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Friedrich Heidelck

Schriften des Osteuropa-Institutes in Breslau, Neue Reihe, Heft 3.

Verlag Priebatsch's Buchhandlung, Breslau © 1934.
Dieses Digitalisat © 2016-2019 by The Scriptorium.
PDF PDF zum Herunterladen © 2019 by The Scriptorium.
 

Die Gesamttätigkeit der preußischen Ansiedlungskommission
Die Annullation und das Wiederkaufsrecht
Die Methode der Feststellung
      A. Die private deutsche Volkszählung von 1926
      B. Die Fragebogen vom 1. 4. 1932
Die Ergebnisse der privaten deutschen Volkszählung von 1926
Die Ergebnisse der Fragebogen vom 1. 4. 1932
      in Pommerellen und im Netzegau
Folgerungen und Schlüsse
Anhang / Anlagen
Literatur-Verzeichnis
Anmerkungen
Mehr zum Thema


Das heute an Polen abgetretene Gebiet von Westpreußen (Pommerellen) und Posen.
Zum besseren Verständnis - Scriptorium merkt an:
das "heute (1934) an Polen abgetretene Gebiet von Westpreußen (Pommerellen) und Posen" ist auf dieser Karte rosa eingezeichnet.
Karte aus: Hg. Leers & Frenzel, "Atlas zur Deutschen Geschichte der Jahre 1914 bis 1933", Velhagen & Klasing, Bielefeld/Leipzig 1934, S. 20.      [Vergrößern]
[1] Nach der deutschen Volkszählung von 1910 wohnten in dem heute an Polen abgetretenen Gebiet von Westpreußen (Pommerellen) und Posen 1 100 372 Deutsche, ungerechnet 29 143 zweisprachige. Nach der von der Zentralgeschäftsstelle der deutschen Abgeordneten und Senatoren in Bromberg im Sommer 1926 veranstalteten privaten deutschen Volkszählung in Posen und Pommerellen war die Zahl der Deutschen auf 341 505 gesunken; wenn man jedoch gewisse Erschwerungen der Zählung in Betracht zieht, die zufolge hatten, daß eine Anzahl von Deutschen nicht mitgezählt werden konnte, ist mit rund 370 000 zu rechnen. Daraus ergibt sich ein Verlust an Deutschen in den Jahren 1910–1926 von rund 730 000 Seelen. Diese Zahl kann nach den Berechnungen von Rauschning1 auch bestehen bleiben für den Unterschied zwischen der Zahl der Deutschen zu Ende des Jahres 1918 und Mitte des Jahres 1926. Die deutsche Bevölkerung im abgetrennten Gebiete betrug Mitte 1926 also nur noch 31% des Bestandes von 1910 bzw. 1918. Der Rückgang ist in Westpreußen (Pommerellen) mit 72,2% am stärksten, im Netzedistrikt (Regierungsbezirk Bromberg) mit 66,0% am geringsten; er betrug im Regierungsbezirk Posen 67,9%. Die Abwanderung bzw. Verdrängung der Deutschen ist in Stadt und Land verschieden. In Pommerellen ist die deutsche Bevölkerung in den Landgemeinden und Gutsbezirken von 258 343 auf 93 760, d. h. um 63,7%, im Regierungsbezirk Bromberg von 164 857 auf 84 637 = um 48,7%, im Regierungsbezirk Posen von 181 519 auf 91 253 = um 49,7%, in den Städten des Gesamtgebietes von 495 653 auf 71 855, d. h. um 85,5% zurückgegangen, Es erweist sich also, daß die ländliche Bevölkerung im wesentlich geringeren Maße als die städtische abgewandert ist. Immerhin beträgt die Abwanderung der Landbevölkerung in Pommerellen noch 63,7%.

[2] Vom Jahre 1919 bis zum Jahre 1926 hat, wie die obigen Zahlen ergeben, in dem verhältnismäßig kleinen Gebiet der beiden ehemaligen preußischen Provinzen eine Bevölkerungsumschichtung stattgefunden, wie sie in der Geschichte kaum jemals vorgekommen ist. Rauschning2 wirft die Frage auf, wie die Abwanderung hätte verlaufen müssen, wenn Polen in loyaler Weise die Schutzvertragsbestimmungen und seine eigenen Toleranzversprechungen erfüllt hätte, und nimmt diese natürliche Umschichtung, die die politische Gebietsveränderung notwendigerweise mit sich gebracht hätte, mit nur 60–80 000 Seelen an. Von polnischer Seite ist zur Erklärung der Riesenabwanderung darauf hingewiesen worden, daß die Mehrzahl der deutschen Bevölkerung von der preußischen Regierung zwangsweise ins Land gebracht und dort durch künstliche Mittel gehalten worden sei, was nur zu leicht erkläre, daß diese Bevölkerung, nachdem sie des mächtigen Schutzes der preußischen Regierung beraubt gewesen sei, in Scharen das ihr an sich fremde Land verlassen habe.3 Es geht auf die zielbewußte polnische Propaganda zurück, wenn es in der Antwort der Alliierten auf die deutsche Denkschrift zu dem Entwurf des Friedensvertrages heißt:4

"Überdies muß man sich die Methoden ins Gedächtnis zurückrufen, mit denen die Deutschen in gewissen Gebieten ihr Übergewicht erreicht haben. Die deutschen Kolonisten, die deutschen Einwanderer, die deutschen Bewohner sind nicht allein auf Grund natürlicher Ursachen gekommen. Ihre Anwesenheit ist die unmittelbare Folge der von der preußischen Regierung befolgten Politik, die ihre ungeheuren Hilfsmittel nutzbar gemacht hat, um die eingeborene Bevölkerung des Besitzes zu entsetzen und sie durch eine nach Sprache und Nationalität deutsche Bevölkerung zu ersetzen. Sie hat dieses Verfahren bis zum Vorabend des Krieges fortgesetzt und zwar mit einer ausnehmenden Härte, die selbst in Deutschland Protestkundgebungen hervorgerufen hat."

Hier ist klar und deutlich in erster Linie die preußische Ansiedlungstätigkeit seit 1886 genannt. So scharf man von deutscher Seite dieses Urteil über die Tätigkeit der Ansiedlungs- [3] kommission ablehnen wird und so bedeutungslos die vier Enteignungen der Kommission auf Grund des Enteignungsgesetzes vom 20. März 1908 mit nicht mehr als l 655 ha waren, so sehr neigt man auch auf deutscher Seite dazu, anzunehmen, namentlich dort, wo die Tätigkeit der Ansiedlungskommission nur oberflächlich bekannt ist, daß der Abwanderung bezw. der polnischen Verdrängungspolitik abgesehen von den Beamten in erster Linie die seit 1886 ins Land gezogenen Ansiedler und unter ihnen selbstverständlich besonders die aus dem Westen und Süden Preußens und des Reiches stammenden zum Opfer gefallen sind.5 Darin wird wieder in gewissem Grade eine eigene Schuld preußischer Regierungsmaßnahmen an der Abwanderung und damit eine Entlastung der Haltung Polens gesehen. Das Gesamtproblem der Entdeutschung Westpreußens und Posens durch Polen ist von Rauschning in seinem nicht genug hervorzuhebenden Buche aus eigenster Kenntnis und mit reichstem Material dargestellt worden. Für die Wirkung der Entdeutschungsmaßnahmen auf die Ansiedler und ihre etwaige freiwillige Aufgabe der Siedelungsstellen fehlte es ihm aber an dem einschlägigen Material. Dies liegt jetzt über die private deutsche Volkszählung von 1926 hinaus, von der Rauschning bereits die Hauptergebnisse hat benutzen können,6 in einer nur den Ansiedlungsgemeinden gewidmeten Erhebung vor, die ich im Mai und Juni 1932 vorgenommen habe. Zusammen mit der Zählung von 1926 ist nunmehr eine Grundlage gewonnen, die eine sehr genaue Einsicht in die Veränderungen der seit 1886 geschaffenen deutschen Ansiedlungen in Pommerellen und Posen während der ersten zwölf Jahre der polnischen Herrschaft ermöglicht.

[4]
Die Gesamttätigkeit der preußischen Ansiedlungskommission.7

Der Landerwerb der preußischen Ansiedlungskommission betrug bis 1918 466 750,00 ha, davon aus polnischer Hand 126 676,50,70 ha,* aus deutscher Hand 334 207,97,79 ha.* Davon liegen in dem an Polen abgetretenen Gebiet 439 337,38,34 ha, in deutschem Gebiet 18 201,91,38 ha, in Danzig 3 345,10,37 ha. Bis Ende 1918 sind 380 588 ha aufgeteilt worden.8 Zu Ansiedlerrecht sind von den 380 588 ha 309 475 ha in 19 608 Renten- und 2 176 Pachtstellen, im ganzen 21 784 Ansiedlerstellen vergeben worden. Im abgetretenen Gebiet liegen von dieser Zahl 21 161 Stellen.9 Von Ende 1918 bis zur Übergabe sind noch 284 Rentenstellen mit 4 357 ha Fläche und 144 Zulagestücke mit etwa 244 ha Fläche vergeben, ferner 788 Pachtstellen mit 8342 ha in Rentenstellen umgewandelt worden, sodaß bei Inkrafttreten des Friedensvertrages insges[amt] 31 4076 ha in 20 712 Renten-, und 1358 Pachtstellen zu Ansiedlerrecht vergeben waren, von denen aber ein kleiner Teil im deutschgebliebenen Gebiet liegt.

Von den Ende 1918 vorhandenen 21 784 Ansiedlern stammten 5764 = 26% aus den Ansiedlungsprovinzen, 10 558 = 48,5% aus dem sonstigen Deutschland, 5462 = 25% aus dem Auslande. Unter "Ausland" ist bis auf einen ganz geringen Teil Kongreßpolen, Galizien und Wolhynien, also im wesentlichen heute polnische Gebiete, und Teile von Südrußland zu verstehen.

21 114 Stellen waren mit evangelischen, 670 mit katholischen Ansiedlern besetzt.

Von dem Gesamtlanderwerb der Ansiedlungskommission waren außer den in Stellen vergebenen 309 475 ha 32 000 ha für öffentliche Zwecke (Gemeinde-, Kirchen- und Schulland, Wege, Gräben usw.) verwendet worden, 52 497 ha waren vor Aufstellung der Teilungspläne an die staatliche Domänen- und Forstverwaltung, ferner auch an Nichtansiedler veräußert und [5] 9 665 ha für spätere Zulagestücke, Landausstattungen, Bauplätze usw. zurückbehalten worden.

Von dem Unterschied der Gesamterwerbung mit 466 750 ha und der Vergebung in Ansiedlerstellen mit 309 475 ha = 157 275 ha sind 90 811 ha in 916 Gemeinden und Gutsbezirken dem polnischen Staat übergeben worden und zwar 68 036 ha zu freier Verfügung und 22 775 ha mit Auflassungsrechten Dritter belastet.

Die Denkschrift der Ansiedlungskommission vom Jahre 1913 weist die Vergebung von 21 257 Stellen nach, die sich nach der Herkunft der Ansiedler gemäß Tabelle Ia verteilen.

 
Die Annullation und das Wiederkaufsrecht

Um die Haltung der Ansiedler innerhalb der ganzen Abwanderungsbewegung richtig zu würdigen, muß man sich die besondere Lage klar machen, in der sie sich vom Jahre 1919/1920 ab befanden. Von dem allgemeinen Druck, unter dem sich das Deutschtum unter polnischer Herrschaft befand, sind sie nicht nur in demselben Maße, sondern wenn es irgend denkbar war, als den Polen besonders mißliebige Gruppe des Deutschtums stets in erster Linie betroffen worden, z. B. durch die Internierungen im Lager Szypiorno nach dem Posener Aufstande vom 27. Dezember 1918. Die Liquidation des reichsdeutschen Eigentums lastete auf ihnen besonders stark, da von allen Klassen der deutschen Bevölkerung gerade viele Ansiedler erst nach dem 1. Januar 1908 in das abgetretene Gebiet gekommen waren und damit am 10. Januar 1920 die polnische Staatsangehörigkeit nicht erlangt, sondern die deutsche Reichsangehörigkeit behalten hatten und somit der Liquidation mit allen ihren Begleiterscheinungen, besonders der der eigentlichen Liquidation vorausgehenden und gerade wieder bei den Ansiedlern besonders häufig angewandten Zwangsverwaltung10 mit ihren devastierenden und zermürbenden11 Wirkungen unterworfen waren. Dabei darf nicht vergessen werden, daß die Staatsangehörigkeit bei vielen Deutschen überhaupt ungeklärt war, sogar in dem Maße, daß eigentlich niemand sicher war, ob seine polnische Staatsangehörigkeit nicht bezweifelt und damit die Liquidation ange- [6] wendet werden konnte, wenn er ein begehrenswertes Besitzobjekt besaß. Ferner wurde grundsätzlich allen aus Kongreßpolen, Galizien und Wolhynien kommenden Deutschen, d. i. überwiegend Ansiedlern, auch wenn sie ihr ganzes Leben lang ohne die geringste Unterbrechung im Gebiete des heutigen polnischen Staates gelebt hatten, die polnische Staatsangehörigkeit in geradezu sinnwidriger Auslegung des Art. 91 des Friedensvertrages und Art. 4 des Minderheitenschutzvertrages aberkannt, wenn sie erst nach dem 1. Januar 1908 in Preußen naturalisiert worden waren, auch wenn sie bereits vor diesem Termine eine Ansiedlung im abgetretenen Gebiet bezogen hatten, bis endlich die Wiener Konvention vom 30. August 1924 diese Frage zu Gunsten der Betroffenen klärte. In sehr vielen Fällen kam diese Klärung leider zu spät, denn wenn auch die Liquidation 1924 noch nicht in vielen Fällen durchgeführt war,12 so hat der dauernde Druck und die quälende Ungewißheit gerade viele der aus russischer und galizischer Gewöhnung den Behörden gegenüber sehr weichen deutschen Rückwanderer zur freiwilligen, d. h. letzten Endes auch erzwungenen Aufgabe ihrer Siedlung veranlaßt.13

Was aber die Lage der Ansiedler gegenüber dem übrigen Deutschtum ganz besonders erschwerte, war die sogen[annte] Annullation und die Praxis der Anwendung des Wiederkaufsrechts.

Für den Erwerb des vollen Eigentums an einer Ansiedlung genügte nicht der Abschluß eines Rentengutsvertrages, sondern die Gewährung der Auflassung von Seiten der Ansiedlungskommission an den Ansiedler und die entsprechende grundbuchliche Eintragung. Auf beides hatte der Ansiedler auf Grund des Rentengutsvertrages einen privatrechtlichen und daher evtl. einklagbaren Anspruch, sodaß die Vollziehung beider Rechtshandlungen als eine reine Formsache angesehen wurde und ihr eventuelles Fehlen den Ansiedler nicht beunruhigte. Bei den unendlichen Schwierigkeiten, die die notwendige Bildung der neuen Dorfgemeinden mit der Ausschei- [7] dung von Gemeinde-, Kirchen- und Schulländereien und der Anlage von Wegen etc. verursachte, dauerten die Vermessungsarbeiten und die Neuanlage der Katasterblätter außerordentlich lange, sodaß ganze Gemeinden lange Jahre auf die Auflassung warten mußten. Während des Krieges ruhten diese Arbeiten fast ganz, und so kam es, daß bei Beendigung des Krieges eine sehr große Anzahl von Ansiedlern noch ohne Auflassung war. Die ganze Schwierigkeit der Lage wurde klar, als der polnische Aufstand am 27. Dezember 1918 in Posen ausbrach. Allein innerhalb der Demarkationslinie des Aufstandes befanden sich 1418 Ansiedlerstellen mit 15 897 ha Gesamtfläche ohne Auflassung,14 etwa ebensoviel nördlich der Demarkationslinie.15 Infolgedessen ordnete eine Verfügung des preußischen Landwirtschaftsministeriums vom 17. Februar 1919, der sich der preußische Finanzminister unter dem 14. März 1919 anschloß, die Beschleunigung der Erteilung der Auflassungen an.16 Trotzdem blieb eine beträchtliche Anzahl von Ansiedlungen bis zum 10. Januar 1920, dem Tage der Besitzergreifung des abgetretenen Gebietes durch den polnischen Staat, ohne gerichtliche Auflassung.

Polen stellte sich nun auf den Standpunkt, daß es nach Artikel 256 des Friedensvertrages von Versailles die deutschen Staatsgüter ohne Lasten übernommen habe und in bezug auf sie nicht Rechtsnachfolger des preußischen Staates, also gegenüber den Ansiedlern zur Erteilung der Auflassung auf Grund des Rentengutsvertrages nicht verpflichtet sei und daß seine Rechte bereits seit dem Datum des Waffenstillstandes vom 11. November 1918 beständen,17 obwohl es nicht zu den kriegführenden Mächten gehörte, und daß daher der preu- [8] ßische Staat nach diesem Termin keine Verfügungsberechtigung mehr über den Ansiedlungsbesitz gehabt habe, mithin die Auflassungen und die Umwandlungen von Pachtansiedlungen in Rentenansiedlungen keine Rechtskraft besäßen. In Verfolg dieser Anschauung wurde das Gesetz vom 14. 7. 1920 "Über die Übertragung der Vermögensrechte der deutschen Staaten sowie der Rechte der Mitglieder der deutschen regierenden Häuser auf den Staatsschatz Polens" erlassen, kurz "Annullationsgesetz" genannt.18 Art. 5 dieses Gesetzes ermächtigt den Staatsschatz, "nach seiner Eintragung als Eigentümer eines Grundstückes auf Grund des Art. 1 die Entfernung solcher Personen von dem Grundstück zu verlangen, welche auf Grund eines mit einer der im Art. 1 erwähnten Personen geschlossenen Vertrages sich nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes auf diesem Grundstück aufhalten".19

Unter dieses Gesetz fielen dem Wortlaut nach alle Ansiedler, die noch keine Auflassung besaßen oder sie erst nach dem 11. November 1918 erhalten hatten, und neben den Domänenpächtern auch die Pachtansiedler. Zwar glaubte man in deutschen Kreisen, daß der polnische Staat sich an die Versprechungen des Kommissariats des Obersten polnischen Volksrates in Posen vom 20. Juli 1919 halten werde, in dem es hieß: "Die Ansiedler dürfen im Rahmen des Friedensvertrages in ihrem Eigentum verbleiben... Alle wohlerworbenen Rechte der Bürger, wie... Rechte über Pachtverträge usw. werden hierdurch gewährleistet"20 und daß infolgedessen der Art. 5 gegenüber den genannten Ansiedlern in Ansehung ihrer nicht zu bezweifelnden wohlerworbenen Rechte nicht angewendet werden würde. Diese Hoffnung wurde jedoch grausam enttäuscht. Im Oktober 1921 erhielten die Ansiedler [9] eine gedruckte Mitteilung, daß der Staat als Eigentümer eingetragen sei und sie ihre Stelle zum 1. Dezember 1921 zu räumen hätten.

Als die aus dem ganzen Lande eingetroffenen Nachrichten erkennen ließen, daß es sich nicht um Einzelfälle handele, sondern um eine Aktion, die mehrere Tausende von Ansiedlern mitten im Winter in der brutalsten Weise bedrohte, wandte sich die Landesvereinigung des Deutschtumsbundes zur Wahrung der Minderheitsrechte in Bromberg am 6. November 1921 mit einem dringenden Telegramm an den Völkerbund und bat um unverzügliche Maßnahmen zum Schutze der Ansiedler.21

[10] Die Angelegenheit der annullierten Ansiedler – und in gewissem Zusammenhange mit ihr die der Staatsangehörigkeit der Geburtspolen – ist wohl die einzige Frage, deren sich der Völkerbund bisher mit einigem Nachdruck angenommen und die er in einer für ihn verhältnismäßig kurzen Zeit, d. h. bis zum Juni 1924, durchgeführt hat.

Die Entscheidung ließ aber doch zu lange auf sich warten, um die betroffenen Ansiedler vor dem Schicksal der Exmission von ihren Besitzungen zu retten. Die in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle angerufenen Gerichte arbeiteten schneller als das in Polen sonst in Zivilsachen der Fall war. Zwar hat die polnische Regierung mehrfach die Sistierung der Exmissionen versprochen. Am 18. November 1921 teilte der polnische Völkerbundvertreter Askenazy von Warschau aus dem Völkerbunde mit, daß sich die polnische Regierung, geleitet von humanitären Rücksichten, entschlossen habe, die Exmittierung nur allmählich und keinesfalls vor dem 1. 5. 1922 vorzunehmen. Trotzdem sind vom 1. Februar bis 30. April 1922 26 Vertreibungen von Annullanten erfolgt. Obwohl der Völkerbundsrat in der Maisession 1922 den Bericht des Dreierkomitees entgegennahm und in seiner Entschließung die polnische Regierung inständig (instamment) bat, sich bis zur Entscheidung des Rates aller administrativen und gerichtlichen Maßnahmen zu enthalten, die einen Einfluß auf die normale Situation der Landwirte deutscher Abstammung ausüben könnten, so bezweifelte die polnische Regierung die formalen Rechtsgrundlagen der Entschließung, nahm sie nicht zur Kenntnis und fühlte sich ihrer Verpflichtung dem Rat gegenüber frei, woraufhin am 1. 5. 1922 die Exmissionen der vorher gefällten Gerichtsurteile begannen,22 was die Entfernung von 47 Ansiedlern von ihren Stellen in der Zeit vom 1. bis 31. Mai 1922 zur Folge hatte.23

Am 3. 7. 1922 traf ein Schreiben des Direktors der Minderheitenabteilung im Völkerbundssekretariat Colban, der im Juni 1922 auf Einladung des polnischen Völkerbundvertreters Askenazy nach Polen gekommen war, um sich an Ort und Stelle [11] ein Bild von der Lage zu machen,24 in Warschau ein, als sich der neugebildete polnische Ministerrat gerade mit der Angelegenheit der Annullanten befaßte. Er beschloß auf den Brief hin, die gerichtlichen und administrativen Schritte zur Beseitigung der Ansiedler in einem gewissen Umfange, der nach Berechnung der polnischen Behörden etwa 1/5 der gesamten Annullanten umfaßte, für die Zeit vom 1. Juli bis zum Schluß der nächsten ordentlichen Völkerbundsession aufzuhalten,25 und teilte dies noch am selben Tage dem Völkerbund mit. Da die Warschauer Regierung glaubte, den vom Völkerbundrat in der Sitzung vom 30. 9. 22 angenommenen Bericht in der Ansiedlersache mit dem Rechtsgutachten der Juristenkommission des Rates nicht annehmen zu können, so ordnete sie die Wiederaufnahme der Exmissionen an.26 Aber schon für die Zeit vom 1. Juli bis 30. September 1922 verzeichnet Rauschning nicht weniger als 653 Fälle von Exmissionen,27 ein Beweis, wie wenig die polnische Regierung willens bzw. gegenüber den unteren Instanzen in Posen und Pommerellen imstande war, ihre Zusicherungen gegenüber dem Völkerbundrat einzuhalten. Die Hauptmasse der Exmissionen fand jedoch nach dem 30. September 1922 statt. Von da bis zum 21. Juli 1923 wurden 2101 Annullanten von ihren Höfen vertrieben.28 Auch als das Gutachten der Cour permanente im Haag den Ansiedlern in allen Fragen betr. die Annullation Recht gab, wurden die Annullationen weiter fortgesetzt, und zur Zeit der Einigung Polens mit dem Völkerbundrat saßen kaum noch Ansiedler, die der Annullation unterlagen, auf ihren Höfen. Die Unsumme von Leid und Qual, die die Exmissionen mit sich brachten, und besonders das jahrlange Wohnen im allerbeschränktesten Raume, auf Dachböden, in Scheunen usw., täglich und stündlich drangsaliert von dem polnischen Nachfolger, aufrecht gehalten nur durch die Hoffnung, daß der Völkerbund endlich für Recht sorgen werde, soll nicht beschrieben werden und ist überhaupt gar nicht zu beschreiben (vgl. Anlage 2).

[12] Theoretisch endete die Aktion des Deutschtumsbundes für die Ansiedler mit einem vollen Siege, indem der zur gutachtlichen Äußerung vom Völkerbund aufgeforderte Ständige Internationale Gerichtshof im Haag am 10. September 1923 ein Gutachten fällte, das die vom Deutschtumsbund vorgetragenen Rechtsansichten in allen Punkten bestätigte. Das Kernstück des Gutachtens ist folgender Absatz:29

"Die Durchführung des Gesetzes vom 14. Juli 1920 würde bewirken, daß das vernichtet wird, was früher geschaffen wurde, nämlich insofern, als das an die Ansiedler gestellte Verlangen, ihr Heim zu verlassen, eine Entdeutschung zur Folge haben würde. Eine solche Maßnahme ist aber, obwohl sie begreiflich sein mag, gerade das, was der Minderheitenvertrag seiner Absicht nach verhüten sollte. Die Absicht des Vertrages ist zweifellos, eine gefährliche Quelle von Bedrückungen, Beschuldigungen und Konflikten zu beseitigen, zu verhindern, daß Rassen- und Glaubenshaß sich ausbreiten, sowie die bei seinem Abschluß erworbene Rechtslage dadurch zu schützen, daß er die in diesem Zeitpunkt vorhandenen Minderheiten unter den unparteiischen Schutz des Völkerbundes stellte".

Von dem Gesamtinhalt des Gutachtens gibt Sukiennicki eine knappe und erschöpfende Darstellung:30

"Nach breit angelegter Motivierung seiner Meinung kam das Tribunal zum Schluß, daß beide in der Resolution des Völkerbundes vom 3. 2. 1923 erwähnten Punkte Verpflichtungen von internationaler Bedeutung im Sinne des Minderheitenschutzvertrages betreffen, daß sie infolgedessen der Kompetenz des Völkerbundes unterlägen und daß der in diesen Punkten von der polnischen Regierung eingenommene Standpunkt mit ihren internationalen Verpflichtungen nicht im Einklang stände.

In den Motiven des Gutachtens erkannte das Tribunal u. a. an, daß das Gesetz vom 14. 7. 1920 mit Art. 8 des Minderheitenschutzvertrages im Zusammenhang stehend angesehen werden müsse, der der deutschen Minderheit dieselbe Behandlung und dieselben rechtlichen und faktischen Garantien [13] gewährleistet wie den übrigen polnischen Bürgern. Wenn auch – nach Ansicht des Gerichtshofes – die auf Entdeutschung der künstlich germanisierten Territorien zielenden Maßnahmen auch verständliche seien, so seien sie durch den Minderheitenschutzvertrag doch gerade untersagt.31

Das Tribunal teilte gleichfalls nicht die polnische Ansicht, daß die gegenüber den Ansiedlern angewandten Maßnahmen, auf Art. 256 des Versailler Vertrages gestützt, der Kompetenz des Völkerbundes nicht unterständen. Es erkannte, daß die aus dem Minderheitenschutzvertrag sich ergebenden polnischen Verpflichtungen völlig unbestimmt und hypothetisch wären, würde die Anwendung dieses Vertrages jedesmal aufhören, wenn eine Maßnahme, die eine Klage verursacht, die vorherige Prüfung von Bestimmungen des Friedensvertrages erfordert, welche nicht unmittelbar die Minderheitenangelegenheiten berühren. Daher hat das Tribunal auch erkannt, daß der Völkerbundsrat für alle Handlungen in Ausführung des Minderheitenschutzvertrages zuständig sei, sowie zur Prüfung und Auslegung von Gesetzen und Verträgen, von denen Rechte abhängen, deren Vergewaltigung verboten sei.

In bezug auf das Datum der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens erkannte das Tribunal, daß, sofern es sich um Ansiedlerrechte handele, es nicht die auschlaggebende Bedeutung hätte, die ihm durch das Gesetz vom 14. 7. 1920 zugeschrieben werde. Nach der Feststellung, daß die Territorien des ehemaligen preußischen Teilgebietes im Sinne des Friedensvertrages von Polen erst mit dem Tage des Inkrafttretens dieses erworben werden sollten, meinte das Tribunal, daß die deutsche Regierung und der preußische Staat in der Übergangszeit das Recht der Ausübung aller Handlungen behielten, die eine normale Verwaltung des Landes erfordere. Eine solche Handlung stellte nach Ansicht des Tribunals die Erteilung der Auflassung als Abschluß der vorher geschlossenen Rentengutsverträge dar, auf Grund welcher die Ansiedler schon eine Reihe von Rechten erworben hatten, u. a. auch das Recht einer Aktion zur Erzielung der Auflassung.

Ähnlich erkannte das Tribunal auch an, daß die Umwandlung der Pachtverträge in Rentengutsverträge eine "rationelle und richtige" Operation war; infolgedessen sei sie im [14] Rahmen der normalen Anordnungen geblieben, ohne gegen die Bestimmungen des Waffenstillstandsabkommens, des Protokolls von Spaa sowie des Friedensvertrages zu verstoßen."

Der Völkerbund nahm das Haager Gutachten an, kam aber nach mehreren Verhandlungen mit Polen zu dem Ergebnis, den Bogen nicht überspannen32 und daher nur eine Geldentschädigung, keine Wiedereinsetzung der Ansiedler in ihren Besitz vorschlagen zu dürfen. Diese wurden schließlich den tatsächlichen Verlusten keineswegs entsprechend,33 auf durchschnittlich 5 400 Goldfranken festgesetzt. Theoretisch hatte die Sache der Ansiedler den Sieg davongetragen, praktisch der polnische Staat, denn rd. 3000 Ansiedler mit zusammen rd. 45 000 ha Besitzfläche waren entfernt, und die Gesamtheit der Ansiedler war aufs schwerste erschüttert, was eine Unzahl von Angstverkäufen zur Folge hatte.

War die Annullation [der] gewaltsamste und weitreichendste, aber zeitlich begrenzte Angriff auf die Ansiedler, so war die Anwendung des Wiederkaufsrechtes diejenige, die die Grundlage der Existenz sämtlicher Ansiedler auf die Dauer unsicher machte, weil sie die Vererbung der Wirtschaft auf die Kinder in Frage stellte.

Das Wiederkaufsrecht war für den preußischen Staat im Grundbuche aller Ansiedlungen und später der sogen[annten] besitzbefestigten Güter eingetragen. Die Bestimmungen, unter denen und wie es angewendet werden konnte, waren bei den einzelnen Ansiedlungen nicht gleich, vielmehr änderte sich die Praxis mit den Jahren. Im allgemeinen sind zwei Fälle zu unterscheiden, in denen das Wiederkaufsrecht in Anspruch genommen werden konnte, erstens wenn der Ansiedler seine vertraglichen Verpflichtungen nach dem Rentengutsvertrage nicht erfüllte, zweitens im Falle des Besitzwechsels. Zu den Bedingungen der ersten Art gehörte die Pflicht der persönlichen Bewohnung und Bewirtschaftung der Siedlungsstelle, selbständige und gute Wirtschaftsführung, Feuerversicherung der Gebäude, des Inventars und der Ernte sowie Hagelversicherung, Verbot des Handels mit Spirituosen und der Verpachtung bzw. des Verkaufs der Stelle ohne Genehmigung der Ansiedlungskommission. Im zweiten Falle wurde die Geeignetheit des Erwerbers zu guter Wirtschaftsführung und Gewähr- [15] leistung der Zwecke des Ansiedlungsgesetzes nach der nationalpolitischen Seite gefordert.34 Die Entschädigung betrug ¾ des gemeinen Wertes, der von der Generalkommission, einer richterlichen, von der Ansiedlungskommission unabhängigen Behörde festzustellen war, und von dem die noch nicht amortisierte Rente, ein etwaiges Restkaufgeld, staatliche Kredite und der Gegenwert der besonderen staatlichen Leistungen wie freie Ernte, Freijahre usw. abzuziehen war.35

Der preußische Staat hatte im Jahre 1919 das Wiederkaufsrecht an die Bauernbank in Danzig abgetreten, indem er die Meinung vertrat, daß es als ein sogen[anntes] Näherrecht überhaupt nicht eo ipso bei einer Gebietsabtretung an den Nachfolgestaat übergehen könne, umsomehr, als ja ein Übergang der nationalpolitischen Bestimmungen auf Polen überhaupt nicht denkbar war. Polen betonte demgegenüber bezeichnenderweise mit besonderem Nachdruck den sozialwirtschaftlichen Charakter des Rechtes, wie er sich aus der oben geschilderten ersten Gruppe der Bedingungen für seine Anwendbarkeit ergab,36 und den automatischen Übergang auf den polnischen Staat und wandte das Recht in einer bedeutenden Anzahl von Fällen an, und zwar auch im Falle des Todes des Besitzers.

Das muß gegenüber folgender Behauptung von Sukiennicki betont werden.37 "Gemäß den auf diese Weise noch in der unmittelbaren Nachkriegszeit aufgestellten allgemeinen Grundsätzen der Anwen- [16] dung des Wiederkaufsrechts durch die polnischen Behörden wandten bei ihrer weiteren Tätigkeit sowohl das Ansiedlungsamt wie auch die Bezirkslandämter in Posen und Graudenz niemals das Wiederkaufsrecht in ausschließlich politisch-nationalen Zielen an und vermieden besonders die Anwendung dieses Rechts in Fällen, in denen das Gut durch Vererbung in die Hände der unmittelbaren Erben des früheren Eigentümers überging." Demgegenüber ist festzustellen, daß das Wiederkaufsrecht nach einer in der Zentralgeschäftsstelle der deutschen Abgeordneten und Senatoren in Bromberg geführten Liste in 502 Fällen angewendet worden ist38 und zwar 334 mal wegen Todesfalles des Eigentümers, 47 mal wegen nicht genehmigter Auflassung und 67 mal wegen Verstößen gegen den Rentengutsvertrag. Von 38 Fällen fehlen nähere Angaben.

Die Praxis der Behörden sieht also wesentlich anders aus als die von S[ukiennicki] angeführten Grundsätze, von deren Bestehen die Ansiedler auch niemals Kenntnis erhalten haben. Zwar ist das Wiederkaufsrecht nur in wenigen Fällen auf Grund eines rechtskräftigen Urteils durchgeführt worden, aber über 300 Klagen lagen unerledigt vor dem Höchsten Gericht in Warschau und konnten jederzeit hervorgeholt und nach dem Beispiel einiger weniger durchgeführter Fälle in für die Ansiedler ungünstigem Sinne entschieden werden. Zudem stockte der ganze normale Überlassungsverkehr vom Vater auf den Sohn bei Lebzeiten des Vaters, der gebräuchliche Übergang der Wirtschaft in bäuerlichen Kreisen. Es schwebte also tatsächlich ein "Damoklesschwert" über der Gesamtheit der Ansiedler, ein Ausdruck, den S[ukiennicki] glaubt ironisieren zu dürfen, offenbar ohne jedes Verständnis für die Gedankenwelt des Bauerntums, für das die Grundlage der Sicherheit des Besitzes seine ungestörte Vererbbarkeit ist.39

[17] Die Anwendung des Wiederkaufsrechts ist, wie das Beispiel in Anm. 39 zeigt, oft unmittelbarer Anlaß zum Verkauf in polnische Hand gewesen, mittelbarer Anlaß aber war sie in den meisten Fällen des sogen[annten] freiwilligen Verkaufes, d. h. des Verkaufes ohne den unmittelbaren Anlaß der Anwendung von Annullation, Liquidation und Wiederkaufsrecht bzw. der Ankündigung einer solchen Maßnahme von amtlicher Seite. Es wird daher klar sein, daß ein sogen[annter] freiwilliger Verkauf von Seiten eines Ansiedlers anders zu bewerten ist als der Verkauf eines vollkommen freien Grundstückes, dessen Vererbbarkeit nicht in Frage gestellt war.

Der Vollständigkeit halber muß erwähnt werden, daß das Wiederkaufsrecht im großen und ganzen durch die Vereinbarungen im Anschluß an das Liquidationsabkommen zwischen Deutschland und Polen vom 31. 10. 1929, welche in einem gegenseitigen Schriftwechsel niedergelegt sind, größtenteils zum Fortfall gekommen ist.40, 41

[18] Die eingehende Betrachtung der Annullations- und Wiederkaufsrechtsfrage war nötig, um die Haltung der Ansiedler als der zweifellos am schwersten geprüften Berufsgruppe innerhalb des Deutschtums in Posen und Pommerellen gegenüber der Abwanderung in das rechte Licht zu rücken.

 
Die Methode der Feststellung

A. Die private deutsche Volkszählung von 192642

Die ersten sicheren Unterlagen über die Verringerung der Ansiedler lieferte die private deutsche Volkszählung von 1926. Was bis dahin an Material über das Deutschtum im abgetretenen Gebiete vorlag, konnte auf die Frage nach der Zahl der Ansiedler keine Auskunft geben. Es handelte sich nur um Berechnungen der Zahl der Abgewanderten für das gesamte Gebiet von Pommerellen und Posen ohne jede Unterteilung und dazu noch mit ziemlichen Unsicherheitsfaktoren. Auch die Zählungen des evangelischen Konsistoriums in Posen aus den Jahren 1925 und 1926 stellten keine Fragen nach der Art des ländlichen Grundbesitzes, sondern begnügten sich für die Zwecke einer Berechnung der Kirchensteuer lediglich mit einer Angabe über die Größe des landwirtschaftlichen Besitzes. Im Deutschtum des abgetretenen Gebietes ist die Frage einer regelrechten Zählung seit dem Jahre 1919 dauernd erörtert worden. Es war klar, daß es in den ersten Jahren mit ihrer Massenabwanderung überhaupt nicht zu der Durchführung eines solchen Vorhabens kommen konnte. Späterhin wurde dann die Anfertigung eines regelrechten nationalen Katasters lebhaft erwogen. Aber auch dieser Gedanke mußte fallen gelassen werden, weil eine einfache Berechnung ergab, daß die vorhandenen Mittel nicht einmal ausreichen würden, eine der- [19] artige Personalstandsaufnahme durchzuführen, geschweige denn, sie auf dem Laufenden zu erhalten. Ohne das aber hätte die Aufnahme eines Katasters keinen Sinn gehabt. So kam man zu einer einfacheren Form, wie eine Zählung der deutschen Bevölkerung durchgeführt werden könnte. Der Entschluß zu dieser Arbeit war an sich nicht leicht und wurde durch politische Bedenken sehr stark gehemmt. Namentlich wurde von sehr ernsthafter Seite auch noch im Januar 1926, als die Durchführung der Zählung so gut wie beschlossen war, darauf hingewiesen, daß der Zeitpunkt recht wenig geeignet sei. Demgegenüber setzte sich aber die Meinung durch, daß wahrscheinlich ein politisch günstigerer Moment in absehbarer Zeit in Polen überhaupt nicht kommen werde, und die Entwicklung hat dem durchaus recht gegeben, denn es ist heute kaum mehr denkbar, daß gegenüber den zentralen und unteren Behörden eine solche private Maßnahme durchgeführt werden könnte.

Die Art der Zählung mußte sich den vorhandenen Möglichkeiten anpassen. Eine Berechnung der Kosten ergab, daß über die Verwendung eines einzigen Formulars, in das die deutsche Bevölkerung einer jeden Ortschaft einzutragen war, nicht hinausgegangen werden konnte, einerseits wegen der Materialkosten, andererseits wegen des Mangels an geeigneten Kräften für die Durchführung einer umfangreichen Bestandsaufnahme. Es mußte ferner auch darauf verzichtet werden, die Erhebung an einem einzigen Stichtage vorzunehmen, denn es war nicht darauf zu rechnen, daß die an sich an jedem Ort vorhandenen Vertrauensleute es würden ermöglichen können, den Fragebogen an einem einzigen Tage auszufüllen, vielmehr mußte damit gerechnet werden, daß eine sehr große Anzahl von ihnen weder willens noch in der Lage war, die erhebliche Arbeit der Aufstellung einer Ortsliste mit äußerster Genauigkeit durchzuführen. In größeren Ortschaften wäre man auf diese Weise überhaupt nicht zum Ziel gekommen.

So blieb nichts anderes übrig, als mit der Aufnahme bezahlte Kräfte zu betrauen, die naturgemäß einen größeren Bezirk zu bearbeiten hatten und dazu einige Monate brauchten. Die Verwendung der bezahlten Kräfte hatte aber den großen Vorteil, daß es möglich war, sie vor Beginn der Arbeit genau zu instruieren und von ihnen für die Bezahlung eine gründliche Arbeit zu verlangen. Wenn die Qualität dieser bezahlten Kräfte auch hinter den ehrenamtlich tätigen Kräften zurück- [20] steht, die jeder Staat hauptsächlich in seinen Beamten zur Verfügung hat, so konnte angenommen werden, daß dieses Manko durch die genaue Unterweisung ausgeglichen wurde, welche den Zählern in einem besonderen Kursus zuteil wurde.

Wie bereits erwähnt, ist neben dem Hauptformular kein Sonderformular benutzt worden, um die Arbeit nicht zu erschweren, und so konnte der landwirtschaftliche, industrielle und der städtische Haus- und Grundbesitz nicht in der Schärfe erfaßt werden, wie dies auf besonderen Erhebungsformularen möglich gewesen wäre. Entsprechend der polnischen Volkszählung von 1921 wurde die Zugehörigkeit zum Deutschtum auf Grund des Bekenntnisses und nicht der Muttersprache festgestellt. Bei der amtlichen Zählung von 1921 haben sich auf diese Weise offensichtlich Fehler zu Ungunsten des Deutschtums eingeschlichen, indem die Nationalität mit der Staatsangehörigkeit verwechselt und aus allen möglichen Vorsichtsgründen, teilweise auch infolge Beeinflussung durch die Zähler "Polnisch" statt "Deutsch" angegeben worden ist. Da bei der privaten Zählung die Zähler in der Hand der Leitung waren und genaue Anweisungen hatten, ferner die deutsche Bevölkerung inzwischen an das Bekenntnis zur Nationalität gewöhnt war, so konnte auch diesmal die Zugehörigkeit zum Deutschtum auf Grund des Bekenntnisses festgestellt werden. Die Arbeit der Zähler wurde durch vorherige Orientierung der Vertrauensleute weitgehend erleichtert. Namentlich die Geistlichen beider Bekenntnisse haben sich um die Durchführung große Verdienste erworben, wobei das evangelische Deutschtum in einer besseren Lage war, da es ausschließlich von deutschen Geistlichen versorgt wird, während das leider bei den deutschen Katholiken nur zu einem geringen Teile der Fall ist.

Der Fragebogen enthält folgende Rubriken:

1. Laufende Nr. der Haushaltung
2. Laufende Nr. der Person
3. Familienname
4. Vorname
5. Mädchenname der Ehefrau
6. Stellung im Haushalt
7. Geschlecht
8.
9. Geburtstag
10. Alter in Jahren
[21] 11. Familienstand
12.-15. Religion
16. Staatsangehörigkeit
17. Hauptberuf
18. Stellung im Beruf
19. Nicht handwerksmäßige Betriebe, die selbständige, industrielle Anlagen darstellen
20.-22. Nicht landwirtschaftlicher Grundbesitz
23. Flächengröße des landwirtschaftlichen Besitzes (bis 6,6–30, 30–60, 60–100, 100–300, über 300–1000, über 1000 Morgen
24. Ist ein Grundstück Ansiedlung, Bauernbank oder freies Grundstück?
25. Hat der Besitzer Auflassung und Grundbucheintragung?

Der Fragenkomplex ist also verhältnismäßig beschränkt. Die Arbeit ist im Laufe von 4 Monaten durchgeführt worden. Das Ergebnis der Zählung mit 305 411 Deutschen muß als Mindestzahl angesprochen werden, da die Zählung unter mancherlei Schwierigkeiten zu leiden hatte, ja, teilweise von der Behörden, namentlich in den Grenzgebieten, gehindert wurde. Die Zähler erhielten in einigen, besonders den südlichen Grenzkreisen nicht die Erlaubnis zum Betreten der Grenzzone. Das durch Einheimische ersatzweise beschaffte Material ist in einer Reihe von Fällen bei Haussuchungen beschlagnahmt worden. In den Kreisen Konitz und Berent wurden die Zähler unter dem Verdacht der Spionage verhaftet, andere wieder langwierigen Vernehmungen unterworfen unter der Begründung, daß in der Zählung die Anmaßung einer amtlichen Befugnis gesehen werden müsse, da nach dem Gesetz über das Statistische Hauptamt in Warschau die Vornahme einer Statistik nur unter Aufsicht des genannten Amtes erfolgen dürfe. Auch zu gerichtlicher Verfolgung ist es gekommen, die in I. Instanz größtenteils mit Verurteilungen, in wenigen Fällen auch Freisprüchen endete. In der II. Instanz wurde beim Bezirksgericht in Thorn ein Urteil erzielt, das die privaten Zählungen an sich für zulässig erklärt. Die Frage ist inzwischen durch die Amnestie aus Anlaß der 10jährigen Wiederherstellung Polens erledigt worden.

Die Ergebnisse der Zählung hat Rauschning zum größten Teil benutzen können. Über die Zuverlässigkeit der Zahlung sagt er:43 "Die ziemlich genaue Übereinstimmung beider Er- [22] gebnisse darf gleichzeitig als eine gewisse Probe für die Zuverlässigkeit der deutschen privaten Zählung, die mit einer Reihe von Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt hat, angesprochen werden", und an anderer Stelle:44 "Die deutsche Zählung darf somit als zuverlässig bezeichnet werden." Die im Anschluß hieran zu behandelnde Erhebung durch Fragebogen vom 1. 4. 1932 hat ebenso, wie bemerkt werden darf, die Richtigkeit der deutschen Zählung von 1926 bestätigt. Daran ändert auch nur wenig der durch diese spezielle Ansiedlerzählung erbrachte Nachweis, daß in einigen wenigen Fällen bei der Zählung von 1926 regulierte Besitzungen als Ansiedlungen angesprochen worden sind und umgekehrt und in einigen Gemeinden von Grenzkreisen infolge der Störung der Zählung, wie oben erwähnt, die Zahl der Ansiedler für 1926 geringer ausgewiesen ist als 1932.


B. Die Fragebogen vom 1. 4. 1932

Die private deutsche Volkszählung von 1926 hat zwar über das Schicksal der Ansiedlungsgemeinden eine ganze Menge von Material gebracht. Sie geht aber nicht weiter, als daß für jede einzelne Ansiedlungsgemeinde die Zahl der verbliebenen Ansiedler und die Besitzfläche angegeben wird. In den 6 Jahren bis 1932 waren weitere Veränderungen im Bestande der Ansiedler erfolgt, wenn auch in erheblich geringerem Umfange als bis 1926. Um diese weiteren Verluste und den Charakter der Veränderungen überhaupt genauer bestimmen zu können, war es notwendig festzustellen, aus welchen Heimatgebieten die einzelnen Ansiedler der betr. Gemeinde stammten, wieviel von ihnen abgewandert waren und welche Gründe diese Abwanderung hatte. Die amtlichen Denkschriften der Ansiedlungskommission geben die Herkunft der Ansiedler nicht weiter an, als in der Tabelle I mitgeteilt worden ist. Das Urmaterial ist bei der Ansiedlungskommission in Posen geblieben, von wo es infolge des polnischen Aufstandes vom 27. 12. 1918 nicht mehr abtransportiert werden konnte.

Dieses Material ist, wenn überhaupt, so nur ganz besonders legitimierten Personen polnischer Nationalität zugänglich. Es bestand also keine Möglichkeit, diesen Zugang zu erhalten. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, die in den einzelnen Ansiedlungsgemeinden noch vorhandenen Kenntnisse über die [23] Herkunft der Siedler und den Umfang sowie die Gründe ihrer Abwanderung an Ort und Stelle mit Hilfe von Fragebogen aufnehmen zu lassen. Es ist klar, daß eine solche Aufnahme an sich schwierig ist und daß sie kaum zu einem vollständig abschließenden Ergebnis kommen kann, namentlich in dem Falle, wo ein Ansiedlungsdorf vollständig in polnische Hand übergegangen ist. Es muß aber betont werden, daß es für absehbare Zeit eine andere Möglichkeit der Feststellung überhaupt nicht gibt und daß erfahrungsgemäß von allen Bauern gerade die Ansiedler an Anfragen gewöhnt und infolge ihrer hohen Intelligenz durchaus befähigt sind, derartige Anfragen gründlich zu erledigen. Dazu kommt, daß das Gedächtnis der bäuerlichen Bevölkerung im allgemeinen sehr viel besser ist als das intellektueller Kreise, eine Erfahrung, die ich in den 13 Jahren einer sehr intensiven Zusammenarbeit mit den Ansiedlern dauernd habe machen können.

Sehr wesentlich wurde die Arbeit durch die Mitwirkung der 5 Geschäftsstellen der deutschen Abgeordneten und Senatoren in Pommerellen und im Netzegau unterstützt, die die Verhältnisse der Ansiedlungsgemeinden in ihren aus je 5–8 politischen Kreisen bestehenden Bezirken infolge langjähriger Arbeit genau kennen. Im Südposener Bezirk, wo für 28 politische Kreise nur eine Geschäftsstelle vorhanden ist, konnte die Arbeit nicht lückenlos durchgeführt werden. Deshalb muß sich die Betrachtung über das Ergebnis der Fragebogen von 1932 in der Hauptsache auf Pommerellen und den Netzegau beschränken. Unter Netzegau ist der frühere Regierungsbezirk Bromberg ohne die Kreise Gnesen, Witkowo und Mogilno zu verstehen, die zu Südposen gehören.

Natürlich mußte eine Überlastung mit Fragen und eine zu große Spezialisierung vermieden werden, denn das hätte dazu führen können, daß eine große Anzahl von Vertrauensleuten an die Bearbeitung überhaupt nicht herangegangen wäre. Wenn auch der Ausfall der einen oder anderen Ansiedlungsgemeinde verschmerzt werden konnte, so durfte er sich doch nur auf Bruchteile von Prozenten erstrecken. Ferner mußte, um die Möglichkeit des Vergleichs mit den amtlichen Denkschriften der Ansiedlungskommission zu gewinnen, das dort angewandte Schema benutzt werden.45 Es mußte also die Zusammen- [24] fassung "aus dem übrigen Deutschland ohne Preußen" übernommen werden. Da jedoch die weitere Bezeichnung "aus dem Auslande" heute nicht mehr paßte, so wurde statt dessen die Frage nach der Herkunft "aus Galizien, Kongreßpolen, Wolhynien, Rußland" etc. gestellt.

Eine gewisse Schwierigkeit ergab sich für die Feststellung, wieviel Ansiedler ihre Stellen bis zum 1. 4. 32 abgegeben hatten. Wünschenswert wäre es gewesen, jeden dieser Ansiedler einzeln, wenn möglich mit Namen, unter Angabe der Herkunft und des Grundes der Abwanderung aufführen zu lassen. Das hätte aber aller Voraussicht nach die Möglichkeiten der Feststellung wesentlich überschritten und zu sehr unklaren Ergebnissen, teilweise aber auch zur vollständigen Nichtbeantwortung des ganzen Fragenkomplexes geführt. Infolgedessen erschien es am zweckmäßigsten, nur eine zahlenmäßige Verteilung auf die einzelnen Gründe der Abwanderung und die Herkunftsländer zu verlangen. Als Gründe der Abwanderung wurden angegeben: 1. Annullation, 2. Liquidation, 3. Wiederkaufsrecht, 4. Verkauf unter Zwang der bevorstehenden, d. h. angedrohten, Annullation, Liquidation, Wiederkaufs und 5. freiwilliger Verkauf. Diese Bezeichnungen sind in Ansiedlerkreisen üblich und daher ohne weiteres verständlich. Die besondere Betrachtung des freiwilligen Verkaufs konnte bei dieser Fragestellung auch durchgeführt werden, wenn diejenigen Gemeinden besonders betrachtet wurden, in denen vorwiegend dieser Grund vorgekommen war. Das Ergebnis der Bestandsaufnahme hat ergeben, daß die Fragebogen mit Rücksicht auf die vorhandenen Arbeitsmöglichkeiten und das Verständnis der Ansiedler richtig aufgestellt worden sind.

 
Die Ergebnisse der privaten deutschen Volkszählung von 1926

Ausweislich der privaten deutschen Volkszählung betrug die Gesamtzahl der Mitte 1926 in Posen und Pommerellen vorhandenen Ansiedler 8986, davon in Pommerellen 2579, im Netzegau (Reg.-Bezirk Bromberg ohne die Kreise Gnesen, Mogilno und Witkowo) 2891 und in Posen (Reg.-Bezirk Posen mit jenen 3 Kreisen 3546.46 Verglichen mit der auf S. 4 angegebenen Zahl von 21 161 Ansiedlern, die bis Ende 1919 von der Ansiedlungskommission im heute abgetretenen Gebiet angesetzt worden waren, bedeuten die 8986 Ansiedler einen Pro- [25] zentsatz von 42,5, d. h. die Verminderung beträgt 57,5 Prozent gegenüber einem Durchschnitt der Verminderung der ländlichen deutschen Bevölkerung von 55,4%.47 Der geringe Unterschied von 2,1% zu ungunsten der Ansiedler wird durch ihre eingangs geschilderte besonders schwere Lage nicht nur erklärt, sondern erweist, wie späterhin noch eingehend zu zeigen sein wird, eine größere Seßhaftigkeit der Ansiedler als der übrigen deutschen Landbevölkerung.

Für die vergleichsweise Betrachtung der einzelnen Teilgebiete fehlen Zahlen, welche den Bestand vom Ende des Jahres 1919 angeben. Es muß deshalb auf die letzte Veröffentlichung der Ansiedlungskommission von 1914 zurückgegriffen werden.b Danach waren in Pommerellen 6630, im Netzegau 6166 und in Posen 8223 Ansiedler vorhanden, sodaß der Verlust bis 1926 in Pommerellen 61,1%, im Netzegau 53,1% und in Posen 56,9% beträgt, gegenüber einer Verminderung der ländlichen Bevölkerung überhaupt von 63,7% in Pommerellen, 49% im Netzegau und 49,4% in Posen.

Die Verminderung der Zahl der Ansiedler ist in den einzelnen Kreisen verschieden. Im Pommerellen schwankt sie von 26,6% im Kreise Karthaus bis 79,7% im Kreise Konitz. Allerdings sind diese beiden Kreise wegen der geringen Zahl der in ihnen angesetzten Ansiedler wenig beweiskräftig. Abgesehen von ihnen liegen die Grenzen zwischen 42,7% im Kreise Zempelburg und 77% im Kreise Thorn. Die durchschnittliche Verminderung der Landbevölkerung überhaupt liegt zwischen 43,8% im Kreise Zempelburg und 80% im Kreise Thorn. Die Kreise mit besonders starker Ansiedlerbevölkerung weisen folgende Verminderungen auf:

Ansiedler
%
    d. Verminder.    
Dt. Landbevölk.
überhaupt48
% d. Verminder.
Briesen 66,4 62,4
Culm 62,8 59,2
Graudenz 54,1 67,2
Schwetz 53,4 62,0
Strasburg 58,1 68,6

[26] Während also in den Kreisen Briesen und Culm die Verminderung der Ansiedler größer ist als die der Landbevölkerung überhaupt, ist es in den anderen Kreisen umgekehrt, und zwar sind hier erhebliche Unterschiede zugunsten der Ansiedler vorhanden (13,1%, 8,6% und 10,4%). Die Gründe für diese Verschiedenheiten werden später zu besprechen sein.

Im Netzegau liegen die Verminderungsgrenzen zwischen 40,5% in Wongrowitz und 81,5% in Strelno. Dieser Kreis ist allerdings wie Konitz in Westpreußen wenig typisch, sodaß man besser dafür Wirsitz mit 69,6% setzt. Die Abnahme der gesamten Landbevölkerung bewegt sich in den Grenzen von 38,4% in Wongrowitz bis 68,3% in Strelno oder, wenn man Strelno wegläßt, 53,6% in Czarnikau. Sie ist also niedriger als die der Ansiedler und gleichmäßiger.

Die starken Ansiedlerkreise sind:

Ansiedler
%
    d. Verminder.    
Dt. Landbevölk.
%
d. Verminder.
Bromberg 51,2 49,1
Hohensalza 62,2 52,5
Schubin 56,5 44,7
Wirsitz 69,6 53,0
Wongrowitz 40,5 38,4
Znin 39,6 43,4

Bis auf den Kreis Znin ist die Abnahme der Ansiedler überall größer als die der Landbevölkerung überhaupt. Auffällig ist der Kreis Wirsitz wegen seines besonders großen Unterschiedes, der wie später nachzuweisen sein wird, in der starken Annullation und Liquidation seine Erklärung findet, und die Kreise Wongrowitz und Znin mit ihren für die Ansiedler sehr günstigen Zahlen. In beiden Kreisen besteht der bäuerliche deutsche Besitz weit überwiegend aus Ansiedlungen in sonst polnischer Umgebung, ein Beweis für die besondere Seßhaftigkeit der Ansiedler.

Die größten Unterschiede zwischen den einzelnen Kreisen zeigt das posensche Gebiet. Die Ansiedlerverluste liegen zwischen 39,9% im Kreise Schroda und 87,9% im Kreise Neutomischel. Läßt man die Kreise Neutomischel und Schildberg als bedeutungslos weg, so liegen die Unterschiede zwischen 39,9% im Kreise Schroda und 85,7% im Kreise Birnbaum. Die durchschnittliche Abnahme der deutschen Landbevölkerung im Posenschen liegt, da man den Kreis Ostrowo wegen zu geringer [27] deutscher Bevölkerung überhaupt und die Kreise Adelnau und Schildberg wegen der Besonderheit der Sprachenfrage weglassen muß,49 zwischen 38,4% im Kreise Neutomischel und 78% im Kreise Posen-Ost. Die typischen Ansiedlerkreise weisen folgende Abnahme auf:

Ansiedler
%
    d. Verminder.    
Dt. Landbevölk.
überhaupt
% d. Verminder.
Gnesen 43,9 49,7
Mogilno 50,4 44,2
Obornik 54,2 51,3
Posen-Ost 76,0 78,0
Posen-West 73,0 77,6
Samter 67,8 61,1

Die Unterschiede zwischen der höchsten und niedrigsten Abnahme sind erheblich größer als in Pommerellen und auch im Netzegau, bei dem die Ausnahmestellung des Kreises Wirsitz wegen besonders starker Annullationen und Liquidationen zu bemerken war. Auffällige Unterschiede zwischen den Ansiedlern und der deutschen Landbevölkerung im allgemeinen sind in den Hauptansiedlungskreisen nicht zu bemerken, dagegen in den Kreisen mit geringer Ansiedlerbesetzung.

Ansiedler
%
    d. Verminder.    
Dt. Landbevölk.
überhaupt
% d. Verminder.
Gostyn 75,5 49,8
Jarotschin 48,5 64,6
Koschmin 79,3 48,8
Neutomischel 87,9 38,4
Schroda 39,9 54,2
Wollstein 67,8 45,5
Wreschen 44,0 55,7

Dabei ist zu bemerken, daß die Kreise Neutomischel und Wollstein 1926 noch eine sehr starke deutsche Bevölkerung hatten, daß aber die geringe Zahl der Ansiedler im Kreise Neutomischel (1919/20: 33 und 1926: 4) nichts beweist. Schließlich [28] ist zu bemerken, daß die günstigen Kreise Gnesen, Mogilno, Witkowo50 und Obornik an den Netzegau mit den besonders günstigen Kreisen Znin und Wongrowitz grenzen und mit ihm eine landschaftliche Einheit bilden. Die in sich große Verschiedenheit der posenschen Verhältnisse läßt es als besonders schmerzlich empfinden, daß die Erhebung von 1932 dort nicht durchgeführt werden konnte; sie hätte wahrscheinlich interessante Aufschlüsse ergeben.

Die Gegenüberstellung der Ergebnisse von 1926 und 1932 zeigt, daß in den pommerellen Kreisen Briesen, Culm, Graudenz und Tuchel und in den Netzegaukreisen Hohensalza, Kolmar und Schubin 1932 mehr Ansiedler nachgewiesen sind als 1926. Da die einfachste Feststellung die der jetzt noch ansässigen Ansiedler ist und die befragten Vertrauensleute ausschließlich Ansiedler aus dem betreffenden Dorfe selbst waren, so ist ein Irrtum bei der Erhebung von 1932 kaum möglich, und es mußte die Zählung von 1926 untersucht werden, um Aufklärung zu schaffen. Dabei stellte sich heraus, daß zweifellos 1926 eine Anzahl von Ansiedlungen als Bauernbank- bzw. Mittelstandskassengüter angesprochen worden sind, indem in der Zählung von 1926 in den Gemeinden, in denen gegenüber 1932 zu wenig Ansiedler ausgewiesen sind, die entsprechende Anzahl von regulierten Gütern angegeben ist. Stellenweise sind auch Ansiedler nicht mitgezählt worden, denn sie sind 1932 nachgewiesen und es sind regulierte Besitzungen in dem betr. Dorfe für 1926 nicht angegeben. Andererseits sind in einigen wenigen Fällen freie Bauern als Ansiedler gezählt worden. Die Nachprüfung hat ergeben, daß in Pommerellen 164 Ansiedler nicht und 103 freie Bauern als Ansiedler gezählt worden sind, sodaß im ganzen 61 Ansiedler unberücksichtigt geblieben sind, um die sich die Zahl der pommerellischen Ansiedler von 1926 vermehren würde. 154 Bauern sind statt als Ansiedler als Besitzer regulierter Güter angesehen worden. Im Netzegau sind 155 Ansiedler unberücksichtigt geblieben und 62 als reguliert gezählt worden. In Pommerellen und Netzegau zusammen ist also auf diese Weise die Zahl der deutschen Bauern um 216 zu gering angegeben worden, die Zahl der Ansiedler allein um 432 zu gering, davon 216 zugunsten der regulierten Besitzer.

[29]
Die Ergebnisse der Fragebogen vom 1. 4. 1932
in Pommerellen und im Netzegau
51

Es ist möglich gewesen, die ausgesandten Fragebogen fast restlos ausgefüllt zurückzuerhalten. Diejenigen, welche nicht richtig ausgefüllt waren, konnten, wenn auch teilweise erst nach mehreren Rückfragen, richtiggestellt werden. Es darf behauptet werden, daß keine einzige Ansiedlungsgemeinde unberücksichtigt geblieben bzw. ausgelassen worden ist. Es kann auch mit Sicherheit behauptet werden, daß Fehler in der Auffassung, ob es sich um eine Ansiedlungs- oder Bauernbankgemeinde handelt, nicht vorgekommen sind. Von im ganzen 422 Ansiedlungsgemeinden in Pommerellen und im Netzegau fehlen nur 7, d. h. 1,6%. 36 Fragebogen waren nur zum Teil ausgefüllt. Die Umfrage hat, wie bereits erwähnt, im Posener Bezirk nicht denselben Erfolg gehabt. Hier fehlten noch so viele Fragebogen, daß sich kein Überblick gewinnen ließ. Infolgedessen ist es leider nicht anders möglich, als daß der Posener Bezirk hier unberücksichtigt bleibt.

Gewisse Angaben waren nicht zu erhalten. Bei einigen wenigen Ansiedlungsgemeinden, die vollständig in polnische Hand übergegangen sind, namentlich bei einigen vollständig annullierten und liquidierten Gemeinden waren zwar noch die Gründe der Abgabe festzustellen, nicht aber die Herkunft der ursprünglich vorhandenen Ansiedler. In den Nachbargemeinden wußte man zwar, daß sie wie sehr viele Ansiedlungen in Pommerellen z. T. aus Westpreußen, z. T. aus sogen[annten] Rückwanderern bestanden, konnte aber genauere Angaben nicht machen. Infolgedessen hat für diese Gemeinden eine schätzungsweise Verteilung stattfinden müssen. Das enthält die Möglichkeit, daß entweder die Zahl der Westpreußen oder die der Rückwanderer größer als in Wirklichkeit erscheint, selbstverständlich aber auch, daß das eine oder andere Herkunftsgebiet außer diesen beiden hier nicht berücksichtigt ist. Diese Mängel können aber das Gesamtbild nur ganz unwesentlich beeinflussen.

Bei den Gründen für die Abgabe muß in kleinem Umfange mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß Liquidationen als [30] Annullationen angesehen worden sind und umgekehrt. So gebräuchlich die fünf hier angewandten Bezeichnungen sind, so ist doch darauf hinzuweisen, daß ursprünglich alle Maßnahmen des polnischen Staates, gleichviel ob Annullation, Liquidation oder Wiederkaufsrecht, von der Bevölkerung als Liquidation bezeichnet wurden. Es ist also denkbar, daß da und dort der mangelnde Unterschied zwischen Annullation und Liquidation noch 1932 nicht klar gewesen ist. Die ziemlich genauen Angaben über das Wiederkaufsrecht scheinen aber doch zu beweisen, daß die Unterschiede recht genau gemacht worden sind, denn wir kennen tatsächlich nur 15 zwangsweise durchgeführte Wiederkaufsrechtsfälle und eine kleine Anzahl, wo nach Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils der Verkauf noch geglückt ist. Im übrigen sind die ausgewiesenen Annullations- und Liquidationszahlen auch sonst durchaus wahrscheinlich. Wenn man für die Annullation bisher mit 3964 Fällen rechnete, so darf dabei nicht vergessen werden, daß es sich hier um sämtliche Anmeldungen eines Annullationsschadens handelt. Festgestelltermaßen befinden sich aber darunter eine große Anzahl von Fällen, die mit Annullation nichts zu tun haben. Für Pommerellen-Netzegau sind in den Fragebogen 1869 Annullationsfälle festgestellt. Rauschning gibt für das Gebiet innerhalb der Demarkationslinie 1408 Fällen an,52 bei denen die Annullation hätte angewandt werden können. Kierski nennnt, wie bereits S. 7, Anm. 15 erwähnt, für Pommerellen 1550 Fälle, sodaß für den Netzegau 319 übrig bleiben würden, die aber wieder größtenteils in der von Rauschning genannten Zahl 1408 stecken, denn innerhalb der Demarkationslinie liegen auch die größten Teile der zum Netzegau gehörigen Kreise Hohensalza, Schubin, Znin, Kolmar und Czarnikau. Aber auch die sich aus den Angaben von Rauschning und Kierski ergebende scheinbare Mindestzahl von 1408 + 1550 = 2958 ist überholt, denn nach den Feststellungen des deutschen Büros Hasbach in Posen, in dem die Entschädigungsanträge im amtlichen Auftrage der polnischen Regierung bearbeitet werden, sind im ganzen etwa 2743 Fälle von Annullation bekannt. In 1423 Fällen haben auch die polnischen Behörden tatsächlich Annullation festgestellt und die Entschädigungsberechtigung der betr. Ansiedler anerkannt. Hierzu kommen noch etwa 1300 Fälle, in denen nach deutscher Auffassung auch Annullation vorliegt, sodaß man mit [31] ca. 2734 Fällen als Mindestzahl rechnen kann. Diese 2734 Fälle verteilen sich folgendermaßen:

I. Bezirk Pommerellen  992 Rentenansiedler  mit  12 550,83,67 ha
    15 Kreise 32 Pachtansiedler " 828,93,28 "
II. Bezirk Netzegau 811 Rentenansiedler " 10 122,62,20 "
    10 Kreise 192 Pachtansiedler " 2 077,08,95 "
III. Bezirk Posen 429 Rentenansiedler " 5 089,93,86 "
    25 Kreise 287 Pachtansiedler " 4 453,03,10 "
   
    Zusammen: 2743 Ansiedlungen mit 35 122,45,06 ha

Für die Beurteilung der Verschiebung innerhalb der Ansiedler gilt es zunächst, einen richtigen Vergleichsstatus zu gewinnen. Das ist nicht leicht. Die amtliche Denkschrift der Ansiedlungskommission vom Jahre 1914c gibt nur einen ungefähren Begriff von dem Zustande, wie er 1919 bei der Übergabe vorhanden gewesen sein muß. Welche Zahlen im Großen vorliegen, ist eingangs gesagt worden. Unterteilungen, die unbedingt notwendig wären, fehlen. Zwischen 1914 und 1919 sind aber ziemlich weitgehende Veränderungen vor sich gegangen, die auf Neuvergebung von Ansiedlungen nach Beendigung des Krieges und Umwandlung von Pachtansiedlungen in Rentenansiedlungen beruhen. Auch fehlen die wenn auch nicht großen Veränderungen während der Kriegsjahre. Bei der Übergabe war noch eine Reihe von Gütern vorhanden, die zwar aufgeteilt, aber noch nicht oder noch nicht ganz vergeben waren, obwohl sie in dem amtlichen Verzeichnis von 1914 bereits als aufgeteilt angeführt waren.

Durch die Fragebogen von 1932 ist versucht worden, den Stand bei der Übergabe am 10. Januar 1920 festzustellen, wozu die amtlichen Angaben von 1914 als Grundlage dienten. Es ergibt sich dadurch ein Bestand von 6690 Ansiedlern mit 438 272,60 Morgen Besitz in Pommerellen gegenüber 6630 mit 439 994,92 Morgen nach der amtlichen Liste von 1914 und von 6 306 Ansiedlern mit 415 768,52 Morgen im Netzegau gegenüber 6166 mit 442 536,00 Morgen nach der amtlichen Liste von 1914.53

Der Vergleich der Verteilung auf die einzelnen Herkunftsgebiete ist nur schwer durchzuführen. Zwar läßt sich das in den Fragebogen angewendete Schema ohne weiteres auf das der Tabelle I umrechnen, so daß sich das Bild der Tabelle IId ergibt. [32] Jedoch stimmt weder die preußische Provinz Westpreußen mit dem heutigen Pommerellen noch der Regierungsbezirk Bromberg mit dem Netzegau überein, und für die deutschgebliebenen bzw. zur Freien Stadt Danzig gehörenden Gebiete und die drei jetzt zum Posener Bezirk gerechneten Kreise Gnesen, Mogilno und Witkowo fehlt für 1913 eine Verteilung auf die Herkunftsgebiete, so daß die Berechnung des damaligen Bestandes nicht möglich ist. Eine gewisse Anschauung gibt die obige Zusammenstellung aber immerhin. Da Pommerellen und Netzegau kleinere Gebiete sind als Westpreußen und der Regierungsbezirk Bromberg, so mußten an sich alle Zahlen kleiner bzw. höchstens ebenso groß sein, wenn nicht die Veränderungen zwischen 1913 und 1919/20 zu berücksichtigen wären, unter denen auch die privaten Verkäufe im Jahre 1919 nicht vergessen werden dürfen. Auch der Verkauf während der Kriegsjahre infolge Todes des Besitzers spielt eine Rolle. Wenn auch alle diese Verkäufe innerhalb von Deutschen getätigt worden sind, so haben sie doch das Bild der ursprünglichen Besetzung der Ansiedlerstellen einigermaßen beeinflußt. Eine allgemein gemachte Beobachtung ist die, daß die Neuerwerber vorwiegend Einheimische, also Westpreußen und Posener, und Rückwanderer, d. h. Kongreßpolen, Galizier, Wolhynier und Rußlanddeutsche gewesen sind, während die Verkäufer vorwiegend West- und Süddeutsche waren. Das erklärt das Steigen der Zahl der Rückwanderer und den erheblichen Rückgang der "sonstigen deutschen Reichsangehörigen", von denen allerdings auch ein Teil unter den Westfalen Aufnahme gefunden haben dürfte, denn der Nordwestdeutsche wird hierzulande meistens als Westfale angesprochen. Ein Teil der Ostpreußen dürfte vielleicht auch fälschlich in die Westpreußen aufgenommen worden sein.

Die Veränderungen zwischen 1926 und 1932 sind verhältnismäßig geringfügig und beweisen, daß die Ansiedler von 1926 an trotz des Fortdauerns der Liquidationen und der Ungeklärtheit der Wiederkaufsrechtsfrage nicht mehr wesentlich zu erschüttern waren.54 In Pommerellen ist die Zahl der Ansiedler von 2534 auf 2380 zurückgegangen, im Netzegau von 2938 auf 2753. Zählt man gemäß den Ausführungen auf S. 28 zu den Zahlen von 1926 in Pommerellen 215 und im Netzegau 217 dazu, so besteht in Pommerellen ein Rückgang von 2749 auf 2380, im Netzegau von 3255 auf 2753, im ganzen von 6004 auf 5133.

[33] Eine ungefähre Vorstellung, inwieweit dieser Rückgang durch Liquidation veranlaßt worden ist, gewährt Anlage 5. Danach sind von 1926 bis 1929 720 deutsche Wirtschaften bis 100 ha Größe mit zusammen 10 337,04,04 ha liquidiert worden, von denen die Mehrzahl Ansiedlungen sein dürften.

Von 1919/20 bis 1932 ist die Zahl der Ansiedler in Pommerellen und im Netzegau von 12 996 auf 5133, d. i. auf 39,5% zurückgegangen, in Pommerellen von 6690 auf 2380 = 35,6% und im Netzegau von 6306 auf 2753 = 43,6%.55 In den einzelnen Kreisen schwankt der Rückgang in Pommerellen in den Grenzen von auf 17% (Dirschau) bis auf 67,8% (Karthaus), bei den großen Ansiedlerkreisen von auf 23,3% in Tuchel bis auf 46,3% in Graudenz. Im Netzegau schwankt der Rückgang bis auf 18,6% im Kreise Strelno und 54% im Kreise Wongrowitz, in den großen Ansiedlerkreisen zwischen 38,6% im Kreise Hohensalza und 54% im Kreise Wongrowitz. Das Bild ist also im Netzegau günstiger als in Pommerellen, wie denn auch die absolute Zahl der 1932 vorhandenen Ansiedler im Netzegau größer ist als in Pommerellen (2753:2380 gegen 6306:6680 im Jahre 1919/20). S. Anlage 4.

Sehr interessante Aufschlüsse gewährt die Beantwortung der Frage nach den Gründen der Abgabe der Ansiedlungen.56 Von der Gesamtzahl der Abgaben mit 7691 entfallen auf den sogen[annten] freiwilligen Verkauf 3982, also 51,8%, sodaß also 48,2% der Abgaben unter Zwang erfolgt sind. Dabei darf nicht vergessen werden, wie eingangs ausgeführt worden ist, unter welch starken Druck sämtliche Ansiedler durch die Annullation und die ungeklärte Wiederkaufsrechtsfrage standen, sodaß auch die sogen[annten] freiwilligen Verkäufe unter einem besonderen psychischen Druck zustande gekommen sind. Die Zahl der freiwilligen Verkäufe ist in Pommerellen erheblich größer als im Netzegau. Dort entfallen von 4304 Abgaben 2447 = 56,8%, hier von 3387 nur 1539 = 39,5% auf den freiwilligen Verkauf. Innerhalb der einzelnen Kreise herrschen die größten Unterschiede im Verhältnis zwischen freiwilligem Verkauf und Zwangsabgaben vor allem in Pommerellen. Abgesehen von den wegen ihrer geringen Ansiedlerzahl bedeutungslosen Kreisen Neustadt-Putzig (Seekreis) und Karthaus, in denen nur freiwillige Verkäufe vorkommen, gibt es Schwankungen von 11,7% (Konitz) bis 90,4% [34] (Berent) in Pommerellen und 15% (Wirsitz) bis 69,2% (Strelno) im Netzegau, die der freiwillige Verkauf von der Gesamtabgabe ausmacht. Ist der Kreis Berent 1919/20 nur mit 377e Ansiedlern besetzt gewesen, deren relative Vereinzelung ähnlich wie in Karthaus und im Seekreis die freiwillige Aufgabe erklären, so ist dies Moment auch bei ganz ausgesprochenen Ansiedlerkreisen zu finden, wie in Briesen mit 75,4% (1919/20 1174 Ansiedler), Strasburg mit 76,5% (1919/20 591 Ansiedler) und Thorn 69,6% (1919/20 538 Ansiedler).e Dagegen weist Tuchel (1919/20 426 Ansiedler) nur 30,45% und Schwetz (1919/20 1140) nur 39,4% auf. Gleichmäßigere Verhältnisse zeigt der Netzegau. Abgesehen von Strelno mit einer ursprünglichen Ansiedlerzahl von 397 weist Bromberg (1919/20 688 Ansiedler)e mit 61,2% den größten Prozentsatz auf, Wirsitz (1919/20 838 Ansiedler) mit 15% den kleinsten. Hohensalza (1919/20 763 Ansiedler) hat 56,1%, Schubin (710 Ansiedler) 55,4% und Znin (997) 51,6%. Der ursprünglich stärkste Ansiedlerkreis von Pommerellen-Netzegau, Wongrowitz (1335) weist 42,78% Anteil der freiwilligen Verkäufe an der Gesamtabgabe auf. Von besonderem Interesse ist der Kreis Wirsitz, weil in ihm die absolut und prozentual größte Abgabe infolge Annullation und Liquidation stattgefunden hat, nämlich 185 Annullationen und 230 Liquidationen = zusammen 85% der Abgaben des Kreises mit 608 Stellen. Trotz dieser Vernichtung des Bestandes durch Zwangsmaßnahmen sind im Kreise Wirsitz immerhin noch 230 Ansiedler = 27,4% geblieben. Nach dem Kreise Wirsitz sind durch Annullation und Liquidation am stärksten die größten Ansiedlerkreise von Pommerellen und Netzegau betroffen worden, das sind Schwetz (1919/20 1140) mit 245 Annullationen und 82 Liquidationen und Wongrowitz (1919/20 1335) mit 229 Annullationen und 64 Liquidationen. Trotzdem weisen sie 1932 noch den absolut größten Bestand an deutschen Ansiedlern in Pommerellen bzw. im Netzegau auf (Schwetz 469 und Wongrowitz 722).

Die wertvollsten Aufschlüsse ergeben die Fragebogen durch die Angaben über die Herkunftsgebiete der Ansiedler. Von den 12 996 1919/20 vorhandenen Ansiedlern in Pommerellen und im Netzegau sind in den Fragebogen Herkunftsangaben von 12 151 vorhanden, von den 7691, die ihre Stellen abgegeben haben, die Angaben über 6172 Ansiedler. Einer besonderen [35] Betrachtung wert sind nur die Herkunftsgebiete, aus denen eine größere Zahl von Ansiedlern stammt. Das ist in erster Linie die Gruppe der Westpreußen, Posener, Pommern, Sachsen, Westfalen, Galizier, Kongreßpolen, Wolhynier und Rußlanddeutschen, in zweiter Linie die Gruppe der Brandenburger, Württemberger, Hannoveraner und Hessen-Nassauer. Die übrigen Herkunftsgebiete sind so schwach vertreten, daß sie kein besonderes Interesse erwecken. Welche Veränderungen im prozentualen Anteil der einzelnen Herkunftsgebiete an der Gesamtzahl der Ansiedler von 1913 (s. die Tabellen I und II) bis 1932 eingetreten sind, zeigt Anlage 7.

In der ersten und bei weitem wichtigsten Gruppe ist die Reihenfolge im prozentmäßigen Anteil des Standes vom 1. 4. 1932 vom ursprünglichen Stand folgende:57

Posener 56,7%, Galizier 52,1%, Westpreußen 45,2%, Westfalen 41,6%, Kongeßpolen 40,7%, Wolhynier 39,6%, Pommern 38,2%, Rußlanddeutsche 30,9%, Sachsen 20,1%, in der zweiten Gruppe Württemberger mit 38,6%, Brandenburger mit 37%, Hannoveraner mit 35,8% und Hessen-Nassauer mit 17,2%. Es ist bedeutsam, daß die drei Herkunftsgebiete mit den höchsten Ziffern vom heutigen Standpunkte aus als Einheimische anzusehen sind. Die Galizier werden nach dem Brauch der Ansiedlungskommission zusammen mit den Kongreßpolen, Wolhyniern und Rußlanddeutschen als Rückwanderer bezeichnet. Sie heben sich aber wegen ihres höheren Kulturniveaus erheblich von diesen ab und passen in die Umgebung mit den Reichsdeutschen am besten hinein. Interessant sind auch die erheblichen Unterschiede zwischen Westfalen mit 41,6% und Sachsen mit 20,1%, ferner zwischen den Württembergern und Hannoveranern mit 38,6% bzw. 35,8% einerseits und Hessen-Nassauern mit 17,2% andererseits. Es scheint, als ob sich die härteren Westfalen, Hannoveraner und Württemberger für die Siedelung besser eignen als die zwar sehr begabten, aber in ihrer ganzen Charakteranlage weicheren Sachsen und Hessen-Nassauer. Das rechte Bild wird sich aber erst durch eine spezielle Untersuchung der Gemeinden gewinnen lassen, in denen hauptsächlich freiwillige Verkäufe vorgekommen sind.

Nach dieser Richtung hin sind 96 Ansiedlungsgemeinden in Pommerellen und 57 im Netzegau, zusammen 153, betrachtet worden. Danach sind in der oben erwähnten Gruppe I am seß- [36] haftesten die Posener, von denen in den 153 Gemeinden noch 62% geblieben sind; dann kommen die Galizier mit 50,6%, die Westfalen mit 49,9%, die Westpreußen mit 49,7%, die Wolhynier mit 43,6%, die Pommern mit 40,6%, die Kongreßpolen mit 39,5%, die Rußlanddeutschen mit 37% und im weiten Abstande die Sachsen mit 23,8%, in der zweiten Gruppe die Hannoveraner mit 56,7%, die Württemberger mit 55,9%, die Brandenburger mit 30,9% und die Hessen-Nassauer mit 27,1%.

Die Ergebnisse sind also ungefähr dieselben, wie bei der Betrachtung sämtlicher 472 Ansiedlungsgemeinden, nur daß die Posener gegenüber dem freiwilligen Verkauf sich als noch widerstandsfähiger erwiesen haben und die Westfalen nicht nur in der Reihenfolge, sondern auch nach dem prozentmäßigen Anteil höher rücken. Es bleibt dabei, daß die als Einheimische zu bezeichnenden Ansiedler am besten abschneiden und daß sich in sie die Westfalen einreihen, ferner, daß in weitem Abstande von allen übrigen Herkunftsgebieten die Sachsen und Hessen-Nassauer folgen.

Sehr interessant ist die Feststellung, daß Pommerellen wesentlich ungünstiger abschneidet als der Netzegau. Die Westpreußen sind im wesentlichen in Pommerellen, die Posener in Posen angesiedelt worden. Man kann also Westpreußen in Pommerellen und Posener im Netzegau miteinander vergleichen. Hierbei zeigt sich, daß von den Westpreußen in Pommerellen nur 49%, von den Posenern im Netzegau dagegen 63% geblieben sind. Mit Ausnahme der Hannoveraner und der Rußlanddeutschen weisen sämtliche Herkunftsgebiete in Pommerellen einen größeren Verlust auf als im Netzegau. Es sind geblieben von den

Westfalen in Pommerellen 48,1%, im Netzegau 51,3%,
Sachsen " " 17,0%, " " 30,6%,
Galiziern " " 39,2%, " " 58,7%,
Kongreßpolen " " 38,1%, " " 41,4%,
Wolhyniern " " 41,0%, " " 58,6%,
Württembergern " " –     " " 70,9%,
Brandenburgern " " 12,2%, " " 42,5%,
Hessen-Nassauern   " " 21,1%, " " 31,2%.

Nur die Hannoveraner zeigen in Pommerellen einen Bestand von 63,2% gegenüber 55% im Netzegau und die Rußlanddeutschen von 37,3% gegenüber 36,2%. Das erweist, daß der Antrieb zum freiwilligen Verkauf im Pommerellen erheblich größer gewesen ist als im Netzegau. Wenn auch schon bei der ganzen [37] bisherigen Betrachtung Pommerellen durchgängig ein schlechteres Bild ergab als der Netzegau, so tritt das jetzt mit ganz besonderer Schärfe hervor. Es ist augenscheinlich, daß diese durchgängige Verschiedenheit nicht zufällig sein kann. Die wirtschaftlichen Bedingungen sind in Pommerellen zu polnischer Zeit nicht schlechter geworden als im Netzegau. An sich haben sogar einige Kreise des Netzegaus, die ganz oder teilweise in der Demarkationslinie lagen, so die Kreise Strelno, Hohensalza, Schubin, Znin, Wongrowitz und ein Teil des Kreises Kolmar bereits im Jahre 1919 durch den polnischen Aufstand vom 27. 12. 1918 und seine Nachwirkungen besonders zu leiden gehabt. Jedoch hat diese vorübergehende Erscheinung offenbar keine besonders nachteiligen Einwirkungen gezeitigt, ja, die Kreise Wongrowitz und Znin weisen sogar einen besonders günstigen Stand auf. In Pommerellen hat dagegen der Bolschewistenkrieg im Jahre 1920 die Seßhaftigkeit der deutschen Bevölkerung ganz allgemein stark beeinflußt, indem wegen der drohenden Kriegsgefahr die Aushebungen viel schärfer gehandhabt wurden, was begreiflicherweise eine große Anzahl von Deutschen, die bereits den Weltkrieg mitgemacht hatten, zur Option und Abwanderung veranlaßte. Es ist ja auch festzustellen, daß nach der privaten deutschen Volkszählung von 1926 die Hauptmasse der Optanten in Pommerellen gezählt worden ist, und zwar von einer Gesamtzahl von 5688 Optanten 4523 in Pommerellen und nur 1165 in der Wojewodschaft Posen. Das wichtigste Moment aber dürfte die Schulpolitik der polnischen Regierung sein, die ersichtlich in Pommerellen in viel stärkerem Maße auf die Entdeutschung ausging als in Posen. In der vom Abg. Graebe namens des Deutschtums in Pommerellen und Posen an den Völkerbund gerichteten Eingabe vom 23. Juni 1931 ist in Anlage 5 eine vergleichende Übersicht über die Zahl der deutschen Klassen an polnischen staatlichen Volksschulen in den Wojewodschaften Thorn (Pommerellen) und Posen zwischen den Schuljahren 1925/26 und 1930/31 gegeben. Danach sind in Pommerellen die Klassen mit deutscher Unterrichtssprache von 138 auf 54, in Posen 451 auf 237, d. h. in Pommerellen auf 39%, in Posen nur auf 52,5% zurückgegangen. Anlage 6 bringt ein Verzeichnis nur aus Pommerellen von 6 deutschen Lehrern, die obgleich noch dienstfähig, in den Ruhestand versetzt und von 18 gleichfalls in Pommerellen tätigen, die nach Kongreßpolen versetzt worden sind, wo sie keine Gelegenheit haben, an deutschen Schulen zu wirken. Trotz der [38] großen Schulnot in Pommerellen war es den Deutschen dort, wie auf Seite 7 des Textes ausgeführt wird, nur möglich, bis 1925 ganze fünf private deutsche Volksschulen genehmigt zu erhalten und nach 1925 überhaupt keine mehr, während in Posen 82, davon im Jahre 1930 5 gegründet werden konnten. Gerade die Entdeutschungsmaßnahmen auf kulturellem Gebiet, die selbstverständlich ebenfalls in der Zeit von 1920 bis 1924 zu konstatieren sind und in Pommerellen stets schärfer waren als in Posen, haben auf die selbstbewußten und bildungsbedürftigen Ansiedler in besonders starkem Maße gewirkt und erklären ebenfalls, weshalb Pommerellen in der Abwanderung der Ansiedler ein ungünstigeres Bild als Posen bietet.

Die Denkschrift der Ansiedlungskommission vom Jahre 1907 geht auch auf die Frage der Ansiedlung von Katholiken ein und erwähnt,58 daß in der Zeit bis 1906 493 katholische Ansiedler = 4,12% angesetzt worden seien. Die Denkschrift für das Jahr 1913 (Lit.-Verz. Nr. 15) weist in Pommerellen (Regierungsbezirk Marienwerder) 209 katholische Ansiedler, im Regierungsbezirk Bromberg 1 und im Regierungsbezirk Posen 458, zusammen 668 katholische Ansiedler nach, das sind von den damals insgesamt ausgewiesenen 21 257 3,14%. In der Denkschrift von 1907 waren dann die besonderen Gründe angegeben, welche sich der Ansiedlung von katholischen Ansiedlern im besonderen Maße entgegengestellt haben und die man im allgemeinen nicht wird beiseite schieben können, wenn auch festzustellen ist, daß katholische Kreise immer auf dem Standpunkt gestanden haben, es sei eine umfangreichere Ansiedlung von Katholiken möglich gewesen. Die Frage ist, ob sich aus den Fragebogen von 1932 etwas Besonderes betr. der Katholiken ergibt. Wenn auch nur das Material über die in Westpreußen Angesiedelten geschlossen vorliegt, dagegen von den katholischen Ansiedlungen im Posenschen nur teilweise Angaben, so genügt das doch, um erkennen zu können, daß sich die Katholiken nicht von den übrigen Ansiedlern unterscheiden. Zwar sind von den in den Listen der Denkschrift für 1913 enthaltenen 246 kath. Ansiedlungen in den Kreisen Konitz, Tuchel und Zempelburg (nach den Fragebogen 244) am 1. 4. 32 nur 73 vorhanden gewesen, doch sind die Abgaben hauptsächlich auf Annullation und Liquidation zurückzuführen, die zusammen 137 Fälle ausmachen. Einige Ansiedlungen haben sich sogar recht gut gehalten, z. B. Götzen- [39] dorf Kr. Konitz (urspr. 20 Ansiedler) hat bei 5 Liquidationen heute noch 11, Sternau, Kr. Konitz (urspr. 49 Ansiedler) bei 24 Annullationen und Liquidationen heute noch 15, Zwangsbruch, Kr. Tuchel (urspr. 46) heute noch 34. Auch katholische Ansiedlungen im Posener Bezirk zeigen, soweit Angaben vorliegen, keinen ungünstigen Stand, so Altkloster Kr. Bomst, jetzt Kr. Wollstein (urspr. 22 Ansiedler) heute 8, Lengen Kr. Pleschen (urspr. 18), heute 12, Marienbronn Kr. Pleschen (urspr. 82) heute 55, Sinnig, Kr. Pleschen (urspr. 22) heute 18, Wettin Kr. Pleschen (urspr. 29) heute 10, Kaczanowo, Kr. Wreschen (urspr. 8) heute 8 und Schondorf Kr. Wreschen (urspr. 22) heute 10.

Mit Bewußtsein hat die Ansiedlungskommission die Siedlungen aus Angehörigen verschiedener deutscher Stämme zusammengesetzt, um ihre Entwicklung zu fördern.59 Es liegt die Frage nahe, ob sich dieses Vorgehen vom Standpunkt der Seßhaftigkeit bewährt hat. Dazu ist zu sagen, daß die wenigen Beispiele von Siedlungen eines und desselben Stammes, die vorhanden sind, wie Gr. Richnau, Heinrichsberg und Marienhof, Kr. Briesen, Rebkau Kr. Kulm, Schlagentin, Kr. Konitz und Summe, Kr. Strasburg, ein ziemlich ungünstiges Bild ergeben, indem von den ursprünglich 209 Ansiedlungen nur noch 59 vorhanden sind, daß aber ausgesprochen gemischte Siedlungen, wie z. B. Wittenburg, Kr. Briesen, ein sehr günstiges Bild zeigen (von 106 im Jahre 1919/20 noch 72 im Jahre 1932). Eine weitere naheliegende Frage ist die, ob es nicht wenigstens besser gewesen wäre, die von uns "Einheimische" genannten Siedler, besonders die Ost- und Westpreußen, die Pommern und die Brandenburger, unvermischt mit anderen Stämmen in Ansiedlungen zu vereinigen. Das ist auch bis zu einem gewissen Grade geschehen, aber die 44 besonders untersuchten Ansiedlungsdörfer dieser Art mit zusammen 1297 Stellen ergeben kein besseres Bild, als die Westpreußen, Posener und Pommern im allgemeinen, indem von den 1297 deutschen Ansiedlern im Jahre 1932 noch rund 50% vorhanden waren, also kein besserer Prozentsatz als sonst.

 
Folgerungen und Schlüsse

Die Denkschrift der Ansiedlungskommission vom Jahre 1907 zieht bereits Schlüsse über die Bewährung der Ansied- [40] ler.60 Es wird hervorgehoben, daß sich besonders der West- und Süddeutsche als tüchtig bewährt habe, und es ist auch nicht zu bezweifeln, daß seine fortgeschrittene landwirtschaftliche Betriebsform und die überlegene Intelligenz usw. sich sehr günstig ausgewirkt haben. Dasselbe gilt von den wirtschaftlichen Vorzügen, die den andern Herkunftsgebieten nachgerühmt werden. Für unsere Untersuchung liegt die Frage anders als sie selbstverständlich von der Ansiedlungskommission gestellt werden konnte, die nicht in der Lage war, die Veränderung der Verhältnisse, wie sie der Friedensschluß mit sich brachte, in den Kreis ihrer Berechnungen einzubeziehen. Gewisse Momente aber spielen auch heute noch eine Rolle. Wenn bei den West- und Süddeutschen als förderlich der gewisse Wohlstand hervorgehoben wird, so hat die allgemeine Beobachtung der Verhältnisse nach 1919/20 gelehrt, daß die Seßhaftigkeit durch das wirtschaftliche Wohlergehen erheblich gefördert wird. Im allgemeinen wird man aber aus den vorangehenden Darlegungen nicht den Schluß ziehen können, daß die wirtschaftlichen Vorzüge kulturell gehobener Gebiete für die Seßhaftigkeit in besonders schwierigen politischen Lagen von besonderem Werte sind. Wenn unter den Westdeutschen die Westfalen und Hannoveraner und unter den Süddeutschen die Württemberger besonders gut abschneiden, so liegt das sicher an ihrer besonderen Charakteranlage, die bei den westfälischen Ansiedlern auch heute noch besonders hervorsticht, so wenig sie sich äußerlich in die polnische Umgebung gefunden haben, z. B. in die Beherrschung der polnischen Sprache, für die das westfälische Sprachorgan scheinbar ganz ungeeignet ist. Es muß auch hervorgehoben werden, daß der Sachse dem Westfalen, Hannoveraner und Württemberger an Intelligenz und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit in keiner Beziehung etwas nachgibt. Gerade bei ihm tritt aber eine gewisse Weichheit und vielleicht auch schon eine zu große Klugheit und Berechnung hervor, die die an sich vorhandene Zähigkeit des bäuerlichen Berufsstandes wieder aufhebt. Die verschiedentlichen Umfragen über die Gründe der freiwilligen Aufgabe der Ansiedlung haben ergeben, daß Beeinflussungen eine außerordentlich große Rolle spielen. Das Beispiel von Nachbargemeinden, die durch Annullation und Liquidation oder durch freiwilligen Verkauf gänzlich der Polonisierung anheimfielen, hat eine zweifellos recht [41] beträchtliche Rolle gespielt. Dann wird immer darauf hingewiesen, welchen großen Einfluß maßgebliche Einzelpersönlichkeiten, wie Gemeindevorsteher, Lehrer und Pfarrer gehabt haben. In Westpreußen ist der freiwillige Verkauf vieler Ansiedlungen auf das Beispiel des Gemeindevorstehers und des Lehrers zurückzuführen. Es sind einige Fälle bekannt, daß der Pfarrer insofern zur freiwilligen Abwanderung beigetragen hat, als er nicht den Mut hatte, seinen Gemeindemitgliedern zu raten, ihre Besitzung solange wie möglich zu halten, indem er aus Ängstlichkeit der Meinung war, er könne einen solchen Rat vor seinem Gewissen nicht verantworten.

Besonders hervorzuheben ist, daß bei den sogen. Rückwanderern derartige Momente offenbar eine recht bedeutende Rolle gespielt haben. Leute geringerer Intelligenz und kultureller Entwicklung pflegen überhaupt psychischen Beeinflussungen zugänglicher zu sein. Von einer Stelle wird diese Erscheinung folgendermaßen dargestellt: "In der Tat muß man bei manchen Gruppen, insbesondere bei den russischen Rückwanderern, unter Berücksichtigung einer mangelnden Urteils- und Entschlußfähigkeit ihre Neigung zur Kollektivhandlung einschalten, um die Abwanderungsgründe zu ermitteln."

Die Rückwanderer bilden überhaupt in der Kolonisation über die Tätigkeit der Ansiedlungskommission hinaus ein besonderes Problem. Es läßt sich nicht verkennen, daß sie einen ganz besonderen Wanderungstrieb haben, der sie, nachdem sie ein oder zwei Generationen in einem Gebiet gesessen haben, wieder zur Abwanderung auch ohne äußere Veranlassung treibt. So sind die deutschen Kolonisten aus dem westlichen Kongreßpolen, in das sie Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts größtenteils aus Großpolen eingewandert sind, teilweise ins Cholmer Land gezogen, von dort nach Wolhynien, von Wolhynien nach der Ukraine und der Krim und teilweise sogar bis an die Wolga. Während der Ansiedlungstätigkeit sind sie dann auf den Rückmarsch gekommen, der auch nach Beendigung des Krieges noch angehalten hat. Unter den Neuerwerbern im Jahre 1919 befanden sich eine ganze Reihe solcher Persönlichkeiten. Aber diese hielten den besonderen politischen Bedrängungen, welche der Übergang an Polen mit sich brachte, nicht stand. Bei den Rückwanderern zeigt sich einerseits ein sehr starker Drang, ins Deutsche Reich zu kommen, der teilweise erheblich höher ist als bei den andern hier ansässigen Deutschen, und ein Drang nach Übersee, der durch das Sekten- [42] wesen gefördert wird, indem die Sekten in Amerika und Kanada ihre Fühler nach ihren Anhängern in Polen ausstreckten und den Boden für sie in der Fremde vorbereiteten. Diese sogenannte "Weiterwanderung" ist bei den Rückwanderern besonders zu beachten. Andererseits läßt sich nicht verkennen, daß man die russischen Rückwanderer ziemlich allgemein in Pommerellen und Posen von Seiten des ansässigen Deutschtums und der aus dem Reich zugewanderten Ansiedler mit scheelen Augen angesehen hat, weil sie dem eigenen kulturellen Stande nicht entsprachen.61 Gerechterweise wird man den russischen Rückwanderern auch zugute halten müssen, daß sie im Bereiche des russischen Reiches allerhand Schweres durchgemacht haben, das sie zur Aufgabe ihrer Siedlung veranlaßte, und daß sie besonders in Westpreußen, wo zu den sonstigen Erschwerungen ihrer Lage noch der Bolschewisteneinfall kam, aus diesen Erinnerungen heraus etwas leichter als andere Stämme zur Abwanderung getrieben sein mögen.

Demgegenüber ist es von besonderem Wert, daß über die Haltung der Rückwanderer jetzt genaues Material vorliegt. Wenn man die oben dargestellten Ergebnisse der Fragebogen vom 1. 4. 1932 in Betracht zieht, wird nicht behauptet werden können, daß die Rückwanderer, wie man bei der Betrachtung der Ansiedlerfrage vorweg leicht anzunehmen geneigt ist, sich in ihrer Haltung wesentlich von den übrigen Herkunftsgebieten unterscheiden.

[43] Diese Vorurteile herrschen auch bezüglich der Süddeutschen und Südwestdeutschen. Daß sie in der Allgemeinheit unrichtig sind, beweist das Beispiel der Württemberger. Im übrigen wird bei diesen Vorurteilen vielfach vergessen, daß sich gerade die Württemberger schon von den Zeiten Friedrichs d. Gr. her besonders gut gehalten haben. Die Feststellungen über die Ansiedler gaben Anlaß, dieser Frage etwas nachzugehen, und es konnte dabei festgestellt werden, daß von den 281 Namen, die R. Ehrhardt angibt,62 noch heute in den von ihm genannten Schwabendörfern 63 vorkommen, darunter viele mehrfach, d. h. 4 bis 6mal. Die Hauptfeststellung ist aber die, daß auch nach 12 Jahren der polnischen Herrschaft der schwäbische Dialekt in der besonderen Ausprägung, wie sie Ehrhardt in seiner dialektgeographischen Untersuchung feststellt, das Bild der Dörfer ganz außerordentlich stark bestimmt, so daß ihr Charakter als schwäbische Dörfer auch heute noch nicht verwischt ist.

Es darf behauptet werden, daß das Ergebnis der vorliegenden Untersuchungen eine glänzende Rechtfertigung der Haltung der Ansiedler bedeutet. Zwar kann nicht angenommen werden, daß alle diejenigen Ansiedler, die durch staatliche Maßnahmen von ihrer Besitzung vertrieben worden sind, ohne diesen Zwang geblieben wären. Man wird aber rechnen dürfen, daß von den 3705 Ansiedlern dieser Art in Pommerellen und im Netzegau höchstens soviel freiwillig verkauft hätten, als der Prozentsatz der in den Fragebogen von 1932 nachgewiesenen freiwilligen Verkäufe vom Bestande von 1919/20 ausmacht. Das sind im Ganzen 30,7%, d. h. von 3705 Ansiedlern 1137, die aller Wahrscheinlichkeit nach dem freiwilligen Verkauf zuzuzählen wären, so daß ein Bestand von 2568 bleiben würde, der den heute noch in Pommerellen und dem Netzegau vorhandenen 5139 zuzurechnen wäre und für Pommerellen-Netzegau ein heutiger Bestand von 7707 herauskäme, was einem Prozentsatz von rd. 60%, statt, wie auf S. 33 angegeben, 39,5% entsprechen würde. Wenn man die besonderen Erschwerungen, die für die Ansiedler nach der vorangegangenen Schilderung bestanden, in Rechnung stellt, so müßte dieser Prozentsatz noch erheblich höher sein, ohne daß er sich irgendwie abschätzen läßt. Daraus ergibt sich, daß es gerade umgekehrt liegt als gewöhnlich angenommen wird, indem die Ansiedler nicht nur nicht im besonderen Maße dem [44] Abwanderungsgedanken nachgegeben, sondern besser standgehalten haben als die übrige deutsche Landbevölkerung. Diese für die Ansiedler günstige Feststellung ist zu gleicher Zeit eine Rechtfertigung für die Methoden der preußischen Ansiedlungskommission, die sowieso, wie die vorherigen Betrachtungen erwiesen, einer Kritik durchaus standhält. Völlig widerlegt ist aber die dauernd von polnischer Seite vorgebrachte Erklärung für die Massenabwanderung der Deutschen aus Posen und Westpreußen, die in der Hauptsache darauf hinausgeht, daß die künstlich ins Land gebrachte deutsche Bevölkerung, womit außer den Beamten in der Hauptsache die Ansiedler gemeint sind, aus ganz natürlichen Gründen das Land verlassen habe. Wäre das richtig, so hätten die Ansiedler in weit höherem Maße als die übrige Bevölkerung abgewandert sein müssen. Wenn sie aber trotz besonders ungünstiger Verhältnisse besser als die übrige deutsche ländliche Bevölkerung standgehalten haben, so ist nur der Schluß daraus zu ziehen, daß die polnische These falsch ist. Das ist sie umsomehr, als das auf ca. 1 100 000 Seelen für das Jahr 1918 anzusetzende Deutschtum in Pommerellen und Posen nur zu etwas mehr als einem Zehntel aus den rd. 21 000 Ansiedlern mit ihren Familien bestand, wenn man die Familie wie üblich durchschnittlich zu 5 Köpfen rechnet. Ein Verlust von 60,5%, wie er bis zum 1. 4. 32 nachgewiesen ist, macht also auch nur ca. 60 000 Seelen aus, und selbst wenn man die Beamten mit ihrem Anhang hinzuzählt, wird der auf S. l erwähnte Verlust von 730 000 Seelen noch bei weitem nicht erklärt.63 Es ist also nichts mit der polnischen Behauptung von der natürlichen Bevölkerungsumschichtung, sondern es bleibt bei der Tatsache der Verdrängung einer ungeheuren Menge von mehreren Hunderttausenden von Deutschen durch gewaltsame Mittel von polnischer Seite.


 

[45]
Anlage 1

Abschrift.

Bydgoszcz, den 7. November 1921.

An den Hohen Völkerbundrat
Genf (Schweiz).

In einer Stunde der größten Not wenden sich die deutschen Ansiedler aus den an Polen abgetretenen ehemals preußischen Gebieten an den Hohen Rat des Völkerbundes, der durch den Versailler Friedensvertrag berufen ist, sich des Schicksals der Minoritäten in der Republik Polen anzunehmen.

Nicht genug damit, daß eine große Anzahl von uns auf Grund des Versailler Friedensvertrages der Liquidation ihres Eigentums unterliegt und dadurch schwer betroffen wird, wendet der Polnische Staat gegen Tausende von uns das Gesetz vom 14. Juli 1920 an (Anlage 1). Der Zweck dieses Gesetzes war, wie in seiner Begründung ausgeführt ist, Eigentumsveränderungen, die der preußische Staat oder die andern im Art. 1 des Gesetzes genannten Personen zum Schaden des Polnischen Staates nach dem 11. November 1918 vorgenommen haben, unwirksam zu machen. Nun wird dieses Gesetz gegen diejenigen von uns angewendet, die als Eigentümer zwar noch nicht oder erst nach dem 11. November 1918 im Grundbuch eingetragen worden sind, aber seit vielen Jahren, ja Jahrzehnten, tatsächliche Eigentümer sind und vertragsmäßig einen Anspruch auf Auflassung haben. Zunächst haben wir angenommen, daß das Gesetz sich gar nicht auf uns bezieht, da wir zum allergrößten Teil polnische Staatsbürger sind und der Artikel 5 des Gesetzes dem Staate zwar die Möglichkeit, nicht aber die Pflicht der Entfernung von den Grundstücken zuweist; andererseits die deutschen Reichsangehörigen unter uns sowieso der Liquidation nach dem Friedensvertrage unterliegen.

Im Laufe dieses Jahres erhielten wir dann, als die im Gesetz vorgesehene Frist zur Anmeldung des Schadensersatzes verstrichen war, die Mitteilung, daß der polnische Staat sich als Eigentümer des Besitzes eingetragen habe. Auf unsere Proteste gegen dieses Verfahren, das uns unseres Eigentums beraubte, erfolgte zunächst nichts, bis dann in den ersten Tagen des Monats Oktober 1921 der zweite, ungleich schwerere Schlag [46] geführt wurde. Diejenigen, bei deren Grundstücken im Grundbuchamt der polnische Staat als Eigentümer eingetragen worden ist, haben die Mitteilung vom Okręgowy Urząd Ziemski in Poznań erhalten, daß sie auf Grund des Gesetzes vom 14. Juli 1920 ihre Ansiedlungen bis zum 1. Dezember 1921 zu räumen haben, widrigenfalls die Exmissionsklage gegen sie eingeleitet wird. Außerdem sind uns vielfach Zwangsverwalter bestellt worden, die uns jeglichen Verkauf von Erntevorräten und lebendem und totem Inventar ohne Genehmigung des Starosten verbieten, obwohl das Inventar und ebenso die Ernte zweifellos unser Eigentum sind, denn die Felder sind neu bestellt. Dieses Verfahren unserer Regierung ist eine unmenschliche Härte, da der Winter bereits hereingebrochen ist und wir nicht wissen, wo wir für unsere Familien eine Unterkunft finden sollen, denn in den Dörfern und Städten sind keine Wohnungen frei. Wir werden jetzt auf die Straße gesetzt, nachdem wir gut genug waren, die Ernte einzubringen und die Winterbestellung zu besorgen. Dabei muß immer wieder hervorgehoben werden, daß die weitaus meisten von uns Bürger des polnischen Staates sind. Der Staat vertreibt also seine eigenen Bürger von ihrer Scholle, obwohl auch uns Deutschen nach Art. 95/96 der polnischen Verfassung und nach Art. 7 und 8 des Minderheitenschutzvertrages die gleiche Behandlung wie allen anderen Staatsbürgern zusteht.

Was die Rechtslage angeht, so muß erneut hervorgehoben werden, daß der übergroße Teil von uns wohlerworbene Rechte auf die Grundstücke besitzt, denn unsere Verträge mit der preußischen Ansiedlungskommission sind in rechtsgültiger Form viele Jahre vor dem Waffenstillstandsvertrag von Compiègne am 11. November 1918 abgeschlossen worden, und wir hatten daher ein klagbares Recht gegen die preußische Ansiedlungskommission auf Auflassung und Eintragung im Grundbuch. Die nach dem 11. November 1918 erfolgte Eintragung stellt also nicht einen Akt des preußischen Staates zur Schädigung des polnischen Staates dar, sondern die Fixierung eines bereits lange bestehenden Rechtszustandes. Daß die preußische Ansiedlungskomission lange Jahre hindurch wegen anderer Arbeiten es versäumt hat, uns die Ansiedlung zu erteilen, ist nicht unsere Schuld und beseitigt nicht unsere wohlerworbenen Rechte.

Auch bei den wenigen von uns, die nach dem 11. November 1918 ihre Ansiedlungsstelle von einem Ansiedler gekauft und die Auflassung vom preußischen Staate erhalten haben, [47] liegt eine Vermögensschädigung des Staates nicht vor, denn die Grundstücke haben auch vorher nicht dem Staate, sondern einem Privateigentümer gehört und die Pflicht der Rentenzahlung war auf uns übergegangen. Wenn aber schon die Auflassung, zu der der preußische Staat seine Zustimmung gab, als zu unrecht geschehen, angesehen wird, so mußte eine Entschädigung eintreten, ohne die der Staat sich ungerechtfertigt bereichern würde. Diese Entschädigung ist in Art. 3 des Gesetzes auch vorgesehen. Die Frist zur Stellung eines Entschädigungsanspruches lief aber mit dem 27. Januar 1921 ab, zu einer Zeit also, als nur die wenigsten von uns eine Mitteilung des zuständigen Kreisgerichts hatten, daß an ihrer Stelle der polnische Staatsschatz als Eigentümer eingetragen sei, geschweige denn, daß sie eine Aufforderung zur Räumung erhalten hatten. Dadurch wurde also jeder Entschädigungsanspruch von vornherein illusorisch gemacht.

Von den geschilderten Maßnahmen sind auch die Reichsdeutschen unter uns betroffen worden. Sie würden nach dem Friedensvertrage von Versailles von der Liquidation betroffen werden, die ihnen eine Entschädigung von seiten des polnischen Staates zusichert. Durch die Anwendung des Gesetzes vom 14. Juli 1920 soll ihnen nun dieser Entschädigungsanspruch genommen werden.

Das Gesetz vom 14. Juli 1920 ist zweifellos mit dem Minderheitenschutzvertrage nicht vereinbar, zu dem als einem fundamentalen Gesetz keine Gesetze und Verordnungen Polens in Widerspruch stehen dürfen. Ganz besonders verstößt aber die gegen uns vorgenommene Anwendung des Gesetzes gegen den Vertrag. Vor den Gerichten erhielten wir jedoch kein Recht, wie es die in gleicher Lage wie wir befindlichen Domänenpächter erfahren haben, denn die Gerichte stellen sich auf den Standpunkt, daß das Vorhandensein des Gesetzes allein für sie maßgebend sei, und daß sie nicht zu prüfen hätten, ob das Gesetz an sich maßgebend sei oder nicht, oder ob es dem Friedensvertrage von Versailles oder dem Minderheitenschutzvertrag widerspricht.

Daher bleibt uns in unserer unsagbaren Not nichts anderes übrig, als uns an den Hohen Völkerbundrat mit der flehentlichen Bitte um Hilfe zu wenden, als der einzigen Stelle, die berufen ist, über der Einhaltung der Rechte der Minderheiten zu wachen. Wir haben die feste Überzeugung, daß man uns helfen wird, denn wir können nicht glauben, daß der Völkerbund [48] es zulassen wird, daß man schuldlose Menschen von Haus und Hof vertreibt, weil sie einer Minderheit angehören.

Wir bitten den Hohen Völkerbund, uns schleunigst zu helfen, sollen wir doch schon am 1. Dezember d. Js., mitten im harten Winter, vertrieben werden, und uns Nachricht darüber zukommen zu lassen an die Adresse: Ansiedler-Ausschuß bei der Landesvereinigung des Deutschtumsbundes, Bydg[o]szcz, Pl. Wolności 1, III und an Jakob Landgraf in Silno p. Chojnice.

 
Anlage 2

Die Zwangsverwaltung bei annullierten Ansiedlungen spielte sich nach der Schilderung eines genauen Kenners meistens folgendermaßen ab:

Häufig wurde die Durchführung der Annullation nach Einreichung der Räumungsklage durch das Landamt mit der Einsetzung eines Zwangsverwalters eingeleitet, ohne daß der Ausgang der Klage abgewartet wurde. Sicherung der ordnungsmäßigen Weiterführung der Wirtschaft mußte als Vorwand herhalten. Diese Ansiedler waren ganz besonders übel daran, da der Zwangsverwalter auf Rechnung des Ansiedlers wirtschaftete. Gewöhnlich kam der Zwangsverwalter auch als Nachfolger in Frage und ließ daher meistens das Wirtschaftsinventar bewußt verkommen, um es später von dem exmittierten Ansiedler billig übernehmen zu können. Das Inventar und die überschüssigen Wirtschaftsvorräte blieben nämlich Eigentum des Ansiedlers. Das Landamt übte aber auf den Ansiedler einen starken Druck aus, daß er, soweit der Nachfolger Wert darauf legte, diesem das Inventar verkaufte. Es ist ja nun klar, daß der Nachfolger für abgetriebenes Vieh sehr wenig bot und die Zwangslage für sich ausnutzte. Die Starostei stellte dem vertriebenen Ansiedler erst dann die Abwanderungspapiere aus, wenn er eine Bescheinigung des Landamts vorlegte, daß alles geregelt sei, und geregelt war eben erst dann alles, wenn der Ansiedler sein Inventar dem Nachfolger für ein Spottgeld verkauft hatte. Die Einsetzung des Zwangsverwalters erfolgte in der Regel durch den Amts- oder Gemeindevorsteher, einen Beamten des Landamtes und 2 Gendarmen. Sträubte sich der Ansiedler, einen Teil seiner Wohnung abzutreten, so wurden die Zimmer einfach aufgebrochen, Möbel und Hausrat herausgesetzt und dem Ansiedler ein, höchstens zwei Zimmer belassen. Die Küche durfte gemeinsam benutzt werden. Was das [49] zu bedeuten hat, wenn sich feindlich gegenüberstehende Familien in einer meist recht kleinen Küche gemeinsam kochen, dürfte klar sein, wobei noch zu berücksichtigen ist, daß sich die beiden Parteien gar nicht verständigen konnten, da die eine nur deutsch, die andere nur polnisch konnte. Gewöhnlich zog sich dann die deutsche Ansiedlerfamilie auch schon in den ersten Tagen aus der Küche zurück und errichtete sich notdürftig im Zimmer oder auch draußen eine Kochgelegenheit. Der Zwangsverwalter kam gewöhnlich aus dem Osten und brachte häufig nicht nur seine eigene vielköpfige Familie, sondern noch einen großen Verwandtenanhang mit.

Als Zwangsverwalter verlangte der neue Herr meistens, daß der alte Ansiedler und seine arbeitsfähigen Familienangehörigen weiter in der Wirtschaft arbeiteten, was diese auch gewöhnlich zunächst taten, schon um Vieh und Land sachgemäß zu versorgen. Mir wurde von Ansiedlern berichtet, wie der Zwangsverwalter sich den Kutschwagen anspannen ließ und mit seiner Familie zur Stadt fuhr, während der Ansiedler arbeitete. (Wollte der Ansiedler später einmal Fuhrwerk haben, um seinen Termin in der Stadt wahrzunehmen oder seine Papiere zu besorgen, so war natürlich kein Pferd frei.) Kam der Zwangsverwalter dann aus der Stadt zurück, häufig angetrunken, so stellte sich meistens heraus, daß er Vieh und Getreide verkauft hatte ohne Rücksicht darauf, daß das Vieh noch nicht schlachtreif war oder das Getreide zu Futterzwecken benötigt wurde. Den Erlös brauchte ja aber der Zwangsverwalter dringend, um sich Mobiliar, Hausrat und sonstige Sachen zu kaufen, die er bisher noch nicht hatte. Bei dieser Gelegenheit kam es dann zum ersten Zusammenstoß und versagte darauf gewöhnlich schon der alte Ansiedler seine Mitarbeit in der Wirtschaft. Die Folge davon war dann, daß der Zwangsverwalter dem Ansiedler keine Milch für die Kinder, keine Brennung zum Kochen, keine Kartoffeln, ja nicht einmal Wasser aus dem Brunnen entnehmen ließ. Wenn man sich nun vorstellt, daß es eine ganze Menge von Ansiedlungsdörfern gab, die restlos der Annullation unterlagen und wo sämtliche Ansiedlungen mit Zwangsverwaltern bzw. Nachfolgern besetzt waren, so kann man sich ein ungefähres Bild von dem namenlosen Elend dieser Familien machen. Diese armen Leute hatten weite Wege zu machen, um ihre Lebensmittel zu beschaffen, ja, um nur etwas Wasser zu bekommen. Kein Pole verkaufte für noch so schweres Geld Lebensmittel.

[50] Wurde später der Zwangsverwalter zum Nachfolger eingesetzt, so war natürlich von einer Rechnungslegung nicht die Rede. Der Nachfolger suchte sich dasjenige Inventar heraus, auf welches er reflektierte und bot dem Ansiedler einen Spottpreis dafür. Hatte man sich schließlich des Preises wegen geeinigt, so steckte der Nachfolger sich hinter das Landamt, und dann wurde der größte Teil noch auf angeblich notwendige Gebäudereparaturen oder dergleichen verrechnet. Die Inflation tat dann noch ein übriges. Das vom Nachfolger verschmähte Inventar wurde einfach hinausgeworfen, und der Ansiedler konnte zusehen, wie er es anderweitig unterbrachte oder verschleuderte.

Der Nachfolger benahm sich meistens, wenn dieses überhaupt noch möglich war, noch rabiater als der Zwangsverwalter, da er ja nun der "Eigentümer" des Grundstückes und die alte Ansiedlerfamilie ihm lästig war. Der alte Ansiedler blieb aber zunächst auf diese Unterkunft angewiesen, da er seine Ansprüche nicht aufgeben wollte und auch nicht über Mittel verfügte, um eine neue Wohnung zu mieten. Der Nachfolger gab auch gegen hohe Bezahlung keine Lebensmittel heraus. Da die Ansiedlerhäuser gewöhnlich nur eine Haustür hatten, war es eine beliebte Methode, dem Deutschen die Benutzung derselben zu untersagen. Der Ansiedler fand die Tür einfach abgeschlossen und mußte notgedrungen das Fenster zu diesem Zwecke benutzen. Dem Ansiedler Hahn in Culm, der des morgens seiner Arbeit in der Fabrik nachgehen wollte, passierte es, daß er vor der verschlossenen Tür stand. Das Fenster konnte er nicht benutzen, weil seine Wohnung im Dachgeschoß lag. Er konnte eben nicht seiner Arbeit nachgehen und mußte die Behörde anrufen. Üblen Reden und häufig auch Mißhandlungen waren fast alle Familien, insbesondere die Frauen und hilflose alte Personen ausgesetzt. Falls kleine Kinder oder kranke Personen vorhanden waren, wurde mit Vorliebe häufig des Nachts in den nebenan liegenden Räumen getobt, geklopft und Schimpfworte gebrüllt.

In der vollständig annullierten Ansiedlung Rebkau im Kreise Culm rotteten sich eines Sonntags die neuen polnischen Ansiedler unter Teilnahme von Soldaten zusammen und versuchten die deutschen Ansiedlerfamilien gewaltsam zu vertreiben unter Zuhilfenahme der blanken Waffe, von Knütteln usw. Ein deutscher jüngerer Ansiedler, der sich zur Wehr setzte, mußte sich [51] einige Tage im Verborgenen aufhalten, bis ihm die Flucht über die Grenze unter Zurücklassung seiner Familie gelang.

Sicher ist, daß zahlreiche Personen infolge der durchgemachten Aufregungen und Entbehrungen nicht wieder gut zu machenden Schaden an Leib und Seele davongetragen haben.

[52]
Anlage 3

Anlage 3

[53-55]
Anlagen 4a - 4c

Anlage 4a

Anlage 4b

Anlage 4c

[56-57]
Anlage 5

Anlage 5

Tabelle I

Tabelle I

[58]
Anlagen 6a & 6b

Tabelle I

Tabelle I

[59]
Anlage 7

Tabelle I

[60-63]
Anlagen 8a & 8b

Tabelle I

Tabelle I



[i]

 1. Hermann Rauschning, Die Entdeutschung Westpreußens und Posens, Berlin 1930.

 2. Z. Stoliński, Die deutsche Minderheit in Polen, Warschau 1928.

 3. Karl-Georg Bruns, Die Rechtslage der Ostprovinzen nach dem Friedensvertrage, Berlin 1919.

 4. W. Sukiennicki, Pruska polityka kolonizacyjna na ziemiach polskich 1886–1919, Warszawa, wydawnictwo ministerstwa reform rolnych, 1931. (Die preußische Ansiedlungspolitik in den polnischen Gebieten von 1886–1919, Verlag des Ministeriums für Agrarreform, Warschau 1931, zitiert Sukiennicki I.)

 5. W. Sukiennicki, Sprawa sukcesji prez Polskę uprawnien rentowych państwa pruskiego, wynikłych z jego akcji kolonizacyjnej na wschodzie, Warszawa, wydawnictwo ministerstwa reform rolnych, 1931. (Die Frage der Nachfolge der Rentenberechtigungen des preuß. Staates, die aus seiner Ansiedlungsaktion im Osten hervorgegangen sind, auf Polen, Verlag des Ministeriums für Agrarreform, Warschau 1931, zitiert Sukiennicki II.)

 6. Thieme-Schuster, Das polnische Liquidationsverfahren, Berlin 1924.

 7. Polnische Gesetze und Verordnungen in deutscher Übersetzung, herausgegeben von Deutschtumsbund zur Wahrung der Minderheitsrechte in Polen, Jahrg. 1920.

 8. Heidelck, "Das Deutschtum in Pommerellen und Posen," Deutsche Blätter, Jahrg. 4, Heft 5, Posen 1927.

 9. Heidelck, "Die Stellung des Deutschtums in Polen," Kritische Untersuchtung zu Zygmunt Stolinski, "Die deutsche Minderheit in Polen," in Deutsche Blätter in Polen, Jahrg. 6, Heft 2, Posen 1929.

10. Ständiger Internationaler Gerichtshof, Das Gutachten über die Ansiedlerfrage, Aktenz. F. c. VI, Liste III, 2. Deutsche Übersetzung, Verlag A. Dittmann, Bromberg, 1930.

11. 20 Jahre deutscher Kulturarbeit 1886–1906, Druckschrift des Hauses der Abgeordneten, 1907, Nr. 501, Berlin 1907.

12. Barklay-Struyken-Kauffmann, "Studien zur Lehre von der Staatensukzession," in Abhandlungen zum Friedensvertrage, Heft 5, Verlag Franz Vahlen, Berlin 1923.

13. Rolf Ehrhardt, Die schwäbische Kolonie in Westpreußen, Dissertation, Marburg 1914.

14. Stan posidania ziemi na Pomorzu, Zagadnienia historyczne i prawne (Der Stand des Landbesitzes in Pommerellen, Historische und rechtliche Probleme, Verhandlungsprotokoll sowie wissenschaftliche Referate, die auf der am 31. 10. 1932 in Posen stattgefundenen III. wissenschaftlichen pommerellenkundlichen Tagung gehalten wurden). Wydawnictwo instytutu Baltyckiego, Toruń 1933 (Verlag des Baltischen Instituts, Thorn 1933). Darin: K. Kierski, "Podstawy prawne osadnictwa polskiego na Pomorzu" (Die rechtlichen Grundlagen des polnischen Siedlungswesens in Pommerellen).

15. Denkschrift (der preußischen Ansiedlungskommission) über die Ausführung des Gesetzes vom 26. April 1886, betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen, für das Jahr 1913, dem Landtage vorgelegt.



1Hermann Rauschning, Die Entdeutschung Westpreußens und Posens, Berlin 1930, S. 338 fg. ...zurück...

2a. a. O. S. 363. ...zurück...

3Stoliński, Die deutsche Minderheit in Polen, Warschau 1928, S. 4 u. 9. ...zurück...

4Nach Carl Georg Bruns, Die Rechtslage der Ostprovinzen nach dem Friedensvertrage, Berlin 1919, S. 63. ...zurück...

5Auch ein genauer Kenner der Verhältnisse wie Rauschning fällt dieser Voraussetzung zum Opfer, indem er a. a. O. S. 343 neben den Kreisen Neutomischel und Zempelburg auch den Kreis Wongrowitz als den hervorhebt, dessen ländliche Bevölkerung sich ausweislich der privaten deutschen Volkszählung von 1926 um weniger als 50% vermindert habe, und zwar als "ausschließliches Gebiet altansässiger Bauern". Das Bauerntum des Kreises Wongrowitz bestand aber 1926 ganz überwiegend aus Ansiedlern, nämlich unter 1144 Wirtschaften bis 300 Morgen Größe mit zusammen 81 108 Morgen 801 Ansiedler mit 53 377 Morgen Gesamtfläche. ...zurück...

6S. Rauschning S. 342, Anm. 1. ...zurück...

7Aus einer Denkschrift des Pr. Min.-Präs. St. M. I 5859 v. 23. 8. 21. ...zurück...

8Es ist jedoch in nicht wenigen Fällen die Vergebung der aufgeteilten Stellen nicht erfolgt, so daß die an sich aufgeteilten Güter in dieser Form in polnische Hand übergingen und überhaupt nicht deutschen Ansiedlern übergeben wurden. ...zurück...

9Für unsere Zwecke empfiehlt es sich, die Pachtstellen mit zu betrachten, da auch sie in derselben Weise wie die Rentenstellen der Annullation unterlegen sind. ...zurück...

10s. Rauschning, S. 169 fg. ...zurück...

11s. Rauschning, S. 172 fg. ...zurück...

12Grundsätzlich nahm das Liquidationskomitee auch in Fällen ungeklärter Staatsangehörigkeit das Recht zur Durchführung der Liquidation für sich in Anspruch, selbst wenn die allein zuständigen Verwaltungsbehörden im Gegensatz zu ihm die polnische Staatsangehörigkeit der Betr. anerkannten. Rauschning, S. 174 und Thieme-Schuster, Das polnische Liquidationsverfahren, Berlin, 1924, S. 122/123 ...zurück...

13Rauschning, S. 175. ...zurück...

14Rauschning, S. 202. ...zurück...

15K. Kierski, In: Stan posidania ziemi na Pomorzu, Zagadnienia historyczne i prawne (siehe Literaturverzeichnis Nr. 14), S. 188, gibt die Zahl der "Annullations"-Siedlungen in Pommerellen mit 1550 an. Vgl. S. 30. ...zurück...

16s. Dr. W. Sukiennicki, Pruska politika kolonizacyjna na ziemiach polskich 1886–1919, Warszawa, 1931, § 51 (Dr. W. Sukiennicki, Die preußische Ansiedlungspolitik in den polnischen Gebieten 1886 bis 1919, Warschau 1931). Die Arbeit verleugnet durchaus nicht den nationalen polnischen Standpunkt, ist aber sehr gründlich und im allgemeinen streng sachlich. Dasselbe gilt von der später zu erwähnenden zweiten Arbeit von S., zitiert als Sukiennicki I und II. S. Lit.-Verzeichn. Nr. 4 und 5. ...zurück...

17Kierski, a. a. O., S. 185. ...zurück...

18Polnische Gesetze und Verordnungen in deutscher Übersetzung, hg. vom Deutschtumsbund zur Wahrung der Minderheitsrechte in Polen, Posen 1920, S. 12. ...zurück...

19Art. 1 lautet: "Auf Grund des Friedensvertrages von Versailles vom 26. Juni 1919 tragen die Gerichte von amtswegen in den Grundbüchern des Preuß. Anteils in allen Fällen, in denen die Krone, das Deutsche Reich, die deutschen Staaten, Institute des Reichs oder der deutschen Staaten, sowie der frühere deutsche Kaiser und andere Mitglieder deutscher regierender Häuser als Eigentümer oder Inhaber von dinglichen Rechten eingetragen sind, oder nach dem 11. 11. 1918 eingetragen wurden, an ihrer Stelle den polnischen Staatsschatz ein." ...zurück...

20S. Heidelck, "Das Deutschtum in Pommerellen und Posen", in Deutsche Blätter, Jg. 4, Heft 5, Posen 1927, S. 248. ...zurück...

21Rauschning gibt S. 201–223 eine ausführliche Darstellung der ganzen Aktion, die von Suckiennicki in dem Buche Sprawa sukcesji prez Polskę uprawnien rentowych państwa pruskiego, wynikłych z jego akcji kolonizacyjnej na wschodzie, Warszawa, 1931, S. 101, (Die Frage der Nachfolge der Rentenberechtigungen des Preuß. Staates, die aus seiner Ansiedlungsaktion im Osten hervorgegangen sind, durch Polen) Warschau 1931 S. 101 (Lit.-Verz. Nr. 5) insofern sehr gut ergänzt wird, als sie sich an das Aktenmaterial des Schriftwechsels zwischen dem Völkerbund und der Regierung in Warschau bzw. dem polnischen Vertreter beim Völkerbund hält. Man muß nur bedauern, daß S. den polnischen Standpunkt in der wie im ersten zitierten Werk sonst sachlichen Darstellung durch hämische Bemerkungen glaubt ausdrücken zu müssen, indem er z. B. von der Depesche des Deutschtumsbundes sagt: "Alarmiert durch die so tragisch klingende Depesche, gab das Völkerbundssekretariat" usw. Gegenüber dem ungeheuerlichen Tatbestand, daß etwa 3000 Bauernfamilien ganz kurzerhand amtlich aufgefordert wurden, zum 1. Dezember, also wirklich mitten im Winter, ihr rechtmäßig erworbenes Besitztum ohne irgendwelche Aussicht auf Unterkommen und Lebensunterhalt zu verlassen, ist das nach Sukiennicki wiedergegebene Telegramm wahrhaftig ein Muster von Objektivität, namentlich im Vergleich zu der S. doch wohl bekannten Maßlosigkeit, mit der sich die polnische Propaganda vor und nach der Wiederentstehung des polnischen States über preußisch-deutsche Maßnahmen erging und noch ergeht, die gegenüber der Art, wie die Annullation eingeleitet und durchgeführt wurde, geradezu harmlos sind.
      Das Telegramm lautet: "Einige Tausend Landwirtsfamilien deutscher Abstammung wurden unter offensichtlicher Vergewaltigung der Minderheitsvorschriften von der polnischen Regierung zum Verlassen ihres Besitzes vor dem 1. Dezember aufgefordert. Auf diese Weise werden diese Familien ihrer Habe verlustig, wahrscheinlich mitten im Winter ohne jede Mittel zum Lebensunterhalt auf die Straße geworfen. Diese Verfügungen sind sowohl gegen polnische als auch gegen deutsche Staatsbürger gerichtet. Wir bitten um unverzügliche Maßnahmen zu ihrem Schutz und um Einholung weiterer Informationen vom Büro des Deutschtumsbundes in Bromberg." Vgl. dazu die Völkerbundeingabe des Deutschtumsbundes vom 7. Nov. 1921. Anlage 1....zurück...

22Sukiennicki II, S. 114. ...zurück...

23Rauschning, S. 207. ...zurück...

24"An Ort und Stelle" ist in Warschau, in Posen und Pommerellen ist C. nicht gewesen! ...zurück...

25Sukiennicki II, S. 115. ...zurück...

26Sukiennicki II, S. 129. ...zurück...

27Rauschning, S. 209. ...zurück...

28Rauschning, S. 209. ...zurück...

29Ständiger Internationaler Gerichtshof, "Das Gutachten über die Ansiedlerfrage", Aktenzeichen F. c. VI, Liste III, 2. Deutsche Übersetzung im Verlage von A. Dittmann, Bromberg, S. 13. ...zurück...

30Sukiennicki II, S. 145. ...zurück...

31Siehe das umseitige Zitat aus dem Gutachten. ...zurück...

32s. Rauschning, S. 216. ...zurück...

33s. Rauschning, S. 215. ...zurück...

34s. Sukiennicki I, S. 67 fg. ...zurück...

35Sukiennicki meint in II, S. 370, daß die deutschen Ansiedler sich aus Furcht vor dem geringen Wiederkaufspreis, der noch auf dem Rentenvertrage beruhte, freiwillig ihrer Besitzungen begeben hätten. Tatsächlich bestand diese Furcht und hatte auch solche Wirkungen, aber deswegen, weil sich die polnische Regierung leider nicht an die Bestimmungen des Rentenvertrages bei der Feststellung des Wiederkaufspreises hielt. Zunächst schätzte nicht eine vom Landamt (Urząd Ziemski), dem Nachfolger der Ansiedlungskommission, unabhängige und zwar richterliche Behörde wie die Generalkommission, sondern das Landamt selbst und zwar nach einem Taxsystem, ähnlich dem, das bei der Abschätzung der Liquidationsobjekte angewandt wurde, und das sich in keiner Weise nach den gesetzlich festgelegten Bestimmungen über die Feststellung des gemeinen Wertes richtete, nach denen die Generalkommission zu entscheiden verpflichtet war. Beispiele solcher Schätzungen bei Rauschning S. 222, ferner in Anlage 2. Über die Methode der Taxierung von polnischer Seite s. Rauschning S. 184 fg., besonders S. 188/189 und 192. Was hier bei der Erörterung der Liquidationsmethoden gesagt worden ist, gilt auch für die Durchführung des Wiederkaufsrechts. ...zurück...

36Sukiennicki II, S. 356 fg. ...zurück...

37Sukiennicki II, S. 373. ...zurück...

38S. glaubt eine Zahlenangabe von deutscher Seite aus Reiners "Zur Lage der deutschen Ansiedler in Westpolen", Archiv f. innere Kolonisation, 1926, S. 386, zitieren zu sollen, der 129 Fälle angibt. Reiners hatte aber nur die Fälle im alten Reg.-Bez. Posen zur Verfügung. Zudem gab bereits Rauschning S. 221 253 Fälle an. Die von Sukiennicki selbst, II, S. 374, Anm. 3 gemachte Angabe von 439 Fällen (410 Ansiedlungen und 29 befestigte Güter) ist, wie oben ersichtlich, auch überholt. ...zurück...

39S. Sukiennicki II, S. 371. Die ganze Darstellung von S. in II, § 68–70 steht in auffallendem Gegensatz zu seiner sonstigen Genauigkeit und hat einen propagandamäßigen Zuschnitt. Bei der Erörterung der 129 von Reiners angegebenen Fällen erwähnt er, daß 14 Fälle des Wiederkaufes durch das Ministerium für Agrarreform zurückgenommen worden seien "infolge des Verkaufs des Gutes aus freier Hand an Personen, im Verhältnis zu denen die Anwendung des Wiederkaufsrechts nicht begründet gewesen wäre". Das klingt sehr harmlos, bedeutet aber nichts anderes, als daß die 14 Ansiedler unter dem Druck der Anwendung des Wiederkaufsrechts zwar aus freier Hand, aber keineswegs freiwillig, an einen Polen verkauft haben. Ebenso liegt es mit dem Zitat des – polnischen – Prof. Schramm Der Bodenmarkt in den Wojewodschaften Posen und Pommerellen, S. 193, s. Sukiennicki II, § 68, Anm. 97, der das Weiterbestehen des Wiederkaufsrechts bei regulierten (besitzbefestigten) Gütern verneint. Dazu sagt S.: "Wie wir also sehen, war der von Prof. Schramm gezeichnete Standpunkt der poln. Behörden bedeutend weitergehend, als die von uns angeführte Ansicht im Text." Aus der Einzelansicht des Prof. Schramm, eines um den poln. Standpunkt an sich verdienten Sachkenners, läßt sich doch aber gewiß nicht der Standpunkt der poln. Behörden erkennen, sondern nur aus ihren Taten, und da gibt S. selbst an, daß das Wiederkaufsrecht bei 29 regulierten Besitzungen angewendet worden sei. Bei den späteren Ausführungen von S. zum Liquidationsvertrag darf man nicht vergessen, daß S. die Aufgabe hatte, den von der Pilsudski-Regierung abgeschlossenen Liquidationsvertrag gegenüber der scharfen Kritik aus dem nationaldemokratischen Lager zu verteidigen und daß er daher die Rechtslage mehr im deutschen Sinne darstellen mußte. ...zurück...

40s. Sukiennicki II, § 70. Sehr interessant ist die offenherzige Bekundung der eigentlichen poln. Absicht, die Ansiedler durch den Druck mit dem Wiederkaufsrecht zu "reemigrieren", zu deutsch, zu "verdrängen". Der Schlußsatz ist zur Beruhigung der nationaldemokratischen Kritik bestimmt. ...zurück...

41K. Kierski, den man als Kronjuristen der zur herrschenden Pilsudskiregierung in scharfer Opposition stehenden Nationaldemokratie bezeichnen kann, die in allen Ansiedlerfragen einen unversöhnlichen Standpunkt einnimmt, betont allerdings (a. a. O. S. 191), daß der erwähnte Schriftwechsel einen "ganz privaten Charakter" trage und nicht einmal dem Sejm zur Kenntnis vorgelegen habe, weshalb er für den polnischen Staat keine bindende Kraft habe. ...zurück...

42Aus den persönlichen Aufzeichnungen des Verf., unter dessen Leitung die Zahlung stattfand. ...zurück...

43Rauschning S. 342. ...zurück...

44Rauschning S. 347. ...zurück...

45s. Zwanzig Jahre deutscher Kulturarbeit, Berlin 1907, S. 68. Vgl. Tab. I S. 57. ...zurück...

46Siehe Anlage 4a–c. ...zurück...

47Diese Zahlen sind einer unveröffentlichten Arbeit über die Ergebnisse der privaten deutschen Volkszählung v. 1926 entnommen. ...zurück...

48Alle diese Zahlen nach der erwähnten unveröffentlichten Arbeit über die private deutsche Volkszählung von 1926. Dagegen sind alle Zahlen über die Ansiedler selbst errechnet. ...zurück...

49Die dortige polnisch und deutsch sprechende Bevölkerung ist 1910 der Muttersprache nach als polnisch gezählt worden, hat sich aber bei Frage nach der Nationalität 1926 zum Deutschtum bekannt. Daher erscheint in diesen Kreisen statt des sonstigen Rückganges sogar eine Zunahme der deutschen Bevölkerung. ...zurück...

50Heute mit Gnesen vereinigt. ...zurück...

51Aus Ersparnisgründen sind die Tabellenhefte, in die die Angaben der Fragebogen vom 1. 4. 1932 eingetragen sind, nicht abgedruckt worden. Sie sind beim Osteuropainstitut in Breslau niedergelegt. ...zurück...

52Rauschning, S. 202. ...zurück...

53Anlage 4. ...zurück...

54S. auch Sukiennicki II, § 70, letzter Absatz. ...zurück...

55Siehe Anlage 4. ...zurück...

56Siehe Anlage 6. ...zurück...

57Siehe Anlage 8a und b. ...zurück...

5820 Jahre deutscher Kulturarbeit, Berlin 1907, S. 68. ...zurück...

59Zwanzig Jahre deutscher Kulturarbeit, Berlin 1907, S. 67. ...zurück...

60a. a. O. S. 66. ...zurück...

61In dem vertraulichen Bericht eines preuß. Landrats aus dem Jahre 1918 heißt es folgendermaßen: "Das Material der ca. 500 Ansiedlerfamilien im Kreise Graudenz ist sehr verschieden. Die deutschen Rückwanderer aus Rußland (besonders Gouv. Wolhynien und Shitomir) finden sich mit wenigen Ausnahmen ziemlich schwer in die preuß. Verhältnisse, nicht selten hört man sagen, hätten wir in Rußland soviel arbeiten müssen wie hier, so wären wir dort reiche Leute geworden. Daß die jetzige Generation dieser Ansiedler noch dem preuß. Staat großen Nutzen bringen werde, hat wohl auch die Ansiedlungskommission nicht angenommen, die Hoffnung ist auf die zweite und dritte Generation gesetzt... Leider hat sich bei den Ansiedlern das Sektenwesen außerordentlich breit gemacht, es besteht eine große Anzahl religiöser Vereinigungen, deren Satzungen und Vorschriften oft das wirtschaftliche Vorwärtskommen der Einzelnen hemmt. Die Ansiedler aus deutschen Gauen kennen ihre staatsbürgerlichen Pflichten besser, trotzdem ist es für einen neuen Gemeindevorsteher oft nicht leicht, eine Gemeinde, deren Mitglieder sich aus den verschiedensten Stämmen zusammensetzen, zu leiten und alle widerstreitenden Interessen zu vereinigen." ...zurück...

62Rolf Ehrhardt, "Die schwäbischen Kolonien in Westpreußen," Dissertation Marburg 1914. ...zurück...

63S. Friedrich Heidelck, "Die Stellung des Deutschtums in Polen", Deutsche Blätter in Polen, Jg. 6, Heft 2, S. 61 fg. ...zurück...

as. S. 57. ...zurück...

bS. Lit.-Verz. Nr. 15. ...zurück...

cS. Lit.-Verz. Nr. 15. ...zurück...

ds. S. 57. ...zurück...

eS. Anl. 4a–c. ...zurück...

*Anm. d. Scriptorium: Flächenangaben mit zwei Paar Dezimalstellen sind uns neu. Im Text selbst wird dies nicht näher erklärt und leider konnten wir trotz umfassender Recherchen nicht feststellen, ob dies evtl. ein veralteter Brauch der Flächenmessung ist. Nachdem sich die so angegebenen Ziffern jedoch genau wie gewöhnliche vierstellige Dezimalbrüche summieren (vgl. z. B. die Tabellen!), sind die Daten offenbar als solche zu betrachten. ...zurück...




(Zur Fortsetzung 20 Jahre später:)
Das deutsche Vermögen in Polen.
Ein Rechtsgutachten


Gebiets- und Bevölkerungsverluste
des Deutschen Reiches und Deutsch-Österreichs
nach dem Jahre 1918


Das Versailler Diktat.
Vorgeschichte, Vollständiger Vertragstext,
Gegenvorschläge der deutschen Regierung





100 Korridorthesen:
Eine Auseinandersetzung mit Polen



Die deutsche Volksgruppe in Polen 1934-1939


Deutsches Land: Das Buch von Volk und Heimat,
besonders das Kapitel
"Westpreußen und die Grenzmark."


Deutschland und der Korridor


Deutschtum in Not: Das Deutschtum in Polen


Hermann Rauschning:
Die Entdeutschung Westpreußens und Posens:
Zehn Jahre polnischer Politik.


Das Grenzlanddeutschtum im polnischen Staate


Die polnische Presse
im Kampf gegen die deutsche Volksgruppe
in Posen und Westpreußen


Zehn Jahre Versailles,
besonders Bd. 3, das Kapitel
"Gebietsverlust durch erzwungene Abtretung oder Verselbständigung:
Posen und Westpreußen."


Zeugnisse der Wahrheit:
Danzig und der Korridor im Urteil des Auslandes




Die Deutschen Ansiedlungen in Westpreußen und Posen
in den ersten zwölf Jahren der polnischen Herrschaft.
Friedrich Heidelck.