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Bd. 5: Der österreichisch-ungarische Krieg

[284] Kapitel 14: Die Sommer- und Herbstkämpfe 1916
gegen Italien

Generalmajor Anton Ritter von Pitreich1

Die Zwangslage, in der sich die Monarchie im Sommer 1916 befand, als es vor allem galt, dem russischen Ansturm Halt zu gebieten, forderte mehr denn je, daß an der Isonzofront mit möglichst geringen Kräften durchgehalten werden müsse. Wohl war anzunehmen, daß der Italiener nach seinen im Frühsommer in Tirol erlittenen Mißerfolgen doch noch einige Zeit brauchen werde, um eine Entscheidung suchende Offensive führen zu können. Dagegen war mit umfangreicheren Teilangriffen in erhöhtem Maße zu rechnen; drängten doch manche triftige Gründe die italienische Heeresleitung zu raschem und energischem Handeln. Die in Tirol erlittene Schlappe war noch nicht verwunden, das Prestige der Armee hatte schwer gelitten und die Stimmung im Lande mochte den Machthabern der Kriegspartei einigermaßen bedenklich, wenn nicht gar gefährlich dünken. Das Streben, im Rahmen der derzeitigen Machtmittel einen greifbaren und sinnfälligen Erfolg zu schaffen, war naheliegend. Auf einen entscheidenden Sieg brauchte es vorerst gar nicht anzukommen; aber ein zündendes Schlagwort galt es in die Menge zu werfen, um die gesunkene Kriegsbegeisterung zu entflammen. Und das war "Görz"!

Dementsprechend handelt es sich zu Beginn der sechsten Isonzoschlacht zum Unterschied von den meisten ihrer Schwestern nicht um eine planmäßige feldzugentscheidende "Offensive", demnach auch nicht um einen Generalangriff aufmarschierter Massen an der ganzen Schlachtfront, sondern um die Ausnutzung einer günstigen Gelegenheit, einer erspähten schwachen Stelle zum "Überfall", dessen Gelingen sich immerhin zu einem unbegrenzte Möglichkeiten in sich schließenden "Sieg" entwickeln konnte.

Dem Herzog von Aosta, Befehlshaber der mit dieser Aufgabe betrauten 3. Armee, fiel es nicht schwer, die verhältnismäßig wenigen, für diesen Überfall nötigen Kräfte ziemlich unauffällig in dem beabsichtigten Hauptangriffsraum vor Görz zusammenzuziehen. Bald waren die Vorbereitungen für den überraschenden Angriff getroffen: die Verstärkung und Bereitstellung der nötigen artilleristischen Angriffskraft; hierzu fürs erste nur einige wenige ausgesuchte Angriffstruppen - auf den wichtigsten Punkten standen die Infanterie- [285] linien ohnehin zumeist auf Sturmdistanz einander gegenüber -; so war man rasch sprungbereit. Tatsächlich hatte, wie sich später herausstellte, die Angriffsfront zunächst nur eine Verstärkung um sieben Brigaden erfahren; Hauptsache war in diesem Falle die Überraschung, und diese gelang.

Kurz vor dem beabsichtigten Überfall auf Görz wurde am südlichsten Teil der Isonzofront, bei Selz und Monfalcone, kräftig demonstriert. Die Richtung war gut gewählt. Der kürzeste Weg nach Triest sollte die Aufmerksamkeit des Verteidigers von Görz ablenken, um ihn zu verhindern, von den Reserven und der Besatzung der Hochfläche von Doberdo rechtzeitig Truppen gegen den Hauptangriffspunkt zu verschieben. Als am 6. August die Maske fiel, war nichts mehr zu verheimlichen. Von diesem Tage an rollte an frischen Truppen und Kriegsgerät in die Schlacht hinein, was die zwei durchlaufenden Eisenbahnlinien und zahlreiche Kraftwagenkolonnen an Verschiebungen von Westen gegen Osten leisten konnten.

Dem beiderseitigen Kräfteverhältnis nach konnte für die Italiener der Erfolg von Haus aus nicht zweifelhaft scheinen. Bei Schlachtbeginn standen 17, zum Teil verstärkte, italienische Infanteriedivisionen - in Summe 223 Bataillone mit rund 700 leichten und 240 schweren Geschützen, gegen den gewählten Angriffsraum entsprechend massiert - insgesamt nur 9 Infanteriedivisionen der 5. Armee Generaloberst v. Boroević, mit in Summe 106 Bataillonen, 402 leichten und 137 schweren Geschützen gegenüber. Nur mühsam vermochte letztere die Blößen der an 80 km langen Front zu verhüllen. Unter diesen Umständen war es nicht möglich, mehr als eine einzige Brigade als Schlachtenreserve ausgeschieden zu halten; diese befand sich hinter dem bedroht erscheinenden Südflügel. Auf eine Verstärkung von anderen Fronten war nicht vor mehreren Tagen, ja Wochen zu rechnen. Die Aussichten für den Angreifer waren demnach diesmal die besten.


1. Die sechste Isonzoschlacht.

Der 6. August. Nach einer normal verlaufenen Nacht eröffnete der Feind plötzlich um die siebente Morgenstunde aus allen seinen Kalibern ein äußerst heftiges, durch mehrere Stunden ununterbrochen währendes, sich immer mehr zum Trommelfeuer steigendes Bombardement gegen nahezu die ganze Front der 5. Armee von Tolmein herab bis zur Meeresküste, namentlich aber gegen den Görzer Brückenkopf und gegen die Hochfläche von Doberdo, wobei der Monte Sabotino mit einer Masse von Geschossen bedacht wurde, deren Einschläge ihn wie einen feuerspeienden Berg erscheinen ließen. Nachmittags schritt die Infanterie zum entscheidenden Angriff. Im Görzer Brückenkopf - in 10 km langer Front, mit dem Isonzo auf durchschnittlich 1 km im Rücken - stand die verstärkte 58. Infanteriedivision, deren bewährter Kommandant, Generalmajor Erwin Zeidler, ehestens von seinem Urlaub herbeieilte, mit neun [286] Bataillonen in der Front, dahinter sieben Bataillone in Reserve östlich des Isonzo; zwei Bataillone hatten südlich des Brückenkopfes das östliche Isonzoufer bis zur Wippach zu bewachen. Von diesen 18 Bataillonen waren nur 7 - großenteils Dalmatiner Truppen - vollwertig, 11 waren erst vor nicht langer Zeit aus territorialem Landsturm und überzähligen Marschformationen erstanden, so ziemlich aus allen Nationen der Monarchie zusammengeschweißt, den Anforderungen des modernen Großkampfes völlig fremd.

Als das verstärkte italienische VI. Korps gegen 4 Uhr nachmittags in zahlreichen dichten Wellen anstürmte, gaben einzelne Stellen der durch das vorausgegangene Trommelfeuer stark in Mitleidenschaft gezogenen, schütteren Verteidigungslinie nach und wurden überrannt. Namentlich auf dem als nördlicher Pfeiler des Brückenkopfes hoch emporragenden Monte Sabotino hatten die angreifenden Brigaden gegen das einsam auf der Höhe die Wacht dieses Schlüsselpunktes haltende eine Bataillon leichtes Spiel. In einem Zuge stießen sie bis zum Ostrand dieses Bergmassivs vor, versagten es sich aber glücklicherweise, noch an diesem Tage in das Isonzotal hinunterzustoßen. Dafür erreichten sie am Abend, trotz des erbittertsten Widerstandes des zähen Verteidigers südlich hiervon, an näherer und leichter zugänglicher Stelle den Isonzo mit ansehnlichen Kräften, während die Stellungen im südlichsten Teile des Brückenkopfes in der Hand des Verteidigers blieben. Nach Einbruch der Dunkelheit bedrängten die herbeigeeilten schwachen Reserven, vier Bataillone, mit Gegenangriffen den eingedrungenen Feind. Die ganze Nacht füllten erbitterte Kämpfe, in deren Verlauf es sogar gelang, das Isonzotal gänzlich vom Feinde zu säubern und über 2000 Italiener gefangen zu nehmen. Der Rest der spärlichen Reserven war gegen den Monte Sabotino eingesetzt worden; selbst dort glückte es, den weit überlegenen Feind in den ersten Morgenstunden des kommenden Tages auf dem Südhange des Berges etwas zurückzudrücken; ihn gänzlich herunterzuwerfen, erwies sich in Anbetracht der überwältigenden feindlichen Übermacht als unmöglich.

Jeder Angriff gegen den Brückenkopf war aussichtslos, wenn er nicht von einem solchen gegen die Hochfläche von Doberdo, insbesondere gegen den Monte San Michele begleitet war, der diese sowie das benachbarte Wippachtal und hiermit auch Görz beherrscht. Die Verteidigung des Raumes um den Monte San Michele lag in den Händen des vom General der Kavallerie Erzherzog Josef geführten VII. Korps, dem die 17. Infanteriedivision Feldmarschalleutnant v. Gelb und 20. Honved-Infanteriedivision Generalmajor v. Lukachich angehörten - lauter bewährte ungarländische Truppen, in Summa 27 Bataillone, von denen 18 die 10 km lange Stellung besetzt hielten, die übrigen 9 dahinter in Reserve standen.

Gleichzeitig mit dem Ansturm auf den Brückenkopf erfolgte auch jener gegen das flach gewölbte Bergmassiv des San Michele. Während sowohl auf [287] dem Nord- wie Südhang der wuchtige Stoß des Feindes an der Tapferkeit des Verteidigers zerschellte, gelang es den Italienern, auf der Höhe selbst in die erste Linie einzudringen. Rasch waren aber trotz des mörderischen Artilleriefeuers, das unausgesetzt gegen das Hintergelände der Stellung gerichtet war, die Reserven zur Stelle; sie vermochten die Flügel des Einbruchsraumes wirksam zu stützen und den Feind teilweise wieder hinauszudrängen. Hiermit war die Kraft der auf dem Monte San Michele kämpfenden 20. Honved-Infanteriedivision erschöpft. Erst mit Hilfe der im Laufe der Nacht im Vallonetal angriffsbereiten Korpsreserve konnte an eine völlige Rückeroberung des Monte San Michele gedacht werden. Inzwischen tobten beiderseits der Einbruchsstelle nahezu längs des ganzen Plateaurandes erbitterte Kämpfe. Immer wieder stürmten die Italiener und wurden von den heldenmütigen Verteidigern, zumeist in wildem Handgemenge, scharf abgewiesen. Am Abend war mit Ausnahme der kleinen Einbuchtung auf dem Gipfel des Monte San Michele das Stellungssystem auf der Hochfläche von Doberdo ungeschmälert in der Hand des hartnäckigen Verteidigers, der jedoch noch keineswegs schwerer Sorge enthoben war. Fehlte es doch schon an allen Ecken und Enden an den zur Führung des Großkampfes nötigen Kräften und Mitteln. Daß das unmittelbare Ziel des diesmaligen feindlichen Angriffes der Besitz von Görz war, stand nunmehr außer jedem Zweifel. Es galt demnach, bei äußerster Anspannung aller Kräfte mit dem wenigen Vorhandenen so lange auszuhalten, bis tropfenweise das zur Nahrung des Kampfes Notwendigste einlangte. Mit dem Mute der Verzweiflung ringendes, lauteres Heldentum der Söhne aller Gaue der alten Monarchie wußte dem Feinde die verlockend nahe Beute noch heftigst streitig zu machen.

So wurde auch am 7. August sowohl um die einzelnen Teile des Görzer Brückenkopfes, als auch um den Monte San Michele heiß und erbittert gerungen. In ersterem wogte der Kampf den ganzen Tag hin und her; immer wieder folgte den ständig sich erneuernden Angriffen der Italiener ein mit den bescheidensten Mitteln erfolgreich durchgeführter Gegenangriff des Verteidigers. Bereits zu Mittag waren nicht weniger als zwölf feindliche Regimenter im Kampfe gegen die wenigen Bataillone der tapferen 58. Infanteriedivision festgestellt, und trotzdem hatten die Italiener in dem schmalen Kampfstreifen westlich des Isonzo noch keine Entscheidung zu erringen vermocht. Angesichts ihrer ungeheuren Übermacht und im Hinblick auf die sich ständig verringernde Kraft des Verteidigers mußte das Armeekommando am Abend dieses Tages auf die Wiederherstellung der Lage im heißumstrittenen Brückenkopf verzichten. Beim Mangel an Reserven blieb nichts anderes übrig, als die Verteidigung auf das linke Isonzoufer zu verlegen; wuchs doch in Anbetracht dieses Mißverhältnisses an Kraft die Gefahr, im Wippachtal durchbrochen zu werden, geradezu stündlich. Wohl waren dem Armeekommando die 2. und die 8. Ge- [288] birgsbrigade aus Tirol als nächst eintreffende Verstärkung in Aussicht gestellt worden. Was konnte aber nicht alles bereits geschehen sein, bis diese an der bedrängten Front eintrafen? Die allgemeine Lage duldete keine Experimente. Unter allen Umständen mußte eine Katastrophe vermieden werden.

Auch auf dem Monte San Michele war infolge mangelnder Kraft kein völliger Umschwung herbeizuführen. Wohl zeitigte der in den Morgenstunden von sechs Bataillonen - der letzten Kraft des VII. Korps - unternommene Gegenangriff anfänglich einen schönen Erfolg. Doch erzielte die erdrückende Übermacht des Feindes bald einen Rückschlag, der zu derselben Lage führte wie am Vortage. An den anderen Teilen der Hochfläche von Doberdo blieben die Stellungen auch an diesem Tage trotz wiederholter heftiger Anstürme unversehrt in der Hand ihrer tapferen, auf ihre eigene Kraft angewiesenen Besatzung. Zu dem Mangel an lebender machte sich auch ein solcher an materieller Kraft empfindlichst fühlbar; infolge zunehmenden Munitionsmangels vermochten die wenigen Geschütze des Verteidigers den in sie gesetzten Erwartungen nicht zu entsprechen.

Schweren Herzens erließ am 8. August um 2 Uhr nachts das Armeekommando den Befehl zur Räumung des weit über Jahresfrist zäh verteidigten Brückenkopfes Görz. Bei Tagesanbruch war die Bewegung im allgemeinen durchgeführt. Nur ungarischer Landsturm behauptete sich, von allen Seiten umdrängt, noch heldenmütig am rechten Isonzoufer; erst im Laufe der kommenden Nacht entzog er sich der drohenden Gefangennahme. Bei dieser Heftigkeit des Kampfes war die Schar der hartnäckigen Verteidiger von Görz naturgemäß stark zusammengeschmolzen. Insgesamt blieben kaum 5000 Feuergewehre zur Einrichtung des ferneren Widerstandes im breit ausgedehnten Wippachtal übrig. Und trotz allem Ungemach und ihrem erschöpften Zustand kämpften diese Helden unentwegt weiter wie Löwen. Zunächst wurde unmittelbar am linken Ufer des Isonzo Widerstand geleistet. Als aber die Italiener in den ersten Nachmittagsstunden den Fluß unterhalb des Brückenkopfes zu durchfurten vermochten, blieb nichts übrig, als die Verteidigung in die auf dem Höhenrand unmittelbar östlich Görz vorbereitete zweite Stellung zu verlegen. Wohl lagen die Stadt und der Isonzo im Gewehrertrag des Verteidigers; das heiß ersehnte Ziel "Görz" befand sich aber in der Hand des Feindes!

Auf der Hochfläche von Doberdo blieb die Lage unverändert. Alle Anstrengungen des Feindes, namentlich auf dem Monte San Michele weiter Raum zu gewinnen, waren vergeblich. Der Mangel an Kraft und die Ereignisse vor Görz machten es aber unvermeidlich, zeitgerecht an eine scharfe Verkürzung der Widerstandslinie zu denken, um bis zum Eintreffen der Verstärkungen einen feindlichen Durchbruch verhindern zu können. Dies führte zu dem Entschlusse, die seit Kriegsbeginn erfolgreich verteidigte Hochfläche von Doberdo aufzugeben und die Verteidigung im direkten Anschluß an die im Wippachtale neu bezogene [289] Stellung hinter den Valloneabschnitt zu verlegen. Um das kostbare Kriegsmaterial bergen und den Stellungswechsel der Artillerie durchführen zu können, durfte dieser Entschluß nicht vor dem 10. August morgens vollzogen werden. Die nunmehr der notwendigen artilleristischen Unterstützung immer mehr entblößte Infanterie mußte noch weiter auf der Karsthochfläche aufopferungsvoll standhalten.

Der 9. August wurde zu einem Tage härtester Nervenprobe für den Verteidiger. Die Italiener, durch ihren Erstlingserfolg ermutigt, erweiterten das Feld ihrer Tätigkeit. In der richtigen Erkenntnis, daß nur der die Stadt Görz tatsächlich besitzt, der auch Herr der beiden Eckpfeiler, des Monte Santo im Norden und des Monte San Michele im Süden ist, trachteten sie, sich von Plava aus des ersteren zu bemächtigen. Dies führte an diesem wie am nächstfolgenden Tage östlich Plava zu den erbittertsten Kämpfen, in denen sich die beiden dort in Stellung befindlichen Bataillone - Helden des Dalmatiner Infanterieregimentes 22 und des südungarischen Infanterieregimentes 52 - mit unvergänglichem Ruhm bedeckten. Die zum Sturm befohlenen italienischen Brigaden machten bittere Erfahrungen und sahen ihre Anstrengungen an dieser Stelle scheitern.

Im Becken von Görz wurde inzwischen die neu bezogene Stellung fast völlig unbehelligt zur Verteidigung eingerichtet. Zu heftigen Kämpfen kam es auf dem Monte San Michele. Die tapferen Honveds bemächtigten sich aus eigener Initiative ohne Verstärkung und ohne nennenswerte Artillerieunterstützung stürmender Hand nochmals der heißumstrittenen Kuppe. Wohl vermochten sie sich nicht tagsüber zu behaupten; doch erzielte ihr entschiedenes Auftreten, daß der Feind an dieser gefährdeten Stelle nunmehr Ruhe hielt und nur südlich davon den Verteidigern von San Martino nochmals Gelegenheit bot, ihn vor dem unvermeidlich gewordenen Abschied die unerschütterte Kraft ihres Widerstandes gründlichst fühlen zu lassen.

Am 10. August morgens vollzog sich auf dem Monte San Michele die Loslösung vom Feinde ungestört und in vollster Ordnung; der Südteil der Hochfläche sollte planmäßig erst am Morgen des 12. August geräumt werden. Am 10. und 11. August kam es zu keinen wesentlichen Kämpfen. Der Feind blieb sowohl in der Görzer Ebene wie auf der Karsthochfläche glücklicherweise recht untätig; nur mit großer Vorsicht näherte er sich den neuen Stellungen. Dies war ein kostbares Geschenk für den Verteidiger; denn er gewann Zeit! Das half über die Krise hinweg; auch waren endlich die ersten Verstärkungen, 2. und 8. Gebirgsbrigade, im Eintreffen; weitere Kräfte sollten nachfolgen.

Erst am 12. August versuchte der Feind seinen Anfangserfolg zu erweitern. Die von der 58. Infanteriedivision gleich am Ostrande der Stadt Görz bezogene Widerstandslinie war doch eine zu drückende Fessel, das Streben, sich ungestört des Besitzes von Görz erfreuen zu können, nur zu begreiflich. Sowohl jetzt, im [290] weiteren Verlaufe dieser Schlacht, wie während der ganzen Dauer des Krieges war diesem Streben kein Erfolg beschieden, wiewohl ihm das Blut vieler Söhne Italiens im Laufe der Zeiten zum Opfer gebracht wurde.

Mit voller Wucht richteten die Italiener in der Zeit vom 12. bis zum 16. August ihre Anstrengungen dahin, gegen Ost Raum zu gewinnen. Dank der beispiellosen Hartnäckigkeit unserer Truppen verwandelte sich ihr Beginnen immer mehr zur Niederlage. Während dieser Tage erhielten die sowohl in dieser wie in den folgenden Schlachten so rühmlichst bekannt gewordenen Kampfplätze von Sv. Katarina, Panowitz, San Marco und Vertojba im Wippachtale, die Felsplatte von Nad Logem, die Orte Lokvica, Oppacchiasella und Nova Vas, sowie die Höhen und u. a. m. auf der Karsthochfläche in tagelangem Ringen ihre Feuertaufe. Besonders auf dem Nordteil der Hochfläche von Comen waren die Kämpfe schwer und verlustreich, da dort von einer "Stellung" noch keine Rede war. Es bedurfte eines ungeheuren Aufwandes an Arbeitskraft und der mannigfachsten Anwendung modernster Technik, um in dem undurchdringlichen Felsboden des Karstes in notdürftigst schützende Tiefe zu gelangen. Nur in Monaten härtester Arbeit konnte dort erreicht werden, was in lockerem Boden binnen eines Tages mit Leichtigkeit zu bewerkstelligen ist. Geradezu schutzlos waren daher die Verteidiger der durch Steinschlag vervielfältigten Wirkung des feindlichen Feuers preisgegeben. Und dennoch hielten sie eisern stand, bis die Angriffskraft des Feindes erlahmte und die Schlacht am 16. August ihr Ende fand.

Mit einer stolzen Siegesfanfare beginnend, war die Schlacht für die Italiener in einem Mißton ausgeklungen. Das politische Schlagwort "Görz" hatte dem Angreifer, der schließlich 18 seiner besten Divisionen in den Kampf geworfen hatte, über 100 000 Mann an blutigen Verlusten und über 6000 unverwundete Gefangene gekostet. Militärisch war auch diesmal den Italienern der "Sieg" versagt geblieben. Zu lange war die Pause zwischen dem ersten und dem zweiten Akt des blutigen Dramas ausgedehnt worden. Dieser Zeitverlust war dank der Kaltblütigkeit des zähen Verteidigers uneinbringlich.


2. Die siebente Isonzoschlacht.

Generaloberst v. Boroević war sich sofort bewußt, daß die eingetretene Ruhe kurzfristig sein werde. Die neu erstandene militärische Lage an der Isonzofront mußte den Italienern - trotz des theoretischen Besitzes von Görz - auf die Dauer geradezu unhaltbar erscheinen. Dazu kam noch das Eingreifen Rumäniens in den Krieg. Daß es demnach im Laufe dieses Jahres noch zu schweren Kämpfen an der Isonzofront kommen müsse, daran war nicht zu zweifeln. Ehestens wurden die abgekämpften Teile der 5. Armee durch Einreihung von Ersätzen aufgefrischt und im Laufe der nächsten Zeit vier Divisionen - 48. Schützendivision, Generalmajor Fernengel, 28. Infanteriedivision, [291] Feldmarschalleutnant v. Schneider, und 57. Infanteriedivision, Generalmajor v. Hrozny aus Tirol, 44. Schützendivision, Feldmarschalleutnant Nemeczek, aus dem Nordosten - dieser Armee zugeführt, so daß deren Kampfstand, der anfangs August vor der sechsten Schlacht nur 102 000 Feuergewehre betragen hatte, bereits anfangs September auf 148 000 Gewehre stieg. Gestützt auf diesen Kraftzuschuß und auf die in der letzten Schlacht gemachten Erfahrungen, sah der Armeekommandant mit Zuversicht den Ereignissen entgegen, wenn auch die neubezogene Stellung, namentlich auf der Karsthochfläche, noch keineswegs den Anforderungen des Großkampfes gewachsen war.

Bis gegen Ende August rechnete man geradezu von Tag zu Tag mit einer Fortsetzung des feindlichen Stoßes, namentlich im Wippachtal. Allmählich reifte aber die Erkenntnis, daß sich der vermeintliche "lokale Vorstoß" zu einem neuerlichen "allgemeinen Angriff" entwickeln würde. Über den Zeitpunkt und die Art und Weise der Durchführung herrschte in der ersten Hälfte des Monates September noch völlige Unklarheit.

Ersterem Zweifel machte die am 13. September neuerdings erwachende lebhafte Artillerietätigkeit des Feindes gegen die Front und namentlich auch gegen die dahintergelegenen Räume im Wippachtal und auf der Karsthochfläche bald ein Ende. Insbesondere die Anmarschwege zur Front und die vermuteten höheren Befehlsstellen standen unter schwerstem Artilleriefeuer. Das sagte zunächst genug: die siebente Isonzoschlacht begann.

Am 14. September fand die Artillerievorbereitung gegen den Raum von Plava, das Wippachtal und die ganze Karsthochfläche ihre Fortsetzung. Vornehmlich auf letzteren Abschnitt hatte es der Feind, wie sich bald zeigen sollte, abgesehen. Immer dichter wurde der dorthin gerichtete Hagel der Geschosse, um zu Mittag in das heftigste Trommelfeuer überzugehen. Nach nahezu zweistündiger kräftigster Beschießung schritt die Infanterie in an 20 km breiter Front südlich der Wippach zum Angriff. Abgesehen von einer kleinen Einbuchtung nächst der völlig deckungslosen Felsplatte von Nad Logem, erzielte sie trotz wiederholter Anstrengung nicht den geringsten Erfolg. Im vollsten Maße taten die tapferen Truppen wieder ihre Schuldigkeit. Wenn auch im Laufe dieses Tages die Gefechtstätigkeit im Wippachtal und insbesondere bei Plava nur demonstrativen Charakter aufwies, war es doch noch ganz ungewiß, ob der Feind seine Anstrengungen auf die Karsthochfläche beschränken werde. Seiner Initiative stand noch ein recht weites Gebiet der Betätigung offen; erst die nächsten Tage konnten hierüber Klarheit bringen.

Am 15. September nahmen die Scheinangriffe nördlich der Wippach ernsteren Charakter an; sie erstreckten sich bis zum nördlichsten Teil des Armeebereiches und wurden gegen die Wippach zu immer bedrohlicher. Zu einem nennenswerten Infanteriekampf nördlich der Wippach kam es jedoch auch an diesem Tage nicht. Man gewann immer mehr den Eindruck, daß der [292] Feind dort lediglich bestrebt sei, Kräfte zu binden. Um so wütender wurde hingegen die Schlacht südlich der Wippach fortgesetzt. Bereits von Morgengrauen an brachte die feindliche Artillerie ihre ganze Kraft gegen die Karsthochfläche zur Geltung; bald standen dort die Hauptangriffspunkte unter nahezu beständigem Trommelfeuer. An der Einbruchsstelle bei Nad Logem wurde schon vormittags heftigst gekämpft; ein Angriff folgte dem andern. Um Mittag entbrannte der Kampf besonders heftig um Oppacchiasella und um die Höhe . Wieder blieben alle feindlichen Anstrengungen vergeblich. Um 4 Uhr nachmittags stürmten zwischen der Wippach und der nördlichen Kammlinie des Karstplateaus neuerdings tief gegliederte Massen, die unmittelbar südlich der Wippach in die Widerstandslinie eindrangen und sich in den Besitz der Kirchenhöhe San Grado di Merna setzten. Ein sofort von 4 Bataillonen durchgeführter Gegenstoß verwehrte dem Feinde jedes weitere Vordringen und festigte dort, wie auf der benachbarten Felsplatte von Nad Logem, nach Überlassung eines kaum einige hundert Meter tiefen Geländestreifens an den Feind, die Lage bald wieder völlig. Alle weiter südlich angesetzten italienischen Massenangriffe brachen größtenteils bereits vor dem Hindernis des Verteidigers höchst verlustreich zusammen. Wenn auch der Feind stellenweise in die kümmerliche Stellung einzudringen vermochte, warfen ihn die Bajonette der nächstbefindlichen Reserven ehestens wieder zurück.

Nicht anders verliefen die Kämpfe am 16. September. Vormittags richteten sich die Angriffe hauptsächlich gegen den Nordteil der Karsthochfläche. Als sich dort alle Bemühungen als vergeblich erwiesen, wurden sie nachmittags mit um so größerer Wucht gegen den Südteil unternommen, wo Feldmarschalleutnant v. Schenk den Befehl über die 9. Infanteriedivision und die k. u. k. 24. Ldst.-Gebirgsbrigade führte. Bis tief in die Nacht hinein tobten um den Besitz der Höhe erbitterte Kämpfe, ebenso wie um jenen der südlich hiervon gelegenen Kuppe 144. Aber nicht um Schrittbreite waren die standhaften Verteidiger zum Weichen zu bringen.

Durch die ungemein verlustreichen Kämpfe der letzten drei Tage klärte sich die Situation dahin, daß eine Überraschung im nördlichen Teil des Armeebereiches wohl kaum mehr zu besorgen war. An letzterem hatte sich die Gefechtstätigkeit bereits an diesem Tage wesentlich abgeschwächt. Wenn auch - nach den Berechnungen des Armeekommandos - der Feind noch über mindestens fünf kampfbereite Divisionen hinter seiner Angriffsfront verfügte, so war doch die Hauptkraft seiner vor der Karsthochfläche zur Schlacht bereitgestellten Truppen schwer abgekämpft. Diese weitgehende Beanspruchung des feindlichen Heeres gestattete den Schluß, daß Cadorna wohl noch eine Zeitlang den Kampf durch Austausch oder Wiederauffüllung bereits abgekämpfter Divisionen nähren, doch kein neues Unternehmen mit weiter gesteckten Zielen an anderer Stelle der langgestreckten Front einleiten könne. Diese Erkenntnis gab dem General- [293] oberst v. Boroević endlich Bewegungsfreiheit in der Verwendung seiner spärlichen Reserven. Der Südflügel der Armee konnte zeitgerecht einigermaßen gestützt werden, wenn auch Sparsamkeit geboten, das Ende der Schlacht noch keineswegs abzusehen war. Tatsächlich kam es am 17. und 18. September im Raume zwischen der Wippach und dem Meere noch zu höchst erbitterten Kämpfen. Doch scheiterten alle noch so kräftigen Anstrengungen des Feindes, diesmal in der kürzesten Richtung auf Triest Raum zu gewinnen, an der bewährten Standhaftigkeit der Verteidiger. Elf Divisionen mit über 130 Bataillonen hatte die italienische 3. Armee im Raume südlich der Wippach gegen in Summe 62 Bataillone der 5. Armee in den Kampf geworfen, konnte sich aber nach dem 18. September zu keinem größeren geschlossenen Infanterieangriff mehr aufraffen. In den fünf vergangenen Schlachttagen erreichten die Italiener nichts Wesentlicheres als einen blutigen Verlust von mindestens 45 000 Mann und die Erkenntnis, daß der Weg nach dem heißersehnten Triest doch noch recht weit und dornenvoll sein dürfte.

Daß allein schon mit Rücksicht auf die allgemeine Kriegslage auch die am 19. September an der Isonzofront eingetretene Kampfpause nur kurz währen würde, war klar. Ebenso war vorauszusehen, daß die Absichten des Feindes auch weiterhin unmittelbar auf Triest gerichtet sein würden. Immer schärfer trat die Notwendigkeit zutage, das Schwergewicht der Verteidigung auf den Südflügel der 5. Armee zu verlegen. Tolmein, Plava, selbst der Monte Santo schienen für die nächste Zukunft einiges an Bedeutung verloren zu haben. In der allgemeinen Not an Mann konnte man sich dort auch fernerhin auf die bewährten Sicherheitsbesatzungen beschränken und den Nordteil der Armeefront zugunsten des Südteiles von höheren Reserven völlig entblößen. Dies war um so notwendiger, als auf weiteren Kraftzuschuß von anderen Kriegsschauplätzen um diese Zeit nicht nur verzichtet werden mußte, sondern sogar Abgaben für den neuen rumänischen Kriegsschauplatz zu gewärtigen waren. In der Tat sandte die 5. Armee Ende September die kampftüchtigen 2., 8. und 10. Gebirgsbrigaden nach Siebenbürgen ab, wofür im Oktober die 16. Infanteriedivision, Feldmarschalleutnant v. Schariczer, von der Nordfront eintreffen sollte. Inzwischen hatte bereits die achte Isonzoschlacht begonnen.


3. Die achte Isonzoschlacht.

Gleich zu Beginn des Monats Oktober nahm die Heftigkeit des feindlichen Artillerie- und Minenwerferfeuers wieder wesentlich zu; sie zeigte immer mehr den Charakter einer systematischen artilleristischen Zermürbung der Front des Verteidigers. Grundsätzlich wurde die Kampflinie fast ausschließlich nur mit schweren Minen, das Hintergelände bis auf 14 km Tiefe mit schwerem Geschütz bearbeitet. Nicht nur, daß der Stellungsbau stark im Rückstand bleiben [294] mußte, waren auch die Verluste ganz beträchtliche; sie betrugen allein in einem Zeitraum von fünf Tagen 700 Tote und 3000 Verwundete. Es war geradezu eine Erlösung, als am 9. Oktober das gegen die Karsthochfläche gerichtete Artilleriefeuer die Wesensart unmittelbarster Angriffsvorbereitung annahm. Im Laufe des Vormittags wurden einzelne voraussichtliche Angriffspunkte zu wiederholten Malen betrommelt. Unter diesem Feuerhagel litt die ohnehin mangelhafte Stellung des Verteidigers schwer. Bereits zu Mittag waren alle Drahtverbindungen zusammengeschossen, Hindernisse und Deckungen fast vollständig eingeebnet. Endlich um 5 Uhr nachmittags schritt die feindliche Infanterie zwischen der Wippach und der Senke von Jamiano in fast 10 km breiter Front zum Angriff; sie wurde zurückgeschlagen. Das verständnisvollste Zusammenwirken zwischen der Verteidigungsinfanterie und der vortrefflichen Artillerie bewährten sich bestens. Der Feind ließ aber nicht so bald locker; immer wieder erneuerte er seinen Ansturm; stellenweise kam es zu blutigem Handgemenge. Als um 9 Uhr nachmittags die Heftigkeit des feindlichen Feuers etwas nachließ, konnte erst der durch das todesmutige Ausharren der Infanterie erzielte Erfolg dieses Tages festgestellt werden: Lückenlos war die Widerstandslinie in ihrer Hand verblieben, doch die Verteidigungsanlagen waren vollständig zusammengeschossen. Buchstäblich mit ihren Leibern hatte die Infanterie auf dem harten Fels dem Feinde ein unüberwindliches Hindernis entgegengestellt. Schweres mußte diesmal trotz des günstigen Ausganges dieses ersten Schlachttages dem Verteidiger zweifellos noch bevorstehen. Auch während der Nacht stand der ganze Angriffsraum in ununterbrochenem heftigstem Artilleriefeuer. Die Reserveräume bedachte der Feind mit Gasgranaten. Trotzdem konnte die Kampflinie mit dem Nötigsten an Munition, Verpflegung und Wasser versorgt werden - eine Meisterleistung jener ungezählten namenlosen Helden, die keine Gefahr scheuten, wenn es galt, durch ihre Trägerdienste den in vorderster Linie schwer kämpfenden Kameraden das weitere Ausharren zu ermöglichen.

Am 10. Oktober steigerte sich das feindliche Feuer bereits bei Tagesanbruch wieder zu allergrößter Heftigkeit. Der unmittelbare Angriffsraum erweiterte sich im Wippachtal bis Görz. Bald hüllte ihn die Wucht des nahezu ständigen Trommelfeuers in undurchdringlichen Rauch und Staub. Im Laufe des Vormittags mehrfach versuchte Teilangriffe scheiterten im gut geleiteten Abwehrfeuer des Verteidigers. Von 2 Uhr nachmittags an setzte die feindliche Infanterie in etwa 18 km breiter Front in geschlossener Masse zum entscheidenden Angriff an. Dies führte zu ungemein schweren, blutigen Kämpfen, die stellenweise bis in die tiefe Nacht hinein währten. Im Südteil des Wippachtales verbluteten fünf italienische Brigaden an der Standhaftigkeit der 43. Schützendivision, Generalmajor Fernengel. Auf der Karsthochfläche gelang es schließlich, den bei Lokvica erfolgten Einbruch des Feindes auf eine etwa 600 m breite, [295] wohl abgeriegelte Einbuchtung zu beschränken. Südlich hiervon, zwischen Nova Vas und Jamiano, war die Stellung bereits gänzlich verloren, als ein schneidiger Gegenangriff die Höhe und die daran anschließende Kampflinie nahezu restlos wieder in die Hand der tapferen Verteidiger brachte. Auch im Abschnitt von Jamiano bis zur Küste vorgetragene Angriffe zerschellten. Schwer war die Einbuße des Feindes an diesem Tage. Aber auch der Verteidiger hatte stark gelitten. Daß eine derartige Heftigkeit der Schlacht wohl nicht von zu langer Dauer sein könne, war der trostreichste Gedanke für die höhere Führung am Abend dieses sorgenvollen Tages.

Am Morgen des 11. Oktober lag schwerer dichter Nebel auf dem Schlachtfelde; er beschränkte zunächst die Kampftätigkeit. Sehr bald hob er sich aber so weit, daß die feindlichen Geschütze und Minenwerfer wieder mit voller Heftigkeit gegen den Kampfraum wirken konnten. Um die Mittagszeit begann ein erneuter Ansturm feindlicher Massen; besonders die Hochfläche von Comen war bis tief in die Nacht hinein der Schauplatz der erbittertsten Kämpfe. Neunmal wiederholte der Feind seinen mit aller Wucht geführten Stoß. Der ersehnte Durchbruch war ihm versagt. Abgesehen von geringfügigem Raumgewinn - Nova Vas blieb in italienischer Hand - war der groß angelegte Massenangriff auf der Karsthochfläche am Heldenmute ihrer Verteidiger, unter denen sich die Truppen der alpenländischen 44. Schützendivision, Feldmarschalleutnant Nemeczek, hervorragend auszeichneten, wieder gescheitert. Nicht weniger als 33 italienische Brigaden hatten sich dort während dieser wenigen Schlachttage verblutet. Wieder war es - abgesehen von der bewährten Standhaftigkeit der tapferen Truppen - nur das nüchterne Kräftekalkül, das mangels weiterer Reserven der verantwortungsvollen höheren Führung in diesen schweren Stunden einigen Trost gewährte: Auch beim Feinde konnte dieser Kräfteverbrauch nicht mehr von langer Dauer sein; seine noch so reichen Munitionsbestände mußten endlich bedenkliche Lücken aufweisen. Die Schlachtenkrise schien ihren Höhepunkt erreicht, wenn nicht schon überschritten zu haben! Das Kalkül hat sich als richtig erwiesen. Am 12. Oktober erlahmte die feindliche Angriffskraft bereits merklich. Ihr letztes Aufflammen brachte den tapferen Karstverteidigern eine schöne Gelegenheit, dem Angreifer noch eine gute Lehre mit auf den Weg zu geben. Nach vorhergegangenen lokalen Kämpfen brach plötzlich um 5 Uhr nachmittags das Gros der italienischen 45. Infanteriedivision, verstärkt durch Teile der 1. Bersaglieribrigade, in dichten Wellen gegen den linken Flügel der 17. Infanteriedivision, Generalmajor Ströher, nördlich Lokvica vor. Das vorzüglich geleitete Artilleriefeuer riß sofort mächtige Lücken in die Reihen des kühn vorstürmenden Angreifers, dem Maschinengewehre und wohlgezieltes Gewehrfeuer den Rest gaben. Nur wenige Italiener kamen von diesem Angriff unversehrt in ihre Ausgangsstellung zurück. Hiermit fand die Schlacht ihr Ende. Zwölf der besten Divisionen waren von den Italienern [296] wieder vergeblich geopfert worden. Dabei fiel auf, daß sie es diesmal vermieden hatten, in der vorangegangenen Schlacht abgekämpfte Divisionen frisch aufgefüllt ins Treffen zu führen. Es waren demnach völlig intakte Truppen, die sich eine Einbuße von - nach vorsichtiger Schätzung - etwa 65 000 Mann, wozu noch ein Verlust von 3000 Gefangenen kam, in kaum viertägigen Kämpfen geholt hatten.


4. Angriffe gegen die Tiroler Ostfront.

Während des Sommers und Winters erlebte auch das Heeresgruppen-Kommando Erzherzog Eugen in Tirol schwere Stunden. Die Italiener hatten im Juli in zahlreichen Angriffen vergeblich getrachtet, die neuen Stellungen der 11. Armee, General der Kavallerie Rohr, auf den Hochflächen von Vielgereuth und Lafraun zu überwinden. Namentlich das III. Korps, Feldmarschalleutnant v. Krautwald, hatte im Zebio-Gebiete heiße Kämpfe zu bestehen, die den Angreifern wohl hier und da kleine örtliche Vorteile, doch nie einen durchschlagenden Erfolg brachten. Mangels eines solchen posaunten sie einen großen Sieg in die Welt hinaus, als es ihnen nach wochenlangen Bemühungen und mächtigem Artillerieaufgebot am 23. Juli gelang, die der Hauptstellung auf der Tonezzaplatte vorgelagerte Feldwache auf dem Monte Cimone, oberhalb Arsiero, zu überwältigen. Als alle Wiedereroberungsversuche im starken Artilleriefeuer scheiterten, das diesen lästigen italienischen Posten dicht vor der Front unterstützte, wurde der Gipfel in langwieriger, vom Oberleutnant Mlaker geleiteter Arbeit unterminiert. Am 13. September früh erfolgte die Sprengung, unter deren mächtigem Eindruck sich das Bataillon Major Schad des Salzburger Infanterieregiments Nr. 59 des Postens wieder bemächtigte.

Im Maße als die Italiener die Vergeblichkeit ihrer vielfachen Bemühungen auf den Hochflächen, beim Borcola-Paß und gegen die Front zwischen Laim- und Brandtal erkannten, wandten sie ihre Aufmerksamkeit den Fassaner Alpen zu. Diese von Natur starke und bisher ziemlich unbehelligt gebliebene Front hatte allgemach alles, was halbwegs für den Bewegungskrieg tauglich war, abgeben müssen. Alte, abgebrauchte Leute hielten die Wacht in dem starke Anforderungen an die physischen Kräfte stellenden Hochgebirge. Den Italienern blieb dies nicht verborgen und lockend winkte ihnen die Aussicht, mit einem Durchbruch die heißbegehrten Hochflächen unhaltbar zu machen. Am 21. Juli leiteten sie die Kämpfe mit einem Angriff gegen den Eckpfeiler der Front südlich des Travignolotales, den Colbricon, ein, den General der Infanterie v. Roth anfangs Juli in die Hauptstellung einbezogen hatte, um den vorgeschobenen Posten auf Cavallazza oberhalb des Rolle-Passes zu stützen. Dieser Posten und der Kleine Colbricon gingen verloren, doch scheiterten alle weiteren, bis 5. August unter mächtiger Artilleriebegleitung geführten Angriffe im Abschnitt des Travignolo- und Pellegrino-Tales. Nach fast drei Wochen Pause versuchten die Italiener den Einbruch über den Rücken der Fassaner Alpen in [297] das Fleimstal nach Predazzo. Nach hin und her wogendem Kampfe (23. bis 28. August) setzten sie sich in den bleibenden Besitz einer Spitze des Cauriol, womit sich ihnen die Hoffnung eröffnete, diese Felsmauer zu überwinden. Zur selben Zeit lächelte ihnen bei Cortina d'Ampezzo das Glück. Sie brachen in einen Teil der Ruffredostellung ein, doch litten alle Versuche, den errungenen Vorteil auszunutzen, Schiffbruch.

Auch zur Zeit der siebenten Isonzoschlacht wollte die italienische 4. Armee in den Fassaner Alpen Lorbeeren einheimsen. Schon am 10. September begannen offenbar demonstrative Angriffe gegen die 11. Armee auf den Hochflächen und im Gebiet des Passubio. Gleichzeitig schossen sich zahlreiche Batterien auf die Stellungen zwischen Cauriol und Coltorondo ein. Am 14. September begann die Schlacht, der ein Wettersturz mit Schneesturm und Nebel am 18. ein Ende machte. Der Gewinn der Italiener beschränkte sich auf die Cauriol-Scharte östlich des Gipfels.

Sobald sich das Wetter besserte, hielt der Feind die Verteidiger durch Bombardements und kleinere Angriffe fortwährend in Atem. Mittlerweile rüstete er zu einem gewaltigen Schlage gegen die ganze Front von Cauriol bis zur Marmolata. Am 5. Oktober begann die Schlacht in den Fassaner Alpen, die den Italienern in blutigen Kämpfen keinen greifbaren Erfolg brachte, doch alle verfügbaren Reserven des Erzherzogs Eugen aufzehrte und wenigstens den einen Zweck erfüllte, die Abgabe von Verstärkungen an die Isonzofront zu vereiteln. Als sie am 9. endete, begann ein Ansturm der Italiener im Gebiet des Passubio. In dem bis 12. währenden Ringen hatten sie die Eroberung der Cosmagon-Stellung als Gewinn zu verzeichnen. Am 17. Oktober setzten in diesem Gebiet neue Kämpfe ein. Den Kaiserjägerregimentern 1, 3 und 4, unter Oberst v. Ellison, wurden im Ringen um den Monte Testo, den Roite-Rücken und namentlich um den Passubio-Kopf schwere Proben ihres Heldenmutes auferlegt, bis am 19. die Angriffskraft der Italiener völlig gebrochen war.

Alle Anzeichen wiesen darauf hin, daß die Italiener trotz der vorgerückten Jahreszeit noch einen Vorstoß gegen die Front des Generals der Infanterie v. Roth und südlich der Brenta, im Gebiete der Sieben Gemeinden, planten. Beschießungen und Einzelangriffe konnten als Vorboten gelten, allerlei Vorbereitungen wurden erkennbar. Tatsächlich kam es nicht mehr zu einer neuen Schlacht, da am 9. November der Winter mit Macht einsetzte, meterhohe Schneelagen und Lawinen jede Gefechtstätigkeit ausschlossen.


5. Die neunte Isonzoschlacht.

Auch Generaloberst v. Boroević rechnete nach Beendigung der achten Isonzoschlacht angesichts der vom Feinde geübten Zermürbungstaktik auf eine baldige Wiederholung des Ansturmes gegen die schwer geprüfte Karstfront. Trotz aller Tapferkeit und Zähigkeit des Verteidigers hatte dessen Widerstands- [298] kraft eben auch ihre Grenzen. Empfindlichst lastete auf ihm die allgemeine Not an Mann; eben war der Feldzug gegen Rumänien im vollen Gange, die Lage an der russischen Front erst notdürftig wieder hergestellt; die italienischen Teilangriffe in Südtirol beanspruchten eine, wenn auch geringfügige Abgabe von Truppen dorthin. Die gesamte Wehrmacht befand sich in einem Zustande äußerster Kraftanspannung. Auch das Bewußtsein beschränkter Bewegungsfreiheit wirkte lähmend. War auf dem westlichen oder gar auf dem östlichen Kriegsschauplatz der Verlust eines oder des anderen Kilometers an sich völlig bedeutungslos und ein stellenweises Ausweichen vor der ärgsten Wucht des Stoßes ohne jeden Schaden für die Gesamtlage möglich, so war an der Karstfront ein solches Manöver ausgeschlossen. Die letzte der Stadt und dem Hafen von Triest noch sicheren Schutz gewährende Stellung lag in der Linie Hermada - Fajti hrib, die nunmehr wohl einen forcierten Ausbau erfuhr, aber erst in Monaten Anspruch auf Verteidigungsfähigkeit erheben konnte. Die augenblickliche Kampflinie verlief stellenweise nur mehr 3 km weiter westlich davon. Das war der ganze Spielraum, über den die 5. Armee vor Triest noch verfügte und den sie sich allen Anstürmen gegenüber noch ein ganzes Jahr lang zu erhalten wußte. Unter diesen Umständen durfte es nicht wundernehmen, daß die bewährten Karstverteidiger - lediglich auf ihre eigene, bereits bedenklich zusammengeschmolzene physische Kraft angewiesen - diesmal unter noch erhöhterem Druck des Verantwortlichkeitsgefühles der nächsten feindlichen Offensive entgegensahen. Mit zusammengebissenen Zähnen, beinahe mit dem Mute der Verzweiflung wurde von Tag zu Tag der Beginn der neuen Schlacht erwartet.

Im Laufe der letzten Oktoberwoche sprachen alle Anzeichen dafür, daß der Angriffsbeginn unmittelbar bevorstehe. Außergewöhnlich starker Verkehr hinter der feindlichen Front, rege Arbeitstätigkeit in den Stellungen, Aussagen von Überläufern, sowie das täglich an Heftigkeit zunehmende Feuer kündeten dies an. Am 28. Oktober gab es bereits ein regelrechtes Bombardement. Ein um diese Zeit plötzlich einsetzender gewaltiger Wettersturz brachte eine zweitägige Unterbrechung der die neunte Isonzoschlacht einleitenden feindlichen Betätigung. Am 31. Oktober, am ersten klaren Morgen nach den Regentagen, stieg das feindliche Feuer zur größten Heftigkeit; die Artillerieschlacht hatte begonnen. Ein immer stärker werdender Hagel von Geschossen ging auf die Front vom Monte Santo bis zum Meere nieder. Wenn auch von 3 Uhr nachmittags an die feindliche Infanterie stellenweise vorfühlte, so kam es noch zu keinem nennenswerten Infanterieangriff. Die rückwärtigen Räume der Karsthochfläche waren nachmittags ein besonders begehrtes Ziel feindlicher Bombengeschwader. Am 1. November mit Tagesanbruch wurden Front und im Geschützertrag stehende Aufstellungsräume der Reserven des ganzen Wippachtales, sowie der Karsthochfläche mit allen Kalibern kräftigst [299] weiterbearbeitet.

Trommelfeuer bei Görz in der 9. Isonzoschlacht.
[296a]      Trommelfeuer bei Görz in der 9. Isonzoschlacht.      [Vergrößern]

Rasch steigerte sich diese Vorbereitung zum Trommelfeuer. Die Stellung war bald ein Schutt- und Trümmerhaufen. Gegen diesen legte die feindliche Infanterie nach 11 Uhr vormittags in 20 km breiter Front in dichten Massen zum geschlossenen Angriff los. Im Wippachtal blieben alle Anstrengungen des Feindes gänzlich erfolglos. Das tapfere XVI. Korps, Feldzeugmeister Wurm, bot dort an sechs Divisionen erfolgreich die Stirne. Nicht so glatt verlief die Abwehr auf der Karsthochfläche. Um in dem deckungslosen Gelände auf deren Nordteil nicht zu viele kostbare Menschenleben der verheerenden Wirkung der Artillerievorbereitung preiszugeben, war die Sicherheitsbesatzung auf das äußerste Maß vermindert worden. Der ungeheuren Wucht des feindlichen Stoßes vermochte die schütter besetzte erste Linie nicht zu widerstehen; was nicht dem vorbereitenden Artilleriefeuer zum Opfer gefallen, wurde einfach überrannt. An einzelnen Stellen griffen auf nicht mehr als 400 m Breite ganze Divisionen an, die 12 Bataillone hintereinander gestaffelt. In etwa 4 km Breite erfolgte der Einbruch. Nur dem heroischen Eingreifen der zumeist aus deutsch-alpenländischen Kerntruppen bestehenden Reserven der Stellungsdivisionen war es zu danken, daß dem Feinde bereits in etwa 2 km Tiefe Halt geboten werden konnte. An allen übrigen Teilen der langgestreckten Angriffsfront wurde die erste Linie behauptet, oder doch nach schwer hin und her wogendem Kampfe wiedergewonnen. Die Haltung aller unserer Truppen war an diesem schweren Großkampftage über jedes Lob erhaben. Noch bestand die Hoffnung, im Wege eines Gegenangriffes die auf dem Nordteil der Karsthochfläche erlittene Scharte auswetzen zu können.

Am Morgen des 2. November schritten die noch frischen Teile der 28. Infanteriedivision, Feldmarschalleutnant v. Schneider, und 44. Schützendivision, Feldmarschalleutnant Nemeczek, an deren inneren Flügeln am Vortage der Einbruch erfolgt war, zum Gegenangriff, der zunächst gut vorwärts kam. Schon waren wesentliche Vorteile erzielt, als um die Mittagszeit ein nach kräftigstem Feuerüberfall neuerlich eingeleiteter feindlicher Massenstoß die im Laufe der Vorrückung bereits bedenklich zusammengeschmolzenen Reihen dieser todesmutigen Bataillone nahezu vollständig zertrümmerte. Nur mehr sehr bescheidene Reste beider Divisionen erreichten die Aufnahmestellung Fajti hrib - Kostanjevica, die inzwischen von der 17. Infanteriedivision besetzt worden war. Die Tapferkeit des westgalizischen Landsturm-Infanterieregimentes 32 verhinderte eine Erweiterung des Einbruchsraumes gegen Süd, so daß der feindliche Stoß in dem Sacke zwischen der Wippach und der Linie Fajti hrib - Kostanjevica - Hudilog - Höhe  aufgefangen werden konnte. Es fehlte leider an Kraft, den Feind mit einem größer angelegten Gegenangriff wieder völlig zu werfen; forderte doch die Kriegslage gebieterisch die peinlichste Sparsamkeit mit Mann und Kampfmitteln.

[300] Wider Erwarten kam es in dieser Schlacht überhaupt zu keiner größeren Kampfhandlung mehr. Die Italiener beschränkten sich auf das bisher Errungene. Ihren Zweck hatten sie wieder nicht erreicht. Von den in die Schlacht geführten 16 Divisionen waren, 3000 Gefangene inbegriffen, wieder etwa 70 000 Mann geopfert worden. Freilich hatte auch der Verteidiger schwere Verluste zu beklagen; aber seine Aufgabe hatte er erfüllt.

Hiermit fanden die Kämpfe an der italienischen Front für das Jahr 1916 ein Ende. An ihre Stelle trat beiderseits emsigste Arbeit an den Stellungen als Vorbereitung für den weiteren Kampf mit dem Feinde, wie mit dem Winter. Endlich erfuhr nun auch die Isonzofront - entsprechend der günstigen Entwicklung der Ereignisse auf den übrigen Kriegsschauplätzen - eine wesentliche Verstärkung ihrer Kraft, so daß sie nicht nur ungebrochen, sondern auch vertrauensvoll den im kommenden Jahre zu gewärtigenden Kämpfen mit dem sich zu immer größerer militärischer Machtentfaltung aufschwingenden Erbfeind der alten Monarchie entgegensehen konnte.


1 [1/284]Gehörte seit September 1914 als Chef der Operationsabteilung dem Stabe des Feldmarschalls Boroević an, war zum Schluß dessen Generalstabschef. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte