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Bd. 3: Der deutsche Landkrieg, Dritter Teil:
Vom Winter 1916/17 bis zum Kriegsende

Kapitel 1: Die Grundlagen
für die Entschlüsse der Obersten Heeresleitung
vom Herbst 1916 bis zum Kriegsende
  (Forts.)

Generalleutnant Max Schwarte

3. Der Winter 1916/17.

Diese Freiheit aber war außerordentlich gering; das hatten die Erfahrungen dieser letzten Monate erkennen lassen. Vor allem machten sich auch Einflüsse und Rücksichten geltend, die nicht unmittelbar militärischer Art waren. Sie waren die Folge der in den letzten Monaten des Jahres 1916 eingetretenen Änderung der Allgemeinlage.

Hauptsorge der Obersten Heeresleitung war naturgemäß die Frage, ob und in welcher Form der Krieg militärisch zu führen sei, um einen günstigen Ausgang zu erzielen. Die personellen und materiellen Stärkeverhältnisse waren so ungleich, daß sie sich über die Unmöglichkeit klar war, aus der Abwehr des Jahres 1916 zum Angriff im Jahre 1917 überzugehen. Damit war allerdings nicht die Kriegsentscheidung zu erzwingen; wenn sie sich trotzdem auf Abwehr einstellte, so beugte sie sich dem Zwang der Verhältnisse. Aber die ungeheuren Verluste zeigten anderseits, daß der Abwehrkampf nicht in der bisherigen Form durchgeführt werden durfte, sollte er nicht in kürzester Zeit zu einer völligen [10] Erschöpfung des Heeres führen. Diese Erkenntnis führte zu Erwägungen, wie man die Truppen der erdrückenden Wucht der feindlichen Kampfmittel gegenüber stärken oder sie ihr entziehen könne, ohne schwerwiegende andere Nachteile einzutauschen. Zunächst mußte zur Vermehrung der Kampfmittel aus Deutschlands Industrie alles herausgeholt werden, was von ihr irgend zu leisten war: auch vor ungewöhnlichen Mitteln (Arbeitszwang und Eingriffe in das Privateigentum zur Gewinnung unentbehrlicher Metalle) durfte man nicht zurückschrecken. Die Vermehrung der Kräfte für besondere Facharbeiten mußte, wenn nötig, durch geschulte Arbeiter aus dem Heere, alles übrige durch Heranziehung aller arbeitsfähigen Männer und Frauen der Heimat aufgebracht werden. Um dazu die Grundlage zu schaffen, regte die Oberste Heeresleitung ein "Hilfsdienstgesetz" an.

Was dem Heere an Ersatz zugeführt werden konnte, entsprach nicht dem Bedürfnis. Die vielseitigen Anforderungen überschritten die Leistungsfähigkeit des Volkes. Was als kampffähiger Ersatz noch vorhanden war, wollte die Oberste Heeresleitung nicht in die geschwächten Bataillone einstellen, sondern verwendete sie zur Aufstellung von 13 neuen Divisionen, die ihr eine gewisse Entschlußfreiheit verschaffen sollten. Zum kraftvollen Einsatz der vermehrten mechanischen und materiellen Kampfmittel forderte sie zahlreiche Neuformationen an Feld- und schwerer Artillerie und schuf für sich selbst eine Heeresartillerie als frei verfügbare Reserve. Die Fliegerwaffe wurde von ihr in großzügiger Weise ausgestaltet und im gleichen Maße die Flugabwehr vervollkommnet. Der Mangel an Pferden und die veränderten Kampfbedingungen zwangen zur Umformung der Masse der Kavallerie in Kavallerie-Schützenregimenter. Weiter wurden die Kolonnen und Trains bodenständig gemacht und dadurch gleichzeitig das Verschieben der Divisionen erleichtert.

Eine zahlenmäßig Verstärkung der Bataillone war also ausgeschlossen. Um so mehr mußten die Truppern weitgehend geschont und der zwecklosen Vernichtung entzogen, das Kampfverfahren also dem feindlichen Angriffsverfahren angepaßt werden.

Als Abschluß der Kämpfe des Jahres 1916 mußten die Truppen die Kampfstellung ausbauen, während neue Stellungen hinter der Front Arbeitskolonnen zugewiesen wurden. Dieser Arbeitsdienst der abgekämpften Truppe mußte aber eingeschränkt werden, um ihr die dringend notwendige Ruhe zu geben und um sie für das neue, bewegliche Abwehrverfahren schulen zu können. Eine neue Vorschrift: "Grundsätze für die Führung der Abwehrschlacht im Stellungskriege" und andere Vorschriften gaben den Divisionen die Anweisungen für die Übung des neuen Verfahrens; zahlreiche Lehrkurse, Schieß- und Übungsplätze wirkten in gleichem Sinne, vor allem zur Schulung des zahlreichen Nachwuchses an Offizieren. Hand in Hand mit der sorgfältigen Ausbildung der Truppen gingen vorbereitende Maßnahmen für die Kampfführung.

[11] Um die zwecklose Opferung unersetzlicher Menschenleben zu vermeiden, ordnete die Oberste Heeresleitung, beeinflußt vor allem von der durch die bisherigen Kämpfe am stärksten betroffenen Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht, schon im September den Bau großer rückwärtiger Stellungen an, auf die die Divisionen der Front zurückgezogen werden sollten, bevor ihre Kampfkraft in der vordersten Stellung völlig zerschlagen war. Gleichzeitig verfolgte sie mit dieser Maßregel die weitere Absicht der Abgleichung weit vorspringender Teile der Front, durch deren Besetzung übertrieben starke Kräfte beansprucht wurden, vor allem des in Richtung Roye weit nach Südwesten vorspringenden Winkels und, südlich Verdun, des sog. St. Mihiel-Bogens. Durch die gleichzeitige Wahl kampftaktisch günstiger und technisch gut auszubauender Linien konnte deren Besatzung eingeschränkt werden. Damit gewannen zunächst die Heeresgruppen, dann aber auch die Oberste Heeresleitung die Möglichkeit, Divisionen zurückzuziehen und die für die Kampfführung unentbehrlichen Reserven zu gewinnen. Ein weiterer Gewinn war, daß sich bei ihrer Räumung den zum Angriff gegen die jetzigen Stellungen sich anschickenden Gegner zu neuen Entschlüssen und zeitraubenden Vorbereitungen zwangen. Die Bestimmung, ob und wann diese rückwärtigen Stellungen bezogen werden sollten, behielt sich die Oberste Heeresleitung vor. Die Bestimmung ihrer Linienführung erfolgte in Zusammenarbeit mit den Heeresgruppen, die Ausführung unter deren Leitung. Dazu mußten große Massen von Arbeitern aus der Heimat aufgeboten werden. Die von der Obersten Heeresleitung geforderten Zahlen konnten aber nur so weit aufgebracht werden, daß derartige rückwärtige Stellungen nur auf dem westlichen Kriegsschauplatz gebaut werden konnten.

Mit diesen Maßnahmen war eine Vorbereitung des weiteren Kampfes an der Front eingeleitet. Mit rein auf die Abwehr eingestellten Maßnahmen konnte aber keine Kriegsentscheidung erzwungen werden; dazu waren andere Wege nichtmilitärischer Art nötig.

Ein Ereignis von tiefgehenden Folgen war der Tod des Kaisers Franz Joseph am 24. November. Trotz der schmerzlichen Erinnerung an 1866 war der greise Herrscher ein treuer, ehrlicher Bundesgenosse gewesen. Das Eintreten des Deutschen Reiches in seines Reiches Not hatte sein Vertrauen nur festigen können. Sein Eingreifen hatte mitgewirkt, daß sich General v. Conrad nach Rumäniens Kriegserklärung nach jahrelangem zähen Widerstreben zu der deutschen Forderung eines einheitlichen Oberbefehls beider Mittelmächte verstand. Mit seinem Tode zerriß das Band, das die längst auseinanderstrebenden Nationalitäten Österreich-Ungarns notdürftig zusammenhielt. Ob Erzherzog Franz Ferdinand es vermocht hätte, sie zusammenzuhalten, muß dahingestellt bleiben. Für den neuen jugendlichen Kaiser Karl mußte die Aufgabe bei seiner mangelnden Erfahrung kaum lösbar sein. Seine ersten Regierungshandlungen suchten durch Entgegenkommen, Begnadigungen usw. die Völker zu gewinnen, [12] gaben aber durch den Eindruck der Schwäche nur den Anlaß zu verstärkter Zersetzung; sie beeinflußten aber auch ungünstig die Stimmung im Heere, das für die Schonung von Verbrechern, Landesverrätern usw. kein Verständnis hatte.

Von unmittelbarem Einfluß war, daß er als oberster Kriegsherr eine einflußreichere Rolle als Kaiser Franz Joseph spielen wollte. Die eben erst mühsam erreichte Einheitlichkeit des Oberbefehls schien ihm als Eingriff in seine Befehlsgewalt unerträglich; er wußte sie durch erhebliche Einschränkungen zum Teil wieder aufzuheben. Von noch tieferen Folgen war, daß er - nach Verabschiedung des Erzherzogs Friedrich, des bisherigen Oberbefehlshabers des k. u. k. Heeres - den ihm zu selbständigen Chef des Generalstabes, Conrad v. Hötzendorf, seiner Stellung enthob und mit dem Oberbefehl an der Tiroler Front betraute, und gleichzeitig auch den bewährten Chef der Operationsabteilung, General Metzger, in eine andere Dienststelle versetzte. Damit wurde das trotz wiederholter gegensätzlicher Anschauungen und Reibungen in jahrelanger Arbeit erzielte vertrauensvolle Zusammenarbeiten der beiden Obersten Heeresleitungen unterbrochen. Chef des Generalstabes wurde General Arz v. Straußenberg, Chef der Operationsabteilung Oberst v. Waldstätten. Beide hatten in verantwortungsvollen Stellungen gemeinsam mit den deutschen Führern gearbeitet und brachten besten Willen mit. Aber dem neuen Chef fehlten die großen Feldherrngaben Conrads, die Kraft starken Entschlusses und selbständigen Denkens und das Durchsetzen des als richtig Erkannten bei Kaiser Karl. Er war Berater seines Obersten Kriegsherrn, ohne aber den nötigen Einfluß auf ihn im Sinne gemeinsamer militärischer Notwendigkeiten zu erringen. Besonders unheilvoll war, daß der Kaiser, unter dem Einfluß seiner Gemahlin stehend, sich nicht zu der unerschütterlichen Bündnistreue des alten Kaisers dem deutschen Volke gegenüber verpflichtet fühlte, das doch nur seinem Lande zuliebe in den Krieg getreten, und daß er nur von einem Gedanken beseelt war: der Sehnsucht nach dem Frieden, auch unter Opfern.

General Ludendorff hatte in seine neue Stellung den festen Willen mitgebracht, sich von der Politik gänzlich fernzuhalten. Die Gewalt der Ereignisse belehrte ihn bald, daß Politik und Kriegführung untrennbar miteinander verknüpft seien. - Als sich die Oberste Heeresleitung für das Jahr 1917 auf reine Abwehr einstellen mußte, die eine Kriegsentscheidung nicht erzwingen konnte, mußte sie auf andere Mittel drängen, um zum Frieden zu gelangen. Sie erkannte nur zwei: Verhandlungen auf diplomatischem Wege oder Steigerung der Kriegsanstrengungen über das bisherige Maß hinaus. Eine Steigerung zu Lande war ausgeschlossen; so blieb als letztes Mittel nur der rücksichtslose Einsatz des schon zweimal begonnenen, aber auf Einspruch von neutraler Seite wieder zurückgezogenen U-Bootkrieges in uneingeschränkter Form. Daß vorher jede Friedensmöglichkeit versucht werden müsse, war bei der außerordentlich ernsten Kriegslage für die Oberste Heeresleitung selbstverständlich.

[13] Sie stimmte deshalb der Absicht des Reichskanzlers zu, den Präsidenten Wilson der Vereinigten Staaten zu einem Friedensschritt bei den kriegführenden Mächten, und zwar vor seiner im November bevorstehenden Wiederwahl, zu ersuchen. Wilson lehnte zwar den Antrag nicht ab, kam aber mit ihm weder vor noch nach seiner Wahl an die Öffentlichkeit. Da dieser Schritt ergebnislos zu sein schien, trat unter dem Einfluß des Kaisers Karl und seiner Gemahlin der k. u. k. Minister des Auswärtigen, Baron Burian, mit dem Vorschlage hervor, daß seitens der Mittelmächte selbst ein Friedensangebot unmittelbar an die Gegner erfolgen solle. Auch gegen diesen Versuch erhob die Oberste Heeresleitung keinen Einspruch. Bei der großen Gefahr einer seelischen Beeinflussung - der eigenen Völker und Truppen in niederdrückendem, der feindlichen Staaten in aufpeitschendem Sinne - forderte sie aber, daß der Schritt erst geschehen sollte, wenn gute Erfolge der Mittelmächte den Verdacht der Schwäche ausschlossen. Nach dem Fall von Bukarest und dem Abflauen der Entente-Angriffe im Westen schien das Friedensangebot ungefährlich, besonders als die Annahme des Hilfsdienstgesetzes (S. 14) im Reichstag zugleich den Entschluß zum Kampfe bis zum äußersten darzutun schien.

Die zur Herstellung der Kampfmittel erforderlichen Arbeitermassen aus dem Volke herauszuholen und in richtiger Weise einzusetzen, gehörte nicht eigentlich zur Tätigkeit der Obersten Heeresleitung. Aber die ungeheure Abhängigkeit des Heeres von der sicheren Zufuhr dieser Kampfmittel zwang sie, darauf Einfluß zu gewinnen, um so mehr, als die Ansprüche des Heeres an Ersatz sich mit den Forderungen der Industrie kreuzten. Sie forderte, daß durch Herabsetzung der Ansprüche an die Einstellungspflichtigen, schärfstes Auskämmen aller Kriegsverwendungsfähigen für die Front, aller Garnisonsdienstfähigen für den Waffendienst hinter der Front, aller Arbeitsverwendungsfähigen für den Arbeitsdienst und durch Ausdehnung der Wehrpflicht vom 17. bis 45. auf das 15. bis 60. Lebensjahr die Kräfte aufgebracht werden sollten, die zur Weiterführung des Kampfes notwendig waren; Frauen sollten dort die Arbeit übernehmen, wo nicht männliche Kraft unentbehrlich war. Die bisherige Entwicklung hatte nicht nur die volle Erfassung der Personen verhindert, sondern auch eine gerecht wirkende Entlohnung der Arbeit. Um diese das Volk verbitternden Zustände zu beseitigen, schlug die Oberste Heeresleitung als Ausgleich der schweren Wehrpflicht eine allgemeine Arbeitspflicht des ganzen Volkes unter staatlicher Regelung der Entlohnung vor. Gewiß bedeutete das einen tiefen Eingriff in das staatliche, wirtschaftliche und politische Leben; aber sie war sich klar, daß eine Weiterentwicklung des jetzigen Zustandes zu einer Zersetzung des Volkes führen müsse. Der Reichskanzler lehnte ihren Antrag auf Einführung einer allgemeinen Arbeitsdienstpflicht ab; ihm fehlte die Erkenntnis des ungeheuren Ernstes der Lage und der Wille, auch die letzten Mittel zu ergreifen, um sie zu beherrschen.

[14] Erst im Oktober, nach wiederholtem Drängen, brachte er das "Hilfsdienstpflichtgesetz" im Reichstage ein, das in den ersten Paragraphen zwar den von der Obersten Heeresleitung beabsichtigten Zweck zum Ausdruck brachte, eine konsequente Durchführung aber unterließ. In seiner auch noch vom Reichstag gemodelten, endgültigen Fassung wirkte das Gesetz direkt nachteilig; seine erste äußerliche Wirkung auf die Entente war nicht von Dauer. Regierung und Volksvertreter hatten in diesem großen Gedanken versagt. - Das von der Obersten Heeresleitung gleichzeitig angeregte Hilfsverdienstkreuz konnte, da es lediglich auf moralische Wirkung hinzielte, keine Änderung hervorrufen.

Das Hilfsdienstpflichtgesetz reichte nicht aus, den ungeheuren Bedarf an Kampfmitteln zu sichern. Vor allem fehlten Facharbeiter in großer Zahl; die Oberste Heeresleitung mußte sie stellen und dazu 125 000 Mann in die Heimat entlassen. Bei ihrer Einstellung beging die Regierung zwei schwere Fehler: sie bewilligte diesen auf Zeit Reklamierten die Entlohnung der Zivilarbeiter und volle Freizügigkeit, machte dadurch den Zweck ihrer Entlassung und sogar ihre Kontrolle für die spätere Rückberufung zur Front zunichte. Steigerung der Kosten und gleichzeitige Abnahme der Arbeitsleistung waren die Folge, die sich weiter steigerte durch die bald einsetzenden Streiks in den Waffen- und Munitionsfabriken. Vor einem energischen Einschreiten gegen die Streikenden schreckte die Regierung zurück.

Zur Erfüllung der im "Hindenburg-Programm" aufgestellten Anforderungen war eine Steigerung der Kohlen- und Eisenproduktion Voraussetzung und, um diese zu erreichen, die Entlassung weiterer 50 000 Soldaten in die Heimat nötig. Wie wenig aber die Heimat die Not erkannte, zeigte sich, als trotz dieser großen Zahl zur Arbeit Entlassener nur eine ganz unbedeutende Steigerung der Förderung eintrat.

Bei den vielfach gleichartigen Ansprüchen des Heeres, der Marine und der Heimat mußten diese von einer Stelle nach großen Gesichtspunkten geregelt werden. Dazu entstand auf Anregung der Obersten Heeresleitung das Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt und zur einheitlichen Lösung der Mannschafts-, Rohstoff- und Fertigungsfrage für alle Bedarfsstellen das Kriegsamt. Auch die Not um die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Bekleidung erstreckte sich auf alle Teile des Volkes. Die Anregung der Obersten Heeresleitung, auch hier eine gemeinsame Regelung eintreten zu lassen, war vergeblich. Schließlich regte sie bei der dauernd schwieriger werdenden Verkehrslage eine Regelung an, die den Bedürfnissen aller Teile des Volkes gerecht wurde. Und zu allen diesen Sorgen um das eigene Volk traten die Ansprüche der Bundesgenossen.

Nicht nur die körperliche Leistungs- und Kampffähigkeit, sondern auch die seelische Stimmung und Kampffreudigkeit wurden gerade von diesem Problem am stärksten beeinflußt. Durch Zusammenarbeit mit dem Kriegsernährungsamt suchte die Oberste Heeresleitung selbst einzuwirken; durch Herabsetzung des Ver- [15] pflegungssatzes für Mann und Pferd im Heere bis zur äußersten Grenze half sie der gerade im "Kohlrübenwinter" 1916/17 besonders schlimmen Ernährungsnot zu steuern. Erst die Vorräte Rumäniens brachten eine fühlbare Erleichterung.

Fast noch schwerer als um die Erhaltung der körperlichen Leistungsfähigkeit lastete auf der Obersten Heeresleitung die Sorge um die geistige und seelische Spannkraft im Volke, der die Reichsregierung verständnislos und deshalb untätig gegenüberstand, sowie um die von der Regierung vernachlässigte Propaganda bei den Neutralen. Aber ihre Anträge auf diesem Gebiet blieben gleichfalls ergebnislos. Ihre eigene Arbeit zur Abwehr der feindlichen Propaganda und zur Förderung der eigenen mußte ohne Wirkung bleiben. Die gleiche Verständnislosigkeit bestand gegenüber den schädlichen Ansprüchen der politischen Parteien. Diese ungeheure Gefahr vom Heere fernzuhalten, blieb sie bis aufs äußerste bestrebt; die Stimmung auch im Volke zu heben, konnte sie von der Regierung fordern, aber nicht erzwingen. Das Phantom eines "Verständigungsfriedens" begann seine besonders gefährliche, schwächende Wirkung zu tun. Deshalb forderte sie von der Regierung, die Presse stärker in den Dienst des Krieges zu stellen. Sie mußte auch da selbst eingreifen, weil ihr Antrag, hierzu eine besondere Abteilung der Reichskanzlei einzurichten, vom Reichskanzler abgelehnt wurde. Sie schuf das Kriegspresseamt, das sich naturgemäß jeder politischen Beeinflussung der Presse enthalten mußte. Die ergänzende Aufklärungsarbeit der Regierung im Innern und im Auslande blieb aus. So konnte die von der Obersten Heeresleitung eingerichtete Organisation die durch Wort und Bild und Film erstrebte Beeinflussung nicht gewinnen.

Zu allen diesen Schritten und Anträgen entschloß sich die Oberste Heeresleitung in der klaren Erkenntnis, daß in diesem Kriege ein Erfolg nur dann möglich würde, wenn jeder Mann, jede Frau und jedes Mittel seine letzte Kraft für die Gemeinschaft hergab. Da die Regierung in dieser Erkenntnis völlig versagte, sah sie sich gegen Wunsch und Absicht gezwungen, ihren stärkeren Willen einzusetzen, um überhaupt den Krieg weiterführen zu können. Hatte sie bis zum Frühjahr 1917 auch nicht alles erreicht, was sie wollte, so sah sie doch mit gestärktem Vertrauen den erwarteten Kämpfen entgegen.

Die Friedenskundgebung am 12. Dezember wurde von der Entente mit Hohn abgelehnt. Das deutsche Heer verstand sie nicht. Die Heimat erlitt durch sie in ihrer Zuversicht einen ersten merkbaren Stoß. Als Wilson, trotz ihrer Abweisung seitens der Entente, am 18. Dezember alle kriegführenden Staaten aufforderte, ihre Ansichten über die Bedingungen anzugeben, unter denen der Krieg zum Abschluß gebracht werden könne, erklärten die Regierungen der Mittelmächte am 26. Dezember ihre Bereitwilligkeit; die Ententemächte lehnten am 12. Januar ab. Damit blieb der Obersten Heeresleitung nur der Einsatz des letzten, Erfolg versprechenden Kampfmittels - des U-Boots.

Sie war in der Beurteilung seiner Wirkung auf das Urteil der Marine- [16] leitung angewiesen. Der Chef des Admiralstabs, Admiral v. Holtzendorff, rechnete auf anscheinend sicheren Grundlagen, daß die Einbuße an Schiffsraum binnen eines halben Jahres England friedensgeneigt machen werde.3

Sprach dieses sachverständige Urteil für den Einsatz der U-Boote, so war die Oberste Heeresleitung aber auch abhängig von den etwaigen politischen Folgen. Die Waffe konnte nur dann entscheidend wirksam werden, wenn sie sich gegen jedes Schiff im Dienste der Gegner wandte. Da die Entente rücksichtslos auch die Schiffe der Neutralen in ihren Dienst gezwungen hatte, konnten auch diese nicht von der Torpedierung ausgenommen werden. Wie die Neutralen dies auffassen und beantworten würden, war nicht vorauszusehen. Die Oberste Heeresleitung mußte für den schlimmsten Fall alle notwendigen militärischen Maßnahmen vorbereiten.

Nach Übernahme der Kriegsleitung hatten am 30. August Feldmarschall v. Hindenburg und General Ludendorff dem Reichskanzler den unbeschränkten U-Bootkrieg als nicht notwendig bezeichnet. Bei der jetzt erst gewonnenen vollen Klarheit über den furchtbaren Ernst der Lage hatten sie ihr Urteil ändern müssen: nicht nur daß der Krieg in der reinen Abwehr entscheidungslos bleiben müsse; es würden auch die Divisionen der Westfront kaum den erneuten Anstürmen der Gegner gewachsen sein, wenn diese mit noch weiter gesteigerten Kämpfer- und Materialmassen einsetzten. Jetzt erkannten sie den unbeschränkten U-Bootkrieg als notwendig. Als sie im August auf den U-Bootkrieg verzichteten, hatte der Reichskanzler erklärt, daß er für die Folge den Entschluß, den U-Bootkrieg in Form des Sperrgebietskriegs zu führen, von einer Erklärung des Generalfeldmarschalls abhängig machen werde. Der uneingeschränkte U-Bootkrieg werde also kommen, wenn der Generalfeldmarschall es wünsche. - Die gleiche Erklärung am 28. September im Reichstag löste außerordentlich widerstreitende Meinungen bei den Parteien aus und zog in diese parteipolitischen Auseinandersetzungen dadurch auch die Oberste Heeresleitung hinein. Damit hatte sie der Reichskanzler in einer außenpolitischen Frage, die er wiederholt als unter seine alleinige Verantwortung fallend bezeichnet hatte, dem Reichstag gegenüber als Ursache seines eigenen Entschlusses hingestellt. Mehr und mehr schob er ihr die Verantwortung für die Entscheidung der Führung oder des Unterlassens des uneingeschränkten U-Bootkrieges zu. Im Verlauf der Verhandlungen erklärte er, daß die Entscheidung darüber zu den Rechten der Obersten Kommandogewalt, also des Kaisers, gehöre; daß die Frage selbst aber mit Rücksicht auf ihre politischen Wirkungen dem Auswärtigen Amt zufalle.

Der seit Oktober wirkende U-Bootkreuzerkrieg brachte gute Erfolge und fühlbare Erschwernisse des feindlichen Wirtschaftslebens. Aber die halbe Maßregel zeitigte auch eine üble Wirkung: die Gegner gewannen Zeit und Möglichkeit, gegen die gefährliche Waffe ausreichende Abwehrmittel vorzubereiten.

[17] Die Gefahr von Gegenmaßnahmen seitens der Neutralen schien durch den Erfolg in Rumänien vermindert. Auswärtiges Amt und Oberste Heeresleitung erwarteten jetzt nicht mehr, daß ein neutraler Staat des U-Bootkrieges halber den Krieg erklären werde. Immerhin mußte die letztere alle Maßregeln dagegen vorbereiten. Da sie hierzu nur über die in Rumänien freiwerdenden Truppen verfügte, forderte sie, daß der unbeschränkte U-Bootkrieg erst einsetze, wenn deren Rücktransport und Bereitstellung durchgeführt waren. Sie verlangte deshalb den Beginn am 1. Februar.

Anders als die Stellung der europäischen Neutralen war die der Vereinigten Staaten; mit ihrer Kriegserklärung mußte gerechnet werden. Auf der Obersten Heeresleitung lag eine außerordentlich schwere Verantwortung, wenn sie die Teilnahme der Vereinigten Staaten am Kriege erwog. Da diese erst ein für den Krieg geschultes Heer aufstellen und ausbilden mußten, würden zwar im Jahre 1917 keine nennenswerten Verstärkungen in Frankreich auftreten, wohl aber vom Beginn des Jahres 1918 ab in immer steigendem Maße. Die Zuversicht der Marineleitung, daß bis dahin der U-Bootkrieg längst die Entscheidung gebracht haben würde, gab den Ausschlag; alle Vorbereitungen zu seiner rücksichtslosen Durchführung seien überdies getroffen. Wenn die Oberste Heeresleitung auch die Berechnung des Admiralstabes nicht als absolut richtig ansah, so meinte sie doch, innerhalb des Jahres 1917 die versprochene Wirkung annehmen zu können. Sie sah deshalb in ihm das Kampfmittel, das dem Krieg einen günstigen Umschwung geben werde. Durch das Jahr 1917 glaubte sie zuversichtlich, selbst gegen gesteigerte Materialschlachten im Westen die Front halten zu können, besonders dann, wenn der unbeschränkte U-Bootkrieg auch eine Verminderung des feindlichen Nachschubs an Kampfmitteln erzwingen werde.

Am 23. Dezember erklärte Feldmarschall v. Hindenburg dem Reichskanzler die Notwendigkeit des unbeschränkten U-Bootkrieges; dieser war zu Besprechungen bereit, sobald der Ausgang der Friedensangebote feststehe, und wies gleichzeitig erneut darauf hin, daß jener Schritt ein Akt der auswärtigen Politik sei, für die er allein die Verantwortung trage. Der Feldmarschall erkannte diese ausschließliche Verantwortung an, forderte aber für sich nachdrücklich das Recht, in vollem Verantwortungsgefühl für den siegreichen Ausgang des Krieges dafür einzutreten, daß militärisch das geschieht, was er dazu für richtig halte.

Somit lag, falls der Reichskanzler aus politischen Gründen den unbeschränkten U-Bootkrieg verwerfen sollte, die Entscheidung beim Kaiser. In der entscheidenden Beratung am 9. Januar erklärten Feldmarschall v. Hindenburg und der Chef des Admiralstabs ihn als notwendig; der Reichskanzler wich einer eigenen Stellungnahme aus: "Wenn aber die militärischen Stellen den U-Bootkrieg für notwendig halten, so bin ich nicht in der Lage, zu widersprechen." Einen Erfolg der Friedensnoten oder eine Änderung der politischen Lage erwartete auch er nicht mehr; der Kaiser trat den Darlegungen bei und befahl [18] den Beginn des unbeschränkten U-Bootkrieges am 1. Februar. - Die notwendigen diplomatischen Schritte übernahm der Reichskanzler, die Anordnungen für die Flotte erließ der Chef des Admiralstabs, die Sicherungsmaßnahmen gegen Holland und Dänemark die Oberste Heeresleitung.

Ein nochmaliger Friedensvermittlungsvorschlag des Präsidenten Wilson Ende Januar beeinflußte den Beginn des unbeschränkten U-Bootkrieges nicht. Der nach Washington gehenden Erklärung, die Reichsregierung sei bereit, die Einstellung des U-Bootkrieges zu befehlen, sobald eine erfolgversprechende Grundlage für Friedensvermittlungen geschaffen sei, stimmte die Oberste Heeresleitung zu. - Österreich-Ungarn schloß sich der Erklärung des unbeschränkten U-Bootkrieges an und ermöglichte damit seine Durchführung auch im Mittelmeer, wo seine Aussichten besonders günstig waren.

Da alle Friedensbemühungen von den Gegnern abgelehnt worden waren, erklärte sich schließlich auch der Deutsche Reichstag am 27. Februar einheitlich für seine Durchführung, indem er die Verantwortung den feindlichen Staaten zuwies, deren Vernichtungswille jetzt offenbar geworden war.


3 [1/16]Siehe hierzu Band 4, Seekrieg, S. 254 ff. [Scriptorium merkt an: eigentlich S. 239]. ...zurück...


Der Weltkampf um Ehre und Recht.
Die Erforschung des Krieges in seiner wahren Begebenheit,
auf amtlichen Urkunden und Akten beruhend.
Hg. von Exzellenz Generalleutnant Max Schwarte