeit der im höheren Lebensalter stehenden Reserven, dann der vermehrte Aufenthalt in See, seltenere Erholungsmöglichkeit an Land u. a. m. mit sich bringen, ist vorzubeugen, sie sind zu bekämpfen. Zur Kriegszeit erwachsen dem Sanitätsdienst an Bord also viele ernste und schwere hygienische Aufgaben.

Während die Maßnahmen zur Krankheitsverhütung gegenüber der Friedenszeit nur eine größere Sorgfalt und Anpassungsfähigkeit erfordern, ist die Erfüllung der anderen Hauptaufgabe des Sanitätsdienstes im Stadium des Kampfes an bestimmte Vorbedingungen gebunden.

Im Kampf bedeutet die Versorgung der Verletzten alles. Und zwar hat die Versorgung einzusetzen am Orte der Verwundung selbst. Überall auf einem Kriegsschiff kann der Arzt, kann das Sanitätspersonal nicht sein; bis sie herangeholt sind, bis der Verletzte zum Arzt transportiert ist, kann es bereits zu spät sein; eine sofortige, sachgemäß ausgeführte erste Hilfe kann in vielen Fällen lebensrettend wirken. Daher muß jeder Mann der Besatzung so weit mit den Grundbegriffen und der praktischen Anwendung der ersten Hilfeleistung vertraut sein, um dem verwundeten Kameraden an Ort und Stelle helfen zu können. Diesen Ausbildungsstand der gesamten Besatzung zu erreichen, gehört zu den wichtigsten Kampfesvorbereitungen des für den Sanitätsdienst Verantwortlichen und muß in immer wiederholten Belehrungen und Übungen erreicht werden. Zur Leistung erster Hilfe gehört auch das nötige Material, Verbandzeug, Schienen, Gummibinden usw. Ihre Verteilung durch das ganze Schiff ist so zu organisieren, daß im Kampf an jeder Gefechtsstelle, in jedem Heiz- und Maschinenraum jederzeit Verbandmaterial erreichbar ist. Rote Kreuze machen der Besatzung diese Stellen zur jederzeitigen Sicht und fast unwillkürlichen Belernung kenntlich. Wenn irgend möglich, müssen sich Verletzte, die gefechtsunfähig geworden, selbst zum Verbandplatz begeben, und zwar allein, nur wenn erforderlich, mit Unterstützung von Kameraden, denn im Kampf wird jeder Mann jeden Augenblick benötigt; aber nur zu häufig sind gerade Seekriegsverletzungen durch direktes oder indirektes Geschoß derart, daß nur Getragenwerden in Frage kommt. Solch ein Tragen von Verwundeten ist auf einem kämpfenden Schiff eine schwere Aufgabe; das Hin- und Herschwanken des Schiffes selbst, die durch Trümmer versperrten Wege, die zerschossenen Treppen machen einen schonenden Transport häufig unmöglich. Schonender als auf den Armen erregter Kameraden gestaltet er sich in den Transporthängematten, wenn auch hierbei das Ideal eines Verwundetentransports, d. h. ohne Stoß oder Erschütterung, sich nie erreichen läßt. Daher liegen genügend solcher Transporthängematten an bestimmten, kenntlich gemachten Stellen bereit. Besondere Vorrichtungen dienen dazu, die Verwundeten in diesen aus den tiefen Schiffsräumen über die fast senkrechten, steilen Niedergänge emporzuheißen. Diesen schwierigen Transportausgaben im Ernstfall gerecht zu werden, bedarf ein- [444] gehendster praktischer Übung mit und ohne Transportmittel unter Annahme aller möglichen erschwerenden Umstände. Die unter gewöhnlichen Verhältnissen unmittelbar zu den Verbandplätzen führenden Wege werden im Kampf nur zu oft versperrt, zerstört sein; daher gehört es zu den vorbereitenden Aufgaben, daß jeder Mann der Besatzung so genaue Kenntnis des ganzen Schiffsinnern erhält, um sich doch zu den Verbandplätzen durchzufinden. Genaue Weg- und Richtungsbezeichnung nach den Verbandplätzen hin mit roten Kreuzen und Richtungspfeilen ist auch da ein sicheres Aushilfsmittel. Da die Zahl der Ärzte, des Sanitätsunterpersonals im Kriege erhöht ist, ergibt diese Personalvermehrung die Möglichkeit der Einrichtung mehrerer Verbandplätze, meist je eines im Achter- und Vorschiff.

Ohne entsprechende Materialausrüstung und Raumvorbereitung sind große ärztliche Eingriffe nur erschwert und unsicher durchzuführen. Daher ist mit dem Fortschreiten des gesamten Kriegsschiffbaues auch der Größenverhältnisse, der Lage und Ausstattung der Gefechtsverbandplätze ein immer steigender Wert beigemessen worden. Auf den modernsten großen Schlachtschiffen stand ein besonderer Raum für den genannten Zweck zur Verfügung, ein Raum, annähernd wie der Operationssaal eines Landlazaretts, groß genug, genügend beleuchtet und ventiliert, von dem eigentlichen Schiffsleben möglichst wenig berührt, kein allgemeiner Durchgangsraum, unter Panzerschutz. Auf kleineren Schiffen ist derartiges natürlich nicht möglich; hier muß ein passender, im Gefecht nicht unbedingt anderweitig benötigter Raum, z. B. die Offiziersmesse, notgedrungen denselben Zweck erfüllen. Sicher ist kein Raum im Gefecht, daher werden Reserveverbandplätze vorgesehen und eingerichtet und an mehreren Stellen Instrumente und Verbandmittel in leicht transportablen Kästen niedergelegt.

Je nach Bauart und Größe des Schiffes ist die zweckmäßigste Organisation des Sanitätsdienstes für den Kampf ganz verschieden. Während eine gewisse Zentralisation bis zu dem Grade erforderlich sein kann, daß wenigstens die Leitung des Sanitätsdienstes von einer bestimmten Stelle im Schiff ausgeht, kann bei vermehrten Größenverhältnissen das Wirken selbständiger Ortsgruppen mehr Erfolg versprechen. Die Einrichtung fliegender Kolonnen aus Sanitätsmannschaften und Krankenträgern zur ersten Hilfeleistung und zum Transport nach den Verbandplätzen hat sich je nach den örtlichen Schiffsverhältnissen mehrfach bewährt. Doch bleibt der vorbereitete Verbandplatz die Hauptsache; denn nur an ein oder zwei Stellen sind wirklich umfassende Material- und Raumvorbereitungen für die größeren ärztlichen Eingriffe möglich. Daher sieht die Einrichtung von Gefechtsverbandplätzen genügende Mengen gebrauchsfertiger Verbandstoffe und Instrumente in Kästen oder Schränken, Operationstische, Desinfektions- und Narkoseapparate, Waschgelegenheiten, elektrische und Notbeleuchtung, Labemittel und alles Sonstige vor, was für die Versorgung [445] Verletzter benötigt wird; nicht zuletzt auch Reinigungsmaterial, um im Ernstfall nicht in kurzer Zeit von dem unvermeidlichen Schmutz aus Kohlenstaub und Blut erdrückt zu werden.

Alles dieses bis ins genaueste zu durchdenken und vorzubereiten, ist eine unerläßliche Vorbedingung für die Verwundetenversorgung im Kampf.

Sind die Verwundeten auf den Verbandplätzen versorgt, so können sie hier nicht bleiben, um nicht weiteren Versorgungsbedürftigen den Platz zu versperren; daher müssen Lagerungsräume in möglichster Nähe der Verbandplätze und, wo dies erreichbar, in geschützter Lage eingerichtet sein. Ist so alles theoretisch bis ins kleinste organisiert, in häufigen Übungen als zweckdienlich erprobt, so muß angestrebt werden, diese Vorbereitungen soweit als Dauerzustand zu erhalten, als es sich mit dem gewöhnlichen Ablauf des Schiffslebens zur Kriegszeit vereinbaren läßt. Unmittelbar vor dem Eintritt in den Kampf ist dann nur noch die letzte Hand an die Vorbereitung zu legen. Wieweit diese Vorbereitungen als ständige bestehen bleiben können oder ob sie bei jedem Inseegehen von neuem getroffen werden müssen, hängt ganz von den örtlichen Schiffsverhältnissen ab. Im allgemeinen wird es sich nur um ein stetes Bereithalten alles Erforderlichen handeln können, während die eigentliche Einrichtung und Aufstellung erst bei weiterem Inseegehen in Betracht kommt. Wird die letzte schützende Sperre verlassen, dann ist die Einrichtung in kürzester Zeit fertig.

Ist das Gefecht vorbei, heißt es die Versorgung der Verwundeten nachzuprüfen, das Lazarettschiff herbeizurufen, um die Verwundeten schneller an Land, in geordnete Lazarettpflege, zu überführen. An Bord selbst aber gilt im Hafen rasche Wiederherstellung des Zerstörten, Ergänzung der Sanitätsausrüstung, neuen Kampfesaufgaben entgegen!


Allgemeine Seekriegschirurgie.
(Von Marine-Generaloberarzt Prof. Dr. M. zur Verth.)

Rettung aus Wassersgefahr.

Die Fürsorge für die Opfer des Krieges zur See verlangt über die Maßnahmen im Landkriege hinaus als erste und wichtigste Aufgabe die Bereitstellung von Mitteln zur Rettung aus Wassersgefahr. Sind doch im Seegefecht fast stets die Mehrzahl, in manchen Fällen fast alle Verluste dem Ertrinkungstode zum Opfer gefallen.

An Versuchen zum Bau zweckmäßiger Rettungsmittel hat es seit Fergusons programmatischer Darstellung der Aufgaben des "Roten Kreuzes zur See" im Jahre 1869 nicht gefehlt. Die systematische Bearbeitung jedoch, der Aufbau des Rettungswesens auf physiologische und physikalische Gesetze mußte im großen Kriege erst geschaffen werden.

[446] Dazu bedurfte es zunächst der Beantwortung der Frage nach der Todesart des Schiffbrüchigen. Sorgfältige Durchforschung der Todesursachen ergab, daß neben dem seltenen Schocktod, besonders in den kälteren Zeiten, das Erstarren dem Ertrinken vielfach vorausgeht, vielleicht auch unmittelbar zum Tode führt. Auch dem Durst- oder Hungertode kann der dem Ertrinken und der Kälte auf sicherem Rettungsgerät Entgangene anheimfallen.

Indes das Erstarren erwies sich als schwerer zu bekämpfen als das Ertrinken. Anbehalten der Kleider im Wasser, Verschließen der Ärmel und Hosen um Handgelenk und Knöchel, Imprägnieren der Kleider, Tragen von besonders gegen die Gefahren des Aufenthalts im Wasser eingerichteten Kleidern, endlich Vermeidung von jeder Bewegung im Wasser, damit die Luft aus den Kleidern selbst, aus den Schichten zwischen den Kleidern und zwischen Haut und Kleidern nicht entweicht, waren wenigstens für einige Zeit wirksame Maßnahmen gegen die Kälte.

Als Material für das Einzelrettungsgerät erwies sich guter Kork als sicherer denn Kapok und luftdichte leere Gefäße. Schaumgummi ließ sich nicht ausreichend beschaffen und nicht auf seine Haltbarkeit erproben. Für das individuelle, sorgsam bewahrte, geschonte und hin und wieder geprüfte Rettungskleid stellte auch Kapok ein brauchbares Material dar, ebenso für das Massenrettungsgerät, das seine Überlegenheit über das Einzelgerät bewährte; endlich waren wasserdicht abgeschlossene Luftgefäße nicht zu entbehren.

Der Gefahr des Verdurstens und des Verhungerns konnte durch Hartbrot und Tee, die in einem besonders bezeichneten Auftriebskasten untergebracht oder in wasserdichten Gefäßen verpackt sind, begegnet werden, und zwar besser beim Massen- als beim Einzelgerät. Paddeln ermöglichen eine wenn auch geringe Fortbewegung, Leinen, Pfeifen, Lichter und Signalpistolen als Nachtsignalapparate, ebenfalls in Blechdosen wasserdicht untergebracht, ergänzten die Ausrüstung des ersteren.


Verwundetenabschub.

Der Abschub der Verletzten und Kranken wird zur See zur unabweisbaren Notwendigkeit, wenn nicht das Kriegsschiff, das Kampfmittel des Seekrieges, für seine Zweckbestimmung ausfallen soll. Zumeist sucht das Kriegsschiff nach dem Gefechte zur Ausbesserung seiner Schäden seinen Stützpunkt auf. Dort, am Lande, kann die Verletztenabgabe schonend, schnell und bequem vor sich gehen. Nicht so selten jedoch wird sie in freier See erforderlich. Erschwert wurde sie im Weltkriege aufs neue durch das Tauchboot, das auch das übernehmende Rettungsschiff gefährdete. Nur in Buchten oder Flußmündungen kann das Kriegsschiff ungefährdet seine Verletzten dem Lazarettschiff übergeben. Für den Küstenkrieg, wie ihn Deutschland im wesentlichen zu führen gezwungen war, [447] erwies sich das große Hochseelazarettschiff als überflüssig. Eine größere Zahl kleiner, flinker, niedrigbordiger Hilfslazarettschiffe befriedigte alle Bedürfnisse.

Die im Kriege verwendeten Hilfslazarettschiffe hatten in zwei oder drei größeren, im Hauptdeck gelegenen, meist von Bordwand zu Bordwand reichenden Räumen und in einigen kleinen Sonderabteilungen Platz für 50 - 80 Kranke, konnten aber in Notfällen weit über diese Zahl hinaus in Hängematten oder auf Strohsäcken an Bord nehmen. Ein kleiner Operationsraum, ein kleiner Raum für Infektionskranke und ein Leichenraum waren vorhanden. Die Ausrüstung sicherte vor allem ausreichende Ernährung der Schiffbrüchigen und etwaige Versorgung mit Kleidern, Leibwäsche usw. Bei der ärztlichen Ausrüstung ruhte naturgemäß der Nachdruck auf Bereitstellung der chirurgischen Hilfsmittel, neben denen aber auch Arzneien für die geläufigen inneren Krankheiten nicht fehlten.

Die anfangs (s. S. 440) tätigen Hochseelazarettschiffe waren ortsbewegliche schwimmende Lazarette, die dazu ausgewählten Schiffe gemischten Typs - Auswandererschiffe mit Kajütseinrichtung - von etwa 6000 - 9000 Bruttoregistertonnen Größe, dem eine Bettenzahl von 300 - 450 entsprach. Die Geeignetheit ergab sich vor allem aus dem Stande der hygienischen Einrichtungen. Die Geschwindigkeit mußte mit der Marschgeschwindigkeit der Flotte Schritt halten können. Für die Einteilung der Räume galt als Grundsatz: Fernhaltung der Schiffsbesatzung von den Kranken. Je nach der Erkrankungsart wurden verschiedene, möglichst örtlich getrennte Krankenabteilungen eingerichtet. Ansteckende Kranke und Geisteskranke konnten abgesondert werden. Die chirurgische Abteilung mit Operations-, Verband-, Röntgen- und medikomechanischen Räumen war im Vorderschiff, die innere mit Heilbädereinrichtung und Apotheke im Hinterschiff untergebracht. Der Platz für die Infektionsabteilung wechselte nach den örtlichen Verhältnissen. Die Ausrüstung entsprach der von Krankenhäusern am Lande von gleicher Bettenzahl unter Berücksichtigung des Umstandes, daß eine Ergänzung der Hilfsmittel auf lange Zeit ausgeschlossen sein konnte.

Die Verteilung der Lazarettschiffe nach geographischen Gesichtspunkten in regelmäßigen Wachwechsel hat sich der Zuteilung zu einzelnen Verbänden bei der Art des Krieges als überlegen erwiesen. Die Zahl der Schiffe ist nach der Küstenbildung und nach der Einschiebung regelmäßiger Überholungs- und Erholungszeiten bestimmt worden.


Seekriegschirurgie im besonderen.

Der Landkrieg der Neuzeit führt Millionenheere gegeneinander und läßt die absoluten Verletztenzahlen zu erheblicher Höhe anschwellen. Im Seekrieg haben sich die Millionenwerte der Schiffe gewaltig gesteigert. Die Menschenzahlen sind wesentlich geringer als im Landkrieg. Die prozentualen Zahlen der Verletzten erreichen dagegen größere Werte.

[448] Seekriegsverletzungen sind zum größten Teil Folgen von explosiven Gewalten, meist Granat-, seltener Minen- oder Torpedodetonationen. Sie haben am meisten Ähnlichkeit mit Verletzungen bei katastrophalen Ereignissen des Friedens. Quetschwunden und Quetschungen überwiegen. Zertrümmerung, Zermalmung ganzer Glieder und Verstümmelungen sind fast so häufig wie Schußkanäle. Neben der mechanischen Einwirkung spielen Verbrennung, chemische Einwirkung und Vergiftung eine unheilvolle Rolle.

Die Behandlung der Seekriegsverletzung unterscheidet sich grundsätzlich nicht von der der Explosionsverletzung am Lande, doch sind dem Seekrieg eine ganze Anzahl von Verletzungen eigen, die im Landkrieg sich selten ereignen. Auch wirken das Fehlen von Erde, Schlamm, Schützengrabenschmutz und Geröll, ferner örtliche und zeitliche Verhältnisse bestimmend auf die Behandlungsmaßnahmen ein.

An besonderen Verletzungen traten bei den Seegefechten Verbrennung und Verbrühung, Stauchungsverletzung und Seekriegsunfall auf.

Verbrennungen und Verbrühungen, entstanden durch deflagrierende oder explodierende feindliche Geschosse oder eigene Munition, erwiesen sich in weitem Umfange als tödlich.

Die Stauchungsverletzung war eine charakteristische Begleiterscheinung des Minen- und Torpedokrieges, kam aber auch im Artilleriekampf vor. Detonationen hoben im Augenblick der Explosion überaus plötzlich mit übergroßer Wucht die über dem Explosionszentrum befindlichen Decks. Der blitzschnell einsetzende, gewaltige Stoß nach oben wirkte wie ein mächtiger Schlag von unten unter die Füße und erzeugte dieselben Verletzungen wie ein Sturz aus großer Höhe auf die Füße. Besonders zahlreich traten hierbei Fersenbeinbrüche und Brüche der oberen und unteren Gelenkenden des Schienbeins auf. Auch Brüche der Mittelteile von Unter- und Oberschenkel und Wirbelbrüche kamen vor. Stießen die auf diese Art nach oben geschleuderten Seeleute mit dem Schädel gegen ein über ihnen befindliches Deck, so entstanden erneute schwere Brüche der Schädelwölbung oder der Basis. Oft fielen auch verschiedene Brüche zusammen. Auch an den inneren Organen traten schwere Verletzungen ein.

Die Häufung des Seekriegsunfalles dem Kriegsunfall am Lande gegenüber findet ihre Erklärung in bestimmten, dem Leben und Dienst an Bord charakteristischen Umständen. Der Seefahrt eigentümlich sind die großen Gewalten, mit denen sich die Schiffsbewegungen vollziehen, gegen die menschliche Hemmungen nicht aufkommen, der Seefahrt auf Kriegsschiffen insbesondere noch die Häufung des maschinellen Betriebes zu den verschiedensten Verrichtungen des seemännischen Lebens und Kriegsschiffdienstes. Mechanische Verletzungen entstehen an Bord im wesentlichen durch Mängel beim Ineinandergreifen maschineller oder durch Wind und Wasser hervorgerufener Bewegung auf der einen Seite und von körperlicher Bewegung oder Haltung auf der [449] anderen Seite. Das an Bord sehr häufige Zusammentreffen menschlicher Kraft und menschlicher Einrichtung erfordert eine nach Zeit und Ausschlag genau abgestimmte menschliche Haltung oder Bewegung. Geht aus irgendeinem Grunde die Abstimmung verloren, so ist die Gelegenheit zur Verletzung gegeben.

Andererseits verfehlten aber die günstigen hygienischen Bedingungen des Baumaterials des Schiffs - Eisen und Stahl - das Fehlen von Sand, Geröll und Schützengrabenschmutz, die erfolgreichen Bemühungen, das Schiff und seine Bewohner besonders auch vor dem Gefecht sauber zu halten, nicht ihren Einfluß auf den Heilungsverlauf der Seekriegsverletzung. Die Heilungsaussichten waren stets günstiger als bei gleichartigen Verletzungen an Land. Anaerobe Wundinfektionen, wie Starrkrampf und Gasinfektion, fehlten an Bord nahezu gänzlich.

Die erste Behandlung gestaltete sich je nach der Möglichkeit baldiger Abgabe des Verletzten durchaus verschieden. Stand die Überführung des Verletzten an Land in naher Aussicht, beschränkte sich die chirurgische Tätigkeit an Bord auf das Allernotwendigste. Betrug die Zeit des Verweilens an Bord unter zwölf Stunden, so umfaßte die Versorgung nur die Schmerzstillung, Noteingriffe und Feststellung gebrochener Knochen und größerer Weichteilverletzungen. War aber damit zu rechnen, daß die Verletzten länger als zwölf Stunden an Bord blieben, so trat die eigentliche Wundversorgung hinzu.


Auf U-Booten.
(Von Marine-Stabsarzt Dr. Sonntag.)

Von allen Waffen der deutschen Marine im Kriege war unstreitig das U-Boot am volkstümlichsten. Die U-Boote konnten ständig am Feinde sein und machten durch die große Zahl der Versenkungen von sich reden; hoffte man doch, durch sie den Hauptgegner England niederzuringen. Zum Teil lag es auch an der Neuheit dieser Waffe. Man fragte, wie tauchen die Boote, wie kommen sie wieder aus der Tiefe, wie ist die Luft in solcher geschlossenen Eisenröhre, wie leben die Menschen darin wochenlang? An die Besatzungen wurden zweifellos höchste Anforderungen gestellt. Es mußten also Männer sein, die scharfen ärztlichen Forderungen der Tauglichkeit genügten.

Um die besonderen Anforderungen an körperliche Widerstandskraft, an gutes Arbeiten einzelner Organe des menschlichen Körpers auf U-Booten kennenzulernen, müssen U-Boot und die ungünstigen Einflüsse des Dienstes dort dem Arzt genau bekannt sein.

Das moderne Unterseeboot besteht aus einem zylindrisch geformten Schiffskörper, der innen alle Maschinenanlagen und Wohnräume enthält und imstande ist, bei Unterwasserfahrten den jeweiligen Wasserdruck auszuhalten. Im allgemeinen waren die deutschen Boote gebaut für eine Wassertiefe von 50 m. Im [450] Kriege sind aber Boote auf 100 m und darüber gekommen, ohne Schaden zu erleiden - ein glänzendes Zeugnis für die Güte des Materials. Über Wasser fahren die Boote mit Motorenkraft, unter Wasser mit elektrischer Kraft, die durch Akkumulatoren gespeist wird, die bei Überwasserfahrt durch die Ölmaschinen wieder geladen werden.

Im allgemeinen wird über Wasser gefahren, getaucht nur bei Angriffen und in Feindesnähe. Das Tauchen wird durch Einlassen von Seewasser in Tauchtanks herbeigeführt, der Wiederauftrieb durch Herauspressen des Wassers aus den Tanks durch Preßluft.

Vorn und hinten im Boot - im Bug- und Heckraum - in dem die Torpedoausstoßrohre angebracht sind, liegen die Reservetorpedos, die sehr viel Platz einnehmen. Zugleich sind sie Schlaf- und Wohnraum für die Matrosen und Heizer. Von hinten nach vorn gerechnet schließt sich an den Heckraum die Abteilung für die elektrische Maschineneinrichtung, dann der Dieselmotorenraum an. In der Mitte des Bootes liegt die Zentrale, von der aus das Boot geführt wird; über ihr ist der Turm mit den Sehrohren. Nach vorn folgen die Räume für Offiziere, Deckoffiziere, Unteroffiziere, bis ganz vorn der Bugraum kommt. Aus diesen kurzen Angaben ist zu ersehen, daß der Raum aufs äußerste ausgenutzt ist. Im Kriege mußte bei den langen Reisen die Ausnutzung besonders geschickt sein, denn viel Proviant und Reservemaschinenteile mußten verstaut werden.

Bei den Wohnräumen liegt abgeteilt die Küche - Kombüse -, wo der Koch, eine sehr wichtige Persönlichkeit auf einem U-Boot, seines oft sehr schwierigen Amtes waltet. Gekocht wird elektrisch, ebenso ist natürlich Heizung und Beleuchtung elektrisch. Das Trinkwasser ist in besonderen Zellen verteilt. Durch das ganze Boot ziehen sich Ventilationsschächte. In solcher Eisenröhre hauste die Besatzung. Aufeinander angewiesen, jeder mit wichtigen Dienstverrichtungen betraut, gab sie nach der ersten Fahrt gegen den Feind eine hervorragende Einheit.

Für die Beurteilung der hygienischen Verhältnisse auf U-Booten, die der Arzt genau kennen mußte, waren zwei Faktoren maßgebend, und zwar die chemische Zusammensetzung der Luft im Bootsinnern (Verhältnis des Sauerstoffs zur Kohlensäure, Anwesenheit schädlicher Reize, Riechstoffe, Gase) und die physikalische (Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftdruck). Die Hygiene des U-Bootes war also die des relativ und absolut geschlossenen, mit Menschen besetzten Raumes. Infolge der schiffbaulichen Eigenart und des Kampfcharakters konnten nicht alle hygienischen Erfordernisse erfüllt werden. Der Krieg zwang zu Einschränkungen.

Die Giftigkeit der Luft entsteht besonders durch Anhäufung von Kohlensäure aus der Ausatmungsluft der Menschen. Die einzelnen Abteilungen im Boot waren mit der Außenluft zwar durch Luken in Verbindung, doch waren diese bei Fernfahrten befehlsmäßig geschlossen bis auf ein Luk im Turm. Das Boot mußte ja schnell tauchen können. Es war unmöglich, bei Alarm alle Luken [451] schnell zu schließen. Die natürliche Ventilation mußte also durch ein Luk an Deck erfolgen; deshalb waren die Verbindungen zwischen den einzelnen Abteilungen offen. Diese natürliche Ventilation genügte aber nicht. Deshalb wurde mit Maschinenkraft die verbrauchte Luft abgesaugt und frische Luft in die Abteilungen gepreßt. Eine tadellose Atmungsluft wurde natürlich dadurch nicht erzielt, die Luft war sogar meist schlecht. Daraus erklären sich die häufigen Klagen der Besatzung über Kopfschmerzen, Mattigkeit, besonders morgens nach dem Erwachen, und darüber, daß der Schlaf keine Erquickung sei.

Die künstliche Lufterneuerung spielte eine große Rolle bei Unterwasserfahrten, wenn von außen keine Luft mehr ins Boot kommen konnte. Eine überraschend lange Zeit konnte allerdings die Besatzung mit der Luft auskommen, die zur Zeit des Tauchens im Boot war. Wurde aber nicht für Lufterneuerung gesorgt, so mußte allmählich durch die Kohlensäureanhäufung der Tod eintreten. Die Einwirkung des Sauerstoffmangels äußerte sich zuerst in einer Steigerung der Atemtätigkeit mit den dann eintretenden Erscheinungen von Atemnot, Ohnmacht, Schwindelanfällen, Übelkeit. Die äußerste Grenze der zeitweise gerade noch erträglichen Sauerstoffherabsetzung lag zwischen 6 - 8%. Der Durchschnittsbedarf der ruhenden und tätigen Besatzung auf U-Booten stellte sich auf rund 30 Liter pro Mann und Stunde. Bei etwa 5% Kohlensäure- und normalem Sauerstoffgehalt ist in der Außenluft die theoretisch zulässige Konzentration erreicht. In geringen Mengen wirkt die Kohlensäure erregend, in großen lähmend. Am empfindlichsten wird die Atmung beeinflußt. Bei 7 - 8% Kohlensäuregehalt traten schon nach kurzer Zeit Schwindel, Ohnmacht, zuweilen Erregungszustände auf. Für die praktische Hygiene waren Kohlensäureabgabe und Sauerstoffaufnahme (30 Liter pro Kopf und Stunde, s. o.) gleichzusetzen.

Lufterneuerung wurde dadurch an Bord erreicht, daß man aus Stahlflaschen in den einzelnen Bootsabteilungen komprimierten Sauerstoff ausströmen ließ. Nach der Anzahl der im Raum befindlichen Personen wurde die Sauerstoffmenge eingestellt. Die schlechte Luft wurde durch Kästen mit Kali geleitet, um die Kohlensäure durch die darin befindlichen Ätzkalikörner zu binden. Im Durchschnitt vermochte die Besatzung bei dieser Lufterneuerung drei Tage zu leben; doch war diese künstliche Luft nicht erfrischend, und wenn man nach langer Tauchfahrt auftauchte, war das Atmen der frischen Seeluft eine wahre Wohltat. Die Luft wurde aber nicht nur schlecht infolge der Kohlensäureanhaufung, sondern auch durch die Ausdünstungen der Menschen, die Gerüche, die beim Kochen entstehen, vor allem aber durch die Öldämpfe aus dem Motorenraum. Diese bewirkten den typischen U-Bootsgeruch, der in alle Kleider drang und sich dem Proviant mitteilte. Mit der Zeit gewöhnte sich das Personal an diesen Geruch. Schädigungen traten im Kriege auf einzelnen Booten auf, als bei Knappheit des sonst benutzten Öles Braunkohlenteeröl gebraucht wurde. Die ärztlichen Untersuchungen stellten Schädigungen fest; die Benutzung des Öles wurde sofort verboten.

[452] Eine weitere Gefahr in der Luftzusammensetzung konnte beim Laden der Batterie durch Bildung von Knallgas auftreten. Explosionen solcher Gasgemische ereigneten sich auf fast allen U-Booten. - Äußerst giftige Chlordämpfe konnten dadurch entstehen, daß Salzwasser mit der Flüssigkeit in den Akkumulatorzellen in Berührung trat.

Bei der schädlichen Luftbeschaffenheit spielte vor allem der hohe Gehalt an Wasserdampf eine große Rolle. Er entstand durch Zufuhr aus der äußeren Luft, Atmung, Dampf beim Kochen usw. Stieg weiterhin die Temperatur (Tropen, heiße Jahreszeit), herrschte Windstille, so wurde die Wärmeregulierung des Körpers gestört; Mattigkeit, Schwindelgefühl, beschleunigte und erschwerte Atmung bis zur Ohnmacht, besonders bei Anstrengungen, waren die Folge. Es kam zu Krämpfen, Bewußtseinsverlust und Atemlähmung infolge Wärmestauung. Unter diesen lästigen und den Körper angreifenden Beschwerden litt besonders das technische Personal, wenn es bei den oft notwendigen Reparaturen angestrengt arbeiten mußte.

Alle Versuche, diese ungünstigen Einwirkungen abzustellen, führten zu keinem Erfolg. Die zur Bindung der Feuchtigkeit notwendigen Chemikalien konnten in der hierzu erforderlichen erheblichen Menge nicht mitgenommen werden. Deshalb wurden Leute, die nach mehreren Fernfahrten besonders litten, vorübergehend ausgeschifft; sie waren später meist wieder imstande, vollen Dienst zu tun.

Eine weitere unangenehme Folge der hohen Luftfeuchtigkeit war der Niederschlag des Wasserdampfes innen an der unbekleideten Bordwand, deren Kälte dadurch erst recht in Erscheinung trat. Dies wurde oft als Ursache von rheumatischen Erkrankungen angegeben.

So war die Unterbringung der Besatzung nicht gerade glänzend. In den engen Räumen, die innen wegen der vielen Leitungen und Rohrdurchführungen nicht bekleidet werden konnten, war es stets kalt und feucht. Das Wasser lief an den Wänden herab. Die großen Torpedoausstoßrohre mit ihrem Drum-und-Dran, die dort lagernden Reservetorpedos mit ihren ölglänzenden Leibern machten den Raum auch nicht wohnlicher. Auf dem Boden lagen oft Kartoffelsäcke, Proviant in Kisten und Dosen. Wollte ein Mann schlafen, so mußte er sich mit seiner Decke oder Hängematte irgendwo einen Platz suchen; es konnte nicht jeder seine besondere Koje haben. Die später gebauten U-Boote wiesen in dieser Hinsicht Verbesserungen auf, aber sogar auf den großen U-Kreuzern war die Unterbringung immer noch mangelhaft. Auf einem derselben standen für 35 Mann im Mannschaftsraum nur acht Kojen als Schlafplätze zur Verfügung. Ein solcher Kreuzer blieb vier Monate in See!

Das seemännische Personal ging in ununterbrochenem Wechsel Wache auf der Brücke. Der Horizont wird nach Rauchfahnen von Dampfern, die nähere Umgebung nach Sehrohren von feindlichen U-Booten abgesucht, der Himmel [453] nach Fliegern, die bei Fahrt dicht unter den feindlichen Küsten und in der irischen See meist plötzlich auftauchten. Die bei schlechtem Wetter überkommenden Seen durchnäßten das Brückenpersonal bei der verhältnismäßig niedrigen Lage der Brücke völlig. Sogar das Ölzeug hielt bei diesen klatschenden Wassern nicht dicht. Es wurden daher sog. Schlechtwetteranzüge aus starkem Gummistoff eingeführt, die bis zum Halse aus einem Stück waren. Durch das dehnungsfähige Halsloch wurde "eingestiegen". Man muß das Brückenpersonal bei schlechtem Wetter im Winter, wenn alles an Bord vereist war, gesehen haben, um eine Vorstellung von den Strapazen zu bekommen, die ihnen zugemutet wurden.

Die übrige Besatzung trug Lederanzüge, die bei den öltriefenden U-Booteinrichtungen sehr zweckmäßig waren, obwohl sie keinen großen Wärmeschutz boten. Nasses Zeug konnte bei der hohen Luftfeuchtigkeit schlecht getrocknet werden, so daß auf Fahrten in schlechter Jahreszeit die Leute ständig in feuchten Sachen waren. Decken und Kojenzeug waren natürlich auch feucht.

Hatte das seemännische Personal unter den Unbilden der Witterung zu leiden, so das technische durch die Schädigungen, die der Aufenthalt im Motorenraum verursachte. Das Maschinenpersonal tat seinen Dienst in dem engen Raum bei erhöhter Temperatur, schlechter Luft und besonders starken Geräuschen in sechsstündiger Wache unter den denkbar ungünstigsten Verhältnissen. Der starke Motorenlärm wirkte auf die Dauer "betäubend". Hierdurch und durch die ständigen Druckschwankungen, die durch das Ansaugen von Luft durch die Motore entsteht, litten die elastischen Elemente des Trommelfells; die Hörfähigkeit ließ nach. Zusammenhang dieser Trommelfellschädigung mit allgemeinen nervösen Erscheinungen ist wiederholt festgestellt worden. Der Unterschied im Luftdruck, der beim Tauchen, beim Aufsteigen usw. manchmal erheblich war und bei empfindlichen Menschen sehr unangenehm wirkte, glich sich dagegen meist gut und schnell aus.

Da Süßwasser nur in beschränkter Menge mitgenommen werden konnte, so mußte die regelmäßige Ausgabe von Waschwasser unterbleiben. Dieser Mangel an Erfrischung rief ein Gefühl von Übernächtigtsein hervor. Ersatz durch spirituöse Mischungen mußte unterbleiben. Wegen der ständigen Alarmbereitschaft durfte man sich auch nicht auskleiden. Man kann sich vorstellen, daß die Besatzung des U-Boots am Ende einer Fernfahrt nicht gerade appetitlich aussah und roch.

Sorgfalt und ärztliche Kontrolle erforderte auch die Verpflegung. Sie mußte ausreichend und leicht verdaulich sein. Frischproviant konnte natürlich nicht mitgenommen werden, nur Konserven. Wegen der ungünstigen Luftbeschaffenheit mußte alles gut verlötet sein. Vor allem kam es auf gute Haltbarkeit des Brotes an; die besten Erfahrungen wurden mit einem von allen Seiten gebackenen Krustenbrot gemacht. Unter Verdauungsbeschwerden mit allen weiteren Folgeerscheinungen oft sehr lästiger Art hatte eigentlich jeder U-Bootsfahrer zu leiden. Es fehlte ja die körperliche Bewegung. Die Leute gingen oder [454] krochen von ihrem Schlafplatz zum Dienstplatz und zurück; bei gutem Wetter konnte das technische Personal abwechselnd auf die Brücke kommen, um frische Luft zu schöpfen.

Das waren die Lebensbedingungen und die hygienischen Verhältnisse, unter die der U-Bootsarzt das ihm ärztlich anvertraute Menschenmaterial gestellt sah. Sein Hauptbestreben ging dahin, auf Verbesserungen in jeder Art zu dringen, Schädigungen abzustellen, Vorschläge zu machen. Von Krankheiten konnte er vor allem Erscheinungen allgemeiner nervöser Abspannung und Erschöpfung beobachten. Sie finden ihre Erklärung in der Eigenart des U-Bootsdienstes, der die höchsten Anforderungen an psychische und physische Kräfte stellte. Neben den nervenanspannenden Einzelbegebenheiten (plötzlicher Alarm, Tauchmanöver, Angriffahren, Verfolgtwerden) griff das unausgesetzte Gefaßtsein und Warten auf Überraschungen die Nerven an. Daran war naturgemäß der Kommandant und der wachhabende Teil des seemännischen Personals besonders beteiligt. Beim technischen Personal stellte die Motorenbedienung besondere Anforderungen an das Nervensystem. Der Lärm, das scharfe Aufpassen, die unausgesetzten Luftdruckschwankungen wirkten schädigend. Diese nervösen Erscheinungen gingen nach längerer Erholung meist zurück, wenn nicht, blieb nur Ablösung übrig. - Sonst kamen häufig Erkältungskrankheiten vor. Dafür boten der nasse seemännische Dienst, die Temperaturunterschiede in und außerhalb des Bootes, der Ventilationsstrom, ungleichmäßige Erwärmung durch die elektrische Heizung (oben warm, unten kalt) reichlich Gelegenheit.

Wegen der mangelnden Reinlichkeit waren Hautkrankheiten nicht selten, vor allem auch beim technischen Personal durch das Arbeiten mit Öl. Auf die Ohrenerkrankungen, die Darmbeschwerden wurde schon hingewiesen. Natürlich kamen auch zahlreiche Verletzungen vor.

Für den Arzt, der das Glück hatte, während des Krieges zur U-Bootswaffe kommandiert zu werden, gab es daher viel zu tun. Er mußte die Mannschaften genau kennen und weiterhin beobachten. Vor und nach jeder Fernfahrt wurden die chemischen und physikalischen Untersuchungsergebnisse ausgewertet, hygienische Einrichtungen überprüft, die Mannschaften untersucht, ihr Gewicht festgestellt, zum Teil systematische Blutuntersuchungen angestellt, die vorgebrachten Klagen aufgezeichnet. Er wurde so auf diejenigen aufmerksam, die dem Dienst nicht mehr gewachsen waren. Es konnte daher frühzeitig eine entsprechende Behandlung einsetzen, ein längerer Urlaub usw. beantragt werden. Durch die Klagen aufmerksam gemacht, konnte der Arzt auch für Abstellung mancher Schädigungen sorgen. Nach einem Urlaub in anderer Umgebung gingen nervöse Erscheinungen oft überraschend schnell zurück. Als sehr segensreich erwiesen sich die in großer Zahl vorhandenen Erholungs- und Genesungsheime, die den besonders ruhebedürftigen Offizieren und Mannschaften zur Verfügung standen und von denen fleißig Gebrauch gemacht wurde.

[455] Die Werftliegezeit der Boote mußte gewissenhaft ausgenutzt werden, um durch sachgemäße Körperpflege entstandene Schädigungen auszuheilen und die Besatzung für neue Fahrten zu stärken.

Auf den Booten ohne Arzt bekamen Offiziere und einige Unteroffiziere Unterricht über Hilfeleistung bei Unglücksfällen, sowie einen Überblick über die wichtigsten Krankheiten und ihre Erscheinungen. Vor der Fahrt wurde die Sanitätsausrüstung nachgesehen und aufgefüllt. - Auf den großen U-Booten, den U-Kreuzern, war ein Arzt eingeschifft. Diese Boote blieben ja auch monatelang draußen. Da erstreckte sich die Tätigkeit des Arztes neben der Kranken- und Verwundetenbehandlung mit auf die Überwachung aller hygienischen Maßnahmen. Zahlreich sind die Untersuchungen, die von den Ärzten auf U-Booten gemacht sind über Temperaturmessungen vergleichender Art, Feuchtigkeits-, Kohlensäurebestimmungen usw. Es kam ja auch besonders darauf an, brauchbares Material zu gewinnen. Da die U-Kreuzer häufig auch in Tropengegenden fuhren, mußte der Arzt diese klimatischen Einflüsse berücksichtigen, die Verpflegung anpassen, eine andere Art des Dienstbetriebes vorschlagen. Die Tätigkeit des Arztes auf U-Booten gestaltete sich also mannigfaltig genug. Die Kriegsverhältnisse stellten höchste Anforderungen an das wertvolle Personal. Wenn trotzdem die gesundheitliche Kraft im großen und ganzen erhalten blieb, keine ansteckenden Krankheiten auftraten, so ist dies der willigen und verständigen Durchführung der befohlenen hygienischen Maßnahmen, der sofortigen Behandlung und weitgehendsten Beobachtung zu verdanken. So hat auch der Arzt am Gelingen des großen Zieles der Unterseebootswaffe mitgearbeitet.


Gasgefahr.
(Von Marine-Oberstabsarzt Dr. Weißenborn.)

Vergiftungen durch Pulvergase haben während des Krieges 1914/18 bei dem Feldheer eine verhältnismäßig geringe Rolle gespielt. Dagegen zeigte sich bereits in dem Seegefecht am 24. Januar 1915, daß an Bord der Kriegsschiffe sehr schwere und entscheidende Wirkungen der Pulvergase im Kampfe auftreten können. Der Einbruch dieser Gefahr traf die Marine nicht unerwartet.

Brand von Pulverkammern und Abbrennen eigener Munition gab von jeher eine Gefahrbedrohung an Bord ab, die sich durch die beim Kampfe im Schiffsinnern zu erwartenden Brände und die Möglichkeit des Übergreifens auf die Munitionskammern und Bereitschaftsmunition naturgemäß erhöhte. Die Änderung in der Zusammensetzung der Pulver, die Steigerung der Geschoßgröße, der Geschützkaliber, der Torpedo- und Minenladungen, der Feuer- und Ladegeschwindigkeit, die Aufstellung der Geschütze in möglichst abgeschlossenen Türmen und Kasematten, die Bereitstellung großer Munitionsmengen an den Geschützen ließen aber auch die Gefahr der Entwicklung bedeutender Gasmengen und die Bedrohung der Schiffsbesatzung durch sie anwachsen. Sie wurde um so [456] bedrohlicher, je schwieriger sich die Lüftung des Schiffsinnern infolge immer weiter gehender Abschlüsse ganzer Schiffsteile voneinander und von der Außenwelt gestaltete. In den Gefechtsstörungsübungen an Bord war daher die Beseitigung der Rauch- und Gasgefahr eine oft gestellte und mit größter Sorgfalt durchgeführte Aufgabe. Schutzmaßnahmen waren vorgesehen, auch war der Sanitätsdienst auf die zu erwartenden Rauch- und Gasvergiftungen gerüstet.

Unter der Bezeichnung Rauch- und Gasgefahr wurden in der deutschen Marine alle die Gefahren zusammengefaßt, die der Besatzung durch Rauch, Qualm oder giftige Gase drohen. Im Frieden war diese Gefahr gering; im Kriege mußte sie anwachsen, und zwar nicht bloß wegen der möglichen Munitionsexplosionen, sondern weil auch während des Gefechtszustandes die Lüftung der Kriegsschiffe einschneidende Veränderungen erfährt. Die ungeheure Tragweite der Gasgefahr hat erst der Weltkrieg in hellstes Licht gerückt. Man muß in dieser Frage unterscheiden zwischen den Fällen, in denen durch Verdrängung der Luft Erstickung eintritt, und denen, wo bei ausreichendem Sauerstoffgehalt ein hinzutretendes Gift das Leben gefährdet.

Der Gaskampf, wie er im Landkriege auftrat, hat im Seekrieg bislang keine Rolle gespielt, doch scheinen gewisse Nationen für den Ausbau dieses Kampfmittels große Anstrengungen zu machen.

Die Gasgefahr, wie sie an Bord bisher in Erscheinung trat, ist eine nicht unmittelbar beabsichtigte. Sie hat ihre Hauptursache in der Bildung von Kohlenoxyd und den Oxyden des Stickstoffes bei der Explosion von Treib- und Sprengmitteln und hängt von deren Herstellungsart und chemischen Zusammensetzung und der Art und Weise der Verbrennung ab (Detonation oder Deflagration). Neben anderen Gasen werden Kohlenoxyd, Stickoxyd und die sehr giftigen Nitrosegase gebildet, dazu kommen gewisse Reizgase. Gasgefahr kann aus allen auf Kriegsschiffen gebräuchlichen Treib- und Sprengmitteln (Geschützpulver, Granatfüllung, Torpedokopf, Minenladungen) und durch das Eindringen von Schornstein- und Brandgasen in das Schiffsinnere entstehen. Außer letzteren kommen für die Art der Entstehung der Gasgefahr in Betracht: Detonationsgase feindlicher Granaten, Minen, Torpedos; Gase eigener Treibmunition während der Feuertätigkeit, Verbrennungsgase eigener Treibmunition. - Chemisch handelt es sich bei den erstangeführten Gasen und den Schornstein- und Brandgasen wesentlich um Kohlenoxyd, bei den Verbrennungsgasen um eine Mischung von Kohlenoxyd- und Nitrosegasen. Gefährdung durch Heiz- und Rauchgase trat besonders ein bei mechanischer Zertrümmerung der Schornsteinschächte im Schiffsinnern, wobei das Ansaugen von Schornsteingasen durch gleichzeitig eröffnete Zuluftschächte in Heiz- und Maschinenräumen zur Gasgefahr führen mußte.

Die Gesamtmenge der Gase einer einschlagenden Granate ist an sich gering. Die Detonation ruft starke Luftbewegung und Luftverdünnung hervor, die ein schnelles Abströmen der Gase bewirkt; werden jedoch die Detonationsgase weit [457] in das Schiff hineingetragen, häufen sich die giftigen Gase und fangen sich. Unterwassertreffer wirkten am stärksten.

Große Mengen von Detonationsgasen lieferten Minen- und Torpedotreffer. Gasgefahr trat ebenso wie durch feindliche Granaten in jedem Teil des Schiffes ein. Das Gas trat in gewaltigen Schwaden auf. Der Gehalt dieser Wolken an giftigen Gasen ist groß. Die Hauptmasse der Gase blieb jedoch außenbords, die Gasgefahr beschränkte sich auf die Räume der Trefferumgebung; wurden die Schwaden aber durch Kanäle weitergeleitet, fingen sie sich wie in einem Sack und verdrängten die Luft mehr oder weniger. Vergiftungen durch Kohlenoxydgase traten dann auch in weiter entfernt liegenden Schiffsabteilungen auf. Die Wirkung der Detonationsgase von Minen und Torpedos führte zu verhältnismäßig schnell eintretenden, wenn auch nicht tödlichen Ausfällen.

Bei andauernder Feuertätigkeit, ungünstig stehendem Wind, bei ungenügender oder ausfallender Ventilation sammelten sich in den Türmen Kohlenoxyd und Reizstoffe durch Zurückschlagen der Gase aus den Rohren und durch Ausströmen aus den abgebrannten Kartuschen an. Die schädigende Wirkung war aber gering und steigerte sich nur langsam. Nur selten führte dies zur Erkrankung.

Die Hauptquelle großer, die Gefechtskraft des ganzen Schiffes berührender Gasgefahr war das Abbrennen (Deflagration) eigener Kartuschen. Die auftretenden Gasmassen drängen sich immer nach der Stelle geringen Widerstandes. Bei ihrer Wanderung in das Schiff benutzten sie deshalb offene Verbindungen und Undichtigkeiten in den Nietungen, Leitungsschächten, Sprachrohre, Lüftungsanlagen oder durch Druckwirkung entstandene Öffnungen. Ein Teil ging zwar nach außenbords, von wo sie aber nicht selten durch die Saugkraft tätiger Zuluftschächte zurücktraten. Bedroht waren deshalb neben der Umgebung des Ursprungsherdes alle Räume mit ständiger Lüftung (Heizmaschinenräume) und mit zahlreichen Sprachrohrleitungen. Bei den Pulverbränden ließen sich vier Wirkungszonen erkennen. In der ersten herrschte die Flammenwirkung vor, in der zweiten die Wirkung der gesamten Deflagrationsgase (Kohlenoxyd, Nitrosegase und Reizstoffe), in der dritten trat der Kohlenoxydeinfluß praktisch gegenüber der Wirkung von Nitrose und Reizstoffwirkung zurück, in der vierten kam es nur zu einer zwar belästigenden und die militärische Leistungsfähigkeit beeinträchtigenden, aber nicht giftigen Reizstoffwirkung.

Bei der Nitrosevergiftung standen in typischer Weise die Lungenerscheinungen im Vordergrund. Verzögertes Auftreten der Krankheitserscheinungen kam, wie auch früher schon festgestellt, zur Beobachtung. Wo der Tod eintrat, ergab die Leichenschau Lungenödem.

Angesichts der großen Gefahr, die der Besatzung und damit der Gefechtskraft des Schiffes durch Detonations- und Deflagrationsgase drohte, hatte die Marine nach Mitteln und Wegen gesucht, diese Gefahrquelle unschädlich zu machen.

[458] Vor dem Kriege wurde der hauptsächlichste Schutz in der weitmöglichsten Vervollkommnung der Lüftung an Bord erblickt. Daneben waren Rauchbinden, Augenschutz, Gasschutzapparate (Selbstretter der Firma Draeger in Lübeck) vorgesehen. Als Hauptgrundsatz der Bekämpfung der Rauch- und Gasgefahr war aufgestellt, daß jeder in einem Schiffsraum stationierte Mann ebenso wie die Lecksicherungsmaßnahmen auch die Bedienung der Lüftungseinrichtungen völlig beherrschte. Im Kriege kamen hierzu Gasschutzmasken. Sie haben sich in der Seeschlacht am Skagerrak gut bewährt und ein Aushalten in Feuer und Rauch ermöglicht.



Marine-Feldlazarette.
(Von Marine-Oberstabsarzt Dr. Mann.)

Anfang September 1914 wurden in der Heimat 4 Marinefeldlazarette und 1 Marinesanitätskompagnie für die Marinedivision in Flandern aufgestellt. Die gesamte Sanitätsausrüstung war auf Lastkraftwagen verladen. Die Sanitätskompagnie war für den Verwundetentransport mit Krankenkraftwagen ausgerüstet. Bei Massenzugängen an Großkampftagen wurden von den Feldlazaretten zur schnellen Entleerung auch die Lastkraftwagen zum Abtransport von Leichtverwundeten verwandt. Diese Transportart machte es möglich, daß bei den Rückzugsgefechten 1918 trotz des häufigen und oft schnell notwendigen Wechsels des Standortes alle Verwundeten und Kranken rasch und oft weit zurücktransportiert werden konnten, so daß kein einziger in Feindeshand fiel.

Die Sanitätsformationen trafen bei der Marinedivision unmittelbar vor dem Beginn der Belagerung von Antwerpen ein. Die meist geräumigen Klosterschulen und zahlreichen Landhäuser in Belgien boten beste Möglichkeit für die Unterbringung von Verwundeten. Der Umstand, daß bei der Aufstellung der Sanitätsformationen Leute aus allen bürgerlichen Berufszweigen ausgewählt werden konnten, und die bekannte Anpassungsfähigkeit und Anstelligkeit des Seemanns in allen Lebenslagen ermöglichten es, das Personal im Dienst des Feldlazaretts in kurzer Zeit gut auszubilden. Mit Lust und Liebe versahen die Leute ihren Dienst; im weiteren Verlauf des Krieges erhielten sie eine vorzügliche Schulung; sie haben bis zum Ende unverdrossen auf ihren oft mehr als arbeitsreichen Posten ausgehalten.

Nach dem Fall von Antwerpen ging ein Teil der Feldlazarette mit der Division weiter zur Yserfront. Ein Feldlazarett blieb mehrere Wochen in Antwerpen, wo ein Festungslazarett und in der Stadt selbst mehrere tausend verwundete und kranke Belgier zurückgelassen waren und versorgt werden mußten. Das zurückgebliebene belgische Sanitätspersonal wurde im Krankendienst mitverwandt. Die Leute waren willig, arbeiteten zufrieden- [459] stellend und fühlten sich, in den Dienstbetrieb des Feldlazaretts eingegliedert, wohl.21

Mit dem Einsetzen des Stellungskrieges konnten die Feldlazarette, inzwischen auf fünf erhöht, sich weiter ausbauen. Bei der großen Selbständigkeit, die den Chefärzten von der leitenden Sanitätsdienststelle des nunmehr geschaffenen Marinekorps gelassen wurde, konnten diese aus dem primitiv und behelfsmäßig eingerichteten Feldlazaretten Krankenanstalten schaffen, die allen Anforderungen des Verwundeten- und Krankendienstes gewachsen waren. Als Beratender Chirurg stand den Chirurgen der Feldlazarette einer der ersten Chirurgen Deutschlands zur Seite mit seinen Erfahrungen aus drei früheren Kriegen. Im Sommer 1915 erkannte der Korpsarzt des Marinekorps die Notwendigkeit eines Lazaretts auch für innere Kranke unmittelbar hinter der Front. Die Zweckmäßigkeit dieser Maßnahme zeigte sich besonders, als es später als Sonderlazarett für Gaskranke, Seuchen- und Nierenkranke in verschiedenen Zeitabschnitten in Tätigkeit trat. Hierfür stand dann ein besonders gut geschultes Personal zur Verfügung.

Die Verpflegung durch die Proviantämter war stets auf der Höhe; allen Sonderanforderungen konnte genügt werden, eine wesentliche Unterstützung z. B. bei der Versorgung von Ruhr- und Typhuskranken. Neben der Tätigkeit im Feldlazarett selbst fanden dessen Sanitätsoffiziere reichlich Betätigung unter der belgischen Zivilbevölkerung, deren Vertrauen sie in hohem Maße besaßen und die sie häufig einheimischen Ärzten vorzog.

Bei Beginn des Rückmarsches traten die Feldlazarette wieder zu den eingesetzten Divisionen und überwanden die dabei auftretenden erheblichen Schwierigkeiten während der Rückzugsgefechte leicht. - Von dem Zusammenbruch wurde das Personal der Feldlazarette nur wenig berührt; es verdient anerkannt zu werden, daß es sich in seiner Disziplin und Dienstauffassung nicht erschüttern ließ, so daß die Formationen ohne Störung zum Rhein zurückgeführt werden und nach Abgabe ihrer Ausrüstung an Heimatlazarette ordnungsgemäß aufgelöst werden konnten.


In Tsingtau.
(Von Marine-Generaloberarzt Dr. H. Huß.)

Der kleine engbegrenzte Kriegsschauplatz von Tsingtau gibt, wie den Kampfhandlungen, so auch dem Sanitätswesen ein besonderes Gepräge. Hier war die reiche Gliederung der Heimat nicht möglich und auch nicht nötig. Mit der Mobil- [460] machung war Tsingtau isoliert; wenige anfangs bestehende Verbindungen nach außen hörten bald ganz auf. Es galt auszukommen mit dem, was da war. Der leitende Gedanke war, möglichst lange durchzuhalten. Ohne eine Wendung durch Ereignisse in der Heimat war der schließliche Ausgang vorauszusehen, aber der Wille, dem Vaterland auch auf verlorenem Posten sein Bestes zu geben, ging durch die ganze Kolonie. So kam es, daß die Ärzte des Lazaretts und der Truppenteile sich in der gänzlich ungewohnten Lage sahen, ernstlich Erkrankte gegen deren Willen zurückhalten zu müssen - noch nie hatte das Lazarett so wenig Kranke wie im August 1914.

Solange noch Verbindungsmöglichkeiten waren, kam Zuzug aus allen Teilen Ostasiens. Auch das Sanitätswesen erhielt auf diese Weise wertvollen Zuwachs an Ärzten, Apothekern und Mannschaften. War vorher schon die Kolonie durch Sanitätsoffiziere, zum großen Teil mit fachärztlicher Ausbildung, ärztlich so gut versorgt, daß von ganz Ostasien Europäer zur Behandlung dorthin kamen, so traten nun noch die Ärzte der medizinischen Schule in Schanghai und aus anderen Orten Ostasiens und die Schiffsärzte festliegender Schiffe hinzu. Dadurch konnten nicht nur die Begleitschiffe des Kreuzergeschwaders ausreichend versorgt werden; es blieben auch reichlich Kräfte, darunter vier Chirurgen, für die Festung übrig. Weniger gut stand es mit den Mannschaften. Das aktive Personal wurde zum großen Teil an die Frontformationen abgegeben; alle einigermaßen dienstfähigen Kommandierten (Köche, Ordonnanzen) kamen zu ihren Truppenteilen zurück. Die übrigbleibenden Aktiven hätten mitsamt den Reservisten bei weitem nicht ausgereicht, den Betrieb in den Lazaretten aufrechtzuerhalten, um so weniger, als von den zahlreich beschäftigten chinesischen Hilfskräften einer nach dem anderen es vorzog, den für sie immer ungemütlicher werdenden Platz zu verlassen. Da sprangen die Frauen in die Bresche. Mit den Schwestern des Lazaretts und des Faber-Krankenhauses waren es fast hundert weibliche Hilfskräfte, die auf diese Weise dem Vaterland ihre Dienste widmeten, obwohl jeder Frau Gelegenheit gegeben war, noch rechtzeitig auf neutrales Gebiet zu kommen. Nur wer den europäischen Haushalt in Ostasien mit den zahlreichen chinesischen Dienstboten kennt, wird richtig verstehen, was es heißt, anstatt über dem Ganzen zu schweben und sich bedienen zu lassen, plötzlich nicht etwa nur Verwundete und Kranke zu pflegen, sondern auch den Besen in die Hand zu nehmen und alle Arbeiten in Küche und Haus selbst zu verrichten. Da die meisten Haushalte wegen Einberufung des Mannes oder auch wegen Davonlaufens der chinesischen Dienstboten aufgelöst wurden, mußten die Helferinnen fast ausnahmslos im Lazarett untergebracht werden, auch eine harte Probe für die an Selbständigkeit gewöhnte Frau Ostasiens. Dazu mußte sie, soweit sie Mutter war, sich noch von ihren Kindern trennen, für die ein Kinderheim eingerichtet wurde. Aber alle hielten tapfer aus, zum Teil auf schwerem Posten.

[461] An Lazaretten bestand vom Frieden her das neuzeitlich eingerichtete Gouvernementslazarett, jetzt Festungslazarett, im Pavillonsystem gebaut, auch für die Aufnahme von Zivilpersonen und Frauen angelegt. Dazu kam als Hilfslazarett zunächst das "Hotel Prinz Heinrich" und das Seemannshaus. Für die Zivilbevölkerung diente anfangs noch das Faber-Krankenhaus; für die Insassen des Frauenpavillons im Lazarett wurde in der katholischen Mission eine Abteilung eingerichtet und der Pavillon zur Unterbringung der Helferinnen verwendet. Bei der ungeschützten Lage des Hauptlazaretts wurden aber für den Räumungsfall sofort weitere geeignete Gebäude vorgesehen. Vorräte an Verbandstoffen und Arzneimitteln waren in genügenden Mengen vorhanden, wo Mangel eintrat, wie an Betten, half die Bevölkerung bereitwilligst aus.

Mit der Einrichtung der Hilfslazarette, der Ausrüstung der Sanitätsformationen für Land- und Seefront, verging in angestrengter Tätigkeit die Zeit bis zum Ablauf des japanischen Ultimatums. Jedermann erwartete an diesem Tag irgendein kriegerisches Ereignis. Aber es erfolgte zunächst nichts. Das gab Zeit zur Vervollständigung der Vorbereitungen. Die für den Krankentransport vorgesehenen Wagen hatten sich als zu schwer erwiesen für das hügelige Gelände und die nun schon seit Wochen abgetriebenen Zugtiere; deshalb wurden auf Vorschlag des Fuhrparkkommandanten die zahlreich vorhandenen Kutschierwagen für die Aufnahme von Krankentragen umgebaut und haben sich nachher glänzend bewährt. Es standen außerdem zum Transport vier Autos zur Verfügung, und ein besonders wertvolles Transportmittel wurde in den Droschken Ostasiens, den Rikschas, gefunden.

Die Kampfe im Vorgelände begannen und mit ihnen kamen die ersten Toten und Verwundeten. Die anfangs fast leerstehenden Lazarette füllten sich nicht nur mit Verwundeten, sondern auch besonders mit innerlich Kranken. In Anbetracht der Jahreszeit (Regenzeit mit großer Hitze) und der Arbeitsleistung der Besatzung bei den ungünstigen Unterbringungsverhältnissen in den überfüllten Befestigungswerken - ohne Rasttage hinter der Front - blieb der Gesundheitszustand gut. Die einheimischen Infektionskrankheiten (Malaria, Ruhr, Typhus) waren kaum häufiger als in vorhergehenden Friedensjahren. Die Vorkehrungen zur Isolierung, die genaue bakteriologische Überwachung und die sorgsame Pflege ließen es nicht zur Ausbreitung einer Seuche kommen.

Der Angreifer rückte näher; Ende September war die Einschließung vollendet. Das neue Wasserwerk Litsun lag außerhalb der eigenen Linien und war gesprengt; ein kleines altes Werk in der Verteidigungslinie lieferte nur spärliche Mengen, und da auch seine Tage gezählt sein konnten, so wurden die alten, längst verdeckten Brunnen aus der Anfangszeit der Kolonie wieder in Gang gesetzt. Sie waren als Seuchenherde seinerzeit aufgegeben; aber Tsingtau war inzwischen eine gesunde Stadt geworden; so hatten die Brunnen ihre Gefährlichkeit verloren. Die erste Beschießung der Landfront erfolgte von See. Die feindlichen [462] Schiffe lagen dabei hinter der Insel Maitau. Diese Schußrichtung hatte bei der Anlage des Lazaretts wegen der damals geringeren Tragweite der Geschütze niemand voraussehen können. Jetzt machte sie das Hauptlazarett zum Kugelfang für Weitschüsse. So kamen denn auch gleich das erstemal drei Treffer herein, und es fragte sich nun, ob man das besteingerichtete Lazarett aufgeben oder die Kranken und Verwundeten weiteren Beschießungen aussetzen sollte. Die Verantwortung für Beibehaltung konnte niemand übernehmen, und die Folgezeit hat recht gegeben: nicht ein Gebäude des Lazarettgeländes blieb späterhin verschont, und einzelne Pavillons waren am Schluß schlimm zerschossen. Es wurden nun die Hilfslazarette Hochschule und Hoeft eingerichtet, das Faber-Krankenhaus, das wegen starker Verminderung der Zivilbevölkerung durch weitere Einberufung fast leer stand, in Betrieb genommen und das Eingeborenenkrankenhaus Tapautau frei gemacht. Das Hauptlazarett war seit der Einschließung immer mehr zum Mittelpunkt des Sanitätswesens geworden. Von hier aus wurde der Verwundetentransport teils über die beiden Verwundetensammelstellen, teils direkt von der Front geleitet, die Versorgung der Front mit Arzneien und Verbandmitteln bewerkstelligt. Deshalb blieben Verwaltung, Apotheke und Autostelle noch längere Zeit in dem geräumten Gelände, bis ein ungestörter Betrieb auch nach Verlegung gewährleistet war. Auch die anderen Lazarette bekamen Treffer ab, doch nicht in dem Maße wie das Hauptlazarett. In der neuen Anordnung gingen Lazarettbetrieb und Verwundetentransport ungestört vonstatten.

Die Anforderungen an das Personal wurden zwar durch die jetzt ungünstigeren Verhältnisse wohl größer, aber die Verwundeten und Kranken kamen vollauf zu ihrem Recht. Arzneien und Verbandmittel hätten noch viele Monate ausgereicht, auch an Lebensmitteln war, abgesehen von Kartoffeln, kein Mangel. Besonders gut waren die Lazarette mit Milch versorgt, nicht nur durch die bis zuletzt betriebene Molkerei, sondern auch durch die zahlreichen Saanenziegen, die von abziehenden Familien zurückgelassen und nun im Lazarett zu einer Herde vereinigt wurden. In diesen Tagen zeigte sich, was für ein verhältnismäßig bedeutender Handelsplatz Tsingtau schon geworden war. Gegenstände, die unvorhergesehen gebraucht wurden, fanden sich fast immer in irgendeinem Schuppen einer Firma. So mußte z. B. in den neuen Lazaretten für Notbeleuchtung gesorgt werden; die vorhandenen Bestände reichten nicht aus, aber in kurzer Zeit war eine große Kiste schönster Petroleumlaternen beschafft.

Die Beschießung wurde immer heftiger und anhaltender, die eigenen Geschütze immer schweigsamer, der Tag der Einnahme kam heran. In der Nacht vom 6. zum 7. November entschied sich das Schicksal Tsingtaus. Verklammt durch die Kälte der Nacht, erschöpft und in wilder Wut gegen den Feind kamen die Verwundeten immer zahlreicher. Mit Tagesanbruch erschien der erste Trupp Japaner auf der Terrasse des Hotels. Bald kamen auch die ersten feindlichen Verwundeten. - Tsingtau war nicht mehr deutsch.

[463] Bis Sanitätsoffiziere und Mannschaften auf neutrales Gebiet entlassen wurden, vergingen noch drei Wochen, ausgefüllt mit Umräumungsarbeiten, Kommissionssitzungen und Aufstellung von Listen. Wenn im alten Europa viel geschrieben wird, und in Deutschland besonders - mit der Tinte, die in drei Wochen im Auftrag der Japaner verschrieben wurde, hätte deutsche Schreibseligkeit ein halbes Jahr schwelgen können. Ihre eigenen Verwundeten schafften die Japaner mit erstaunlicher Hast nach Hause, die Sorge um die deutschen überließen sie den deutschen Ärzten bis zum letzten Tag. Das Verhalten der Feinde war korrekt. Vor der Entlassung auf neutrales Gebiet mußten sämtliche Sanitätsoffiziere und Mannschaften "aus militärischen Gründen" noch einige Tage in dem Chinesendorf Taitungscheng verbringen und wurden dann mit der Schantungbahn nach Tsinanfu auf neutrales chinesisches Gebiet entlassen.

Das nun formierte Sanitätsdetachement wurde im sog. deutschen Lager Tientsin und zum Teil im deutschen Lazarett in Peking untergebracht. Die freundliche Aufnahme durch die dortigen Deutschen, die jeder einzelne in dankbarer Erinnerung behalten wird, mußte dafür entschädigen, daß vier Monate der Untätigkeit vergingen, bis endlich die Heimreise über Amerika möglich war.

Ende Mai 1915 fuhr der erste Transport von Schanghai ab. Es ging mit amerikanischem Dampfer über Japan nach San Franzisko, von da mit der Santa Fé-Linie durch die Vereinigten Staaten, deren deutschfeindliche Stimmung gerade damals durch die Versenkung der Lusitania neue Nahrung erhalten hatte. Von New York bis Kopenhagen wurde ein dänischer Dampfer benutzt. Er wurde in englischen Gewässern angehalten und mußte Kirkwall anlaufen, wo trotz englischen Geleitpasses sechs Angehörige des Sanitätstransportes als Gefangene heruntergeholt wurden. Mitte Juli war Deutschland erreicht.


In Ostafrika.
(Von Marine-Stabsarzt Dr. Eyerich.)

Der Kreuzer "Königsberg" hatte nach Erschöpfung seiner Kohlenvorräte den Kreuzerkrieg im Indischen Ozean aufgeben müssen und war im September 1914 in den Rufijifluß (Deutsch-Ostafrika) eingelaufen. Dieses sumpfig-heiße, größtenteils mit Mangrovewäldern bewachsene Flußdelta blieb, von dem kurzen Auslaufen nach Sansibar (Vernichtung des englischen Kreuzers "Pegasus") abgesehen, zunächst sein Versteck und später durch die Unmöglichkeit, Brennstoffe zu schaffen, sein Aufenthaltsort bis zur Vernichtung am 11. Juli 1915 durch das übermächtige englische Blockadegeschwader. So wurde die Schiffsbesatzung einer der wenigen Teile der Marine, die in rein tropischen Gegenden den Weltkrieg mitmachten. Von nun an war die Hauptaufgabe des Sanitätsdienstes, den Gefahren des tropischen Klimas entgegenzuarbeiten und, als Grundbedingung für alles übrige, die Leistungsfähigkeit der Besatzung in [464] physischer und psychischer Hinsicht auf der Höhe zu halten. Allerdings hatte die in der Marine übliche besondere Auswahl für den Dienst auf Auslandsschiffen (Tropendienstfähigkeit) ein besonders gesundes und gutes Menschenmaterial geliefert. Den mit dem Klima allgemein verbundenen Gefahren, Einflüssen und Unannehmlichkeiten kann man erfahrungsgemäß in Friedenszeiten durch Maßnahmen allgemein oder speziell hygienischer Art (Sonnensegel, Liegen auf Reede oder quer zum Wind, Landurlaub, Erholungsreisen des Schiffes in kühlere Gegenden, Chininprophylaxe, Schutzimpfungen u. a.) begegnen; die besonderen Verhältnisse des Krieges, das Beschränktsein auf das Vorhandene, der unvorhergesehene Fall des monatelangen Liegens in einem tropischen Fluß machten derartige Maßnahmen sehr schwierig, zum Teil unmöglich, und zwangen dazu, auf andere Weise Mittel und Wege zu finden. Vielfach änderten sich die Verhältnisse bei der späteren Verwendung im Kriege an Land von Grund aus.

Das am ersten und fortdauernd einwirkende Moment war die große Hitze. Es leuchtet ohne weiteres ein, daß ein modernes Kriegsschiff, ein aus Stahl und Eisen bestehender Bau als Wohn- und Aufenthaltsort in den Tropen infolge der raschen und durchdringenden Erwärmung durch die Sonnenstrahlen sehr ungünstig wirkt, so daß das Wohnen an Land gesundheitlich bedeutend vorzuziehen ist. Verstärkt wurde diese nicht zu bekämpfende Hitze durch das Fehlen der Sonnensegel und - infolge des Liegens nahe an dem tiefeingeschnittenen und bewaldeten Ufer - von nennenswerter Brise. Die brutofenähnliche Wärme in den Schiffsräumen - wurden doch in den günstiger gelegenen Kammern dauernd Temperaturen von 32 bis 42° gemessen - machte sich besonders bei der Krankenbehandlung sehr störend bemerkbar. Schon gegen Ende 1914 stellte sich die Malaria als ungebetener Gast ein. Moskitosicherung des Schiffes - mit vieler Mühe hergestellt - und gewissenhafte Chininschutzbehandlung hatten ihren Ausbruch bei der massenhaften Infektionsgelegenheit wohl hinauszuschieben, aber nicht zu verhindern vermocht. Zur möglichsten Ausnutzung der nach dem Sinken der Sonne in geringem Maße einsetzenden Abkühlung mußte sich die Besatzung abends an Deck aufhalten, wurde aber gerade hierbei das Opfer der von den nahen Ufern herüberschwärmenden blutgierigen Stechmücken. So lag bald fast ständig ein Viertel der etwa 370 Mann zählenden Besatzung am Fieber danieder. Diesen Massenerkrankungen am Wechselfieber gegenüber traten die auch damals schon vorkommenden Fälle von Rückfallfieber, Typhus, Ruhr u. a. zurück. Da das schon durch die Schwerkranken überbelegte Schiffslazarett nicht ausreichte, mußten alle möglichen Räume mit dazugenommen und die Kranken auf Matratzen oder in Hängematten untergebracht werden. Die Behinderung des Schiffsbetriebes, verbunden mit der Schwierigkeit der Ausschiffung bei einem Gefecht, die Belästigung der Kranken durch den unvermeidlichen Lärm an Bord, die rasche Zunahme der Malariaepidemie und ähnliche Erwägungen gaben bald die Veranlassung, nach einer [465] Krankenunterbringung an Land Ausschau zu halten. Wegen der weiten Entfernung - fünf Tagereisen - kamen bestehende Lazarette in Europäeransiedlungen nicht in Frage. Am geeignetsten erschien eine

Deutscher Lazarettzug in einem Palmenwäldchen bei Daressalam. 1915.
Deutscher Lazarettzug in einem Palmenwäldchen
bei Daressalam. 1915.      [Vergrößern]

Aus: Der Weltkrieg in seiner
rauhen Wirklichkeit
, S. 538.
infolge des Krieges nicht bewirtschaftete deutsche Pflanzung Neustieten, die stromaufwärts an einem Nebenfluß des Rufiji gelegen und in sechs Stunden zu Land und in vier Stunden auf dem Wasserweg zu erreichen war. Letzteres war namentlich für den Verwundetentransport, da ein kleiner Heckdampfer zur Verfügung stand, sehr wertvoll. Das Rote Kreuz in Daressalam lieferte einen großen Teil der Einrichtung. Zum kleineren Teil wurde auch von der "Königsberg" durch Hingabe der ärztlichen Landungsausrüstung und von einem Eingeborenenhospital ausgeholfen. Gute Organisation des Trägerwesens ermöglichte, daß die Karawanen in raschem Hin und Her aus dem fünf Tagereisen entfernten Daressalam Betten, Wäsche, Verpflegung usw. heranschleppten, während gleichzeitig an Ort und Stelle die Pflanzungsgebäude und Schuppen, einstweilen nur notdürftig, hergerichtet wurden, die Umgebung nach Möglichkeit saniert wurde. Als das Personal (1 Arzt, 2 Schwestern, 1 Wirtschafterin und 1 Unteroffizier) eingetroffen waren, konnte das Feldlazarett Anfang Januar trotz der inzwischen einsetzenden Regenzeit mit einer Belegungsstärke von 55 Betten in Betrieb genommen werden. In der Folgezeit wurde weiter an der Verbesserung gearbeitet, schwarzes Hilfspersonal angeworben und ausgebildet, ein Brunnen und Badebassin eingerichtet, ein Backofen erbaut. Wohnhäuser für das Sanitätspersonal aus Mangrovestämmen und Palmenblättern nach Eingeborenenart wurden errichtet, Spazierwege in der üppigen Vegetation des Flußufers angelegt, Eilträgerdienst zum Herbeibringen von Milch eingerichtet, kurz: es wurde das möglichste geleistet, in der Nähe des Schiffes lazarettmäßige Behandlung zu gewährleisten. Bis Ende 1915 waren die Verwundeten von den Gefechten soweit wiederhergestellt, daß sie nach Daressalam transportiert werden konnten. Auch alles Material wurde dorthin zur weiteren Verwendung gebracht, zurück blieb dort nur ein kleiner Friedhof: zwei an Krankheiten, vier an Verwundung Gestorbene und 21 Gefallene von der "Königsberg" ruhen dort in einem kleinen Wäldchen von Gummibäumen.

An Bord brachte die vielfache Arbeit beim Verholen des Schiffes im Flusse, die Gefechtsbereitschaft usw. Abwechselung in das schlaff machende eintönige Leben, wie es infolge der Kampflage geführt werden mußte. Soweit möglich, sorgten Turnübungen und sportliche Betätigung an Bord und an Land, Marsch- und Gefechtsübungen für die nötige Bewegung und hielten die Leistungsfähigkeit für den späteren Dienst an Land aufrecht. Durch große Sorgfalt in Reinhaltung des Schiffes und Kontrolle der an Bord gebrachten Nahrungsmittel usw. gelang es, weitere Seuchen vom Schiff fernzuhalten und durch entsprechende Vorsichtsmaßregeln zu erreichen, daß einzelne Fälle von Ruhr, Rückfallfieber und ähnlichen Erkrankungen sich nicht ausbreiteten. Es war für diese [466] günstigen Ergebnisse von ausschlaggebender Bedeutung, daß infolge der Bordverhältnisse die Nahrungs- und Trinkwasserversorgung genau beaufsichtigt werden konnte.

Die Besatzung der "Königsberg" blieb nach Vernichtung des Schiffes zunächst als Europäerabteilung zusammen und wurde im Juli 1916 im Innern eingesetzt. Die Anforderungen, die bei einer marschierenden Europäertruppe an den Sanitätsdienst gestellt werden, sind an sich schon groß; die technischen Hilfsmittel der "Königsberg"-Besatzung konnten schon damals nur noch gering sein. Die meisten Schwierigkeiten machte die unausbleibliche Notwendigkeit, mit den marschunfähigen Kranken der Truppe zu folgen. Als Transportmittel konnten wegen des leichten Gewichtes und besserer Beweglichkeit im Busch nur Schiffshängematten in Betracht kommen, für die je vier schwarze Träger zur Verfügung standen. Da häufig während der Märsche neue Ausfälle kamen, waren es oft genug nur zwei Träger, so daß Arzt, Sanitätspersonal und Kranke meist erst einige Stunden nach der Truppe ins Lager kamen. Die Verhältnisse wurden mit der Zeit immer schwieriger; trotz aller Sparsamkeit schrumpften auch die Bestände an Arznei- und Verbandmitteln zusammen; immer mehr Ersatzstoffe aus dem Lande selbst mußten verwandt werden; die Leistungsfähigkeit der Weißen und Schwarzen sank naturgemäß trotz aller Energie; die Krankenzahl stieg.

Die Mühen und Schwierigkeiten, die dem Sanitätsdienste zufielen, lassen sich am besten erkennen durch einen Hinweis, wie es schon 1917 bei einzeln operierenden Truppen (Abteilung und Kompagnie) in dieser Beziehung aussah. Den größten Teil des Europäerbestandes bildeten Marinemannschaften. Die fast täglichen Rückzugsgefechte brachten viele Verwundete, die erheblichen Anstrengungen, schlechte Ernährung, Bekleidung und Unterbringung viele Kranke. Obwohl die Unterernährung zeitweise sehr groß war und sicherlich unter den Trägern und in noch größerem Maße unter der schwarzen Zivilbevölkerung zahlreiche Todesfälle verursachte, wurde Skorbut nicht beobachtet. Vielleicht ist mit ein Grund, daß die Neger bei der geringen Kost sich im Busch noch allerlei Zukost (Blätter, Pilze, Wurzeln usw.) suchten. An ein Zurücklassen der Kranken in der Wildnis war nicht zu denken, zudem brauchten die schon stark zusammengeschmolzenen Kompagnien unbedingt diese Leute wieder; sie mußten daher bis zur Wiederherstellung mitgeführt werden. So ergab sich ein fast ständiges Verlegen der Kranken- und Verwundetensammelstelle mit ihrem ganzen Bestand. Es war natürlich schon lange nicht mehr möglich, Kranke so transportieren zu lassen, wie es ärztlich notwendig gewesen wäre; die geringe Anzahl der Träger, bedingt durch die Unmöglichkeit, solche in den dünn besiedelten Gebieten aufzutreiben, und durch das Fehlen von Verpflegung für sie, konnte nur für Schwerkranke und Verwundete in Betracht kommen. So mußten, was natürlich deren Leistungsfähigkeit rasch abnutzte, dieselben Träger [467] oft in Etappen den Weg mehrmals zurücklegen, und es mußte die Nacht benutzt werden, um in Verbindung mit der Truppe zu bleiben; denn bei dem langsamen Zug wurde zur Zurücklegung einer Strecke ein Vielfaches der Zeit unter normalen Verhältnissen benötigt. Oft genug mußten infolge Weglaufens der Träger auch die Sanitätslasten noch um alles irgendwie Entbehrliche verringert werden; aber es gelang doch trotz aller Widrigkeiten, trotz glühender Hitze oder in der Regenzeit auf den durchweichten Pfaden, über hohe Berge und überschwemmte Niederungen, über brausende Flüsse, die erst durch Fällen von Bäumen überbrückt werden mußten, mit den zahlreichen Kranken und dem ganzen Troß vorwärts zu kommen.

Es dürfte verständlich sein, daß unter solchen Umständen eine geregelte Krankenbehandlung ebenfalls äußerst schwierig war und an die Leistungsfähigkeit des Sanitätspersonals, das natürlich selbst auch nicht von Krankheiten verschont blieb, die höchsten Anforderungen stellte. Verbandwechsel, Chinininjektionen usw. mußten während des Marsches oder des Abends beim Schein der selbstgefertigten Wachskerze vorgenommen werden. Eine umfassendere Behandlung der Neger ließ sich bei dem Medikamentenmangel nicht mehr durchführen, doch konnten diese, wenn es gar nicht anders ging, gelegentlich in Eingeborenendörfern zurückgelassen werden.

Drückte der Feind nicht nach, so trat in mancher Hinsicht eine geringe Erholungsmöglichkeit ein. Durfte man annehmen - was sich nur leider sehr oft als trügerisch erwies - einige Tage an einer Stelle bleiben zu können, so geschah alles, um diese kurze Zeit auszunutzen. Rasch erhoben sich unter den geschickten Händen der Schwarzen zum Schutz vor Sonne und feindlichen Fliegern unter schattigen Bäumen wohnliche Häuschen. In 3 - 4 Stunden war ein regensicheres Unterkommen gebaut, das die kleinen zermürbten Zeltbahnen längst nicht mehr gewähren konnten. Dauerte der Aufenthalt länger, so fanden sich schon in den nächsten Tagen in den "Krankenhäusern" - meist hatten die Europäer allein oder zu zweien ein solches - im Boden festgerammt Tischchen und Stuhl; und grasgepolsterte, sogar federnde Lagerstellen aus Bambus, und große Schuppen, die 20 - 30 Askaris und Träger aufnehmen konnten, entstanden. Daneben mußte aber auch Verpflegung geholt, die durchnäßten Sachen, Verbandmittel usw. getrocknet, Arzneien zubereitet, aus der monatelang sorgsam mitgeführten Chinarinde und sonstigen an Ort und Stelle gefundenen tanninhaltigen Rinden und Wurzeln Abkochungen hergestellt werden, um Fieber und Ruhr bei den Schwarzen bekämpfen zu können. Aus besonderen Grasarten wurde durch Auslaugen ihrer Asche und Eindampfen eine Art Salz hergestellt, Arm- und Beinschienen aus Bambus mußten ersetzt und auf Vorrat gemacht werden und sonst das Material geprüft und ergänzt werden. Die meisten aus Stricken und Segeltuch hergestellten Hängematten lösten sich, durch Sonne, Regen und Gebrauch zermürbt, auf; so mußten aus geeigneten Rinden neue geflochten werden, [468] die gleiche Rinde mußte auch geklopft, gekocht und zerzupft als Binden und Mull verwandt werden; kurz, die Energie des Sanitätspersonals durfte nicht erlahmen. Konnte dann aber noch stundenweit abends Verpflegung herangeschleppt werden, brachte ein Europäer oder Askari die Nachricht, daß er Wild geschossen habe, oder legte eines der mitgeführten Hühner ein Ei, so war dies bei den bescheidenen Verhältnissen, an die man sich schon gewöhnt hatte, ein Festtag, auch für die Schwarzen, die oft genug mit einer Handvoll Reis ihre tägliche Nahrung bestreiten und dabei die anstrengende Arbeit leisten mußten. Das waren die Zeiten, in denen auch die rein ärztliche Tätigkeit des Sanitätsoffiziers im Vordergrund stand und eine gewisse Krankenpflege und Diätbehandlung einsetzen konnte. Dann spielte sich auch der ganze Sanitätsdienst, mit Krankenbesuch, Medikamentenverausgabung, Verbandwechsel und Untersuchung der Blut- und Stuhlpräparate bis zur Führung der Fiebertafeln und ähnlichem ordnungsmäßig ab. Die einzelnen Fälle von Ruhr, Schwarzwasserfieber, Malaria, Typhus, Wurmkrankheit und andere konnten sachgemäß behandelt und der Truppe wiederhergestellte Leute, Weiße und Schwarze, zugeführt werden.

So wurde bei der grundsätzlichen Verschiedenheit des afrikanischen Kriegsschauplatzes weniger in großzügig technisch-organisatorischer Hinsicht und mit neuzeitlichen Hilfsmitteln, als besonders auf dem Gebiete praktischer Leistung durch Aufwendung von viel Geduld, Erfindungsgabe und Energie und Einsetzung der ganzen Persönlichkeit bei der vielen notwendigen Kleinarbeit viel Anerkennenswertes geleistet. General v. Lettows Aushalten bis zum Kriegsende fand in der Mitarbeit des Sanitätspersonals eine kraftvolle Hilfe.


Auf türkischen und bulgarischen Kriegsschauplätzen.
(Von Marine-Generaloberarzt Dr. Bentmann.)

Das türkische Kriegstheater umspannt vier Kriegsschauplätze: 1. die Sinai-Halbinsel und Palästina, 2. das Schwarze Meer und die Dardanellen, 3. Kleinasien, vornehmlich Kaukasus und armenisches Hochland, 4. Mesopotamien.

Auf allen haben deutsche Marineärzte bei der Erfüllung ärztlicher oder hygienischer Aufgaben sich bestrebt, trotz der oft nahezu unüberwindlichen Schwierigkeiten, welche Klima und Milieu bedingten, Höchstes zu leisten.

Nirgends lagen die Schwierigkeiten der Kriegführung und des Gesundheitsdienstes offener zutage als an der Sinaifront im Winterhalbjahr 1914/15. Der Weg zum Suezkanal führte durch die Wüste El-Tih. Aber mehr als die Schwierigkeit des Wüstenmarsches war die Gefahr der Ausbreitung der in Südpalästina herrschenden Seuchen zu fürchten. Da stellte im Januar 1915 der Leiter einer aus drei Marineärzten bestehenden deutschen Marinehygienikerexpedition als Beratender Hygieniker der 4. türkischen Armee fest, daß es sich [469] bei den unter den Truppen verbreiteten Seuchen in erster Linie um Rückfall- und Fleckfieber handelte. Mit dieser Erkenntnis war der Schlüssel für die Seuchenbekämpfung im Bereiche der 4. Armee gegeben: die Entseuchung aller Truppenteile, Lazarette, Gefängnisse und Verkehrsmittel durch Errichtung von Bade- und Entlausungseinrichtungen war die primäre Aufgabe. Alle übrigen Seuchen waren von sekundärer Bedeutung. Die Ruhr wird durch strenge Überwachung und Verbesserung aller Wasserversorgungsanlagen, Anlage von Latrinen für alle Truppenlager, Typhus und Cholera durch Schutzimpfung aller Truppen bekämpft, die allgemeine Widerstandskraft der Truppen durch Verbesserung der Bekleidung und Verpflegung gehoben. Die beispiellose Energie, mit welcher der Beratende Hygieniker, unterstützt von dem einsichtigen Armeeführer, Djemal Pascha, sein Programm durchführte, und die vorbildliche Organisation des Gesundheitsdienstes - Errichtung einer Zentrale für Seuchenbekämpfung und mehrerer Untersuchungsstellen und Seuchenlazarette - brachten den Erfolg. Es gelang, die Seuchen im Bereich der 4. Armee so niederzuhalten, daß die Leistungsfähigkeit der Truppen an keiner Stelle gefährdet wurde.

Die Mehrzahl der auf den türkischen Kriegsschauplätzen eingesetzten Marineärzte betätigte sich auf dem Kriegsschauplatz der europäischen Türkei. Im Schwarzen Meer kämpfte die türkische Flotte gegen die an Schiffen wie an Bestückung überlegene russische. Bei den stets erfolgreichen Unternehmungen des deutschen Führers der türkischen Flotte bewährten sich die an Bord der führenden Kreuzer "Sultan Javus Selim" und "Midilli" - ehemals "Göben" und "Breslau" - kommandierten Marineärzte wiederholt im Gefechtssanitätsdienst hervorragend. Auch auf U-Booten und Torpedobooten sind Marineärzte tätig gewesen. Verluste sind dem Marinesanitätskorps bei den Kämpfen zur See nicht erspart geblieben: Am 20. Januar 1918 geriet "Midilli", die tatenfrohe "Breslau", bei einer Unternehmung gegen die Insel Imbros auf Minen und sank, mit ihr der größte Teil der tapferen Besatzung, darunter der Schiffsarzt, der Hilfsarzt und das gesamte Sanitätspersonal.

An Land, auf Gallipoli, waren Marineärzte als Chefärzte oder Chirurgen in Feldlazaretten, andere als Truppenärzte bei vereinzelten Marineformationen in vorderster Linie tätig.

Im April 1915 wurde die Stelle des ältesten Sanitätsoffiziers der Marine in der Türkei geschaffen. Der Beratende Hygieniker der Mittelmeerdivision übernahm als solcher die Leitung des Marinesanitätswesens in der Türkei. Um dieselbe Zeit trafen an einem Tage 17 000 Verwundete in Konstantinopel ein. Die vorhandenen Kriegslazarette sind vorbereitet, aber es mangelt an Chirurgen. In der ersten Not springt der älteste Sanitätsoffizier der Marine mit einigen eben verfügbaren Marineärzten in die Bresche. Am 23. Mai 1915 traf auf seine Anforderung hin eine Marinemission von 4 Chirurgen mit Ausrüstung und Sanitätspersonal ein und übernahm die Leitung chirurgischer [470] Abteilungen in den Kriegslazaretten Harbié, Tasch Kyschla und Russisches Hospital. Reiche Arbeit harrte der Chirurgen, aber durch eine 16 - 18stündige Arbeit am Operationstisch wurde sie bewältigt. Treue Helferinnen erwuchsen den deutschen Ärzten durch zahlreiche Damen der deutschen und österreichischen Kolonie, sowie der vornehmsten türkischen Kreise. Erst im September 1916 fand die segensreiche Tätigkeit dieser Marinemission ihren Abschluß.

Der weitere Ausbau der sanitären Einrichtungen in der Türkei wurde vom ältesten Sanitätsoffizier der Türkei mit glücklicher Hand gefördert. Aus dem von der Gemahlin des deutschen Botschafters Freiherrn v. Wangenheim der Marine zur Verfügung gestellten Hospital im Orphélinat St. Joseph in Tschukur Bostan erstand im November 1915 das deutsche Marinelazarett Konstantinopel, verbunden mit einer von den Fachärzten des Lazaretts geleiteten Poliklinik. In Gemeinschaft mit dem Delegierten des deutschen Roten Kreuzes wurden Mittel und Ausrüstungen für die Unterhaltung der in Stenia errichteten, später in Emirghian fortgeführten Marinepoliklinik beschafft, welche vom 9. April 1915 bis 9. April 1918 nicht weniger als 130 000 Kranke behandelte. In ähnlicher Weise wurde auch für die in Kara-Su am Schwarzen Meer, in Sultan Tschair und Ajasama, endlich in Konia und Angora errichteten Marinepolikliniken gesorgt. Die ärztliche Ausrüstung der Marinedienststellen regelte ein Marinesanitätsdepot. Durch Fühlungnahme mit der deutschen Kolonie Konstantinopels wurde erreicht, daß erholungsbedürftige Mannschaften der Marine, besonders der U-Boote, in deutschen, österreichischen oder Schweizer Familien Aufnahme fanden.

Durch Merkblätter wurden jedem in die Türkei kommandierten Marineangehörigen schon bei seiner Ankunft gesundheitliche Richtlinien in die Hand gegeben. In die hygienisch ungünstigen Bergwerksreviere von Sultan Tschair, Ajasama und zu den Holzfällern nach Kara-Su wurden geeignete Marineärzte entsandt. Um ständig über den Gang der Seuchen in Kleinasien unterrichtet zu sein, wurde die Bahnarztstelle in Konia mit einem beurlaubten Marinearzt besetzt. Die Ermittelung der mit den Truppenansammlungen in und um Konstantinopel sich häufenden Seuchen, welche zunächst das türkische Marinelaboratorium übernommen hatte, übernahm im April 1916 ein deutsches Marinelaboratorium zu umfangreicher Arbeit. Es lieferte außerdem lange Zeit den ganzen Cholera- und Typhusimpfstoff für die gesamten deutschen und österreichischen Truppenteile und für einen großen Teil türkischer Truppen. Im April 1917 ermittelte in Konstantinopel der älteste Sanitätsoffizier in Gemeinschaft mit dem Marinelaboratorium bei einer deutschen Truppe Cholerafälle und deren Infektionsquelle.

Und nun zu dem ernsten, gräberdurchfurchten Boden Kleinasiens, und damit dem Schauplatz, auf welchem das türkische Drama, dessen letzter Akt schließlich der Zusammenbruch der Palästinafront im September 1918 war, [471] seinen Abschluß fand! Zwei gewaltige Katastrophen kosteten hier der türkischen Armee - im Kaukasus im Januar 1915, im armenischen Hochland im Winter 1916/17 - zusammen rund 160 000 Mann todesmutiger Kerntruppen.

Über die erstere berichtet Liman v. Sanders: "Von der gesamten (3.) Armee in zirka 90 000 Mann ursprünglicher Stärke sind nach den amtlichen Berichten nur zirka 12 000 Mann zurückgekommen. Alles andere war gefallen, gefangen, verhungert oder in den Schneebiwaks ohne Zelte erfroren". - Die zweite Katastrophe betraf die 2. Armee, deren Plan, die russische Front von der Flanke her aus der Linie Wan-See - Musch - Kigi zu fassen, an dem umständlichen Aufmarsch, der vom April bis August 1916 währte, und an dem Mangel an Straßen und rückwärtigen Verbindungen scheiterte. Auch hier kamen etwa 80 000 durch Hunger, Krankheit und Kälte um.

Ein erschütterndes Bild dieser Zustände ergeben die Berichte des als Chirurg von November 1916 bis Mai 1918 in Mamuret-ül-Asis tätigen Marinearztes. Im Februar 1917 starben 42 türkische Ärzte an Fleckfieber. In Charput lagen damals 1400 Verwundete ohne ärztliche Hilfe. In den Lazaretten mangelte es an Öfen, Heizmaterial, Betten bei einer Kälte bis zu 20°. Dabei die Lazarette überfüllt von Fleckfieberkranken und Erfrorenen. Operative Eingriffe an letzteren verboten sich meist wegen der hochgradigen Unterernährung. 50% der Verwundeten litten an Skorbut. Die Verschmutzung und Verlausung der in unzulänglichen Transportmitteln oft stundenlang in der Kälte transportierten Verwundeten, der zahlreichen verhungerten Flüchtlinge war ungemein. Erst mit dem Frühjahr besserten sich die trostlosen Zustände, von da ab wurden günstige Erfolge sowohl hinsichtlich der Operationsstatistik als auch der Skorbutbehandlung erzielt. Mit Unterstützung des türkischen Armeearztes der 2. Armee gelang es, auch die Einrichtungen, die Verpflegung, die Arzneiversorgung sowie die Entlausungsanlagen der Lazarette so zu verbessern, daß ein großer Teil der Mißstände im Winter 1917/18 abgestellt war.

Wie ein gewaltiger, das ganze Land verwüstender Steppenbrand durchzog die Fleckfieberseuche, ausgehend im Januar 1915 von den Trümmern der 3. Armee im Kaukasus, Anatolien. Aus einem einzigen Vilajet (Siwas) berichtet die türkische Statistik in einem Jahre (1916) 290 000 Fälle. Dazu erhob im gleichen Jahr die Cholera ihr Haupt in Kleinasien. Die Gefahr einer Verschleppung der Seuchen nach Konstantinopel lag auf der Hand. In Ostanatolien und an der anatolischen Bahn waren nur zwei türkische Laboratorien. Da wurde dem türkischen Feldsanitätschef auf Anregung des ältesten Sanitätsoffiziers der Marine ein vom Kaiserlichen Motorjachtklub gestiftetes bewegliches Laboratorium zur Verfügung gestellt. Der erste Schauplatz seiner Tätigkeit war Angora, wo in den überfüllten Lazaretten zahlreiche Fleck- und Rückfallfieberkranke lagen, gleichzeitig eine Cholera-Epidemie ausgebrochen und ein Teil der Bevölkerung durch einen gewaltigen Brand im September 1916 obdachlos [472] geworden war. In siebenmonatiger Arbeit wurden 10 190 Untersuchungen bewältigt; die Hauptarbeit brachten die Massenuntersuchungen auf Cholera bei 31 465 Rekruten. Durch Schutzimpfungen und Verbesserung der Entlausungseinrichtungen wurden die türkischen Sanitätsbehörden weitgehend in der Seuchenbekämpfung unterstützt. Gegen die genannten Seuchen traten Malaria, Typhus, Paratyphus und Bazillenruhr fast ganz in den Hintergrund.

Ende Juli 1917 wurde das Laboratorium nach Bozanti im Taurus verlegt, wo die Seuchenbekämpfung infolge des durch den Aufmarsch der Jilderimtruppen gesteigerten Durchgangsverkehrs erhöhte Bedeutung gewann. Die seit 1916 hier epidemisch verbreitete Malaria stand beim Eintreffen des Laboratoriums auf der Höhe. Die Lazarette waren überfüllt mit Malariakranken. Daneben kamen Fälle von Bazillenruhr vor, vereinzelt Cholera. Die Malariabekämpfung mußte sich zunächst in Anbetracht der vorgeschrittenen Jahreszeit auf Durchführung verschärfter Chininschutzbehandlung und Ausschaltung der Gametenträger in den Lazaretten beschränken. Die methodische Bekämpfung durch Bodenassanierung, Brutvernichtung und Mückenschutzvorrichtungen setzte im Winter ein und wurde im Frühjahr 1918, soweit vorhandene Mittel es erlaubten, durchgeführt mit dem Erfolg, daß in Tschamalan, dem berüchtigtsten Herd im Taurus, im Sommer 1918 nur noch vereinzelte Neuinfektionen zur Beobachtung gelangten. Rückfall- und Fleckfieber traten im Winter 1917/18 im Etappengebiet nur mäßig zahlreich und milder als früher auf.

In Mesopotamien waren schon kurz nach der Einschließung von Kut-el-amara (Dezember 1915) kleinere Marineabteilungen an den Kämpfen im Mündungsgebiet des Euphrat und Tigris beteiligt. Hier wirkten auch der Beratende Chirurg der 6. türkischen Armee und der Chefarzt des Feldlazaretts Chaue, beides Marineärzte. In Bagdad lag die Leitung der chirurgischen Abteilungen des dortigen Etappenlazaretts, des Abdulla-Krankenhauses, des Roten-Halbmond- und des Roten-Kreuz-Hospitals längere Zeit in Händen von Marineärzten. Eine im September 1917 in Mossul aufgestellte Marinegruppe begleitete ein Marineassistenzarzt. Am Euphrat wurde im Frühjahr 1916 in Djerablus ein Marinekommando und eine Werft zum Bau von Schachturen errichtet. Trotz des heißen Klimas, der lästigen Sandstürme, trotz Malariainfektionsgefahr und Pappatacifieber blieb der Gesundheitszustand der Abteilung dank der ärztlichen und hygienischen Fürsorge der hier tätigen Marineärzte dauernd günstig. In Yarbashi wurde ein durch Erkrankung des Bahnarztes verwahrlostes Hospital der Bagdadbahngesellschaft unter Leitung eines jungen Marinearztes gereinigt und entlaust, mit dem Erfolg, daß Rückfall- und Fleckfieber, welche zuvor in einem Bestande von 2500 Arbeitern gewütet hatten, verschwanden und daß sich der Gesundheitszustand der Arbeiter trotz Erhöhung ihrer Zahl auf 4000 hob. Ein anderer Marineassistenzarzt richtete im Oktober 1917 Sanitätsetappen am Euphrat ein, er gelangte bis Ana.

[473] Wie auf den türkischen Kriegsschauplätzen lag der Gesundheitsdienst auch bei den in Mazedonien kämpfenden bulgarischen und deutschen Truppen nicht selten in Händen von Marineärzten. So haben sich Marineärzte als Chirurgen in bulgarischen Feld- und Kriegslazaretten und als Truppenärzte an vielen Stellen der bulgarischen Front bewährt. Besondere Verdienste um die Gesunderhaltung der bulgarischen Armee erwarb sich der bereits erwähnte ehemalige Beratende Hygieniker der 4. türkischen Armee, der im November 1915 auf persönlichen Wunsch des Zaren Ferdinand von Bulgarien zur bulgarischen Armee übergetreten war, durch die großzügige Organisation der Seuchenbekämpfung bei der 2. und 4. bulgarischen Armee. Er errichtete im Januar 1915 aus deutschen und bulgarischen Mannschaften eine unter Leitung von Ingenieuroffizieren stehende Bauabteilung zum Bau von Brunnen und Bade- und Entlausungsanlagen und einwandfreier Latrinen vor allem an den Etappenstraßen und sicherte so Trinkwasserversorgung, Entlausung und Abfallbeseitigung. Durch umfangreiche Schutzimpfungen schützte er die Truppen gegen Cholera und Typhus. Die Erfolge entsprachen der aufgewendeten Mühe. Typhus kam im Bereiche der 2. und 4. bulgarischen Armee nur selten, Cholera überhaupt nicht zur Beobachtung. Auch die Erkrankungshäufigkeit an Fleck- und Rückfallfieber spielte eine größere Rolle nur in den rumänischen und serbischen Gefangenenlagern. Im Kampfe gegen die die Gefechtstätigkeit der Truppen lähmende Malaria errichtete er an zahlreichen Stellen der bulgarischen Front Malaria-Untersuchungsstellen und organisierte die Malariabekämpfung an der bulgarischen Front im großen Stil. Leider gelangte der von ihm entworfene Plan umfangreicher Dränage- und Mückenvernichtungsmaßnahmen an den bulgarischen Fronten erst im Frühjahr 1918 zur Durchführung mit dem Erfolg, daß die gewaltige Malaria-Epidemie, welche sich im Sommer 1916 und 1917 bemerkbar gemacht hatte, im Sommer 1918 trotz Einschränkung der Chininschutzbehandlung einen erheblichen Rückgang aufwies.

So darf die Marine auch auf die Leistungen ihres Sanitätskorps, das sich auf den Kriegsschauplätzen der Türkei und der Balkanhalbinsel betätigt hat, mit Befriedigung und berechtigtem Stolz zurückblicken.


17 [1/439]Vgl. auch S. 436, Absatz 3. ...zurück...

18 [1/440]Vgl. hierzu auch den Abschnitt: "Troßwesen und Hilfsschiffe". ...zurück...

19 [2/440]Näheres s. bei zur Verth in: Marineärztliche Kriegserfahrungen, "Das Lazarettschiff". Verlag Gustav Fischer, Jena. ...zurück...

20 [1/442]Mehr von den Kriegserfahrungen des Marinesanitätskorps, soweit es die Not der Zeit erlaubt, zu retten, wird in einigen von der Medizinalabteilung der Marineleitung veröffentlichten Einzelabhandlungen versucht. ...zurück...

21 [1/459]Ein in Gefangenschaft geratener deutscher Sanitätsunteroffizier arbeitete später in Gefangenschaft in Frankreich mit diesen Leuten, die inzwischen ausgeliefert worden waren, zusammen. Er berichtete bei seiner Rückkehr aus Gefangenschaft, daß sie ihn gut behandelt hätten, weil sie in Antwerpen seinerzeit ebenso behandelt worden seien, nur hätten die Franzosen es nicht merken dürfen. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte