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Bd. 4: Der Seekrieg - Der Krieg um die Kolonien
Die Kampfhandlungen in der Türkei
Der Gaskrieg - Der Luftkrieg

Abschnitt: Der Gaskrieg   (Forts.)
Hauptmann Hermann Geyer

[509] 8. Die weitere artilleristische Entwicklung.

Die Entwicklung des Gasschutzes war am Ende des Krieges ebensowenig abgeschlossen wie die Entwicklung der Gasverwendung selbst. Deren Darstellung auf artilleristischem Gebiet wurde oben (S. 504) bis zur Einführung der französischen Phosgengeschosse im Frühjahr 1916 fortgeführt.

Die deutsche Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Sie bestand in den Grünkreuzgeschossen, den ersten reinen Gasgeschossen der deutschen Artillerie. Ihre Gasfüllung, der sogenannte Perstoff (perchlorierter Ameisensäuremethylester) hatte bezüglich der Giftigkeit ähnliche, im übrigen noch günstigere Eigenschaften als das französische Phosgen. Für die Wahl des Perstoffs als Füllung war neben anderem der Umstand maßgebend gewesen, daß er in Deutschland leicht hergestellt werden konnte.

Grünkreuzgeschosse wurden zunächst nur für die Feldkanone eingeführt. Erst allmählich folgten andere Kaliber.

Die neuen Geschosse wurden an manchen Stellen, wie bei den Franzosen die Phosgengeschosse, einzeln oder nur in geringer Anzahl verwendet. Inwieweit damit Erfolge erzielt wurden, ist zweifelhaft. Immerhin ist anzunehmen, daß selbst dieses an sich unzweckmäßige Verfahren wenigstens anfänglich nicht ganz erfolglos gewesen sein kann, da der französische Gasschutz damals kaum als Schutz genügte.

Von erheblicher Bedeutung war die Wirkung bei solcher Zersplitterung keinesfalls. Deutscherseits beschränkte man sich daher nicht darauf, sondern strebte wieder - wie beim Abblasen - nach Massenwirkung. Gleich beim ersten derartigen Einsatz vor Verdun im Sommer 1916 wurden rund 100 000 Schuß in kurzer Zeit auf verhältnismäßig engen Raum zusammengefaßt verschossen.

Die Wirkung war technisch gut, konnte aber bei der Ungunst des Geländes taktisch nicht voll ausgenutzt werden.

Bis Wiederholungen in gleichem Maßstabe möglich waren, ging Zeit verloren. Auch wurden Fehler gemacht. Vor allem setzte man zu wenig Gas auf zu großen Raum an. Zu niedrige Gasdichten, geringere Wirkung und teilweise Enttäuschung waren die logische Folge.

So kam es, daß trotz des sich mehr und mehr bemerkbar machenden Einflusses der Gaskurse das Gasschießen der Artillerie noch längere Zeit Stiefkind blieb, wenn auch Grünkreuzgeschosse sehr viel mehr, sehr viel zweckmäßiger, offensichtlich mit mehr Erfolg und daher auch lieber verwendet wurden, als ein Jahr vorher die T- und K-Geschosse.

Um die Kenntnis des Gaskrieges schneller und gründlicher zu verbreiten, wurden Ende 1916 einige Gasstäbe der Artillerie errichtet. Ihre Aufgabe war eine Ergänzung der Gaskurse. Während zu letzteren die Teilnehmer nach Berlin [510] kommandiert wurden, sollten die Gasstäbe an der Front reisen, Stäben und Truppen Gasvorträge halten, bei Vorbereitung und Durchführung von Gasschießen helfen und - ausnahmsweise - solche Schießen selbst leiten. Man dachte dabei nicht mehr daran, eine Sondergastruppe der Artillerie, wie etwa die Gaspioniere für das Abblasen, zu schaffen. Die Gasstäbe sollten sich vielmehr an die gesamte Artillerie und darüber hinaus auch an die anderen Waffen und insbesondere an die Führer wenden. Man hatte erkannt, daß man den vollen Nutzen aus dem Gaskrieg nur dann ziehen konnte, wenn es gelang, allgemein Verständnis für seine Eigenart zu wecken und die Gastaktik in den Rahmen der allgemeinen Taktik einzupassen und mit ihr zu verbinden.

Die Gasstäbe, die bis zum Schluß des Krieges bestehen blieben, haben im Lauf der Zeit vieles erreicht. Ihre Tätigkeit konnte aber nicht über die Tatsache wegtäuschen, daß das Grünkreuz allmählich an Wirkung verlor, weil der Feind Zeit gewann, seinen Gasschutz der Grünkreuzwirkung anzupassen. Auch lernte er, lohnende Gasziele zu vermeiden. Er stellte sich weniger an Orten auf, die leicht vergast werden konnten, er verteilte die Ziele über größere Räume und machte mehr Gebrauch von Täuschung und Verschleierung.

Die Erkenntnis der abnehmenden Wirkung des Grünkreuzes spornte zu neuer Arbeit und zu neuen Versuchen an. Mit bewunderungswürdiger persönlicher Aufopferung wurden in den heimischen Laboratorien und auf den Schießplätzen theoretisch und praktisch alle Wege verfolgt, die Fortschritte in Aussicht stellten. Man kann diese Versuche, bei denen mancher Gesundheit und Leben aufs Spiel setzte und einbüßte, ohne Übertreibung den Frontleistungen an die Seite stellen. Professor Friedrich Kerschbaum hat sich im Arbeitskreise der Chemischen Abteilung hierbei besondere Verdienste erworben.

Das Ergebnis der Versuche war die Einführung der Blaukreuz- und Gelbkreuzgeschosse neben verbesserten Grünkreuzgeschossen im Sommer 1917 und die Erweiterung der Fertigung von Gasgeschossen für fast alle Kaliber und Geschützarten. Damit wurde die gesamte artilleristische Gasverwendung auf neue Grundlagen gestellt.

Von den genannten drei Gasarten war Grünkreuz für den nicht geschützten Gegner am gefährlichsten. Seine Einwirkung führte zu schweren Erkrankungen der Lunge und im Vergleich zu den anderen deutschen artilleristischen Gasen am häufigsten zum Tode. Es zwang den Gegner unbedingt zum sofortigen Gebrauch des Gasschutzgeräts. Dieses war zwar schon 1917 und noch mehr von 1918 an so zuverlässig, daß es sicher gegen Grünkreuz schützte. Trotzdem blieb noch viel Wirkungsmöglichkeit: Der Gegner hatte vielleicht seinen Gasschutz nicht in Ordnung, oder er legte ihn zu spät an; auch war es oft ein genügender Erfolg wenn der Gegner unter die Maske gezwungen wurde, weil er dadurch in vieler Beziehung behindert wurde, und schließlich war schon die Nervenwirkung durch die Grünkreuzdrohung wertvoll.

[511] Grünkreuz eignete sich, da das Gas im freien Gelände sich innerhalb weniger Stunden verflüchtigte und da man die Zeit ziemlich genau bestimmen konnte, bis zu der ein beschossenes Gelände wieder gasfrei wurde, in erster Linie zur Vorbereitung eines Angriffs, war aber auch für die Verteidigung brauchbar. Nur mußte man, wenn Dauerwirkung erstrebt wurde, einen Gassumpf oder eine Gassperre immer wieder auffüllen. Das kostete aber viel Munition und hinderte den Gegner doch nicht mit Sicherheit am verlustlosen Durchschreiten eines vergasten Geländes, so unbequem ihm die Vergasung auch sein mochte, weil sie ihn zum Gebrauch der Maske zwang.

Eine Verbesserung der Grünkreuzwirkung war erwünscht. Man erstrebte sie durch Verbesserung der taktischen Anwendung aus folgenden Überlegungen heraus:

Bei jedem auf volle Gaswirkung berechneten Gasschießen kam es darauf an, die nötige Gasdichte am Ziel zu erzeugen. Dazu genügten einzelne Schüsse nicht. Man hatte deshalb das Flächenschießen oder Schwadenschießen ausgebildet, bei dem vor allem konzentrierte Massenwirkung erstrebt worden war. Möglichst viel Schüsse mußten in möglichst kurzer Zeit abgegeben werden. Genaues Schießen war in der Regel nicht wichtig, da der zu vergasende Raum möglichst groß gewählt wurde.

Auch bei diesem Verfahren erhöhte Überraschung die Aussicht auf Erfolg. Hier war aber doch noch mehr herauszuholen, wenn es gelang, eine genügende Anzahl von Schüssen so überraschend und dicht ans Ziel zu bringen, daß der Gegner unter die Wirkung hoher Gasdichten kam, ehe er sein Gasschutzgerät in Gebrauch nehmen konnte. Dazu war es nötig, daß die Schüsse schlagartig beim Ziel eintrafen und wirksame Gasdichten in kürzester Zeit erzeugt wurden, während dies beim bisherigen Verfahren immer nur allmählich eintrat.

Bei solchen auf Überraschung aufgebauten Schießen hielt man also an dem alten Grundsatz der Massenwirkung insofern durchaus fest, als hohe Gasdichten erstrebt wurden; sie brachten aber eine wesentliche Neuerung, indem sie wieder möglichst genaues Schießen gegen ein bestimmtes Ziel erforderten. Denn es kam offenbar darauf an, die Zeitdauer des Schießens und damit die Zahl der Schüsse zu beschränken, da ja die Überraschung stets nur ganz kurze Zeit vorhalten konnte. Man berechnete, daß beim Schießen auf ein eng begrenztes Ziel bei normalen Verhältnissen und Entfernungen unter Berücksichtigung der Streuungen folgende Schußzahlen mindestens nötig waren, um bei annähernd gleichzeitigem Eintreffen beim Ziel vorübergehend wirksame Gasdichten zu erzeugen:

100 Schuß von   7,7 cm Kaliber oder
50 " " 10,5 " " "
25 " " 15 " " "
10 " " 21 " "

[512] Die Zusammenfassung dieser Mindestschußzahlen zu einem einheitlichen Schießen, das gegen ein bestimmtes, eng begrenztes Ziel in wenigen Sekunden durchgeführt und bei dem auf jede Dauerwirkung verzichtet wurde, nannte man "Gasüberfall". Die Zeitdauer des Schießens mußte um so kürzer, der Überfall um so überraschender, die Gasdichte um so größer werden, je mehr Geschütze zum gleichen Gasüberfall herangezogen wurden. Brauchte jedes beteiligte Geschütz nur einen Schuß abzugeben, so nannte man das Schießen "Salvenüberfall". Der Erfolg war um so wahrscheinlicher, je mehr man über die oben genannten Mindestzahlen hinausging.

Derartige Überfallschießen waren nicht einfach. Sie forderten vorzügliches artilleristisches Zusammenwirken. Sie waren aber, wenn sie gut angelegt waren, außerordentlich gefährlich, da sie an allen Fronten verwendbar waren und jede Unvorsichtigkeit des Gegners mit sofortiger empfindlicher Strafe bedrohten. Auch waren sie - ein Neues im Gaskrieg! - fast unabhängig von Wind und Wetter, da sie ja nur Augenblickswirkung erstrebten. War diese eingetreten, so mochten die Schwaden immerhin vom Wind zerblasen oder von der Sonne in die Höhe gezogen werden!

Ein anderes Mittel, um Grünkreuz zu besserer Wirkung zu bringen, war die gleichzeitige Verwendung mit Blaukreuz (Buntschießen).

Blaukreuz war wohl im Verhältnis zu der verwendeten Menge der wirksamste Gaskampfstoff, aber gleichzeitig - für sich allein verwendet - ein außerordentlich humanes Kampfmittel. Eine ganz geringe Menge genügte, um einen Zustand angstvoller Beklemmung und Schwäche hervorzurufen, der jede Tätigkeit lähmte, aber nach einer viertel bis einer halben Stunde sich völlig verlor. Bei Einatmung größerer Gasmengen war die Wirkung zwar schwerer und anhaltender; länger dauernde Giftwirkung durch Blaukreuz ist aber bei Menschen nicht beobachtet worden. Einer so milden und doch militärisch wertvollen Wirkung kann kein anderes Kampfmittel sich rühmen!

Der Blaukreuzkampfstoff bestand aus feinsten Stäubchen, die durch jede Maske hindurchgingen und den Träger der Maske zu unwiderstehlichem Niesen und Husten reizten. Dies war unter der Maske nicht möglich und zwang dazu, die Maske herabzureißen.

Gelang es in diesem Augenblick, eine entsprechende Menge Grünkreuz aus Ziel zu bringen, so mußte die gewöhnliche starke Grünkreuzwirkung gegen den ungeschützten Gegner eintreten. Da Blau- und Grünkreuz in der Luft nebeneinander wirksam blieben, ergaben sich bei solchem Verfahren, das man Buntschießen nannte, leicht aussichtsreiche Kombinationen für Flächenschießen wie für Gasüberfälle. Es kam nur darauf an, Zeiten und Mengen für den Verschuß beider Gasarten richtig zu berechnen. Das war nicht allzu schwierig.

Außer zum Buntschießen konnte Blaukreuz mit gutem Erfolg für sich allein verwendet werden. Verhältnismäßig wenige Geschosse genügten zur Erzeugung [513] ausreichender Gasdichten. Dadurch und infolge der Eigenart seiner Wirkung war Blaukreuz am unabhängigsten von Witterung und Gelände. Da es sich rasch verflüchtigte und die Wirkung sich schnell verlor, eignete es sich besonders zur Vorbereitung eines Angriffs, der der Beschießung unmittelbar folgte. Auch für den Bewegungskrieg war es brauchbar. Für die Verteidigung war die Wirkung zu kurz dauernd.

Die Blaukreuzgeschosse konnten, weil das Gas schon in kleinen Mengen wirkte, neben der Gasfüllung wieder eine recht beträchtliche Sprengladung erhalten (zwei Drittel der gleichkalibrigen Splittergeschosse). Das erhöhte ihre Verwendungsfähigkeit und Beliebtheit. Kam das Gas bei ganz ungünstigen Verhältnissen nicht zur Wirkung, so war wenigstens mit einer recht annehmbaren Brisanzwirkung zu rechnen.

Das dritte deutsche Artilleriegas, das Gelbkreuz, nach seinem schwachen Geruch auch Senfgas oder nach dem Ort seiner ersten Verwendung Yperit genannt, war im Gegensatz zum Blaukreuz lang nachwirkend. Während die Wirkung der anderen Gase hauptsächlich in den Schwaden lag, die beim Schießen sich über der beschossenen Fläche bildeten, haftete der Gelbkreuzstoff in der Hauptsache im Gelände oder in Kleidern usw., wo er sich in ganz feinen Tröpfchen festsetzte. Die Wirkung trat dann durch ganz allmähliche Verdunstung ein. Die eigentliche Schwadenwirkung war meist gering.

Die Gelbkreuzwirkung ist bereits oben gestreift. Hierzu ist vor allem zu ergänzen, daß Gelbkreuz im allgemeinen keine dauernden Schäden hinterließ. Tödliche Vergiftungen traten verhältnismäßig selten ein. Bei richtiger Behandlung und bei leichten Fällen waren die Heilerfolge sogar besonders günstig. Das Gelbkreuz verdient daher den ihm anhaftenden Ruf besonderer Unmenschlichkeit durchaus nicht.

Trotzdem ist leicht erklärlich, woher der schlechte Ruf des Gelbkreuzes stammt. Die Gründe liegen:

  1. in der geringen Wahrnehmbarkeit, die rechtzeitigen Gebrauch des Schutzgeräts erschwerte,
  2. in der Neuartigkeit der Wirkung, die sich nicht auf die von der bisherigen Maske leicht zu schützenden Körperteile beschränkte,
  3. in der besonderen Häßlichkeit der Vergiftungserscheinungen, die oft erst tagelang nach eingetretener Ansteckung sich zeigten, ohne daß der Betroffene ahnte, daß er mit Gelbkreuz in Berührung gekommen war, und
  4. in der langen Nachwirkung im Gelände, in geschlossenen Räumen, an Kleidern usw., die im Sommer Tage, im Winter Wochen anhalten konnte.

All das machte das Gelbkreuz unheimlich. Dies wird an nachstehendem Beispiel besonders deutlich: Ein Soldat, der durch ein mit Gelbkreuz wirksam verseuchtes Gebüsch geht, streift, ohne es zu bemerken, eine kleine Menge des Kampf- [514] stoffes mit dem Ärmel von den Blättern. Er betritt kurz darauf seinen Wohnunterstand, in dem er mit 10 bis 12 Kameraden die Nacht verbringt. In der Nacht bringt die Wärme des Unterstandes den an seinem Rock haftenden Gelbkreuzstoff zur Verdunstung. Dieser wirkt in dem engen Raume sehr stark, so daß am nächsten Morgen die sämtlichen Leute, die in dem Unterstande genächtigt haben, infolge Einatmung des Kampfstoffes, von dem niemand etwas ahnte, erkranken.

Hier lag die wichtigste Seite der schweren Wahrnehmbarkeit des Gelbkreuzes, das höchstens durch einen leichten Geruch sich verriet, aber weder sichtbar noch durch Geschmack oder Einatmung sogleich erkennbar war. Verschleppung und Ansteckung waren möglich, ohne daß Unachtsamkeit vorlag. Wohl konnte man Gelbkreuz, das erkannt war, ohne Schwierigkeit durch Chlorkalk vernichten. Aber sobald man anfing, mit Chlorkalk zu arbeiten, wurde die an sich schon geringe Wahrnehmbarkeit durch den Geruch des Chlorkalks übertäubt. Wo sollte man dann mit dem Streuen von Chlorkalk anfangen und wo enden? Die hauptsächlichsten Nachteile des Gelbkreuzes, das späte Eintreten der Wirkung, die leichte Vernichtung durch Regen und Chlorkalk sowie der Umstand, daß verhältnismäßig viel Gas gebraucht wurde, um die erforderliche Gasdichte zu erzeugen, traten gegenüber diesem Vorteil zurück.

Gelbkreuzgeschosse waren anfänglich reine Gasgeschosse. Damit konnte man nur schwer überraschen, weil sie sich durch den Knall von anderen Geschossen unterschieden. Man verschoß daher zur Verschleierung gleichzeitig Splittergeschosse, vermehrte dadurch aber den Munitionsbedarf außerordentlich, ohne das Ziel sicher zu erreichen. Die beste Abhilfe, die Herstellung von Gelbkreuzbrisanzgeschossen, glückte nach langen Versuchen leider erst 1918. Die neuen Geschosse kamen aber nicht mehr recht zur Wirkung, die Massenfertigung setzte zu spät ein.

Aus der Beschreibung der Eigenschaften des Gelbkreuzes erhellt, daß seine Verwendung notwendig eine wesentlich andere war als die der anderen Gaskampfstoffe. Für die Verwendung im Angriff war es wenig brauchbar. Auch zur Abwehr unmittelbar bevorstehender Angriffe wirkte es nicht mit Sicherheit schnell genug. Sein Hauptwert lag in der Möglichkeit, vorausschauend gewisse Geländestücke zu verseuchen (Verseuchungsschießen). Der Feind mußte im allgemeinen das verseuchte Geländestück meiden und wurde dadurch leicht zu Maßnahmen gezwungen, die ihm außerordentlich lästig waren. Tat er dies nicht oder merkte er die Verseuchung nicht rechtzeitig, so setzte er sich unter Umständen sehr unangenehmen Verlusten aus.

Die Herausbildung der vorstehend beschriebenen drei Kampfstoffe eröffnete bei entsprechend kombinierter Verwendung vielseitige Möglichkeiten. Man blieb dabei aber nicht stehen. Unermüdlich wurden Verbesserungen erstrebt. Dadurch gelang es, bis zum Abschluß des Krieges noch einige Abarten der drei Haupt- [515] kampfstoffe zu entwickeln. Eine Erschwerung für die Front trat dadurch aber nicht ein. Grundsätzlich Neues wurde auf artilleristischem Gebiet nicht mehr herausgebracht.

Neben der wissenschaftlichen Arbeit im Laboratorium war die ballistische von großer Bedeutung. Es war eine Riesenarbeit, die Schußtafeln für die vielen neuen Gasgeschosse, die in manchen Einzelheiten von den gewöhnlichen Geschossen abwichen, zu erschießen, herzustellen und auszugeben.

Schließlich ist auch der taktischen Arbeitsleistung nochmals zu gedenken. Die Art der Verwendung der drei Kampfstoffe wurde nicht so, wie sie oben dargestellt wurde, sogleich als fertige Vorschrift im Sommer 1917 eingeführt. Man mußte erst aus der Praxis lernen. Technische und taktische Verbesserungen wurden nur allmählich gefunden und konnten erst dann ihren Niederschlag in den Anweisungen finden. Auch die Art, wie der Gegner sich mit dem neuen Gas abfand, bedingte fortwährend sich ändernde Anpassung. Durch neue Vorschriften und Anweisungen, durch Vorträge, Kurse, Übungen und praktische Versuche an und hinter der Front geschah alles Mögliche, um das allgemeine Verständnis zu heben.

Die hauptsächlichsten Einwände gegen das artilleristische Gasschießen - gefühlsmäßige Abneigung oder Ablehnung aus falsch verstandenen Gründen des Völkerrechts und der Menschlichkeit können nach dem, was früher ausgeführt wurde, hier beiseite bleiben - bezogen sich auf die Abhängigkeit von Wind, Wetter und Gelände. Diese Abhängigkeit war nicht zu bestreiten. Eine völlige Änderung war nicht zu erwarten, wenn auch gegenüber den Anfängen des Gaskrieges durch die Art der Kampfstoffe und ihre geschicktere Verwendung (z. B. Blaukreuz, Feuerüberfall usw.) ganz erhebliche Fortschritte erzielt waren. Mit einer gewissen Abhängigkeit mußte man sich eben abfinden. Auch andere Kampfmittel waren von solchen unerwünschten Einflüssen nicht völlig frei. Man konnte lernen, sich ihnen anzupassen.

Auch ein anderer sehr schwerer Einwand war nicht zu widerlegen: die Munitionsversorgung wurde durch die Einführung der verschiedenen Arten der Gasmunition neben der bisherigen Munition außerordentlich verwickelt. Die Regelung des gewaltigen, immer vielseitiger werdenden Nachschubs kostete immer mehr Kräfte. Das war unangenehm, aber es half nichts: die Notwendigkeit und die militärischen Vorteile waren zwingend.

Dagegen kann nicht anerkannt werden, daß die Schwierigkeiten der neuen Gasschießverfahren und der neuen taktischen Grundsätze als maßgebende Einwände bezeichnet werden. Das konnte erlernt werden und war für den, der sich wirklich damit abgab, gar nicht so schwierig. Gewiß bedingte das Mehrarbeit. Diese aber konnte und mußte geleistet werden, da man die Wirkung brauchte.

Die erste Verwendung fanden die neuen Geschosse in der Flandernschlacht im Sommer 1917. Die genauen Unterlagen dafür, welchen Nutzen sie hier im ein- [516] zelnen gehabt haben, fehlen heute noch. Im allgemeinen haben sie sicher wesentlich mit zur Erschwerung und schließlich Erstickung des englischen Angriffs beigetragen.

Sehr viel Gas wurde ferner im Herbst 1917 vor Verdun verschossen. Das dortige Oberkommando schrieb die Niederhaltung größerer feindlicher Angriffe und die Abschwächung der feindlichen Artilleriewirkung großenteils den sehr planvoll angelegten Gasschießen der eigenen Artillerie zu. Es gelang dadurch vor allem, allmählich die feindliche Artillerie verhältnismäßig weit zurückzudrücken.

Die Zeit der glänzendsten Erfolge des Artilleriegases aber reifte heran, als es zu den großen deutschen Angriffen im Jahre 1918 verwendet wurde.

Eine Art Vorbereitung bildeten die Angriffe in Rußland und Italien im Sommer und Herbst 1917, in denen die theoretischen und praktischen Erkenntnisse für den großen Angriff gewonnen wurden. Auch das Gas fand hier seinen taktisch richtigen Platz, indem es die Aufgabe erhielt, die feindliche Artillerie für die Zeit des Angriffs auszuschalten. Die Bekämpfung der feindlichen Infanterie dagegen blieb im wesentlichen, wie bisher, der Splittermunition überlassen.

Im Osten und in Italien war die Gasverwendung verhältnismäßig einfach. Der feindliche Gasschutz war unvollkommen, die Gasdisziplin schlecht. Grünkreuz genügte in der Hauptsache. Die Erfolge waren offenbar gut.

Weit schwieriger war der Gasangriff im Westen, wo man einen Gegner gegenüber hatte, der, durch üble Erfahrungen belehrt, dem Gaskrieg höchste Aufmerksamkeit zuwendete. Trotzdem beschloß man, bei den entscheidungsuchenden Angriffen des Jahres 1918 an der Westfront grundsätzlich Gas in größtem Umfange und unter Erweiterung der Aufgaben anzuwenden.

Die Abhängigkeit von Wind und Wetter, in die man sich dadurch begab, wollte man mit in Kauf nehmen. Man war sich klar darüber, daß bei ungünstigem Wetter ein wichtiger Teil der Angriffsmittel ausfallen würde. Die Frage, ob es in einem solchen ungünstigen Fall besser sei, einen geplanten Angriff zu verschieben oder ob man mit der als Ersatz für das Gas gleichzeitig bereitzustellenden Splittermunition allein angreifen solle, wurde jedoch theoretisch nicht eindeutig gelöst.

Praktisch entwickelte sich die Sache so: Die Wetterbeobachtung wurde in den entscheidenden Tagen, die den einzelnen Angriffen vorausgingen, besonders sorgfältig gehandhabt. Unter dem bewährten Meteorologen Professor und Leutnant der Landwehr Dr. Schmauß wurde bei der Obersten Heeresleitung eine neue Zentrale für Wettervorhersage eingerichtet, die die oberste Führung vor Ausgabe des letzten Angriffsbefehls über die Wetteraussichten zu beraten hatte. Da dieser Befehl spätestens am Mittag des dem Angriff vorhergehenden Tages ergehen sollte, fand somit die entscheidende Wetterberatung am Vormittag des dem Angriff vorhergehenden Tages statt. Ein Absagen des Angriffs aus Wettergründen wäre übrigens im äußersten Notfall auch noch in den Nachmittagsstunden des dem Angriff vorhergehenden Tages möglich gewesen.

[517] An den fünf großen Angriffstagen war die Wettervorhersage für den 21. März, den 9. April und den 9. Juni leidlich günstig, für den 27. Mai besonders günstig und für den 15. Juli mäßig günstig.

Für die erstgenannten drei Tage waren außer günstigen Winden auch solche zu erwarten, die in geringer Stärke teilweise entlang der eigenen Front und gegen diese streichen konnten. Trotzdem schien ein genügender Grund, um die Absage des Angriffs aus meteorologischen Gründen zu empfehlen, in keinem Falle vorzuliegen.

Für den 27. Mai war die Lage meteorologisch klar: der Angriffsbefehl war vom Gasstandpunkt aus sehr zu empfehlen.

Am zweifelhaftesten war man am 14. Juli. Für die Morgenstunden des 15. Juli waren Gegenwinde in geringer Stärke angesagt. Da man aber hoffte, zu dieser Zeit schon genügend Gaswirkung erzielt zu haben und die eigenen Truppen schützen zu können, beschloß man, trotz der verhältnismäßig geringen Gunst der Wetterlage den geplanten Angriff programmäßig durchzuführen.

Die Wettervorhersage erwies sich in allen fünf Fällen als zutreffend. Ihr entsprach die Gaswirkung: Sie war am 21. März, 9. April und 9. Juni im allgemeinen genügend und am 27. Mai hervorragend. An letzterem Tage trieb ein günstiger leichter Wind das Gas tief in den Feind hinein, dort weithin Verwirrung erzeugend. Umgekehrt war es am 15. Juli. Die vordersten Teile des Feindes wurden zwar von der Gaswirkung betroffen, seine vorderste Artillerie ausgeschaltet. Aber der Feind wandte an diesem Tage erstmals seine großzügige Ausweichtaktik an, wie sie die deutschen Vorschriften gelehrt, die deutsche Praxis leider nur selten ausgeführt hatte. Der für den Feind günstige Wind hatte zur Folge, daß er seine Hauptkräfte damit fast jeder Einwirkung der deutschen Gasbeschießung entzog. Windrichtung wie am 27. Mai hätte ihm die Gasschwaden ins Gesicht getrieben und damit den Deutschen vielleicht doch einen größeren Erfolg ermöglicht. Ob das eine entscheidende Änderung des Krieges zur Folge gehabt hätte? Die überaus große Bedeutung richtiger Bewertung meteorologischer Verhältnisse erhellt jedenfalls aus keinem anderen Beispiel mit gleicher Deutlichkeit.

An allen fünf Tagen gab es auch auf deutscher Seite Gasverluste von eigenem Gas, am meisten am 21. März. Große Bedeutung gewannen diese Ausfälle aber nicht. Die Erkrankungen waren meist leicht, die Gaskranken blieben, da der Angriff ja vorwärts ging, in deutscher Hand und erholten sich schnell.

Die Truppe fand sich mit diesen Verlusten verhältnismäßig leicht ab. Im allgemeinen war das Verständnis für die Gaswirkung sehr gestiegen. Die Truppe, insbesondere die Infanterie, forderte fast überall Gasvorbereitung, weil sie die dadurch bewirkte Entlastung lebhaft empfand. Sie war nun endlich so weit, daß sie einige Atemzüge eigenes Gas dafür gerne in Kauf nahm. Allerdings wurden an manchen Stellen übertriebene Hoffnungen in das Gas gesetzt, ohne daß die Gefahren richtig eingeschätzt wurden. Hier rächte sich natürlich die Übertreibung.

[518] Die Aufgaben der artilleristischen Gasvorbereitung waren an den fünf Angriffstagen ziemlich genau die gleichen. Sie lassen sich an Hand einer kurzen Wiederholung des bekannten artilleristischen Angriffsschemas allgemeinverständlich darlegen, ohne daß auf die örtlichen Verschiedenheiten eingegangen zu werden braucht:

An den Angriffsfronten4 wurden auf 1 km Frontbreite rund 100 Geschütze eingesetzt, von denen etwa ein Fünftel in erster Linie zur Artillerie- und Fernzielbekämpfung bestimmt war.

Das Feuer begann schlagartig noch bei Dunkelheit mit einem allgemeinen Feuerüberfall aller Geschütze von 10 Minuten Dauer mit höchster Feuergeschwindigkeit (1. Zeitabschnitt). Munition Blaukreuz. Wirkung konnte um so mehr erwartet werden, als nach dem neuen, eben eingeführten Schießverfahren keinerlei vorheriges Einschießen nötig war, also Überraschung erhofft werden durfte.

Als zweiter Zeitabschnitt folgte eine 65 Minuten dauernde verstärkte Artilleriebekämpfung mit allen Geschützen und gleichfalls hoher Feuergeschwindigkeit. Dabei waren die Ziele so verteilt, daß drei bis vier eigene Batterien auf einer feindlichen lagen. Munition Buntkreuz. Die notwendigen Gasdichten wurden theoretisch um ein Mehrfaches überschritten, so daß auch hier gute Gaswirkung zu erwarten war, wenn die feindliche Artillerie tatsächlich da stand, wo man sie vermutete.

Der dritte bis fünfte Zeitabschnitt von zusammen 85 Minuten war der Bekämpfung der Infanteriestellungen gewidmet. Dabei wurde Blaukreuz bis 600 m vor der eigenen Infanterie, Grünkreuz teilweise auf etwas weitere Entfernung bei günstigem Wind mitverwendet. Gleichzeitig lagen die in erster Linie zur Artilleriebekämpfung bestimmten Batterien weiter im Buntschießen auf der feindlichen Artillerie. Bei der Verwendung von Grünkreuz war dabei genaue Berechnung nötig, bis zu welcher Zeit die eigene Infanterie voraussichtlich die beschossenen Stellen erreichen konnte. Die Grünkreuzwirkung mußte sich bis zu dieser Zeit verflüchtigt haben. Die Feuergeschwindigkeit war auch im dritten bis fünften Zeitabschnitt möglichst hoch.

Die letzte artilleristische Angriffsvorbereitung war die Feuerwalze. Auch hier wurde Gas (Blaukreuz) mitverwendet, jedoch jeweils nur bis 600 m vor der eigenen Infanterie. Auf die Windrichtung brauchte hierbei keine Rücksicht genommen zu werden. Bis die Gasschwaden die eigene Infanterie oder bis diese die letzten beschossenen Stellungen erreichen konnten, hatte sich die Auswirkung in der Hauptsache verflüchtigt.

Einen ungefähren Anhalt, welche Rolle die Gasmunition bei den großen [519] Angriffen spielte, geben die Verhältniszahlen der Ausstattung mit Gas- und Splittermunition. Das Verhältnis zwischen Gas und Splitter betrug bei den Artilleriebekämpfungsbatterien etwa 4½ : 1, bei den andern etwa 1 : 1. Dabei war aber ein großer Teil der Splittermunition nur Notausstattung für den Fall, daß bei ungünstigem Wetter ohne Gas angegriffen werden mußte.

Von den Zielen der Gasbeschießung wurde das Wichtigste, die Ausschaltung der feindlichen Artillerie, bei den vier ersten Angriffen gut, teilweise vorzüglich erreicht. Die artilleristische Gegenwirkung spielte in den entscheidenden Angriffsstunden meist eine verblüffend geringe Rolle. Sie war planlos und vereinzelt. Man muß daraus schließen, daß teils die Geschützbedienung, teils die Beobachtung und Befehlsführung, teils wohl auch die Verbindungen miteinander gestört waren. Nur am 15. Juli war das Ergebnis der Gasbeschießung auffallend gering. Die Gründe sind bereits besprochen.

Weniger vollständig war die Lähmung der feindlichen Infanterie und Maschinengewehre durch das Gas. Das ist begreiflich. Infanterieziele sind weniger leicht faßbar, sie entziehen sich der Feststellung und der Wirkung leichter durch Tarnung und durch Beweglichkeit, ihre Kampftätigkeit ist einfacher und ihre Gasdisziplin in der Regel besser als bei der Artillerie. Dazu kam, daß infolge der Gefahren der Witterung und der Nähe der eigenen Infanterie verhältnismäßig sehr viel weniger Gas gegen Infanterieziele eingesetzt werden konnte als gegen Artillerieziele. Damit war natürlich eine so gründliche Ausschaltung der feindlichen Gegenwirkung, wie sie bei der Artillerie geglückt war, nicht erreichbar. Immerhin machte sich vielfach eine starke Behinderung des Feindes durch das Gas bemerkbar, die den Kampf wesentlich erleichterte, wo die eigene Infanterie fest und geschickt zufaßte. Der Kampf konnte der Infanterie aber nur erleichtert, nicht erspart werden. Wer auf Grund falscher Voraussetzungen letzteres erhofft hatte, für den waren Enttäuschung und Mißerfolge unausbleiblich.

Im ganzen hat zweifellos der Entschluß, das neue Kampfverfahren für die großen Angriffe wesentlich mit auf verstärkten Gaseinsatz zu stützen, sich bewährt. Das wurde offenbar auch von der Front erkannt. Ein Beweis dafür liegt darin, daß in dem den großen Angriffen folgenden Bewegungskrieg viel Gas verlangt wurde, vor allem Blaukreuz, und daß auch in der Abwehr während der letzten Monate des Krieges der Gasbedarf ständig wuchs. Hierbei trat das Gelbkreuz, das während der Angriffe zurückgetreten war, naturgemäß wieder stark hervor. Wie bereits erwähnt, wurde damals mehr als ein Viertel der gesamten deutschen Artilleriemunition als Gasmunition gefertigt, ohne daß damit die Anforderungen der Front voll gedeckt werden konnten.

Aus den feindlichen Urteilen über die Wirkung der deutschen Gase seien hier nur zwei hervorgehoben:

1. In einem englischen Bericht wird gesagt: "Durch eine dauernde und zweckmäßige Anwendung bewirkt das Yperit oder Senfgas (Gelbkreuz) einen [520] starken Kräfteverbrauch und kann zur Auflösung der feindlichen Truppenverbände führen."

2. In einem französischen Geheimbefehl von Ende August 1918 wird die Summe der Gasverluste allein im französischen Heere für die Zeit von nur 10 Tagen (11. bis 20. August) auf nicht weniger als 14 578 Mann angegeben, darunter 424 Todesfälle. Der monatliche Ausfall würde somit mehr als 40 000 Mann betragen. (Rechnet man verhältnismäßig gleiche Ausfälle für die englische und amerikanische Front, so käme man an der gesamten Westfront auf einen Ausfall von monatlich etwa 100 000 Mann oder täglich über 3000 Mann durch Gas. Und das zu einer Zeit, in der der Nachschub usw. auf deutscher Seite nur noch mit größten Reibungen funktionierte! Allerdings sind hierbei sämtliche Arten der Gasverwendung eingerechnet.)

Der wachsenden Bedeutung des artilleristischen Gasschießens wurden sich auch die andern Kriegführenden bewußt. Sie wandten ihm mit Recht volle Aufmerksamkeit zu.

Von den deutschen Bundesgenossen waren Türken und Bulgaren abhängig von deutschen Lieferungen, die in einem für den Gaskrieg ausreichenden Umfange nicht erfolgen konnten; sie hätten bei der Eigenart der Kriegführung in der Türkei und auf dem Balkan nicht gelohnt. Der Gaskrieg kam hier nicht über unzulängliche Versuche hinaus.

Mit größtem Eifer ahmten die Österreicher das deutsche Vorbild nach. Ihre Gasstoffe erreichten jedoch nicht die hohe Wirksamkeit der deutschen. Auch war das Gebirge, in dem das Gas nach der Kriegslage in erster Linie zur Verwendung kommen mußte, weniger günstig für Gas. Schließlich mögen auch andere Mängel, z. B. die geringere Ausstattung an Artillerie, die Bildung der erforderlichen Gasdichten manchmal verhindert haben. Jedenfalls war man mit den Gaserfolgen nicht sehr zufrieden, ohne deshalb den Glauben an die Sache zu verlieren. Man schloß sich vielmehr immer enger an das deutsche Beispiel an.

Von den Gegnern der Mittelmächte können Russen, Italiener und die kleineren Länder außer Betracht bleiben. Sie spielten auf diesem Kampfgebiet niemals eine Rolle.

Um so heißer bemühten sich Engländer und Franzosen, gegenüber den Deutschen nicht zurückzubleiben. Nicht weniger als 25 feindliche Gasstoffe sind deutscherseits bekannt geworden, nicht weniger als 15 Gasgeschoßtypen hat der Franzose allein nach deutscher Kenntnis an die Front gebracht. Trotz allem aber gelang es dem Gegner nicht, die deutschen Kampfstoffe Grün, Blau, Gelb schnell nachzuahmen. Auch in diesem Fall sagte die Chemische Abteilung richtig voraus. Erst gegen Ende des Krieges trat der Gegner mit Gelbkreuz eigener Erzeugung auf. Die Fertigungszahlen erreichten in den letzten Kriegsmonaten nach feindlichen Quellen gewaltige Zahlen. Das feindliche Gas kam aber an der Front nicht mehr zur Geltung.

[521] Taktisch haben weder Franzosen noch Engländer jemals die Höhe des deutschen Verfahrens erreicht. Ihnen fehlte die folgerichtige Durchbildung des Gedankens der Massenverwendung. Die so gut wie wirkungslose Einzelverwendung blieb bei ihnen bis zum Schluß des Krieges die Hauptart der Verwendung.

Nur selten hat das französische Artilleriegas größeren Einfluß auf bedeutendere Kampfhandlungen gewonnen, z. B. beim Kampf um die Laffaux-Ecke im Herbst 1917. Das damals in großen Massen verwendete Gas strömte in den tiefen Mulden hinter der deutschen Stellung zusammen, erschwerte die Verbindung nach vorn ungemein und zermürbte die tapferen Verteidiger, nachdem sie tagelang ausgeharrt hatten, so sehr, daß sie dem gewaltsamen Angriff schließlich erlagen.

Viel Wirkung wurde dem feindlichen Artilleriegas auch in den letzten Kriegsmonaten zugeschrieben. Das ist aber großenteils Übertreibung. Die deutschen Gasverluste in dieser Zeit entsprachen damals ebensowenig wie jemals früher den vielfach leichtfertig verbreiteten Gerüchten.


4 [1/518]Nachstehende Zahlen geben nur Annäherungswerte, die in der Hauptsache den Artilleriebefehlen für den 27. Mai entnommen sind. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte